Gespräch mit
Robert Hepp. Der Soziologe Robert Hepp warnte schon vor Jahrzehnten vor den Folgen
von Geburtenschwund und Zuwanderung. Er verfiel der Acht, nach Jahren bricht er
erstmals sein Schweigen (von Moritz Schwartz) Herr Professor
Hepp, in letzter Zeit hat ein atemberaubender Wandel in der Debatte um Zuwanderung
und Integration, multikulturelle Gesellschaft und die demographische
Katastrophe stattgefunden. Die meisten Debattenteilnehmer aus Politik, Öffentlichkeit
und Medien erwecken allerdings den Eindruck, als hätte man nicht ahnen können,
welche Folgen die über Jahrzehnte verfolgten gesellschaftlichen und politischen
Konzepte einmal haben würden. Man tut so, als hätte es Warner wie Sie
nicht gegeben. Hepp: Es ist in der Tat erstaunlich, plötzlich sprechen
alle von diesen Problemen. Man hat fast den Eindruck, es gebe nichts, was unsere
Landsleute mehr bekümmert. Beispiel Geburtenrückgang: Nach einer Umfrage
des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung mit dem Titel Population
Policy Acceptance Study sind 84 Prozent der Deutschen vom Rückgang
der Geburtenzahlen alles andere als entzückt. Ausgerechnet Sie sagen
heute: Das ist doch kein Thema mehr! Hepp: Daß heute alle
Welt davon redet, wäre für mich schon Grund genug, nicht mehr davon
zu sprechen Ich überlasse es gern anderen, Eulen nach Athen zu tragen, zumal
in der Dämmerung, wenn die Eule der Minerva ihren Flug beginnt. Dann ist
es bekanntlich zum Handeln immer schon zu spät. Ist der Geburtenrückgang
etwa zu spät erkannt worden? Hepp: Heute hört man in der Tat oft,
der Geburtenrückgang sei leider zu spät bemerkt worden. In Wirklichkeit
wurde er durchaus rechtzeitig bemerkt, man hat daraus nur keine Konsequenzen gezogen.
Als sich der demographische Niedergang der Bundesrepublik abzuzeichnen begann
seit 1971 wurde bei der deutschen Bevölkerung ein Geburtendefizit
registriert, und seit 1975 lag ihre Geburtenziffer mit weniger als 1,4 Geburten
pro Frau durchweg um ein Drittel unter dem erforderlichen Reproduktionsniveau
von durchschnittlich 2,1 Geburten , erschien eine ganze Reihe von Schriften,
die vor den fatalen sozialen Folgen des Geburtenrückgangs warnten. Etliche
schockierten die Öffentlichkeit damals schon mit Titeln, die mit der rhetorisch
gemeinten Frage aufwarteten, ob die Deutschen zum Aussterben verurteilt seien.
Der Geburtenrückgang wurde schließlich sogar zum Auslöser einer
Wiederbelebung der Bevölkerungswissenschaft in Deutschland, die nach 1945
einer blindwütigen Ent-nazifizierung zum Opfer gefallen war. Der
Regierung ging es darum, die Situation zu bagatellisieren Bitte? Sie
haben die Tabuisierung einer Bevölkerungspolitik in den siebziger und achtziger
Jahren doch immer wieder beklagt! Hepp: Schon im Februar 1973 wurde zum
Beispiel auf Initiative der Deutschen Gesellschaft für Bevölkerungswissenschaft,
die dem Thema mehrere ihrer Jahrestagungen widmete, vom FDP-Innenminister Werner
Maihofer unter ausdrücklicher Berufung auf die Notwendigkeit der Erforschung
von Ursachen und Folgen des Geburtenrückgangs ein Bundesinstitut für
Bevölkerungsforschung eingerichtet, das die Regierung beraten sollte. Und
seit Anfang 1975 gab dieses Institut auch eine eigene Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft
heraus, in der das Thema einen breiten Raum einnahm. In der Ansprache zur Eröffnung
des Bundesinstituts sagte sein Direktor, die Tatsache, daß die Bundesrepublik
die niedrigste Geburtenziffer ihrer Geschichte und wohl auch die niedrigste der
Welt aufweise, habe in der Öffentlichkeit eine breite Diskussion ausgelöst.
