Lob, Kritik, Skepsis.
Einleitung.
Hermann F.-H. Schmitz und Martin Heidegger [**])
gelten als die größten Philosophen des 20. Jahrhunderts.
Bach-Stadt
Leipzig
|
|
Beethoven-Stadt
Bonn
|
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Planck-Stadt
Kiel
|
|
Schmitz sagte 2017 im Rückblick auf sein bis dahin schon 89 Jahre
währendes Leben, er sei auf seinem Weg immer geradeaus gelaufen.
.... So geradlinig konnte mein Weg auch deshalb nur sein, weil ich mich
nicht familiär gebunden habe. Daher war er auch mit großen
Verlusten verbunden, denn es wäre schön gewesen, eine Familie
zu haben. Es hat sich aber erwiesen, daß ich die Einsamkeit brauche
zum Denken. (In: Philosophie-Magazin, 2017, S. 7075.) Hermann
Franz-Heinrich Schmitz wurde am 16. Mai 1928 als Sohn des Reichsgerichtsrats
Hermann Schmitz und dessen Ehefrau Magdalena in Leipzig geboren. In Leipzig
wurde er auch eingeschult; das Abitur erlangte er jeodch in Bonn, nämlich
am Beethoven-Gymnasium. Von 1949 bis 1953 studierte er an der Universität
Bonn, vor allem bei Erich Rothacker. Dort wurde er 1955 mit einer Dissertation
über Goethes Altersdenken in Begriff und Symbol promoviert.
1958 wurde er Assistent am Philosophischen Seminar der Universität
Kiel, wo er sich mit der Schrift Hegel als Denker der Individualität
habilitierte. Er erhielt 1971 auf dem Wege einer außergewöhnlichen
Hausberufung eine ordentliche Professur am Kieler Philosophischen Seminar,
das er ab 1988 als Nachfolger von Kurt Hübner bis zu seiner Emeritierung
im Jahre 1993 leitete.
Lebenslauf-Tabelle, ihre Erläuterung, philosophische Schwerpunkte
und Wirkung.
,Wer ist denn dieser Hermann Schmitz eigentlich?
(Hermann F-H. Schmitz, in: Hermann Schmitz im Gespräch - über
Logik, 6. Juni 2010 **).
Hermann
Franz-Heinrich Schmitz
|
1. Stadium
(Winter) |
2. Stadium
(Frühling) |
3. Stadium
(Sommer) |
4. Stadium
(Herbst) |
Vor-/Urdenken:
Schmitz
Vor-/Urphilosophie |
Frühdenken:
Schmitz
Frühphilosophie |
Hochdenken:
Schmitz
Hochphilosophie |
Spätdenken:
Schmitz
Spätphilosophie |
(Dauer: 21
Jahre) |
(Dauer: 15
Jahre) |
(Dauer: 16
Jahre) |
(Dauer: 41
Jahre) * |
1928 bis
1949 |
1949 bis
1964 |
1964 bis
1980 |
1980 bis
2021 * |
Geburt
(16.05.) |
BEGINN
DES WERKS
SYSTEM DER PHILOSOPHIE
|
Tod
(05.05.) |
Übergang
Schule / Studium |
| |
Ende des
Werks
System der Philosophie |
Frühe
Kindheit |
Grund-
schule |
Gymnasium
|
1949
- 1953 |
1953
- 1958 |
1958
- 1964 |
1964
- 1967 |
1967
- 1973 |
1973
- 1980 |
1980
- 1990 |
1990
- 2004 |
2004
- 2021 * |
|
Denk-Biographie von Hermann F.-H.
Schmitz (1928-2021 ):
1. Stadium (Winter -
1928-1949) und seine 3 Stufen:
Schmitz frühe Kindheit (1. Stufe); Grundschulzeit (2. Stufe);
Gymnasialzeit (3. Stufe), also bis zum Übergang von der Schule
zur Universität (1949).
2. Stadium (Frühling
- 1949-1964) und seine 3 Stufen:
Schmitz Studienzeit in Bonn von 1949 bis 1953 (4. Stufe); die
Zeit nach dem Studium bis zum Beginn der Assistenstelle am Philosophischen
Seminar der Universität Kiel, also die Zeit von 1953 bis 1958
(5. Stufe); die vom Beginn der Assistenstelle am Philosophischen Seminar
der Universität Kiel bis zum Beginn seines Hauptwerkes, System
der Philosophie, also die Zeit von 1958 bis 1964 (6. Stufe), wobei
Schmitz schon 1958, spätestens aber 1959 mit der Konzeption seines
Hauptwerkes, System der Philosophie, begann.
3. Stadium (Sommer -
1964-1980) und seine 3 Stufen:
Schmitz Zeit der Veröffentlichung der ersten 4 Bücher
(Band I, Band II Teil 1, Band II Teil 2, Band III Teil 1) seines Hauptwerkes,
System der Philosophie, also die Zeit von 1964 bis 1967 (7.
Stufe); die Zeit nach der Veröffentlichung des 4. bis zur Veröffenlichung
des 7. Buches (Band III Teil 3) seines Hauptwerkes, System der
Philosophie, also die Zeit von 1967 bis 1973 (8. Stufe); die Zeit
nach der Veröffentlichung des 7. bis zur Veröffenlichung
des 10. Buches (Band V) seines Hauptwerkes, System der Philosophie,
also die Zeit von 1973 bis 1980 (9. Stufe).
4. Stadium (Herbst -
1980-2021) und seine 3 Stufen:
Schmitz Zeit nach der Veröffentlichung des 10. Buches (Band
V) seines Hauptwerkes, System der Philosophie, bis zur Veröffentlichung
des Buches Der unerschöpfliche Gegenstand, also die Zeit
von 1980 bis 1990 (10. Stufe); die Zeit nach der Veröffentlichung
des Buches Der unerschöpfliche Gegenstand bis zur
Veröffentlichung des Aufsatzes Alte und neue Phänomenologie,
also die Zeit von 1990 bis 2004 (11. Stufe); die Zeit nach der Veröffentlichung
des Aufsatzes Alte und neue Phänomenologie, bis zur Veröffentlichung
des Buches Sich selbst verstehen, also die Zeit von 2004 bis
2021 (12. Stufe).
5. Stadium (Winter
- ...) hat es höchstwahrscheinlich
für Hermann F.-H. Schmitz nicht gegeben, weil er bis zum Tode
seiner denkerischen Aufgabe treu geblieben ist, noch in seinem Todesjahr
ein Buch geschrieben und veröffentlicht hat. |
Philosophische Schwerpunkte und Wirkung Schmitz.

Gelb (1964-1980): Schmitz Hauptwerk System
der Philosophie (10 Bücher).
Interesse an Hermann F.-H. Schmitz
|
Mein Interesse an Hermann F.-H. Schmitz.
Zum ersten Mal kam ich mit dem Namen Hermann Schmitz in den 1980er Jahren
in Berührung, als ich Gernot Böhmes Buch Alternativen der
Wissenschaft (1980) las. Beim zweiten Mal erfuhr ich etwas mehr über
Hermann Schmitz, nämlich in den 1990er Jahren während meiner
Lektüre einiger Sloterdijk-Bücher. Das reichte, um mein näheres
Interesse für Hermann Schmitz zu wecken.
Mein Interesse an Schmitz war und ist die Tatsache, daß er wie
ich den Psychologismus (**|**|**|**)
bekämpft, ebenso den Reduktionismus (**|**)
und den Introjektionismus (**|**)
- alle drei gehören zu dem Innenweltdogma (**)
der Abstraktionsbasis der abendländischen Kultur (Schmitz: Abstraktionsbasis
der traditionellen europäischen Intellektualkultur [**|**]).
Schmitz schließt in seinem Abendlandbegriff die griechische Philosophie
mit ein, was ich nicht tue, sondern sie nur als ein Erbe unserer abendländischen
Kultur verstehe. Hermann Schmitz betrachtet die geschichtliche Linie vom
5. oder spätestens 4. vorchristlichen Jahrhundert der altgriechischen
Philosophie bis zur heutigen Philosophie des Abendlandes als eine durchgehende
- wie fast alle abendländischen Philosophen es tun -, sie also nicht
mit einer Unterbrechung oder Verschiebung, etwa der Art, wie ich die antike
Kultur und die abendländische Kultur als zwei verschiedene Kulturen
trotz der Verwandtschaft verstehe, konfrontiert. Das philosophische Erbe
bleibt ja für uns beide dasselbe.
Gernot Böhmes und Peter Sloterdijks sowie mein
Interesse an Hermann F.-H. Schmitz.
Gernot Böhme stand,
seit er mein Buch »System der Philosophie, Band II,
Der Leib, Teil 1« (1965) mit einer klugen Besprechung
bedacht hatte, unablässig an meiner Seite und hat Wesentliches
zur Förderung der Neuen Phänomenologie beigetragen.
(Hermann F.-H. Schmitz, Ausgrabungen zum wirklichen Leben,
2016, S. 36 **).
|
Peter Sloterdijk hat mich
in Karlsruhe mit allen Ehren aufgenommen und als den bedeutensten
lebenden deutschen Philosophen ausgegeben; er hat erstaunlich
eingehende Kenntnis meiner Arbeiten bewiesen und sich über
diese in seinen Schriften mehrfach anerkennend und verständnisvoll
geäußert. (Hermann F.-H. Schmitz, Ausgrabungen
zum wirklichen Leben, 2016, S. 36-37 **). |
Da Gernot Böhme Schmitz im großen und ganzen reibungslos
folgte, muß ich auf ihn nicht näher eingehen. In der
Tabelle rechts ist ein Zitat aus Böhmes 1980 erschienenem Buch
Alternativen der Wissenschaft zu lesen.
Peter Sloterdijk ist ebenfalls von Schmitz sehr angetan, auch
trägt Sloterdijks Werk - vor allem sein dreibändiges Sphärenwerk
- neben den sehr starken Heideggerschen auch sehr starke Schmitzsche
Züge, was man vor allem am Raumbegriff, besonders an der häufigen
Verwendung des Wortes Atmosphären erkennen kann.
Wenn ich nicht irre, habe ich 1969 mit meinem Buch Der
Gefühlsraum die Theorie der Atmosphären in die Philosophie
eingebracht. (Hermann F.-H. Schmitz, Atmosphärische
Räume, in: Atmosphären, 2014,
S. 10 **).
Sloterdijk folgt aber kaum der Schmitzschen Ablehnung des Innenweltdogmas
(also: Ablehnung des Psychologismus, Reduktionismus, Introjektionismus
[**|**|**|**|**|**|**]),
während ich ihr nicht nur folge, sondern sie sogar noch verstärke.
