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Hermann Franz-Heinrich Schmitz
(1927-2021)

Lob, Kritik, Skepsis.

- Seiten -
Allgemeine Normenlehre
Bilder
Die Freiheit
Die geschichtlichen Prägungen des menschlichen Welt- und Selbstverständnisses in Europa
Intensität, Armosphären und Musik
Leib ohne Seele
Leib und Seele in der abendländischen Philosophie
Rückblick auf das Abendland
Sechste Stunde
System der Philosophie, 1. Band (Vorwort, Vorrede und § 1 [Das Sichfinden in der Umgebung])
Wie der Mensch zur Welt kommt (Vorrede und 1 [Affektives Betroffensein])
Verweise zu den bedeutendsten Zitaten u.a.
Vierte Stunde
Welt
Werke-Verzeichnis
Zitate in Aphorismusform
Einleitung
Lebenslauf-Tabelle, ihre Erläuterung, philosophische Schwerpunkte und Wirkung
 
Erläuterung der Lebenslauf-Tabelle
Im Zentrum des Interesses
Mein Interesse an Hermann F.-H. Schmitz’ Werk
Gernot Böhmes und Peter Sloterdijks sowie mein Interesse an Hermann F.-H. Schmitz’ Werk
Das Wichtigste aus Schmitz’ Werk
Zwei Schienen
Vier Verfehlungen des abendländischen Geistes

 

NACH OBEN Einleitung.

Hermann F.-H. Schmitz und Martin Heidegger [**]) gelten als die größten Philosophen des 20. Jahrhunderts.
Johann Sebastian Bach, Leipzig
Bach-Stadt
Leipzig
Johann Sebastian Bach, Leipzig
Beethoven-Stadt
Bonn
Johann Sebastian Bach, Leipzig
Planck-Stadt
Kiel
Schmitz sagte 2017 im Rückblick auf sein bis dahin schon 89 Jahre währendes Leben, er sei „auf seinem Weg immer geradeaus gelaufen. .... So geradlinig konnte mein Weg auch deshalb nur sein, weil ich mich nicht familiär gebunden habe. Daher war er auch mit großen Verlusten verbunden, denn es wäre schön gewesen, eine Familie zu haben. Es hat sich aber erwiesen, daß ich die Einsamkeit brauche zum Denken.“ (In: Philosophie-Magazin, 2017, S. 70–75.) Hermann Franz-Heinrich Schmitz wurde am 16. Mai 1928 als Sohn des Reichsgerichtsrats Hermann Schmitz und dessen Ehefrau Magdalena in Leipzig geboren. In Leipzig wurde er auch eingeschult; das Abitur erlangte er jeodch in Bonn, nämlich am Beethoven-Gymnasium. Von 1949 bis 1953 studierte er an der Universität Bonn, vor allem bei Erich Rothacker. Dort wurde er 1955 mit einer Dissertation über Goethes Altersdenken in Begriff und Symbol promoviert. 1958 wurde er Assistent am Philosophischen Seminar der Universität Kiel, wo er sich mit der Schrift Hegel als Denker der Individualität habilitierte. Er erhielt 1971 auf dem Wege einer außergewöhnlichen Hausberufung eine ordentliche Professur am Kieler Philosophischen Seminar, das er ab 1988 als Nachfolger von Kurt Hübner bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1993 leitete.

 

NACH OBEN Lebenslauf-Tabelle, ihre Erläuterung, philosophische Schwerpunkte und Wirkung.

„,Wer ist denn dieser Hermann Schmitz eigentlich?‘“ (Hermann F-H. Schmitz, in: Hermann Schmitz im Gespräch - über Logik, 6. Juni 2010 **).

‹—  Hermann Franz-Heinrich Schmitz (1928-2021) Hermann Franz-Heinrich Schmitz Erläuterung  —›
1. Stadium („Winter“) 2. Stadium („Frühling“) 3. Stadium („Sommer“) 4. Stadium („Herbst“)
Vor-/Urdenken: Schmitz’
„Vor-/Urphilosophie“
Frühdenken: Schmitz’
„Frühphilosophie“
Hochdenken: Schmitz’
„Hochphilosophie“
Spätdenken: Schmitz’
„Spätphilosophie“
(Dauer: 21 Jahre) (Dauer: 15 Jahre) (Dauer: 16 Jahre) (Dauer: 41 Jahre) *
1928 bis 1949 1949 bis 1964 1964 bis 1980 1980 bis 2021 *
Geburt
(16.05.)
BEGINN DES WERKS
„SYSTEM DER PHILOSOPHIE“
Tod  
(05.05.)
Übergang
    Schule / Studium
| Ende des Werks
„System der Philosophie“
Frühe
Kindheit
Grund-
schule
Gymnasium 1949
- 1953
1953
- 1958
1958
- 1964
1964
- 1967
1967
- 1973
1973
- 1980
1980
- 1990
1990
- 2004
2004
- 2021 *
Erläuterung Erläuterung
Denk-Biographie von Hermann F.-H. Schmitz (1928-2021 Hermann Franz-Heinrich Schmitz (1928-2021)):
1. „Stadium“ („Winter“ - 1928-1949) und seine 3 „Stufen“: Schmitz’ frühe Kindheit (1. Stufe); Grundschulzeit (2. Stufe); Gymnasialzeit (3. Stufe), also bis zum Übergang von der Schule zur Universität (1949).
2. „Stadium“ („Frühling“ - 1949-1964) und seine 3 „Stufen“: Schmitz’ Studienzeit in Bonn von 1949 bis 1953 (4. Stufe); die Zeit nach dem Studium bis zum Beginn der Assistenstelle am Philosophischen Seminar der Universität Kiel, also die Zeit von 1953 bis 1958 (5. Stufe); die vom Beginn der Assistenstelle am Philosophischen Seminar der Universität Kiel bis zum Beginn seines Hauptwerkes, System der Philosophie, also die Zeit von 1958 bis 1964 (6. Stufe), wobei Schmitz schon 1958, spätestens aber 1959 mit der Konzeption seines Hauptwerkes, System der Philosophie, begann.
3. „Stadium“ („Sommer“ - 1964-1980) und seine 3 „Stufen“: Schmitz’ Zeit der Veröffentlichung der ersten 4 Bücher (Band I, Band II Teil 1, Band II Teil 2, Band III Teil 1) seines Hauptwerkes, System der Philosophie, also die Zeit von 1964 bis 1967 (7. Stufe); die Zeit nach der Veröffentlichung des 4. bis zur Veröffenlichung des 7. Buches (Band III Teil 3) seines Hauptwerkes, System der Philosophie, also die Zeit von 1967 bis 1973 (8. Stufe); die Zeit nach der Veröffentlichung des 7. bis zur Veröffenlichung des 10. Buches (Band V) seines Hauptwerkes, System der Philosophie, also die Zeit von 1973 bis 1980 (9. Stufe).
4. „Stadium“ („Herbst“ - 1980-2021) und seine 3 „Stufen“: Schmitz’ Zeit nach der Veröffentlichung des 10. Buches (Band V) seines Hauptwerkes, System der Philosophie, bis zur Veröffentlichung des Buches Der unerschöpfliche Gegenstand, also die Zeit von 1980 bis 1990 (10. Stufe); die Zeit nach der Veröffentlichung des Buches Der unerschöpfliche Gegenstand bis zur Veröffentlichung des Aufsatzes Alte und neue Phänomenologie, also die Zeit von 1990 bis 2004 (11. Stufe); die Zeit nach der Veröffentlichung des Aufsatzes Alte und neue Phänomenologie, bis zur Veröffentlichung des Buches Sich selbst verstehen, also die Zeit von 2004 bis 2021 (12. Stufe).
5. „Stadium“ („Winter“ - ...) hat es höchstwahrscheinlich für Hermann F.-H. Schmitz nicht gegeben, weil er bis zum Tode seiner denkerischen Aufgabe treu geblieben ist, noch in seinem Todesjahr ein Buch geschrieben und veröffentlicht hat.

Philosophische Schwerpunkte und Wirkung Schmitz’.

Philosophische Schwerpunkte und Wirkung Schmitz’

Gelb (1964-1980): Schmitz’ Hauptwerk „System der Philosophie“ (10 Bücher).

 

•   Interesse an Hermann F.-H. Schmitz   •
NACH OBEN Mein Interesse an Hermann F.-H. Schmitz.

Zum ersten Mal kam ich mit dem Namen Hermann Schmitz in den 1980er Jahren in Berührung, als ich Gernot Böhmes Buch Alternativen der Wissenschaft (1980) las. Beim zweiten Mal erfuhr ich etwas mehr über Hermann Schmitz, nämlich in den 1990er Jahren während meiner Lektüre einiger Sloterdijk-Bücher. Das reichte, um mein näheres Interesse für Hermann Schmitz zu wecken.

Mein Interesse an Schmitz war und ist die Tatsache, daß er wie ich den Psychologismus (**|**|**|**) bekämpft, ebenso den Reduktionismus (**|**) und den Introjektionismus (**|**) - alle drei gehören zu dem Innenweltdogma (**) der Abstraktionsbasis der abendländischen Kultur (Schmitz: „Abstraktionsbasis der traditionellen europäischen Intellektualkultur“ [**|**]). Schmitz schließt in seinem Abendlandbegriff die griechische Philosophie mit ein, was ich nicht tue, sondern sie nur als ein Erbe unserer abendländischen Kultur verstehe. Hermann Schmitz betrachtet die geschichtliche Linie vom 5. oder spätestens 4. vorchristlichen Jahrhundert der altgriechischen Philosophie bis zur heutigen Philosophie des Abendlandes als eine durchgehende - wie fast alle abendländischen Philosophen es tun -, sie also nicht mit einer Unterbrechung oder Verschiebung, etwa der Art, wie ich die antike Kultur und die abendländische Kultur als zwei verschiedene Kulturen trotz der Verwandtschaft verstehe, konfrontiert. Das philosophische Erbe bleibt ja für uns beide dasselbe.

 

NACH OBEN Gernot Böhmes und Peter Sloterdijks sowie mein Interesse an Hermann F.-H. Schmitz.

„Gernot Böhme stand, seit er mein Buch »System der Philosophie, Band II, Der Leib, Teil 1« (1965) mit einer klugen Besprechung bedacht hatte, unablässig an meiner Seite und hat Wesentliches zur Förderung der Neuen Phänomenologie beigetragen.“ (Hermann F.-H. Schmitz, Ausgrabungen zum wirklichen Leben, 2016, S. 36 **).
„Peter Sloterdijk hat mich in Karlsruhe mit allen Ehren aufgenommen und als den bedeutensten lebenden deutschen Philosophen ausgegeben; er hat erstaunlich eingehende Kenntnis meiner Arbeiten bewiesen und sich über diese in seinen Schriften mehrfach anerkennend und verständnisvoll geäußert.“ (Hermann F.-H. Schmitz, Ausgrabungen zum wirklichen Leben, 2016, S. 36-37 **).