Er meinte jedoch, unter Hinweis auf die Schreckensrufe aus den ersten Jahrzehnten
des 20. Jahrhunderts, in denen uns vermeintlich schon einmal ein Volkstod gedroht
habe, unbedingt vor überhöhten Äußerungen und
wilden Spekulationen warnen zu müssen. Das ist für die Behandlung
des Themas in diesen Jahren bezeichnend! Und tatsächlich war dem Institut
von der Regierung offenbar vor allem die Funktion zugedacht, die Öffentlichkeit
zu beruhigen und die Situation zu bagatellisieren. Tatsächlich antwortete
die sozialliberale Regierung in den Jahren 1975 und 1977 auf wiederholte Anfragen
der Opposition, sie sei nicht der Meinung, daß die deutsche Bevölkerungsentwicklung
einen Anlaß zu größten Besorgnissen gebe. In ihrer Antwort auf
eine Umfrage der Vereinten Nationen räumte sie im Jahr 1976 zwar ein, daß
die Wachstumsrate der deutschen Bevölkerung und ihr Fruchtbarkeitsniveau
nicht zufriedenstellend seien, verneinte aber gleichzeitig die Frage,
ob sie eine formulierte Politik mit dem Ziel habe, die Auswirkungen
der Fruchtbarkeit auf die Wachstumsrate der Bevölkerung zu beeinflussen. Was
war der Grund, daß unsere Regierungen sich so beharrlich weigerten, etwas
zu unternehmen? Hepp: Die Hauptgründe waren rein ideologischer Natur,
in erster Linie eine vage liberale Gesinnung, die man für demokratisch
hielt. Der Staat, hieß es allgemein, dürfe nicht in die Schlafzimmer
hineinregieren; das generative Verhalten der Bürger sei
ihre höchst private Angelegenheit. Der damalige Leiter der Planungsabteilung
des Bundeskanzleramtes unter Helmut Schmidt, ein gewisser Albrecht Müller,
für den Bestandserhaltung ein Begriff aus der Viehhaltungsstatistik
war, pflegte den Befürwortern bevölkerungspolitischer Maßnahmen
vorzuwerfen, sie seien noch in völkisch-kollektivistischen Vorstellungen
befangen. Für diese Leute gab es in der Tat kein Gemeinwohl und kein nationales
Interesse, sie meinten, die Politik habe nur für die maximale Entfaltungsfreiheit
der Bürger zu sorgen. In der zitierten Antwort auf die Uno-Umfrage begründete
die sozialliberale Regierung ihre bevölkerungspolitische Zurückhaltung
damit, daß das niedrige Fruchtbarkeitsniveau gegenwärtig im allgemeinen
zum Wohl der Familie beitrage, indem es das Erreichen der gewünschten Kinderzahl
ermögliche und partnerschaftliche Ehe-strukturen sowie die
Wahrnehmung eigenen Lebenschancen der Frau begünstige. Die Regierung
spielte damit auf ihre Reform des Ehe- und Familienrechts und auf die Reform des
Paragraphen 218 an. Da damit die Hauptursachen des deutschen Geburtenrückgangs
benannt sind, kann man sagen, daß die deutsche Regierung den Geburtenrückgang
aus ideologischen Gründen begrüßte. Und da es in dieser Zeit noch
möglich gewesen wäre, den Geburtenrückgang rückgängig
zu machen, mache ich die sozialliberale Ideologie hauptsächlich für
das Desaster verantwortlich. Ich erinnere an meine Kritik, die ich mit der Formel
vom sozialen Aufstieg in die nationale Dekadenz zusammenfaßte. Die
heutige Elterngeneration könnte ein Drittel stärker sein Sie
haben zum Beispiel 1982 kritisiert, daß in der Regierungserklärung
Helmut Kohls kein Hinweis auf eine Bevölkerungspolitik zu finden war. Was
hätte man damals tun können, um die Katastrophe abzuwenden? Hepp:
Unter denen, die sich an den Diskussionen über Maßnahmen zur Bekämpfung
des Geburtenrückgangs beteiligen, war ich einer der wenigen es dürften
nicht viel mehr als eine Handvoll gewesen sein , die für eine pronatalistische