Außerdem teile ich nicht nur das, was der Leib-, Raum-, Gefühls-
und also Atmosphärenphilosoph Schmitz über den Raumbegriff
bzw. die Leibphilosophie der Neuen Phänomenologie (**|**|**),
die Schmitz begründet hat, erklärt und worin ihm der Psycho-,
Immunitäts-, Raum- und also Sphärenphilosoph Sloterdijk
zumindest bezüglich des Raumbegriffs (vgl. eben besonders:
Atmosphären) folgt, sondern ich setze es verstärkt fort
über die Sprache (das Zeichensystem), die ich einteile
in eine Sprache im weiteren und weitesten Sinne (Sprache
i.w.S.) einerseits und eine Sprache im engeren und engsten Sinne
(Sprache i.e.S.) andererseits (**).
Schmitz |
|
Sloterdijk |
|
Brune |
Ablehnung des Innenweltdogmas
(also: Ablehnung des Psychologismus, Reduktionismus und Introjektionismus) |
|
x |
|
X |
Raum |
|
X |
|
X |
Leib |
|
x |
|
x |
Gefühle (als räumlich ortlos
ergossene, leiblich ergreifende Atmosphären) |
|
X |
|
X |
X bedeutet, daß der Grad der Entsprechung
bzw. Übereinstimmung mit Schmitz gleich ist. Ist das X kleiner,
ist der Grad der Entsprechung bzw. Übereinstimmung mit Schmitz
ebenfalls kleiner; ist das X gößer, ist der Grad der
Entsprechung bzw. Übereinstimmung mit Schmitz ebenfalls größer.
Sloterdijk und mich verbindet viel mit Schmitz. Das Innenweltdogma
(Psychologismus, Reduktionismus und Introjektionismus) lehne
ich sehr viel mehr ab als Schmitz und erst recht als Sloterdijk,
der es kaum ablehnt, jedenfalls sehr viel weniger als Schmitz, d.h.
Schmitz und mich eint diese Ablehnung, auch wenn sie bei mir stärker
ausgeprägt ist als bei ihm, während sie bei Sloterdijk
nur sehr gering ausgeprägt ist. Beim Thema Raum sind
wir alle drei gleich aufgestellt. Das Thema Leib ist bei
Sloterdijk und mir gleich, aber viel weniger angesagt als bei Schmitz,
aber es eint uns drei ja immerhin die Thematisierung als solche.
Beim Thema Gefühle (als räumlich
ortlos ergossene, leiblich ergreifende Atmosphären)
sind Schmitz und Sloterdijk gleich aufgestellt, während ich
davon nur leicht abweiche. - Was uns drei also insgesamt eint, ist
die Tatsache, daß wir in allen Themen übereinstimmen,
nur eben nicht immer zu gleichen Anteilen. Gleichanteilig sind das
Thema Raum bei Schmitz, Sloterdijk und mir und das Thema
Gefühle (als räumlich ortlos ergossene,
leiblich ergreifende Atmosphären) bei Schmitz
und Sloterdijk. Aber es gibt ein Thema, durch das Schmitz und Sloterdijk
doch nicht zu großer Übereinstimmung kommen können:
das Innenweltdogma (Psychologismus, Reduktionismus und Introjektionismus).
Man müßte aus Sloterdijks Philosophie einer der sie tragenden
Säulen eliminieren: die Psyche (Seele). Das Konzept
Psyche (Seele) ist der Grund dafür, daß Sloterdijks
Philosophie nicht zu großer und schon erst recht nicht zu
100% mit Schmitz Philosophie in Übereinstimmung gebracht
werden kann (**).
Die Ablehnung des Innenweltdogmas (Psychologismus, Reduktionismus
und Introjektionismus) ist die Voraussetzung überhaupt
für Schmitz Philosophie.
Die Introjektion der Gefühle,
mit der sich die Menschheit der klassischen griechischen Philosophie
um Platon und Aristoteles (d.h.: vom
späten 5. bis zum späten 4. vorchristlichen Jahrhundert!
HB) angeschlossen hat, ist ein Irrtum; er scheitert
daran, daß es die Seele oder anders benannte abgeschlossene
private Innenwelt allen Erlebens, der sie introjiziert werden,
gar nicht gibt, wie sich insbesondere daran zeigt, daß
das Verhältnis des Bewußthabers zu seiner Seele
nicht schlüssig konstruiert werden kann. (Vgl. Hermann
Schmitz, Kurze Einführung in die Neue Phänomenologie,
2009, S. 29-45; Jenseits des Naturalismus, 2010, S.
145-163.) (Hermann F.-H. Schmitz, Atmosphärische
Räume, in: Atmosphären, 2014, S. 21 **).
|
Die Psyche - oder anders benannte abgeschlossene private Innenwelt
allen Erlebens, der sie introjiziert werden - gibt es nicht.
Sloterdijk täte also gut daran, sein Konzept Psyche (Seele)
aus seiner Philosophie zu eliminieren.
Besonders aufschlußreich ist Sloterdijks Aussage, daß
man Heideggers frühes Werk als die Magna Charta einer
nie zuvor versuchten Onto-Klimatologie und die Arbeit
von Hermann Schmitz als den partiell gelungenen Versuch, Heideggers
(und Bollnows) Vorgaben zu überbieten, ansehen könne
(Vgl. Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999, S.
146 [auch in der Tabelle rechts zu lesen]). Zu Heideggers Magna
Charta gehört aber auch einiges aus Heideggers mittlerem
Werk und auch späterem Werk, z.B. dasjenige aus Heideggers
späterem Werk, das Sloterdijk ebenfalls berücksichtigt
hat:
Heidegger, dem die Phänomenologie
des Wohnens (zusammen mit seinen Nachfolgern Bollnow und Schmitz)
noch immer am meisten verdankt, hat den Zusammenhang zwischen
dem Wohnen und dem Warten auf Zeichen des Ungewöhnlichen
als Matrix der religiösen oder besinnlichen Rezeptivität
erläutert:
»Die Sterblichen
wohnen, insofern sie die Göttlichen als die Göttlichen
erwarten. Hoffend halten sie ihnen das Unverhoffte entgegen.
Sie warten der Winke ihrer Ankunft und verkennen nicht
die Zeichen ihres Fehls .... Im Unheil noch warten sie
des entzogenen Heils.« (Martin Heidegger, Bauen,
Wohnen, Denken, 1951, S. 145). |
In profanere Ausdrücke übersetzt (und unter Absehung
davon, daß man es mit Paraphrasen zu Hölderlins
poetischer Theologie zu tun hat), ergibt das die Aussage,
daß wohnende Menschen sich in einer Trivialität
einhausen, die es ihnen erst erlaubt, das Nicht-Triviale zu
unterscheiden. (Peter Sloterdijk, Sphären III
- Schäume, 2004, S. 516-517 [auch in der Tabelle
rechts zu lesen]). |
Sloterdijk sieht also in Bollnow und Schmitz Heideggers Nachfolger.
Sie bzw. uns eint die Phänomenologie, und zwar einerseits
die alte oder ältere und andererseits die neue, die sich darum
auch so nennt: Neue Phänomenologie.
Die Neue Phänomenologie
widmet sich der Aufgabe, die Abstraktionsbasis der Theorie-
und Bewertungsbildung tiefer in die unwillkürliche Lebenserfahrung
(**|**)
hineinzulegen. (Hermann F.-H. Schmitz, Der Leib,
der Raum und die Gefühle, 1998, S. 11 **). |
Es geht Schmitz mit seiner Neuen Phänomenologie also
primär um die unwillkürliche Lebenserfahrung, damit
er den Menschen das wirkliche Leben begreiflich machen kann:
Die
Neue Phänomenologie, die ich konzipiert und ausführlich
entwickelt habe, verfolgt die Aufgabe, den Menschen ihr wirkliches
Leben begreiflich zu machen, das heißt, nach Abräumung
geschichtlich geprägter Verkünstelungen die unwillkürliche
Lebenserfahrung zusammenhängender Besinnung wieder zugänglich
zu machen. Unwillkürliche Lebenserfahrung ist alles,
was Menschen merklich widerfährt, ohne daß sie
es sich absichtlich zurechtgelegt haben. Das Nachdenken der
Menschen ist heute durch vermeintliche Selbstverständlichkeiten
aus Konventionen und aus Hyopthesen, die im Dienst irgendwelcher
Konstruktionen stehen, dermaßen gefesselt, daß
die Freilegung der unwillkürlichen Lebenserfahrung umfangreicher
Anstrengungen bedarf; sie ist aber von großer Wichtigkeit,
weil sie zum Ausweg aus gefährlichen Verengungen und
Verstrickungen des menschlichen Selbst- und Weltverständnisses,
damit aber auch der Lebensführung, verhelfen kann.
(Hermann F.-H. Schmitz, Kurze Einführung in die Neue
Phänomenologie, 2009, S. 7 **). |
Wer will ernsthaft bestreiten, daß es die unwillkürliche
Lebenserfahrung gibt?
Heute haben es die abendländischen Menschen - andere gibt
es ja gar nicht mehr, denn heute ist eigentlich jeder Mensch mehr
oder weniger ein abendländischer Mensch - nötiger als
je zuvor, daß jemand ihnen ihr wirkliches
Leben begreiflich macht.
