Zitate aus dem Vortrag in Düsseldorf (19.09.1924):
Wenn Vertreter der Finanzwissenschaft oder Finanzverwaltung im
19. Jahrhundert über das Wesen der Steuern nachdachten, so ergaben
sich immer wieder dieselben Standpunkte: Steuern als Zwangserwerb des
Staates aus Mangel an eigenem Besitz, Steuern *als Versicherungsprämie
des Bürgers an den Staat, Steuern als Leistung in Erwartung einer
staatlichen Gegenleistung in Gestalt von Ordnung und Sicherheit. Abgesehen
von der unwürdigen, rein formalen, aber dem römischen Recht
durchaus entsprechenden Auffassung des Staates, der hier dem Volk wie
ein Fremdkörper gegenübersteht, lief die Untersuchung also auf
eine bloße Beschreibung der Tatsache, die Rechtfertigung
eines Zweckes oder die der Beschaffungsmethoden hinaus.
Sie ging also stets vom Bedarf aus und blieb im Grunde bei ihm
stehen. Sie gelangte wohl bis zum Zusammenhang zwischen Finanztechnik
und ihren sogenannten »Quellen«: dem Einkommen oder Vermögen
der Untertanen, aber nie bis zur Erkenntnis der dahinter liegenden wirklichen
und einzigen Quelle, dem wirtschaftlichen Leben des Volkes. Vermögen
und Einkommen sind nur eine ziffernmäßige Erscheinung, wenn
man nämlich die Wirtschaft lediglich als Zustand auf ihren Umfang
hin betrachtet. Sie sind Mengen, für das Auge des Finanzverwalters
also schlechthin gegeben, und Mengen kann man beliebig vermindern oder
aufbrauchen. Die Selbstergänzung der wirtschaftlich arbeitenden Einheiten
ist aber nur durch Arbeit möglich, und infolge der Unkenntnis oder
Nichtachtung dieser Arbeit kann sich das Leben eines Volkes an falschen
Eingriffen verbluten. (Oswald Spengler, Das Verhältnis
von Wirtschaft und Steuerpolitik seit 1750, 1924, in: Politische
Schriften, S. 299).
Solange der Steuerbedarf die Größenordnung der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht überschritt, waren solche Irrtümer
bedauerlich aber ungefährlich. Heute ist der Bedarf in der ganzen
Welt so ins Ungeheure gewachsen, daß die Besinnung über dessen
wahre Quellen und ihre Pflege eine Frage auf Leben und Tod eines Volkes
ist. Der Zusammenhang zwischen Steuern und wirtschaftlicher Lebensfähigkeit
tritt drohend hervor. Die Grundlage, die man pflegen, ausrauben oder zerstören
kann, ist nicht eine Summe von Werten, sondern ein Organismus,
ein atmender Leib, dessen inneren Bau und Kreislauf, dessen Lebensart
und Lebenskraft man genau kennen muß, bevor man tiefe Eingriffe
wagt. Heute steht nicht mehr der Wohlstand von einzelnen, Personen oder
Klassen, sondern das Dasein des Ganzen auf dem Spiel. (Oswald Spengler,
Das Verhältnis von Wirtschaft und Steuerpolitik seit 1750,
1924, in: Politische Schriften, S. 299-300).
Das 18. Jahrhundert, das der angeblich absoluten Monarchie, hatte
hierin, wie überall, einen klaren Standpunkt, brutal, aber praktisch
und ohne Heuchelei. Die Besteuerung war die Ausübung von Hoheitsrechten.