Bevölkerungspolitik eintraten. Damit ist eine Politik gemeint, die eine Veränderung
des generativen Verhaltens der Deutschen, eine Anhebung ihrer Fruchtbarkeit auf
das zur Selbsterhaltung erforderliche Niveau, bewirken sollte. Wenn dies damals
gelungen wäre, wäre die heutige Elterngeneration um ein gutes Drittel
stärker, und es würde auf absehbare Zeit keine ernstlichen Rentenversicherungs-,
Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsprobleme geben. Wir hätten auch
weitgehend auf die teure Einfuhr und Integration von Ausländern verzichten
können. Mußten Sie nicht fürchten, daß eine pronatalistische
Politik durch die Bevölkerungspolitik des Dritten Reiches, die ja auch nicht
besonders erfolgreich war, als diskreditiert gelten würde? Hepp: Die
bloße Tatsache, daß Adolf Hitler etwas für richtig hielt, war
für mich noch nie ein Grund, es unbesehen für falsch zu halten. Im übrigen
will ich hier nicht erörtern, ob die Legende von der Wirkungslosigkeit der
nationalsozialisti-schen Bevölkerungspolitik einer unbefangenen Untersuchung
standhalten würde. Ich halte sie für falsch. Im Unterschied zu dem demographischen
Starberater der sozialliberalen Bundesregierungen jener Jahre, einem gewissen
Dr. Hermann Schubnell, der seinen Doktortitel im Tausendjährigen Reich
mit einer linientreuen pronatalistischen Arbeit erworben hatte und daher in der
Bundesrepublik von einer solchen Bevölkerungspolitik nur abraten konnte,
weil er sonst schnell als Altnazi dekuvriert und als Regierungsberater
abserviert worden wäre, hatte ich als Nachkriegsdeutscher gegenüber
einer solchen Bevölkerungspolitik zwar keine Berührungsängste,
aus meiner Sicht mußten die Mittel, die im Deutschen Reich der dreißiger
Jahre noch mit Erfolg eingesetzt werden konnten, vierzig Jahre später in
der ganz anderen sozialen Konstellation der Bundesrepublik allerdings weitgehend
versagen. Ohne Abtreibungen kein Geburtendefizit Gab es
für Sie andere erfolgreiche Modelle? Hepp: Ich wies vor allem auf das
Beispiel der erfolgreichen Bevölkerungspolitik Frankreichs hin, dessen Geburtenziffern
nur wenig unter dem Reproduktionsniveau lagen. Ich hatte meine demographischen
Kenntnisse während eines Studiums in Frankreich erworben. Da florierte die
Demographie als Hilfswissenschaft einer Politik, die das Land aus dem demographischen
Niedergang herausgeführt hatte, der mit wiederholten Geburtendefiziten bereits
gegen Ende des 19. Jahrhunderts begonnen hatte. Da es den Franzosen tatsächlich
mit einem Bündel pronatalistischer Maßnahmen gelungen war, eine Wende
in ihrer Bevölkerungsentwicklung herbeizuführen, die zu Beginn des Jahrhunderts
niemand für möglich gehalten hätte, gab ich mich eine Zeit lang
der Hoffnung hin, daß vielleicht auch in Deutschland noch ein solcher Umschwung
zu schaffen sei, wenn man dafür nur tüchtig die Werbetrommel rührte. Sie
begannen damals für diese Sache durch die Lande zu ziehen und
malten, wie Sie einmal gesagt haben, die drohende Bevölkerungsschrumpfung
und Überalterung anhand statistischer Modellrechnungen im Stil eines alttestamentarischen
Unheilspropheten an die Wand. Hepp: Ich habe versucht, die Leute davon
zu überzeugen, daß es nur ein aussichtsreiches Rezept gäbe: die
Anhebung der Fruchtbarkeit auf 2,1 Geburten pro Frau. Ich wollte zu diesem Zweck
auch eine Verschärfung des Paragraphen 218 natürlich in Abstimmung
mit den benachbarten europäischen Staaten nicht ausschließen,
