Die Ästhetik ist die Lehre vom Wesen, den Bedingungen und Erscheinungsformen
des auf das Schöne oder Häßliche bezogenen Bewertens als einer der Ureigenschaften des Menschen,
die zwar vorzugsweise im Bereich dessen zur Geltung kommt, was umgangssprachlich
mit Kunst und umfassender mit allen Formen von Sprache im
weitesten Sinne - womit all das gemeint ist, was von der Semiotik
bis zur Mathematik reicht - bezeichnet wird, aber über diesen Bereich
weit hinaus reicht, weil auch die Natur und ihre Phänomene
Gegenstände ästhetischen Empfindens werden können. Sowohl
die Natur als auch die Kultur sind Ästhetikproduzenten, aber nur
die Kulturen bzw. ihre jeweiligen Angehörigen sind darüber hinaus
auch fähig, ästhetisch zu empfinden, zu deuten und zu (be-)urteilen.
Von der ästhetischen Empfindung, der ästhetischen
Deutung, der ästhetischen (Be-)Wertung, kurz der ästhetischen
Beobachtung als Unterscheidung und Bezeichnung betroffen sind alle und
jede Art von Zeichen. Jedes dieser Zeichen ist - wie im sprachwissenschaftlichen
Strukturalismus - als Form mit zwei Seiten, nämlich wie eine Differenz
von Bezeichnendem und Bezeichnetem zu verstehen, in unserem
Fall sind damit das Kultursystem und seine Umwelt gemeint.
Dabei kommt jede kulturelle Form zweimal vor: (1.) als Differenz, wie
eben beschrieben, und (2.) als Differenz dieser Differenz, womit die Differenz
als in der Differenz enthaltene eigene Kopie bzw. Wiedereintritt
gemeint ist, wie Luhmann (**)
jetzt sagen würde. Das Zeichen ist eigentlich dann, genauer
formuliert, die Differenz zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem.
(**).
Das Zeichen ist also eine Form mit zwei Seiten. Es gilt zu berücksichtigen,
daß von der Formanalyse her man sehen muß, daß
das Zeichen eine Form mit zwei Seiten ist, und daß, wenn man es
gebraucht, als Zeichen gebraucht, man immer auf die innere Seite der Form,
also auf die Seite des Bezeichnenden - ... gehen muß und dort operiert,
also etwa Sprache benutzt in der Annahme, daß die Wörter irgend
etwas, was wir nicht so genau wissen, bezeichnen. (**).
Systemtheoretiker sollten jedoch wenigstens einigermaßen wissen,
was die Wörter bezeichnen ( ).
In unserem Beispiel ist wichtig, daß wir auf der Seite des Bezeichnenden
operieren (siehe 2.), nämlich als Kultursystem Formen bilden, z.B
ästhetische Formen (unser Beispiel), und dabei das Bezeichnete,
weil wir es nicht genau kennen, zwar als gegeben, aber sonst nicht weiter
berücksichtigen müssen. Das ist ein Trick, der von einem Widerspruch
ausgeht, um das Bezeichnende allein (also: ohne das Bezeichnete)
besser verstehen zu können.
Wir können davon ausgehen, daß kulturelle und ästhetische
Phänomene formanalytisch in Einklang oder Übereinstimmung sind.
Denn jedes Kultursystem ist als Form und als Form-in-der-Form, als Differenz
und als Differenz-in-der-Differenz, also als das Bezeichnende zu
verstehen, während ihre Umwelt als der andere Teil der Form, als
der andere Teil der Differenz, also als das Bezeichnete zu verstehen
ist. Die beiden stehen zwar in Wechselbeziehung miteinander, aber wir
untersuchen hier nur das Kultursystem als das Bezeichnende, also
als das, was seine Umwelt und sich selbst bezeichnet, also entweder durch
Fremdbeschreibung, basierend auf Fremdbeobachtung (Umwelt)
oder durch Selbstbeschreibung, basierend auf Selbstbeobachtung
(Kultursystem), wobei jede Beobachtung Unterscheidung und Bezeichnung
bedeutet und den Abschluß einer jeden Operation immer nur die
Bezeichnung bildet. Dies ist nicht zufällig eine an Luhmann angelehnte
Aussage (vgl. oben). Darüber hinaus muß uns auch die Frage
beschäftigen, die besonders Spengler sehr ernst nahm: Gibt
es eine Logik der Geschichte? Gibt es jenseits von allen Zufällen
und Unberechenbaren der Einzelereignisse eine sozusagen metaphysische
Struktur der historischen Menschheit, die von den weithin sichtbaren,
populären geistig-politischen Gebilden der Oberfläche wesentlich
unabhängig ist? Die diese Wirklichkeit geringeren Ranges vielmehr
erst hevorruft? Und wenn - wo liegen die Grenzen derartiger Folgerungen?