Das geschah nüchtern, ohne Sentimentalität, und von der Regierung
aus gesehen, auch durchaus zweckmäßig. Die Höhe des Bedarfs
allein war maßgebend, nicht die Folgen seiner Beschaffung. Es gehört
zum Begriff des Hoheitsrechtes, daß die Sorge für den Ersatz
des wirtschaftlichen Kräfteverlustes den Untertanen überlassen
bleibt. Man trieb Raubbau mit Möglichkeiten. Von der Ausübung
des Rechts abgesehen kamen lediglich kaufmännische Gesichtspunkte
zum Vorschein, etwa die zweckmäßige Organisation der Beitreibung
großer Barbeträge, also nichts weniger als die künftige
Hebung der allgemeinen Leistungsfähigkeit. Die Berufung des Bankiers
Necker kurz vor der Revolution sollte lediglich die Finanzen, nicht etwa
die französische Wirtschaft retten. Über die Wirkung von Finanzmethoden
auf Form und Gang der Wirtschaft nachzudenken, kam niemand in den Sinn.
(Oswald Spengler, Das Verhältnis von Wirtschaft und Steuerpolitik
seit 1750, 1924, in: Politische Schriften, S. 300).
Die größere geschäftliche Bequemlichkeit
führte vielfach zur Verpachtung dieser Rechte (Domänen,
Bergwerke, Verkehr, Zehnten). Aber schon daraus ergab sich eine tiefe,
ganz unbeabsichtigte Wirkung auf die Wirtschaft: es entsteht ein Stand
von reichen Steuerpächtern, ein allmächtiger Finanzadel, dessen
Einfluß nun dahin geht, die Regierung unbewußt zu seinen Gunsten
auf die Wirtschaft wirken zu lassen. Die Finanzminister kannten die Wirtschaft
nicht, die Pächter kannten sie instinktiv um so besser. Schon
in den letzten Jahren Ludwigs XIV. wurde eine Umwälzung bemerkbar:
der alte Adel war überschuldet und verarmt, auf Geschenke und Pensionen
angewiesen; der neue Finanzadel überwog ihn weit an Einfluß.
Man lese daraufhin die Erinnerungen des Herzogs von Saint Simon. Dieser
Einfluß machte sich in der Wahl der Steuermethoden geltend,
welche diesen neuen Adel so wenig als möglich treffen sollten. So
kam es zu einer einseitigen Belastung des Hof- und Landadels, denn neben
den direkten Steuern blühte der Ämterkauf, in Wirklichkeit
eine verschleierte Steuer, die mit furchtbarer Härte allein
auf der vornehmen Gesellschaft lastete und zur Aufzehrung ganzer Familienvermögen
führte. Es gab Stellen, die für 100000 Livres und mehr verkauft
wurden und die außerdem einen fürstlichen Aufwand verlangten,
der aus Privatmitteln bestritten werden mußte. Allein unter Ludwig
XIV. muß der Ämterverkauf mehrere Milliarden eingetragen haben.
Aber damit wurde gerade der Stand wirtschaftlich untergraben, welcher
damals durch Tradition, Erziehung und Erfahrung den Staat trug. Die Verschuldung,
der Mangel an Würde in Geldsachen, Skepsis und Spott der Ruinierten
vergifteten die hohe Gesellschaft und bereiteten die Revolution vor, die
von dieser und nicht von der Mittelklasse ausgegangen ist.
(Oswald Spengler, Das Verhältnis von Wirtschaft und Steuerpolitik
seit 1750, 1924, in: Politische Schriften, S. 300-301).
Da dies alles nicht ausreichte, so schritt man zu einer raschen
Vermehrung der öffentlichen Schuld, sehr zum Vorteil der großen
Finanzleute, welche die Unterbringung der Anleihen übernahmen, und
züchtete so eine Schicht von Renteninhabern, deren geistige Fähigkeiten
und materielle Mittel damit der wirtschaftlichen Arbeit entzogen wurden.
Die öffentliche Schuld Frankreichs stieg 1721 bis 1789 von 1,7 auf
4,7 Milliarden Livres, diejenige Englands 1739 bis 1784 von 47 auf 257
Millionen Pfund, im Verhältnis zur damaligen Höhe der Volksvermögen
eine ungeheure Summe, um die das nationale Betriebskapital verkürzt
wurde und deren Zinsen Tausende begabter Menschen von der Notwendigkeit
praktischer Leistungen befreiten; gerade in Frankreich ist unter Ludwig
XIV. eine gewisse Stumpfheit des wirtschaftlichen Denkens deutlich fühlbar.
(Oswald Spengler, Das Verhältnis von Wirtschaft und Steuerpolitik
seit 1750, 1924, in: Politische Schriften, S. 301).
