Leo
Frobenius (1873-1938) |
Kulturmorphologie, Kulturkreis, Kultur- und Seelenlehre |
Leo Frobenius, Begründer des Forschungsinstituts für Kulturmorphologie,
entwickelte den Begriff Kulturkreis**,
wonach die Kulturformen für bestimmte Lebensräume charakteristisch und
auf ihn beschränkt sind und jede Kultur mit ihrer Wirkkraft (dem Paideuma)
ein Organismus, eine selbständige Wesenheit mit denselben Lebensstufen ist,
wie sie Pflanze, Tier und Mensch durchlaufen (Kulturkreislehre, Kulturmorphologie).
Frobenius war auch Direktor des Völkerkundemuseums in Frankfurt (Main) und
unternahm 12 Expeditionen nach Afrika. Er betrachtete die einzelnen Kulturen als
lebende Organismen und lehnte die rein statistische Arbeitseise ab. Der Innensinn
der Dinge ist laut Frobenius das räunliche Innen: der Innenraum als
Intimität. Sind dann Übertragungen in die Weite und in das Weitere,
besonders wenn sie ohne Selbstverlustangst geschehen können, typisch für
Kulturen mit einem Weitegefühl? War
Spengler (1880-1936 )
von Frobenius' Unterscheidung zwischen Kulturen des Höhlenfefühls
und Kulturen des Weitegefühls etwa inspiriert? Sloterdijk
()
meint ja; in einem mit Hans-Jürgen Heinrichs ()
um das Jahr 2000 geführten Gespräch behauptete er, daß die von
Frobenius eingeführte Unterscheidung zwischen den weiteliebenden und den
weitefürchtenden Völkern Spengler dazu angeregt habe, die Kulturen nach
dem Modus ihrer Raumbildung zu bestimmen. Spengler sei dabei etwas in den Blick
gekommen, was man gewissermaßen als Impfung einer Kulturseele mit
einer spezifischen Herausforderung, mit einem initialen Schock bezeichnen könnte.
Spengler redet in solchen Zusammenhängen ganz nietzscheanisch, wobei man
wissen muß, daß Nietzsche in seinen besten Augenblicken als Immunologe
spricht, wie ein Kulturarzt, der weiß, daß Kulturen und ihre Träger,
die Menschen, Wesen sind, die mit dem Ungeheuren geimpft werden und eigensinnige
Immunreaktionen entwickeln, aus denen verschiedene kulturelle Temperamente hervorgehen.
In diesem Sinne muß man Spenglers These auffassen, daß es nur acht
Hochkulturen (* vgl. 8 Kulturen )
im eigentlichen Wortsinn gegeben habe. Nur in dieser kleinen Zahl von Fällen
haben sich die hochkulturschöpferischen Immunreaktionen vollzogen, von denen
jede einzelne einen unverwechselbaren Charakter besaß. Die acht hohen Kulturen
wären demnach die Abwicklung lokaler Immunreaktionen. ... Man darf sich von
Spenglers botanischen Metaphern nicht in die Irre führen lassen. Seine Kulturen
sind nicht so sehr Pflanzen höchster Ordnung, wie er vorgibt, sondern Generationsprozesse
über dem Input einer schöpferischen Immunantwort, die sich immer mehr
formalisiert, bis zur Erstarrung. ... Spengler gibt sein Bestes, darüber
sind sich auch seine skeptischen Leser einig, wenn er über die faustische
und die arabische Kultur spricht. (Peter Sloterdijk / Hans-Jürgen Heinrichs, Die Sonne und der Tod, 2001, S. 226).Spengler ist Sloterdijks Ideentrainer,
besonders dann, wenn es um raumphilosophische Motive geht. Spengler hat zusammen
mit Frobenius die Unterscheidung eingeführt, die ein »Kulturarzt«
machen muß, wenn er seine Aufgabe ernst nimmt .... (Peter Sloterdijk / Hans-Jürgen Heinrichs, Die Sonne und der Tod, 2001, S. 228).Frobenius und Spengler lernten
