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Gunnar Heinsohn (*1943)
- Theorie des Familienrechts - Geschlechtsrollenaufhebung, Kindesvernachlässigung, Geburtenbrückgang (1974) -
- Theorie des Kindergartens und der Spielpädagogik (1975) -
- Menschenproduktion (1979) -
- Liebe ist in gewissem Sinne überflüssig (1979) -
- Die Kinder Europas (1980) -
- Lohn für Mütter (1980) -
- Das „Apriori“ von Kindheit (1980) -
- Kommentar zur Periodisierung der Kindheitsgeschichte durch Lloyd DeMause: „Hört ihr die Kinder weinen?“, 1974 (1981) -
- Geld, Produktivität und Unsicherheit in Kapitalismus und Sozialismus (1981) -
- Privateigentum, Patriarchat, Geldwirtschaft (1982) -
- Die Vernichtung der weisen Frauen (1985) -
- Wann lebten die Pharaonen? (1990) -
- Wie alt ist das Menschengeschlecht? (1991) -
- Eigentum, Zins und Geld (1996) -
- Eigentumstheorie des Wirtschaftens versus Wirtschaftstheorie ohne Eigentum (1996) -
- Lexikon der Völkermorde (1999) -
- Völkermordfrühwarnung (2000) -
- Eigentum und Entwicklung (2001) -
- Zins und Geld (2001) -
- Söhne und Weltmacht (2003) -
- Warum werden sie zu Kriegern?  (2003) -
- Machtfaktor Söhne (2004) -
- Zwei - nicht mehr und nicht weniger (2005) -
- Finis Germaniae?  (2005) -
- Kinder, Kinder (2005) -
- Eigentumsökonomik (2006) -
- Jung, aggressiv und engagiert (2007) -
- Die demographische Kapitulation (2007) -
- Phänomenologie der Gewalt (2007) -
- Sozialhilfe auf fünf Jahre begrenzen (2010) -
- „Europäerinnen und Europäer: Wir haben fertig!“(2012) -
Heinsohn-Zitate. Da ich Gunnar Heinsohn für einen doch schlauen Wissenschaftler halte, möchte ich ihm eine
   separate Seite widmen und aus folgenden seiner Werke zitieren:
Menschenproduktion (mit: Rolf Knieper und Otto Steiger; 1979)  -
Das „Apriori“ von Kindheit (1980)  -
Kommentar zur Periodisierung der Kindheitsgeschichte ... (1981)  -
Eigentum, Zins und Geld (mit: Otto Steiger; 1996)  -
Söhne und Weltmacht (2003)  -
Warum werden sie zu Kriegern? (2003)  -
Zwei - nicht mehr und nicht weniger (2005)  -
Gespräch im „Philosophischen Quartett“: Die Diktatur des Kapitals (2005)  -
Finis Germaniae?  (2005)  -
Kinder, Kinder (2005)  -
Gespräch im „Philosophischen Quartett“: Radikalismus und Bevölkerungswachstum (2006)  -
-  Jung, aggressiv und engagiert (2007)  -
Die demographische Kapitulation (2007)  -
Strategie gegen Deutschlands demographischen und pädagogischen Sinkflug (2008)  -
Gespräch im „Philosophischen Quartett“: Halbzeit der Krise? (2009)  -
-  Wie man mit Geld Armut vermehrt (2010)  -
-  Sozialhilfe auf fünf Jahre begrenzen (2010)  -
-  Heute Athen, morgen Berlin (2010)  -
-  Gabriel und die Gene (2010)  -
„Europäerinnen und Europäer: Wir haben fertig!“(2012) -

 

Kritk bzw. Skepsis
- „Kritik bzw. Skepsis an der Bevölkerungstheorie von Heinsohn & Co“ -
- „Kritik bzw. Skepsis an der Wirtschaftstheorie von Heinsohn und Steiger“ -

 

Menschenproduktion. Allgemeine Bevölkerungstheorie der Neuzeit (1979) **Ko-Autoren:
Rolf Knieper und Otto Steiger

„Menschen, die zu ihrer Existenzsicherung keinen Nachwuchs benötigen, können kinderlos bleiben, wenn ihnen Verfahren zu seiner Vermeidung zugänglich sind.
Die Geheimgeschichte der neuzeitlichen Ökonomien Merkantilismus, Kapitalismus und »real existierender Sozialismus« verbirgt sich gerade in der Fähigkeit, für eine nicht mehr familienwirtschaftlich organisierte Ökonomie dennoch Menschen durch Fortpflanzung in der Familie als Arbeitskräfte bereitzustellen. Diese Fähigkeit erweist sich als die gewaltsame, »polizey-staatliche ›Menschenproduktion‹«. Ihr Erfolg beruht auf der Auslöschung des Nachwuchsverhütungswissens durch millionenfache Tötung seiner Trägerinnen, die als »Hebammen-Hexen« zwischen dem 15. und dem Ende des 18. Jahrhunderts vernichtet wurden. Nach Abschluß dieser Massaker wurde der Glaube an einen natürlichen Kindeswunsch« allgemein. Er beherrscht seitdem die wissenschaftliche Analyse ungleich stärker als die einzelnen Frauen und Männer. Von nun an konnte eine hinreichende Erklärung für die Gattungsreproduktion und damit die gesellschaftliche Reproduktion insgesamt nicht mehr gegeben werden.
Das vorliegende Buch schreibt deshalb die Geschichte der Moderne insofern neu und unterzieht die hierbei bedeutsamen Gesellschaftstheorien - merkantilistische und klassische Nationalökonomie, Marxismus sowie die verschiedenen Konzepte der modernen Bevölkerungswissenschaft - der Kritik.“ (Ebd., Klappentext).

A)Vorrede (S. 11-18) 
B)Wie die römische Sklavenwirtschaft durch Zerstörung der Familienwirtschaft groß wird und an der dadurch versiegenden Menschenproduktion zerbricht (S. 19-39)
C)Wie der Feudalismus durch Wiederherstellung der Familienwirtschaft problemlos Menschen produziert, in seiner Krise jedoch wieder Menschenmangel entsteht (S. 40-45)
D) Wie die Krise des Feudalismus zur staatlichen Menschenproduktion führt (S. 46-83)
E) Warum in der industrielen Revolution die polizey-staatliche Menschenproduktion ihren Höhepunkt, nicht jedoch ihren Ausgangspunkt hat (S. 84-128)
F) Wie es zum neuerlichen Durchbruch ökonomischer Rationalität im Fortpflanzungsverhalten der Europäer kommt oder: Warum die Geburtenraten im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zu sinken beginnen (S. 129-184)
G) Wie der Glaube an den natürlichen Heirats- und Fortpflanzungswunsch zur Fallgrube der Analysen wird oder: Das familistische Scheitern der Wissenschaft vom Geburtenrückgang (S. 185-244)

A) Vorrede

„Menschen, die zu ihrer Existenzsicherung keinen Nachwuchs benötigen, können kinderlos bleiben, wenn ihnen Verfahren zur Nachwuchsvermeidung zur Verfügung stehen. Sind ihnen diese Möglichkeiten verstellt, so birgt die ungewollte Fortpflanzung die Gefahr der Kindesvernachlässigung. Selbst wenn Rentabilitätserwägungen hinter der Sehnsucht nach Kindern zurückstehen, diese also jenseits ökonomischer Zwecke gewünscht und zuwendungsreich erzogen werden, können die Eltern ihnen keine Zukunft versprechen, sondern müssen sie in die ungewisse Konkurrenz der Arbeitsmärkte stoßen.“ (Ebd., S. 11).

„Kindesvernachlässigung und rascher Geburtenrückgnag in den gegenwärtigen Industriegesellschaften bildeten den unmittelbaren Anlaß für ausführliche Analysen, deren Resultat in den oben formulierten Sätzen zusammengefaßt werden kann. (Vgl. u.a.: Gunnar Heinsohn / Rolf Knieper, Theorie des Familienrechts, 1974; dies., Theorie des Kindergartens und der Spielpädagogik, 1975). Versuche, sie zu relativieren, d.h. sie nur für den industriellen Kapitalismus anzuerkennen oder sie gar grundsätzlich in Zweifel zu ziehen, haben uns zu einer historischen und theoriegeschichtlichen Untersuchung bewogen, in deren Ergebnis sie als zentraler Bestandteil allgemeingültiger Aussagen über das generative Verhalten des Homo sapiens ihre Tauglichkeit unter Beweis stellen: Alle Maßnahmen und überlegungen gegen Kindesverwahrlosung und sinkende Geburtenzahlen blieben bisher hilfslos, wenn ein existentieller Zusammenhang zwischen den Generationen fehlte.“ (Ebd., S. 11).

„Wir wollen zeigen, daß Fortpflanzung und Aufzucht stets von wirtschaftlichem Kalkül getragen sind. Wo sich der Einzelne über persönliches oder genossenschaftliches Eigentum und dessen Vererbbarkeit erhält, stellt das individuelle Kalkül Fortpflanzung und Aufzucht sicher. Wo dieser Zusammenhang zerbricht und der Einzelne entweder als fremder Gewalt Unterworfener oder als freier Lohnarbeiter seine Existenz findet, tritt an die Stelle der individuellen Fortpflanzungsüberlegung in der Menschheitsgeschichte mehrfach die Anwendung von Bevölkerungspolitik. Wo Fortpflanzung und Aufzucht nicht im individuellen Interesse liegen, wird versucht, mit sanktionsbewehrten Gesetzen diese Interessen zu brechen, d.h. zur Fortpflanzung und Aufzucht zu nötigen. Wenn Strafen unterlaufen werden können oder die Qualität des unfreiwillig erzeugten Nachwuchses leidet, werden finanzielle Anreize für die Fortpflanzung gesetzt, also wiederum die individuellen Einkommensinteressen in deren Dienst gestellt. Im modernen Industriekapitalismus hat durchweg der Staat Maßnahmen ergriffen, um das Nachwachsen eigentumsloser Arbeitskräfte zu gewährleisten. Er hat dadurch eine nicht zu Unrecht als Bevölkerungsexplosion bezeichnete Menschenvermehrung bewirkt. Dennoch zeigen die Verlangsamung dieses Wachstums und seine schließliche Umkehrung - zuerst in den deutschsprachigen Ländern Europas -, daß diese Mittel stumpf geworden sind.“ (Ebd., S. 11-12).

„Unsere These von der Herrschaft des wirtschaftlichen Kalküls bei der Fortpflanzung besagt, daß die Aufzucht von Kindern nicht einem natürlichen Drang folgt, sondern immer eine soziale Entscheidung erfordert, gleichgültig, ob sie dem Interesse des Einzelnen entspricht oder ob sie ihm durch das jeweils in der Gesellschaft dominierende Interesse aufgeherrscht wird. Damit bestreiten wir das das Auftreten eines Wunsches nach Kindern nicht, wohl aber, daß er naturgegeben ist. Wir wenden uns gegen das Bewußtsein von der »natürlichen Vermehrung«, das überall in der Welt zentraler Bestandteil bevölkerungswissenschaftlicher Gewißheit geworden ist: Es gibt keine natürliche Vermehrung des Menschen.“ (Ebd., S. 12).

„Nun bleibt die Intensität eines Wunsches nach Kindern davon unberührt, ob er angeboren ist oder erworben wurde. Für die Annahme seiner überhistorischen Dauerhaftigkeit kommt es jedoch gerade auf diesen Unterschied an. Untersuchungen zum Schwangerschafts- und Gebärverhalten belegen, daß es die Ablehnung von Kindern ebenso gibt wie den Wunsch nach ihnen und daß beide Haltungen an soziale Konstellationen gebunden sind, deren »Ewigkeit« niemand behauptet.“ (Ebd., S.12).

„Ebensowenig läßt sich die Existenz eines Aufzuchtstriebes, gemeinhin als natürliche Kindesliebe bezeichnet, biologisch beweisen. Als belegt gelten kann dagegen, daß die Frau nach der Geburt keine hormonal ausgelöste Phase der Hemmung des Sexualtriebes durchläuft. Bei anderen Säugetieren garantiert diese Phase die Pflege der Jungen, welche nach Wiedereinsetzen des Sexualtriebes in die Selbsterhaltung gestoßen werden. Was hier hormonell geregelt wird, erfordert in menschlichen Gesellschaften allemal bewußte Entscheidungen zwischen Aufzucht oder Vermeidung von Nachwuchs. Solche Entscheidungen werden problematisch, wenn Menschen sich fortpflanzen sollen, deren individuelles wirtschaftliches Interesse gegen das Aufziehen eigener Kinder gerichtet ist, wenn also Fortpflanzung und ökonomisches Kalkül auseinandertreten. Wir werden zeigen, daß in diesem Falle über denjenigen, die ein Erbe nicht zu vergeben haben, ein moralisch-juristischer Apparat errichtet wird, der ihnen Geburt und Erziehung von Nachwuchs für die Reproduktion einer in Besitzende und Nicht-Besitzende unterteilten Gesellschaft abnötigt.“ (Ebd., S. 13).

„Dies geschieht in großem Maßstab erstmals in der europäischen Neuzeit. Die Entvölkerung und Verarmung während der spätmittelalterlichen Agrarkrise stellt sich ihren Analytikern als Wiederholung von Entwicklungen in der Spätantike dar. Damals hatten Sklavenlatifundien die bäuerliche Familienwirtschaft weitgehend verdrängt; familienlose Sklaven und proletarii stellten die Produzentenmehrheit. Diese Entwicklung hatte bevölkerungspolitische Maßnahmen der römischen Kaiser sowie moralische Bewegungen gegen Ehelosigkeit, Nachwuchsbeseitigung und regellose Geschlechtsbeziehungen hervorgerufen. Die strikten Prinzipien der Monogamie, des Abtreibungs- und Kindestötungsverbotes sowie des beidgeschlechtlichen Ehescheidungsverbotes hatten unter diesen Bewegungen das Christentum zur bevölkerungspolitisch attraktivsten Gruppierung gemacht (wann? Urchristen und auch Frühchristen waren antifamilial! Anm. HB.): Es wurde zur herrschenden Religion, seine Gebote wurden staatliches Familienrecht. Die christliche Familienmoral hatte jedoch den Arbeitskräftemangel für die Sklavenwirtschaft nicht mehr beheben können. Ihre Ideale verallgemeinerten sich erst nach Errichtung der von neuem familial organisierten feudalen Bauernwirtschaft.“ (Ebd., S. 13-14).

„Der Ausweg aus der spätmittelalterlichen Krise als Krise eben dieser Bauernwirtschaft eröffnete sich wiedrum in einer nicht familienwirtschaftlichen organisierten Form der Reichtumsgewinnung, wie sie zuletzt im Imperium Romanum gegeben war. Die Sachverständigen dieser - merkantilistischen - neuen Ökonomie ... wußten aus ihrem Studium der Antike von den Problem des Arbeitskräftenachwuchses in einer solchen Ökonomie und formulierten deshalb das nur oberflächlich banal wirkende Credo von der Menschenvermehrung zur Voraussetzung der Reichtumsgewinnung als Handlungsanweisung an den politischen Souverän. Das entschiedene Beharren auf der Vordringlichkeit der menschenproduktion für den Erfolg einer neuen Produktionsweise gründete sich auf die Einsicht, daß es bis dahin niemals gelungen war, eine nicht-familiale Ökonomie dauerhaft aus der jeweiliegn Gesellschaft hraus mit Arbeitskräften zu versorgen. Es war bekannt, daß Sklavenimporte den Untergang solcher Kulturen stets nur verzögert hatten. Der Bevölkerungsrückgang in der Spätantike hatte zur Herausbildung der christlichen Fortpflanzungsreligion geführt (wann? Urchristen und auch Frühchristen waren fortpflanzungsfeindlich, antifamilial! Anm. HB.), ohne das individualwirtschaftliche Fortpflanzungskalkül bereits brechen zu können. Den Theoretikern der frühen Neuzeit erlaubte diese Religion erstmals, eine jenseits persönlicher wirtschaftlicher Vorteilsgewinnung angesiedelte Familie zu denken.“ (Ebd., S. 14).

„Nicht das Fortwirken dumpfer Mittelalterlichkeit oder die Bekämpfung weiblicher Unwissenschaftlichkeit diktierte der frühen Neuzeit Folterung und Mord von ... Frauen. Vielmehr ist die Gewaltsamkeit die nicht wegdenkbare - wohl aber verdrängbare - Grundlage der europäischen Neuzeit und der in ihr sich vollziehenden Weltherrschaft der christlichen Nationen. ... Wie die Menschenproduktion, so gehört auch der Kapitalismus mit freier Lohnarbeit genuin in dei Neuzeit. Die Menschenproduktion existiert allerdings neben ihm und ist aus ihm heraus nicht erklärbar. Zwar dient sie auch dem Kapitalismus mit der Bereitstellung sich selbst fortzeugender Lohnarbeiter. Dieser wird aber am ehsten fähig, durch technische Ersetzung der lebendigen Arbeit die auf Fortpflanzung zielende staatliche Gewalt zu verringern, währen Systeme wie Merkantilismus und der moderne Sozialismus mit ihrem inhärenten Dauermangel an Arbeitskräften auf Menschenproduktion bisher nicht verzichten. Diese Systeme sind zwar in der Menschenproduktion praktisch erfolgreich, scheitern jedoch bei der Herstellung einer dem Kapitalismus vergleichbaren oder gar überlegenen Produktivität der Güterproduktion. Alle drei Formen der Güterproduktion können historisch aber nur durch staatliche Menschenproduktion auf Dauer gestellt werden. Diese ergibt also die Geheimgeschichte der Neuzeit. Ihren welthistorischen Ausnahmecharakter dokumentiert gut die langfristige Bevölkerungsstatistik (vgl. Graphik).“ (Ebd., S. 15-17).

„Die Neuzeit baut nicht allein auf Gewalt bei der Durchsetzung ihrer umwälzenden sozialen Zielvorstellung. Gilt es bis dahin in der Geschichte immer als Verantwortungslosigkeit, Kinder zu haben, denen ein Erbe (und damit eine Zukunft) nicht versprochen werden kann, so kehren die christlichen Kirchen diesen Wert nunmehr um und predigen die traditionelle Verantwortungslosigkeit in der Kindererzeugung gerade als die neuzeitliche Verantwortung gegenüber Gott. Martin Luther prägt mit seiner Bestimmung, das eigentlich Christliche der Familie bestehe darin, daß auch der arme Mann sie schließe, die neue Formel, der die katholische Kirche sogleich folgt. (Vgl. Martin Luther, Vom ehelichen Stande, 1522 S. 267ff.).“ (Ebd., S. 16).

„Nach Jahrhunderten des Folterns, Mordens und Predigens ist schließlich die Frau »geschaffen«, die von den Fortpflanzungsdingen nichts weiß, deren Sexualtrieb nur noch als Krankheit erscheint und als deren wirkliche »Natur« Kindesliebe und Gattentreue gelten. Angesichts der »Natur« dieser Frauen können die Männer der Aufklärung die Naturrechte auf Leben und auf Familie als Ideale vor die gesamte Menschheit stellen. Tatsächlich ist die gegenwärtige Welt-Zivilisatiop, soweit sie die allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.1948 für sich akzeptiert hat, davon überzeugt, daß der Ausschluß eines Menschen von Heirat und Vermehrung (Art. 16) seine »natürliche« Würde verletzt.“ (Ebd., S. 16).

Demographie
„Wie umfassend einerseits der Sieg dieser Moral ist und wie langwierig sich andererseits ihre Durchsetzung vollzogen hat, belegt noch die menschenreichste außerchristliche Hochkultur - China -, die erst im 20. Jahrhundert, vermittelt über den europäischen Marxismus, das christliche Kindestötungsverbot durch das Familiengesetz von 1950 endgültig befestigt hat.“ (Ebd., S. 16-18).

„In der Dritten Welt wiederholt sich inzwischen die Bevölkerungsexploslon, welche Europa nach dem Ende der Hexenverfolgungen (d.h. seit dem Ende des 18. Jahrhunderts; Anm. HB) erlebte. Hier hatte sie die Arbeitsmärkte mit billigen Arbeitskräften überflutet und zugleich bewirkt, daß Europäer zwei weitere Kontinente besiedelten, die beiden übrigen beherrschten und auch dort die neuzeitliche Familienmoral zur verbindlichen werden ließen.“ (Ebd., S. 18).