falls die anderen in Frankreich mit Erfolg angewandten pronatalistischen Maßnahmen,
besondere Prämien für dritte und weitere Kinder, Steuertarife nach Kinderzahl
etc., in Deutschland nicht greifen sollten. Irland mit seinem rigorosen Abtreibungsverbot
war schließlich schon in den achtziger Jahren das einzige Land der EG mit
Geburtenziffern, die sich noch sehen lassen konnten. Und wenn man bei uns die
Abtreibungen und die Geburten addierte, gab es auch in Deutschland statistisch
kein Geburtendefizit mehr. Statt zu mehr Geburten kam es aber zu mehr Einwanderung. Hepp:
Rein statistisch betrachtet konnten die Lücken, die der Geburtenrückgang
hinterließ, ebensogut durch die Anlockung Fremder geschlossen werden wie
durch den natürlichen Zuwachs eigener Geburten. Und da sich die
Bundesregierung für diese Alternative entschieden hatte, mußte ich
mich notgedrungen auch mit ihrer Wanderungspolitik auseinandersetzen.
Im Endeffekt spitzte sich also meine Argumentation auf die Demonstration der Überlegenheit
einer pronatalistischen Bevölkerungspolitik über die Wanderungspolitik
zu. Es hagelte faule Eier und Tomaten Was Sie allerdings
erst recht in Verruf gebracht hat. Hepp: Über die Reaktion des linksliberalen
Establishments brauche ich mich wohl nicht auszulassen. Im akademischen Raum blies
mir von Anfang an ein scharfer Gegenwind ins Gesicht. Das Konzil der Universität
Osnabrück etwa war nur durch einen Gerichtsbeschluß daran zu hindern,
meine frauen- und ausländerfeindlichen Irrlehren anzuprangern.
Einzelne Kollegen veranstalteten Kolloquien und Pressekonferenzen, in denen sie
sich von mir distanzierten. Mein Dienstherr meinte mich zur Verfassungstreue ermahnen
zu müssen und ließ mich per Zeitung wissen, daß er meine Aktivitäten
auf das genaueste observiere. Wenn ich zu Gastvorlesungen an anderen
Universitäten eingeladen war, wurde ich gewöhnlich von einem Pulk von
Chaoten in Empfang genommen und mit Gewalt am Vortrag gehindert. Da hagelte es
faule Eier und Tomaten. Das war zwar recht lustig, aber effektiv war es nicht. Wie
war das Echo auf der anderen Seite des politischen Spektrums? Hepp: Das
Ziel einer Änderung des generativen Verhaltens wurde allenfalls von einigen
alten Konservativen, die sich selber nicht mehr davon betroffen fühlten,
mit Beifall aufgenommen. Die elitäre Rechte hat sich allerdings über
den Gebärprediger Hepp eher lustig gemacht. Die Verächter
der Masse brachten unverhohlen ihre Freude darüber zum Ausdruck, daß
nach Jahrhunderten eines hemmungslosen proletarischen Bevölkerungswachstums
endlich die Zeit des Gesundschrumpfens angebrochen sei. Auch die Befunde
des Ethologen Paul Leyhausen über das mit steigender Bevölkerungsdichte
zunehmende asoziale Verhalten wilder Tiere wurden mir in diesen Kreisen
oft unter die Nase gerieben. Und schließlich spielten dort auch ökologische
Argumente eine große Rolle. Das Nullwachstum war nicht nur die Lieblingsidee
der Linken. Im Bürgertum war die vorherrschende Grundstimmung ohnehin malthusianisch.
Es mag sein, daß ich mich irrte, aber ich hatte bei den Diskussionen über
meine Vorschläge immer den Eindruck, daß ich es mit einer Gesellschaft
zu tun hatte, die sich zur Ruhe begeben wollte. Daß sich das Land vor der
Alternative wachsen oder altern und etwas anderes gibt es für
eine Bevölkerung nicht letztlich für das Altern entschieden hat,
war meines Erachtens in der morosen Mentalität dieser Jahre schon vorgezeichnet.