Ist es möglich, im Leben selbst - denn menschliche Geschichte ist
der Inbegriff von ungeheuren Lebensläufen, als deren Ich und Person
schon der Sprachgebrauch unwillkürlich Individuen höherer Ordnung
wie »die Antike«, »die chinesische Kultur« oder
»die moderne Zivilisation« denkend und handelnd einführt
- die Stufen aufzufinden, die durchschritten werden müssen, und zwar
in einer Ordnung, die keine Ausnahme zuläßt? Haben die für
alles Organische grundlegenden Begriffe, Geburt, Tod, Jugend, Alter, Lebensdauer,
in diesem Kreise vielleicht einen strengen Sinn, den noch niemand erschlossen
hat? Liegen, kurz gesagt, allem Historischen allgemeine biographische
Urformen zugrunde? (**).
Von hier aus beginnen wir, auf das Thema dieser Webseite näher einzugehen.
Wir wollen nämlich Kultur und Ästhetik als Kultursystem und
eine seiner Kulturdimensionen, außerdem Kultur und Geschichte als
Kultursystem und Zeitdimensionen sowie Kultur und Raum als Kultursystem
und seine Raumdimension im Zusammenhang beschreiben, basierend auf Beobachtung,
die Unterscheidung und Bezeichnung bedeutet, wobei immer nur die
Bezeichnung den Abschluß einer jeden Operation bildet.
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Wunderschön! Aber dennoch
wollen wir gar nicht so unbedingt danach fragen, was als
schön oder häßlich empfunden, gedeutet
und bewertet wird. |
Wir wollen also nicht so sehr danach fragen, was als schön
oder häßlich empfunden, gedeutet und bewertet wird (siehe
rechts), sondern danach, ob und, wenn ja, wie, wann, warum,
wo, womit, wodurch welche Zeichen als Formen und in ihnen besonders
deren bezeichnende Seite operieren und sich ändern. Das ist
eine Frage der Zeichen bzw. Formen, eine Frage des Werdens und Gewordenen
und eine Frage des Raumes und Ortes, was geologische und geographische,
also umweltliche Voraussetzungen (Voraussetzungen!) für das
Werden und Gewordensein der Zeichen und Formen betrifft. Wir werden also
das auf dieser Webseite mit dem Titel Ästhetik angegebene
Thema vor allem kultursystemisch, kulturwissenschaftlich bzw. kulturphilosophisch,
aber auch und besonders geschichtssystemisch, geschichtswissenschaftlich
bzw. geschichtsphilosophisch (bitte jedoch nicht
mit gesichtssystemisch, gesichtswissenschaftlich
bzw. gesichtsphilosophisch verwechseln!) und ebenfalls
raumsystemisch, raumwissenschaftlich bzw. raumphilosophisch darzustellen
haben. Es wird weder subjektiv noch objektiv ausgewählt, sondern
systemisch. Das ist eine systemtheoretische Aussage (**).
Sie sollte eben nur nicht zu sehr im Widerspruch stehen zu wissenschaftlichen
bzw. philosophischen Erkenntnissen (**).
Wir können das Subjektive und das Objektive und den damit verbundenen
Dualismus zwar nicht überwinden, aber mit Hilfe bestimmter Krücken
wie eben der Systemtheorie immerhin abmildern.