Nur als Reste altgermanischen Feudalrechts bestehen daneben die
Grundsteuersysteme. Sie beruhen sämtlich auf dem Gedanken, daß
Grund und Boden Eigentum des Herrschers sind und dem Untertanen verliehen
werden, so wie in England heute noch das ganze Land als Eigentum des Königs
gilt. Das älteste Beispiel dieser Auswertung eroberter Länder
durch Verteilung und geregelte Grundabgaben bieten die Normannen seit
1000 in der Normandie, seit 1066 im größten Stil in England,
später in Sizilien. Aus der Rechnungskammer ihrer Könige stammen
die Ausdrücke Quittung, Kontrolle,. Konto, Scheck (von dem schachbrettartig
ausgelegten Rechnungstisch), Exchequer (Name des englischen Schatzamtes)
und Clerk (von clericus, geistlicher Schreiber). (Vgl.
Der Untergang des Abendlandes, II, Kapitel IV, § 8, Kapitel
V, § 4.) Die Steuer haftet deshalb an der Grundfläche
und deren möglichem, nicht an der Art der Bewirtschaftung und deren
ta tsächlichem Ertrag, um den zu schachern oder den nachzurechnen
die Würde dem Herrscher verbietet. Diese Bedeutung hat die »Taille«
in Frankreich, welche den berühmten Streit um die Steuerfreiheit
des französischen Adels und damit den Ausbruch der Revolution herbeiführte.
Man versteht das heute in der Regel falsch: Der Adel wollte wohl zahlen
- parteiische Geschichtsschreibung hat die große Opferbereitschaft
der beiden Notabelnversammlungen stets verschwiegen -, aber nicht durch
die Form der Auflage in den Rang von Untertanen herabgedrückt werden
().
Hinter dem Kampf um die Finanzen stand der um die feudale Weltanschauung.
Mit der Taille ist das Grundsteuersystem Josephs II. in Österreich
und der »Generalhufenschoß« Friedrich Wilhelms I. in
Preußen ver- gleichbar. Die englische Landtaxe war schon um 1700
eine Art fester Bodenrente geworden, die den Landbesitzer als Erbpächter
erscheinen ließ. Wenn all diese Verfahren auch umschichtend und
lähmend auf die Wirtschaft wirkten, so geschah das unbewußt
und unbemerkt. Eine über den Ertrag hinausgehende Einsicht ist nirgends
vorhanden. Aber diese Finanzmethoden gehen mit der französischen
Revolution zu Ende. Der Bedarf wächst durch die Massenkriege und
wirtschaftlichen Verwüstungen der jakobinischen und napoleonischen
Zeit um das Vielfache. England muß bis 1816 eine Art Einkommentaxe
erheben; in Frankreich geht die Besteuerung 1792 bis 1799 zuweilen bis
zur tatsächlichen Beschlagnahme ganzer Einkommen und Vermögen.
Die Hälfte des französischen Bodens wird den rechtmäßigen
Besitzern genommen und verkauft oder verschleudert, eine Umschichtung
des Nationalvermögens und damit der Bevölkerung, die auf den
französischen Charakter ohne Zweifel tiefer gewirkt hat als die Ideen
von 1789. Erst seitdem hat sich das französische Rentnerideal mit
seiner besonderen Auffassung des Kapitals durchgesetzt. Vor allem aber
wird nun die Auffassung der Besteuerung als Hoheitsrecht erschüttert.
