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Zukunft war
gestern. Ordnung im eigenen Haus schaffen: Eine unpolitische Haltung kann sich
kein Deutscher mehr leisten (von Thorsten Hinz) Erst neulich, vor
knapp 17 Jahren, ist ein deutscher Staat sang- und klanglos in sich zusammengesackt.
Keine Oppositionsgruppen, auch keine Friedensgebete hatten das bewirkt, sondern
- neben den globalen Machtverschiebungen - die Unpolitischen unter den jungen
DDR-Bürgern. Sie hatten in der endlosen Stagnationsphase der achtziger Jahren
jede Hoffnung verloren, daß dieses Land ihnen eine lebenswerte Zukunft böte.
Diese Empfindung war so tief, daß sie selbst dann nicht mehr gegen die SED-Diktatur
aufbegehren mochten, als sie Schwächen zeigte. Ab dem Sommer 1989 verließen
sie einfach das Land. Die Fernsehbilder von der Massenflucht lösten
bei den älteren Generationen eine Frage aus, die nicht mehr nur privat, sondern
offen in Betriebskantinen diskutiert wurde: »Wer soll denn später unsere
Rente erarbeiten?« Der politischen Klasse, namentlich Erich Honecker, fiel
dazu nur ein, man solle den Flüchtigen keine Tränen nachweinen. An
diesem Punkt dämmerte auch den SED-Mitgliedern, daß zwischen dem Machtanspruch
der Partei- und Staatsführung und dem eigenen Anspruch auf eine Lebensperspektive
ein unlösbarer Widerspruch bestand. Ihre Loyalität ging darüber
so beiläufig verloren wie ein altes Taschentuch. Die latente Systemkrise
wurde akut, die DDR war nicht mehr zu retten. Und heute? Je jünger
die Deutschen sind, um so weniger dürfen sie annehmen, daß die alte
Bundesrepublik einen Rahmen für eine halbwegs gesicherte Existenz darstellt.
Wer Mitte 50 ist und einen Arbeitsplatz besitzt, kann wenigstens darauf hoffen,
sich über den Vorruhestand ins Rentnerdasein zu retten. Wer 45 ist und jünger,
zählt zur »Sandwichgeneration«, die gleichzeitig für sich,
den eigenen Nachwuchs und für die steigenden Pensionslasten aufkommen muß.
Nebenher soll sie privat für ihr Alter vorsorgen, und das bei sinkenden Reallöhnen. Besonders
prekär ist die Situation für die Unterabteilung »Generation Praktikum«,
für die qualifizierten Absolventen bis Mitte 30, die sich von einer als Praktikantenstelle
getarnten Vollzeitarbeit zur nächsten hangeln, rechtlos und ausgepreßt
wie Zitronen, zum Schluß ausgemustert, weil neue Praktikanten nachrücken. Für
die 20jährigen wurde bereits die »Generation Schrottpresse« kreiert.
Ihre finanziellen Lasten werden sich potenzieren, zudem sind sie mit der Aussicht
konfrontiert, einer neuen Mehrheitsbevölkerung ausgesetzt zu sein, deren
Friedfertigkeit keineswegs erwiesen ist und die genügend Drohpotential verkörpert,
um vermehrte Sozialtransfers zu erpressen. Und das vor dem Hintergrund eines Bundeshaushalts,
der schon heute von Zinszahlungen und sozialen Fixkosten aufgezehrt wird, während
für Zukunftsinvestitionen kein Geld übrig bleibt. Was Wunder, wenn die
klügsten Köpfe - und auf die kommt es im globalen Wettbewerb an - planen,
aus Deutschland wegzugehen, weil sie hier keine Zukunft mehr sehen. Die
Annahme, daß die politische und geschichtliche Perspektive der Bundesrepublik
heute unendlich viel günstiger sei als die der DDR 1989, stützt sich
vor allem auf die Hypothese, daß ihre Institutionen elastischer sind und
ihre politische Klasse, weil durch Wahlen legitimiert und kontrolliert, weniger
vampirisch, sondern auf das Gemeinwohl orientiert ist. Das kann man nur hoffen!