Da Gernot Böhme Schmitz im großen und ganzen reibungslos folgte, muß ich auf ihn nicht näher eingehen. In der Tabelle rechts ist ein Zitat aus Böhmes 1980 erschienenem Buch Alternativen der Wissenschaft zu lesen.

Peter Sloterdijk ist ebenfalls von Schmitz sehr angetan, auch trägt Sloterdijks Werk - vor allem sein dreibändiges Sphärenwerk - neben den sehr starken Heideggerschen auch sehr starke Schmitzsche Züge, was man vor allem am Raumbegriff, besonders an der häufigen Verwendung des Wortes „Atmosphären“ erkennen kann. „Wenn ich nicht irre, habe ich 1969 mit meinem Buch Der Gefühlsraum die Theorie der Atmosphären in die Philosophie eingebracht.“ (Hermann F.-H. Schmitz, Atmosphärische Räume, in: Atmosphären, 2014, S. 10 **). Sloterdijk folgt aber kaum der Schmitzschen Ablehnung des Innenweltdogmas (also: Ablehnung des Psychologismus, Reduktionismus, Introjektionismus [**|**|**|**|**|**|**]), während ich ihr nicht nur folge, sondern sie sogar noch verstärke. Außerdem teile ich nicht nur das, was der Leib-, Raum-, Gefühls- und also Atmosphärenphilosoph Schmitz über den Raumbegriff bzw. die Leibphilosophie der Neuen Phänomenologie (**|**|**), die Schmitz begründet hat, erklärt und worin ihm der Psycho-, Immunitäts-, Raum- und also Sphärenphilosoph Sloterdijk zumindest bezüglich des Raumbegriffs (vgl. eben besonders: Atmosphären) folgt, sondern ich setze es verstärkt fort über die Sprache (das Zeichensystem), die ich einteile in eine Sprache im weiteren und weitesten Sinne (Sprache i.w.S.) einerseits und eine Sprache im engeren und engsten Sinne (Sprache i.e.S.) andererseits (**).
Schmitz Sloterdijk Brune
Ablehnung des Innenweltdogmas
(also: Ablehnung des Psychologismus, Reduktionismus und Introjektionismus)
x X
Raum X X
Leib x x
Gefühle (als räumlich ortlos ergossene, leiblich ergreifende Atmosphären) X X
X bedeutet, daß der Grad der Entsprechung bzw. Übereinstimmung mit Schmitz gleich ist. Ist das X kleiner, ist der Grad der Entsprechung bzw. Übereinstimmung mit Schmitz ebenfalls kleiner; ist das X gößer, ist der Grad der Entsprechung bzw. Übereinstimmung mit Schmitz ebenfalls größer. Sloterdijk und mich verbindet viel mit Schmitz. Das Innenweltdogma (Psychologismus, Reduktionismus und Introjektionismus) lehne ich sehr viel mehr ab als Schmitz und erst recht als Sloterdijk, der es kaum ablehnt, jedenfalls sehr viel weniger als Schmitz, d.h. Schmitz und mich eint diese Ablehnung, auch wenn sie bei mir stärker ausgeprägt ist als bei ihm, während sie bei Sloterdijk nur sehr gering ausgeprägt ist. Beim Thema Raum sind wir alle drei gleich aufgestellt. Das Thema Leib ist bei Sloterdijk und mir gleich, aber viel weniger angesagt als bei Schmitz, aber es eint uns drei ja immerhin die Thematisierung als solche. Beim Thema Gefühle (als räumlich ortlos ergossene, leiblich ergreifende Atmosphären) sind Schmitz und Sloterdijk gleich aufgestellt, während ich davon nur leicht abweiche. - Was uns drei also insgesamt eint, ist die Tatsache, daß wir in allen Themen übereinstimmen, nur eben nicht immer zu gleichen Anteilen. Gleichanteilig sind das Thema Raum bei Schmitz, Sloterdijk und mir und das Thema Gefühle (als räumlich ortlos ergossene, leiblich ergreifende Atmosphären) bei Schmitz und Sloterdijk. Aber es gibt ein Thema, durch das Schmitz und Sloterdijk doch nicht zu großer Übereinstimmung kommen können: das Innenweltdogma (Psychologismus, Reduktionismus und Introjektionismus). Man müßte aus Sloterdijks Philosophie einer der sie tragenden Säulen eliminieren: die Psyche (Seele). Das Konzept Psyche (Seele) ist der Grund dafür, daß Sloterdijks Philosophie nicht zu großer und schon erst recht nicht zu 100% mit Schmitz’ Philosophie in Übereinstimmung gebracht werden kann (**). Die Ablehnung des Innenweltdogmas (Psychologismus, Reduktionismus und Introjektionismus) ist die Voraussetzung überhaupt für Schmitz’ Philosophie.
„Die Introjektion der Gefühle, mit der sich die Menschheit der klassischen griechischen Philosophie um Platon und Aristoteles (d.h.: vom späten 5. bis zum späten 4. vorchristlichen Jahrhundert! HB) angeschlossen hat, ist ein Irrtum; er scheitert daran, daß es die Seele oder anders benannte abgeschlossene private Innenwelt allen Erlebens, der sie introjiziert werden, gar nicht gibt, wie sich insbesondere daran zeigt, daß das Verhältnis des Bewußthabers zu seiner Seele nicht schlüssig konstruiert werden kann. (Vgl. Hermann Schmitz, Kurze Einführung in die Neue Phänomenologie, 2009, S. 29-45; Jenseits des Naturalismus, 2010, S. 145-163.)“ (Hermann F.-H. Schmitz, Atmosphärische Räume, in: Atmosphären, 2014, S. 21 **).
Die Psyche - oder anders benannte abgeschlossene private Innenwelt allen Erlebens, der sie introjiziert werden - gibt es nicht.
Sloterdijk täte also gut daran, sein Konzept Psyche (Seele) aus seiner Philosophie zu eliminieren.
Besonders aufschlußreich ist Sloterdijks Aussage, daß man „Heideggers frühes Werk als die Magna Charta einer nie zuvor versuchten Onto-Klimatologie“ und „die Arbeit von Hermann Schmitz als den partiell gelungenen Versuch, Heideggers (und Bollnows) Vorgaben zu überbieten“, ansehen könne (Vgl. Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999, S. 146 [auch in der Tabelle rechts zu lesen]). Zu Heideggers „Magna Charta“ gehört aber auch einiges aus Heideggers mittlerem Werk und auch späterem Werk, z.B. dasjenige aus Heideggers späterem Werk, das Sloterdijk ebenfalls berücksichtigt hat:
„Heidegger, dem die Phänomenologie des Wohnens (zusammen mit seinen Nachfolgern Bollnow und Schmitz) noch immer am meisten verdankt, hat den Zusammenhang zwischen dem Wohnen und dem Warten auf Zeichen des Ungewöhnlichen als Matrix der religiösen oder besinnlichen Rezeptivität erläutert:
»Die Sterblichen wohnen, insofern sie die Göttlichen als die Göttlichen erwarten. Hoffend halten sie ihnen das Unverhoffte entgegen. Sie warten der Winke ihrer Ankunft und verkennen nicht die Zeichen ihres Fehls .... Im Unheil noch warten sie des entzogenen Heils.« (Martin Heidegger, Bauen, Wohnen, Denken, 1951, S. 145).
In profanere Ausdrücke übersetzt (und unter Absehung davon, daß man es mit Paraphrasen zu Hölderlins poetischer Theologie zu tun hat), ergibt das die Aussage, daß wohnende Menschen sich in einer Trivialität einhausen, die es ihnen erst erlaubt, das Nicht-Triviale zu unterscheiden.“ (Peter Sloterdijk, Sphären III - Schäume, 2004, S. 516-517 [auch in der Tabelle rechts zu lesen]).
Sloterdijk sieht also in Bollnow und Schmitz Heideggers Nachfolger.

Sie bzw. uns eint die Phänomenologie, und zwar einerseits die alte oder ältere und andererseits die neue, die sich darum auch so nennt: Neue Phänomenologie.
„Die Neue Phänomenologie widmet sich der Aufgabe, die Abstraktionsbasis der Theorie- und Bewertungsbildung tiefer in die unwillkürliche Lebenserfahrung (**|**) hineinzulegen.“ (Hermann F.-H. Schmitz, Der Leib, der Raum und die Gefühle, 1998, S. 11 **).
Es geht Schmitz mit seiner Neuen Phänomenologie also primär um die unwillkürliche Lebenserfahrung, damit er den Menschen das wirkliche Leben begreiflich machen kann:
Die Neue Phänomenologie, die ich konzipiert und ausführlich entwickelt habe, verfolgt die Aufgabe, den Menschen ihr wirkliches Leben begreiflich zu machen, das heißt, nach Abräumung geschichtlich geprägter Verkünstelungen die unwillkürliche Lebenserfahrung zusammenhängender Besinnung wieder zugänglich zu machen. Unwillkürliche Lebenserfahrung ist alles, was Menschen merklich widerfährt, ohne daß sie es sich absichtlich zurechtgelegt haben. Das Nachdenken der Menschen ist heute durch vermeintliche Selbstverständlichkeiten aus Konventionen und aus Hyopthesen, die im Dienst irgendwelcher Konstruktionen stehen, dermaßen gefesselt, daß die Freilegung der unwillkürlichen Lebenserfahrung umfangreicher Anstrengungen bedarf; sie ist aber von großer Wichtigkeit, weil sie zum Ausweg aus gefährlichen Verengungen und Verstrickungen des menschlichen Selbst- und Weltverständnisses, damit aber auch der Lebensführung, verhelfen kann.“ (Hermann F.-H. Schmitz, Kurze Einführung in die Neue Phänomenologie, 2009, S. 7 **).
Wer will ernsthaft bestreiten, daß es die unwillkürliche Lebenserfahrung gibt?