Eine Besinnung erwacht, mehr infolge der neuen politischen Ideale als
der Höhe und Gefahr der Belastung. Aber man ist weit entfernt davon,
nun etwa die inneren Bedingungen der Wirtschaft als der eigentlichen und
einzigen Steuerträgerin zu studieren. Im Gegenteil. Die Nationalökonomie
ist noch jung und viel zu abstrakt; man hat noch nicht gelernt, die Pflege
der Wirtschaft als das erste und wichtigste Kapitel einer Finanzwissenschaft
zu betrachten. Man folgt durchaus einer politisch-philosophischen Ideologie
und erblickt das Wesen der Steuer in einer Art von wechselseitiger Pflichterfüllung
freier Menschen, ganz im Geiste von Rousseaus Contrat social. Die Ideale
der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit führen wie von selbst
zu einem sentimentalen Steuerideal auf Grund der angeborenen Menschenwürde:
der einzelne soll seinen Anteil an den allgemeinen Lasten persönlich
einschätzen und persönlich abführen. Aber damit entfernt
man sich von der Voraussetzung wirtschaftlicher Erfahrung, statt sich
ihr zu nähern. Die Gleichheit und Gerechtigkeit, die ideale Form
wird wichtiger als die Kosten, selbst als der Reinertrag. Das Gefühl
des Neides beginnt seinen Einfluß auf die Steuergesetzgebung geltend
zu machen. Die europäischen Finanzminister um die Mitte des vorigen
Jahrhunderts haben weniger geschäftlich gedacht als die des ancien
régime. In der damaligen deutschen Finanzwissenscahft, unbestritten
der ersten, aber auch der abstraktesten der Welt, war viel zu viel Kant
und Hegel und viel zu wenig kaufmännische Erfahrung. (Oswald
Spengler, Das Verhältnis von Wirtschaft und Steuerpolitik seit
1750, 1924, in: Politische Schriften, S. 301-304).
Der Jurist beginnt als Berater den Bankier zu verdrängen.
Die Person des Zahlenden verdrängt die Zahlung selbst aus dem Vordergrunde
der technischen Überlegung, in demselben Grade, wie politische Rechte
die wirtschaftliche Lage der Bevölkerung aus dem Interesse der Volksversammlungen
verdrängen. Man idealisiert den Steuerzahler und vergißt
den wirklichen Steuerträger, auf den jener die Last durch
Preissteigerung und Lohnveränderung abzuwälzen sucht, so wie
man über dem Ideal des Wahlrechts die brutale Tatsache der Wahlbearbeitung
vergaß. Die Tatsache, daß der Steuerzahler nicht identisch
mit dem Steuerträger ist, daß jedes abstrakte Steuergesetz
Methoden der Umgehung, Abwehr und Abwälzung herausbildet, welche
die Gleichheit und Gerechtigkeit in ihr Gegenteil verkehren und Teile
der Wirtschaft lahmlegen oder unzweckmäßig arbeiten lassen,
fand kaum Beachtung, außer vielleicht in dem geschäftlicher
verwalteten England. Aber trotzdem wurde das Ideal der allgemeinen, direkten,
auf persönlicher Einschätzung beruhenden Steuern im Zeitalter
der aufsteigenden Demokratie als Ausdruck dieser Demokratie
so selbstverständlich, daß eine ernsthafte Kritik an
dem Standpunkt und seiner Zweckmäßigkeit so gut wie ganz fehlte.
Niemand wagte es, die indirekten Steuern als zweckmäßiger,
billiger in den Erhebungskosten und ehrlicher zu empfehlen. Sie waren
unpopulär. Sie galten als einseitige Belastung der Armen. Die Theorie
ging von der bestehenden Sitte aus, die Sitte selbst war gegeben. Man
hat damals in Preußen den Grundsatz der allgemeinen persönlichen
Steuerpflicht mit der allgemeinen Wehrpflicht verglichen. (Oswald
Spengler, Das Verhältnis von Wirtschaft und Steuerpolitik seit
1750, 1924, in: Politische Schriften, S. 304).