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A n t e i l e
a n m e i n e r
K u l t u r t h e o r i e : |
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Wenn wir erst einmal kultursystemisch vorgehen wollen, besagt das eben
zunächst nur, daß wir es mit einer Kultur als System zu tun
haben, für die wir zunächst nichts anderes als dieses System
mit seinen Operationen und Dimensionen zu berücksichtigen haben,
es sei denn, daß wir ebenfalls berücksichtigen müssen,
daß diese Kultur aus Sicht einer anderen Kultur oder anderer Kulturen
selbst ein Teil einer Umwelt ist - und das ist tatsächlich der Fall,
wie wir wissen. Die Frage ist dann, ob die Kulturen miteinander in Beziehung
stehen, sich gegenseitig beeinflussen können oder nicht. Gemäß
Spenglers Kulturphilosophie und Luhmanns Systemtheorie ist dies nicht
der Fall. Doch gemäß meiner Theorie ist dies, wenn auch nur
in relativ geringem Ausmaß, der Fall. Hier tut sich schon das erste
theoretische Problem auf, weil die geschlossenen, nämlich als Monaden
zu verstehenden Spenglerschen Kulturen, die zwar offenen, aber eben operativ
geschlossenen Systeme Luhmanns und meine relativ offenen, weil ebenfalls
operativ geschlossenen Kulturen sich theoretisch nicht genau decken. Meine
Kulturen haben bezüglich Offenheit/Geschlossenheit mehr Ähnlichkeit mit Toynbees Kulturen oder Luhmanns Systemen als mit Spenglers Kulturen.
Die Lösung des Problems liegt somit darin, daß wir von den
Operationen ausgehen müssen, denn während der Operationen
sind sowohl Luhmanns Systeme als auch meine und Toynbees Kulturen geschlossen
wie Spenglers Kulturen.
Woraus bestehen nun aber die Operationen der Kultursysteme? Die Operationen
der Kultursysteme bestehen aus dem, was sie produzieren: Operationen,
nämlich Sprache im weitesten Sinne (von der simpelsten Semiotik
bis zur komplexesten Mathematik). Die Operationen betreffen also nicht
nur die hier zu erörternde Ästhetik, sondern alles, was eine
Kultur zu produzieren in der Lage ist, und das ist all das, was nicht
schon von der Natur produziert wird, obwohl auch das bereits dann zur
Sache der Kultur geworden ist, wenn die Kultur Natur verwendet, gleichgültig
wie. Die Natur kann z.B. besungen, poetisiert, gemalt, vertont, verbaut,
umgeformt, technisch und wissenschaftlich vergegenständlicht (objektiviert),
gemessen und verrechnet, ideologisch-idealistisch bewertet, gesetzlich
geschützt (vgl. Naturschutz), religiös-theologisch vergöttlicht
oder sonstwie zu Zwecken verwendet, gebraucht oder mißbraucht werden.
Dies geschieht kulturell (zivilisatorisch), und es ist davon keineswegs
nur die Natur betroffen, sondern auch die Kultur selbst. Eine Kultur kann
sich also auch selbst verwenden, brauchen oder mißbrauchen, zu welchen
Zwecken auch immer. Es gibt also eigentlich nichts, was ihre Operationen
nicht einschließen, vorausgesetzt, daß Kulturen fähig
genug dazu sind - denn sie können nicht selbst eine neue Natur im
Sinne einer neuen Gesetzesmäßigkeit für Anorganisches,
also z.B. ein Universum mit einer niegelnagelneuen Gesetzesmäßigkeit
von Physik und Chemie erschaffen.
System ist das, was nicht Umwelt ist, aber trotzdem mit Umwelt verbunden
ist, und Kultur ist das, was nicht Natur, aber mit Natur verbunden ist.
Diese Verbundenheit besteht aus Kausalbeziehungen, aber nicht aus Einflüssen,
die die systeminternen Operationen betreffen. Die Operationen eines Systems
geschehen ausschließlich im System selbst.