Heute haben es die abendländischen Menschen - andere gibt es ja gar nicht mehr, denn heute ist eigentlich jeder Mensch mehr oder weniger ein abendländischer Mensch - nötiger als je zuvor, daß jemand ihnen ihr wirkliches Leben begreiflich macht.
„Seit etwa 1950, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ist das Brausen der unkontrollierbaren, aber von Könnern manipulierbaren Affekte kollektiv und individuell - abgesehen von einigen Harmlosigkeiten wie Woodstock und andere Rockfestivals - abgeebbt wie ein gewaltiger Sturm und einer entgegengesetzten Bedrohung des affektiven Betroffenseins gewichen, einer vielleicht noch gefährlicheren, die ebenso Grund genug ist, sich als Philosoph auf deren Quellen zu besinnen. Es handelt sich um eine eigentümliche Steifigkeit, die die Menschheit (zumindest die europäische, aber überall wird Europa) heimgesucht hat und sich immer weiter ausbreitet. Bis dahin konnten die Menschen aus der Fülle ungeformter Möglichkeiten schöpfen und schöpferisch (in diesem Sinn des Wortes) neue Wege ausprobieren; es genügte, aus der Stadt aufs Land zu gehen und in die weite Welt zu wandern wie der Wandervogel in der Jugendbewegung nach 1900. Fortan ist das fruchtbare Feld ungeformter Möglichkeiten verstellt durch eine von der modernen Maschinentechnik (neuerdings besonders Elektronik) ausgereizte Perfektion von Angeboten kurzfristiger Lebensführung, gleich einem durch fortschreitende Verdichtung undurchsichtig werdenden Schienensystem, in dem der Einzelne von Station zu Station die Weichen stellen kann, scheinbar souverän in der Auswahl, aber nicht mehr in der Gestaltung, also nicht mehr schöpferisch im angegebenen Sinn. Dem kommt die Kultur der coolen Wendigkeit in dem von Friedrich Schlegel im Anschluß an Fichte eingeleiteten ironistischen Zeitalter zugute; sie bricht den Menschen das Rückgrat konsequenten eigenen Wollens und versetzt sie auf das Niveau spielender Kinder, die ihren Launen nachgehen dürfen. Die Menschen sind wie Puppen in einem Maschinenpark, in dem sie einige Hebel stellen können, durch die sie kurzfristig Herren ihres Weges werden, indem sie sich langfristig der Herrschaft der Maschinen ausliefern und den Schein augenblicklicher Souveränität mit der Unterwerfung unter den übermächtigen Betrieb der vernetzten Angebote bezahlen. Die Lebendigkeit des affektiven Betroffenseins verliert auf diese Weise den großen Schwung, den langen Atem; das Pathos, auch das unaufgeregte, wird zur Laune. Unter dem Scheinleben puppig versteifter Menschen muß ihr wirkliches Leben, ihre Ergreifbarkeit und die daraus allein sich ergebende Möglichkeit schöpferischen Gestaltens noch ungeformter Möglichkeiten, geweckt und, da Propheten unter Ironisten keine Macht mehr haben, wenigstens durch begreifende Besinnung dem Bewußtsein der Menschen wieder nahegebracht werden. Deswegen konnte ich, wenn auch mit umgekehrter Frontstellung, mit demselben Impuls meiner Absicht treu bleiben, den Menschen ihr wirkliches Leben begreiflich zu machen.“ (Hermann F.-H. Schmitz, Ausgrabungen zum wirklichen Leben, 2016, S. 26-27 **).
Ironistisches Zeitalter? Ja. Schmitz unterteilt es in drei Stadien: (1) Romantische Ironie (**); (2) Dandytum (**); Coolneß (**).

Von der unwillkürlichen Lebenserfahrung bis zu den Gefühlen (**), die meistens in Situationen (**|**|**|**|**|**), die zum Mannigfaltigen (**) gehören, befangen sind (**), ist es phänomenologisch nicht weit. Und wer will ernsthaft bestreiten, daß es z.B die Mannigfaltigkeit vom spältigen, vom zwie- oder vielspältigen Typ gibt?
„Ich bin jetzt ein Greis; ich war ein Baby; ich war ein Knabe; ich war ein Jüngling; ich war ein Mann in gereiften Jahren. Wenn man jetzt fragt ,Wer ist denn dieser Hermann Schmitz eigentlich?‘, und man sagt ,Das ist einfach ein Greis und weiter nichts‘, wäre das doch ganz falsch. Es sind doch ganz verschiedene Individuen, die um Identität mit mir konkurrieren. Da ist der kleine Junge, das Hermännchen, das mit Gisela und Puhts und mit meiner Schwester Isabella gespielt hat, viel kleiner als die drei Mädchen, und dann ist jetzt der Greis daraus geworden, es sind dazwischen ganz viele Zwischenstadien, verschiedene Individuen. Wer bin ich? Diese Individuen konkurrieren um Identität mit mir. Das ist eine Mannigfaltigkeit vom spältigen, vom zwie- oder vielspältigen Typ.“ (Hermann F.-H. Schmitz, Der Leib, der Raum und die Gefühle, 1998, S. 11 **).
Ebenso ist es phänomenologisch nicht weit von dem Gefühlsraum (**), der trotz Flächenlosigkeit (**|**|**) dreischichtig ist (**), bis zu der leiblichen Sprache, der leiblichen Kommunkation (**), bis zu dem Leibesraum (**|**|**). All das ist seit dem 5. vorchristlichen Jahrhundert vergessen worden, der Leibvergessenheit (**) zum Opfer gefallen. Dabei stehen mit all dem und noch viel mehr auch die Subjektivität (**|**), die zu den Tatsachen des affektiven Betroffenseins (**[**|**|**|**|**]) gehörenden subjektiven Tatsachen (**|**|**|**), die subjektive Tatsächlichkeit (**) in Verbindung. Bezüglich der Entwicklung heißt es bei Schmitz Reifung (**|**). Sie beginnt beim Präpersonalen (**|**) in der primitiven Gegenwart (**|**|**|**), in der die fünf Hauptdimenisonen / Momente HIER, JETZT, SEIN, DIESES, ICH (**|**|**|**|**|**) verschmolzen sind, und hat das Personale (**|**) zum Ziel, ist also eine Personwerdung (**). Gemäß der phänomenologischen Theorie der Personalität (**|**) ist die Person dann mit ihrer leiblichen Dynamik durch personale Emanzipation und personale Regression (**|**|**|**) verbunden. Das spezifisches Merkmal der Person ist die Selbstzuschreibung (**|**|**)
„Der erst nur absolut identische Bewußthaber des Lebens aus primitiver Gegenwart wird zum einzelnen Subjekt durch Selbstzuschreibung, sich als Fall von Gattungen aufzufassen, und damit zur Person, d.h. zum Bewußthaber mit Fähigkeit zur Selbstzuschreibung.“ (Hermann F.-H. Schmitz, Das Reich der Normen, 2016, S. 20 **).
Selbstzuschreibung ist ohne Sprache nicht möglich. Wiederum ist also die Sprache grundlegend, und zwar die Sprache i.e.S., die linguistische Sprache, die Sprache der Personen, die auch die Grundlage bildet für die menschliche, also personale Sprache i.w.S., wozu u.a. auch der personale Wisssensbereich zu fast 100% gehört (**). Jede Wissenschaftsdisziplin ist auf Sprache angewiesen, und zwar zuerst und zuletzt auf die Sprache i.e.S., der theoretische Wissenschaftsbereich sowieso, der dabei die Sprache i.w.S. erweitert, und der empirische Wissenschaftsbereich ebenso, zusätzlich aber auch auf die vorpersonale Sprache, und die ist aus Sicht der Sprache i.e.S. eine Sprache i.w.S., obwohl diese stammesgeschichtlich und individualgeschichichtlich vor der Sprache i.e.S., aber aus der Richtung der Meteganese gesehen jedoch hinter der Sprache i.e.S. befindlich ist.

Für Hermann Schmitz ist Philosophie „das Sichbesinnen des Menschen auf sein Sichfinden in seiner Umgebung“ (**). Die Umgebung wird am Leib erfahren und ist ein Raum. Der Leib befindet sich also in einem Raum (vergleichbar mit Heidegegrs „In-Sein“ [**], aus dem dieser das „In-der-Welt-Sein“ [**] abgeleitet hatte). „Person“ (**) ist Schmitz zufolge der Mensch, sofern er das „Präpersonale“ (**) hinter sich hat (allerdings nicht für immer, denn trotz bzw. wegen seiner personalen Emanzipation (**|**|**) ist er zur personalen Regression (**|**|**) geradezu genötigt, die primitive Gegenwart (**) und damit das Präpersonale wieder aufzusuchen). Präpersonen menschliche Säuglinge, Föten, Embryonen, Morulen und alle Tiere.

