
Alfred
Weber (1868-1958) |
Kulturgeschichte, Kultursoziologie und Ökonomie - Existenz / Leben |
Alfred Weber verband die Soziologie mit der Strukturlehre der Geschichtswissenschaft.
Seine Kultursoziologie zeigt, daß die eigentliche Grundlage der
großen Kulturen immer ein charakteristischer Typus der betreffenden
sozialen Organisation ist, und beschreibt, die geschichtlichen Entwicklungsstufen
dieser Typen.
Laut Weber ist die Geschichte in drei Prozesse gegliedert: Gesellschaft,
Kultur, Zivilisation. Der gesellschaftliche Bereich umfaßt die Sozialstruktur
einschließlich ihrer Bewegungen und politisch-sozialen Ordnungsversuche.
Der kulturelle Bereich umfaßt die Ausformungen der Mythen, Religion,
Kunst und Philosophie. Der zivilisatorische Breeich bedeutet die wissenschaftlichen
Entdeckungen samt ihren technischen und wirtschaftlichen Anwendungen.
(Vgl. meine Definition von Kultur und Zivilisation ).
Die Zivilisation appelliert an die Vernunft, ist daher in andere Gesellschaften
übertragbar; sie führt zur Rationalisierung der menschlichen
Existenz. Der Prozeß der Kultur ist dagegen nicht übertragbar;
er ist eine spezifische Schöpfung von Ausdruckswerten, zugleich ein
bestimmter Entwurf des Menschseins; er sucht Gesellschaftsordnung
und Zivilisationsbereich zu beleben, eine Individualität herzustellen
bzw. auf diese hinzudeuten, der Welt einen Sinn und analoge Ausdrucksformen
zu verleihen. Die Kultur der Gesellschaften prägt Menschen, die Weber
in Typen zu erfassen sucht. Keiner der drei Teilbereiche ist Ursache der
hiostorischen Entwicklung, keiner gehorcht allein immanenten Gesetzen.
Erklärt wird die Wirksamkeit der Ereignisse aus einer historisch-soziologischen
Faktoren-Konstellation. Für die gegenwärtige Industriegesellschaft
wird die Verselbständigung des Zivilisationsprozesses konstatiert,
die - von der Kultursphäre getrennt - zur Auflösung der sozialen
Gehalte, zur psychischen Heimatlosigkeit des zerstückelten,
sogenannten vierten Menschen, damit zur sozialen Krise des
rationalen Zeitalters führte.
Das Ergebnis
der bisherigen Geschichte sei, daß die Menschen zu der Welt- und Daseinsangst
der Primitiven zurückkehre. so Weber in seinem Werk Kulturgeschichte als
Kultursoziologie (1935 ).
Sozialreligionen sind laut Weber der demokratische Kapitalismus, der
demokratische Sozialismus und der sozialistische Kommunismus; ihr Ursprung ist
die Erklärung der Menschenrechte von 1776 mit ihrem religiös-sozialen
Gehalt als Ausdruck eines neuen Menschenbildes. Diese Sozialreligionen sind
weithin an die Stelle der Transzendentalreligionen getreten; ideell und zugleich
sozialstrukturell bilden sie in unerhörtem Maße die praktisch-dynamischen
Umwälzungskräfte des heutigen Daseins. Keine der Transzendentalreligionen,
der Islam vielleicht ausgenommen, hat heute noch eine Missionskraft, die auch
nur im entferntesten vergleichbar wäre derjenigen dieser Sozialreligionen.
(Alfred Weber, Kulturgeschichte als Kultursoziologie, 1935, S. 423).Ein
selbständiges großes Geschichtsbild hat in unserer Zeit außer
Spengler und Toynbee Alfred Weber entwickelt. Seine universale Geschichtsanschauung,
seine Kultursoziologie, bleibt trotz seiner Neigung, die Ganzheiten der Kulturen
zum Gegenstand der Erkenntnis zu machen, in der Tat ungemein offen. Unter Führung
seiner hellsichtigen Geschichtsintuition mit einem unbeirrbaren Sinn für
den Rang der geistigen Schöpfungen entwirft er den Geschichtsprozeß
derart, daß weder die Zerstreutheit in unbezogene Kulturorganismen, noch
die Einheit der Menschheitsgeschichte als solche ihm zum Prinzip wird. Aber tatsächlich
entsteht ihm die Gestalt eines universalen Geschichtsprozesses, der sich ihm gliedert
in primäre Hochkulturen, sekundäre Kulturen erster und zweiter Stufe
bis zur Geschichte des expansiven Abendlandes seit 1500. (Karl Jaspers,
Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, 1949, S. 17 ).Es
klingt zwar modisch, wenn von der »Posthistorie« oder der »Postmoderne«
die Rede ist, wenn Alfred Weber »Abschied von der bisherigen Geschichte«
nimmt oder wenn ein Historiker von dem »nachhistorischen Zeitalter«
spricht, in dem wir leben, aber auch diese Vorstellung wurzelt in in uralten Zeiten.
