Der
Mensch ist kein Individuum, sondern ein Dividuum. Nietzsches
selbstbezogenes Schreiben setzt die Fähigkeit voraus, sich nicht als Individuum,
als das Unteilbare, sondern als Dividuum (Friedrich Nietzsche, Menschliches,
Allzumenschliches, 1878, 2,76 ),
als etwas Teilbares, zu erleben. Eine mächtige Tradition spricht vom »Individuum«
wie von einem unteibaren Kern des Menschen, Nietzsche aber hat schon sehr früh
mit der Kernspaltung des Individuums experimentiert. Über »sich«
schreibt, wem die Unterscheidung zwischen »Ich« und »sich«
überhaupt etwas zu denken gibt. (Rüdiger Safranski, Nietzsche,
2000, S. 15 ).
Der Mensch, welcher nicht zur Masse gehören will, braucht nur aufzuhören,
gegen sich bequem zu sein; er folge seinem Gewissen, welches ihm zuruft: »sei
du selbst! Das bist du alles nicht, was du jetzt tust, meinst, begehrst«.
Jetzt bist du nur ein »öffentlich meinender Scheinmensch«.
(Friedrich Nietzsche, Schopenhauer als Erzieher, 1874, S. 6 ).
Dieser öffentlich meinende Scheinmensch, den Nietzsches Sei-du-selbst
(  )
überwinden sollte, läßt sich als eine Vorwegnahme des Man
bei Martin Heidegger deuten. Jeder ist der Andere und Keiner er selbst.
Das Man, mit dem sich die Frage nach dem Wer des alltäglichen
Daseins beantwortet, ist das Niemand, dem alles Dasein im Untereinandersein sich
je schon ausgeliefert hat. (Martin Heidegger, Sein und Zeit,
1927, S. 128 ).
In dieser wunderlichen Welt der Phantasmen ist alles wirklich, aber
es ist die Wirklichkeit der entfesselten Gewalt der kollektiven Selbstvermeidung.
.... Den Gedanken von der strukturellen Selbstvermeidung infolge der Unsagbarkeit
der Person hat ... Martin Heidegger so formuliert: »Jeder ist der Andere
und Keiner er selbst«. Die eigene Individualität gleicht einer heißen
Platte, die jeden Tropfen noch vor dem Aufprall in Wasserdampf verwandelt. Was
da über der heißen Singularität der Individualität verdampft,
sind die alltäglichen oder erhabenen Begriffe von »Mensch« und
»Menschheit« - lauter Fiktionen, doch mächtig genug, um das Spiel
auf der Bühne des gesellschaftlichen Lebens zu arrangieren. Jeder ist verstrickt
in die allgemeine Wirklichkeit und hat doch keine Sprache für seine Wirklichkeit.
(Rüdiger Safranski, Nietzsche, 2000, S. 217-218 ). |