Philosophie sollte sich von Wissenschaft, speziell der Naturwissenschaft wesentlich unterscheiden. Also sollte sie sie schon gar nicht nachahmen. Und was sollte die Phänomenologie als Diziplin der Philosophe tun oder als letztes tun? „Die letzten (abstraktesten, rein formalen) Wesensallgemeinheiten bilden eine Region für sich, deren Erforschung die letzte Aufgabe der Phänomenologie ist: die Herstellung einer Mathesis universalis, die Logik, Mathematik, Mengen- und Beziehungslehre in sich faßt und der Wissenschaft den Weg „zu den Sachen selbst“ bahnen soll. Die Phänomenologie Husserls ist eine der vier großen, die Philosophie der Gegenwart bestimmenden Strömungen (neben Lebensphilosophie, Existenzphilosophie, Ontologie).“ (Georgi Schischkoff, Philosophisches Wörterbuch, 1961, S. 999). „Alte Phänomenologie“ ist die Phänomenologie, die bis zu der Zeit galt, als Hermann Schmitz mit seiner Phänomenologie anfing. „Neue Phänomenologie“ heißt sie.
„Es bleibt immer die Frage: Was soll ich denn davon halten? Und diese Frage ist die eigentlich philosophische Frage. Inwiefern ist das irgendwie für mich verbindlich, was mir zugetragen wird? Es ist also die Frage der Selbstbesinnung, die aus einer gewissen Beirrung hervorgeht, daß man das nicht als das Selbstverständliche empfindet, was auf einen zukommt, was einem zugemutet wird, daß man sich fragt: Was soll ich davon halten, und wie stehe ich dazu - sowohl in der Theorie wie auch in der Praxis?. Und diese Frage kann überhaupt nicht von einer bloß gegenstandsbezogenen, bloß objektivierenden Wissenschaft geprüft werden. Zwar sucht die Philosophie, wenn sie wissenschaftlich wird, nach objektiven Tatsachen, aber im Hinblick auf subjektive Probleme, diese subjektiven Probleme: Was soll ich damit anfangen? Wie soll ich mich dazu stellen? .... Man muß einfach erst überhaupt einen Standpunkt finden im Zurückgehen auf das, was man selbst gelten lassen muß. Man muß also anfangen bei einer durchschnittlichen Lebenserfahrung oder bei durchschnittlichen Informationen und muß sich herantasten an einen festen Standpunkt durch die Prüfung aller dieser Zumutungen an der Frage Was muß ich gelten lassen?. Und da kommt man letzten Endes auf irgendwelche eigenen Erfahrungen, die dann auch erst den Rahmen vorgeben, die der Umgebung erst einen solchen Umriß geben, daß man sagen kann: An diesen Rahmen kann ich mich halten.“ (Hermann F.-H. Schmitz, Kurze Einführung in die Neue Phänomenologie, 2009, S. 7 **).
Wer will ernsthaft bestreiten, daß es gut ist, wenn es für den Menschen eine Kontrolle darüber gibt, was er gelten lassen muß?
Alternativen der Wissenschaft
„Es ist eine generelle Schwäche der Kantischen Erkenntnistheorie, daß sie nicht zwischen lebensweltlicher Errfahrung und wissenschaftlicher Erfahrung unterscheidet. Da sie letzten Endes auf die Begründung wissenschaftlicher Erfahrung, speziell der Physik, abzielt, aber beständig mit Beispielen aus der Alltagserfahrung arbeitet, und da Kant immer von »Erfahrung überhaupt« redet, wird der Eindruch erweckt, als existiere dieser Unterschied überhaupt nicht. Diese Täuschung darüber, was seine Theorie überhaupt leistet, hängt auch zusammen mit Kants Irrtum, daß subjektive Erfahrung nicht allgemein sein könne bzw. das Wahrnehmungsurteile nur Urteile über die eigenen Empfindungen seien. Daß außerhalb der Wissenschaft durchaus bündige Gegenstandserkenntnis und allgemeingültiges Wissen erreichbar ist, wird dadurch vernebelt, daß dieser ganze Bereich scheinbar unter dem Titel »objektive Erkenntnis« subsumiert ist, was aber gleichwohl nicht zutrifft, weil objektive Erkenntnis bei Kant nach den Maßstäben wissenschaftlicher Erkenntnis zugeschnitten ist. Dadurch bleibt unterhalb der Schwelle objektiver Erkenntnis kein Raum mehr für andere Wissensformen, alles vermischt sich im unbestimmten Bereich von subjektiver Wahrnehmung, Sinnestäuschung, Halluzinationen, Traum, Fantasie. - So kann nur ex negativo angedeutet werden, was durch Kant aus dem Bereich zugelassenen Wissens abgedrängt wird. Gehen wir kurz die Anschauungsformen und Kategorien durch: Raum und Zeit sind nach Kant reine Medien des Nebeneinander bzw. Nacheinander. Beim Raum entfällt also für den Zusammenhang objektiver Erkenntnis: die Erfahrunng der Anisotropie des Raumes, der Unterschied von Naheraum und Ferneraum, von Enge und Weite; bei der Zeit, die Periodisierung, die Dehnung und Verengung, der Unterschied von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Alle Anschauungen sind extensive Größen, das durch die Empfindung gegebene Reale kann nur durch den Grad der Intensität gedacht werden: Damit entfällt die Erfahrung von Gestalten, von räumlichen Konfigurationen. Von den Qualitäten geht für die objektive Erfahrung ihre Polarität verloren, Intensitäten können nicht als Steigrungstendenzen, sondern bloß noch als faktische Grade in die Erkenntnis eingehen. Gegenstände müssen nach dem Schema von Substanz und Akzidens gedacht werden. Das bedeutet, daß der Wechsel in der Erscheinung als Wechsel von Eigenschaften an bleibenden Substanzen gedacht werden muß - die Erfahrung von Veränderungen durch Wechsel des Substrats für bleibende Strukturen fällt heraus. Gegenstände wie Atmosphären, Halbdinge (s. Hermann Schmitz, System der Philosophie, Band III, Teil 5: Die Wahrnehmung, 1978) wie ein Wind oder ein Blick, die doch so deutliche artikulierbare Erfahrungen mit sich bringen, können nicht Thema sein. Gesetzeszusammenhänge können nur nach dem Schema der Kausalität gedacht werden. d.h. Zweckbezüge müssen entsprechend umgedeutet werden, Strukturzusammenhänge oder symbolische Zusammenhänge oder gar Analogien gehören nicht in den Bereich der Erkenntnis. Schließlich wird als objektiv nur anerkannt, was in durchgängiger Beziehung von Wechselwirkung ist, d.h. also in den Zusammenhang einer Zeit bzw. eines Erfahrungskontextes gebracht werden kann. Die Erfahrung von Ungleichzeitigkeit, die Vielfat der »Welten«, in der wir gleichwohl leben müssen, verfällt dem kruden Bereich bloßer Subjektivität.“ (Gernot Böhme, Alternativen der Wissenschaft, 1980, S. 71-73).

Sphären (I)
„Über den Begriff Ortsraum und seine konstitutive Rolle in der neuzeitlichen Weltvorstellung vgl. Sphären II, 8. Kapitel, Die letzte Kugel ..., dort auch die nötigen Hinweise auf die Explikation des Begriffs im »System der Philosophie« von Hermann Schmitz.“ (Peter Sloterdijk, Sphären I - Blasen, 1998, S. 137).

Sphären (II)
„Immerhin sind atmosphärische »Phänomene« als solche für die ästhetische Theorie, für die Neu-Phänomenologie und die Theologie in jüngster Zeit interessant geworden, besonders unter Heideggers Anregung, zuweilen sogar mit grundbegrifflichen Ansprüchen - was wohl als Zeichen einer punktuellen Öffnung zu lesen ist. (Hermann Schmitz hat in § 149 seines Systems der Philosophie, Dritter Band, Zweiter Teil, Der Gefühlsraum, 1969, S. 98 f., eine eindrucklsvolle Deutung der »Gefühle als Atmosphären« vorgelegt. Unter seinen Anregungen entwickelt Gernot Böhme in seinem Buch Atmosphäre - Essays zur neuen Ästhetik, 1995, ein Konzept von ästhetischer Tätigkeit als Atmosphärenproduktion; Varianten hierzu bietet ders., Anmutungen - Über das Atmosphärische, 1998. Vgl. daneben auch Michael Hauskeller, Atmosphären erleben - Philosophische Untersuchungen zur Sinneswahrnehumng, 1995; Reinhard Knoth, Atmosphären - Über einen vergessenen Gegenstand des guten Geschmacks, in: R. K., Ästhetische Korrespondenten - Denken im technischen Raum, 1994.  –  Als Link zwischen den Heideggerschen und den Schmitzschen Raum- und Atmosphärentheorien vermittelt unverwüstlich Otto Friedrich Bollnow, Mensch und Raum, 1963, besonders die Kapitel »Der gemeinsame Raum«, »Der präsentische Raum«, »Der Raum des menschlichen Zusammenlebens, S. 229-270.«  –  Für eine theologische Atmosphärologie hat Hermann Timm in seinem Buch Das Weltquadrat - Eine religiöse Kosmologie, 1985, einen paradigmatishen Versuch vorgelegt.)  –  Mit Recht hat die moderne Philosophie - besonders die Fundamentalontologie -, als sie anfing, nach ihrem zweitausendjährigen Exil im Übersinnlichen, wieder im In-der-Welt-Sein Grund zu fassen, die Stimmung als die erste Öffnung des Daseins zum Wie und Worin der Welt beschrieben. Man könnte Heideggers frühes Werk als die Magna Charta einer nie zuvor versuchten Onto-Klimatologie ansehen. (Und die Arbeit von Hermann Schmitz als den partiell gelungenen Versuch, Heideggers (und Bollnows) Vorgaben zu überbieten.) Es läßt sich plausibel machen, warum die Entfaltung von Heideggers Anregungen in der Phänomenologie der Stimmungen und in der Existentialpsychiatrie zu den fruchtbarsten Aspekten seiner Wirkung gehört.“ (Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999, S. 146).

„Globuszeit.  –  Auch für die extraterrestrischen Dimensionen wird ... festgeschrieben, was für die Erde seit der Kolumbusfahrt wahr geworden war: Im umrundeten Raum gelten alle Punkte gleich viel. Durch die Neutralisierung erfährt das Raumdenken in der Neuzeit einen radikalen Sinnwandel. Das traditionelle »Leben, Weben und Sein« in regionalen Orientierungen, Strebungen und Attraktionen wird überflügelt von einem System der Lokalisierung von beliebigen Ortspunkten in einem homogenen Vorstellungsraum. (Vgl. hierzu die phänomenologischen Klärungen von Hermann Schmitz in seinem System der Philosophie, Dritter Band, Der Raum, Erster Teil, Der leibliche Raum, 1967, § 119, Der Richtungsraum (sowie §§ 219-231), und § 120, Der Ortsraum (sowie §§ 132-135).) Wo das moderne, ortsräumliche Denken mit seinem neutralisierenden und homogenisierenden Zugriff auf beliebige Punkte der Erdoberfläche die Oberhand gewinnt, dort können die Menschen nicht mehr in ihren traditionellen Weltinnenräumen und deren phantasmatsichen Ausdehnungen und Arrondierungen zu Hause bleiben.“ (Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999, S. 819-820).

„Nachdem die portugiesischen Seefahrer von der Mitte des 15. Jahrhunderts an die magischen Hemmungen durchbrochen hatten, die den Blick nach Westen an den Säulen des Herkules aufhielten, gab die Kolumbusfahrt endgültig das Signal für die »Desorientierung« der europäischen Interessen. Nur diese revolutionäre Ent-Ostung konnte den neu-indischen Doppelkontinent, der Amerika heißen sollte, zum Auftauchen bringen, und ihr allein ist es zuzuschreiben, daß seit einem halben Jahrtausend die Prozesse der Globalisierung ihrem kulturellem und topologischem Sinn nach auch immer »Westung« und Verwestlichung bedeuten. Warum dies nicht anders sein konnte, hat der Initiator der Neuen Phänomenologie, Hermann Schmitz, in den raumphilosophischen Ausführungen seines »Systems der Philosophie« mit glücklicher Pointierung auf den Begriff gebracht. Über Kolumbus heißt es dort:
»Im Westen entdeckte er für die Menschheit Amerika und damit den Raum als Ortsraum. Diese absichtlich überspitzte Formulierung soll besagen, daß Kolumbus - und später der Weltumsegler Magellan als Vollstrecker seiner Initiative - durch ihre Erfolge auf der Westroute eine chocartige Umwälzung der menschlichen Raumvorstellung erzwangen, die m.E. den Eintritt in die spezifisch neuzeitliche Bewußtseinsweise tiefer als irgendein anderer Übergang markiert.« (Hermann Schmitz, System der Philosophie, Dritter Band, Der Raum).
Die Wendung nach Westen induziert die Geometrisierung des europäischen Verhaltens in einem globalisierten Ortsraum. Auch die summarischste Darstellung der noch weithin unerschlossenen Erdzonen folgt darum von Anfang an dem neuen methodischne Ideal: dem einer gleichmäßigen Erfassung aller Punkte auf der Oberfläche des Planeten unter dem Aspekt ihrer Erreichbarkeit für europäische (und das heißt zunächst iberische) Interessen und Operationen ....“ (Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999, S. 833-834).