sich 1919 kennen. Naeher berichtet: In seinen Plänen, Plänen,
ein Institut für Kulturmorphologie zu errichten, sieht Frobenius Spengler
als einen möglichen Mitstreiter. Auch diesmal vollzieht sich Spenglers Erfahren,
sein Denken und Tun, ein wenig wie der Gang der Erfahrung innerhalb der Hegelschen
«Phänomenologie des Geistes»: in den Bahnen eines «Kreises
von Kreisen». Mit anderen Worten sucht er, Frobenius, durch den sich ihm
ein Zirkel auftut, welcher aus dem eigenen zwanghaft geschlossenen Inneren herausführen
könnte, mit jenen weiteren Kreisen in Berührung zu bringen, die sich
ihm damals zu erschließen scheinen: Industrie und Finanzwesen (u.a. mit
Vögler, Reusch). Und Spengler bringt diese Kreise tatsächlich in Bewegung
zu einander. Von Frobenius lernt er den Blick auch auf Früh- und Vorgeschichte
fundierter zu richten. Frobenius' »Paideuma - Umrisse einer Kultur- und
Seelenlehre«, 1920 bei Beck erschienen, urteilt über den Ersten
Band des Untergangs des Abendlandes, über dessen Konzeption der
Hochkulturen: »Spengler hat diesen Zeitraum paideumatischer Entwicklung
wirklich durchdrungen und die Entdeckungstat, die durch meine und wohl auch andere
Arbeiten vorbereitet war und in der im Laufe derletzten Jahrzehnte gar mancher
Gelehrte sich versucht hat, diese Entdeckungstat hat er für diesen Zeitraum
und in diesem geographischen Rahmen tatsächlich vollzogen. Aber Spengler
arbeitet nur auf diesem Boden. ...« (Leo Frobenius, Paideuma - Umrisse
einer Kultur- und Seelenlehre, 1920, S. 107f.). Spengler gibt sich zunächst
gelassen, wie zumeist anläßlich von Kritiken, zumindest nach außen.
Sieht er sich doch gegenüber Frobenius zunächst auch durchaus als Schüler.
Sein positives Vor-Urteil dürfte den Blick auf eine Reihe tatsächlich
vorhandener Parallelen gelenkt haben, von denen nicht sicher ist, wie sehr sie
ihm bei der Niederschrift des Ersten Bandes bewußt waren. Spenglers
Weise zu arbeiten, zu lesen und zu zitieren, nämlich eher nicht zu zitieren,
sofern die betreffenden Gedanken auf irgend eigene Weise umgeformt wurden, erschwert
auch hier die Beurteilung, die Frage nach der Bedeutung von Frobenius' Einfluß.
1925 geht Frobenius nach Frankfurt. Die Beziehung beider löst sich, offenbar
funktional dazu, daß Spengler nicht zuletzt in Fragestellungen der Vorgeschichte
beansprucht, zunehmend eigenständig zu werden. Beide sind einander zu nahe,
um nebeneinander letztlich Bestand haben zu können, insbesondere wenn man
Spenglers Persönlichkeit einbezieht. Auf das äußere Auseinandergehen
reagiert dieser, indem er Frobenius absurderweise als Fachwissenschaftler
angreift. (Jürgen Naeher, Oswald Spengler, 1984, S. 90f.).
** Der
Begriff Kulturkreis wurde übrigens nicht von Frobenius ins Leben
gerufen, sondern weiterentwickelt. Als auf ein bestimmtes Gebiet und auf bestimmte
Menschen sowie auf die Kulturmorphologie bezogen benutzte beispielsweise auch
schon Heinrich Rückert (1823-1875),
Sohn des berühmten Dichters Friedrich Rückert (1788-1866),
den Begriff Kulturkreis. Jedenfalls haben die Forschungen von Paul
Leser - Zur Geschichte des Wortes Kulturkreis (erschienen in: Anthropos
58, 1963, S. 1-36, besonders S. 2) - ergeben, daß das Wort Kulturkreis
im deutschen Sprachraum literarisch zum ersten Mal bei Heinrich Rückert nachzuweisen
ist. Na, wer sagt's denn! |