Der Notwendigkeit, bei all diesen Grund-, Wohn-, Gewerbe-, Erbschafts-,
Lohnsteuern zunächst die damals in rascher Umwandlung begriffenen
Wirtschaftsformen zu studieren, stand in Deutschland wie in Frankreich
außerdem die einseitige Schulung der Finanzgelehrten und -beamten
an der Begriffssprache des römischen Rechts entgegen. Daß statt
des Juristen, eines Laien in wirtschaftlichen Dingen, der Wirtschaftsführer
als Kenner die erste Stimme haben müsse, war dem staatsrechtlichen
wie dem parteipolitischen Denken dieser Zeit vollkommen fremd, so sehr
hatte sich die Auffassung der Besteuerung als eines Rechtes, wenn
nicht von Herrschern, so doch von Volksvertretungen behauptet, und zwar
eines Rechtes an Sachen (res im Sprachgebrauch des römischen
Rechts). Man nimmt von jedem einzelnen Bürger römisch
persona (vgl.
Der Untergang des Abendlandes,a.a.O., I, § 15)
Bruchteile seiner Habe oder seiner Erzeugnisse in Anspruch; über
deren Herkunft oder Ersatz nachzudenken war Sache eines anderen Ministeriums,
mit welchem der Finanzminister in der Regel im Kampf lag. Der Ressortstandpunkt
löst den kaufmännischen ab, der formale den praktischen. Es
war, als wenn es gleichgültig sei, ob man ein Stück Eisen aus
einem Haufen von Rohmetall oder einer arbeitenden Maschine nimmt. Daß
die Methode verheerender wirken könne als die Höhe der Forderung,
das ist auch damals noch in seinem vollen Ernst nicht erkannt worden.
(Oswald Spengler, Das Verhältnis von Wirtschaft und Steuerpolitik
seit 1750, 1924, in: Politische Schriften, S. 304-305).
Um 1850 wird der Tiefpunkt erreicht: Die Finanzen werden überall
in Europa von wirtschaftlichen Laien, von Beamten rein formaler, meist
juristischer Schulung verwaltet. (Oswald Spengler, Das Verhältnis
von Wirtschaft und Steuerpolitik seit 1750, 1924, in: Politische
Schriften, S. 305).
Immerhin war der Bedarf noch um 1880 allenthalben so gering, daß
dieser Fehler den mächtigen Aufstieg des Wirtschaftslebens beengen,
aber nicht hindern konnte. Indessen vollzog sich gerade damals die entscheidende
Wendung innerhalb der wirtschaftlichen Form. Es liegt ein Abgrund zwischen
der Struktur von 1800 und der von 1900. Alle Schlagworte wie Zeitalter
des Verkehrs, der Maschine, des Kredits, des Kapitalismus greifen nicht
in die Tiefe, Die Maschinenindustrie ist nicht das eigentlich Neue. Fabrikstädte
gab es schon 1750. Das Entscheidende, was den ganzen Organismus nicht
nur des wirtschaftlichen Lebens verwandelt hat, ist die rasch zunehmende
Trennung des Besitzes vom Besitzer, als das Beweglichwerden immer
größerer Teile der großen Nationalvermögen. Nicht
die Maschine, sondern die Aktie hat das Antlitz der arbeitenden
Welt verwandelt. (Vgl. Politische Pflichten der
deutschen Jugend, a.a.O., S. 138 ff..) Die Produktion geht
ihren Weg, aber die Verteilung der Eigenschaft des Besitzes in einem Lande
auf dessen Bewohner wird undurchsichtig. Vermögen bestehen nicht