Die Sonne und der Tod
„Zwischen symbolischen Operationen und Wahrnehmungsakten klafft ein Graben, den man im allgemeinen unbemerkt überwindet, weil er von der alltäglichen Sprachroutine zugeschüttet wird. Die einfachste Meditation, die elementarste Sensibilisierungsübung bringt zu Bewußtsein, daß zwischen der sinnlichen Gewißheit - besser gesagt zwischen der »primitiven Gegenwart«, ein Ausdruck, der sich bei dem Neu-Phänomenologen Hermann Schmitz findet - auf der einen Seite und den symbolischen Operationen, die wir in Sätzen ausführen, auf der anderen kein Kontinuum besteht.“ (Peter Sloterdijk, Sphären III - Die Sonne und der Tod, 2001, S. 523).

Sphären (III)
„Wenn Modernität an Ernst-Verschiebungen erkannt wird: Wie steht es um die andere Seite der Gleichung von Träumen und Schäumen? Wie ernst hat das 20. Jahrhundert den Schaum zu nehmen verstanden? Welchen Stellenwert hat es der »Luft an unerwarteter Stelle« beigemessen? In welcher Weise hat es an der Rehabilitation dieses Flüchtigen, des dem Zerfall Gewidmeten, gearbeitet? Mit welchen Mitteln hat es den selbstbezüglichen Hohlräumen, den von Eigenwerten erfüllten Binnensphären, den atembaren Interieurs und den klimatischen Tatsachen gerecht zu werden versucht? Die adäquate Beantwortung dieser Fragen, sollte sie in unserer Zeit schon möglich sein, ergäbe eine Synopse der Modernisierung. Sie beschriebe ein weitläufiges Zulassungsverfahren für das Zufällige, Momentane, Vage, Vergängliche und Atmosphärische - ein Verfahren, an dem die Künste, die Theorien und die experimentellen Lebensformen mit jeweils eigenen Einsätzen beteiligt sind. Zu seinen Ergebnissen zählt eine grundlegend neue, postheroische Abfassung des Dekorum - des Regelwerks, nach dem die Kulturen im ganzen geeicht sind. Wer eine umfassende Nacherzählung dieser Vorgänge unternehmen wollte, müßte von den Intentionen eines nicht verfälschten Nietzsche ebenso reden wie von der Entfaltung des Husserlschen Impulses; vom Perspektivismus um 1900 wie von der Chaostheorie um 2000; von der Promotion des Surrealen zu einer eigensinnigen Sektion des Realen ebenso wie von der Erhebung des Atmosphärischen zur Theoriewürde, von der Mathematisierung des Unscharfen wie von der begrifflichen Durchdringung der gekerbten Strukturen und der unregelmäßigen Mengen. (Zum Dekorum: vgl. Heiner Mühlmann, Die Natur der Kulturen, 1996; zur Erhebung des Atmosphärischen zur Theoriewürde, insbesondere im Werk des Begründers der Neu-Phänomenologie Hermann Schmitz, vgl. u.a. ders., Leib und Gefühl - Materialien zu einer philosophischen Therapeutik, 1989, S. 135 f.; zur Mathematisierung des Unscharfen vgl. Bart Kasko, Die Zukunft ist fuzzy - Unscharfe Logik verändert die Welt, 2001; zu den unregelmäßigen Mengen vgl. Gilles Deleuze / Felix Guattari, Milles plateaux, 1980.)“ (Peter Sloterdijk, Sphären III - Schäume, 2004, S. 34-35).

„Man darf bezweifeln, ob Heideggers evokative Rede vom »Wohnen« des Menschen in einer sie ermöglichenden und berufenden »Gegend« das letzte Wort in Fragen der unter Explikationszwang geratenen Existenz und ihres Selbstgestaltungsauftrags bleiben kann. Als der Philosoph das besonnene Sichaufhalten in der »Gegend« lobte, sprang er etwas zu schnell (oder auch nicht! HB) voraus zu dem Ideal eines wiedergutzumachenden, alt- und neu-implizierenden Raums. »Gegend« lautet bei ihm der Name des Bereichs, an dem noch ein authentisches Dasein gelingen könnte. Von ihm wäre nicht leicht zu sagen, wie man zu ihm gelangt, hielte man sich nicht bereits an ihm auf. Es müßte ein Ort sein, über den die Explikation hinweggegangen ist, als gelte sie nur anderswo; ein Ort, der zwar vom kalten Wind des Außen, dem Standortrisiko Modernisierung, berührt worden und gleichwohl Heimat geblieben wäre. Seine Bewohner wüßten, daß die Wüste wächst, und dürften sich doch, gerade dort, wo sie sind, einer wundersam immunisierenden »Weite und Weile« (Martin Heidegger, Zur Erörterung der Gelassenheit - Aus einem Feldweggespräch über das Denken, 1944-‘45, in Gesammelte Werke, 13, S. 47) verpflichtet fühlen. Man mag da von hoher Idylle reden. Dem Wort von der »Gegend« kann man gleichwohl, bei all seiner Vorläufigkeit und seinen provinziellen Konnotaionen zum Trotz eine hinweisende Kraft auf die therapeutische Dimension in der Raumbildungskunst nicht absprechen. (Am possitiven Gehalt des Begriffs »Wohnen« hat Hermann Schmitz in seiner Doktrin von den »einbettenden Situationen« angeknüpft; vgl Hermann Schmitz, Adolf Hitler in der Geschichte, 1999.)“ (Peter Sloterdijk, Sphären III - Schäume, 2004, S. 145-146).

Die Natur, könnte man unter ... Vorbehalt sagen, ist eine Autorin, die im Selbstverlag publiziert (wobei sie wohl auf ein menschliches Lektorat angewiesen ist). Begreiflicherweise steht diese Auslegung des Wahrheitsgeschehens im Gegensatz zur dualistischen Dogmatik des von Platon und anderen Nachsokratikern inaugurierten metaphysischen Weltalters und seiner technisch-wirtschaftlichen Erben, für deren Betrachtung die Natur - alias das Seiende im ganzen - als Block aus stummen, sinnfreien, zeichenfernen Dinglichkeiten vorliegt. Es wäre aus dieser Sicht allein der menschliche Geist, der im Besitz seines Monopols auf Sprache, Sinngebung und Interesse an die nichtentgegenkommende Naturmasse wie von außen heranträte und sie zwänge, ihre Geheimnisse preiszugeben. Die tragische Ironie dieser Fehlauslegung von Naturerkenntnis durch die Metaphysik sowie ihre Fortsetzer in den modernen Naturwissenschaften und Technologien besteht nun Heidegger zufolge darin, daß ihre extrem reduktionistischen, das Wahrheitsgeschehen entstellenden und verarmenden Begriffe so erfolgreich waren, daß sie im Modus einer sich selbst wahrmachenden Prophezeiung über mehr als zweitausend Jahre hin für die europäische Rationalitätskultur bestimmend wurden. Dieser Zeitraum wäre daher ausdehnungsgleich mit der Ära der Seinsvergessenheit. Man erinnere sich, daß eine verwandte Sicht der Dinge mit dem Satz: »Das Ganze ist das Unwahre« ausgesprochen wurde - was historisch gewendet bedeutet: Auch das Unwahre hat schon ein Altertum. Wer dessen Anfänge fassen will, um vor sie in unverzerrte Zustände zurückzugehen, muß sich mit Platons Verformelung der Wahrheit zur »Idee« oder noch früher mit Demokrits Aufspaltung der menschlichen Realität in Körper und Seele befassen. Fehlbeschreibungen dieser Größenordnung gehen, wie Heidegger sah, über die Bezeichnungskraft des gewöhnlichen Irrtumsbegriffs hinaus; sie zwingen den Betrachter, zu Ausdrücken wie »Geschick«, vielleicht sogar »Verhängnis« zu greifen. (Vgl. Ernst Tugendhat, Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger, 1967: diese Arbeit, die hinsichtlich Heideggers zu einem negativen Ergebnis kommt, bietet ein anschauliches Beispiel dafür, wie die Rituale der Gründlichkeit dazu dienen können, die bessere Einsicht durch die schlechtere zu verhindern. - In adäquater Weise hat Hermann Schmitz aus kritischer Nähe zu Husserl und Heidegger die allzu massive These von »Seinsvergessenheit« in eine diskrete Liste von fundamentalen »Verfehlungen« des abendländischen Geistes umformuliert [interessanterweise auch in »Leibvergesseneheit«! HB]; er kommt dabei (anders als Husserl, der in seiner »Krisis«-Schrift zwei Großfehlentwicklungen, den transzendentalen Subjektivismus und den objektiven Physikalismus, benannte [aber anfangs auch und besonders, noch deutlicher: den Psychologismus! HB]) auf die Zahl vier: die psychologistisch-reduktionistische, die dynamistische, die ironistische, die autistische Verfehlung. Für jede skizziert der Autor eine kulturtherapeutische Korrektur aus dem Geist der erneuerten Phänomenologie.)“ (Peter Sloterdijk, Sphären III - Schäume, 2004, S. 223-226).

„Der Prozeß der Moderne richtet seine explizitmachende Gewalt auch auf das Grundverhältnis des In-der-Welt-Seins, das Wohnen, das jetzt als die ursprünglich isolierende Tätigkeit des Menschen zu gelten hat - oder, um die Formel des Phänomenologen Hermann Schmitz zu zitieren, als »Kultur der Gefühle im umfriedeten Raum«.“ (Peter Sloterdijk, Sphären III - Schäume, 2004, S. 316).

„Heidegger, dem die Phänomenologie des Wohnens (zusammen mit seinen Nachfolgern Bollnow und Schmitz) noch immer am meisten verdankt, hat den Zusammenhang zwischen dem Wohnen und dem Warten auf Zeichen des Ungewöhnlichen als Matrix der religiösen oder besinnlichen Rezeptivität erläutert:
»Die Sterblichen wohnen, insofern sie die Göttlichen als die Göttlichen erwarten. Hoffend halten sie ihnen das Unverhoffte entgegen. Sie warten der Winke ihrer Ankunft und verkennen nicht die Zeichen ihres Fehls .... Im Unheil noch warten sie des entzogenen Heils.« (Martin Heidegger, Bauen, Wohnen, Denken, 1951, S. 145).
In profanere Ausdrücke übersetzt (und unter Absehung davon, daß man es mit Paraphrasen zu Hölderlins poetischer Theologie zu tun hat), ergibt das die Aussage, daß wohnende Menschen sich in einer Trivialität einhausen, die es ihnen erst erlaubt, das Nicht-Triviale zu unterscheiden.“ (Peter Sloterdijk, Sphären III - Schäume, 2004, S. 516-517).