„Und dennoch - das »Wunder der Neuzeit« währte in Europa nicht lange. Nachdem offenkundig geworden war, daß Menschen wohl dazu gezwungen werden können, Leben zu setzen, nicht aber, dieses vor Verwahrlosung zu schützen, nachdem also die Bevölkerungsexplosion massenhaft Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat, entstand die Unausweichlichkeit des Kinderschutzes durch Arbeitsverbote und Schulpflicht (nein, denn die Schulpflicht wurde - zumindest in Deutschland - schon seit Beginn des 17 . Jahrhunderts eingeführt [z.B. in Sachsen-Weimar 1619, z.B. in Sachsen-Gotha 1642, z.B. in Preußen 1717], also lange vor der »Bevölkerungsexplosion«! Anm. HB). Die Unterhaltskosten stiegen rapide. Sie trieben die Eltern in eine solche Notlage, daß sie selbst gegen Gesetz und Moral von neuem nach Verhütungsmitteln suchen mußten. Diese Entwicklung setzte sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts durch. Zu dieser Zeit bestand kein Menschenmangel, so daß die neuerliche Ausbreitung des Verhütungswissens keine Wiederholung der Hexenverfolgung nach sich zog, sondern nach harten Kämpfen schließlich weniger grausam bestraft und in einzelnen Ausnahmen sogar straffrei wurde.“ (Ebd., S. 18).

„Sobald die Verhütungsfähigkeit sich ausbreitet, bestätigt sich unsere These von der prinzipiellen Familienlosigkeit des Lohnarbeiters. Umgehend reduziert sich nicht nur die Kinderzahl pro Paar, sondern es entsteht zunehmend Kinderlosigkeit, die sich für die entwickeltsten Nationen der Gegenwart der 30-Prozent-Schwelle aller Erwachsenen nähert.“ (Ebd., S. 18).

B) Wie die römische Sklavenwirtschaft durch Zerstörung der Familienwirtschaft groß wird und an der dadurch versiegenden Menschenproduktion zerbricht

1)  Warum die patriarchalische Familie eine territoriale Expansionsdynamik entwickelt (S. 19-24)
2)  Warum die Bevölkerungspolitik der römischen Kaiser scheitert (S. 24-27)
3)  Warum neben der staatlichen Politik auch religiöse Bewegungen gegen den Familienzerfall auftreten (S. 27-34)
4)  Wie die christliche Moral staatliches Familiengesetz wird (S. 35-39)

1) Warum die patriarchalische Familie eine territoriale Expansionsdynamik entwickelt

„In den griechisch-römischen Patriarchaten hilt der Existnezgrund des freien Mannes als ausschließliches Kriterium für die Organisation der Familie. Diesem zweck sind Frauen und Kinder dienend zugeordnet.“ (Ebd., S. 19).

„Die nicht erbenden Söhne, die sich mit der Perspektive des freien Mannes über ihre Väter ebenfalls identifiziert haben, verfallen in Knechtschaft, sofern es ihnen nicht gelingt, selbst eigenes Land zu gewinnen. Hier liegt die Wurzel für den enormen expansionistischen Drang aller patriarchalisch strukturierten Gemeinwesen des Mittemeerraumes. Die der Knechtschaft ausweichenden nichterbenden Söhne treiben die patriarchalische Struktur um den »Erdkreis« (was sie darunter verstanden; Anm. HB) und stoßen dabei auf aus gleichem Grunde expansive Gegner anderer Herkunft. Die militärische Notwendigkeit, mehr als nur die Erbsöhne aufzuziehen, kommt dementsprechend erst an ihr Ende, als eines der beteilgten Völker - historisch also Rom - fast den gesamten besiedelten Raum durch durch Siege über die anderen unter seine Kontrolle gebracht hat. Diese Siege befrieden die Region und ziehen gleichzeitig der weiteren Expansion eine räumliche Grenze.“ (Ebd., S. 21).

„Überall dort, wo die siegenden Römer größere Territorien erobern, als sie selbst mit einzelwirtschaftlichen Bauernstellen besiedeln, lassen sie große Teile der eroberten Bevölkerungen am Leben und setzen sie als Sklaven auf großflächigen Latifundien ein, die im Eigentum freier römischer Bürger stehen. Diese auf Sklavenarbeit beruhende Produktion für die Märkte des Imperiums entfesselt eine neue wirtschaftliche Dynamik. Bei vielen der wichtigen Produkte (etwa Ziegel, Wolle, Fleisch, Öl, Wein und Bodenschätze) produziert die Latifundie billiger als der Einzelbauer. Ihre Überlegenheit bewirkt einen ununterbrochenen Bankrott kleiner Betriebe zugunsten großer Sklavenunternehmen. Dieser ökonomische Prozeß erzeugt die Jahrhunderte währenden politischen Kämpfe zwischen Kleineigentümern (Plebejern) und Großgrundbesitzern, die nach der Ermordung des Gaius Gracchus im Jahre 121 vor unserer Zeitrechnung zum endgültigen Sieg der letzteren führen.“ (Ebd., S. 21-22).

„Zwei Probleme ragen aus dieser Entwicklung hervor und werden schließlich zu Anknüpfungspunkten für politische bzw. moralische Gegenbewegungen: Mit der Zerstörung der Familienbetriebe wird zugleich die Menschenquelle beseitigt. Nichterbende Kinder von Kleineigentümern sind ja wesentliches Reservoir für die Sklavenmärkte. Es ist also der Sieg des »Kaufsklavenkapitalismus« (Max Weber) selbst, der ihn seiner wichtigen Basis beraubt: der Sklaven.“ (Ebd., S. 22).

„Sklavenzuchtversuche scheitern an der beträchtlichen Risikobelastung dieses Geschäfts: Die weiblichen Sklaven vernachlässigen die nicht in ihrem Interesse aufgezogenen Kinder, die Sterblichkeitsrate ist hoch, und die Preiserwartungen über den langen Aufzuchtszeitraum hinweg sind ungewiß.“ (Ebd., S. 22).

„Im Ergebnis ist ein Rückgang der Bevölkerung vom Beginn der Kaiserzeit bis zum dritten nachchristlichen Jahrhundert um fast 50 Prozent zu verzeichnen. Menschenmangel erscheint dem Bewußtsein der Zeitgenossen als die zentrale Ursache der Reichskrise. Eine Betrachtung dieser Bevölkerungsschrumpfung als Vorteil, wie sie für die Gegenwart häufig anzutreffen ist und dann meist zur Vermeidung einer zureichenden Erklärung des Geburtenrückgangs dient, kann sich den Politikberatern der Antike nicht aufdrängen. Die Ersetzung der lebendigen Arbeit durch Maschinerie, wie sie im England des späten 18. Jahrhunderts im großen Stil stattfindet, bietet sich für die römische Kaufsklavenökonomie als Ausweg nicht an. Der freie Lohnarbeiter, ein freier Bürger ohne Bodeneigentum und vor der Notwendigkeit des eigenen Unterhalts stehend, tritt erstmals im England der frühen Neuzeit auf (Beweise, Quellen fehlen! Anm. HB). In Rom kann ein freier Lohnarbeiter, dessen relativ hohe Lohnkosten zu seiner maschinellen Ersetzung nötigen, nicht entstehen. Die wenigen Lohnarbeiter sind »proletarii« und damit römische Bürger. Sie werden deshalb vom Staat alimentiert und bilden ein parasitäres Proletariat (bzw. »Prekariat«). Ihr Existenzminimum und auch ihr Alter sind also gesichert, was sie nicht hindert, bei Gelegenheit etwas dazuzuverdienen. Sie sind meist familienlos aus eigenem Interesse, d.h. sie kommen noch aus Kleineigentümerfamilien, gründen aber selber keine mehr. Da sie das Aussetzungs- und Abtreibungsrecht des freien Mannes sowie Zugang zu nichtehelicher Sexualität haben, geht ihre Zahl aufgrund der Kinderlosigkeit immer mehr zurück.“ (Ebd., S. 22-23).

„Der Sklave hingegen wird zum Mittel ökonomischer Expansion nur, solange er immer billiger zu haben ist, solange die römischen Armeen also mächtiger werden und größere Ländereien sowie Menschenmengen zu rauben imstande sind. Die Kosten der Bodenbearbeitung sinken, d.h. die Gewinne steigen, solange die Sklaven zahlreicher werden. Einzig ihre große Zahl ermöglicht die Realisierung eines organisatorischen Produktivitätszuwachses, der aus der Vergrößerung der ökonomischen Einheiten hervorgeht. Der Arbeitsprozeß in dieser neuen Einheit bleibt allerdings statisch, weil die Sklavenarbeit reine Zwangsarbeit ist. Ihre Produktivität bleibt gefesselt wie die Sklaven selbst, wenn sie auf die Felder geführt werden. Die Dynamik des modernen Unternehmens, das nicht durch Beschäftigung immer größerer Belegschaften expandiert, sondern die Produktivkraft der Arbeit durch technischen Fortschritt entwickeln muß, um die Kosten zu senken und so im Markt zu bleiben, kommt in Rom nicht zustande. Als dort durch Versiegen der Menschenquelle nach Inbesitznahme aller erreichbarer Territorien die Arbeitskollektive für die großflächige Landwirtschaft nicht mehr voll besetzt werden können, sinken die Erträge. Den Unternehmern werden die noch verbleibenden Sklaven tendenziell zu totem Kapital. Dieses könnten sie nun entkommen lassen, verlören dadurch freilich endgültig ihre Investitionen. Sie könnten ihnen auch formal die Freiheit geben; die auf diese Weise »proletarii« werdenden Sklaven mit Alimentationsanspruch und ohne Nachkommenschaft stünden für die ehemaligen Eigentümer dann allerdings ebenfalls nicht mehr zur Verfügung. Sie könnten sie zu freien Bauern machen, woraus den Eigentümern aber wiederum kein Einkommen erwüchse.“ (Ebd., S. 23-24).

„Sie beschreiten deshalb den einzig nützlichen Ausweg, indem sie die Sklaven zwar zu Bauern machen, ihnen aber die Freiheit vorenthalten. Als Preis für die leibeigene Bauernexistenz pressen sie ihnen Frondienste und Güter ab. Damit ist in nuce die Wirtschaftsstruktur des Feudalismus bzw. des europäischen Mittelalters gefunden.“ (Ebd., S. 24).

2) Warum die Bevölkerungspolitik der römischen Kaiser scheitert

„Die ökonomische Zerstörung der Familienbetriebe durch die römischen Sklavenbetriebe geht einher mit dem Zerfall der patriarchalischen Moral. Sie bringt eine weitgehende Gleichberechtigung der Frau und eine bis dahin in Rom nicht gekannte sexuelle Freizügigkeit, deren ungewollte Folgen auf der Grundlage des patriarchalischen Rechts auf Abtreibung und Kindesaussetzung , beseitigt werden. Der Verfall der Familienmoral bezieht auch die verbliebenen Klein- und Großeigentümer mit ein, da diese sich ihre Erbsöhne zunehmend nicht mehr über die eigene Familienbildung besorgen, sondern durch Adoption aus der Masse familienloser Plebejerkinder, freier Proletarier und sogar Sklaven. Die Auflösung der herkömmlichen sexuellen Sitten sowie individuelle Fortpflanzungs- und Familienfeindlichkeit werden ein weiterer Anknüpfungspunkt für Klagen über den Verfall des Reiches. Sie geht einher mit dem Autoritätsverfall der für das Familienleben zuständigen Götter bzw. ihrer Priester, was allenthalben als Ruin der Religion beklagt wird.“ (Ebd., S. 24-25).

„Die Versuche der Kaiser seit Augustus - also bereits in vorchristlicher Zeit -, Verehelichung und familiale Fortpflanzung durch Gesetze zu erzwingen, treffen gerade die führenden Klassen des Reiches und laufen letztlich leer, da sie die sklavenkapitalistische Ursache des Problems unangetastet lassen: Der nicht mehr agrarisch-handwerklich, sondern mit Kapital operierende Römer benötigt ja keinen »treuen« und persönlich angelernten Sohn mehr, sondern eine kaufmännisch tüchtige Kraft, die sich um die Geldrente zu kümmern hat und eine Beziehung zum Kapitaleigner konstituiert, die nichts mehr mit der zwischen Sohn und Vater, die Seite an Seite arbeiten, zu tun hat. Eine solche Kraft muß die Geldmittel beschaffen, mit denen der Vermögende für Zeiten der eigenen Arbeitsunfähigkeit, Arbeitsunwilligkeit und der Genußsuche Dienste kaufen kann, da er diese nicht mehr - wie in der noch umfassend naturalwirtschaftlichen Bauernwirtschaft - über verwandtschaftliche Unterhaltspflichten erhält. Nun ist eine solche kaufmännische Person allerdings nicht schon deshalb für den Haushalt des Vermögenden geeignet, weil es sich bei ihr um einen selbstgezeugten Sohn handelt. Um diesen Sohn zu gewinnen, müssen häufig in der Regel mehrere Kinder aufgezogen werden, von denen dann das tüchtigste ausgewählt wird.“ (Ebd., S. 25).

„Das vaterrechtlich unverzichtbare Institut der Adoption - das allein den unfruchtbaren Mann und das patriarchale System insgesamt vor dem Untergang schützt - ebnet den Weg, den vermögensverwaltenden Erben nicht mehr mühsam, risikoreich und kostspielig in der eigenen Familie hernazuziehen, sondern ... aus der Masse der Erbschaft suchenden Bewohner der Städte oder dem weiteren Familienkreis auszusuchen. (**).“ (Ebd., S. 25).


„Die u.E. unübertroffene Darstellung des ökonomischen Kalküls dieser Zeit finden wir in Plautus' Komödie Der Bramarbas, wo er den Greis Periplectomenes im 2. Akt, 1. Auftritt sagen läßt: »Hab'ich Verwandte genug. Was hab' ich Kinder nötig? Jetzo leb' ich gut und glücklich, ganz nach meinem Sinn, wie mir's beliebt. Mit meinem Tode fällt den Anverwandten mein vermögen zu: ich jedem seinen Teil. Sie essen bei mir, pflegen mich, seh'n, was ich mach' und was ich will. Noch eh' es tag wird, steh'n sie da und fragen nach, wie ich die Nacht geschlafen. Das sind meine Kinder; ja, sie schicken mir sogar Geschenke. Kommt ein Opfer vor, so geben sie mir einen größern Teil, als auf sie selber kommt. Sie holen mich zum Opferschmause, laden mich zum Frühstück und zum Abendtisch. Unglücklich schätzt sich der am meisten, der das wenigste mir geschickt. Recht um die Wette machen sie Präsente mir. Beim Pollux! Hätt' ich Kinder, diese brächten mir des Jammers genug; ich wär' in steter Todesangst, ob eins im Rausche, ob es wo vom Pferde fiel' und nicht allein die Beine bräche, nein, den Hals. Dann auch, ob meine Frau nicht ein gezeichnet' Kind zur Welt mir bringe: eins mit einem Muttermal, ein Krummaul, einen Grätschler, Schieler, Hinkebein.«  (Übersetzt von W. Binder, in: Langenscheidtsche Bibliothek sämtlicher griechischen und römischen Klassiker, 1855-1907).“ (Ebd.).

„Wenn also die Adoptionen im Rom der Kaiserzeit in die Hunderttausende gehen so hat das nichts - wie populär spekuliert wird mit Impotenz oder gar mit einer von den Bleiwandungen der Luxusgefäße verursachten Unfruchtbarkeit zu tun, sondern ist der ökonomisch optimalen Variante der Vermögenserhaltung und Vermögensübertragung geschuldet.“ (Ebd., S. 25-26).

„Das Adoptionswesen wird nicht aus rein quantitativen Erwägungen zum Anknüpfungspunkt für die Familien- und Fortpflanzungsgesetze, da Sklaven vorerst noch immer über Kriege gewonnen werden können. Es birgt freilich für die Kaiser einen anderen Nachteil, entzieht es ihnen doch die politische Manövriermasse von Fachleuten für ihre Weltpolitik. Die Söhne der über Produktiveigentum verfügenden und daher mit dem Reich identifizierten Römer bleiben aus. Es mangelt an Offizieren, Verwaltern, Spezialisten und Kolonisten für den Zusammenhalt des Reiches. Ihrer Gewinnung sollen die kaiserlichen Gesetze vorrangig dienen. Sie operieren mit einer zentralen Waffe: Wer seinen ökonomischen Vorteil darin sucht, daß er Familienleben und Kinderaufzucht vermeidet, soll selber in seinem Erbe beschnitten werden. Alle anderen Bestimmungen ergänzen diese Maßnahme lediglich; dazu gehören die Verhinderung von Scheinehen, besondere Ehrenkleider für kinderreiche Mütter, Nachteile der Kinderlosen bei der Erlangung öffentlicher Ämter und, zunächst noch vorsichtig, Sperren gegen das, was bei den Christen später Uunzucht heißen und im Zentrum ihrer Angriffe stehen wird. Erst unter Septimus Severus - also zwei Jahrhunderte nach der augusteischen Gesetzgebung- gelingt es, ein speziell gegen Unzucht gerichtetes kaiserliches Gesetz durchzusetzen. Septimus Severus ist zugleich derjenige Kaiser, der erstmals Christen in hohe Staatsämter beruft und biblische Münzsymbole gestattet.“ (Ebd., S. 26-27).

„Die Unzuchtsverfolgung soll diejenigen treffen, die Erben und Unterhaltspersonen wohl benötigen, diese jedoch durch Adoption oder Mietvertrag gewinnen und trotz dieser Verfahren - also der Ehe- und Familienlosigkeit - jederzeit Geschlechtsbefriedigung finden können. Die Unzuchtsverfolgung soll den Geschlechtstrieb in die Zeugung ehelicher Kinder kanalisieren und damit die Zahl des Nachwuchses des freien Bürgers über lediglich einen Adoptiverben hinaustreiben. Sie ist historisch etwas Neues, setzt Sklaven und freies Proletariat voraus, die für nichteheliches Geschlechtsleben und Adoptionen zur Verfügung stehen. Der Eingriff der Kaiser in das Privatleben der Römer ruft deshalb erheblichen Widerstand hervor und wird als schwerster Anschlag auf die persönliche Freiheit erfahren, der jemals in der römischen Geschichte gegen die eigenen Bürger versucht worden war, eine Freiheit übrigens, die in vergleichbarem Ausmaß erst in hochentwickelten Gesellschaften des 20. Jahrhunderts wieder erreicht und - wie noch zu zeigen sein wird - auch hier nicht selten bald wieder eingeschränkt wird. Neben den staatlichen Gegensteuerungsversuchen der Kaiser kommt es auch zu privaten Reaktionen auf Krisenerscheinungen wie Familienzerfall, Menschenmangel, »Sittenlosigkeit«, Kindesaussetzungen und Abtreibungen lange vor der christlichen Epoche.“ (Ebd., S. 27).

3) Warum neben der staatlichen Politik auch religiöse Bewegungen gegen den Familienzerfall auftreten

„Die Zerstörung der wirtschaftlichen Familienbasis zieht Sinnlosigkeitsängste bei den betroffenen Menschen nach sich. Sie verweisen auf das Bedürfnis nach einer neuen Lebensperspektive. Die Krisenzeit bereitet also ein Klima für ganz unterschiedliche Bewewältigungsformen der in ihr wachsenden Ängste. Deren jeweilie Angriffspunkte zeigen die verscheidenen Reichweiten der damals aufkommenden Analysen des gesellschaftlichen Zustandes. Wo dieser mit Magie, Astrologie oder schlicht Kriminalität verändert werden soll, liegt ein Analyseverfahren vor, das wiederum von weiterdenkenden Gruppen, aus denen später auch Anhänger des Christentums hervorgehen, in Frage gestellt wird.“ (Ebd., S. 27-28).

„Obschon das römische System der Sklavenökonomie im 1. Jh. n.Chr. und in einigen (griechischen) Gebieten bereits früher deutliche Krisenerscheinungen aufweist, so verfügt es - im ganzen betrachtet - doch noch immer über Dynamik, treibt die produktivere Sklavenökonomie voran und ist deshalb auch noch fähig und willens, sich zu verteidigen.“ (Ebd., S. 31).