Seit etwa 1950, in der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ist das Brausen
der unkontrollierbaren, aber von Könnern manipulierbaren
Affekte kollektiv und individuell - abgesehen von einigen
Harmlosigkeiten wie Woodstock und andere Rockfestivals - abgeebbt
wie ein gewaltiger Sturm und einer entgegengesetzten Bedrohung
des affektiven Betroffenseins gewichen, einer vielleicht noch
gefährlicheren, die ebenso Grund genug ist, sich als
Philosoph auf deren Quellen zu besinnen. Es handelt sich um
eine eigentümliche Steifigkeit, die die Menschheit (zumindest
die europäische, aber überall wird Europa) heimgesucht
hat und sich immer weiter ausbreitet. Bis dahin konnten die
Menschen aus der Fülle ungeformter Möglichkeiten
schöpfen und schöpferisch (in diesem Sinn des Wortes)
neue Wege ausprobieren; es genügte, aus der Stadt aufs
Land zu gehen und in die weite Welt zu wandern wie der Wandervogel
in der Jugendbewegung nach 1900. Fortan ist das fruchtbare
Feld ungeformter Möglichkeiten verstellt durch eine von
der modernen Maschinentechnik (neuerdings besonders Elektronik)
ausgereizte Perfektion von Angeboten kurzfristiger Lebensführung,
gleich einem durch fortschreitende Verdichtung undurchsichtig
werdenden Schienensystem, in dem der Einzelne von Station
zu Station die Weichen stellen kann, scheinbar souverän
in der Auswahl, aber nicht mehr in der Gestaltung, also nicht
mehr schöpferisch im angegebenen Sinn. Dem kommt die
Kultur der coolen Wendigkeit in dem von Friedrich Schlegel
im Anschluß an Fichte eingeleiteten ironistischen Zeitalter
zugute; sie bricht den Menschen das Rückgrat konsequenten
eigenen Wollens und versetzt sie auf das Niveau spielender
Kinder, die ihren Launen nachgehen dürfen. Die Menschen
sind wie Puppen in einem Maschinenpark, in dem sie einige
Hebel stellen können, durch die sie kurzfristig Herren
ihres Weges werden, indem sie sich langfristig der Herrschaft
der Maschinen ausliefern und den Schein augenblicklicher Souveränität
mit der Unterwerfung unter den übermächtigen Betrieb
der vernetzten Angebote bezahlen. Die Lebendigkeit des affektiven
Betroffenseins verliert auf diese Weise den großen Schwung,
den langen Atem; das Pathos, auch das unaufgeregte, wird zur
Laune. Unter dem Scheinleben puppig versteifter Menschen muß
ihr wirkliches Leben, ihre Ergreifbarkeit und die daraus allein
sich ergebende Möglichkeit schöpferischen Gestaltens
noch ungeformter Möglichkeiten, geweckt und, da Propheten
unter Ironisten keine Macht mehr haben, wenigstens durch begreifende
Besinnung dem Bewußtsein der Menschen wieder nahegebracht
werden. Deswegen konnte ich, wenn auch mit umgekehrter Frontstellung,
mit demselben Impuls meiner Absicht treu bleiben, den Menschen
ihr wirkliches Leben begreiflich zu machen.
(Hermann F.-H. Schmitz, Ausgrabungen zum wirklichen Leben,
2016, S. 26-27 **). |
Ironistisches Zeitalter? Ja. Schmitz unterteilt es in drei
Stadien: (1) Romantische Ironie (**);
(2) Dandytum (**);
Coolneß (**).
Von der unwillkürlichen Lebenserfahrung
bis zu den Gefühlen (**),
die meistens in Situationen (**|**|**|**|**|**),
die zum Mannigfaltigen (**)
gehören, befangen sind (**),
ist es phänomenologisch nicht weit. Und wer will ernsthaft
bestreiten, daß es z.B die Mannigfaltigkeit vom spältigen,
vom zwie- oder vielspältigen Typ gibt?
Ich bin jetzt ein Greis;
ich war ein Baby; ich war ein Knabe; ich war ein Jüngling;
ich war ein Mann in gereiften Jahren. Wenn man jetzt fragt
,Wer ist denn dieser Hermann Schmitz eigentlich?,
und man sagt ,Das ist einfach ein Greis und weiter nichts,
wäre das doch ganz falsch. Es sind doch ganz verschiedene
Individuen, die um Identität mit mir konkurrieren. Da
ist der kleine Junge, das Hermännchen, das mit Gisela
und Puhts und mit meiner Schwester Isabella gespielt hat,
viel kleiner als die drei Mädchen, und dann ist jetzt
der Greis daraus geworden, es sind dazwischen ganz viele Zwischenstadien,
verschiedene Individuen. Wer bin ich? Diese Individuen
konkurrieren um Identität mit mir. Das ist eine Mannigfaltigkeit
vom spältigen, vom zwie- oder vielspältigen Typ.
(Hermann F.-H. Schmitz, Der Leib, der Raum und die Gefühle,
1998, S. 11 **). |
Ebenso ist es phänomenologisch nicht weit von dem Gefühlsraum
(**),
der trotz Flächenlosigkeit (**|**|**)
dreischichtig ist (**),
bis zu der leiblichen Sprache, der leiblichen Kommunkation
(**),
bis zu dem Leibesraum (**|**|**).
All das ist seit dem 5. vorchristlichen Jahrhundert vergessen worden,
der Leibvergessenheit (**)
zum Opfer gefallen. Dabei stehen mit all dem und noch viel mehr
auch die Subjektivität (**|**),
die zu den Tatsachen des affektiven Betroffenseins (**[**|**|**|**|**])
gehörenden subjektiven Tatsachen (**|**|**|**),
die subjektive Tatsächlichkeit (**)
in Verbindung. Bezüglich der Entwicklung heißt es bei
Schmitz Reifung (**|**).
Sie beginnt beim Präpersonalen (**|**)
in der primitiven Gegenwart (**|**|**|**),
in der die fünf Hauptdimenisonen / Momente HIER,
JETZT, SEIN, DIESES, ICH
(**|**|**|**|**|**)
verschmolzen sind, und hat das Personale
(**|**)
zum Ziel, ist also eine Personwerdung (**).
Gemäß der phänomenologischen Theorie der Personalität
(**|**)
ist die Person dann mit ihrer leiblichen Dynamik durch personale
Emanzipation und personale Regression (**|**|**|**)
verbunden. Das spezifisches Merkmal der Person ist die Selbstzuschreibung
(**|**|**)
Der erst nur absolut identische
Bewußthaber des Lebens aus primitiver Gegenwart wird
zum einzelnen Subjekt durch Selbstzuschreibung, sich als Fall
von Gattungen aufzufassen, und damit zur Person, d.h. zum
Bewußthaber mit Fähigkeit zur Selbstzuschreibung.
(Hermann F.-H. Schmitz, Das Reich der Normen, 2016,
S. 20 **). |
Selbstzuschreibung ist ohne Sprache nicht möglich. Wiederum
ist also die Sprache grundlegend, und zwar die Sprache i.e.S.,
die linguistische Sprache, die Sprache der Personen, die auch die
Grundlage bildet für die menschliche, also personale
Sprache i.w.S., wozu u.a. auch der personale Wisssensbereich
zu fast 100% gehört (**).
Jede Wissenschaftsdisziplin ist auf Sprache angewiesen, und zwar
zuerst und zuletzt auf die Sprache i.e.S., der theoretische
Wissenschaftsbereich sowieso, der dabei die Sprache i.w.S.
erweitert, und der empirische Wissenschaftsbereich ebenso, zusätzlich
aber auch auf die vorpersonale Sprache, und die ist aus Sicht
der Sprache i.e.S. eine Sprache i.w.S., obwohl diese
stammesgeschichtlich und individualgeschichichtlich vor der Sprache
i.e.S., aber aus der Richtung der Meteganese gesehen jedoch
hinter der Sprache i.e.S. befindlich ist.
Für Hermann Schmitz ist Philosophie das Sichbesinnen
des Menschen auf sein Sichfinden in seiner Umgebung
(**).
Die Umgebung wird am Leib erfahren und ist ein Raum. Der Leib befindet
sich also in einem Raum (vergleichbar mit Heidegegrs In-Sein
[**],
aus dem dieser das In-der-Welt-Sein [**]
abgeleitet hatte). Person (**)
ist Schmitz zufolge der Mensch, sofern er das Präpersonale
(**)
hinter sich hat (allerdings nicht für immer, denn trotz bzw.
wegen seiner personalen Emanzipation (**|**|**)
ist er zur personalen Regression (**|**|**)
geradezu genötigt, die primitive Gegenwart (**)
und damit das Präpersonale wieder aufzusuchen). Präpersonen
menschliche Säuglinge, Föten, Embryonen, Morulen und alle
Tiere.
Philosophie sollte sich von Wissenschaft, speziell der Naturwissenschaft
wesentlich unterscheiden. Also sollte sie sie schon gar nicht nachahmen.
Und was sollte die Phänomenologie als Diziplin der Philosophe
tun oder als letztes tun? Die letzten (abstraktesten, rein
formalen) Wesensallgemeinheiten bilden eine Region für sich,
deren Erforschung die letzte Aufgabe der Phänomenologie ist:
die Herstellung einer Mathesis universalis, die Logik, Mathematik,
Mengen- und Beziehungslehre in sich faßt und der Wissenschaft
den Weg zu den Sachen selbst bahnen soll. Die Phänomenologie
Husserls ist eine der vier großen, die Philosophie der Gegenwart
bestimmenden Strömungen (neben Lebensphilosophie,
Existenzphilosophie,
Ontologie).
(Georgi Schischkoff, Philosophisches Wörterbuch, 1961,
S. 999). Alte Phänomenologie ist die Phänomenologie,
die bis zu der Zeit galt, als Hermann Schmitz mit seiner
Phänomenologie anfing. Neue Phänomenologie
heißt sie.
Es bleibt immer die Frage:
Was soll ich denn davon halten? Und diese Frage ist
die eigentlich philosophische Frage. Inwiefern ist das
irgendwie für mich verbindlich, was mir zugetragen wird?
Es ist also die Frage der Selbstbesinnung, die aus einer gewissen
Beirrung hervorgeht, daß man das nicht als das Selbstverständliche
empfindet, was auf einen zukommt, was einem zugemutet wird,
daß man sich fragt: Was soll ich davon halten,
und wie stehe ich dazu - sowohl in der Theorie wie
auch in der Praxis?. Und diese Frage kann überhaupt
nicht von einer bloß gegenstandsbezogenen, bloß
objektivierenden Wissenschaft geprüft werden. Zwar sucht
die Philosophie, wenn sie wissenschaftlich wird, nach objektiven
Tatsachen, aber im Hinblick auf subjektive Probleme, diese
subjektiven Probleme: Was soll ich damit anfangen?
Wie soll ich mich dazu stellen? .... Man muß
einfach erst überhaupt einen Standpunkt finden im Zurückgehen
auf das, was man selbst gelten lassen muß. Man muß
also anfangen bei einer durchschnittlichen Lebenserfahrung
oder bei durchschnittlichen Informationen und muß sich
herantasten an einen festen Standpunkt durch die Prüfung
aller dieser Zumutungen an der Frage Was muß ich
gelten lassen?. Und da kommt man letzten Endes auf irgendwelche
eigenen Erfahrungen, die dann auch erst den Rahmen vorgeben,
die der Umgebung erst einen solchen Umriß geben, daß
man sagen kann: An diesen Rahmen kann ich mich halten.
(Hermann F.-H. Schmitz, Kurze Einführung in die Neue
Phänomenologie, 2009, S. 7 **). |
Wer will ernsthaft bestreiten, daß es gut ist, wenn es für
den Menschen eine Kontrolle darüber gibt, was er gelten lassen
muß?
