"Kampf für Deutschland"
Eberhard Zeller über den 20. Juli, die Gebrüder Stauffenberg und die Entnationalisierung
des deutschen Widerstandes Moritz Schwarz
Herr Dr. Zeller,
Sie haben das Buch "Geist der Freiheit", die erste große Darstellung zum 20. Juli
1944 geschrieben. Allerdings sind Sie Doktor der Medizin, kein Historiker, wieso
haben Sie sich mit dem 20. Juli beschäftigt? Zeller: Alexander
Schenk Graf von Stauffenberg, der Bruder des hingerichteten Claus und Berthold
von Stauffenberg, der die Rache der Nazis in langer KZ-Haft heil überstand und
mit dem mich, eine nahe Freundschaft verband, suchte mich 1948 in meiner Arztpraxis
auf und bat mich, die Geschichte seiner Brüder und des 20. Juli aufzuschreiben.
Er kannte mein Buch über Hannibal und hielt mich deshalb wohl für befähigt, diese
Aufgabe zu übernehmen. Alexander von Stauffenberg war selbst Professor
für Geschichte im München. War er mit dem Ergebnis zufrieden, als das Buch 1952
erschien? Zeller: Das war er, aber ich glaube, er hat mich mehr
gelobt, als ich es verdient habe. Denn obwohl ich Quellenstudium betrieben und
viele Zeitzeugen in ganz Deutschland aufgesucht und befragt hatte, ist es kein
wissenschaftliches Buch geworden. Ich mußte erst einmal das vorhandene Material
sammeln und in eine für alle Deutschen aufnehmbare Darstellungsform bringen, was
vor mir schließlich noch niemand getan hatte. Eine wissenschaftliche Deutung konnte
ich nicht leisten. Dennoch diente Ihr Buch den meisten späteren Historikern
als Grundlage. Zeller: Ja, aber ich sehe den Wert meines Buches
vor allem in seiner heilsamen Wirkung für die damalige seelische und geistige
Situation der Deutschen. Unser Volk war damals völlig durcheinander, die Mehrzahl
der Deutschen hing schließlich beinahe bis zum bitteren Ende der politischen Führung
an. Vor allem die Frontsoldaten, zu denen auch ich einige Jahre gehört hatte,
die nur von gefilterten Nachrichten aus der Heimat lebten, waren von Hitler überzeugt
gewesen und bekundeten das noch in den Gefangenenlagern. Also ein Buch
für die Nation? Zeller: So ist es. Sie haben wie die
Gebrüder Stauffenberg das Stuttgarter Eberhard-Ludwig-Gymnasium besucht. Zeller:
Als kleiner Junge habe ich diese Oberstufenschüler allerdings nur bewundernd aus
der Entfernung wahrgenommen. Die Stauffenberg-Brüder galten als Vorbilder. Wir
alle genossen es, wenn sie in der Aula Dramen-Darstellungen gaben. Wie
gerieten Sie in Widerspruch zum Nationalsozialismus? Zeller:
Schon die Maßnahmen des sogenannten Röhm-Putsches waren mir zutiefst zuwider.
Das böse Erwachen kam aber 1938 mit der Reichskristallnacht: Schrecklich! Von
da ab befand ich mich im Widerspruch. Dennoch freute ich mich natürlich über politische
Erfolge für Deutschland, etwa die Heimkehr Österreichs ins Reich. Ein politisches
Ziel, das schließlich originär gar nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun hatte. 1944
lernten Sie während Ihrer Zeit in Athen, wo Sie im Auftrag des Auswärtigen Amtes
waren, Alexander Graf von Stauffenberg kennen. Zeller: Er war
als Offizier nach mehrfachen Verwundungen nach Athen versetzt worden, und ich
saß mit ihm und Rudolf Fahrner, einem späteren Vertrauten Stauffenbergs, oft beisammen,
und wir ließen unserem Zorn über Hitler freien Lauf. Wußte Alexander
von Stauffenberg über die Pläne seiner Brüder Claus und Berthold Bescheid? Zeller:
Nein, denn Alexander war ein derart flammender Hitlergegner, daß es seinen Brüdern
zu gewagt erschien, ihn in Kenntnis zu setzen. Fahrner wurde im Frühjahr 1943
bei einem Besuch des schwerverwundeten Claus Stauffenberg im Lazarett in München
in dessen Plan zum Staatsstreich eingeweiht. Im Herbst wurde er schließlich von
ihm nach Berlin gerufen. Später holte Stauffenberg Fahrner zu sich in den Bendlerblock,
er brauchte ihn für die Operation Walküre, den Aufstandsplan gegen Hitler. Ich
selbst verließ zufällig am 17. Juli 1944 Griechenland und ging nach Deutschland
zurück. Alexander wurde nach dem Scheitern des 20. Juli von der SS abgeholt und