„Der Christengott ist gleichsam im Zustande der Unschuld und nicht mit den Taten des römischen Systems assoziiert. ... Er sit zugleich - und hierin liegt wohl die größte Stärke - ein Gott mit höchstem Respekt vor dem menschlichem Leben und deshalb besonders anziehend für jene Klassen und Gruppen der römischen Gesellschaft, deren leben am wenigsten gilt: Sklaven, Frauen und - vertreten durch ihre Beschützer - Kinder.“ (Ebd., S. 32).

„Da der alte »Familienkollektivismus« mit der Auflösung der »albäuerlichen Lebens- und Wirtschaftsform« (Max Kaser, Das römische Privatrecht, 1955, S. 232) seine Grundlage verloren hat, setzen sich gegen den anhaltenden politischen Widerstand des »Traditionalismus« (ebd.) langsam Ehebeziehungen durch, deren kurzfristige Verbindlichkeit einzig über bloß äußerliche Attraktivität zustande kommt.“ (Ebd., S. 32-33).

4) Wie die christliche Moral staatliches Familiengesetz wird

„Die Kaiser begnügen sich bei ihren Versuchen, der Krise Herr zu werden, keineswegs mit Verfolgungen der christlichen Opposition und mit Gesetzen, die Fortpflanzung befördern sollen. Sie schaffen vielmehr - von den ... wirtschaftlichen Zuständen dazu gezwungen - die gesetzlichen Grundlagen für die Aufrichtung der feudalen Gesellschaft: Die verbliebenen Proletarier und Sklaven werden seit dem Ende des zweiten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung (Edikt des Pertinax) zunehmend in Landeigentümer, Kleinbauern also, verwandelt. So kann ein erheblicher Teil des Bodens verwaister ehemaliger Sklavenlatifundien als Kulturland und Steuerquelle wiederhergestellt werden. Die neuen Bauern sind - wie gezeigt (**) - nicht frei: »Es entstand also ein neuer Stand, wirtschaftlich ein Mittelding zwischen Pächtern und Sklaven, zwischen Staatsbauern und Leibeigenen, dessen lage rechtlich fixiert werden mußte, da er etwas Neues, bis dahin Unerhörtes war.« (Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 5. Band, 1910, S. 913/919).“ (Ebd., S. 35).

„Die freie Verkaufbarkeit von Land und Arbeitskräften - zentrale Strukturmomente der römischen Ökonomie, die das Reich zuerst aufblühen und dann zerfallen lassen - wird weitgehelid unterbunden. Immerhin jedoch benötigen die »Kolonen« zur Erhaltung und Fortführung ihrer Existenz die Familie, verfügen also über die ökonomische Basis für eine Familienmoral. Sie sind an die Scholle gefesselt, dürfen ihr Land nicht verlassen und müssen ihren Herren Naturalrenten entrichten oder Frondienste leisten. Diese Herren - Nachfahren der alten Städtegründer - haben die Städte verlassen müssen, als sich ihre Latifundien entvölkerten, und nun die Gutshäuser aus der Stadt mitten in die Ländereien verlegt, die sich allmählich wieder zum Oikos, zum Ganzen Haus, wandeln und alle lebenswichtigen Güter selbst produzieren. Ohne die Konkurrenz einer preisdrückenden Sklavenökonomie dehnt sich die schollenfeste bäuerliche Landwirtschaft in feudaler Abhängigkeit, eher friedlich denn kriegerisch kolonisierend in Europa aus und treibt gleichzeitig einen neuen Stadttypus hervor: den mittelalterlichen. Dieser ist nicht mehr die antike Ansammlung stadtsässiger Grundeigentümer, sondern Handwerker und Kaufmannsstadt. Ihr Grund wird zwar vom feudalen Eigentümer gestellt und, um Geldmittel zu gewinnen, auch mit Marktsteuern belegt; aber ihre Aufgabe ist nicht Herrschaft, sondern Produktion.“ (Ebd., S. 35-36).

„Unserer These, daß die Einsetzung des Christentums als anerkannte Religion (325) und später als Staatsreligion (391) des Imperiums einem bevölkerungspolitischen Kalkül gehorcht und dafür christliche Familiengesetzgebung wird, scheinen die hohen christlichen Ideale von Keuschheit und Jungfräulichkeit entgegenzustehen, an denen sehr viel später zwar der Protestantismus gerüttelt, aber die katholische Kirche stets festgehalten hat. Zweifellos beherrscht das Askeseideal die Wertordnung der Christen vor dem Übergang zur Staatsreligion, dessen nicht-asketische, auf familiale Vermehrung zugeschnittene Gestalt den entschiedensten Bekennern denn auch als Verrat an den Idealen der Bewegung erscheint. Daraus wird verständlich, daß unmittelbar nach der staatlichen Anerkennung des Christentums klösterlich-kommunistische Wirtschaftsformen unter dem Askeseideal entstehen, die sich in Auseinandersetzungen mit der Kirchenbürokratie verwickeln. Doch bereits das Konzil von Gangra (341 unserer Zeitrechnung) sieht die asketische Fraktion in der Minderheit und verurteilt die Ehelosigkeit. Schwäche, doch mehr noch die aus - unter Diokletian (**) - selbst erlittenen Massakern erwachsene Toleranz hindern die junge Staatskirche daran, diese radikale Verwirklichung der ehemals gemeinsamen Ideale sogleich zu zerstören. Es gelingt ihr, die Gegenkultur als ihr eigenes höheres Gewissen zu integrieren. Indem sie den Klöstern die Verwaltung ihres höchsten religiösen Ideals - der Keuschheit - überläßt, nimmt sie teil an seiner Autorität über die weltlichen Gläubigen, die sich mit belastetem Gewissen gegenüber der idealistisch-kämpferischen Vergangenheit im Feudalismus eingerichtet haben.“ (Ebd., S. 38-39).


„Unter Diokletians Regentschaft kommt es zu den letzten und grausamsten Christenverfolgungen: die Wiedergewinnung einer wirtschaftlichen Stabilität schien nur noch erreichbar zu sein, wenn auch die Gottheiten aus Roms großer Vergangenheit wieder aufgerichtet würden. Dabei blieb unbegriffen, daß sich die neue antikapitalistische Feudal-Struktur von derjenigen des freien Sklavenunternehmertums extrem unterschied, die vielfach kompromittierte Autorität der alten Götter auch mit Gewalt einer ihnen äußerlichen Sozialstruktur nicht aufzupressen war. Die Situation für die Christen verschärfte sich dadurch, daß sie - aus ähnlichen Motiven wie der Kaiser und seine Mitregenten - den Zeitpunkt für einen religiösen Neubeginn auf der Ebene des gesamten Reiches für gekommen sahen. Sie versuchten eine Art von religiösem Putsch (vgl. dazu Jacob Burckhardt, Die Zeit Konstantins des Großen, 1852, S. 319 ff.).“ (Ebd.).

C) Wie der Feudalismus durch Wiederherstellung der Familienwirtschaft problemlos Menschen produziert, in seiner Krise jedoch wieder Menschenmangel entsteht

„Europäische Bevölkerung in Millionen von 400 v.Chr. bis 1950“ (Ebd., S. 40).
–400110070010001050110011501200125013001350140014501500155016001650170017501800185019001950
2337672742464850616973514560697890103115125187274423594
Zum Vergleich die Zahlen aus dem Wirtschafts-Ploetz (1984, S. 47, 50, 53, 162):
   2742464850616973  53
-55
76
-80
 100
-105
94-100 /
69,9-73,4
80,6
-86,2
97,2
-102,9
124,6
-127
266401576

„Die oben dargestellte Entvölkerung des Römischen Reiches schlägt sich in den Zahlen nieder. der extreme Rückgang bis zum Jahre 700 unserer Zeitrechnung hat eine zusätzliche Ursache in regelmäßigen Pestepidemien zwischen 542 und 700, die auch diejenigen Gebiete, welche nicht zum Imperium Romanum gehörten, in Mitleidenschaft ziehen.“ (Ebd., S. 40-41).

„Die Umwandlung der Sozialstruktur vom Kaufsklavenkapitalismus in eine feudal abhängige Bauernökonomie vollzieht sich ... in einem langwierigen Prozeß, der erst im 8. Jahrhundert seine expansive Dynamik voll entfalten kann. Diese findet offensichtlich durch die Klimaveränderung, welche seit dem Ende der letzten (Kaltzeit der) Eiszeit Nordeuropa das wärmste und fruchtbarste Wetter bescherte (**), ihre entscheidende Kraft. Wichtige Neuerungen neben der wiederhergestellten Bauernfamilie - auf technischem Gebiet werden bereits vor dieser Zeit eingeführt:
»Das Herausragende in der europäischen Geschichte des frühen Mittelalters war zwischen dem 6. und späten 8. Jahrhundert die Entwicklung einer neuen landwirtschaftlichen Methode, die den geographischen Bedingungen Nordeuropas angepaßt war .Im Zuge ihrer Ausprägung zu einem neuen, sich stetig ausbreitenden Kulturmuster erwies sie sich als die -pro Arbeitskraft -reichste landwirtschaftliche Methode, welche jemals auf der Welt existiert hatte. Zur Zeit Karls des Großen hatte sie das Zentrum der europäischen Kultur von den Küsten des Mittelmeers in die nordeuropäischen Ebenen verschoben, wo es seitdem auch geblieben ist.« (L. White, a.a.O.).
Die tragenden technischen Innovationen der landwirtschaftlichen Umwälzung sind der schwere Wendepflug auf Rädern, die Dreifelder- Wirtschaft und die erstmalige Verwendung des Pferdes als Zugtier mit Hilfe von neuartigem Zaumzeug und Hufeisen.“ (Ebd., S. 41).


„Vgl. dazu den Kölner Klimatologen und Geologen Martin Schwarzbach, zitiert in: Dieter Hentrup, Die letzte kleine Eiszeit endete vor 100 Jahren, in. Frankfurter Rundschau, Nr. 264, 25.11.1978, S. 13; und G. Duby, Krieger und Bauern - die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft im frühen Mittelalter (VII.-XII. Jh.) (1973), 1977, S. 16 und S. 185.“ (Ebd.).

„Zu Beginn des 12. Jahrhunderts hat die wirtschaftliche Entwicklung dieser feudalen, abhängigen Bauerngesellschaft ihre Blüte, die demographisch dadurch gekennzeichnct ist, daß die land- und ehelose Gesindeschaft weniger als ein Bevölkerungsdrittel bleibt. Sie vermag dieses Niveau noch während einer langen Zeitspanne zu halten, bis sie zu Anfang des 14. Jahrhunderts ihren Höhepunkt endgültig überschritten hat.“ (Ebd., S. 41).

„Zu Beginn des 12. Jahrhunderts hat die wirtschaftliche Entwicklung dieser feudalen, abhängigen Bauerngesellschaft ihre Blüte, die demographisch dadurch gekennzeichnet ist, daß die land- und ehelose Gesindeschaft weniger als ein Bevölkerungsdrittel bleibt. Sie vermag dieses Niveau noch während einer langen Zeitspanne zu halten ....“ (Ebd., S. 41).

„Die lang anhaltende Stabilität folgt aus der Beständigkeit, mit welcher die nicht sehr zahlreichen nicht-erbenden Söhne der wohlhabenden Bauernschaft für die Besiedlung und Urbarmachung selbst zweitklassiger oder abseits gelegener Böden ausgerüstet werden können. Die Nettoreproduktionsrate liegt über 1, so daß die europäische Bevölkerung zwischen 1000 und 1340 allmählich von ca. 38,5 auf 73,5 Millionen Menschen zunimmt (**). Doch nicht allein die hohe Geburtenzahl selbst, sondern insbesondere die faktische Erleichterung der Eheschließung für nichterbende Söhne drückt die Zuversicht aus, welche aus der langwährenden Prosperität gewachsen ist und welche zugleich die Bauernschaft so sicher und selbstbewußt werden läßt, daß Knechtschaft kaum noch ertragen wird. Erst die offensichtliche Erschöpfung der Böden bringt diese Entwicklung zum Stillstand. Wiederum spielt dabei das Klima, welches ab 800 der Landwirtschaft überaus günstig war, eine wesentliche Rolle: eine »kleine Eiszeit«, deren Beginn auf 1303 (???? Anm HB) datiert wird und die bis 1880 (???? Anm HB) währt, hat erhebliche Auswirkungen auf die Bodenerträge. Neue Verfahren der Düngung und Saatsetzung belegen die Suche nach Auswegen. Sie vermögen jedoch den Rückgang der Ernteerträge nicht zu verhindern.“ (Ebd., S. 42).

„Die seit 1348 mit der schlechten Ernährungslage sich schnell über ganz Europa ausbreitende Pest dramatisiert die große Krise, die erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts überwunden wird. In England entsteht hierbei die historisch neue soziale Organisationsform, die als kapitalistische Gesellschaft mit freier Lohnarbeit bis heute bestimmend geblieben ist.“ (Ebd., S. 42).

Demographie

„Die seit 1348 mit der schlechten Ernährungslage sich schnell über ganz Europa ausbreitende Pest dramatisiert die große Krise, die erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts überwunden wird. In England entsteht hierbei die historisch neue soziale Organisationsform, die als kapitalistische Gesellschaft mit freier Lohnarbeit bis heute bestimmend geblieben ist. Die Krise des 14. und 15. Jahrhunderts bedeutet den Bruch mit einer Entwicklung, die nicht nur den Feudalherren Reichtum brachte, sondern auch den Bauern einen Lebensstandard oberhalb des Existenzminimums sicherte. Die Krise erfaßt auch die Feudalherren, ruiniert also neben den Bauern häufig gerade Adligen. Mangelnder Bodenertrag beeinträchtigt ihre Existenz fast ebensosehr wie die hohen Menschenverluste, welche viele Ländereien verwaisen lassen. Zwischen 1300 und 1350 sinkt die europäische Bevölkerung von 73,5 auf 50 Millionen Menschen, also um fast ein Drittel (**). Die ... Graphik (rechts [**]) zeigt die langfristige Entwicklung der englischen Bevölkerung zwischen 1086 und 1525 in den Grenzen der möglichen Schätzwerte. Die Bevölkerung Englands hat sich besonders dramatisch - um wenigstens 60% - zwischen 1350 und 1450 vermindert.“ (Ebd., S. 42-43).

„Bis zur Krise war das Bevölkerungswachstum des Mittelalters in übereinstimmung mit der seit dem 4. Jahrhundert geltenden christlichen Ehe- und Fortpflanzungsmoral verlaufen. Die Intention der Kirche, den Prozentsatz eheloser Knechte und Mägde Iohne eigenen Boden nicht wieder auf römische Verhältnisse der Sklaverei anwachsen zu lassen, ließ sich, da die Bevölkerung ohne Schwierigkeiten ernährt werden konnte, relativ leicht verwirklichen.“ (Ebd., S. 43)

„Das formal strenge Kindestötungsverbot bedurfte keiner besonders scharfen Beaufsichtigung, d.h. die Vermeidung oder Beseitigung nicht benötigten Nachwuchses wurde geduldet, solange sie nicht als offene Kindestötung betrieben, sondern durch Verhütung und Abtreibung besorgt oder als natürliche Sterblichkeit getarnt, der Moral mithin Reverenz erwiesen wurde. Es erhalten sich also in der Blütezeit des Mittelalters ziemlich ungehindert das Wissen und die Kunst der - nun moralgerechten - Verhütung und Beseitigung von Nachwuchs, die es im antiken Rom ebenso wirksam gegeben hatte und die in allen Kulturen - seien sie primitiv oder zivilisiert - außerhalb der europäischen Neuzeit vorkommen. Dieses hochentwickelte Expertenturn lag vorrangig in weiblichen Händen. Seine Anwendung blieb möglich durch einen stillen Pakt mit der Kirche, der sich erst später in einen gnadenlosen Kampf verwandeln sollte, an dessen Ende die Vernichtung dieser wissenden Frauen als Hexen und der Abstieg fast aller Frauen (und Männer) in weitgehende Unwissenheit über die Vorgänge der Zeugung und Geburt standen. Der Pakt umfaßt die Sexualität insgesamt.“ (Ebd., S. 43).

„Haben wir am Ausgang der Antike die scharfe Verurteilung jedes nicht-ehelichen Geschlechtsverkehrs als Unzucht (Konzil von Elvira, um 300), so tritt während der stabilen Zeit der feudalabhängien Bauernökonomie die harte Unzuchtsdefinition in den Hintergrund. Auf den Konzilen, an denen Frauen selbst ... teilnehmen, wird vorehelicher Geschlechtsverkehr nur noch als einfache Unmäßigkeit deklariert (so Konzil von Toledo im Jahre 750). Im Zentrum der kirchlichen Macht gibt es also eine Anpassung an die für diese Macht real nicht bedrohlichen Verhältnisse. Gleiches gilt für die »Hurerei«. Kasuistische Debatten drehen sich z.B. darum, ob eine Frau als Hure gebrandmarkt werden dar, wenn sie nachweislich mit 40 bis 60 Männern verkehrt hat, oder erst dann, wenn sie dieses mit 23000 verschiedenen Männern getan hat. Unter dem Blickwinkel der Neuzeit, welche als Hure jede Frau bezeichnen wird, die Sexualität außerhalb ihrer Ehezeit pflegt, wird die ungeheure Umwälzung, die sie gewaltsam vollbringt, deutlich.“ (Ebd., S. 44-45).

„Unsere These von der Dominanz des ökonomischen Kalküls bei der Fortpflanzung wird von der mittelalterlichen Entwicklung bestätigt. Landlosigkeit bedeutet Ehelosigkeit. Nicht ansiedelbarer Kinderüberschuß der Landbesitzer sowie des ehelosen, aber keineswegs zur Enthaltsamkeit verpflichteten Gesindes wird vermieden. Dabei bleiben das Ideal der Askese für die Ehelosen als moralisches Gebot und das Verbot des Kindesmordes als staatliches Gesetz in Kraft. Sie werden jedoch nicht zu inquisitorisch-terroristischen Instrumenten geschliffen, solange Kirche und Adel von der prosperierenden Bauernwirtschaft profitieren, also zwar durch Unterdrückung der Produzenten, aber ohne deren gewaltsame Vermehrung ihren Unterhalt bestreiten können.“ (Ebd., S. 45)

D) Wie die Krise des Feudalismus zur staatlichen Menschenproduktion führt

1)  Warum Wie durch „Hebammen-Hexen“-Verfolgung die Menschenproduktion der Neuzeit beginnt (S. 51-60)
2)  Wie die Menschenproduktion zur ersten Aufgabe des Polizey-Wesens wird und den modernen Staat mitkonstituiert (S. 61-65)
3)  Wie das Christentum Kinderreichtum als Verantwortung vor Gott predigt, um das traditionelle elterliche Verantwortungsgefühl auszuschalten
      (S. 65-70)
4)  Warum die Bevölkerungspolitik widersprüchlich verläuft oder: Die Unfähigkeit zur Feinsteuerung in der Menschenproduktion (S. 70-77)
5)  Wie die Bevölkerungsentwicklung der Neuzeit im Populationismus der späteren merkantilistischen Theorie reflektiert wird (S. 77-83)

„Das neue Produktionsverhältnis, das durch Bodeneigentümer und freie Lohnarbeiter gekennzeichnet ist, entsteht auf dem Lande als Agrarkapitalismus. Bevor diese Entwicklung jedoch anheben kann, unternimmt die englische Aristokratie alles, um den unfreien Bauern auf der Scholle zu halten. Trotz anfänglicher Erfolge - wie nach dem großen Bauernaufstand von 1381 - geht für sie der Kampf um die ihr bis dahin unterworfenen Arbeitskräfte schließlich militärisch verloren. Zwar wird die Leibeigenschaft formal erst um die Mitte des 17. Jahrhunderts aufgehoben, aber bereits Mitte des 16. Jahrhunderts ist die Niederlage des englischen Adels besiegelt. Seitdem stehen unfreie Arbeitskräfte praktisch nicht mehr zur Verfügung. Die Vorfahren der freien Lohnarbeiter haben damit einen definitiven Sieg errungen, der zwar nicht ihrem Ziel, freie Bauern zu werden, entsprach, historisch aber erhebliche Konsequenzen hatte:
»Die Frage ... einer Wiedereinführung der Leibeigenschaft war damit ein für allemal erledigt, was nicht dem Zartgefühl der Herrschenden geschuldet war.« (R. H. Hilton, a.a.O.).
Zwischen Bodeneigentümern und den kämpfenden unfreien Bauern entsteht also eine Pattsituation, deren Auflösung ihre Anerkennung als freie Lohnarbeiter bringt und die ehemaligen Aristokraten zu kapitalistischer Wirtschaft zwingt.“ (Ebd., S. 47-48).