mehr in sichtbaren Dingen, sondern sind in ihnen nur angelegt,
mit der Möglichkeit augenblicklicher Zurückziehung. Es entstehen
die reinen Finanzvermögen, die fiktiven Geldmengen der Spekulation
und die von Stimmungen abhängige Höhe und also gelderzeugende
Macht des Kredits. Gleichzeitig wird das Gewerbe vom Zunftzwang befreit
und der einzelne Handwerker entzieht sich mehr und mehr der Nachprüfung
seiner steuerlichen Leistungsfähigkeit. Der Verkehr zwischen Erzeuger
und Verbraucher wird durch Lieferungs- und Termingeschäfte ausgeschaltet,
deren Gewinne überhaupt nicht genau zu erfassen sind, Fernverkehr
und Nachrichtendienst lassen die Gewinnmöglichkeiten über alle
Staatsgrenzen hinaus wachsen. Aber damit ist die wesentlichste Voraussetzung
für das Ideal der persönlichen und direkten Besteuerung völlig
zerstört. Solange die Selbsteinschätzung des einzelnen von der
Allgemeinheit wenigstens in den Hauptzügen geprüft werden konnte,
weil der Besitzer am unbeweglichen Besitz und der Verdiener an einer sichtbaren
Tätigkeit hafteten, waren Gleichheit und Gerechtigkeit auf diesem
Wege wenigstens mögliche Ziele. Jetzt tritt der Gegensatz von reich
und arm hinter dem wichtigeren zurück zwischen solchen Steuerzahlern,
deren Einkommen oder Vermögen offen daliegt, und solchen, deren wirkliche
Leistungsfähigkeit vielleicht zu fühlen, aber nicht nachzurechnen
ist. Und zu den letzten gehören gerade die Führer der Spekulation,
die auf der Beweglichkeit aller Werte beruht, mit ihren ungeheuren Reichtümern.
Seit der Mobilisierung des größten Teils der heutigen Volksvermögen
durch das Wertpapier von der Banknote bis zum Anteilschein drückt
die Steuerlast nicht den Besitzenden überhaupt, sondern den sichtbar
Besitzenden. Der Grundbesitz trägt die Lasten des Aktienbesitzes
mit, die festen Gehälter die Lasten der Spekulationsgewinne, die
auf dem Papier gleichmäßig besteuert, aber nicht gleichmäßig
feststellbar sind ().
Und infolge davon entwickelt sich nun der gewaltige, schwerfällige,
kostspielige und im Grunde doch nutzlose Apparat der heutigen Finanzverwaltungen.
Die Wirtschaft wird eingeschnürt in ein Netz von Verpflichtungen,
Kontroll- und Sicherheitsmaßregeln. Sie reibt sich wund, und der
Reibungsverlust steht endlich in keinem Verhältnis mehr zu dem wirklichen
Ertrag dieser Methode. Wenn man in Deutschland die Erhebungskosten der
Einkommen- und Erbschaftssteuer von 1913, die einen Rohertrag von 761
Millionen lieferten, aus den Gesamtkosten der Finanzverwaltung (881 Millionen)
herausheben wollte, so bliebe vielleicht kaum ein Reinertrag übrig.
Der Staatsbedarf ist tatsächlich durch Zölle, indirekte Steuern
und Eisenbahnen, die mehrere Milliarden einbrachten, bestritten worden.
(Oswald Spengler, Das Verhältnis von Wirtschaft und Steuerpolitik
seit 1750, 1924, in: Politische Schriften, S. 305-307).
Hier beginnt nun seit 1890 die phantastische Steigerung des Steuerbedarfs.