in die berüchtigte Gestapo-Zentrale in der Prinz-Albrecht-Straße gebracht. Was
haben Sie empfunden, als Sie am 20. Juli von dem Attentat und Umsturzversuch hörten? Zeller:
Ich ahnte, daß es mit Claus Stauffenberg etwas auf sich hatte. Fahrner sprach
öfter codiert vom "Gn.-Enkel", auf den wir hoffen könnten, denn der würde in Deutschland
einmal alles verändern. Gemeint war "Gneisenau-Enkel", denn die Brüder Stauffenberg
waren Nachfahren des großen preußischen Reformers. Konkret ahnte ich von dem Attentat
nichts, aber als ich dann am 20. Juli völlig überrascht von dem Ereignis hörte,
war mir gleich klar, daß das Claus gewesen sein mußte. Noch in derselben
Nacht wurde er erschossen. Zeller: Ja, schrecklich. Damit war
klar, Deutschland war dazu verurteilt, mit Hitler unterzugehen. Und bekanntlich
fielen vom 20. Juli 1944 bis zum 8. Mai 1945 mehr Deutsche dem Krieg zum Opfer,
als vom 1. September 1939 bis zum 20. Juli 1944. "Ehrt uns nicht mit
Kränzen, kränkt uns nicht mit Mälern", diesen Satz haben Sie Ihrem Buch vorangestellt.
Was haben Sie damit gemeint? Zeller: Nach dem Ende des Nationalsozialismus
gab es so viele, die sich damit brüsteten, "schon immer dagegen gewesen zu sein".
Viele hatten sich mit den neuen Verhältnissen arrangiert und die Ansicht war verbreitet:
"Diese Attentäter müssen wir schon ehren. - Aber es war trotzdem Verrat." Da war
soviel Unwahrhaftigkeit, daß mir ein ehrliches, ehrendes Andenken zu schaffen
damals kaum möglich erschien. Als ich nach dem Krieg nach Hause kam, konnte ich
zum Beispiel nicht dem Kriegerverein beitreten, weil dort noch alle für Hitler
waren. Eine verrückte Zeit. Haben Sie darunter gelitten, mit Ihrer Sicht
der Dinge in Widerspruch zu so vielen Ihrer Landsleute zu leben? Zeller:
Ich habe das hingenommen. Bei meinen Vorträgen zum 20. Juli, die ich auf Einladung
an vielen Orten hielt, besonders vor Jugendlichen in Schulen und Landerziehungsheimen,
habe ich oft begeisterte Zustimmung erhalten. Heute bewerten die meisten
Deutschen den 20. Juli positiv, machen sich aber nicht klar, daß sie dennoch innerlich
ein distanziertes Verhältnis zu ihm haben. Zeller: In der deutschen
Geschichtsschreibung war im Zusammenhang mit Stauffenberg immer nur von "zu spät"
und Fehlern bei der Durchführung die Rede. Es gab in Deutschland nie das klare
Bekenntnis zum Widerstand gegen Hitler oder eine Huldigung in der Presse an Oberst
Graf Stauffenberg als dem heroischen Motor der Erhebung, so wie ich das alleine
in der JUNGEN FREIHEIT vertreten finde. Das heißt, die Männer des 20.
Juli stehen trotz formaler Ehrungen auch heute noch allein? Zeller:
Ja, denn die Deutschen denken in der Mehrzahl nicht national, deshalb sind sie
auch nicht in der Lage, das Andenken an Stauffenberg angemessen zu wahren. Worte
wie Nation, Heros, Deutschtum, Vaterland werden heute in der politischen Diktion
nur mit Vorsicht gebraucht. Woran liegt das? Zeller:
Ich sehe es als Tragödie der Deutschen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
an, daß sich unsere Historiker - ob bewußt oder unbewußt - der außerdeutschen,
vor allem der amerikanischen Geschichtsschreibung angeglichen haben. Ein Mann
wie Ernst Nolte ist wohl eine Ausnahme. An die Stelle der Angriffe "von
Rechts" gegen den 20. Juli ist eine stille Demontage "von Links" getreten: Es
wird gerne vermittelt, die Männer um Stauffenberg seien Reaktionäre und Rechtsradikale
gewesen. Zeller: Dieses heute gern gegen den 20. Juli vorgebrachte
Argumentationsmuster stammt eigentlich von Winston Churchill, der den 20. Juli
quasi als nazi-internen Machtkampf verunglimpfte. Die Alliierten haben die Männer
des 20. Juli trotz deren Bitten nicht unterstützt - man hatte an einer deutschen
Widerstandsbewegung kein Interesse. Der jüdische Historiker Hans Rothfels hat
später offengelegt, wie die Amerikaner mit allen Mitteln daraufhin gewirkt haben,
daß die Deutschen sich aus Stauffenberg keinen eigenen Heros machen. Sie haben
die Widerstandsbewegung zurückgewiesen, als wollten sie nicht, daß sie losschlüge.