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Es ist eine generelle Schwäche
der Kantischen Erkenntnistheorie, daß sie nicht zwischen lebensweltlicher
Errfahrung und wissenschaftlicher Erfahrung unterscheidet. Da sie
letzten Endes auf die Begründung wissenschaftlicher Erfahrung,
speziell der Physik, abzielt, aber beständig mit Beispielen
aus der Alltagserfahrung arbeitet, und da Kant immer von »Erfahrung
überhaupt« redet, wird der Eindruch erweckt, als existiere
dieser Unterschied überhaupt nicht. Diese Täuschung darüber,
was seine Theorie überhaupt leistet, hängt auch zusammen
mit Kants Irrtum, daß subjektive Erfahrung nicht allgemein
sein könne bzw. das Wahrnehmungsurteile nur Urteile über
die eigenen Empfindungen seien. Daß außerhalb der Wissenschaft
durchaus bündige Gegenstandserkenntnis und allgemeingültiges
Wissen erreichbar ist, wird dadurch vernebelt, daß dieser
ganze Bereich scheinbar unter dem Titel »objektive Erkenntnis«
subsumiert ist, was aber gleichwohl nicht zutrifft, weil objektive
Erkenntnis bei Kant nach den Maßstäben wissenschaftlicher
Erkenntnis zugeschnitten ist. Dadurch bleibt unterhalb der Schwelle
objektiver Erkenntnis kein Raum mehr für andere Wissensformen,
alles vermischt sich im unbestimmten Bereich von subjektiver Wahrnehmung,
Sinnestäuschung, Halluzinationen, Traum, Fantasie. - So kann
nur ex negativo angedeutet werden, was durch Kant aus dem Bereich
zugelassenen Wissens abgedrängt wird. Gehen wir kurz die Anschauungsformen
und Kategorien durch: Raum und Zeit sind nach Kant reine Medien
des Nebeneinander bzw. Nacheinander. Beim Raum entfällt also
für den Zusammenhang objektiver Erkenntnis: die Erfahrunng
der Anisotropie des Raumes, der Unterschied von Naheraum und Ferneraum,
von Enge und Weite; bei der Zeit, die Periodisierung, die Dehnung
und Verengung, der Unterschied von Gegenwart, Vergangenheit und
Zukunft. Alle Anschauungen sind extensive Größen, das
durch die Empfindung gegebene Reale kann nur durch den Grad der
Intensität gedacht werden: Damit entfällt die Erfahrung
von Gestalten, von räumlichen Konfigurationen. Von den Qualitäten
geht für die objektive Erfahrung ihre Polarität verloren,
Intensitäten können nicht als Steigrungstendenzen, sondern
bloß noch als faktische Grade in die Erkenntnis eingehen.
Gegenstände müssen nach dem Schema von Substanz und Akzidens
gedacht werden. Das bedeutet, daß der Wechsel in der Erscheinung
als Wechsel von Eigenschaften an bleibenden Substanzen gedacht werden
muß - die Erfahrung von Veränderungen durch Wechsel des
Substrats für bleibende Strukturen fällt heraus. Gegenstände
wie Atmosphären, Halbdinge (s. Hermann Schmitz, System der
Philosophie, Band III, Teil 5: Die Wahrnehmung, 1978)
wie ein Wind oder ein Blick, die doch so deutliche artikulierbare
Erfahrungen mit sich bringen, können nicht Thema sein. Gesetzeszusammenhänge
können nur nach dem Schema der Kausalität gedacht werden.
d.h. Zweckbezüge müssen entsprechend umgedeutet werden,
Strukturzusammenhänge oder symbolische Zusammenhänge oder
gar Analogien gehören nicht in den Bereich der Erkenntnis.
Schließlich wird als objektiv nur anerkannt, was in durchgängiger
Beziehung von Wechselwirkung ist, d.h. also in den Zusammenhang
einer Zeit bzw. eines Erfahrungskontextes gebracht
werden kann. Die Erfahrung von Ungleichzeitigkeit, die Vielfat der
»Welten«, in der wir gleichwohl leben müssen, verfällt
dem kruden Bereich bloßer Subjektivität. (Gernot
Böhme, Alternativen der Wissenschaft, 1980, S. 71-73).
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Über den Begriff Ortsraum und
seine konstitutive Rolle in der neuzeitlichen Weltvorstellung vgl.
Sphären II, 8. Kapitel, Die letzte Kugel ..., dort
auch die nötigen Hinweise auf die Explikation des Begriffs im
»System der Philosophie« von Hermann Schmitz. (Peter
Sloterdijk, Sphären I - Blasen, 1998, S. 137).
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Immerhin sind atmosphärische
»Phänomene« als solche für die ästhetische
Theorie, für die Neu-Phänomenologie und die Theologie
in jüngster Zeit interessant geworden, besonders unter Heideggers
Anregung, zuweilen sogar mit grundbegrifflichen Ansprüchen
- was wohl als Zeichen einer punktuellen Öffnung zu lesen ist.
(Hermann Schmitz hat in § 149 seines Systems der Philosophie,
Dritter Band, Zweiter Teil, Der Gefühlsraum, 1969, S.
98 f., eine eindrucklsvolle Deutung der »Gefühle als
Atmosphären« vorgelegt. Unter seinen Anregungen entwickelt
Gernot Böhme in seinem Buch Atmosphäre - Essays zur
neuen Ästhetik, 1995, ein Konzept von ästhetischer
Tätigkeit als Atmosphärenproduktion; Varianten hierzu
bietet ders., Anmutungen - Über das Atmosphärische,
1998. Vgl. daneben auch Michael Hauskeller, Atmosphären
erleben - Philosophische Untersuchungen zur Sinneswahrnehumng,
1995; Reinhard Knoth, Atmosphären - Über einen vergessenen
Gegenstand des guten Geschmacks, in: R. K., Ästhetische
Korrespondenten - Denken im technischen Raum, 1994.
Als Link zwischen den Heideggerschen und den Schmitzschen
Raum- und Atmosphärentheorien vermittelt unverwüstlich
Otto Friedrich Bollnow, Mensch und Raum, 1963, besonders
die Kapitel »Der gemeinsame Raum«, »Der
präsentische Raum«, »Der Raum des menschlichen
Zusammenlebens, S. 229-270.« Für
eine theologische Atmosphärologie hat Hermann Timm in seinem
Buch Das Weltquadrat - Eine religiöse Kosmologie, 1985,
einen paradigmatishen Versuch vorgelegt.) Mit
Recht hat die moderne Philosophie - besonders die Fundamentalontologie
-, als sie anfing, nach ihrem zweitausendjährigen Exil im Übersinnlichen,
wieder im In-der-Welt-Sein Grund zu fassen, die Stimmung als die
erste Öffnung des Daseins zum Wie und Worin der Welt beschrieben.
Man könnte Heideggers frühes Werk als die Magna Charta
einer nie zuvor versuchten Onto-Klimatologie ansehen. (Und die Arbeit
von Hermann Schmitz als den partiell gelungenen Versuch, Heideggers
(und Bollnows) Vorgaben zu überbieten.) Es läßt
sich plausibel machen, warum die Entfaltung von Heideggers Anregungen
in der Phänomenologie der Stimmungen und in der Existentialpsychiatrie
zu den fruchtbarsten Aspekten seiner Wirkung gehört.
(Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999, S. 146).
Globuszeit.
Auch für die extraterrestrischen Dimensionen wird ... festgeschrieben,
was für die Erde seit der Kolumbusfahrt wahr geworden war:
Im umrundeten Raum gelten alle Punkte gleich viel. Durch die Neutralisierung
erfährt das Raumdenken in der Neuzeit einen radikalen Sinnwandel.
Das traditionelle »Leben, Weben und Sein« in regionalen
Orientierungen, Strebungen und Attraktionen wird überflügelt
von einem System der Lokalisierung von beliebigen Ortspunkten in
einem homogenen Vorstellungsraum. (Vgl. hierzu die phänomenologischen
Klärungen von Hermann Schmitz in seinem System der Philosophie,
Dritter Band, Der Raum, Erster Teil, Der leibliche Raum,
1967, § 119, Der Richtungsraum (sowie §§ 219-231),
und § 120, Der Ortsraum (sowie §§ 132-135).)
Wo das moderne, ortsräumliche Denken mit seinem neutralisierenden
und homogenisierenden Zugriff auf beliebige Punkte der Erdoberfläche
die Oberhand gewinnt, dort können die Menschen nicht mehr in
ihren traditionellen Weltinnenräumen und deren phantasmatsichen
Ausdehnungen und Arrondierungen zu Hause bleiben. (Peter Sloterdijk,
Sphären II - Globen, 1999, S. 819-820).
Nachdem die portugiesischen Seefahrer
von der Mitte des 15. Jahrhunderts an die magischen Hemmungen durchbrochen
hatten, die den Blick nach Westen an den Säulen des Herkules
aufhielten, gab die Kolumbusfahrt endgültig das Signal für
die »Desorientierung« der europäischen Interessen.
Nur diese revolutionäre Ent-Ostung konnte den neu-indischen
Doppelkontinent, der Amerika heißen sollte, zum Auftauchen
bringen, und ihr allein ist es zuzuschreiben, daß seit einem
halben Jahrtausend die Prozesse der Globalisierung ihrem kulturellem
und topologischem Sinn nach auch immer »Westung« und
Verwestlichung bedeuten. Warum dies nicht anders sein konnte, hat
der Initiator der Neuen Phänomenologie, Hermann Schmitz, in
den raumphilosophischen Ausführungen seines »Systems
der Philosophie« mit glücklicher Pointierung auf den
Begriff gebracht. Über Kolumbus heißt es dort:
»Im Westen entdeckte
er für die Menschheit Amerika und damit den Raum als Ortsraum.
Diese absichtlich überspitzte Formulierung soll besagen,
daß Kolumbus - und später der Weltumsegler Magellan
als Vollstrecker seiner Initiative - durch ihre Erfolge auf
der Westroute eine chocartige Umwälzung der menschlichen
Raumvorstellung erzwangen, die m.E. den Eintritt in die spezifisch
neuzeitliche Bewußtseinsweise tiefer als irgendein anderer
Übergang markiert.« (Hermann Schmitz, System der
Philosophie, Dritter Band, Der Raum). |
Die Wendung nach Westen induziert die Geometrisierung
des europäischen Verhaltens in einem globalisierten Ortsraum.