„Die Untersuchung des menschlichen Aufenthaltswesens kann einen analytisch befriedigenden und hinreichend befremdlichen Grad an Ausdrücklichkeit erst erreichen, wenn sie zu einer Analytik der einbettenden Situation vorangetreiben wird - ein Unternehmen, zu dem, neben den singulären Vorstößen des jungen Heidegger, die Refexionen Paul Valerys über das Wesen der Baukunst als Immersions-Modulierung aus dem Jahr 1921 unseres Wissens am meisten beigetragen haben, vergleichbar nur mit den viel späteren Versuchen von Hermann Schmitz zur Neubegründung eine phänomenologischen Situationismus ....“ (Peter Sloterdijk, Sphären III - Schäume, 2004, S. 523).

Du mußt dein Leben ändern
„Für die frühen Modernen setzt die Hingabe an die geistige Sphäre noch immer die Verweigerung der Teilnahme am profanen Betrieb voraus. Und doch geraten sie, die Proto-Virtuosen, schwankend zwischen den älteren Mönchsklausen und den neueren Studios der Humanisten, in eine gesteigerte Lerndynamik. Sie werden von einer Drift in die Selbstintensivierung erfaßt, die mit den herkömmlichen monastischen Entselbstungsdressuren nur noch eine widersprüchliche Einheit bildet. Aus diesen Intensivierungen resultieren Tendenzen einer bedingten Teilhabe der Spirituellen an der Welt. Unter modifizierter Verwendung des Ausdrucks des Neu-Phänomenologen Hermann Schmitz bezeichne ich diese Rückwendung als »Wiedereinbettung« des ausgegrenzten Subjekts. Dank erster Einbettung nehmen Individuen unmittelbar an ihren Situationen teil. durch Wiedereinbettung finden sie nach Phasen der Entfremdung in sie zurück. Wer das Eintauchen in die Situation bejaht, ist auf dem Weg, zu werden, was Goethe in eigener Sache gelegentlich »das Weltkind in der Mitten« nannte.“ (Peter Sloterdijk, Du mußt dein Leben ändern, 2009, S. 510).

Ich unterteile die Sprache in Sprache i.w.S. (im weiteren und weistesten Sinne) einerseits und Sprache i.e.S. (im engeren und engsten Sinne) andererseits (**). Die Sprache i.e.S. kann nur von denen benutzt werden, die Schmitz „Personen“ (**) nennt: nicht sprachbehinderte Menschen nach dem Säuglingsalter. Das, was ich Sprache i.e.S. nenne, ist in etwa deckungsgleich mit dem, was Schmitz die „satzförmige Rede“ (**|**|**|**|**) nennt, wobei er Sätze als „Programme für Sprache“ (**) bestimmt, genauer sagt er über die Sätze einer Sprache, sie seien „Regeln für die redende Darstellung von Sachverhalten, Programmen und/oder Problemen“ (**):
„Tiere und Säuglinge sind in Situationen mit binnendiffuser Bedeutsamkeit (aus nicht einzelnen Bedeutungen, die Sachverhalte, Programme oder Probleme sind) gefangen. Menschen überwinden als Personen (Bewußthaber mit Fähigkeit zur Selbstzuschreibung) diese Gefangenschaft mit Hilfe ihrer satzförmigen Rede, die den Sätzen einer Sprache (Regeln für die redende Darstellung von Sachverhalten, Programmen und/oder Problemen) gehorcht. In dieser Sprache, einer Situation, in der sie leben, sind die Menschen beim Reden ebenso gefangen wie die Tiere in anderen Situationen, aber sie benützen diese Gefangenschaft zur Explikation einzelner Bedeutungen aus binnendiffuser Bedeutsamkeit. Das ist die spezifische Funktion menschlicher, satzförmiger Rede, während die kommunikative Leistung menschlicher und tierischer Rede gemeinsam ist. Unter den explizierten Sachverhalten befinden sich Gattungen, die Fälle haben können. Dadurch wird es möglich, von den Bedeutungen her beliebige Sachen zu vereinzeln; denn Einzelheit ist das Zusammentreffen von absoluter Identität mit dem Fallen unter Gattungen.“ (**).
Die Sprache i.e.S. kann bruchstückhaft und nur auf dem Niveau der Sprache i.w.S. (z.B. Tiersprache, Babysprache) auch von Präpersonalen verstanden werden; sie kann nur dann aktivert werden, d.h. kann nur dann verwendet werden, wenn die Verwender Personen im Schmitzschen Sinne sind, und zu diesen zählen auch die noch kleinen Personen (Kinder nach dem Säuglingsalter), wenn auch nur zu einem geringeren Teil, zumal sie ja auch erst dabei sind, die Sprache zu erwerben. Personen und Sprachen haben vieles gemeinsam, u.a. eben auch dies: sie werden nie so richtig vollendet.

Vorsprachlich i.e.S. ist alles, was zeitlich vor dem Erscheinen der Sprache i.e.S. liegt: und vorpersonal (präpersonal) ist alles, was zeitlich vor dem Erscheinen des Personalen liegt. Stammegeschichtlich bedeutet dies, daß es vor dem Erscheinen der Sprache i.e.S. noch keine Person gegeben haben kann und umgekehrt, daß es es vor dem Erscheinen der Person noch keine Sprache i.e.S. gegeben haben kann. Wer oder was aber hat damit angefangen? Was war voher da: die Sprache i.e.S. oder die Person? Wahrscheinlich haben sich beide gegenseitig „hochgeschaukelt“. Schmitz zufolge ist „Sprache dem Menschen offenbar nicht angewachsen und auch nicht durch Sprechen, wie Gang durch Gehen, erworben worden ..., weil die Sprache als zuständliche Situation schon da sein muß, damit ihr sprechend gehorcht werden kann.“ (**). Eines scheint sicher zu sein: Ist die Sprache i.e.S. da, ist für die Benutzer der Sprache i.e.S. alles andere nur noch bedingt durch die Sprache i.e.S.. Es gibt also einen Sprachrelativismus, allerdings nur einen solchen, der die Frage, ob etwas auch ohne die Bedingtheit durch die Sprache i.e.S. existiert, einfach unbeantwortet läßt, ja lassen muß, denn diese Frage ist nicht beantwortbar, weil die Sprache i.e.S. ja nun schon da ist. Wir Personen als die Verwender der Sprache i.e.S. müßten, um die Frage beantworten zu können, wieder zu Wesen ohne Sprache i.e.S. werden, doch wenn wir wieder zu Wesen ohne Sprache i.e.S. werden würden, würden wir die Frage nicht mehr beantworten können.

Tiere, menschliche Säuglinge und ihre uterinen Vorfahren sind in Situationen gefangen; sie sind präpersonal. Menschen nach dem Säuglingsalter sind personal - also auch die, die noch nur schwache Personalität aufweisen. Personen sind nicht in Situationen gefangen, sondern in der Sprache i.e.S., und das hat ihnen den Spielraum verschafft, der die Fähigkeit zur Beherschung der Situationen - bis hin zu der der Weltsituation - bedeutet. Der Mensch als Person besitzt also dank der Sprache i.e.S. die Fähigkeit, die Welt zu beherrschen. Daß ihm dabei Fehler unterlaufen, gehört zur Natur dieser Sache. Die Fähigkeit dazu hat er. Person in vollem Umfang wird er ohnehin nie. Wie gesagt: Personen und Sprachen werden nie so richtig vollendet. Die Vollendung der Person und die Vollendung der Sprache kann der Mensch nur anstreben, nicht wirklich erreichen. Das Person-Sein bedeutet also genau genommen ein ständiges Person-Werden. Und diese Personwerdung schwankt so wie das Hin und Her zwischen der personalen Emanzipation (**|**|**) und der personalen Regression (**|**|**). Der Mensch behält vorübergehend und teilweise bis zum Ende seines Lebens also auch seine Präpersonalität bei. Er muß sie beibehalten. Denn seine Reifung ist ja ein Prozeß der ständigen Hin-und-her-Bewegung zwischen personaler Emanzipation (aus der primitiven Gegenwart, den subjektiven Tatsachen heraus) und personaler Regression (in die primitive Gegenwart, die subjektiven Tatsachen hinein). Die perosnale Emanzipation steht für die Gewinnung des oben genannten Spielraums, der Sprache i.e.S..

 

•   Das Wichtigste aus Schmitz’ Werk   •
NACH OBEN Zwei Schienen in Schmitz’ Werk. **
Zwei Schienen
- 1 - - 2 -
Systematische Schiene Historische Schiene
(Beginn: 1958) (Beginn: 1985)
Die systematische Schiene „dient dazu, mit scharfen, aber geschmeidigen Begriffen wie mit weit ausgespannten Netzen der unwillkürlichen Lebenserfahrung immer näher zu kommen“, und „hat vielleicht zwei Drittel oder etwas mehr meiner Zeit und Kraft in Anspruch genommen.“ **
Die historische Schiene hat Schmitz bei den heidnischen Griechen beginnen lassen, und zwar bei den frühesten, was besonders wichtig gewesen ist und worauf Heidegger schon mit Nachrduck hingewiesen hatte. Schmitz’ Ergebnis: „Vier Verfehlungen des abendländischen Geistes.“ **
Umfang:
2 Drittel oder etwas mehr von Schmitz’ Zeit und Kraft. **
Umfang:
1 Drittel oder etwas weniger von Schmitz’ Zeit und Kraft. **

Innerhalb der systematischen Schiene gibt es noch die von Schmitz z.B. in seinem 2016 erschienen Buch „Ausgrabungen zum wirklichen Leben“ genannten „vier Hauptlinien“ (**):

Vier Hauptlinien innerhalb der systematischen Schiene
- 1.1 - - 1.2 - - 1.3 - - 1.4 -
Subjektivität Mannigfaltigkeit Leib und Gefühl Welt