Von einer Revitalisierung der Deutschen, wie sie mir vorschwebte, konnte unter
diesen Umständen nicht mehr die Rede sein. Dennoch beunruhigten einige
Menschen immerhin Ihre Prognosen zur Einwanderung. Hepp: Wirklich angekommen
bin ich beim Publikum nur mit meinen Argumenten gegen die Wanderungspolitik, die
ich ursprünglich lediglich als Kontrastmittel zur Unterstützung meiner
Hauptforderung in mein Repertoire aufgenommen hatte. Das Thema machte sich aber
selbständig. Wenn ich zu Diskussionen im Fernsehen eingeladen wurde, bei
denen es um Probleme der deutschen Bevölkerungsentwicklung gehen sollte,
wurde unter der stillschweigend von allen akzeptierten Prämisse, daß
gegen den Geburtenrückgang nichts mehr zu machen sei, immer nur über
die mit der Wanderungspolitik zusammenhängenden Ausländerprobleme und
über die Ausländerfeindlichkeit diskutiert. In
einer NDR-Sendung platzte mir der Kragen Immerhin wurden Sie in den
achtziger Jahren recht häufig ins Fernsehen eingeladen. Hepp: Ja, ich
diente dort aber nur als Anheizer, der die übrigen Teilnehmer lauter
handverlesene Gutmenschen, unter denen der Streitgegenstand im Grunde
unstrittig war in Rage versetzen sollte, damit sie keine gar zu langweilige
Show ablieferten. Ich habe die Posse lange mitgespielt. Als mir schließlich
bei einer Runde im NDR der Kragen platzte, haben alle Sendeanstalten wie auf Kommando
auf weitere Gastspiele verzichtet. Ich war darüber nicht unglücklich,
denn das immer gleiche Stück hatte allmählich, wie der Berliner sagt,
einen Bart mit Dauerwellen. Und der politische Effekt war gleich Null. Warum
aber sagen Sie heute, der Geburtenrückgang sei für Sie kein Thema mehr?
Vielleicht könnten Sie mit neuen Vorschlägen nun eine bessere Wirkung
erzielen? Hepp: Sie meinen, ich sollte ebenfalls kostenlose Kinderkrippenplätze
und steuerfreie Tagesmütter für die Einzelkinder akademischer Doppelverdiener
fordern? Damals warben Sie dafür, daß der Staat potentielle Eltern
mit materiellen Anreizen zum Kinderkriegen animiert. Die Wirkung dieser Anreize
ist allerdings von der Bedürfnisstruktur und dem Lebensstandard der Adressaten
abhängig. Könnte es also nicht durchaus gelingen, mit Hilfe unentgeltlicher
Kinderkrippen und steuerlich absetzbarer Tagesmütter kinderlose Akademikerinnen
auf andere Gedanken zu bringen? Hepp: In den siebziger und achtziger Jahren
war die Vereinbarkeit von Familie und Beruf noch kein aktuelles Problem. Diese
Frage ist überhaupt erst mit der späteren Haushaltsrevolution virulent
geworden, die durch die Kumulation mehrerer Einkommen in einem Haushalt völlig
neue Aufstiegschancen und Abstiegsrisiken eröffnete. Ich bezweifle im übrigen
auch, daß die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf heute der Königsweg
zu einer höheren Fertilität ist. Die Makrostatistik spricht jedenfalls
nicht unbedingt dafür. In Schweden, das immer noch als Paradebeispiel gilt,
weil die Geburtenziffer dort im Jahr 1990 trotz einer hohen Frauenerwerbsquote
über 80 Prozent der 25- bis 50jährigen bei 2,14 Kindern
angekommen war, ist die Ziffer inzwischen auf 1,5 heruntergegangen. Frankreich
hat bei einer vergleichbaren Betreuungsinfrastruktur eine niedrigere Frauenerwerbsquote