Auch die summarischste Darstellung der noch weithin unerschlossenen
Erdzonen folgt darum von Anfang an dem neuen methodischne Ideal: dem
einer gleichmäßigen Erfassung aller Punkte auf der Oberfläche
des Planeten unter dem Aspekt ihrer Erreichbarkeit für europäische
(und das heißt zunächst iberische) Interessen und Operationen
.... (Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999,
S. 833-834).
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Zwischen symbolischen Operationen
und Wahrnehmungsakten klafft ein Graben, den man im allgemeinen
unbemerkt überwindet, weil er von der alltäglichen Sprachroutine
zugeschüttet wird. Die einfachste Meditation, die elementarste
Sensibilisierungsübung bringt zu Bewußtsein, daß
zwischen der sinnlichen Gewißheit - besser gesagt zwischen
der »primitiven Gegenwart«, ein Ausdruck, der sich bei
dem Neu-Phänomenologen Hermann Schmitz findet - auf der einen
Seite und den symbolischen Operationen, die wir in Sätzen ausführen,
auf der anderen kein Kontinuum besteht. (Peter Sloterdijk,
Sphären III - Die Sonne und der Tod, 2001, S. 523).
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Wenn Modernität an Ernst-Verschiebungen
erkannt wird: Wie steht es um die andere Seite der Gleichung von
Träumen und Schäumen? Wie ernst hat das 20. Jahrhundert
den Schaum zu nehmen verstanden? Welchen Stellenwert hat es der
»Luft an unerwarteter Stelle« beigemessen? In welcher
Weise hat es an der Rehabilitation dieses Flüchtigen, des dem
Zerfall Gewidmeten, gearbeitet? Mit welchen Mitteln hat es den selbstbezüglichen
Hohlräumen, den von Eigenwerten erfüllten Binnensphären,
den atembaren Interieurs und den klimatischen Tatsachen gerecht
zu werden versucht? Die adäquate Beantwortung dieser Fragen,
sollte sie in unserer Zeit schon möglich sein, ergäbe
eine Synopse der Modernisierung. Sie beschriebe ein weitläufiges
Zulassungsverfahren für das Zufällige, Momentane, Vage,
Vergängliche und Atmosphärische - ein Verfahren, an dem
die Künste, die Theorien und die experimentellen Lebensformen
mit jeweils eigenen Einsätzen beteiligt sind. Zu seinen Ergebnissen
zählt eine grundlegend neue, postheroische Abfassung des Dekorum
- des Regelwerks, nach dem die Kulturen im ganzen geeicht sind.
Wer eine umfassende Nacherzählung dieser Vorgänge unternehmen
wollte, müßte von den Intentionen eines nicht verfälschten
Nietzsche ebenso reden wie von der Entfaltung des Husserlschen Impulses;
vom Perspektivismus um 1900 wie von der Chaostheorie um 2000; von
der Promotion des Surrealen zu einer eigensinnigen Sektion des Realen
ebenso wie von der Erhebung des Atmosphärischen zur Theoriewürde,
von der Mathematisierung des Unscharfen wie von der begrifflichen
Durchdringung der gekerbten Strukturen und der unregelmäßigen
Mengen. (Zum Dekorum: vgl. Heiner Mühlmann, Die Natur der
Kulturen, 1996; zur Erhebung des Atmosphärischen zur Theoriewürde,
insbesondere im Werk des Begründers der Neu-Phänomenologie
Hermann Schmitz, vgl. u.a. ders., Leib und Gefühl - Materialien
zu einer philosophischen Therapeutik, 1989, S. 135 f.; zur Mathematisierung
des Unscharfen vgl. Bart Kasko, Die Zukunft ist fuzzy - Unscharfe
Logik verändert die Welt, 2001; zu den unregelmäßigen
Mengen vgl. Gilles Deleuze / Felix Guattari, Milles plateaux,
1980.) (Peter Sloterdijk, Sphären III - Schäume,
2004, S. 34-35).
Man darf bezweifeln, ob Heideggers
evokative Rede vom »Wohnen« des Menschen in einer sie
ermöglichenden und berufenden »Gegend« das letzte
Wort in Fragen der unter Explikationszwang geratenen Existenz und
ihres Selbstgestaltungsauftrags bleiben kann. Als der Philosoph
das besonnene Sichaufhalten in der »Gegend« lobte, sprang
er etwas zu schnell (oder auch nicht! HB)
voraus zu dem Ideal eines wiedergutzumachenden, alt- und neu-implizierenden
Raums. »Gegend« lautet bei ihm der Name des Bereichs,
an dem noch ein authentisches Dasein gelingen könnte. Von ihm
wäre nicht leicht zu sagen, wie man zu ihm gelangt, hielte
man sich nicht bereits an ihm auf. Es müßte ein Ort sein,
über den die Explikation hinweggegangen ist, als gelte sie
nur anderswo; ein Ort, der zwar vom kalten Wind des Außen,
dem Standortrisiko Modernisierung, berührt worden und gleichwohl
Heimat geblieben wäre. Seine Bewohner wüßten, daß
die Wüste wächst, und dürften sich doch, gerade dort,
wo sie sind, einer wundersam immunisierenden »Weite und Weile«
(Martin Heidegger, Zur Erörterung der Gelassenheit - Aus
einem Feldweggespräch über das Denken, 1944-45,
in Gesammelte Werke, 13, S. 47) verpflichtet fühlen.
Man mag da von hoher Idylle reden. Dem Wort von der »Gegend«
kann man gleichwohl, bei all seiner Vorläufigkeit und seinen
provinziellen Konnotaionen zum Trotz eine hinweisende Kraft auf
die therapeutische Dimension in der Raumbildungskunst nicht absprechen.
(Am possitiven Gehalt des Begriffs »Wohnen« hat Hermann
Schmitz in seiner Doktrin von den »einbettenden Situationen«
angeknüpft; vgl Hermann Schmitz, Adolf Hitler in der Geschichte,
1999.) (Peter Sloterdijk, Sphären III - Schäume,
2004, S. 145-146).
Die Natur, könnte man unter ...
Vorbehalt sagen, ist eine Autorin, die im Selbstverlag publiziert
(wobei sie wohl auf ein menschliches Lektorat angewiesen ist). Begreiflicherweise
steht diese Auslegung des Wahrheitsgeschehens im Gegensatz zur dualistischen
Dogmatik des von Platon und anderen Nachsokratikern inaugurierten
metaphysischen Weltalters und seiner technisch-wirtschaftlichen
Erben, für deren Betrachtung die Natur - alias das Seiende
im ganzen - als Block aus stummen, sinnfreien, zeichenfernen Dinglichkeiten
vorliegt. Es wäre aus dieser Sicht allein der menschliche Geist,
der im Besitz seines Monopols auf Sprache, Sinngebung und Interesse
an die nichtentgegenkommende Naturmasse wie von außen heranträte
und sie zwänge, ihre Geheimnisse preiszugeben. Die tragische
Ironie dieser Fehlauslegung von Naturerkenntnis durch die Metaphysik
sowie ihre Fortsetzer in den modernen Naturwissenschaften und Technologien
besteht nun Heidegger zufolge darin, daß ihre extrem reduktionistischen,
das Wahrheitsgeschehen entstellenden und verarmenden Begriffe so
erfolgreich waren, daß sie im Modus einer sich selbst wahrmachenden
Prophezeiung über mehr als zweitausend Jahre hin für die
europäische Rationalitätskultur bestimmend wurden. Dieser
Zeitraum wäre daher ausdehnungsgleich mit der Ära der
Seinsvergessenheit. Man erinnere sich, daß eine verwandte
Sicht der Dinge mit dem Satz: »Das Ganze ist das Unwahre«
ausgesprochen wurde - was historisch gewendet bedeutet: Auch das
Unwahre hat schon ein Altertum. Wer dessen Anfänge fassen will,
um vor sie in unverzerrte Zustände zurückzugehen, muß
sich mit Platons Verformelung der Wahrheit zur »Idee«
oder noch früher mit Demokrits Aufspaltung der menschlichen
Realität in Körper und Seele befassen. Fehlbeschreibungen
dieser Größenordnung gehen, wie Heidegger sah, über
die Bezeichnungskraft des gewöhnlichen Irrtumsbegriffs hinaus;
sie zwingen den Betrachter, zu Ausdrücken wie »Geschick«,
vielleicht sogar »Verhängnis« zu greifen. (Vgl.
Ernst Tugendhat, Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger,
1967: diese Arbeit, die hinsichtlich Heideggers zu einem negativen
Ergebnis kommt, bietet ein anschauliches Beispiel dafür, wie
die Rituale der Gründlichkeit dazu dienen können, die
bessere Einsicht durch die schlechtere zu verhindern. - In
adäquater Weise hat Hermann Schmitz aus kritischer Nähe
zu Husserl und Heidegger die allzu massive These von »Seinsvergessenheit«
in eine diskrete Liste von fundamentalen »Verfehlungen«
des abendländischen Geistes umformuliert [interessanterweise
auch in »Leibvergesseneheit«! HB]; er kommt dabei
(anders als Husserl, der in seiner »Krisis«-Schrift
zwei Großfehlentwicklungen, den transzendentalen Subjektivismus
und den objektiven Physikalismus, benannte [aber
anfangs auch und besonders, noch deutlicher: den Psychologismus!
HB]) auf die Zahl vier: die psychologistisch-reduktionistische,
die dynamistische, die ironistische, die autistische Verfehlung.
Für jede skizziert der Autor eine kulturtherapeutische Korrektur
aus dem Geist der erneuerten Phänomenologie.) (Peter
Sloterdijk, Sphären III - Schäume, 2004, S. 223-226).
Der Prozeß der Moderne richtet
seine explizitmachende Gewalt auch auf das Grundverhältnis
des In-der-Welt-Seins, das Wohnen, das jetzt als die ursprünglich
isolierende Tätigkeit des Menschen zu gelten hat - oder, um
die Formel des Phänomenologen Hermann Schmitz zu zitieren,
als »Kultur der Gefühle im umfriedeten Raum«.
(Peter Sloterdijk, Sphären III - Schäume, 2004,
S. 316).
Heidegger, dem die Phänomenologie
des Wohnens (zusammen mit seinen Nachfolgern Bollnow und Schmitz)
noch immer am meisten verdankt, hat den Zusammenhang zwischen dem
Wohnen und dem Warten auf Zeichen des Ungewöhnlichen als Matrix
der religiösen oder besinnlichen Rezeptivität erläutert:
»Die Sterblichen wohnen,
insofern sie die Göttlichen als die Göttlichen erwarten.