Schmitz hat in dem besagten Buch „jeder der ausgewählten vier Hauptlinien ... ein Kapitel“ (**), somit diese vier Kapitel der systematischen Schiene und im Anschluß daran der historischen Schiene ein Kaiptel gewidmet: Rückblick auf das Abendland. Es dürfte dem Leser aber klar sein, daß auch im Text die zwei Schienen stets zusammen das Gleis (Schmitz’ Werk) bilden, also auch nicht durch Bücher oder Kapitel voneinnander getrennt werden können und auch gar nicht sollen und sollten. Auch hierfür läßt sich als Grund angeben, was in Schmitz’ Werk z.B. über die primitive Gegenwart (**|**|**|**), in der die fünf Hauptdimenisonen HIER, JETZT, SEIN, DIESES, ICH (**|**|**|**|**|**|**|**) verschmolzen sind, und die entfaltete Gegenwart (**|**|**), über personale Emanzipation und personale Regression (**|**|**|**), über die subjektiven Tatsachen (**|**|**|**) und die subjektive Tatsächlichkeit (**) zu lesen ist: daß nämlich Raum, Zeit, Sein, Identität, Subjektivität als die fünf Hauptdimensionen in der primitiven Gegenwart zusammen sind und es trotz personaler Emanzipation davon auch in der entfalteten Gegenwart niemals möglich wird, sich davon völlig zu lösen; daß folglich für eine Person auch das Geschichtliche nicht völlig vom Rest getrennt werden kann, sondern beide zusammen bleiben, und zwar in etwa so, wie die systematische und die historische Schiene in Schmitz’ Werk. Also sind ebenfalls die oben genannten vier Hauptlinien, obwohl sie dort als innerhalb der Systematischen Schien befindlich angegeben sind, immer auch mit der historischen Schiene verbunden. So heißt es z.B. im Kapitel „Subjektivität“ nicht zufällig:
„Für das mit seiner seelischen Innenwelt vermengte Subjekt ergab sich die Rätselfrage, wie es aus ihr heraus zum Objekt kommt. Diese Nivellierung der Subjektivität auf einen bloßen Positionsunterschied (wenn nicht gar Auflösung in Atome) legte die Gegenfrage nahe: Wo bleibe ich selbst? Was kommt zu dem, was ich an mir finde, dadurch hinzu, daß ich selbst das bin (strikte Subjektivität).
Fichte
Diese Frage stellte sich zuerst Johann Gottlieb Fichte. (»Ich schreibe, es schreiben aber auch andere neben mir. Woher weiß ich, daß mein Schreiben nicht das Schreiben eines anderen ist?« »Mein Schmerz, nicht der deinige. Wo ist der Unterschied?« ) Er fand aber nicht die richtige Lösung, sondern flüchtete sich zuerst in die Konstruktion eines absoluten Ich, das keine Tatsache ist, sondern nur die Tathandlung, sich selbst zu setzen, und dann, als diese Konstruktion wegen der Begrenzung durch das Nicht-Ich unhaltbar wurde, in das Schweben der produktiven Einbildungskraft zwischen den unvereinbaren Gegensätzen von Begrenztheit und Unbegrenztheit, aufgeschraubt zum transzendentalen Zirkel. Dieses Schweben wurde zur Dominante des abendländischen Denkens und Lebensgefühls in der Folgezeit, in mehreren Dimensionen. Eine davon ist die Angst, die Kierkegaard als den Höhenschwindel des Schwebens über den eigenen Möglichkeiten deutete; sie ist das Leitmotiv der Existenzphilosophie, die die strikte Subjektivität hochhält, aber nicht zu verorten vermag. Einen geistreichen, aber so nicht haltbaren Vorschlag zu deren ontologischer Verortung machte Heidegger (Sein und Zeit: das Dasein, das bloß seine Möglichkeiten ist und zu sein hat). Eine zweite Dimension, heute die dominante, der unbeabsichtigten Fichte-Nachfolge, ist die ironistische: die absolute Wendigkeit des Schwebens, sich jedem Standpunkt entziehen und auf jeden versetzen zu können, beginnend als romantische Ironie (Friedrich Schlegel), fortgeführt im Dandytum des 19. Jahrhunderts, heute vulgarisiert zur Coolneß und trivialisiert durch elektronische und andere Maschinen mit unzählbaren Angeboten flüchtiger Wahlmöglichkeiten. Eine dritte Dimension ist der Positivismus, der sich dem Schweben der strikten Subjektivität durch deren Verleugnung entzieht und bloß noch Natur in Gestalt vernetzter Daten im Sinne eines Physikalismus gelten läßt. Alle diese Versuche, sich mit der strikten Subjektivität, nachdem sie einmal zur Sprache gekommen ist, abzufinden, scheitern an einem Mißverständnis der Tatsächlichkeit. Man läßt nur objektive oder neutrale Tatsachen gelten, d. h. solche, die jeder aussagen kann, sofern er genug weiß und gut genug sprechen kann, und übersieht die volleren subjektiven Tatsachen des affektiven Betroffenseins, die höchstens einer im eigenen Namen aussagen kann. Wenn man sich überzeugt hat, daß es nicht nur viele Tatsachen, sondern auch viele Tatsächlichkeiten gibt und die für jemanden subjektiven Tatsachen der Sitz seiner Subjektivität sind, braucht man nicht mehr die Weltspaltung durch den scharfen Gegensatz von Subjekt und Objekt, Innenwelt und Außenwelt, sondern das Verhältnis gleicht eher dem elastisch (nicht automatisch) kommunizierender Röhren. Wittgenstein hat gesagt, die Welt sei alles, was der Fall ist, nämlich das Bestehen von Tatsachen. Er dachte aber nur an objektive Tatsachen. Wenn man die subjektiven hinzunimmt, ändert sich die Perspektive der Selbstbesinnung, und das Fichte’sche Ich mit allen seinen Nachfolgern (wie dem Dasein Heideggers) braucht nicht mehr zu schweben. An diesem Unterschied hängt auch die Lösung des Freiheitsproblems, woran alle Versuche seit Jahrtausenden unvermeidlich gescheitert sind, weil sie die Freiheit in objektiven Tatsachen suchten. Davon wird in diesem Zusammenhang die Rede sein.“ **
Hier hat Schmitz u.a. in Kürze die Geschichte der Fichte-Nachfolge erzählt in einem Kapitel, das er nicht der historischen, sondern der systematischen Schiene seines Werks gewidmet hat.

 

NACH OBEN Vier Verfehlungen des abendländischen Geistes. ** **

Hierzu heißt es bei Topowiki:

1) Die psychologistisch-reduktionistisch-introjektionistische Verfehlung. ** ** **

Die psychologistisch-reduktionistisch-introjektionistische Verfehlung des abendländischen Geistes zersetzt die den Menschen gemeinsamen Situationen in Konstellationen privater Innenwelten, verleugnet die räumliche Ergossenheit leiblich ergreifender Gefühle und verkennt mit dem Leib auch die leibliche Kommunikation (**). Sie erzeugt dadurch die autistische Verfehlung und schafft Boden für die dynamistische, nämlich den Psychologismus als Voraussetzung für die Selbstbemächtigung und den Reduktionismus als Voraussetzung für die Weltbemächtigung. (S-AHG 37 [=> Quelle]).

Hier geht es um die Ausbildung eines Innenraums, der dann Seele (später: Psyche; HB) genannt wird und als Träger der menschlichen Emotionen fungiert; diese Innenwelt leistet zugleich die Abwehr und Beherrschung der auf den Menschen von außen eindringenden Anmutungen und Zumutungen. (B-Fest80 25 [=> Quelle]).

Siehe auch: Psychologismus (**), Reduktionismus (**), Introjektionismus (**).

2) Die dynamistische Verfehlung.

Der Dynamismus führt zur Selbstbemächtigung und Weltbemächtigung.

Die Selbstaneignung und Etablierung einer inneren Herrschaftsinstanz und dann in der Folge um die Aneignung und Beherrschung der Natur. (B-Fest80 25 [=> Quelle]).

In der Dialektik der Aufklärung wird auf vergleichbare Weise die Dialektik von Naturbeherrschung und Selbstbeherrschung als Motor eines fatalen Fortschritts aufgefaßt. Schmitz spricht von Francis Bacon als dem Vollender der dynamistischen Verfehlung des abendländischen Geistes. (Heubel 44 [=> Quelle]).

Dabei wird die Heilung der dynamistischen Verfehlungen vorgezeichnet durch die Entdeckung, daß die Gegenwart kein Punkt auf einer Zeitstrecke ist, sondern ein Spielraum, gleichsam trichterförmig ausgespannt zwischen der primitiven Gegenwart ([**] dem Urereignis der Abhebung aus der Ergossenheit in das Kontinuum gleitender Dauer [**], dem fünffach erweiterten Plötzlichen: Hier-Jetzt-Sein-Dieses-Ich [**]) und der entfalteten Gegenwart (**), die die Welt als Horizont des freien Dieses (**) ist. (S-AHG 379 [=> Quelle]).

Die ostkirchliche Frömmigkeit bleibt von der dynamistischen Verfehlung des abendländischen Geistes verschont, weil sie weniger an die synoptischen als an die johanneischen Schriften anknüpft und in starkem Maße ein Erbe des heidnischen Neuplatonismus bewahrt. Verschont bleibt auch der Islam, der zwar nicht weniger als das Christentum das Machtthema in den Vordergrund stellt, aber die Unberechenbarkeit der Machtausübung Gottes und seiner irdischen Vertreter (etwa des Kalifs, des Sultans) soweit des Schicksals so sehr betont, daß eine planmäßige systematisierte Selbst- und Weltbemächtigung des Menschen keine Chancen hat. (S-AHG 42 [=> Quelle]).

Nachdem das an das Machtinteresse gebundene affektive Betroffensein im abendländischen Bereich sich von Gott entbunden und zur imperialistischen Weltbemächtigung entschieden hat, wird es frei zum Durchbruch der modernen Technik mit dem triumphalistischen Anspruch des Menschen auf Herrschaft über die Natur. (S-AHG 42 [=> Quelle]).

3) Die autistische Verfehlung.

.Die autistische Verfehlung des abendländisches Geistes besteht in der Zersetzung implantierender Situationen - des Nomos, der aus dem Hintergrund der gemeinsamen Situationen die individuelle Lebensführung steuert, mit breitem Spielraum zur Auseinandersetzung - in Konstellationen einzelner, isolierter persönlicher Situationen. Sie geht aus der psychologistisch-reduktionistisch-introjektionistischen Verfehlung hervor, .... (S-AHG 55 [=> Quelle]).