„Nicht vertriebene freie Bauern werden - wie KarMarx annimmt (vgl. ders., Das Kapital, 1867,, in: Marx-Engels-Werke, Band 23, Kapitel 24, S. 744ff.) - zu den ersten freien Arbeitern der »Lohnsklaverei« (Matt) geknechtet, vielmehr entfliehen unfreie Bauern der Knechtschaft der zerfallenen Gutsherrlichkeit und landen in der freien Lohnarbeit, die ihnen zunächst mehr Unabhängigkeit und höhere Einkommen als zuvor gewährt. Sie müssen also nicht verjagt, sondem sie können nicht mehr gehalten werden.“ (Ebd., S. 48).

England
„Aus der Graphik geht der Zusammenhang zwischen Bevölkerungsschwund nach der mittelalterlichen Agrarkrise um 1300 sowie der Konkurrenz um die verbleibenden Arbeitskräfte und den damit steigenden Löhnen hervor . Nicht also der schlecht behandelte freie Bauer wird zum freien Lohnarbeiter des modemen Kapitalismus. Vielmehr setzt diese Behandlung den Agrarkapitalismus mit freier Lohnarbeit bereits voraus - aus der Graphik ist ihr hoher Preis bis ins 16. Jahrhundert hinein ersichtlich. Erst dann gelingt es der Aristokratie, durch allmähliche organisatorische Veränderung der Produktion - die Umwandlung von Ackerland in Weideland - die Reallöhne auf breiter Ebene zu drücken. Diese erste echte Rationalisierung in der bekannten Menschheitsgeschichte findet statt, weil die Arbeitskosten aufgrund der Freiheit der Arbeiter anders nicht verringert werden können. Das Sprichwort »Schafe fressen Menschen« entsteht. In einem Prozeß, der auch als sogenannte erste Einhegungsbewegung bekannt ist, mittels der die Grundbesitzer ihre 200 Jahre hindurch stark gesunkenen Einkommen wieder erhöhen (vgl. H. Hilton, a.a.O.), werden nun auch freie Bauern ruiniert oder vertrieben und tatsächlich gewaltsam in die Lohnarbeit gestoßen. Ihre Böden werden zur arbeitsparenden Produktion der reißfesten Wolle genutzt, die - als ein leicht lagerbares und transportables agrarisches Handelsgut - die Märkte Europas erobert und später zu einer technischen Voraussetzung der Fabrik in der Textilerzeugung wird.“ (Ebd., S. 48-49).

1) Wie durch „Hebammen-Hexen“-Verfolgung die Menschenproduktion der Neuzeit beginnt

„Der reduzierte Zugriff der Grundherren auf die Arbeitskraft und der starke Bevölkerungsrückgang, d.h. der Arbeitskräftemangel, führen nach der Krise des Spätmittelalters vordringlich zu Überlegungen, wie die Bereitstellung von Arbeitskräften gewährleistet werden kann, deren potentielle Eltern nicht mehr unter direkter Aufsicht stehen und - wie in England - auch zunehmend keiner individuellen bäuerlichen Fortpflanzungsnotwendigkeit mehr ausgesetzt sind. Diese Überlegungen und die daraus hervorgehenden Maßnahmen werden zum hauptsächlichen Aktionsbereich der wachsenden absolutistischen Verwaltungen und Denkschulen. Die politischen Theoretiker dieser Verwaltungen können Anstrengungen, für den stetigen Zufluß neuer Arbeitskräfte zu sorgen, nur noch vom Inhaber der politischen Gewalt fordern und formulieren zu diesem Zweck das merkantilistische Dogma von der Bevölkerungsvermehrung als Voraussetzung des nationalen Reichtums. Sie deuten den Niedergang der mittelalterlichen Bauernökonomie als Parallelphänomen zum Untergang des Imperium Romanum, befinden sich im Verhältnis zu diesem Untergang freilich bereits in der Rolle der Schlüsse ziehenden Politiker und nicht - wie die römischen Kaiser- in der des tastend nach einer Lösung Suchenden.“ (Ebd., S. 51).

„Die Durchsetzung des christlichen Kindestötungsverbotes und des Schutzes der Frauen vor Scheidung konnte, wie gezeigt, im beginnenden Feudalismus auf staatlichen Terror deshalb verzichten, weil die neue halbfreie Bauernschaft ohnehin wieder Interesse an erbenden und/oder mitarbeitenden Kindern ausbildete und zugleich in der aus der wirtschaftlichen Krise resultierenden Sinnkrise der Spätantike in großer Zahl freiwillig die christliche Moral angenommen hatte. Die schnelle Expansion der nordeuropäischen Landwirtschaft wiederum verlangte keine direkte polizeiliche Überwachung der Fortpflanzung. Kunstreiche Verfahren der Frucht- und Kindesbeseitigung wurden entwickelt und gingen einher mit einer reichen sexuellen Kultur welche das Mittelalter von der Neuzeit deutlich unterscheidet. Sowohl auf die sexuellen Geschicklichkeiten und die Geburtenkontroll-Künste der Frauen und Hebammen als auch auf die stillschweigende Duldung der Kirche war es zurückzuführen, daß noch im Augsburger Achtbuch zwischen 1338 und 1400 unter 3000 Verbrechern nur eine Kindsmörderin - also 0,033% - genannt wurde. Nürnberg verzeichnete bis 1499 keine einzige zum Tode verurteilte Kindsmörderin. Im 17. und 18. Jahrhundert erreichten sie jedoch bereits Anteile von 12% bzw. ca. 22% an den Todesstrafen.“ (Ebd., S. 51-52).

„Wir behaupten also, daß ab dem 15. Jahrhundert - mit dem Höhepunkt zwischen 1560 und 1630 - die Auslöschung des Nachwuchsverhütungswissens organisiert wird: durch die Vernichtung von Millionen Frauen, die als Hexen auf die verschiedensten Arten zu Tode gebracht werden. Wir betrachten deshalb die Hexenverfolgung nicht als Zerstörung »naturhafter Weiblichkeit« durch den »wissenschaftlichen Geist der Neuzeit«, nicht als den Triumph männlicher Rationalität über weibliche Irrationalität - wie es in heute gängigen Thesen unterstellt wird -, sondern umgekehrt als die Austreibung zweckrationalen Verhaltens aus der Fortpflanzung, als die weitgehende Verschüttung jenes biologisch und physikalisch-chemischen Wissens, welches Schwangerschaften zu verhüten, Föten abzutreiben und Neugeborene einem sanften Tode anheimzugeben erlaubte. über diese hochentwickelten Kenntnisse, welche auch die Geburtsheilkunde einschließen und ... 103 verschiedene chemische und physikalische Praktiken umfaßten, verfügten die Frauen, insbesondere die Hebammen.“ (Ebd., S. 54).

„Unseres Erachtens diente die langandauernde Massentötung einem bevölkerungspolitischen Kalkül, das die Erfahrung der Spätantike verarbeitet und einen neuerlichen »Untergang« der Zivilisation aus Menschenmangel zu unterbinden getrachtet hat. Daß die ... Kenntnisse der weisen Frauen verschüttet wurden, ist häufig beschrieben worden. Es wurde sogar erkannt, daß sie mit den Hexenmassakern verschwinden. Warum indes die systematische Vernichtung dieses Wissens durch Ausrottung seiner Trägerinnen ab ca. 1480 erfolgte, gilt »als ein Rätsel der Weltgeschichte«. (L. genz, a.a.O.).“ (Ebd., S. 54-55).

„Am klarsten ausgeführt finden wir das bevölkerungspolitische Kalkül der frühen Neuzeit bei dem herausragenden Staatsdenker des 16. Jahrhunderts, Jean Bodin, der bereits auf ein volles Jahrhundert der Mordkimpagnen gegen Frauen zurückblicken kann. Bodin ist der Begründer der Quantitätstheorie des Geldes und des frühmerkantilistischen Populationismus. Er gilt als Schöpfer des modernen Souveränitäts-Begriffes und scheint neben aller Rationalität und an ihm gepriesenen Toleranz durch eine dunkle, abseitige Leidenschaft ausgezeichnet gewesen zu sein, die in unbegreiflichem Widerspruch zum aufklärerischen Duktus dieses Protagonisten der Neuzeit zu stehen scheint: Er verfaßte die entschiedenste, brutalste Schrift zur Hexenverfolgung - Vom ausgelassenen wütigen Teufelsheer -, sie erschien 1580 in Paris. Wir meinen nun allerdings, daß dieses Werk nicht in Widerspruch zu seinen anderen Schriften steht, sondern daß es nur mit ihnen gemeinsam verständlich wird, ja, diesen sogar das Fundament liefert.“ (Ebd., S. 55).

„Jean Bodin verficht nicht nur die Auffassung, daß für eine neue Dynamik der Reichtumsentwicklung nach der spätmittelalterlichen Agrarkrise der Staat als Ausdruck der aristokratischen Interessen zum Wirtschaftsgaranten und deshalb mit umfassender Souveränität ausgestattet werden muß, sondern auch die, daß der Staat für die Arbeitskräfte einer neuen Okonomie zu sorgen hat. (Vgl. Jean Bodin, Sechs Bücher über die Republik, 1576, Buch I, Kapitel 8ff., S. 84ff.). Er bezieht in seine Gesellschaftsanalyse den Faktor Arbeitskraft ein. Aus dem Studium des Untergangs des Römischen Reiches gewinnt er die überzeugung, daß Menschenmangel die Ursache dieser »Katastrophe« war, und erwägt, wie die »griechischen« Mittel der Abtreibung und Kindestötung unterdrückt werden können, damit sie nicht von neuern geschichtsmächtig werden::
»Wie viele Jungfrauen sehen wir durch ihre eigenen Eltern verkauft und entehrt, die liederlich leben, statt verheiratet zu sein, die denken, daß es Ibesser sei, ihre Kinder auszusetzen oder zu töten, anstatt sie zu ernähren. Wie kann all dieses vermieden werden, wenn nicht durch die Polizei (Censor)?«  (Jean Bodin, Sechs Bücher über die Republik, 1576, Buch VI, Kapitel 2, S. 644).
Als zentrale Aufgabe einer solchen Polizei versteht er seinen nun keineswegs mehr irrational anmutenden Kampf gegen die Hebammen. Praktisch hat er gegen die »Hexen« neben Anklagetatbeständen wie Häresie, Gotteslästerung, Teufelsanbetung, Propaganda für den Teufel, Schwur beim Namen des Teufels, Geschlechtsverkehr mit dem Teufel und neben den traditionellen Vorwürfen der Vieh- und Fruchtverhexung lediglich demographische Bedenken als wirklich handfeste Begründungen der Verfolgung vorzubringen: Darbietung der Kinder an den Teufel, Darbietung selbst Ungeborener , Kindesmord, Menschenmord, Giftmord, Menschenfresserei, Inzest und - immer wieder - Verhütung und Abtreibung, die wie ein Mord verfolgt werden sollen, unter welch unglücklichen Umständen auch immer die Frauen zu diesen Mitteln Zuflucht genommen haben mögen. Ja, solche unglücklichen Umstände sollen geradezu als Beweise für absichtliche Täuschung über die todeswürdige Hexerei gelten können::
»Denn, wer immer mit der (Zauber- )Kunst umgeht, kann nicht in Abrede stellen, daß er das Gesetz Gottes und der Natur bricht: weil er die Wirkung der von Gott eingesetzten Ehe verhindert. Daraus erfolgt entweder die Ehescheidung oder Unfruchtbarkeit, was dann ein ganz eindeutiges Sakrileg oder eine Vergreifung an der heiligen Sache bedeutet. Zusätzlich wird er nicht leugnen können, daß er dadurch ein Totschläger wird. Derjenige also, der die Zeugung oder Heranreifung der Kinder bebindert, muß ebenso als Totscbläger angeseben werden wie derjenige, der einem anderen die Gurgel durcbscbneidet.« (Jean Bodin, Sechs Bücher über die Republik, 1576, Buch VI, Kapitel 2, S. 644)
Hier wird deutlich. daß Bodin die Hexerei (Zauberei) absolut mit der Verletzung der »göttlichen« Ehezwecke identisch setzt. Die Hexe ist in jedem Falle, was immer sie sonst tun mag, als Verhüterin der Fortpflanzung wie eine Mörderin zu verfolgen. Er formuliert auch bereits die moralischen Werte, die ... zur allgemeinen Ideologie avancieren werden, wenn er das dem Ehezweck hinderliche Hexentreiben als die unversöhnliche Feindschaft »zu dem heiligen Band der Natur und der menschlichen geselligen Gemeinschaft« deutet. (Vgl. Jean Bodin, Sechs Bücher über die Republik, 1576, Buch VI, Kapitel 1, bes. S. 644).“ (Ebd., S. 55-57).

„Bodin arbeitet als Berater ... bei der Organisierung und Intensivierung der Hexenverfolgung auch praktisch mit. »Schrecklich donnerte er gegen die milden Richter«. welche die Hexen dem Feuertod entziehen und dadurch das Heil der Menschheit aufs Spiel setzen. (Vgl. J. Kohler, Bodinus und die Hexenverfolgung, a.a.O., 1919, S, 457). Da die Richter Schwierigkeiten mit der Beweisaufnahme haben, insbesondere wo es um so schwer überprüfbares Verhalten wie Schwangerschaftsverhütung, Abtreibung und das Einleiten von Fehlgeburten geht, haben sich immer wieder Richter geweigert, Foltern anzuordnen und Todesurteile auszusprechen, ja teilweise bekundet, daß »Hexen kunstreiche Leute« seien. Gegen diese Künste nun richtet sich gerade die Bevölkerungspolitik der absolutistischen Regierungen als deren herausragender Theoretiker Bodin zu gelten hat.“ (Ebd., S. 57).

„Die Verwunderung über seinen Irrationalismus, die bis heute in die Bewunderung für seinen Rationalismus gemischt ist, resultiert also aus dem Unverständnis vor der »Hexerei«, die für Bodin identisch mit Geburtenkontrolle ist. Seine Befürwortung der Folter ist nicht irrational, sondern gerade furchtbarer Ausdruck seiner gefeierten Rationalität, fördert sie doch die zahlreichen chemischen und physikalischen Praktiken der Nachwuchsverhütung zutage, gegen welche die päpstlichen Dekrete gerichtet sind: Im Hexenhammer von 1486 heißt es unter der Kapitelüberschrift »dass die Hexen-Hebammen die Empfängnis im Mutterleibe auf verschiedene Weisen verhindern, auch Fehlgeburten bewirken, und, wenn sie es nicht tun, die Neugeborenen den Dämonen opfern«: »Niemand schadet dem katholischen Glauben mehr als die Hebammen.« (Heinrich Krämer [wahrscheinlich mit Jakob Sprenger], Hexenhammer, 1486). Darin drückt sich frühzeitig die entscheidende bevölkerungspolitische Intention der römischen Kirche aus, die seit der Bulle Innozenz' VIII. von 1484 - initiiert von den Verfassern des Hexenhammer (Heinrich Krämer [und wahrscheinlich Jakob Sprenger]; Anm. HB) - den Menschenmangel einheitlich in ganz Europa und damit alle bis dahin noch wenig koordinierten Unterdrückungsstrategien zentralisierend bekämpft. Der Papst wirft den »Hexen-Hebammen« vor, daß sie »die Geburten der Weiber ... umkommen machen, ... die Menschen, die Weiber ... mit grausamen sowohl innerlichen als äusserlichen Schmertzen und Klagen belegen und peinigen, ... daß sie nicht zeugen, und die Frauen, daß sie nicht empfangen, und die Männer, daß sie denen Weibern, und die Weiber, daß sie denen Männern, die ehelichenWerke nicht leisten können ....« (Tenor Bullae Apostolicae adversus haeresim malificarum, 05.12.1484, in: Heinrich Kämer [/ Jakob Sprenger], Hexenhammer, 1486, S. XXXVII).“ (Ebd., S. 58).

„Ab 1484 gehört somit das bevölkerungspolitische Stillhalte-Abkommen zwischen Kirche und Hebammen und allen Bürgern, das für das Mittelalter praktisch zureichend war, endgültig und allgemein der Vergangenheit an. Die im Zerfall der Spätantike zur Staatsreligion gewordene Antitötungsmoral des Christentums ebenso wie sein strenges Fortpflanzungsgebot erleben nun gewissermaßen ihre erste wirkliche Belastungsprobe und gehen aus ihr erfolgreich hervor: um den Preis millionenfacher Tötung und generativer Verdummung der überlebenden Frauen (und Männer). Tendenziell ist jede Frau verdächtig, am Empfängnis- und Gebärverhalten zu manipulieren, also Hexe zu sein. Hieran wird deutlich, daß die »Hexerei« erst dann als überwunden gelten kann, wenn das Verhütungs- und Abtreibungswissen weitgehend verschwunden ist und die Frauen auf den primitiven, aber leicht entdeckbaren Kindesmord als ultima ratio verwiesen sind. So ist es nicht verwunderlich, wenn gerade Kindsmörderinnen seit dem 16. Jahrhundert mit Hilfe neuer Verfahrensvorschriften verfolgt und aufgrund neuer staatlicher Gesetze besonders grausamen Todesstrafen ausgesetzt werden.“ (Ebd., S. 58-59).

„Es ist das Verdienst von Manfred Schwarz, gezeigt zu haben, daß gerade die Neuzeit die überaus brutale Exekutierung der Kindsmörderinnen eingeführt hat, die bis dahin »dem finsteren Wahn des Mittelalters« zugeschrieben worden war. (Vgl. Manfred Schwarz, Die Kindestötung in ihrem Wandel vom qualifizierten zum privilegierten Delikt, 1935). Diese irrige Auffassung setzte sich in der Aufklärung durch. Daran wird deutlich, daß die Aufklärung zur allgemeinverbindlichen Formulierung der »natürlichen Liebe« zwischen Eltern und Kindern - und übrigens auch zwischen Gatten - erst voranschreiten konnte, nachdem in der Neuzeit, in deren Tradition gegen das Mittelalter sie sich stolz und selbstbewußt stellte, die blutige Mordarbeit von Kirche und Staat mit dauerhaften Folgen besorgt worden war .Der großartige Mythos von der allgemeinen und natürlichen Liebe zum Kind bildete sich erst heraus, als der tatkräftige Gedanke einer zweckrationalen Einstellung zu dem ungeborenen oder neugeborenen Kinde mit dem Mittel des öffentlichen Terrofs ausgelöscht war“ (Ebd., S. 59).

4) Warum die Bevölkerungspolitik widersprüchlich verläuft oder: Die Unfähigkeit zur Feinsteuerung in der Menschenproduktion

„Es erweist sich, daß die neue christliche Sexualmoral durch ständige Überwachung auch dem ehelosen Gesinde aufgeherrscht wird. Der Agrarkapitalismus - und mehr noch der junge Industriekapitalismus - kann ... mit dem Pfunde wuchern, welches der Absolutismus bereitgestellt hat.“ (Ebd., S. 72).

„Am deutlichsten wird der Triumph der christlichen Moral in der Arbeiterklasse an den in England proletarisierten Massen, die in Amerika eine puritanische Bauerngesellschaft errichten, deren Fortpflanzungsmoral diejenige des Kontinents weit übertrifft. Die englischen Proletarier entwickeln nach ihrer Verwandlung in die »New-England-Yankees« die strengste Sexualmoral der bekannten Geschichte.“ (Ebd., S. 72).

„Daß gerade England zum Hort der strengsten Sexualmoral und Fortpflanzungsbereitschaft wird, hängt mit dem ... sehr viel früheren Auftreten einer freien, landlosen oder landarmen Lohnarbeiterschaft zusammen, deren Kinder prinzipiell in Versorgungsschwierigkeiten stecken. Die im Jahre 1601 abgeschlossenen Armengesetze des hier ganz merkantilistisch operierenden englischen Staates begünstigen die Trennung solcher Kinder von ihren Eltern und ihre Aufzucht in Armenhäusern. Es beginnt hier übrigens die besondere juristische Fassung einer Lohnarbeiterfamilie, wie sie - historisch neu - für alle bürgerlichen und staatssozialistischen Gesellschaften bis heute kennzeichnend ist. Es gibt nicht länger die unbedingte väterliche Verfügungsmacht über die Entwicklung der Kinder, an ihre Stelle tritt nunmehr die Aufsicht des Staates über die Väter, die zur Erziehung ihrer Kinder im Interesse der Gesellschaft verpflichtet werden müssen, weil sie mit ihren persönlichen Interessen nicht übereinstimmt.“ (Ebd., S. 72-73).