Hoffend halten sie ihnen das Unverhoffte entgegen. Sie warten
der Winke ihrer Ankunft und verkennen nicht die Zeichen ihres
Fehls .... Im Unheil noch warten sie des entzogenen Heils.«
(Martin Heidegger, Bauen, Wohnen, Denken, 1951, S. 145). |
In profanere Ausdrücke übersetzt
(und unter Absehung davon, daß man es mit Paraphrasen zu Hölderlins
poetischer Theologie zu tun hat), ergibt das die Aussage, daß
wohnende Menschen sich in einer Trivialität einhausen, die es
ihnen erst erlaubt, das Nicht-Triviale zu unterscheiden. (Peter
Sloterdijk, Sphären III - Schäume, 2004, S. 516-517).
Die Untersuchung des menschlichen
Aufenthaltswesens kann einen analytisch befriedigenden und hinreichend
befremdlichen Grad an Ausdrücklichkeit erst erreichen, wenn
sie zu einer Analytik der einbettenden Situation vorangetreiben
wird - ein Unternehmen, zu dem, neben den singulären Vorstößen
des jungen Heidegger, die Refexionen Paul Valerys über das
Wesen der Baukunst als Immersions-Modulierung aus dem Jahr 1921
unseres Wissens am meisten beigetragen haben, vergleichbar nur mit
den viel späteren Versuchen von Hermann Schmitz zur Neubegründung
eine phänomenologischen Situationismus .... (Peter Sloterdijk,
Sphären III - Schäume, 2004, S. 523).
|
 |
Für die frühen Modernen
setzt die Hingabe an die geistige Sphäre noch immer die Verweigerung
der Teilnahme am profanen Betrieb voraus. Und doch geraten sie, die
Proto-Virtuosen, schwankend zwischen den älteren Mönchsklausen
und den neueren Studios der Humanisten, in eine gesteigerte Lerndynamik.
Sie werden von einer Drift in die Selbstintensivierung erfaßt,
die mit den herkömmlichen monastischen Entselbstungsdressuren
nur noch eine widersprüchliche Einheit bildet. Aus diesen Intensivierungen
resultieren Tendenzen einer bedingten Teilhabe der Spirituellen an
der Welt. Unter modifizierter Verwendung des Ausdrucks des Neu-Phänomenologen
Hermann Schmitz bezeichne ich diese Rückwendung als »Wiedereinbettung«
des ausgegrenzten Subjekts. Dank erster Einbettung nehmen Individuen
unmittelbar an ihren Situationen teil. durch Wiedereinbettung finden
sie nach Phasen der Entfremdung in sie zurück. Wer das Eintauchen
in die Situation bejaht, ist auf dem Weg, zu werden, was Goethe in
eigener Sache gelegentlich »das Weltkind in der Mitten«
nannte. (Peter Sloterdijk, Du mußt dein Leben ändern, 2009, S. 510). |
Ich unterteile die Sprache in Sprache i.w.S. (im weiteren und weistesten
Sinne) einerseits und Sprache i.e.S. (im engeren und engsten Sinne) andererseits
(**).
Die Sprache i.e.S. kann nur von denen benutzt werden, die Schmitz Personen
(**)
nennt: nicht sprachbehinderte Menschen nach dem Säuglingsalter. Das,
was ich Sprache i.e.S. nenne, ist in etwa deckungsgleich mit dem, was
Schmitz die satzförmige Rede (**|**|**|**|**)
nennt, wobei er Sätze als Programme für Sprache
(**)
bestimmt, genauer sagt er über die Sätze einer Sprache, sie
seien Regeln für die redende Darstellung von Sachverhalten,
Programmen und/oder Problemen (**):
Tiere und Säuglinge sind
in Situationen mit binnendiffuser Bedeutsamkeit (aus nicht einzelnen
Bedeutungen, die Sachverhalte, Programme oder Probleme sind) gefangen.
Menschen überwinden als Personen (Bewußthaber mit Fähigkeit
zur Selbstzuschreibung) diese Gefangenschaft mit Hilfe ihrer satzförmigen
Rede, die den Sätzen einer Sprache (Regeln für die redende
Darstellung von Sachverhalten, Programmen und/oder Problemen) gehorcht.
In dieser Sprache, einer Situation, in der sie leben, sind die Menschen
beim Reden ebenso gefangen wie die Tiere in anderen Situationen,
aber sie benützen diese Gefangenschaft zur Explikation einzelner
Bedeutungen aus binnendiffuser Bedeutsamkeit. Das ist die spezifische
Funktion menschlicher, satzförmiger Rede, während die
kommunikative Leistung menschlicher und tierischer Rede gemeinsam
ist. Unter den explizierten Sachverhalten befinden sich Gattungen,
die Fälle haben können. Dadurch wird es möglich,
von den Bedeutungen her beliebige Sachen zu vereinzeln; denn Einzelheit
ist das Zusammentreffen von absoluter Identität mit dem Fallen
unter Gattungen. (**).
|
Die Sprache i.e.S. kann bruchstückhaft und nur auf dem Niveau der
Sprache i.w.S. (z.B. Tiersprache, Babysprache) auch von Präpersonalen
verstanden werden; sie kann nur dann aktivert werden, d.h. kann nur dann
verwendet werden, wenn die Verwender Personen im Schmitzschen Sinne
sind, und zu diesen zählen auch die noch kleinen Personen (Kinder
nach dem Säuglingsalter), wenn auch nur zu einem geringeren
Teil, zumal sie ja auch erst dabei sind, die Sprache zu erwerben. Personen
und Sprachen haben vieles gemeinsam, u.a. eben auch dies: sie werden nie
so richtig vollendet.
Vorsprachlich i.e.S. ist alles, was zeitlich vor dem
Erscheinen der Sprache i.e.S. liegt: und vorpersonal (präpersonal)
ist alles, was zeitlich vor dem Erscheinen des Personalen liegt.
Stammegeschichtlich bedeutet dies, daß es vor dem Erscheinen
der Sprache i.e.S. noch keine Person gegeben haben kann und umgekehrt,
daß es es vor dem Erscheinen der Person noch keine
Sprache i.e.S. gegeben haben kann. Wer oder was aber hat damit angefangen?
Was war voher da: die Sprache i.e.S. oder die Person? Wahrscheinlich haben
sich beide gegenseitig hochgeschaukelt. Schmitz zufolge ist
Sprache dem Menschen offenbar nicht angewachsen und auch nicht durch
Sprechen, wie Gang durch Gehen, erworben worden ..., weil die Sprache
als zuständliche Situation schon da sein muß, damit ihr sprechend
gehorcht werden kann. (**).
Eines scheint sicher zu sein: Ist die Sprache i.e.S. da, ist für
die Benutzer der Sprache i.e.S. alles andere nur noch bedingt durch die
Sprache i.e.S.. Es gibt also einen Sprachrelativismus, allerdings nur
einen solchen, der die Frage, ob etwas auch ohne die Bedingtheit durch
die Sprache i.e.S. existiert, einfach unbeantwortet läßt, ja
lassen muß, denn diese Frage ist nicht beantwortbar, weil die Sprache
i.e.S. ja nun schon da ist. Wir Personen als die Verwender der Sprache
i.e.S. müßten, um die Frage beantworten zu können, wieder
zu Wesen ohne Sprache i.e.S. werden, doch wenn wir wieder zu Wesen ohne
Sprache i.e.S. werden würden, würden wir die Frage nicht mehr
beantworten können.
Tiere, menschliche Säuglinge und ihre uterinen Vorfahren sind in
Situationen gefangen; sie sind präpersonal. Menschen nach
dem Säuglingsalter sind personal - also auch die, die noch nur schwache
Personalität aufweisen. Personen sind nicht in Situationen gefangen,
sondern in der Sprache i.e.S., und das hat ihnen den Spielraum verschafft,
der die Fähigkeit zur Beherschung der Situationen - bis hin zu der
der Weltsituation - bedeutet. Der Mensch als Person besitzt also dank
der Sprache i.e.S. die Fähigkeit, die Welt zu beherrschen. Daß
ihm dabei Fehler unterlaufen, gehört zur Natur dieser Sache. Die
Fähigkeit dazu hat er. Person in vollem Umfang wird er ohnehin nie.
Wie gesagt: Personen und Sprachen werden nie so richtig vollendet. Die
Vollendung der Person und die Vollendung der Sprache kann der Mensch nur
anstreben, nicht wirklich erreichen. Das Person-Sein bedeutet also
genau genommen ein ständiges Person-Werden. Und diese Personwerdung
schwankt so wie das Hin und Her zwischen der personalen Emanzipation
(**|**|**)
und der personalen Regression (**|**|**).
Der Mensch behält vorübergehend und teilweise bis zum Ende seines
Lebens also auch seine Präpersonalität bei. Er muß
sie beibehalten. Denn seine Reifung ist ja ein Prozeß der ständigen
Hin-und-her-Bewegung zwischen personaler Emanzipation (aus der primitiven
Gegenwart, den subjektiven Tatsachen heraus) und personaler Regression
(in die primitive Gegenwart, die subjektiven Tatsachen hinein). Die perosnale
Emanzipation steht für die Gewinnung des oben genannten Spielraums,
der Sprache i.e.S..
Das Wichtigste aus Schmitz
Werk |
Zwei Schienen in Schmitz Werk.
**
Zwei Schienen |
- 1 - |
|
- 2 - |
Systematische
Schiene |
Historische
Schiene |
(Beginn: 1958) |
(Beginn: 1985) |
Die systematische Schiene dient dazu,
mit scharfen, aber geschmeidigen Begriffen wie mit weit ausgespannten
Netzen der unwillkürlichen Lebenserfahrung immer näher
zu kommen, und hat vielleicht zwei Drittel oder
etwas mehr meiner Zeit und Kraft in Anspruch genommen.