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Systeme (auf acht Ebenen und in
vier Quadrialismen) gemäß meinem Modell. |
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Und Kultur muß
hier als ein System verstanden werden. Ein solches System ist operativ
geschlossen und ansonsten offen. Und das, was eine Kultur operativ schafft,
also produziert, sind Ausdrücke, die wir allesamt als sprachlich
im weitesten Sinne verstehen können. Beispeilsweise ist das
Kaufen eines Produktes, was immer dieses Kaufen sonst sein mag, eine sprachliche
Operation; beispielsweise ist das rein bildliche Vorstellen, was immer
dieses bildliche Vorstellen sonst sein mag, eine sprachliche Operation;
beispielsweise ist das Denken, was immer dieses Denken sonst sein mag,
eine sprachliche Operation; beispielsweise ist das Rechnen mit mathematischen
Funktionsgleichungen, was immer dieses Rechnen sonst sein mag, eine sprachliche
Operation. Sprachliche Operationen sind die Operationen einer jeden Kultur
und reichen bis in die Natur hinein, allerdings nicht als Teil der natürlichen
Operationen, sondern eben als Teil der kulturellen Operationen, die die
Natur beschreiben, basierend auf Beobachtung, wobei es eine Fremdbeobachtung
ist, wenn die Natur beobachtet wird. Jede Beobachtung - also auch
jede Fremdbeobachtung und jede Selbstbeobachtung - bedeutet
Unterscheidung und Bezeichnung, wobei die Bezeichnung den Prozeß
jeder einzelnen Operation abschließt (**).
Wenn ich also versucht bin, eine unendliche Menge an Produkten einzukaufen,
die unendliche Tiefe des Raumes mir als die Unendlichkeit bildlich vorzustellen
oder zu denken, mathematische Funktionsgleichungen gar nicht mehr als
Zahlen, sondern nur noch als Funktionen des Unendlichen zu berechnen:
dann ist die dahinter sich verbergende sprachliche Semantik so etwas wie
das, was Spengler als typisch faustisch (**),
weil auf das Ursymbol des Unendlichen (**)
zurückgehend, bezeichnet hat.
Wenn eine bestimmte Kultur eine ebenso bestimmte Ästhetik herausbildet,
so ist diese mit ihren Zeichen einer Analyse zugänglich, die wir
sehr allgemein Sprachanalyse oder Zeichenanalyse und also
auch Formanalyse nennen können. Jedes Sprachelement oder Zeichen
ist eine Form mit zwei Seiten, bei denen uns ja nur die eine Seite, nämlich
die des Bezeichnenden beschäftigen soll, um es besser zu verstehen,
wie schon gesagt (**). Das Kultursystem
beschreibt, basierend auf Beobachtung, seine Umwelt (das Fremde) und sich
selbst (das Eigene). Es gibt sowohl dann, wenn es seine Umwelt (die Natur
oder andere Kulturen) beschreibt, als auch dann, wenn es sich selbst beschreibt
(so, als wäre es außerhalb seiner selbst) Zeugnis von sich
selber ab. Sind in den ästhetischen Schöpfungen beispielsweise
solche Zeichen zu erkennen, die nach formanalytischer Deutung auf das
Unendliche als Ursymbol und auf das faustische Seelenbild
als Funktion des Weltbildes (**)
schließen lassen, dann haben wir es mit dem faustisch-abendländischen
Kultursystem zu tun. Das ist in allen Schöpfungen dieses Kultursystems
erkennbar, sehr deutlich an den architektonischen Formen der Gotik, des
Barock, des Rokoko, aber auch noch des Historismus, noch mehr an den musikalischen
Schöpfungen spätestens seit der Gotik, und am meisten wohl an
den wissenschaftlich-technischen Schöpfungen schon seit der Karolingik.
Ob es z.B. um die Deutung des Universums als der raum-zeitlichen Unendlichkeit
geht, die sich spätestens seit Nikolaus von Kues, also während
der Gotik, immer deutlicher abzeichnet, oder ob es z.B. um deren mathematische
Entsprechung geht, die sich ebenfalls spätestens seit Nikolaus von
Kues, also während der Gotik, immer deutlicher abzeichnet und mit
Gottfried Wilhem Leibniz ihren ersten Höhepunkt während des
Barock, mit Carl Friedrich Gauß ihren zweiten Höhepunkt während
des Klassizismus und der Romantik erreichte: immer geht es um das Unendliche
als Ursymbol. Man könnte fast versucht sein, zu sagen, daß
der gesamte Ursymbol-und-Seelenbild-Komplex einem Regler im
kulturellen Regelkreis gleicht (**)
oder, um mit Luhmann zu sprechen, ein Funktionssystem als Teilsystem
des Gesamtsystems (**|**|**)
darstellt, wobei das Gesamtsystem in unserem Beispiel die Kultur ist.