Doch die Gründe, aus denen sich eine simple Analogie tatsächlich verbietet,
sind ernster und düsterer. Damals leuchtete den DDR-Flüchtigen am Ende
des Tunnels das Licht der Bundesrepublik und des freien Westens. Heute gibt es
keine staatliche, territoriale, politische Alternative mehr. Der Westen und erst
recht die sozialstaatlich verfaßte Bundesrepublik befinden sich im Zangengriff
der globalisierten Ökonomie und einer »farbigen Weltrevolution«
(Oswald Spengler). Letztere äußert sich im Durchmarsch des Islam
in Europa, den der Alte Kontinent milliardenschwer subventioniert. Nirgendwo auf
der Welt werden Deutsche auf eine Obhutspflicht pochen können, wenn zu Hause
die Lichter ausgehen. Die Option des Weggehens steht nur einer Minderheit offen,
die künftigen Aufnahmeländern als brauchbar und anpassungsfähig
erscheint. Und die anderen? Für sie könnte das System der Stagnation
und Agonie zum Gefängnis werden, das sie obendrein selber finanzieren müssen.
Zwar ist es längst als destruktiv identifiziert, es kann aber immer noch
aus großen Reserven schöpfen: aus dem Eigentum seiner Bürger.
Deshalb ist es noch lange nicht am Ende. Der kommissarische SPD-Vorsitzende Kurt
Beck fordert nun, die Steuerschraube weiter anziehen. Es sind gerade Nachwuchspolitiker,
die begeistert zustimmen. Es gehe doch um den »handlungsfähigen Staat».
In Wahrheit geht es darum, einem Bankrotteur frisches Geld zuzustecken, ohne daß
ihm Auflagen gemacht werden. Wie dem entgehen? Zunächst einmal: Eine
unpolitische Haltung kann sich niemand mehr leisten. Man muß erkennen, daß
die Eigeninteressen der Institutionen (von den Parteien bis zu den großen
Medien) bzw. der Schicht, die sie beherrscht und aus ihnen Nutzen zieht, und das
Allgemeinwohl keineswegs deckungsgleich sind. Es ist der apolitische Fatalismus
zu durchbrechen, der heute als normativer Zwang des Faktischen propagiert wird.
Die jahrzehntelang abgeblockte Debatte über die Folgen falscher Zuwanderung
bietet dafür ein sehr anschauliches Beispiel. Die bis zum Abwinken wiederholte
Behauptung, sie ließe sich nicht verhindern, man könne nur lernen,
sich mit ihr zu arrangieren, war eine sich selbst erfüllende Prophezeihung,
hinter der politische, ideologische, persönliche Interessen standen. Komplizierter
ist es, sich zur globalisierten Ökonomie ins Verhältnis zu setzen. Die
These, die Politik habe abgedankt und die Wirtschaft sei an ihre Stelle getreten,
beschreibt kein Ende der Politik, sondern impliziert die Aufforderung zu akzeptieren,
daß das internationale Kapital die Außen- und Innenpolitik ungebremst
nach seinen Interessen sortiert. Das entgegengesetzte Extrem ist die irreale Forderung
der französischen Studenten, der Nationalstaat solle sie in den Dienst übernehmen
und so vor globalem Unbill schützen. In Deutschland sind nationalstaatliche
Verzagtheit und sozialstaatlicher Größenwahn ineinander verklammert.
Die Auslösung dieser Verklammerung ist eine Überlebensfrage. Der Nationalstaat
ist auf absehbare Zeit die Struktur, in der sich der Demos entfaltet. Um aber
handlungsfähig zu bleiben, bedarf er heute der Kooperation innerhalb transnationaler
Strukturen. Damit er dort tatsächlich die Interessen seines Demos vertritt,
muß dieser zuvor Ordnung im eigenen Hause schaffen. Nirgendwo können
Deutsche auf eine Obhutspflicht pochen, wenn zu Hause die Lichter ausgehen. Die
Option wegzugehen hat nur eine Minderheit. Die Eigeninteressen der Institutionen
(von den Parteien bis zu den großen Medien) und das All-gemeinwohl sind
keineswegs deckungsgleich. Junge Freiheit vom 28. April 2006 | | |