Die autistische Verfehlung ist eine Konsequenz der psychologistisch-reduktionistisch-introjektionistischen Verfehlung, nämlich der Selbstdefinition des Menschen als Seele (später: Psyche; HB), wodurch er sich auf die anderen Menschen und die Außenwelt nur bezieht, insofern sie innerpsychisch repräsentiert sind und seine Emotionalität nicht mehr eine Involviertheit in die Außenwelt, sondern nur seine Teilnahme an den eigenen inneren Zuständen als Lust und Unlust reflektiert. (B-Fest80 25 [=> Quelle]).

Dieser gegenwärtiger Stand der autistischen Verfehlung des abendländischen Geistes belastet das aus implantierenden Situationen freigesetzte, sich selbst überlassene Individuum doppelt: Es kann nicht zu sich (d.h. zu seiner Persönlichkeit) finden und es kommt nicht über sich hinaus, da es nicht von einem überpersönlichen Nomos geführt wird. Der autistisch freigelassene Mensch hängt gleichsam an einer dünnen Membran zwischen sich und seiner Umgebung fest und kann sich nur noch auf deren Oberfläche bewegen; in die Tiefe zu sich und die Tiefe um sich führt ihn kein stetig gerichteter Zug mehr. (S-AHG 385 [=> Quelle]).

Mit der dynamistischen Verfehlung verbindet sich die autistische Verfehlung. Sie verliert ihre Glaubwürdigkeit prinzipiell mit der Widerlegung des Nominalismus und des Konstellationismus, ... (S-AHG 379 [=> Quelle]).

Der Ersatz des Nomos implantierender Situationen (Topos) durch Konstellation einzelner Normen (Logos).

Topos Logos
Nomos implantierender Situationen Konstellation einzelner Normen

Geschichte der autistischen Verfehlung.

Einen maßgeblichen Beitrag zur autistischen Verfehlung leistet der platonische Sokrates mit der systematischen Zersetzung kommunikativer Kompetenzen für den Nomos durch sein Definitionsverlangen, womit er die Könner ganzheitlichen Inneseins im Sichverstehen auf die gemeinsame implantierende Situation eines Tugendwissens in aporetische Verzweiflung treibt, weil er ihnen die unerfüllbare Aufgabe stellt, die binnendiffuse, ganzheitliche Bedeutsamkeit der Situation durch eine Konstellation begrifflicher Merkmale zu ersetzen (...). (S-AHG 56f. [=> Quelle]).

Eine enorme Verschärfung der autistischen Verfehlung bringt das spät- und nachantike Christentum auf weströmischem Boden mit sich. Im Zeichen der Erbsünden- und Prädestinationslehre Augustins kann man den der Entscheidung über ihr ewiges Leben im Augenblick des Todes unruhig entgegensehenden Menschen nur noch zurufen: Rette sich, wer kann! (S-AHG 57 [=> Quelle]).

Einen Auftrieb anderer Art schöpft die autistische Verfehlung des abendländischen Geistes aus der Imprägnierung des westkirchlichen Christentums mit dem Zwangsgedanken der Hölle durch die Einübung völliger Entsolidarisierung mit Verhältnis zu den Verdammten. (S-AHG 58 [=> Quelle]).

In der Neuzeit erreicht die autistische Verfehlung des abendländischen Geistes einen Höhepunkt mit der Erneuerung des augustinischen (und von Thomas von Aquin [also: im Mittelalter schon; HB] unter der Hülle von Widersprüchen und gewundenen Formeln geteilten) Prädestinations- und Reprobationsdogmas. (S-AHG 60 [=> Quelle]).

Noch wichtiger für die Säkularisierung der autistischen Verfehlung des abendländischen Geistes ist im katholischen Bereich der Jesuitenorden. (S-AHG 60 [=> Quelle]).

Hobbes als Theoretiker perfekter Radikalisierung der autistischen Verfehlung des abendländischen Geistes in säkularisierten, von den Spuren christlicher Herkunft gereinigter Gestalt. (S-AHG 61 [=> Quelle]).

4) Die ironistische Verfehlung.

Die ironistische Verfehlung des abendländischen Geistes besteht in der Freiheit des Menschen, der sich aus allen Involviertheiten in Sachverhalten zurückgezogen hat, nämlich der Freiheit, beliebige Sachverhalte als die seinen zu besetzen und damit beliebige Rollen zu spielen. (B-Fest80 25 [=> Quelle]).

Die ironistische Verfehlung des Dandys ist eine Überabgrenzung und nicht mit der gesunden Abgrenzung zu verschiedenen Rollen (Rollendistanz) zu verwechseln.

Die ironistische Verfehlung schließlich, die vierte unter den vier großen Verfehlungen des abendländischen Geistes - und die einzige, die zugleich eine die Lebenserfahrung bereichernde Entdeckung war -, wird geheilt durch die Entdeckung der subjektiven Tatsachen (**), als der vollständigen und ursprünglichen, von denen die objektiven Tatsachen (**) abgeblaßte, neutralisierte Reste sind, so daß das Schweben in romantischer Ironie über den objektiven als vermeintlich allen Tatsachen entfällt, aber durch die multivalente Mannigfaltigkeit personaler Subjektivität in entfalteter Gegenwart (**) abgelöst wird. (S-AHG 380 [=> Quelle]).

Die ironistische Verfehlung des abendländischen Geistes geht also aus der Entdeckung hervor, daß unter den objektiven oder neutralen Tatsachen (**), die jeder aussagen kann, wenn er genug weiß und gut genug sprechen kann, für niemanden ein Anhaltspunkt zu finden ist, daß der Mensch, der er tatsächlich ist, er selbst ist. Diese Entdeckung wird nicht gleich so präzis durchdacht und formuliert, und es wird auch nicht klar gesehen, daß die objektiven Tatsachen nicht alle Tatsachen sind, sondern sogar nur abgeblaßte Reste der integren subjektiven Tatsachen (**). (S-AHG 69 [=> Quelle]).“

Topowiki, Verfehlungen, zuletzt am 7. Januar 2018 um 00:42 Uhr bearbeitet.

Schmitz u.a., 2010
6. Juni 2010: Gespräch über die Zukunft der Neuen Phänomenologie.
V.l.n.r.: Robby Jacob, Henning Hintze, Heinz Becker,
Hermann Schmitz, Hans Werhahn, Matthias Klatt. Gespräch über die Zukunft der Neuen Phänomenologie
Vielleicht nicht zu den großen Verfehlungen, aber immerhin zu den Verfehlungen des abendländischen Geistes scheint auch die Tatsache zu gehören, die von diesen abweichenden Richtungen mit äußerster Kraft zu bekämpfen, und zwar um so kräftiger, je älter das Abendland wird.
Du mußt dein Leben ändern
Du mußt dein Leben ändern
Eine solche Bekämpfung hat jedenfalls Schmitz am eigenen Leib erfahren. Wenn man unter seinem Werk die „Leitlinie“ seines „beharrlichen philosophischen Bestrebens seit 1958“, nämlich sein „Bestreben ..., den Menschen ihr wirkliches Leben begreiflich zu machen“ (**), versteht, dann ist er von 1958, als er damit begann, bis 2021, als er starb, also innerhalb von 63 Jahren immer mehr Anfeindungen und Ignoranz ausgesetzt gewesen - trotz der Tatsache, daß ihm auch Menschen Folge und Beistand geleistet haben, u.a. eben auch Gernot Böhme, der, seit er Schmitz’ Buch »System der Philosophie, Band II, Der Leib, Teil 1« (1965) mit einer klugen Besprechung bedacht hatte“, unablässig an Schmitz’ Seite gestanden hat (**), und Peter Sloterdijk, der Schmitz „in Karlsruhe mit allen Ehren aufgenommen und als den bedeutensten lebenden deutschen Philosophen ausgegeben“ und „erstaunlich eingehende Kenntnis meiner Arbeiten bewiesen und sich über diese in seinen Schriften mehrfach anerkennend und verständnisvoll geäußert“ hat (**), sowie Heinz Becker, Robby Jacob, Jürgen Hasse, Reiner Wimmer, Hilge Landweer, Henning Hintze, Christian Bendrath, Peter Janich, Christoph Demmerling, Matthias Klatt und nicht zuletzt Schmitz’ Freund aus alten Zeiten: Hans Werhahn. 63 Jahre hat Schmitz’ an seiner Leitlinie gearbeitet, und die kann angesichts der Qualität und Qunatität, die Schmitz in diesen 63 Jahren abgeliefert hat, nicht einfach ignoriert werden, jedenfalls langfristig nicht und in normalen Zeiten auch mittelfristig nicht. Doch wer ignoriert, hat einen Grund, einen Beweggrund (Motiv) dafür. Der Hauptbeweggrund dafür ist das Wissen, daß die Ignoranz zu denjenigen Strafen gehört, die den personalen Leib affektiv stärker ergreifen (betroffen machen) als z.B. über die Medien veröffentlichte Anfeindungen, Kritiken u.ä.. Der bei weitem überweigende Teil dieser Ignoranten sind Mitläufer. Mitläufer laufen jeder Bewegung hinterher, die nach Macht aussieht, wenn die die Bequemlichkeit, das Leicht-Sein, im Schatten der Macht verspricht.

Ich hoffe, daß Schmitz’ Werk das zuteil wird, was es verdient hat, so daß Schmitz’ Hoffnung, daß es ihm „gelingen könnte, den Menschen ihr wirkliches Leben begreiflich zu machen“ (**), in Erfüllung gehen wird.

„Eine wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, daß ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern die Gegner allmählich aussterben.“ (Max Planck **).

„Eine neue Theorie wird ... zunächst als widersinnig bekämpft. Dann gibt man ihre Wahrheit zu, bezeichnet sie aber als selbstverständlich und bedeutungslos. Schließlich erkennt man ihre hohe Bedeutung an, und ihre früheren Gegner behaupten nun, sie hätten sie selbst entdeckt.“ (William James **).

„Der Verstand ... ist hochmütig, und ein abgenötigter Widerruf bringt ihn in Verzweiflung; daher kommt, daß offenbarte Wahrheiten erst im stillen zugestanden werden, sich nach und nach verbreiten, bis dasjenige, was man hartnäckig geleugnet hat, endlich als etwas ganz Natürliches erscheinen mag.“ (Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, 658 **).

 

NACH OBEN Schmitz-Bücher, die ich gelesen habe:

Buch von Hermann F.-H. Schmitz  Buch von Hermann F.-H. Schmitz  Buch von Hermann F.-H. Schmitz  Buch von Hermann F.-H. Schmitz

 

NACH OBEN Traueranzeige der Universität Kiel:

Traueranzeige

11 Tage vor seinem 93sten ist Hermann F.-H. Schmitz (16.05.1928 - 05.05.2021) gestorben.

Ruhe in Frieden, lieber Hermann.

 

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