Wenn die Deutschen sich selbstbewußt auf eine eigene nationale Widerstandsbewegung
besinnen könnten, wären sie natürlich auch resistent gegenüber der herkömmlichen
Vergangenheitsbewältigungsindustrie. Eine subtilere Fraktion dieser Schule
versucht unterschwellig, im Bewußtsein der Deutschen den "guten" Anti-Hitler-Kämpfer
Stauffenberg von dem Nationalisten mit den zweifelhaften Motiven zu trennen. Zeller:
Es ist vor allem die linksliberale Historikerzunft, die versucht, den nationalkonservativen
deutschen Widerstand auf diese Weise zu bewältigen und dabei auf die Vielzahl
der beteiligten Adligen zu verweisen. Nur ein Beispiel: Stauffenberg starb mit
den Worten auf den Lippen "Es lebe das heilige Deutschland". Ein Satz, den man
sich heutzutage gar nicht mehr auszusprechen traut. Wie kann das sein? Man versucht,
die Brüder Stauffenberg in ihrer Person zu spalten, in eine reaktionäre Komponente
und eine Widerstandskomponente. Peter Hoffmann, einer der wichtigsten
Stauffenberg-Biographen, vertritt zum Beispiel die These, die Stauffenberg-Brüder
hätten sich auf einen neoklassizistischen und neoromantischen Irrweg begeben,
dies hätte sie aber "dennoch" nicht an ihrer großen Tat gehindert. Zeller:
Ich kenne Hoffmann, auch er hat mich während seiner Arbeit für sein Buch hier
am Bodensee besucht. Doch halte ich solch eine Deutung für völlig inakzeptabel.
Man muß Claus immer in Zusammenhang mit seinem Bruder Berthold sehen, denn der
war sein nächster Freund und der geistigere Mensch von beiden. Ihre Heimat war
das geistige Deutschtum, und diese Festigkeit im Geistigen hat sie erst dazu befähigt,
zu handeln. Die Stauffenbergs verstanden unter Deutschland ein geistiges Schicksal
von Hölderlin bis zum "Geheimen Deutschland" Stefan Georges. Tatsächlich waren
sie doch die einzigen, die gerade wegen ihres geistigen Herkommens in der Lage
waren, diese Tat zu vollbringen. Dennoch geht die Strategie auf: So sagte
der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Klaus Naumann, gegenüber dieser
Zeitung, bei der Deutung des 20. Juli für die Bundeswehr sei der Aspekt des "Aufstands
des Gewissens" gegenüber dem Motiv der "Rettung des Reiches" vorzuziehen, obwohl
Stauffenberg sein Handeln als Kampf um das Reich gesehen hat. Zeller:
Besser gesagt: Als Kampf darum, wie Deutschland nach der bevorstehenden totalen
Niederlage zu retten sei. Er sprach nicht vom Reich, als ein sein Leben bestimmenden
Mythos. Politik und Öffentlichkeit versuchen heute allerdings nur an den Stauffenberg
zu erinnern, der ihnen gemäß ist. So ehrt man einerseits Stauffenberg und will
gleichzeitig Deutschland in Europa auflösen. Das paßt nicht zusammen. Der Kampf
der Stauffenberg-Brüder gegen Hitler und ihr Kampf für Deutschland ist nicht voneinander
zu trennen. Sie schreiben: "Würden die Männer des 20. Juli zurückkehren,
sie wären voll Scham, wenn sie uns so wirtschaftlich und so privat sähen." Zeller:
Und das gilt heute mehr denn je. Die Lehren des 20. Juli werden heute überhaupt
nicht verstanden. Das Ethos der Verantwortung, das noch zum sittlichen Wertekanon
der Männer des 20. Juli gehört hat, gibt es heute nicht mehr. Die Deutschen sind
wie andere Völker völlig merkantilisiert worden. Sie haben keinen Sinn mehr für
einen nationalen Mythos. Das aber ist gefährlich, weil in solch einem Mythos die
Kraft liegt, in der Stunde der Not zu bestehen, zum Beispiel wie Stauffenberg
gegen alle Widerstände zur Tat zu schreiten. Also war der 20. Juli ein
Aufstand des Deutschtums gegen Hitler? Zeller: So können Sie