** |
|
Die historische Schiene hat Schmitz bei den
heidnischen Griechen beginnen lassen, und zwar bei den frühesten,
was besonders wichtig gewesen ist und worauf Heidegger schon
mit Nachrduck hingewiesen hatte. Schmitz Ergebnis: Vier
Verfehlungen des abendländischen Geistes. ** |
|
Umfang:
2 Drittel oder etwas mehr von Schmitz Zeit und Kraft. ** |
Umfang:
1 Drittel oder etwas weniger von Schmitz Zeit und Kraft. ** |
Innerhalb der systematischen Schiene gibt es noch die von Schmitz
z.B. in seinem 2016 erschienen Buch Ausgrabungen zum wirklichen
Leben genannten vier Hauptlinien (**):
Schmitz hat in dem besagten Buch jeder der ausgewählten
vier Hauptlinien ... ein Kapitel (**),
somit diese vier Kapitel der systematischen Schiene und im Anschluß
daran der historischen Schiene ein Kaiptel gewidmet: Rückblick
auf das Abendland. Es dürfte dem Leser aber klar sein, daß
auch im Text die zwei Schienen stets zusammen das Gleis (Schmitz
Werk) bilden, also auch nicht durch Bücher oder Kapitel voneinnander
getrennt werden können und auch gar nicht sollen und sollten. Auch
hierfür läßt sich als Grund angeben, was in Schmitz
Werk z.B. über die primitive Gegenwart (**|**|**|**),
in der die fünf Hauptdimenisonen HIER,
JETZT, SEIN, DIESES, ICH (**|**|**|**|**|**|**|**)
verschmolzen sind, und die entfaltete Gegenwart (**|**|**),
über personale Emanzipation und personale Regression (**|**|**|**),
über die subjektiven Tatsachen (**|**|**|**)
und die subjektive Tatsächlichkeit (**)
zu lesen ist: daß nämlich Raum, Zeit, Sein, Identität,
Subjektivität als die fünf Hauptdimensionen in der primitiven
Gegenwart zusammen sind und es trotz personaler Emanzipation davon auch
in der entfalteten Gegenwart niemals möglich wird, sich davon völlig
zu lösen; daß folglich für eine Person auch das Geschichtliche
nicht völlig vom Rest getrennt werden kann, sondern beide zusammen
bleiben, und zwar in etwa so, wie die systematische und die historische
Schiene in Schmitz Werk. Also sind ebenfalls die oben genannten
vier Hauptlinien, obwohl sie dort als innerhalb der Systematischen Schien
befindlich angegeben sind, immer auch mit der historischen Schiene verbunden.
So heißt es z.B. im Kapitel Subjektivität nicht
zufällig:
Für das mit seiner seelischen Innenwelt
vermengte Subjekt ergab sich die Rätselfrage, wie es aus ihr
heraus zum Objekt kommt. Diese Nivellierung der Subjektivität
auf einen bloßen Positionsunterschied (wenn nicht gar Auflösung
in Atome) legte die Gegenfrage nahe: Wo bleibe ich selbst? Was kommt
zu dem, was ich an mir finde, dadurch hinzu, daß ich selbst
das bin (strikte Subjektivität).
Diese Frage stellte sich zuerst Johann Gottlieb Fichte. (»Ich
schreibe, es schreiben aber auch andere neben mir. Woher weiß
ich, daß mein Schreiben nicht das Schreiben eines anderen
ist?« »Mein Schmerz, nicht der deinige. Wo ist der Unterschied?«
) Er fand aber nicht die richtige Lösung, sondern flüchtete
sich zuerst in die Konstruktion eines absoluten Ich, das keine Tatsache
ist, sondern nur die Tathandlung, sich selbst zu setzen, und dann,
als diese Konstruktion wegen der Begrenzung durch das Nicht-Ich
unhaltbar wurde, in das Schweben der produktiven Einbildungskraft
zwischen den unvereinbaren Gegensätzen von Begrenztheit und
Unbegrenztheit, aufgeschraubt zum transzendentalen Zirkel. Dieses
Schweben wurde zur Dominante des abendländischen Denkens und
Lebensgefühls in der Folgezeit, in mehreren Dimensionen. Eine
davon ist die Angst, die Kierkegaard als den Höhenschwindel
des Schwebens über den eigenen Möglichkeiten deutete;
sie ist das Leitmotiv der Existenzphilosophie, die die strikte Subjektivität
hochhält, aber nicht zu verorten vermag. Einen geistreichen,
aber so nicht haltbaren Vorschlag zu deren ontologischer Verortung
machte Heidegger (Sein und Zeit: das Dasein, das bloß
seine Möglichkeiten ist und zu sein hat). Eine zweite Dimension,
heute die dominante, der unbeabsichtigten Fichte-Nachfolge, ist
die ironistische: die absolute Wendigkeit des Schwebens, sich jedem
Standpunkt entziehen und auf jeden versetzen zu können, beginnend
als romantische Ironie (Friedrich Schlegel), fortgeführt im
Dandytum des 19. Jahrhunderts, heute vulgarisiert zur Coolneß
und trivialisiert durch elektronische und andere Maschinen mit unzählbaren
Angeboten flüchtiger Wahlmöglichkeiten. Eine dritte Dimension
ist der Positivismus, der sich dem Schweben der strikten Subjektivität
durch deren Verleugnung entzieht und bloß noch Natur in Gestalt
vernetzter Daten im Sinne eines Physikalismus gelten läßt.
Alle diese Versuche, sich mit der strikten Subjektivität, nachdem
sie einmal zur Sprache gekommen ist, abzufinden, scheitern an einem
Mißverständnis der Tatsächlichkeit. Man läßt
nur objektive oder neutrale Tatsachen gelten, d. h. solche, die
jeder aussagen kann, sofern er genug weiß und gut genug sprechen
kann, und übersieht die volleren subjektiven Tatsachen des
affektiven Betroffenseins, die höchstens einer im eigenen Namen
aussagen kann. Wenn man sich überzeugt hat, daß es nicht
nur viele Tatsachen, sondern auch viele Tatsächlichkeiten gibt
und die für jemanden subjektiven Tatsachen der Sitz seiner
Subjektivität sind, braucht man nicht mehr die Weltspaltung
durch den scharfen Gegensatz von Subjekt und Objekt, Innenwelt und
Außenwelt, sondern das Verhältnis gleicht eher dem elastisch
(nicht automatisch) kommunizierender Röhren. Wittgenstein hat
gesagt, die Welt sei alles, was der Fall ist, nämlich das Bestehen
von Tatsachen. Er dachte aber nur an objektive Tatsachen. Wenn man
die subjektiven hinzunimmt, ändert sich die Perspektive der
Selbstbesinnung, und das Fichtesche Ich mit allen seinen Nachfolgern
(wie dem Dasein Heideggers) braucht nicht mehr zu schweben. An diesem
Unterschied hängt auch die Lösung des Freiheitsproblems,
woran alle Versuche seit Jahrtausenden unvermeidlich gescheitert
sind, weil sie die Freiheit in objektiven Tatsachen suchten. Davon
wird in diesem Zusammenhang die Rede sein. ** |
Hier hat Schmitz u.a. in Kürze die Geschichte der Fichte-Nachfolge
erzählt in einem Kapitel, das er nicht der historischen, sondern
der systematischen Schiene seines Werks gewidmet hat.
Vier Verfehlungen des abendländischen
Geistes. **
**
Hierzu heißt es bei Topowiki:
1) Die psychologistisch-reduktionistisch-introjektionistische
Verfehlung. **
** **
Die psychologistisch-reduktionistisch-introjektionistische
Verfehlung des abendländischen Geistes zersetzt die den Menschen
gemeinsamen Situationen in Konstellationen privater Innenwelten,
verleugnet die räumliche Ergossenheit leiblich ergreifender
Gefühle und verkennt mit dem Leib auch die leibliche Kommunikation
(**). Sie erzeugt dadurch die
autistische Verfehlung und schafft Boden für die dynamistische,
nämlich den Psychologismus als Voraussetzung für die Selbstbemächtigung
und den Reduktionismus als Voraussetzung für die Weltbemächtigung.
(S-AHG 37 [=> Quelle]).
Hier geht es um die Ausbildung eines
Innenraums, der dann Seele (später: Psyche;
HB) genannt wird und als Träger der menschlichen Emotionen
fungiert; diese Innenwelt leistet zugleich die Abwehr und Beherrschung
der auf den Menschen von außen eindringenden Anmutungen und
Zumutungen. (B-Fest80 25 [=> Quelle]).
Siehe auch: Psychologismus
(**), Reduktionismus
(**),
Introjektionismus
(**).
2) Die dynamistische Verfehlung.
Der Dynamismus führt zur Selbstbemächtigung
und Weltbemächtigung.
Die Selbstaneignung und Etablierung
einer inneren Herrschaftsinstanz und dann in der Folge um die Aneignung
und Beherrschung der Natur. (B-Fest80 25 [=> Quelle]).
In der Dialektik der Aufklärung
wird auf vergleichbare Weise die Dialektik von Naturbeherrschung
und Selbstbeherrschung als Motor eines fatalen Fortschritts aufgefaßt.
Schmitz spricht von Francis Bacon als dem Vollender der dynamistischen
Verfehlung des abendländischen Geistes. (Heubel 44 [=> Quelle]).
Dabei wird die Heilung der dynamistischen
Verfehlungen vorgezeichnet durch die Entdeckung, daß die Gegenwart
kein Punkt auf einer Zeitstrecke ist, sondern ein Spielraum, gleichsam
trichterförmig ausgespannt zwischen der primitiven Gegenwart
([**]
dem Urereignis der Abhebung aus der Ergossenheit in das Kontinuum
gleitender Dauer [**],
dem fünffach erweiterten Plötzlichen: Hier-Jetzt-Sein-Dieses-Ich
[**])
und der entfalteten Gegenwart (**),
die die Welt als Horizont des freien Dieses (**)
ist. (S-AHG 379 [=> Quelle]).
Die ostkirchliche Frömmigkeit bleibt
von der dynamistischen Verfehlung des abendländischen Geistes
verschont, weil sie weniger an die synoptischen als an die johanneischen
Schriften anknüpft und in starkem Maße ein Erbe des heidnischen
Neuplatonismus bewahrt. Verschont bleibt auch der Islam, der zwar
nicht weniger als das Christentum das Machtthema in den Vordergrund
stellt, aber die Unberechenbarkeit der Machtausübung Gottes
und seiner irdischen Vertreter (etwa des Kalifs, des Sultans) soweit
des Schicksals so sehr betont, daß eine planmäßige systematisierte
Selbst- und Weltbemächtigung des Menschen keine Chancen hat.
(S-AHG 42 [=> Quelle]).
Nachdem das an das Machtinteresse gebundene
affektive Betroffensein im abendländischen Bereich sich von
Gott entbunden und zur imperialistischen Weltbemächtigung entschieden
hat, wird es frei zum Durchbruch der modernen Technik mit dem triumphalistischen
Anspruch des Menschen auf Herrschaft über die Natur. (S-AHG
42 [=> Quelle]).
3) Die autistische Verfehlung.
.Die
autistische Verfehlung des abendländisches Geistes besteht
in der Zersetzung implantierender Situationen - des Nomos, der aus
dem Hintergrund der gemeinsamen Situationen die individuelle Lebensführung
steuert, mit breitem Spielraum zur Auseinandersetzung - in Konstellationen
einzelner, isolierter persönlicher Situationen. Sie geht aus
der psychologistisch-reduktionistisch-introjektionistischen Verfehlung
hervor, .... (S-AHG 55 [=> Quelle]).