und trotzdem eine höhere Fertilität. Oder, um im Lande zu bleiben: Brandenburg
kann mit einem deutlich besseren Krippenangebot aufwarten als Bayern, aber in
Bayern liegt die Geburtenziffer trotzdem noch um einiges höher. Ich will
nicht ausschließen, daß das Modell unter bestimmten Umständen
funktionieren könnte. In Island beispielsweise mit einer anno 2000
Frauenerwerbsquote von 80 Prozent und stolzen 2,08 Kindern pro Frau (im
Jahr 2003 noch 1,99) scheint es zu funktionieren. Die Zusammenhänge sind
aber jedenfalls komplexer, als Lieschen Müller oder Ursula von der
Leyen meint. Kinder, die nicht geboren werden, fehlen als Eltern Diese
Zusammenhänge könnten Sie ja berücksichtigen und so eine überzeugende
Alternative zu Konzepten à la von der Leyen ins Spiel bringen. Hepp:
Als ich mich noch für eine geburtenfördernde Politik stark machte, lag
der durchschnittliche Kinderwunsch noch über dem Reproduktionsniveau und
weit über den realisierten Geburten. Und die Diskrepanz zwischen Wunsch und
Wirklichkeit war aus sozialer Perspektive die beste Rechtfertigung einer pronatalistischen
Bevölkerungspolitik, die die Barrieren zu beseitigen versprach, die der Verwirklichung
des Kinderwunsches der Bürger entgegenstanden. Heute liegt der durchschnittliche
Kinderwunsch der 18- bis 39jährigen Deutschen nach einer Eurobarometer-Umfrage
von 1999/2000 weit unter dem Reproduktionsniveau, ziemlich dicht bei der tatsächlich
realisierten Zahl der Geburten. Bei den deutschen Frauen im Alter von 18 bis 39
Jahren ist der durchschnittliche Kinderwunsch mit 1,52 einer der niedrigsten in
Europa! Und auch bei den deutschen Männern unter 35 Jahren ist er mit 1,31
der mit Abstand niedrigste. Unter solchen Umständen dürfte jede noch
so gut gemeinte Familienpolitik zum Scheitern verurteilt sein. Es
wäre ja immerhin denkbar, daß das Kinderwunsch einmal wieder auf ein
höheres Niveau ansteigt. Hepp: Das ist natürlich nicht völlig
auszuschließen, aber bisher ist immer behauptet worden, daß eine pronatalistische
Bevölkerungspolitik den Kinderwunsch an sich kaum beeinflussen könne,
sondern allenfalls dessen Erfüllbarkeit beziehungsweise den Zeitpunkt seiner
Realisierung. Zur Zeit wird in der Fachliteratur schon diskutiert, ob der niedrige
Kinderwunsch der Deutschen eine neue Etappe des Geburtenrückgangs ankündige. Fazit:
Es ist für jede Beeinflussung des generativen Verhaltens durch materielle
Anreize definitiv zu spät? Hepp: Es gibt noch andere Grunde, die dafür
sprechen, daß der Geburtenrückgang nicht mehr rückgängig
zu machen ist, ja daß es nicht einmal mehr zu wünschen wäre, ihn
rückgängig zu machen. Bei einer Geburtenziffer, die seit
nunmehr über dreißig Jahren unter 1,4 Geburten pro Frau liegt, sind
alle Kohorten der heute unter Dreißigjährigen gemessen an den
durchschnittlich 2,1 Geburten , die zur Reproduktion der Elterngeneration
erforderlich wären, bereits um ein gutes Drittel zu gering ausgefallen. Da
die Kinder, die in den siebziger und achtziger Jahren nicht geboren wurden, heute
als Eltern fehlen, könnte auch ein künftiger Anstieg der Fruchtbarkeit
auf das Reproduktionsniveau mit dem im Ernst niemand rechnet die
fatalen Folgen des demographischen Regimes der letzten Jahrzehnte nicht verhindern.