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M e i n W e b a n g e b o t
u n d s e i n e
G l i e d e r u n g . |
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Was aber, wenn eine Kulturtheorie oder Geschichtsphilosophie
wie die meinige auch die Hegelsche Dialektik berücksichtigt (**)
und eine andere, die das offenbar auch tut (**|**),
zu etwas anderen Ergebnissen kommt? Gemeint ist mit dieser anderen Kulturtheorie
oder Geschichtsphilosophie die von Thomas Wangenheim (**|**|**|**|**|**|**|**|**|**).
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Thomas Wangenheim
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Bis zum 15.11.2018 hatte ich noch nie den Namen Thomas Wangenheim gelesen
oder gehört (**|**),
doch das änderte sich seit diesem Datum sofort und veranlaßte
mich übrigens auch, dem Thema Ästhetik, um das es
hier gehen soll, eine Extraseite zu widmen. Thomas Wangenheim hat auch
ein Buch geschrieben, das 2013 veröffentlicht wurde: Kultur
und Ingenium. Eine fraktale Geometrie der Weltgeschichte. Dieses
Buch habe ich noch nicht gelesen, doch ich glaube, schon zu wissen, worum
es Thomas Wangenheim geht und daß er davon ausgeht, daß
sich Architekturstile in ihrer Ausdrucksweise wie These und Antithese
abwechseln, vor allem so, daß auf viel Ornamentik Glattheit, auf
Glattheit wieder viel Ornamentik folgt. Diese Abwechslung sieht er auch
in philosophischen/wissenschaftlichen und »gesellschaftlichen«/politischen
Gebieten. (**).
Am 20.11.2018 erfuhr ich aus seinem Hörbuch, daß es ihm außerdem
sogar um die Umkehr der Zeitrichtung, die auch als Zeitpfeil bekannt ist,
geht: In diesem Buch offenbart sich zum ersten
Mal der Entschluß der Zeit, ihre Richtung umzukehren. (**[ ]).
Das ist etwas, was ich zwar in meinem enzyklopädischen Teil meines
Webangebots und auch im Rahmen meiner darin ebenfalls enthaltenen Allgemeinen
Entwicklungstheorie durchaus als Möglichkeit in Erwägung
ziehe, aber nicht als das Ergebnis aus meiner Kulturtheorie verstanden
haben möchte. Kulturen als Biographien sind auch kein Argument
gegen die Zeitrichtung, sondern verhalten sich der Zeitrichtung gegenüber
eher neutral, denn mit dem biologischen Aufbau eines Organismus ist noch
nichts gesagt über die physikalische Zeit, ihre Richtung, auch nichts
gesagt über die empfundene Zeit. Somit ist weder etwas über
die eher objektive noch über die eher subjektive Deutung von Zeit
gesagt, wenn von Biographien die Rede ist.
Doch Wangenheims Philosophie hat zum letzten Ziele, die Zeit nun
unter die Herrschaft des Denkens zu zwingen. So wie die mechanische Kraft
den Körper im Raum der Bewegungslosigkeit befreit und ihm den Willen
einer Richtung verleiht, so wird nun erstmals eine geistige Kraft erhoben,
die Zeit umzukehren, die Richtung ihres Laufes in einem willentlichen
Akt zu brechen. Ich diktiere mit dieser Schrift der Zeit, nach rückwärts
zu gehen. Sie wird es widerstandslos hinnehmen, denn sie ist eine Schöpfung
des Geistes erst. Es ist dieses freche Unterfangen bloß noch nie
in Erwägung gezogen worden. (**[ ]).
Wangenheim meint, daß der Geist die Zeit so zügeln kann wie
die Mechanik den Raum. Denn Geschichte begreifen, verstehen, was
die Abfolge der Ereignisse, der Willensbekundungen jedes Zeitalters bedeutet,
das wird erst möglich, wenn wir aus dem Jetzt, dem sich verdunkelnden
Gewordenen und dem geahnten Werden heraustreten und damit Zeit an sich
schauen. Weil die Möglichkeit hierzu nie überhaupt nur in Betracht
kam, ist auch noch keine von der Zeit losgelöste Anschauung des Historischen
ausgesprochen worden. (**[ ]).