Die autistische Verfehlung ist eine
Konsequenz der psychologistisch-reduktionistisch-introjektionistischen
Verfehlung, nämlich der Selbstdefinition des Menschen als Seele
(später: Psyche; HB), wodurch
er sich auf die anderen Menschen und die Außenwelt nur bezieht,
insofern sie innerpsychisch repräsentiert sind und seine Emotionalität
nicht mehr eine Involviertheit in die Außenwelt, sondern nur
seine Teilnahme an den eigenen inneren Zuständen als Lust und
Unlust reflektiert. (B-Fest80 25 [=> Quelle]).
Dieser gegenwärtiger Stand der
autistischen Verfehlung des abendländischen Geistes belastet
das aus implantierenden Situationen freigesetzte, sich selbst überlassene
Individuum doppelt: Es kann nicht zu sich (d.h. zu seiner Persönlichkeit)
finden und es kommt nicht über sich hinaus, da es nicht von
einem überpersönlichen Nomos geführt wird. Der autistisch
freigelassene Mensch hängt gleichsam an einer dünnen Membran
zwischen sich und seiner Umgebung fest und kann sich nur noch auf
deren Oberfläche bewegen; in die Tiefe zu sich und die Tiefe
um sich führt ihn kein stetig gerichteter Zug mehr. (S-AHG
385 [=> Quelle]).
Mit der dynamistischen Verfehlung verbindet
sich die autistische Verfehlung. Sie verliert ihre Glaubwürdigkeit
prinzipiell mit der Widerlegung des Nominalismus und des Konstellationismus,
... (S-AHG 379 [=> Quelle]).
Der Ersatz des Nomos implantierender
Situationen (Topos) durch Konstellation einzelner Normen (Logos).
Topos |
Logos |
Nomos implantierender Situationen |
Konstellation einzelner Normen |
Geschichte der autistischen Verfehlung.
Einen maßgeblichen Beitrag zur
autistischen Verfehlung leistet der platonische Sokrates mit der
systematischen Zersetzung kommunikativer Kompetenzen für den
Nomos durch sein Definitionsverlangen, womit er die Könner
ganzheitlichen Inneseins im Sichverstehen auf die gemeinsame implantierende
Situation eines Tugendwissens in aporetische Verzweiflung treibt,
weil er ihnen die unerfüllbare Aufgabe stellt, die binnendiffuse,
ganzheitliche Bedeutsamkeit der Situation durch eine Konstellation
begrifflicher Merkmale zu ersetzen (...). (S-AHG 56f. [=> Quelle]).
Eine enorme Verschärfung der autistischen
Verfehlung bringt das spät- und nachantike Christentum auf
weströmischem Boden mit sich. Im Zeichen der Erbsünden-
und Prädestinationslehre Augustins kann man den der Entscheidung
über ihr ewiges Leben im Augenblick des Todes unruhig entgegensehenden
Menschen nur noch zurufen: Rette sich, wer kann! (S-AHG 57 [=>
Quelle]).
Einen Auftrieb anderer Art schöpft
die autistische Verfehlung des abendländischen Geistes aus
der Imprägnierung des westkirchlichen Christentums mit dem
Zwangsgedanken der Hölle durch die Einübung völliger
Entsolidarisierung mit Verhältnis zu den Verdammten. (S-AHG
58 [=> Quelle]).
In der Neuzeit erreicht die autistische
Verfehlung des abendländischen Geistes einen Höhepunkt
mit der Erneuerung des augustinischen (und von Thomas von Aquin
[also: im Mittelalter schon; HB] unter
der Hülle von Widersprüchen und gewundenen Formeln geteilten)
Prädestinations- und Reprobationsdogmas. (S-AHG 60 [=> Quelle]).
Noch wichtiger für die Säkularisierung
der autistischen Verfehlung des abendländischen Geistes ist
im katholischen Bereich der Jesuitenorden. (S-AHG 60 [=> Quelle]).
Hobbes als Theoretiker perfekter Radikalisierung
der autistischen Verfehlung des abendländischen Geistes in
säkularisierten, von den Spuren christlicher Herkunft gereinigter
Gestalt. (S-AHG 61 [=> Quelle]).
4) Die ironistische Verfehlung.
Die ironistische Verfehlung des abendländischen
Geistes besteht in der Freiheit des Menschen, der sich aus allen
Involviertheiten in Sachverhalten zurückgezogen hat, nämlich
der Freiheit, beliebige Sachverhalte als die seinen zu besetzen
und damit beliebige Rollen zu spielen. (B-Fest80 25 [=> Quelle]).
Die ironistische Verfehlung des Dandys
ist eine Überabgrenzung und nicht mit der gesunden Abgrenzung
zu verschiedenen Rollen (Rollendistanz) zu verwechseln.
Die ironistische Verfehlung schließlich,
die vierte unter den vier großen Verfehlungen des abendländischen
Geistes - und die einzige, die zugleich eine die Lebenserfahrung
bereichernde Entdeckung war -, wird geheilt durch die Entdeckung
der subjektiven Tatsachen (**),
als der vollständigen und ursprünglichen, von denen die
objektiven Tatsachen (**)
abgeblaßte, neutralisierte Reste sind, so daß das Schweben
in romantischer Ironie über den objektiven als vermeintlich
allen Tatsachen entfällt, aber durch die multivalente Mannigfaltigkeit
personaler Subjektivität in entfalteter Gegenwart (**)
abgelöst wird. (S-AHG 380 [=> Quelle]).
Die ironistische Verfehlung des abendländischen
Geistes geht also aus der Entdeckung hervor, daß unter den
objektiven oder neutralen Tatsachen (**),
die jeder aussagen kann, wenn er genug weiß und gut genug
sprechen kann, für niemanden ein Anhaltspunkt zu finden ist,
daß der Mensch, der er tatsächlich ist, er selbst ist.
Diese Entdeckung wird nicht gleich so präzis durchdacht und
formuliert, und es wird auch nicht klar gesehen, daß die objektiven
Tatsachen nicht alle Tatsachen sind, sondern sogar nur abgeblaßte
Reste der integren subjektiven Tatsachen (**).
(S-AHG 69 [=> Quelle]).
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Topowiki,
Verfehlungen, zuletzt am 7. Januar 2018 um 00:42 Uhr bearbeitet.
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6. Juni 2010: Gespräch über die Zukunft der Neuen Phänomenologie.
V.l.n.r.: Robby Jacob, Henning Hintze, Heinz Becker,
Hermann Schmitz, Hans Werhahn, Matthias Klatt.
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Vielleicht nicht zu den großen Verfehlungen, aber immerhin zu
den Verfehlungen des abendländischen Geistes scheint auch die Tatsache
zu gehören, die von diesen abweichenden Richtungen mit äußerster
Kraft zu bekämpfen, und zwar um so kräftiger, je älter
das Abendland wird.
Eine solche Bekämpfung hat jedenfalls Schmitz am eigenen Leib erfahren.
Wenn man unter seinem Werk die Leitlinie seines beharrlichen
philosophischen Bestrebens seit 1958, nämlich sein Bestreben
..., den Menschen ihr wirkliches Leben begreiflich zu machen
(**),
versteht, dann ist er von 1958, als er damit begann, bis 2021, als er
starb, also innerhalb von 63 Jahren immer mehr Anfeindungen und Ignoranz
ausgesetzt gewesen - trotz der Tatsache, daß ihm auch Menschen Folge
und Beistand geleistet haben, u.a. eben auch Gernot Böhme, der, seit
er Schmitz Buch »System der Philosophie, Band II, Der Leib,
Teil 1« (1965) mit einer klugen Besprechung bedacht hatte,
unablässig an Schmitz Seite gestanden hat (**),
und Peter Sloterdijk, der Schmitz in Karlsruhe mit allen Ehren aufgenommen
und als den bedeutensten lebenden deutschen Philosophen ausgegeben
und erstaunlich eingehende Kenntnis meiner Arbeiten bewiesen und
sich über diese in seinen Schriften mehrfach anerkennend und verständnisvoll
geäußert hat (**),
sowie Heinz Becker, Robby Jacob, Jürgen Hasse, Reiner Wimmer, Hilge
Landweer, Henning Hintze, Christian Bendrath, Peter Janich, Christoph
Demmerling, Matthias Klatt und nicht zuletzt Schmitz Freund aus
alten Zeiten: Hans Werhahn. 63 Jahre hat Schmitz an seiner Leitlinie
gearbeitet, und die kann angesichts der Qualität und Qunatität,
die Schmitz in diesen 63 Jahren abgeliefert hat, nicht einfach ignoriert
werden, jedenfalls langfristig nicht und in normalen Zeiten auch mittelfristig
nicht. Doch wer ignoriert, hat einen Grund, einen Beweggrund (Motiv) dafür.
Der Hauptbeweggrund dafür ist das Wissen, daß die Ignoranz
zu denjenigen Strafen gehört, die den personalen Leib affektiv stärker
ergreifen (betroffen machen) als z.B. über die Medien veröffentlichte
Anfeindungen, Kritiken u.ä.. Der bei weitem überweigende Teil
dieser Ignoranten sind Mitläufer. Mitläufer laufen jeder Bewegung
hinterher, die nach Macht aussieht, wenn die die Bequemlichkeit, das Leicht-Sein,
im Schatten der Macht verspricht.
Ich hoffe, daß Schmitz Werk das zuteil wird, was es verdient
hat, so daß Schmitz Hoffnung, daß es ihm gelingen
könnte, den Menschen ihr wirkliches Leben begreiflich zu machen
(**),
in Erfüllung gehen wird.
Eine wissenschaftliche Wahrheit
pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, daß ihre Gegner
überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern
die Gegner allmählich aussterben. (Max Planck **).
Eine neue Theorie wird ... zunächst
als widersinnig bekämpft. Dann gibt man ihre Wahrheit zu, bezeichnet
sie aber als selbstverständlich und bedeutungslos. Schließlich
erkennt man ihre hohe Bedeutung an, und ihre früheren Gegner
behaupten nun, sie hätten sie selbst entdeckt. (William
James **).
Der Verstand ... ist hochmütig,
und ein abgenötigter Widerruf bringt ihn in Verzweiflung; daher
kommt, daß offenbarte Wahrheiten erst im stillen zugestanden
werden, sich nach und nach verbreiten, bis dasjenige, was man hartnäckig
geleugnet hat, endlich als etwas ganz Natürliches erscheinen
mag. (Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen,
658 **).
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Schmitz-Bücher, die ich gelesen habe:

Traueranzeige der Universität Kiel:

11 Tage vor seinem 93sten ist Hermann F.-H. Schmitz (16.05.1928
- 05.05.2021) gestorben.
Ruhe in Frieden, lieber Hermann.

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