5) Wie die Bevölkerungsentwicklung der neuzeit im Populationismus der späteren Theorie reflektiert wird

„Merkantilistische Politik ist die planvolle Reaktion auf die Krise bauernwirtschaftlicher Reichtumsgewinnung in feudaler Abhängigkeit und auf den katastrophalen Bevölkerungsschwund am Ausgang der spätmittelalterlichen Agrarkrise. Sie versucht, eine neue Dynamik durch staatliches Wirtschaften im Interesse der Aristokratie zu schaffen und benötigt dazu Arbeitskräfte. Sie richtet sich deshalb gegen das dem Kleineigentümer mit seiner allenfalls statischen Wirtschaft angemessene Fortpflanzungsverhalten. Für ihn ist die Überschreitung einer bestimmten Kinderzahl ökonomisch unvorteilhaft, sittlich gesprochen: verantwortungslos, da er dem Nachwuchs, der nicht erbt, keine Zukunft versprechen kann. Dies gilt erst recht für alle Kinder der Nichteigentümer, insbesondere der freien Lohnarbeiter Englands.“ (Ebd., S. 77).

„Die merkantilistische Menschenproduktion verselbständigt sich allmählich zu einem allgemeinen Prinzip der Reichtumsgewinnung durch Bevölkerungsvermehrung, weil das sehr konkrete Kalkül des neuzeitlichen Staates als ewige Moral und Sittlichkeit exekutiert wird. Die Menschenproduktion beginnt zwar anzulaufen, aber die so gewonnen Arbeitskräfte werfen, bevor sie irgendwo eingesetzt werden können, sofort das Problem ihre Unterhalts auf. Die historische Erfahrung von Antike und Mittelalter, daß Macht über Menschen Wohlstand bringt, verleitet die Theoretiker der Neuzeit zu der Vorstellung, daß auch Menschen, für welche zunächst einmal niemand individuelle aufzukommen hat, in gleicher Weise Quelle von Reichtum sind. Die staatliche Menschenproduktion erscheint so unter dem Kalkül eines individuell an Fortpflanzung interessierten Produzenten, ohne daß der Staat zugleich Unterhalts- und Aufzuchtsinstanz ist, wie das für die Produzenten gilt. Die Menschenproduktion jenseits des individuellen Produzentenkalküls muß die Organisation staatlicher Unterhaltsmittel nach sich ziehen, da sonst Armut der Nation und nicht Wohlstand aus ihr erwächst.“ (Ebd., S. 79-80).

„Das Mißverständnis der Staatsdenker besteht darin, die traditionelle ökonomische Einsicht: Je mehr persönlich anwendbare Menschen, desto mehr Reichtum zum ewigen ökonomischen Naturgesetz unter der Forrnel: »Je mehr Menschen, desto mehr Reichtum« umzubilden. Das muß Kritik an diesen sogenannten Naturgesetzen hervorrufen, wenn Armut auftritt und gerade nicht Reichtum. Historisch bedeutet das für den Staat: »Leibeigenschaft endet und die Armengesetze beginnen.« Es entstehen also Kosten, zu deren Minderung oder Vermeidung die Staatsdenker wiederum Vorschläge machen. Einigen fällt auf, daß der Staat als Menschenproduzent eben nicht zugleich »Menschenanwender« ist und Unterhaltsmöglichkeiten für sein Produkt erst zu schaffen hat. So schreibt Veit Ludwig von Seckendorf (1626-1692) über das Tagelöhnerturn:
»Dieses aber ist eine große und meines Wissens von wenigen genugsam bedachte ursach, daß kein Verdienst in Teutschland zu machen, damit sich eine menge volcks von gemeinen leuten beständig ernähren könnte.« (Veit Ludwig von Seckendorf, Teutscher Fürsten-Staat, 1656, S. 177).
Wo diese »neue« Position nicht gefunden wird, folgt aus dem »Naturgesetz« - je mehr Menschen, desto mehr Reichtum - die Erschütterung der bis dahin anerkannten Theoreme, so etwa vom Bodenumfang als absoluter Grenze der Ernährungsbasis. Ein Wissenschaftler mit diesem »Naturgesetz« im Kopf deutet dann die Verhältnisse in einem dicht besiedelten Land so, daß der Mangel an Boden den Reichtum mehre, da er die Bewohner zu Fleiß und Einfallsreichtum nötige, während in Wirklichkeit die Innovationen aus dem nichtagrarischen Sektor und die relative Freih81eit der Bauern die Intensivierung der Landwirtschaft und die Bevölkerungszahl erklären können.“ (Ebd., S. 81).

„Die im Glauben an das »Naturgesetz« vom Reichtumszuwachs durch Bevölkerungsvermehrung propagierte relative Sorglosigkeit bei der Erzeugung von Nachwuchs - das zuvor undenkbare Gottvertrauen, daß genügend Nahrung vorhanden sei - gerät in eine Krise, sobald am modernen Industrieproletariat sichtbar wird, daß Kinderaufzucht nicht allein Ernährung, sondern auch - modern gesprochen - zureichende Sozialisation verlangt. Die mit der außerhäuslichen Erwerbstätigkeit beider Elternteile gekoppelte Verwahrlosung und Verrohung des Nachwuchses - soweit er überlebt - wird zu einem wesentlichen Merkmal der »Ärmlichkeit«. Diese Ärmlichkeit kann durchaus den materiellen Lebensstandard eines Bauernhofes überschreiten, der jedoch ein gänzlich anderes Sozialisationsmilieu - wenigstens für den erbenden Sohn - darstellt.“ (Ebd., S. 81-82).

„Die Tatsache des unerhört schnellen Bevölkerungsanstieges der Industriearbeiterschaft, der sogar die hohen Auswanderungsund Kindersterblichkeitsquoten quantitativ zu verschwindenden Größen macht, läßt das »Naturgesetz« mit der Wirklichkeit in Widerspruch geraten und inspiriert etliche Autoren zu einer neuen Theorie über die Bevölkerung. Diese läßt sich zusammenfassend als Umkehrung des alten »Gesetzes« formulieren: Je unbeschränkter die Menschen sich vermehren, desto größer wird die allgemeine Armut. Diese späteren Autoren stehen von vornherein in Opposition zum Staat, der zur Gewinnung des Arbeitskräftepotentials Elend in Kauf nimmt. Mit ihren eigenen Vorschlägen bleiben die neuen (prämalhusianischen) Bevölkerungstheoretiker jedoch ebenfalls Geschöpfe ihrer Zeit. Sie durchbrechen nicht das aus der Hexenverfolgung resultierende christliche Tabu über die Verhütungsmittel und verfallen bei der Suche nach Möglichkeiten der Geburtenbeschränkung durchweg auf den Zölibat, die lebenslängliche sexuelle Enthaltsamkeit, und nicht auf die verhütungsgeleitete Genußsexualität.“ (Ebd., S. 82).

„Die Malthusianer konstruieren ...: Nahrung produziert Menschen. Die Konsequenz daraus ist die Bekämpfung der Armenfürsorge, die lediglich zur Zeugung weiterer Kinder führe und das Problem nicht löse, sondern verschärfe. .... Für die Malthusianer bedeutet Nichtenthaltsamkeit unvermeidliches Elend. Sie reduzieren die Armut also nicht auf ökonomische Umstände, sondern machen für sie die sogenannte menschliche Natur haftbar.“ (Ebd., S. 83).

„Der Kampf gegen sexuelle Enthaltsamkeit wird von zwei ganz verschiedenen Konzeptionen her begründet: (a) der marxistischen, die den ihrer Meinung nach ebenfalls auf natürliche Weise zunehmenden Nachwuchs gesellschaftlich erziehen will, also biologistisch bleibt, aber dem Elend zu entkommen hofft, und (b) der neomalthusianischen, die auf Schwangerschaftsverhütung setzt, welche in jüngster Zeit, wenn auch nicht vrobehaltlos, von den meisten Marxisten ebenfalls geübt wird.“ (Ebd., S. 83).

E) Warum in der industrielen Revolution die polizey-staatliche Menschenproduktion ihren Höhepunkt, nicht jedoch ihren Ausgangspunkt hat

1)  Wie es zur „Bevölkerungexplosion“ kommt (S. 85-96)
2)  Wie die „Bevölkerungexplosion“ in der Analyse der ökonomischen Klassiker erscheint (S. 96-128)

1) Wie es zur »Bevölkerungexplosion« kommt

1a)   Wie den historischen Demographen die Erklärung der „Bevölkerungexplosion“ mißlingt (S. 85-89)
1b)   Warum die neuzeitliche Menschenproduktion in die „Bevölkerungexplosion“ übergeht (S. 89-96)

„Die industrielle Revolution erfolgt in England. Sie ist nicht Resultat neuer sozialer Strukturen, sondern die Fortentwicklung der Dynamik, welche der Agrarkapitalismus mit faktisch freier Lohnarbeit bereits im 16. Jahrhundert freisetzt. Die landwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritte gehen weiter, reduzieren den anfänglich hohen Preis für die Arbeitskraft und verschärfen den Konkurrenzdruck auf die kleineren Produzenten. Diese suchen einen Ausweg z.T. in der Einführung der verlagsmäßigen Industrie, d.h. sie nutzen das aufgrund der Menschenproduktion und der Rationalisierung billiger werdende Angebot der freien, landarmen Lohnarbeiter.“ (Ebd., S. 84).

„Dies ist die Vorbedingung für Akkumulation in der verlagsmäßigen Industrieproduktion, die ab etwa 1775 in England den Sprung zur Konzentration der Arbeiter in Fabriken einleitet. Er wird unerläßlich, sobald die Expansion des Verlagssystems über eine bestimmte, noch kostenakzeptable Ausdehnung hinausgetrieben ist. Erst jetzt - um ca. 1760 - beginnt in größerem Maße der gezielte Einsatz des akkumulierten Kapitals zu rein technischen Erfindungen, die in Fabriken zur Anwendungkommen, d.h. die Arbeitskraft dorthin zu wandern nötigen. Die Fabriken wiederum werden nach Entwicklung mobiler Kraftmaschinen von Wasserkraft unabh~gig und können infrastrukturell kostengünstig zusammengelegt werden. Der Prozeß mündet nach 1790 in den Fabrikstädten des modernen Kapitalismus.“ (Ebd., S. 84).

1a) Wie den historischen Demographen die Erklärung der »Bevölkerungexplosion« mißlingt

„Die Erklärungsschwäche der historischen Femographie rührt ... daher, daß sie zur Basis der Erklärung ihres Problems ausgerechnet das zu erklärende Problem macht. Zu fragen ist: Warum pflanzen sich Menschen fort oder warum lassen sie das sein? Die Demographen aber fragen: Wie verhält sich der »natürliche Fortpflanzungs- und Eheschließungswunsch« unter verschiedenen historischen Gegebenheiten? Die Verbrennung der Hebammen-Hexen zeigt auch hier ihre erfolgreiche Nachwirkung. Sie hat die gedankliche Beschäftigung mit dem Fortpflanzungsgeschehen nachhaltig - jedenfalls unter Wissenschaftlern - bis auf unsere Tage tabuisiert. Die naturrechtliche These von der jedem Individuum quasi angeborenen Familiensehnsucht, welche nach der Zerstörung anderer Sehnsüchte seit dem Ende des 16. Jahrhunderts, also nach dem Abflauen der Hexentötungen, erst formuliert werden kann, wird zum Dogma des gesellschaftstheoretischen Denkens, sei es radikaler - etwa marxistischer -, sei es Konservativer Herkunft: Ein historisches Produkt erscheint als ewige Naturkonstante.“ (Ebd., S. 88-89).

1b) Warum die neuzeitliche Menschenproduktion in die »Bevölkerungexplosion« übergeht

„Die »Bevölkerungsexplosion« gründet ... nicht in einem der ... genannten Faktoren - im medizinischen, hygienischen oder ökonomischen Fortschritt -, sondern - so lautet unsere These - in der Zulassung bisher daran gehinderter sozialer Schichten zur Eheschließung. Diese Schichten, bislang in ihrer Sexualbetätigung eingeschränkt, müssen die neuzeitliche christliche Sexualmoral praktizieren, d.h. sie können kaum verhüten, haben viele Kinder und müssen diese, soweit sie nicht sterben, versorgen. Sie sind also weitgehend hilflos und unwissend, lassen es sich aber nicht nehmen, endlich ihre sexuellen Bedürfnisse straffrei zu befriedigen, und enden deshalb zwangsläufig im Kinder-»Reichtum«. Sie halten ganz überwiegend die staatlichen Gesetze gegen Kindestötung, Kindesaussetzung, Kindesabtreibung und Schwangerschaftsverhütung ein und sorgen damit für eine relative Zunahme der Geburten pro Ehe und für eine absolute Zunahme der Ehen im nationalen Maßstab.“ (Ebd., S. 89).

„Diese Kombination bewirkt die Bevölkerungsexplosion. Und es dauert - wiederum aus bevölkerungspolitisch motivierten Widerstand des Staates - etliche Generationen, bis das ökonomische Kalkül der Einzelnen erfolgreiche Waffen gegen dasjenige des »Polizey«-Staates in den modernen Gesellschaften findet und die neuzeitliche christliche Fortpflanzungsmoral zu zerfallen beginnt.“ (Ebd., S. 89-90).

„Die »Bevölkerungsexplosion« resultiert aus der Verlagerung von ungewollt sexuell im wartestand befindlichen Schichten in die neuen sozialen Verhältnisse der Städte. Dorthin wird gedrängt, um - zur Realisierung der Sexualität - Ehen schließen zu können und über ein von Kontrolle befreites einkommen zu verfügen.“ (Ebd., S. 92).

„Der »Industriearbeiter der Frühezeit war nach sozialer Intention und Lebensstil noch ein verhinderter Bauer.« (Gerhard Mackenroth, Bevölkerungslehre, 1953, S. 356). Er hat allerdings nicht praktisch lernen dürfen, den einer Bauernexistenz angemessenen kalkulatorischen Umgang mit »Familie« und wirtschaftlichem Fortkommen auszubilden. Die »kinderreich« werdende Industriearbeiterschaft rekrutiert sich somit aus ländlicher Unterschicht, die zwar frei, aber in ihren persönlichen Entscheidungen erheblich beschränkt ist.“ (Ebd., S. 92-93).

„So folgenreich die »polizey«-staatliche Menschenproduktion aller christlichen Länder welthistorisch ist - Europa wird weltbeherrschend -, so gerät sie doch in dem Augenblick in Schwierigkeiten, als ein »physisch und geistig entartetes« Proletariat die Existenz der bürgerlichen Gesellschaft bedroht und staatliche Rettungsmaßnahmen hervorruft: Verschonung von Lohnarbeit bis schließlich zum 15. Lebensjahr und gleichzeitige Unterbringung der Kinder, deren Eltern arbeiten, in öffentlichen Anstalten (Kinderbewahranstalten, Schulen u.s.w.). Die dafür den Eltern aufgebürdeten Kosten nötigen sie schließlich, Wege zur Vermeidung dieser Kosten zu suchen. Die Geschlechtslust wird neuerlich von der Fortpflanzung abgetrennt. Der Gebrauch nicht-befruchtender Befriedigungstechniken nimmt ebenso zu wie der von Verhütungsmitteln. Die große Zeit des »polizey«-staatlichen Strafsystems zur Nachwuchserzwingung neigt sich seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ihrem Ende zu. Fortan sinken die Geburtenziffern in den entwickelten Gesellschaften - jeweils beschleunigt durch wissenschaftliche Revolutionierungen der Verhütungsmittel -, ein Prozeß, der bis heute nicht zum Stillstand gekommen ist.“ (Ebd., S. 95-96).

F) Wie es zum neuerlichen Durchbruch ökonomischer Rationalität im Fortpflanzungsverhalten der Europäer kommt oder: Warum die Geburtenraten im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zu sinken beginnen

1)  Wie die „Bevölkerungexplosion“ zu Qualitätsproblemen in der Menschheitsproduktion führt und der Staat zum Erzieher wird (S. 130-142)
2)  Warum in Frankreich früher als im übrigen Europa die Geburtenraten zurückgehen (S. 142-145)
3)  Wie die historschen Denographen den Geburtenrückgang erklären (S. 145-149)
4)  Wie sich der „natürliche Kinderwunsch“ zu verflüchtigen beginnt (S. 149-162)
5)  Wie durch vielfältige Bevölkerungspolitiken die Menschenproduktiom in Gang gehalten werden soll (S. 162-184)

1) Wie die „Bevölkerungexplosion“ zu Qualitätsproblemen in der Menschheitsproduktion führt und der Staat zum Erzieher wird

„Sobald die Agitation für die soziale Reform (nach der französischen Revolution - d.V.) verschwindet, geht auch das Interesse an Geburtenkontrolle zurück«. (Norman E. Himes, a.a.O.). Dieser sogenannte Interessenrückgang ist den Demographen unerklärlich. Unseres Erachtens hat er gar nicht stattgefunden. Vielmehr wird dieses halbe Jahrhundert zum Schauplatz politisch bewußten Disponierens mit Menschenmassen, für deren Erzeugung nun die juristischen und »staatspolizeylichen« Maßnahmen, welche seit Beginn der Neuzeit unter Verwendung der nach der Spätantike erlassenen christlichen Fortpflanzungsgesetze in bislang ungekannter Machtperfektion vorliegen. Daß eine kapitalistische Ökonomie auf Lohnarbeiter - die Kinder persönlich nicht benötigen, weshalb sie ihnen abzupressen sind - angewiesen ist, erzwingt die entschiedene Ächtung aller nur denkbaren Nachwuchsverhütung, bedeutet also die unbedingte Aufrechterhaltung von Irrationalität und Unwissenheit im sexuellen Bereich oder - religiös gesprochen - das Festhalten an der neuzeitlichen Verantwortungslosigkeit im Fortpflanzungsverhalten, kurz, an dem Vertrauen, daß Gott die Kinder schon ernähren werde. Die strafrechtliche Verfolgung gilt mithin sexueller Aufklärung, dem Anbieten von Verhütungsmitteln, der Kindestötung und Kindesaussetzung, der Abtreibung, dem Vertrieb erotischer Schriften, dem Kontakt der Jugend mit sexuellen Sachverhalten, allen nicht zur Schwängerung führenden Formen der Sexualbefriedigung - selbst im Rahmen der Ehe -, der Homosexualität, der außer- und vorehelichen Sexualität, der Unterhaltspflichtverletzung u.s.w.. Die entsprechenden Gesetze befestigen eine Sexualmoral, die an Grausamkeit, Ausschließlichkeit und Konsequenz in der Menschheitsgeschichte ohne Vorbild ist. Die ausführlichste uns vorliegende Untersuchung über das Sexualverhalten in verschiedenen Gesellschaften aus Vergangenheit und Gegenwart nennt außer den christlichen Gesellschaften nur noch einen kleinen westafrikanischen Stamm (Ashanti) mit ähnlich rigider Moral, aber ohne entsprechendes Kindestötungsverbot. (Vgl. G. P. Murdock, a.a.O.).“ (Ebd., S. 132-133).