Nach den Modellrechnungen des Statistischen Bundesamtes wäre auch unter dieser
Voraussetzung in Deutschland selbst bei einer jährlichen Nettoeinwanderung
von 150000 Ausländern bis zur Jahrhundertmitte noch ein Geburtendefizit
und damit eine ständige Abnahme der Bevölkerung zu verzeichnen. Wobei
der Begriff Bevölkerungsabnahme nur die eine Hälfte des
Problems beschreibt. Damit einher geht schließlich automatisch eine Überalterung. Hepp:
Ja, und die ließe sich selbst bei einem sofortigen Anstieg der Fruchtbarkeit
auf das Reproduktionsniveau nicht mehr verhindern. Es handelt sich dabei um eine
unvermeidliche Konsequenz der unzureichenden Fruchtbarkeit der letzten dreieinhalb
Jahrzehnte. Nach der zitierten Modellrechnung des Statistischen Bundesamtes wird
der sogenannte Altenquotient, der das Verhältnis der Über-60-Jährigen
zu den 20-bis-60-Jährigen angibt, bei der deutschen Bevölkerung
wenn man von weiteren Einwanderungen absieht bis zum Jahr 2050 von heute
43 Prozent auf 83 Prozent steigen. Bei einer geringen Steigerung der Lebenserwartung
könnte er sich sogar auf 100 Prozent erhöhen, so daß also auf
jeden potentiellen Erwerbstätigen ein potentieller Rentner käme! Ich
brauche nicht auszumalen, was das für die Renten- und Krankenversicherungen
bedeutet. Der Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg hat ausgerechnet,
daß die Fruchtbarkeitsrate auf den extremen Wert von 3,8 Kindern pro Frau
steigen müßte, um die Zunahme des Altenquotienten zu verhindern. Hepp:
Und das wäre eine Reproduktionsrate so hoch wie in Nicaragua und Paraguay!
Hinzu kommt, daß bei einem Fruchtbarkeitsanstieg der Jugendquotient, der
das Verhältnis der Unter-20-Jährigen zu den 20-bis-60-Jährigen
angibt und der nach der zitierten Modellrechnung bei gleichbleibend niedriger
Fruchtbarkeit bis zum Jahr 2050 von 38 Prozent auf 33 Prozent fallen würde,
bei einer Erhöhung der Fruchtbarkeit ebenfalls ansteigen würde. Somit
würde auf den Tragkörper der mittleren Generation,
der durch den vorangegangenen Geburteneinbruch geschwächt ist, nicht nur
eine höhere Belastung durch Alte, sondern gleichzeitig auch noch eine steigende
Belastung durch Kinder und Jugendliche zukommen. Es ist unvorstellbar, daß
er dieser Doppelbelastung standhalten würde. Es ist also wirklich und
wahrhaftig zu spät! Hepp: Hier zeigt sich ein fatales Phänomen,
das man in der Demographie als das Gesetz der Trägheit bezeichnet.
Die Zahl der Geburten hängt eben nicht nur von der Fruchtbarkeit der Eltern
ab, sondern auch von der Zahl der Personen, die jeweils als Eltern in Betracht
kommen. Selbst ein Anstieg der Geburtenziffer auf die ideale Zahl von zwei Kindern
je Frau könnte daher nicht verhindern, daß die Bevölkerung noch
jahrzehntelang abnimmt und immer älter wird. Man kann eben auf diesem Feld
eine politische Fehlentscheidung nicht einfach revidieren. Hier gilt wirklich,
was für die sogenannte Vergangenheitsbewältigung nicht unbedingt
gelten müßte, daß der Herr der Väter Missetaten heimsucht
an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied, wie es in der Bibel heißt. Rentenalter
mit 77 und 458000 Ausländer jährlich Das klingt nun aber
gar nicht österlich. Was bleibt uns denn dann noch zu tun? Sie werden uns
doch nun nicht auch noch das Sauerbier der Bestanderhaltungsmigration
als die einzig mögliche Lösung der Probleme einer schrumpfenden und
alternden Bevölkerung anbieten wollen? Hepp: Sie spielen auf die verrückte
Uno-Studie an, die keine andere Möglichkeit sieht, in Deutschland auf lange
Sicht die Anhebung des Rentenalters auf 77 Jahre und den Rückgang der Bevölkerung
zu vermeiden, als die Aufnahme von jährlich 458000 Ausländern, womit
der Ausländeranteil bis 2050 auf 36 Prozent ansteigen würde. Es tut
mir leid, aber wir haben tatsächlich nur noch die Wahl zwischen der Pest,
der Cholera und dem Typhus! Meinhard Miegel und Stephanie Wahl haben das bevölkerungspolitische
Trilemma, vor dem wir stehen, schon vor dreizehn Jahren in einem Buch mit dem
schönen Titel Das Ende des Individualismus Die Kultur des Westens
zerstört sich selbst schonungslos dargelegt. Die Deutschen
wollen alles zugleich das geht nicht Danach haben wir grundsätzlich
nur noch drei Optionen ... Hepp: ... die alle mit Nachteilen verbunden sind.