Das Staatensystem der Welt tritt in die Krise ein, welche zum Weltkrieg
führt. Die Maschinenindustrie hat Menschen gezüchtet, weil sie
sie brauchte, und die Menschen fordern nun einen Lebensraum. Die Weltpolitik
versteht unter Machtzielen in steigendem Maße die Herrschaft über
Rohstoff- und Absatzgebiete, die Verdrängung fremder Wirtschaftsinteressen,
ihre Unterordnung unter die eigenen, unter Umständen ihre Ausschaltung
und Vernichtung. Dies und die Rüstungsausgaben, welche von der Angst
um die Grenzen der Erde nicht ganz zu trennen sind, fordern Steuererträge,
die bis dahin unerhört waren. Und gerade jetzt, wo es nötiger
als je gewesen wäre, das Problem ganz von neuem zu stellen, verhinderte
die Gestaltung der inneren Politik aller maßgebenden Staaten ein
Begreifen der Steuer als der Notwendigkeit, dem lebenden Wirtschaftsorganismus
Blut zu entziehen. Denn gleichzeitig mit dieser Steigerung des Bedarfs
setzt sich der Parlamentarismus durch: Die Steuerauswahl wird von der
Interessenpolitik der Parteien abhängig. Die Drohung mit neuen
Steuern wird eine Waffe im Wahlkampf. Aus dem unbewußt unsachlichen
wird oft genug der bewußt unsachliche Standpunkt. Neid und Haß
der Massen lösen die Ressorteinstellung der Finanzämter ab und
fordern die Belastung des politischen Gegners, um auf ihn zu drücken,
selbst wenn der Staat daraus keinen Gewinn zieht. Auf der Grundlage solcher
Instinkte beruht die stete Forderung städtischer Parteien auf Belastung
der Landwirtschaft und die Forderung der Bauern, den Reichtum von Handel
und Industrie stärker zu erfassen, das Geschrei der Lohnempfänger
über den, welcher mit dem Risiko eines Geschäfts auch dessen
Gewinn hat, vor allem der Hang nach Luxussteuern, deren Reinertrag weder
eine Rolle spielt noch von der Mehrzahl der Betroffenen wirklich getragen
wird. Es kommt dahin, daß mehr als eine Regierung sich die Freiheit
staatsmännischen Handelns durch steuerliche Zugeständnisse von
den Parteien erkaufen muß. Der Mangel an Mut zu unpopulären
Maßregeln verhindert gegen Ende des Jahrhunderts völlig die
sachliche Erörterung des Steuerproblems. Im Gegenteil: es liegt im
Interesse heutiger Parteien, die Wählerschaft von dieser Sachlichkeit
fernzuhalten. Die »Weltanschauung des Steuerzahlers« ist ein
zu wichtiges Mittel im Kampf um den Besitz der Regierungsgewalt.
(Oswald Spengler, Das Verhältnis von Wirtschaft und Steuerpolitik
seit 1750, 1924, in: Politische Schriften, S. 307-308).
Dann kam der Weltkrieg, und nun steigt, in Deutschland noch viel
schneller als anderswo, der Steuerbedarf ins Sinnlose, je mehr
die Wirtschaft verwüstet wird, je geringere Reinerträge
mit den heutigen Methoden herauszupressen sind. Hier stehen wir vor der
welthistorischen Gefahr, die weit über eine bloße Lähmung
oder Rückbildung der Wirtschaft hinausgeht. Das allgemeine, persönliche,
auf Selbsteinschätzung beruhende System trifft die Schichten der
Gesellschaft ungleichmäßig und die wertvollsten am schwersten,
weil sie beruflich der Spekulation am fernsten stehen und sittlich den
Ausbau von Abwehrmethoden verschmähen. Je entschiedener sich die
unsichtbaren Vermögen und Gewinne der Last entledigen, je mehr einzelne
Bevölkerungsschichten infolge ihrer politischen Organisation die
Steuergesetzgebung zu ihren Gunsten gestalten können, desto schwerer
trifft das System den Rest. In Deutschland sind der Rentnerstand und der
kleinbürgerliche Hausbesitz ihm völlig zum Opfer gefallen. Denn
Inflation und Herabdrücken der Mieten sind verschleierte Steuern,
deren Erhebung das Vielfache des Reinertrages vernichtet ().