„Nun geht die Unterdrückung einer Verhütungskampagne, die sich theoretisch auf Malthus und praktisch auf Place hätte berufen können, keineswegs mit totaler gesellschaftlicher Blindheit der Regierungen Europas und in erster Linie Englands zusammen. Die schnell wachsende Industrie ebenso wie die - von nicht als Menschen anerkannten »Heiden« bewohnten - Kolonien bilden das Feld, auf dem die Nationen Europas ihren Konkurrenzkampf aus dem Arbeitskräftereservoir bestreiten, das ihre Bevölkerungspolitik abwirft:
»Von diesem Augenblick an (dem ersten englischen Census von 1801 - d.V. ) wurde ein kontinuierliches Bevölkerungswachstum als normal angesehen, eine Abschwächung oder gar ein Aufhören jedoch als ungünstiger Zustand. Heute (1927 - d.V.) ist diese Idee zu einem Dogma geworden, das nirgendwo mehr Anhänger gefunden hat als in England. Auf ihm gründen sich die ehrgeizigsten Hoffnungen für eine britische Expansion: Entsprechend einem Glaubenssatz, der seine Apostel und Fanatiker gefunden hat, werden Wohlstand und Macht des Empire unbegrenzt mit seiner Bevölkerung wachsen, so daß eines Tages Kanada, Australien und Südafrika hunderte Millionen von Menschen haben werden, eine ganze neue Rasse, die Englisch spricht und auf immer ein großes Commonwealth unter dem Union Jack bildet.« (P. Mantoux,a.a.O.).
Tatsächlich leben heute ca. 270 Millionen Menschen englischer Muttersprache außerhalb Englands, bezeugen also den Drang der im 19. Jahrhundert in England massenhaft geborenen Kinder, eine freie Bauern- oder sonstige selbständige Produzentenexistenz in übersee aufzubauen. Es wiederholt sich hier im internationalen Kontext und durch Engländer lediglich begonnen, was wir während der Antike im Mittelmeerraum beobachtet haben: Vor die Alternativen »Lohnarbeiter oder selbständiger Produzent« gestellt, wird abermals - und nunmehr millionenfach die letztere gewählt.“ (Ebd., S. 133-134).

„In England wird im Gefolge der Auswanderung ein zentrales Problem der staatlichen Menschenproduktion zuerst deutlich sichtbar. Zwar können durch staatliche Gewalt und kirchliche Indoktrination den Lohnabhängigen Kinder abgepreßt werden, aber beide Mittel sind untauglich, die Zuwendung zu erzwingen, ohne welche Kinder nicht zu gedeihen vermögen. Deshalb werden bereits in der frühen Kindheit - also noch vor dem Zwang zu industrieller Kinderarbeit ab etwa dem 6. Lebensjahr - Millionen von Kindern für das gesamte Leben nachhaltig geschädigt. Zudem wird das waghalsige Unternehmen der Auswanderung vorrangig von den stabileren Personen riskiert, während im Mutterland die weniger stabilen Menschen als Geschöpfe der industriellen Revolution zurückbleiben. Auf dem Überhandnehmen dieses »menschlichen Schutts« des 19. Jahrhunderts begründet Francis Galton, ein Vetter Charles Darwins, seine Eugenik (Rassenhygiene; vgl. Francis Galton, Hereditary Genius, its Laws and Consequenes, 1869). Die Lehre Galtons erfährt rasch internationale Verbreitung: Die zweite Weltbevölkerungskonferenz (nach der Genfer von 1927) findet unter der Schirmherrschaft Hitlers 1935 in Berlin statt und versammelt Rassenhygieniker aus fast allen entwickelten Ländern der Erde. Schon zwischen 1907 und 1935 werden in den USA rassenhygienische Gesetze in 31 von 48 Bundesstaaten durchgesetzt und damit eugenische Sterilisationen zulässig. Deutschland unter den Nationalsozialisten folgt mit dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses am 18. Juli 1935. Es wird vom Ehrenpräsidenfen der us-amerikanischen »Eugenic Research Association« auf dem Berliner Kongreß begrüßt:
»Aus der Synthese aller großen Wissenschaftler haben Männer wie der Führer der Deutschen Nation, Adolf Hitler, sachkundig unterstützt von Innenminister Frick und beraten von den deutschen Anthropologen, Rassenhygienikern und Sozialphilosophen eine umfassende Rassenpolitik der Entwicklung und Verbesserung der Bevölkerung geschaffen, welche in der Rassengeschichte Epoche machen wird. Es schafft das Modell, welches die anderen Nationen und Rassen nachvollziehen müssen, wenn sie in ihrer rassischen Qualität, in ihrer rassischen Vollkommenheit und in ihrer Fähigkeit zu überleben, nicht zurückfallen wollen.« (H. Laughlin, Studies on the Historical and Legal Development oif Eugenical Sterilization in the United States, in: Bevölkerungsfragen, Hrsg.: Hans Harmsen & Franz Lohse, 1936, S. 666ff.).
Die hier beispielhaft in später Formulierung vorgeführte Idee einer Konkurrenz der Rassen beginnt die kapitalistischen Länder Europas im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, also relativ gleichzeitig, zu beschäftigen. Die buchstäbliche Sorge, daß die Mehrheit der Nation den Verstand verliere oder Verstand erst gar nicht erwerbe, löst Maßnahmen gegen einen frühzeitigen Verschleiß der Menschen aus. In den zu erwartenden Waffengängen zwischen den ökonomisch expandierenden Nationen Europas werden diejenigen mit schlechterem »Menschenmaterial« ausgestatteten von vornherein auf der Verliererseite gesehen.“ (Ebd., S. 134-135).

„In dem Maße also, in welchem die Fabrikarbeiter ihren Anteil an der Bevölkerung erhöhen, wird offensichtlich, daß die absolute Mehrheit der Nationen allmählich aus früh geschädigten Menschen besteht, deren defizitäre Sozialisation sich im Nachwuchs noch zu potenzieren droht: Der Bericht der englischen »Kommission von 1863 über die Beschäftigung von Kindern« formuliert diese Besorgnis folgendermaßen: »Die Töpfer als eine Klasse, Männer und Weiber, repräsentieren eine entartete Bevölkerung, physisch und geistig entartet«; »die ungesunden Kinder werden ihrerseits ungesunde Eltern, eine fortschreitende Verschlechterung der Race ist unvermeidlich«, und dennoch »ist die Entartung der Bevölkerung der Töpferdistrikte verlangsamt durch die beständige Rekrutierung aus den benachbarten Landdistrikten und die Zwischenheiraten mit gesundern Racen!«  (Zitiert in: Karl Marx, Inaugaraladresse der Internationaln Arbeiter- Assoziation vom 28. September 1864, in: Marx-Engels-Werke, Band 16, S. 8).“ (Ebd., S. 135).

„Der Rassismus des Bürgertums, zusammengesetzt aus der Furcht vor dem Niedergang der eigenen »Racen« und der Angst vor »Überflutung« durch »mindere Racen« hat hier seinen historischen Ursprung. Es entsteht in den bürgerlichen Familien »eine umgekehrte und dunkle Ahnentafel, deren beschämende »Adelstitel, die Krankheiten oder Belastungen der Verwandtschaft waren« (Marcel Foucault, Sexualität und Wahrheit, 1976, S. 150). Im Rassenwahn unter dem NS-Regime findet diese Unreinheitsangst - nunmehr vor jüdischen und anderen »nicht arischen« Ahnen - ihre fürchterlicheVollendung.“ (Ebd., S. 135-136).

„England steht also als erste Nation vor den Problemen, mit denen sich später alle anderen bürgerlichen Gesellschaften in gleicher Weise konfrontiert sehen: Wie ist es möglich, eine Lohnarbeitergesellschaft nicht allein biologisch zu reproduzieren, sie nicht nur zum bloßen Setzen von Leben, sondern auch zu befriedigender Erziehung der Kinder zu veranlassen? Wie kann das Kunststück der Neuzeit, an welchem alle vergangenen Hochkulturen gescheitert sind, weitergeführt werden? Wie sind die sexuelle Ignoranz und die persönliche, aber religiös gerechtfertigte elterliche Verantwortungslosigkeit gegenüber dem Nachwuchs als Resultat der Hexenverfolgungen festzuhalten? Wie kann der einmal gewonnene Nachwuchs weiterhin vor dem Tode bewahrt und ihm schließlich jene menschliche Qualität vermittelt werden, ohne die eine Gesellschaft nicht überleben kann? Was Adam Smith - vor der industriellen Revolution - als bestimmendes Moment der Beziehungen zwischen Lohnarbeitern und ihrem Nachwuchs erkannte - nämlich Vernachlässigung und Gleichgültigkeit -, prägt allmählich das Verhältnis zwischen der Bevölkerungsmehrheit Englands und ihren Kindern. Den Anstieg des Anteils der Fabrikarbeiter an der Gesamtbevölkerung Englands verdeutlichen die folgenden Zahlen: Noch 801 arbeiten in der Landwirtschaft 35 Prozent der Arbeitskräfte, in der Industrie jedoch nur 29 Prozent. Bereits 1831 haben die industriellen Zentren mit 6317580 Einwohnern fast denselben Anteil an der Gesamtbevölkerung erreicht wie die landwirtschaftlichen und gemischten Gebiete mit 7734405 Einwohnern. Im Jahre 1841 beschäftigt die Landwirtschaft nur noch 23 Prozent der Arbeitskräfte gegenüber 39-43 Prozent in der Industrie und 34-38 Prozent in den Dienstleistungsgewerben. 1901 schließlich machen die Fabrikarbeiter mit 54. Prozent die absolute Bevölkerungsmehrheit Englands aus (in Deutschland waren es schon früher mehr; Anm. HB).“ (Ebd., S. 136).

„Die Lösung des gewaltigen Problems der Kindesvernachlässigung können die staatlichen Gewalten nicht um den Preis der Überwindung der christlichen Familienmoral betreiben, da dann der Zufluß der Arbeitskräfte überhaupt gefährdet würde. Sie verhalten sich also nur konsequent, wenn sie die Mehrung der Kinder unberührt lassen und sich zu ihren Beschützern erheben. Der Staat übernimmt die institutionelle Aufgabe der qualitativ zureichenden Entwicklung der Kinder, macht sich in doppeltem Sinne zu ihrem »Vater« .Er ist bereits verantwortlich für die Erzeugung und kümmert sich nun auch um die Erziehung. Erfolg in beiden Fällen wird zur Voraussetzung der Fortexistenz der Nation.“ (Ebd., S. 136-137).

„Den entscheidenden Schritt als Erzieher der nachwachsenden Lohnarbeitergeneration glaubt der englische Staat bereits damit getan zu haben, daß er effektiv seit 1833, programmatisch bereits seit 1802, sukzessive die Kinderarbeit verbietet sowie die Frauenarbeit - also Mütterarbeit - verkürzt (1844 auf maximal 12 Stunden) und etwa im Bergbau ganz untersagt. Diese Gesetze bewirken zwar eine enorme Reduzierung der Kinderarbeit, mögen auch die nun nicht mehr »halbnackt« im Bergwerk tätigen Mütter in der gewünschten Sexualmorall bestärkt haben, lösen das Verwahrlosungsproblem aber gerade nicht.“ (Ebd., S. 137).

„Die Ursache des qualitativen Problems der Menschenproduktion liegt nämlich nicht nur in der Fabrikarbeit als solcher, sondern in der perspektivlosen Existenz des Lohnarbeiters, der seine Kinder für keine konkrete Lebensaussicht zu erziehen imstande und willens ist. So gelten im Jahre 1851 von den 4908696 Kindern Englands zwischen 3 und 15 Jahren 3015405 als mehr oder weniger streunend. Noch 15 Jahre später, also 1866, befinden sich in Manchester 54 Prozent der Kinder weder in der Schule (immerhin 40 Prozent besuchen bereits eine solche), noch an einem Arbeitsplatz (an dem sich nunmehr nur noch 6 Prozent der Kinder finden), sondern halten sich auf den Straßen oder in den ärmlichen Wohnungen der außerhäusigen Eltern auf. Die Verwahrung dieser Kinder, die sich keineswegs im Sinne der erforderlichen Fortpflanzungsmoral zu entwickeln und die obendrein als Analphabeten den Anforderungen der Maschinenbedienung nicht zu genügen drohen, werden zum Anlaß des ersten verwirklichten allgemeinen Pflichtschulsystems der Weltgeschichte (nein, denn die Schulpflicht wurde in Deutschland schon in den ersten Jahrzehnten des 17 . Jahrhunderts eingeführt [z.B. in Sachsen-Weimar 1619]! Anm. HB): der »infant school«. Die Neuzeit schafft sich hier das zweite Bein ihres »Wunders«, das darin besteht, eine mehrheitlich aus Besitzlosen zusammengesetzte Gesellschaft zu sein und sich dennoch fortzupflanzen. Nach der Erzwingung der Fortpflanzung erzwingt sie nun auch die Erziehung der Lohnarbeiterkinder in öffentlichen Institutionen. Im Jahre 1870 wird in England für Kinder zwischen 5 und 13 Jahren eine Pflichtelementarschule gesetzlich eingeführt. Im Jahre 1876 erlegt ein weiteres Gesetz den Eltern die Verantwortung für den tatsächlichen Schulbesuch ihrer Kinder auf. Seit 1880 wird schließlich die Anwesenheit der Kinder in der Schule - mit bis 1918 geltenden Ausnahmen nur noch für die über Zehnjährigen - praktisch erzwungen. Die Funktion der Schule besteht - neben der schlichten Aufbewahrung - in der Indoktrinierung der Kinder mit der christlichen Moral sowie in ihrer Einübung in Grundkenntnisse des Rechnens, Schreibens und Lesens. Bereits im Armengesetzgebungs-Bericht von 1834 haben die Ratgeber des englischen Parlaments vorausgesehen, daß der Staat Erzieher werden muß. In der alten Armengesetzgebung von 1601, die, wie gezeigt, unmittelbar nach und als Folge der Beseitigung von Leibeigenschaft entstand, war bereits die Rede davon, daß es Eltern gibt, die nicht »fähig sind, ihre Kinder ordentlich aufzuziehen und zu ernähren«. (D. V. Glass, a.a.O.). Das Gesetz steckte sich deshalb das Ziel, die Eltern materiell zu befähigen, ihre Kinder »anständig« aufzuziehen. Sie empfingen Gegenstände des täglichen Lebens- und Arbeitsbedarfs, und es wurde damit gerechnet, daß sie unter dem Konformitätsdruck der meist ländlichen Umgebung ein dem bäuerlichen vergleichbares Arbeits- und Familienleben führen würden.“ (Ebd., S. 137-138).

„Das neue Armengesetz von 1834, das bis 1929 in Kraft bleibt, bricht mit dieser Konzeption völlig, vertraut nicht mehr auf traditionelle Tugenden der Eltern als Erzieher, zwingt diese vielmehr nach Geschlechtern getrennt in Arbeitshäuser und ist sich »vollkommen bewußt, daß es für die allgemeine Verbreitung guter Prinzipien und Verhaltensweisen, welche heute benötigt werden, nicht sinnvoll ist, ökonomische Unterstützungen zu geben, sondern sich auf die moralische und religiöse Erziehung zu konzentrieren ..., welche umsichtig vom Staat geleistet werden soll. Obwohl dieses Thema nicht zur Aufgabe unserer Kommission gehört ..., meinen wir, daß nach der allgemeinen Verbesserung durch eine effektivere Durchführung der Armengesetze, die wichtigste Aufgabe des Gesetzgebers darin besteht, Maßnahmen für die religiöse und moralische Erziehung der arbeitenden Klassen zu treffen.« (N. W. Senior, a.a.O.). Dennoch erweist sich gerade die Schutzgesetzgebung für die Kinder als entscheidender Faktor bei der Durchbrechung der Ignoranz in sexuellen und Verhütungs-Angelegenheiten, bei der Durchbrechung der christlichen Familienmoral. War es den Eltern noch bis 1833 möglich, die Kinder bald in die Fabriken zu schicken, sie also selbst für den Unterhalt und vielleicht sogar für denjenigen der noch nicht arbeitsfähigen Geschwister aufkommen zu lassen, so bedeutet bereits das Kinderarbeitsverbot eine schwerwiegende Einkommenseinbuße, gegen die in der Arbeiterschaft auch gekämpft wird. Diese Einbuße verschärft sich dann durch den 1876 zum Gesetz gewordenen Zwang, die Kinder für den Schulbesuch auch materiell auszustatten. 1874 wird mit dem Gesetz über die staatliche Registrierung von Geburten- oder Sterbefällen die Pflicht auferlegt, die Geburt eines Kindes anzugeben. Erst jetzt ist die überprüfung der Eltern bei der Befolgung der für den Kinderschutz erlassenen Gesetze möglich.“ (Ebd., S. 138-139).

„Das Interesse an Informationen über die Verhütung von Nachwuchs, die ja seit 1822 in den Arbeiten von Francis Place vorliegen, wird nun mächtiger als die Furcht vor Strafen für Verbreitung oder Besitz »obszöner« Schriften, als welche Aufklärungsliteratur verfolgt wird. Die hochschnellende Kostenbelastung der Eltern im Gefolge der Kinderschutz- und Schulpflichtgesetze lassen die Suche nach Informationen über SchwangerschaftSVerhütung in den arbeitenden Klassen noch dringlicher werden. Dieses Interesse trifft auf opferbereite Intellektuelle, die solche Informationen mit allen Risiken für die eigene Existenz zu geben bereit sind. Ein Jahr nach dem Gesetz über die elterliche Verantwortlichkeit des Schulbesuchs ihrer Kinder verteilen Annie Besant und Charles Bradlaugh öffentlich eine Schrift, für deren Verkauf der Buchhändler Henry Cook aus Bristol wegen »Verbreitung obszöner Schriften« zwei Jahre Zwangsarbeit erhalten hatte. Es handelt sich um einen Nachdruck Von Charles Knowltons (1800-1850) 1832 erstmals anonym erschienenem Buch Fruits of Philosopby, das dem Historiker der Geburtenkontrollmethoden Norman E. Hirnes (1899-1949) »als die erste wirklich wichtige Untersuchung seit denjenigen von Soranos und Aetios [antikeAutoren - d. V.]« über Verhütung bezeichnet wird.“ (Ebd., S. 139-140).

„Die Freidenker Annie Besant und Charles Bradlaugh unterrichten die Polizei von ihrer Verteilungsaktion, werden verhaftet und erzwingen So einen Musterprozeß, der nach Revision vor dem höchsten Gericht Englands 1878 mit Freispruch endet. Am 18. Juli 1877 gründen die beiden - noch unter Anklage stehend - die »Malthusian League«, die in ihrem ersten Programmpunkt verkündet, für »die Abschaffung aller Strafen auf öffentliche Diskussion der Bevölkerungsfrage zu agitieren, um solche gesetzlichen Bestimmungen zu erlangen, daß es in Zukunft unmöglich sein wird, derartige öffentliche Besprechungen unter dem Begriff eines Vergehens nach dem gemeinen Recht zu verfolgen«. (R. Ledbetter, A History of the Mathusian League 1877-1927, 1932, S. XIII). Sie sprechen gegen Malthus' Empfehlung, durch sexuelle Enthaltsamkeit die Kinderzahlen niedrig zu halten, da es »viele Krankheiten und viele geschlechtliche Laster (verursache); frühes Heiraten dagegen hat die Tendenz, Keuschheit, häuslichen Komfort, soziales Glück und individuelle Gesundheit zu befördern; aber es bedeutet schwere soziale Verfehlung von Männern und Frauen, wenn sie mehr Kinder in die Welt setzen, als sie angemessen unterbringen, ernähren, kleiden und erziehen können«. Daraus wird ersichtlich, daß die Neomalthusianer nicht der Familienlosigkeit, sondern dem Familienglück zuarbeiten. Die Familienhaftigkeit des Menschen steht für sie außer Frage. Ihre Leidenschaft rührt aus dem Glauben, daß sie gewissermaßen die ersten Menschen seien, die über Geburtenkontrolle nachdenken, und damit ebenfalls die ersten, die den Geheimschlüssel zu einem wirklich glücklichen Familienleben in Händen halten. Die Neomalthusianer - als Verhütungsaufklärer verfolgt - liefern somit einen der stärksten Beweise für den ungeheuren Erfolg der Auslöschung des Verhütungswissens im Zuge der Hexenverfolgungen. Diese feiert ihren Triumph darin, daß die Ideologie von der Natürlichkeit des Familienlebens von denjenigen am leidenschaftlichsten verfochten wird, die es mit jenen Mitteln vollkommen machen wollen, deren frühere Zerstörung den Glauben an diese Natürlichkeit erst begründet hat.“ (Ebd., S. 140-141).

„1910 versammeln sich 18 europäische Sektionen der neomalthusianischen Bewegung in Den Haag. In fast allen Ländern Europas gehen malthusianische Intellektuelle in die Gefängnisse und erzwingen Musterprozesse. Sie sind indes erst in den 1960er Jahren unseres Jahrhunderts in der Weise erfolgreich, daß nun zwar Verhütung weitgehend betrieben wird, aber der Traum vom glücklichen Familienleben der Verhütenden zerstoben ist und ihren Denkfehler praktisch offenbart.“ (Ebd., S. 141).