Erstens: Wenn wir die Bevölkerungszahl Deutschlands bis 2050 bei 83 Millionen
konstant halten wollen, müssen wir den Anteil der Eingewanderten von 10 Prozent
auf etwa 30 Prozent und den Anteil der Über-60-Jährigen von 20 Prozent
auf ebenfalls etwa 30 Prozent anheben. Zweitens: Wenn wir den Ausländeranteil
bei 10 Prozent konstant halten wollen, müssen wir bereit sein, eine Abnahme
der Bevölkerungsgröße um 25 Prozent und eine Verdoppelung der
Über-60-Jährigen von 20 Prozent auf 40 Prozent hinzunehmen. Drittens:
Wenn wir den Anteil der Über-60-Jährigen bei 20 Prozent konstant halten
wollen, müssen wir uns auf den Anstieg des Ausländeranteils von 10 Prozent
auf etwa 50 Prozent und eine Zunahme der Bevölkerungsgröße auf
über 100 Millionen akzeptieren. Zu welcher Option raten Sie? Hepp:
Das ist nicht die Frage, sondern, für welche werden sich die Deutschen entscheiden?
Das Dumme dabei ist, daß die Mehrheit der Deutschen alle drei Größen
konstant halten möchte. Nach den Ergebnissen der Population Policy
Acceptance Study des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung
finden 84 Prozent den Rückgang des Anteils der Jungen, also die Überalterung,
schlecht; 92 Prozent sind für eine Begrenzung des Ausländerzuzugs. Und
nach einer von Miegel und Wahl zitierten Umfrage aus dem Jahr 1989 war die Mehrheit
der Befragten sowohl gegen eine Zunahme als auch gegen eine Abnahme der Bevölkerung.
Alles zugleich geht aber nicht. Man kann nicht den Kuchen essen und das Ei behalten. Also
bitte: Ihre Lösung! Ihren Ratschlag! Ihre Empfehlung! Hepp: Es wird
langsam Zeit, daß wir uns von luftigen Illusionen verabschieden. Politik
ist nach Bismarck die Fähigkeit, in jedem wechselnden Moment der Situation
das am wenigsten Schädliche zu wählen. Wenn Sies unbedingt wissen
wollen: Ich bin für die Cholera. Prof. Dr. Robert Hepp gilt
seit Mitte der siebziger Jahre als der eindringlichste Warner vor demographischer
Katastrophe und den Folgen der Einwanderung. Nachdem er zunächst eine erhebliche
Medienresonanz erlebte, fiel er zunehmend der aufkommenden Political Correctneß
zum Opfer. In zahlreichen Veröffentlichungen prognostizierte Hepp die schon
damals absehbaren Folgen einer verweigerten Bevölkerungs- und statt dessen
betriebenen Einwanderungspolitik. Am bekanntesten wurde sein Buch mit dem provozierenden
Titel: Die Endlösung der Deutschen Frage. Grundlinien einer politischen
Demographie in der Bundesrepublik Deutschland (Hohenrain, 1988). Bis Ende
1994 lehrte er als Professor für Soziologie an der Universität Osnabrück,
dann bis zu seiner Emeritierung am 1. April dieses Jahres an der Hochschule Vechta.
Geboren wurde er 1938 in Oberschwaben bei Riedlingen an der Donau.
Junge
Freiheit vom 14. April 2006
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