Aber die Gefahr ist größer: Es handelt sich um die seit Generationen
hochgezüchtete Schicht, welche auf westeuropäischem Boden den
Träger unserer Kultur darstellt. Kultur ist ohne eine gewisse Höhe
der Lebenshaltung nicht zu denken. Der Nachwuchs für Wissenschaft,
Kunst und Technik bedarf einer geistigen Verfeinerung, welche im allgemeinen
den groben Kampf ums Dasein schon für die Väter und Mütter
ausschließt. Vernichtet man diese Voraussetzung, wie es in England
seit der Steuergesetzgebung von 1908 langsam, in Deutschland seit der
Revolution in erschreckendem Tempo geschieht, so verzichtet man auf die
Zukunft seines Volkes zugunsten des Augenblicks, zugunsten des
»panem et circenses« der von ihren Führern mißleiteten
Wählermassen. Hier stehen wir vor der Tatsache, von der sich nichts
wegdeuten läßt, daß die westeuropäische Steuerpolitik
in einen trockenen Bolschewismus ausartet, der alles einzuebnen
droht, was über die Masse hervorragt, alles, was gezüchtet und
erzogen ist, alles, was zu den Vorbedingungen zuletzt auch der Höhe
technischen Denkens und damit der Höhe unserer Wirtschaftshaltung
gehört. Wir sehen in Europa eine Enteignung der wertvollsten Schichten
durch den Steuerzettel, ein neues Emigrantentum nicht aus dem Vaterlande,
sondern aus altem Besitz. Ganze Schichten sind schon vernichtet, welche
die Träger unserer Bildung im höchsten Sinne des Wortes gewesen
waren. Die Kriegsgewinnler von 1870 wurden erzogen, die von 1918 wirken
erzieherisch, weil es eine erziehende Gesellschaft nicht mehr gibt.
(Oswald Spengler, Das Verhältnis von Wirtschaft und Steuerpolitik
seit 1750, 1924, in: Politische Schriften, S. 308-309).
Dieser Gefahr gegenüber, welche darauf zurückgeht, daß
man einen sehr großen Teil der kreisenden Werte aus den einzelnen
Privathaushalten durch den Staatshaushalt hindurchleiten muß, ohne
zu verstehen oder verstehen zu wollen, um was es sich dabei handelt, scheint
nur eine Rettung möglich, und hier könnte Deutschland als das
Land der Ideen vorbildlich für die ganze Welt werden, die an dem
gleichen Fehler zu erliegen droht. Das Steuerproblem muß vom Wirtschaftsleben
aus neu gestellt und durchdacht werden; an Stelle der Hoheitsrechte des
18., der Ideologie des 19. muß die wirtschaftliche Erfahrung des
20. Jahrhunderts treten. Es sollte ein Weltkongreß von Kennern des
Wirtschaftslebens berufen werden, der von dieser Erfahrung aus die Form
der Überführung der Steuerwerte aus dem Privathaushalt in den
Staatshaushalt untersucht, der feststellt, an welcher Stelle und in welcher
Weise den wirtschaftlich arbeitenden Einheiten Kraft entzogen werden kann,
den Werken, nicht den Personen, an denen zufällig die Eigenschaft
des Besitzes haftet. Man muß einsehen, daß man mit den Werken
und mit ihnen allein die Besitzer erfaßt, da es keinen unrentablen
Besitz auf Dauer geben kann. Je »gerechter« eine Steuer ist,
desto ungerechter ist sie heute. In der Beurteilung dieser Dinge hat die
Wirtschaft das erste Wort, nicht der Jurist, der Berufspolitiker und nicht
der Finanzbeamte. Gelingt es der westeuropäischen Welt nicht, sich
hier von den Vorurteilen und Empfindlichkeiten des demokratischen Zeitalters
freizumachen, so sinkt sie wirtschaftlich auf eine Stufe, welche die Erhaltung
der vorhandenen Menschenmasse nicht mehr gestattet, geschweige denn die
Erhaltung ihrer Kultur. (Über Reformvorschläge
siehe: Neubau des Deustchen Reiches, a.a.O., S. 277 ff..)
(Oswald Spengler, Das Verhältnis von Wirtschaft und Steuerpolitik
seit 1750, 1924, in: Politische Schriften, S. 309-310).
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