„Im Jahre 1927 tritt die Liga zum letzten Mal zusammen und erklärt ihren Zweck für erfüllt. Im selben Jahre organisiert Margaret Sanger die erste Weltbevölkerungskonferenz in Genf. Sie versucht, die Geburtenkontrolle zu einer Angelegenheit des Völkerbundes zu machen, und erreicht dabei einen entscheidenden öffentlichen Durchbruch. Damit hat ein neues Zeitalter der weltweiten Familienplanung begonnen. Alle Befürworter der Verbreitung von Verhütungswissen predigen zugleich weiterhin die christliche Familie in religiöser oder säkularisierter Ausgestaltung. Die Familienhaftigkeit aller Menschen und damit auch des freien Lohnarbeiters wird nach wie vor als »conditio humana« unterstellt und - meist - auch geglaubt. So versammeln sich denn im Jahre 1965 beinahe alle Staaten der Erde zu einer Konferenz »on Family Planning Programs«. Damit ist die christliche Moral zur Weltmoral erhoben. Der europäischen Zivilisation ist es gelungen, alle Erdteile der industriellen Warenproduktion zu öffnen und zugleich das Gebot zur Familiengründung zu verallgemeinern, ohne das Lohnarbeitergesellschaften nicht überdauern können. Die Weltbevölkerungskqnferenz von Bukarest im August 1974 verkündet dann den endgültigen Sieg der Familienplanungsidee: »Im vorliegenden Aktionsplan wird die Notwendigkeit anerkannt, allen (Ehe-)Paaren die erwünschte Kinderzahl mit dem erwünschten zeitlichen Abstand zwischen den Geburten zu effilöglichen und die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf dieses Ziel auszurichten.« (Punkt 28 des World Population Plan of Action) Der Neomalthusianismus, die Familienplanung, ist damit Welt-Bevölkerungspolitik geworden. Seine bürgerlichen und marxistischen Gegner haben sich ihm angeschlossen. Allenfalls bei der Bestimmung wirklich »maßgerechter Familien«, um die »Weltbevölkerungs-Bombe« zu entschärfen, scheint es noch Probleme zu geben. Doch die Zahlen deuten den Erfolg schon an. Die Lohnarbeiterfamilie scheint weltweit durchgesetzt zu sein.“ (Ebd., S. 141-142).

2) Warum in Frankreich früher als im übrigen Europa die Geburtenraten zurückgehen

„Das reale Fortpflanzungsverhalten der Lohnarbeiter hat jedoch bereits im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts den Glauben an die Naturhaftigkeit der Familie zu unterminieren begonnen. Der ab 1878 in England - und dann auch in den anderen europäischen Ländern - einsetzende Geburtenrückgang erscheint zwar vorerst als bloße Verringerung der Kinderzahlen. Von Anfang an aber gibt es die gewollte Kinderlosigkeit, die Verwendung der Verhütungsmittel in jener staatlich so gefürchteten Perspektive der Neuzeit. Mit der Familienlosigkeit nähert sich der moderne Lohnarbeiter seinem ökonomischen Interesse an.“ (Ebd., S. 142).

„Der Prozeß des Geburtenrückgangs entwickelt sich in Europa nicht überall gleichzeitig. Im vorwiegend kleinbäuerlich bewirtschafteten Frankreich, dessen Produzenten Familie brauchen und zugleich für ihren Zweck klein halten müssen, um sich nicht durch Besitzteilungen zu ruinieren, beginnt er früher. Diese vieldiskutierte Ausnahme bedeutet aber nicht, daß in Frankreich Kinderlosigkeit auftritt, bevor dies in anderen Ländern der Fall ist, sondern daß ab etwa 1740 im Pariser Becken und ab etwa 1810 im gesamten Land die Kinderzahlen pro Ehe zurückgehen, d.h. mehr als ein halbes Jahrhundert vor dem übrigen Europa.“ (Ebd., S. 143).

3) Wie die historischen Demographen den Geburtenrückgang erklären

„Die historischen Demographen bieten als Erklärung des Geburtenrückgangs in Gesamteuropa wiederum ein Faktorenbündel an:
»Fallende Sterberaten bei Kindern und Neugeborenen, die Bereitschaft des Staates, in der Altersversorgung Verantwortung zu übernehmen, die Einführung verbesserter Geburtenkontrollmethoden, die Emanzipation der Frau und vor allem der ›neue‹ starke Wunsch, materiell und sozial voranzukommen, bewirken zusammen den Fall der Geburtenraten.« (N. Tranter, a.a.O.).
Dabei fällt auf, daß die gleiche Industrialisierung dazu herhalten muß, zuerst die »Bevölkerungsexplosion« und dann einige Jahrzehnte später, den Geburtenrückgang zu begründen:
»Die frühen und späten Stufen der Industrialisierung haben ganz unterschiedliche Auswirkungen auf das Bevölkerungswachstum. Der Beginn der Industrialisierung stimuliert das Bevölkerungswachstum durch die wachsende Nachfrage nach Arbeitskräften und auch durch die Unterminierung der alten sexuellen Zurückhaltung. Aber, sowie der Anstieg des Gesamteinkommens nicht völlig von der wachsenden Bevölkerung aufgesogen wird und sowie die Investitionseinflüsse stark genug sind, das Pro-Kopf-Einkommen garantiert zu erhöhen, hat die Industrialisierung einen umgekehrten Effekt. Nunmehr führt eine wachsende Nachfrage nach Arbeitskräften nicht mehr zu einem Geburtenanstieg, sondern zu einer Kornforterhöhung.« (J. Hababukk, a.a.O.).
Abermals wird der allemal schon vorausgesetzte »natürliche Wunsch nach Ehe und Kindern« (Tranter) unter verschiedenen historischen Bedingungen betrachtet und gerade nicht gefragt, was aus den historischen Veränderungen über das Fortpflanzungsverhalten selbst gelernt werden kann. Infolgedessen mißlingt den Demographen mit der Erklärung des Geburtenrückgangs auch die Erklärung der einzelnen Faktoren in ihrem Bündel.“ (Ebd., S. 145).

„So tritt z. B. die Frauenemanzipation als rätselhafte Neuerung in die Geschichte ein, wenn sie als ein »Faktor« des Geburtenrückgangs und nicht etwa als ein Phänomen bedacht wird, das - wie der Geburtenrückgang selbst - der Ergründung erst noch bedarf. Woher kommt nun die Frauenemanzipation? Da der Lohnarbeiter keine Söhne benötigt, die ein Erbe mit dem Ziel übernehmen sollen, ihn bei Arbeitsunfähigkeit und Alter zu versorgen, benötigt er an einer Frau auch nicht deren Fähigkeit, Erben zu gebären und aufzuziehen. Der Unterhalt einer Ehefrau wird ebenso wie derjenige von Kindern nach dem staatlichen Verbot ihrer frühzeitigen Ausbeutung ökonomisch ein Minusposten. Allmählich beginnen deshalb männliche Lohnarbeiter auf die Eheschließung zu verzichten, was schwierig bleibt, solange nichtehelicher Geschlechtsverkehr als Vergehen geahndet wird. Ein anderer Weg, Unterhaltskosten zu vermeiden, führt zu einer Sexualpartnerin, mit der zwar die staatliche geforderte Eheform eingegangen wird, die wirtschaftlich aber keine Belastung darstellt, weil sie selbst einer Erwerbstätigkeit nachgeht. In demselben Prozentsatz also, in dem Männer diesen Schritt zur Ehelosigkeit bzw. zur Bindung an eine verdienende Frau tun, verlieren Frauen die Chance, von einem Mann unterhalten zu werden. Wollen sie trotzdem überleben, dann müssen sie selber berufstätig werden, also ihrerseits in die Konkurrenz um die Erwerbsquellen eintreten. Dazu benötigen sie alle diejenigen formalen Rechte - freie Arbeitsplatzwahl, Vertragsmündigkeit, freie Wohnsitzgründung u.s.w. -, die vorher nur ihre Väter oder Ehegatten für sie ausüben konnten. Aus der Not entsteht der Kampf der Frauen um gleiche Rechte. An diesem Kampf sind schließlich auch diejenigen unter ihnen interessiert, die von einem Ehemann aus Privatvergnügen noch unterhalten werden, da sie dieser Versorgung nicht von vornherein sicher sein können. Bevor sie also einen Mann finden, der bereit ist, für sie zu sorgen, müssen sie meist ebenfalls erst einmal auf den Arbeitsmarkt und in die Erwerbstätigkeit, wofür sie auch die entsprechenden formalen Rechte benötigen. Wollen daher die Frauen, die keinen zahlenden Mann finden, nicht nur überleben, sondern ebensogut leben wie beispielsweise Männer in höheren Positionen, dann müssen sie eine ebensogute Ausbildung erhalten wie diese, damit sie um die gutbezahlten Arbeitsplätze erfolgreich konkurrieren können. Aus diesem »Muß, entsteht der Kampf der Frauen um faktische Gleichheit mit den Männern. Zur faktischen Gleichheit gehört, daß sie nicht etwa durch Kinder gegenüber den Männern im Konkurrenzkampf um die attraktiven Arbeitsplätze benachteiligt sind. Über diese Vermittlung hängen Frauenemanzipation und Geburtenrückgang tatsächlich zusammen, der letztere ist jedoch nicht Ursache der ersteren, sondern beide sind Folgen der Annäherung des Lohnarbeiters, dessen Geschlechtsunabhängigkeit hier deutlich wird, an sein ökonomisches Interesse.“ (Ebd., S. 146-147).

„In den USA beispielsweise steigt der Prozentsatz der erwerbstätigen Frauen zwischen 1860 und 1870 - also kurz vor dem Beginn des Geburtenrückganges - um fast 50 Prozent von 10,2 auf 14,8 Prozent der Gesamtzahl aller Erwerbstätigen. Das entspricht einem Anstieg des Anteils der erwerbstätigen Frauen an der Gesamtheit der Frauen von 9,7 auf 13,7 Prozent. Die überwiegende Mehrheit der Frauen kann also noch auf einen männlichen Versorger rechnen. Im Jahre 1970 jedoch liegen die entsprechenden Quoten der selbstverdienenden Frauen bereits bei 42,8 Prozent aller Frauen und bei 42,6 Prozent der Erwerbstätigen. Beide Geschlechter nähern sich also mit nur noch geringem Rückstand der Frau der ökonomischen Bestimmung des Lohnarbeiters, einzig sich selbst erhalten zu müssen.“ (Ebd., S. 147).

„Der Geburtenrückgang und die ersten Schritte zur Kinderlosigkeit sind Merkmale einer Epoche, in der Europa nicht mehr von Menschen entleert ist, wie im 14., 15. und 16. Jahrhundert, sondern permanent Überschußbevölkerung erzeugt, die auf die Auswanderung verwiesen ist. Die Richter, welche Annie Besant und Charles Bradlaugh freisprechen, sehen keinem realen Bevölkerungsschwund entgegen, und sie mögen die Gewißheit der neomalthusianischen »Täter« vom natürlichen Heirats- und Kindswunsch des Menschen teilen. Tatsächlich kommt es 94 Jahre nach dem Urteil von 1877 in europäischen Ländern - vor allem den deutschsprachigen -zu einer absoluten Abnahme der Gesamtbevölkerung.“ (Ebd., S. 147).

„Im Faktorenbündel für die Erklärung des Geburtenrückgangs finden wir neben der Frauenemanzipation und der sinkenden . Säuglingssterblichkeit auch die staatliche soziale Absicherung gegen Krankheit, Invalidität, Alter, Arbeitslosigkeit und Verlust des Ernährers (Witwen und Waisen). Das erste Sozialversicherungssystem wird ab 1883 im Deutschen Reich geschaffen. England übernimmt seine wesentlichen Bestandteile 1911 ....“ (Ebd., S. 147-148).

4) Wie sich der „natürliche Kinderwunsch“ zu verflüchtigen beginnt

„Forschungen zeigen, »daß unverheiratete junge Frauen mit Hochschulausbildung und guten Gehältern die am wenigsten depressive Gruppe« der ... us-amerikanischen Bevölkerung ausmachen. Umgekehrt gehören »verheiratete Frauen mit kleinen Kindern zu den depressivsten Menschen überhaupt« (Angus Campbell, a.a.O.). (Wer soll das denn glauben? Anm. HB).“ (Ebd., S. 159).

„»Den höchsten Grad ausgedrückter Befriedigung finden wir in Familien ohne Kinder im Hause.« (Angus Campbell, a.a.O.). (Wer soll das denn glauben? Anm. HB).“ (Ebd., S. 160).

5) Wie durch vielfältige „Bevölkerungspolitiken“ die Menschenproduktion in Gang gehalten werden soll

5a)   Warum Marxisten mit Christen und Staat eine „unheilige Allianz“ eingehen (S. 165-171)
5b)   Warum die staatliche Abtreibungsbestrafung nur zögernd liberalisiert wird (171-181)
5c)   Wie der Staat über finanzielle Anreize die Menschenproduktion auch jenseits der Familie in Gang zu halten versucht (181-184)

„Wir haben gezeigt ... Die Entschlossnheit, ... einen neuerlichen Menschenmangel, wie das Rom der Spätnatike erlebt hat, zu verhindern, d.h. einer von der failialen Einzelwirtschaft losgelösten Ökonomie die erforderlichen Arbeitskräfte dauerhaft zu sichern.“ (Ebd., S. 162).

5a) Warum Marxisten mit Christen und Staat eine „unheilige Allianz“ eingehen

„Überall in Europa verringern sich die Geburtenzahlen pro Frau. Diese gebrauchen zunehmend Verhütüngsmittel. Die Verhütungsmittel werden deshalb zum zentralen Angriffsobjekt der Regierungen und ihres staats-»polizeylichen« Apparates. Das Kindestötungsverbot selbst, das ab 318 unserer Zeitrechnung unter Konstantin zum Gesetz aller abendländischen Territorien (Konstantins Reich gehört nicht zum Abendland! Anm. HB) zu werden begann, wird dabei von niemandem öffentlich in Frage gestellt. Die Erlaubnis zur Abtötung der Leibesfrucht wird ebenfalls kaum gefordert. Die Information über Verhütungsmittel aber stößt auf nicht weniger Abscheu und Feindschaft als später die Abtreibung. In England bekämpfen nicht nur Staat und Kirche die Intellektuellen, die den Arbeitern die gesuchten Informationen vermitteln, sondern auch die in der »Socialist League« zusammengeschlossenen Marxisten wie Edward Aveling und die Marx-Tochter Eleanor. Lediglich die »Fabians« - insbesondere Sidney und Beatrice Webb sowie Bernhard Shaw (die »Fabianische Gesellschaft« wurde benannt nach Quintus Fabius Maximus Verrucossus, auch genannt Cunctator [»Zauderer«]; Anm. HB) - machen sich zu Fürsprechern der Verhütungsaufklärung. Auf dem Kontinent spricht Wilhelm Liebknecht, der Führer der deutschen Sozialdemokratie, der bestorganisierten und größten marxistischen Bewegung der Erde, 1876 empärt von »schmutzigen Praktiken«, mit welchien die büregrlichen Ökonomen die Arbeiter gegen ihre besseren Interessen aufwieglelten. (Vgl. Wilhelm Liebknecht, Zur Grund- und Bodenfrage, 1876, S. 121) Seit 900 führt das Deutsche Reich den kampf gegen die modernen Verhütungsmittel, in dem bestraft wird, wer »Gegenstände, die zu unzüchtigem Gebrauch bestimmt sind, an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind, ausstellt oder solche Gegenstände dem Publikum ankündigt oder anpreist«. (Vgl. § 184 Abs 1 Satz 3 StGb in der Fassung vom 23.05.1900). Höchstrichterliche Entscheidungen von 1901, 1903 und 1904 weisen sämtliche neomalthusianischen Vorstöße, die Verhütungsmittel von den »unzüchtigen Gegenständen« auszunehmen, zurück. (Vgl. RGST 34, 365 [1901]; 36, 312 [1903]; 37, 142 [1904]).“ (Ebd., S. 165).

„Wir sehen, daß die Theoretiker der sozialistischen Planwirtschaft die zunächst blutig durchgesetzte und dann gewaltsam erhaltene christliche Familie so nötig brauchen wie ein Verdurstender das Wasser. Sie müssen für ihr überleben in der Arbeiterschaft noch unerbittlicher kämpfen als die Verteidiger der kapitalistischen Okonomie, da sie für ihre Bewegung ausschließlich auf Lohnarbeiter setzen können, während der politische Gegner immerhin die Eigentümer auf seiner Seite hat, welche auch ohne gewaltsame Nachhilfe aus Vererbungs- und Selbsterhaltungsinteresse Familien gründen. Und sie scheitern schließlich wie diese an der herkulischen Aufgabe, durch Gewalt und moralische Appelle - für die klassenlose Gesellschaft dort und das paradiesische Himmelreich hier - einen Interessenzusammenhang zwischen den Lohnarbeitergenerationen herzustellen, also einen bewußten Fortpflanzungswillen zu kreieren.“ (Ebd., S. 170).

5b) Warum die staatliche Abtreibungsbestrafung nur zögernd liberalisiert wird

„Eine sozialistische Gesellschaftsformation, die von neuem ein Band existentiellen Zusammenhangs zwischen den Generationen knüpft, ohne auf die Einzelbauernwirtschaft zurückzufallen, erscheint als denkunmöglich, so daß die gewaltsame Menschenproduktion der Neuzeit weitergeht.“ (Ebd., S. 178-179).

5c) Wie der Staat über finanzielle Anreize die Menschenproduktion auch jenseits der Familie in Gang zu halten versucht

„Weder der »Wille des Herrn« noch die »Stimme der Natur« vermögen in den entwickelten Gesellschaften mit Lohnarbeit langfristig den Arbeitskräftezufluß zu gewährleisten. Materielle Entschädigungen, ... Kindergeld, Erziehungslohn, Steuererleichterung bzw. Steuererschwerung für Kinderlose, Sozialhilfe, Ehestandsdarlehen, Krankengeld u.s.w.. .... Meßbarer Erfolg ... scheint diesen Maßnahmen nur dann beschieden zu sein, wenn das Kinderhaben in gleicher Höhe wie eine volle Erwerbstätigkeit bei gleichzeitiger Freistellung von ihr entlohnt wird.“ (Ebd., S. 181).

„Am langfristigen Geburtenverhalten ... wird deutlich, daß nicht die Einkommenshöhe, sondern die Einkommenquelle über die Familienhaftigkeit entscheidet ....“ (Ebd., S. 182).

G) Wie der Glaube an den natürlichen Heirats- und Fortpflanzungswunsch zur Fallgrube der Analysen wird oder: Das familistische Scheitern der Wissenschaft vom Geburtenrückgang

1)  Wie erste Zweifel an einem Fortpflanzungstrieb des Menschen in die ökonomische Analyse eingehen
      (Karl Kautsky, 1880, 1910; Paul Mombert, 1907; Ludwig Josef Brentano, 1909)
(S. 186-194)
2)  Wie durch die Unterscheidung zwischen Einkommensquelle und -höhe als Faktoren der Fortpflanzung neue Einsichten gewonnen werden
      (Rudolf Goldscheid, 1911; Johannes Müller, 1924; Rudolf Heberle, 1936; Alva und Gunnar Myrdal, 1934)
(S. 194-201)
3)  Wie der natürliche Fortpflanzubgstrieb im Faschismus entmystifiziert und in der neueren Bevölkerungstheorie wieder tabuisiert wird
      (S. 201-231)
4)  Wie die alternative ökonomische Erklärung des Geburtenrückgangs darzustellen ist (S. 231-244)

„Zum dritten Mal innerhalb des von uns analysierten Geschichtszeitraumes ergibt sich nun das Problem, Geburtenrückgang zu erklären. Die römischen Theoretiker der Kaiserzeit wußten, daß die Sklaven-Latifundien die Familienwirtschaft durch die billigere Produktion verdrängten und damit die Menschenquelle zum Versiegen brachten. Der politischen Führung gelang es nicht, den Zerfall durch gegensteuernde bevölkerungspolitische Gesetzgebung aufzuhalten. Sie bereitete jedoch (ab dem 3. Jh.) die Durchsetzung des allgemeinen Kindestötungs- und Abtreibungsverbotes im Feudalismus vor (**|**). In der langen Phase des Mittelalters reifte die aus dem Zerfall Roms hervorgegangene christliche Heiligung des kindlichen Lebens und der strrikt monogamischen Sexualität zu einem Ideal, keineswegs aber zur allgemein praktizierten Moral. Den Theoretikern des Bevölkerungsschwunds in der spätmittelalterlichen Krise wurde dieses Ideal zur Waffe: die mörderische Verfolgung von Abtreibung und Kindesaussetzung, verstärkt durch die weitgehende Zerstörung des Verhütungswissens durch das Töten von Millionen von Frauen, trieb die Menschen in einen von individuellen Interessen abgekoppelten Kinderreichtum, aus welchem die Arbeitskräfte für die moderne, nicht-familiengebundene merkantilistische und kapitalistische Wirtschaft Europas und seine weltweite Kolonisationstätigkeit rekrutiert wurden. Die Theoretiker dieser Bevölkerungsexplosion verkannten jedoch deren Ursachen, da sie selbst im Dogma der Natürlichkeit von Heirat und Fortpflanzung befangen waren, der angsterzeugende Terror, der ... Hexenjagden in ihnen fortwirkte.“ (Ebd., S. 185-186).