es sagen. Allerdings war Claus von Stauffenberg zunächst ein Bewunderer
Hitlers und ein kampfeslustiger Soldat. Zeller: In der Tat war
er der geborene Krieger und Menschenführer. Er hat über sein Geschlecht einmal
nicht ohne Stolz gesagt: "Das ist unser Handwerk seit Hunderten von Jahren." Damit
verband sich bei ihm seit seinem Eintritt in die Offizierslaufbahn der Ehrgeiz,
rasch in eine hohe Stelle aufzusteigen, auf der er Schicksalsentscheidendes für
sein Volk bewirken könnte. Auf dem Weg dahin übte er bewußt größte Zurückhaltung,
um seine Handlungsmöglichkeiten nicht zu gefährden. Von Kritikern des
20. Juli wurde die berechtigte Frage gestellt, ob die Stauffenbergs bezüglich
des Mordes an den Juden nicht zu lange untätig geblieben sind? Zeller:
Im November 1938 war Stauffenberg über das Judenpogrom tief empört, hielt aber
ein eigenes Eingreifen, wie das des Heeres, für unmöglich. Im Jahr 1942 gab ihm
die Nachricht von einer großen Judendeportation einen entscheidenden Antrieb zum
Einsatz aller Kräfte. Sie stimmen in Ihrem Buch Günther Anders zu, daß
"die Verbrechen des Dritten Reiches Ausdruck eines epochalen technischen Totalitarismus
sind, der den Menschen aus seiner gewachsenen Struktur herauslöst und der in Zukunft
unter dem Banner der Freiheit ein noch schlimmeres Auschwitz oder Hiroshima verwirklichen
könnte." Zeller: Ja, es ist das Schicksal der neuen Zeit, daß
die technische Intelligenz und der Fortschritt gegenüber der Philosophie und der
Religion das Feld behalten haben, daß das Begreifen das Verstehen abgelöst hat. Das
heißt, das Dritte Reich ist weniger Ausdruck eines deutschen Spezifikums als eines
technischen Totalitarismus? Zeller: So ist es. Demzufolge
ist auch der Widerstand anders zu bewerten: Er wäre dann nicht fortschrittlicher
Widerstand gegen eine nationalistische Diktatur, sondern der Widerstand des Nationlen
gegen den Totalitarismus von Fortschritt undTechnisierung, der sich heute unter
dem Deckmantel globaler Freiheit ausbreitet? Zeller: Und von
dem man nicht weiß, ob die Welt nicht daran zugrunde geht. Der Widerstand
geht also weiter? Zeller: Die Menschen jubeln heutzutage dem
Totalitarismus der "einen Welt" zu und den immer neuen Möglichkeiten der Technik.
Die Grabkapelle der Brüder Stauffenberg in Lautlingen trägt die Inschrift "Sie
widerstanden den Feinden ihres Volkes und gaben ihr Leben, daß Gottes Gesetz nicht
vertilgt würde". Diese Gefahr ist mit dem Tod Hitlers nicht gebannt. Nina
Gräfin von Stauffenberg, die Witwe Claus', hat Ihnen gegenüber einmal zum Ausdruck
gebracht, daß ihr Ehemann, der ihr in anderen Darstellungen verschwunden schien,
in Ihrem Buch wieder "lebendig" entgegengetreten sei. Zeller:
Sie hat in anderen Darstellungen offenbar nicht das genialisch in sich ruhende
Bild ihres Mannes gefunden, der mit hoher Verantwortung und Gewissensbelastung
zur Tat des 20. Juli hingestürmt ist. Deshalb habe ich den Titel "Geist der Freiheit"
gewählt, weil sich hier Menschen aus einem Bann gelöst, die Freiheit gefunden
und sie schließlich sogar durch ihren Tod bekundet haben. Dr.
Eberhard Zeller gilt als der Nestor der Stauffenberg-Forschung. Sein Buch
"Geist der Freiheit" begründete 1952 die Geschichtsschreibung zum 20. Juli. Geboren
1909 in Stuttgart, studierte er Medizin, trieb aber auch germanistische und philosophische
Studien. Als Soldat der Wehrmacht wurde er 1942 in Rußland verwundet. Nach seiner
Genesung entsandte ihn das Auswärtige Amt nach Athen, wo er Alexander, den Bruder
Claus von Stauffenbergs, kennenlernte. Zeller lebt heute am Bodensee. Junge
Freiheit vom 19. Juli 2002 |