(Ernst Nolte, Historische Existenz, 1998, S. 20 ).Mit
höchster Wahrscheinlichkeit darf der Krieg - als aktueller und als potentieller
Zustand - ein wesentlicher Bestandteil historischer Existenz genannt werden, und
eine Hauptfrage muß dann darin bestehen, ob es den Krieg in der Vorgeschichte
und bei Tieren noch nicht gegeben hat und inwiefern es ihn in einer Nachgeschichte
vielleicht nicht mehr geben wird. Weit verbreitet ist heute die schon von Alfred
Weber und Alexander Rüstow vertretene Auffassung, daß Herrschaft und
Staat durch kriegerische Reitervölker in Erscheinung getreten sind und mit
dem Herrenbewußtsein von regierenden Aristokratien verschwinden müssen.
Auch Probleme wie diese gehören in die Frage nach der »historischen
Existenz« hinein, und schon dadurch wird deutlich, daß Analyse und
Interpretation zwar im Vordergrund stehen müssen, daß aber das Moment
der Erzählung nicht vollständig fehlen darf. (Ernst Nolte, Historische
Existenz, 1998, S. 53 ).Die
Richtigkeit der Überlagerungstheorie ( )
und damit das bevostehende »Ende der Herrschaft« nimmt auch Alfred
Weber in seinen verschiedenen Werken der Zeit nach 1945 an. .... Die Überlagerungslehre
führt Herrschaft, Schichtung und Staat auf »exogene« Ursachen
zurück, vornehmlich auf die Eroberung; Platon dagegen macht endogene Faktoren
zur Ursache, insbesondere die Arbeitsteilung. Kritik zu üben ist nicht schwierig:
Die erste Hochkultur der Menschheit, die sumerische, beruhte weder auf der Unterwerfung
einer andersethnischen Unterschicht noch auf einer Reichsbildung; die als »Barbaren«
empfundenen Gutäer und Kassiten eroberten Babylon und bildeten zeitweise
eine Herrenschicht, aber sie assimilierten sich sehr rasch an die Unterworfenen,
und sie brachten den babylonischen Staat nebst Herrschaft und Schichtung keineswegs
hervor; der Begriff der »Eroberung« hat eine intensivere und von Rüstow
ebenso wie von Oppenheimer ganz vernachlässigte Erscheinungsform, nämlich
die Verdrängung oder Vernichtung der Besiegten. Aber es läßt sich
nicht übersehen, daß Oppenheimer und Rüstow und auch Alfred Weber
sich von einer sehr konkreten Erfahrung bestimmen ließen, der Erfahrung
der starken Rolle des Adels im wilhelminischen und sogar noch im Weimarer Deutschland.
(Ernst Nolte, Historische Existenz, 1998, S. 206 ).Die
Lebensphilosophie bildet übrigens den philosophischen Rahmen, in dem Alfred
Weber wie sein Bruder Max ( )
zu finden ist. Die Richtung ist kulturphilosophisch, kultursoziologisch, geschichtsphilosophisch,
universalhistorisch, historisch, sozialökonomisch zu nennen. Der Kultur wird
im Rahmen der geschichtlichen Welt eine Sonderstellung eingeräumt, der Mensch
wird als geschichtliches Wesen, die gesellschaftlichen Phänomene werden als
kulturelle Erscheinungen betrachtet, Wirtschaft und Gesellschaft werden in ihrer
wechselseitigen Bedingtheit zu einem bedeutenden Thema, bilden eine Einheit, wobei
der soziale Prozeß in seiner historischen Entfaltung und dessen Bewertung
im Rahmen der geschichtlichen Betrachtung im MIttelpunkt des Interesses bleiben. |