Wie aber soll das Zeit-an-sich-Schauen und die Von-der-Zeit-losgelöste-Anschauung-des-Historischen
möglich sein? Wangenheim deutet mit dem Untertitel seines Buches
- Eine fraktale Geometrie der Weltgeschichte - bereits
auf die Lösung dieses Problems: eine mathematische, d.h. (übrigens
auch für mich) die für Menschen höchste, nämlich die
mathematische Stufe des Geistes soll die Problemlösung ermöglichen.
Muß man so sehr alles Zeitliche von sich weisen oder sich sogar
dafür schämen, mit der Zeit überhaupt etwas zu tun zu haben?
Vielleicht ist Wangenheim sogar noch vergeistigter, als z.B. Plotin (205-270)
es war, der nämlich so sehr auf Vergeistigung bedacht war, daß
er sich schämte, einen Leib zu haben. Ist das nur mit Mathematik
möglich? Vielleicht reicht ja schon eine Meditation, z.B. eine im
mystischen Sinne als Versenkung erlebte Meditation als Mittel tiefster
Erkenntnis, also eine unter Ausschaltung alles Wollens ermöglichte
Anschauung, Kontemplation, oder gar eine das Nirwana anstrebende Meditation,
wie sie z.B. Buddha lehrte. Was will Wangenheim uns sagen? Muß ich
doch noch sein Buch kaufen?
Wangenheim meint, daß aber uns selbst die Zukunft Vergangenheit
ist, daß es ein inhärentes Gebaren der Zeit ist, nicht fortzuschreiten,
sondern immer und immer wieder umzukehren: das haben wir in unserem stetigen
Eindruck vom Jetzt und der rein äußerlichen Täuschung
des Alterns immer übersehen. (**[ ]).
Geht denn Wangenheim geistig rückwärts in die Zukunft und geistig
vorwärts in die Vergangenheit, weil er vom Jetzt und
der Täuschung des Alterns unbeeindruckt bleibt? Meint
Wangenheim dies subjektiv oder objektiv? Oder meint er es weder subjektiv
noch objektiv? Ist er ein Systemtheoretiker? Ist er ein Irrationalist
oder ein das Irrationale nur besonders berücksichtigender Rationalist?
- Jedenfalls ist er ein Romantiker, genauer: ein Neo-Neo-Romantiker,
ein vom Historismus stark beeindruckter, ihn rückwärts wie vorwärts
anstrebender Romantiker des 2. Neostils.
Mit dem der Zeit aufgedrückten Diktat, nach rückwärts
zu gehen (**[ ])
will Wangenheim verstanden wissen, daß auch die Geschichte rückwärts
zu gehen hat, daß es also in der Geschichte nicht nur einen
Hinweg, sondern auch einen Rückweg und folglich dafür auch einen
jeweiligen Wende- oder Umschlagpunkt gibt, daß man in der Geschichte
am Boden angekommen sein muß, um danach in die andere Richtung gehen
zu können, und er glaubt, daß wir uns zur Zeit in der
Nähe dieses Umschlagpunkts befinden ( ).
Also kann Wangenheim sich schon freuen auf das zukünftige Wieder-Erreichen
des Historismus und der Romantik in ihrer besten Zeit ( ).
Ich habe anhand des Beispiels der Architektur für die Kulturgebiete
der apollinischen Antike und des faustischen Abendlandes die von Wilfried
Koch in seinem Buch Baustile (2000 [22. Auflage {1.
Auflage: 1982}]) erstellte Zeittafel für die dort vorherrschenden
Architekturstile von 3000 Jahren (von 1000 bis +2000) kopiert, damit
Herr Thomas Wangenheim sich noch besser orientieren kann bei seinem Rückwärtsvorwärtsgehen
( ):
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Moderne ist nicht
das richtige Wort für das, was hier eigentlich gemeint ist:
Funktionalismus/Konstruktivismus/De(kon)struktivismus, oder
eben, wie Wangenheim ganz einfach sagen würde, Bauhaus.
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