„Die Theoretiker des neuerlichen Geburtenrückgangs vom späten 19. Jahrhundert an bleiben ebenfalls weitgehend dem familialen Dogma treu. Einige formulieren die Ahnung, daß Lohnarbeit und Familienleben zueinander in Widerspruch stehen, ohne allerdings die - ökonomisch gesehen - prinzipielle Familienlosigkeit des freien Lohnarbeiters erkennen zu können“ (Ebd., S. 186).

1) Wie erste Zweifel an einem Fortpflanzungstrieb des Menschen in die ökonomische Analyse eingehen
           (Karl Kautsky, 1880, 1910; Paul Mombert, 1907; Ludwig Josef Brentano, 1909)

„Übernahme der seit Anfang des Jahrhunderts von den Deutschen Paul Mombert (1907) und Ludwig Josef Brentano (1909) entwickletn und in den 1970er Jahren von US-Ökonomen wieder formulierten These, daß bei steigendem Lebensstandard die materiellen Ansprüche wachsen und auf Kosten von Kindern verwirklicht werden.“ (Ebd., S. 189).

„»Mit zunehmendem Wohlstand und zunehmender Kultur wächst die Mannigfaltigkeit der Bedürfnisse der Menschen, und mit dem Auftreten anderer Bedürfnisse macht sich auch hinsichtlich der Befriedigung des Geschlechtstriebes das Gossensche Gesetz geltend, wonach der nach der größten Summe des Wohlgefühls strebende Mensch mit der Befriedigung eines Bedürfnisses da abbricht, wo ein Fortfahren in seiner Befriedigung ihm geringeren Genuß bereiten würde, als die Befriedigung eines anderen Bedürfnisses, auf das er sonst verzichten müßte. Der Mensch bricht mit der Kindererzeugung da ab, wo die Mehrung der Kinderzahl ihm geringere Befriedigung schafft, als andere Genüsse des Lebens, die ihm sonst unzugänglich würden, oder als die Befriedigung, die es ihm gewährt, daß seine Fr~u nicht dem Siechtum verfällt, daß er keine mit Krankheit belastete Kinder auf die Welt setzt oder seinen Kindern eine bessere Ausrüstung für den Kampf ums Dasein zu verschaffen vermag.« (Ludwig Josef Brentano, Die Malthussche Lehre und die Bevölkerungsbewegung der letzten Dezennien, 1909,, S. 606).“ (Ebd., S. 192).

Grenznutzen (Ludwig Josef Brentano)
Geburtenrückgang und Gossensche Gesetze gemäß Ludwig Josef Brentano (a.a.O., 1909)
„Brentano beruft sich hier auf das zweite Gossensche Gesetz, das Gesetz vom Grenznutzenausgleich, das in der damaligen Haushaltstheorie, die auf der Grenznutzenanalyse aufbaute, eine entscheidende Rolle spielte (vgl. die Graphik rechts). Vorausgesetzt ist hierbei zugleich die Gültigkeit des ersten Gossenschen Gesetzes, das Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen, d.h. in unserer Darstellung fallen bei einem bestimmten Einkommen (E0) sowohl die Grenznutzen des Bedarfs nach Kindern (GNK) als auch der damit konkurrierenden Bedürfnisse (GNB) bei wachsender Kinderzahl (XK) bzw. Menge der anderen Bedürfnisse (XB). Von beiden Bedürfnissen wird jene Quantität XK0 bzw. XB0 nachgefragt, bei der ihre jeweiligen Grenznutzen gleich sind, d.h. GNK0 = GNB0. Bei einem höheren Einkommen (E1 > E0) steigt der Grenznutzen der mit dem »Bedürfnis nach Kindern« konkurrierenden Bedürfnisse von GNB0 auf GNB1. Unter der Annahme, daß der Grenznutzen für das »Kinderbedürfnis« unverändert bleibt und keine größere Menge der konkurrierenden Bedürfnisse nachgefragt wird (XB0 = XB1), kann jetzt der höhere Grenznutzen der anderen Bedürfnisse mit demjenigen nach Kindern nur ausgeglichen werden, wenn die Zahl der Kinder sich von XK0 auf XK1 vermindert. Wir werden noch zeigen, daß diese Darstellung sich von derjenigen der us-amerikanischen Familienökonomen nur formal unterscheidet, die statt mit der Grenznutzen-Analyse mit der Indifferenzkurvenanalyse der Hicksschen Konsumenten-Theorie operieren.“ (Ebd., S. 192-194).

2) Wie durch die Unterscheidung zwischen Einkommensquelle und -höhe als Faktoren der Fortpflanzung neue Einsichten gewonnen werden
           (Rudolf Goldscheid, 1911; Johannes Müller, 1924; Rudolf Heberle, 1936; Alva und Gunnar Myrdal, 1934)

„»Die Abnahme der Zeugungslust, die Schwächung des Fortpflanzungswillens ist kein rein individualistisch zu begreifendes Phänomen, sondern eine Anpassungserscheinung, d.h. eine bis zu einem noch näher zu bestimmenden Grade notwendige Korrelation des gegenwärtigen technischen und ökonomischen Reproduktionsprozesses.« (Rudolf Goldscheid, Höherentwicklung und Menschenproduktion - Grundlegung der Sozialbiologie, 1911, S. 407).“ (Ebd., S. 195).

„»Schon rein privatwirtschaftlich betrachtet, haben die Verhältnisse das Großziehen von Kindern zu einer immer kostspieligeren Sache werden lassen. Kinder waren früher schon in verhältnismäßig jungen Jahren brauchbare Mithelfer, nicht nur in der Landwirtschaft, wo sie auch heute noch als billige Arbeitskräfte geschätzt sind, auch in dem früher noch einfacher arbeitenden städtischen Handwerk fanden sich mannigfache Arbeiten und Verrichtungen, in denen auch Kinder mit Vorteil und ohne Schädigung ihrer Gesundheit Verwendung finden konnten. Rechnet man hinzu, daß in diesen Kreisen die Kinder nach vollendeter Schulausbildung oft noch geraume Zeit im elterlichen Haushalt und Berufszweig mitzuarbeiten pflegten, so brachten sie alles in allem wohl nicht unerhebliche Einnahmen in den elterlichen Haushalt ein. Erst die Industriearbeiterschaft und der geistig arbeitende Mittelstand haben im eigenen Hause und Berufe keine nutzbringende Verwendung mehr für ihre Kinder. Für diese Schichten bedeuten sie eine reine Belastung, es sei denn, daß sie in einer ihre Gesundheit schädigenden Weise zur Arbeit herangezogen werden. Und da die sozialpolitische Gesetzgebung und alle die sonstigen, den Kinderschutz fördernden Maßnahmen diesen Ausweg immer mehr verbaut haben, so ist das Debetkonto der Kinder immer mehr angeschwollen, und zwar in einem für die Volksgesamtheit immer drückenderen Umfange, je größer der Anteil der Industriearbeiterschaft und des modernen Mittelstandes an der Gesamtbevölkerung wurde. Also schon die Tatsache der Industrialisierung eines Volkes an sich ist, wenigstens unter den wirtschaftlichen Verhältnissen des europäischen Staatenkreises, der zur Erörterung steht, wohl geeignet, in der Richtung einer verhältnismäßigen Kleinhaltung der Kinderzahl zu wirken.« (Johannes Müller, Der Geburtenrückgang, 1924, S. 59). “ (Ebd., S. 197).

„»Die Jungen sind längst nicht mehr so abhängig von den Alten, sind weniger deren Erben, schaffen sich vielmehr ihre Lebensstellung in weit größerem Umfange selbst; je weniger die Alten aber den Jungen mitgeben können, je mehr diese ihr Schicksal in ihre eigene Hand nehmen müssen, um so mehr wächst auch ihr Selbständigkeitssinn. Müssen sie sich ihren Platz im Erwerbsleben selbst erobern, haben sie hier ihren Eltern weniger zu verdanken, so haben sie auch immergeringere Neigung, ihre Eltern in deren Alter zu unterstÜtzen oder gar entferntere Verwandte bei sich aufzunehmen, was ihnen durch die sozialpolitische Gesetzgebung mit ihren Alters- und Invalidenrenten noch erleichtert worden ist.« (Johannes Müller, Der Geburtenrückgang, 1924, S. 65).“ (Ebd., S. 198).

„»Jeder Schritt aus der reinen Marktwirtschaft heraus würde ... bevölkerungspolitisch günstigere Bedingungen schaffen.« (Rudolf Heberle, Soziologische Theorie der Geburtenbeschränkung, in: Bevölkerungsfragen, Hrsg.: Hans Harmsen, 1936, S. 277).“ (Ebd., S. 199).

„»Man muß die Extrakosten des Kinderhabens verringern, um das Hindernis, welches Kinder heute im ständigen Streben der Familien nach höherem Lebensstandard darstellen, zu verkleinern. Und man muß die Behinderung der Frauen in ihrem neuen sozialen Leben durch Kinder rninimieren.« (Alva Myrdal / Gunnar Myrdal, Kris i befolkeningsfrågan, 1934, S. 138).“ (Ebd., S. 199).

4) Wie die alternative ökonomische Erklärung des Geburtenrückgangs darzustellen ist

„Die bevölkerungsökonomische Analyse der US-Theoretiker ... endet einmal mehr in theoretischer ... Finsternis.“ (Ebd., S. 234).

„Wir machen ... in unserer Analyse die Voraussetzung von in jedem Falle vorhandenen Kindern nicht. Wir gehen davon aus, daß Kinder keinen ökonomischen Nutzen haben können, d.h. daß bereits ein erstes Kind nutzlos und statt dessen Kinderlosigkelt das ökonomisch Gebotene ist.“ (Ebd., S. 234).

„In unserer Darstellung werden Kinder nicht wie ein beliebiges Konsumgut betrachtet, das einen - wie immer definierten - Nutzen abwirft. Fortpflanzung betrachten wir statt dessen vom ökonomischen Interesse potentieller Eltern her. Wir behaupten, daß es eine Indifferenzkurve, in welche Kinder eingehen, nicht gibt. Kinder können sehr wohl ökonomische Güter sein, fungieren dann aber nicht als Konsum, sondern als Investition. Wir haben also direkt die Rentabilität der Kinderproduktion darzustellen.“ (Ebd., S. 234).

„Zu bestimmen ist also der Kapitalwert von Kindern für eine bestimmte ökonomische Einheit (Familie als Produktionseinheit, Lohnarbeiter, Haushalt, Kollektivproduzenten). Der Kapitalwert (V) entspricht der Differenz zwischen der Summe der abdiskontierten Erträge (E/(1+i)n), welche die Kinder in späterer Zeit für ihre Erzeuger erbringen, z. B. Kinderlohn, Altersversicherung, Mitarbeit u.s.w., und der Summe der abdiskontierten Kosten (C/(1+r)n) für die Kinderproduktion (K). Wir können für die Zusammenhänge folgende Gleichungen aufstellen:
Formeln
G0) Erklärung der Fortpflanzung aus dem Investitionskalkül
Kinder
- wobei i = Kalkulationszinssatz, r = interner Zinssatz, (der Zinssatz, der realisiert wird, wenn E = C) und n = Anzahl der ökonomisch interessanten Lebensjahre der Kinder. Es ist also solange rentabel, Kinder zu zeugen, wie E > C ist, bzw. r > i, d.h. solange V einen positiven Wert hat. Mit wachsender Kinderzahl steigen sowohl die Kosten als auch die Erträge. Die Kinderproduktion ist so lange rentabel, wie die Erträge über den Kosten liegen, d.h. K < Km (siehe Graphik G0). Die optimale Kinderzahl ist dort erreicht, wo der Abstand zwischen Erträgen und Kosten am größten ist, d.h. bei K0. Daß die Erträge ab einer bestimmten Kinderzahl sinken, hängt mit der Annahme zusammen, daß Kinder nur dann einen ökonomischen Ertrag bringen wenn sie mit anderen Investitionsgütern kombiniert werden, die selbst nicht unbegrenzt vermehrbar sind, wie z.B. Grund und Boden des bäuerlichen Produzenten. Wir sehen also auch in dieser formalen Betrachtung, daß es notwendig ist, die besonderen ökonomischen Bedingungen darzustellen. Wir können fünf idealtypische Fälle unterscheiden.
(1)
G1) Fortpflanzung selbständiger Produzenten mit vielen Expansionsmöglichkeiten
Kinder
Für den selbständigen Produzenten, wozu traditionell die Bauern ... gehören, werden ökonomische Notwendigkeit und Expansionsgrenzen zum bestimmenden Faktor für die Kinderzahl, wo dies in Graphik G1 am Beispiel der jeweiligen Kapitalwert-, Ertrags- und Kostenfunktionen eines Kleinbauern (KB) und eines Großbauern (GB) gezeigt wird. Für einen Bauern, der expandieren kann, ist sowohl die Anzahl der rentablen Kinder als auch die optimale Kinderzahl größer als für den fest begrenzten Bauern. Damit ist sogleich gesagt, daß die Bauernstelle so klein sein kann, daß sie direkte Mitarbeiter gar nicht benötigt, sondern einzig den späteren Unterhalt gewährleistenden Erben, so daß hier die Kinderzahl durchaus unter die volle Reproduktion fallen kann, d.h. nach Geburt eines männlichen Kindes die Fortpflanzung eingestellt wird. Die überwiegend kleinbäuerlichen Existenzen in Frankreich, wo Bodenteilung nicht einmal mehr die Reproduktion der Eigentümer garantiert hätte, können als historisches Beispiel für Geburtenrückgang in einer agrarischen Gesellschaft herangezogen werden. In dem Augenblick, da die Bauern nur noch eine Minderheit der Gesamtbevölkerung bilden, die sich in die Altersversicherungssysteme der Produzentenmehrheit der Lohnabhängigen einkaufen kann, wird selbst der männliche Erbe überflüssig. Dies erklärt die willentlich kinderlosen Bauern in den hochentwickelten Ländern der Gegenwart.
(2)
G2) Fortpflanzung der Lohnarbeiter bis zum Ende der Kinderarbeit
Kinder
Für Lohnarbeiter, die es als freie Bürger massenhaft erst in der Neuzeit gibt, gilt - systematisch gesprochen ebenso wie für Sklaven oder Gesinde -, daß Ertrag aus Kindern nicht gewonnen werden kann. Lediglich in der Epoche der Kinderarbeit, die etwa ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts (in Deutschland schon eher, z.B. in Preußen ab 1839 [Preußisches Regulativ]! Anm. HB) wegen der Verwahrlosung des Nachwuchses in Europa unterbunden wird, bietet sich die Möglichkeit, durch Kinderlohn Aufzuchtskosten zu kompensieren, ohne daß Kinderhaben allerdings rentabel wird, da der Betrag der Kinder zur Alterssicherung höchst unsicher ist. Zum elterlichen Kalkül der Kostensenkung wird der Kinderlohn jedoch erst dadurch, daß mit Hilfe der ... Gewaltmaßnahmen die Lohnarbeiterfamilie in der Neuzeit staatlich geschaffen wurde. Dieses Kalkülläßt sich ... graphisch darstellen (siehe Graphik G2). Die Kinderzahl liegt also stets an der Rentabilitätsgrenze; es läßt sich keine optimale Kinderzahl bestimmen. Es wird aber auch deutlich, daß durch die bekannten Gesetze nach Abschluß der Hexenverfolgungen die hohen Kinderzahlen der Arbeiterschaft leichter abgepreßt werden konnten, solange die Kinder nach dem fünften oder sechsten Jahr erwerbstätig wurden, d.h. ihre Kosten bis dahin wieder einbrachten.
(3)
G3) Fortpflanzung der Lohnarbeiter seit dem Verbot der Kinderarbeit
Kinder
Nach dem Verbot der Kinderarbeit und der Beschränkung von Frauenarbeit ist die Fortpflanzung des Arbeiters nur noch mit Unkosten verbunden - die Alterssicherung muß kollektiv erspart werden, da sie von den eigenen Kindern nicht garantiert werden kann. Schon das erste Kind verursacht nun lediglich Unkosten. Graphisch läßt sich zeigen, daß der Kapitalwert von Kindern immer negativ ist. Zu den Kosten für die Kinder sind jetzt noch Kosten für entgangenes Einkommen hinzuzufügen, was zu einer Verschiebung der Kostenkurve nach oben (und einer zusätzlichen Verschiebung der Kapitalwertkurve nach unten) führen muß (siehe Graphik G3).
(4)In den entwickelten Gesellschaften mit fortgeschrittener Verallgemeinerung der Lohnarbeit existieren Angebote an die Frauen, welche die Mutterschaft selbst zur Einkommensquelle für sie machen sollen. Je höher dieses Unterhaltsangebot für Mutterschaft an dem für die einzelne Frau real zu erwartenden Einkommen in der Lohnarbeit liegt, desto interessanter wird es für sie, die Mutterschaft zur Einkommensquelle zu machen. Die Angebote kommen noch überwiegend von männlichen Privatpersonen, doch auch der Staat erprobt Mutterschaftsentlohnung und bietet ungefähr eine Summe um 1000 DM pro Monat für eine Frau mit einem Kind. Für die in diesem Nettoverdienstbereich rangierenden Frauen ergibt sich der Vorteil, nicht in die sexuelle Loyalität an einen einzigen Mann gebunden zu sein. Allerdings ist das Schicksal der Lohnarbeit so nur zeitlich begrenzt durchbrechbar. Für beide Unterhaltsangebote - also aus sexuell-emotionalen oder direkt bevölkerungspolitischen Motiven - gilt aber, daß die Wahrscheinlichkeit eines Kindes - Verhütungsfähigkeit unterstellt - um so größer wird, je näher das Angebot an die Summe aus Kinderkosten plus entgangenem Einkommen heranrückt. Gesamtgesellschaftlich betrachtet würden demzufolge die Geburtenzahlen in dem Maße steigen, wie das staatliche Unterhaltsangebot an die höchsten Frauenlöhne plus Kinderkosten heranreicht. Sollte wiederum tendenziell jede Frau sich voll reproduzieren, also mindestens zwei Kinder haben, so ließen sich dafür bei einem durchschnittlichen Geburtsabstand von drei bis vier Jahren etwa 10 Jahre entgangener Arbeitslohnbis zur Schulpflicht beider Kinder plus Kindeskosten von ca. 18 bis 27 Jahren kalkulieren - bis zu deren Mündigkeit bzw. Ausbildungsende -, so daß sich pro Kind etwa 140000 DM staatlicher Kostenerstattung ohne staatliche Erziehungskosten errechnete, für zwei Kinder also 280000 DM plus 10 Jahre entgangenes Einkommen von ca. 120000 DM, was staatliche Kosten von insgesamt 400000 DM pro Frau ergäben. Um die zuletzt ca. 600000 Neugeborenen wieder zu »ersetzen«, müßten für 300000 Frauen jährlich diese Beträge veranschlagt werden. Das bedeutete bei Versorgung voller 23 Jahrgänge jährliche Kosten von 120 Milliarden DM. Die Summe ist freilich noch höher anzusetzen, da das auszugleichende Fraueneinkommen hundertprozentig nur dann bevölkerungspolitisch wirksam würde, wenn nicht das weibliche Durchschnittseinkommen, sondern die oberen Einkommensgrenzen für Frauen die Bemessungsgrundlage bildeten. So gewaltig diese Summen auch anmuten mögen, bilden sie doch mehr als nur eine Gedankenspielerei. Da auch in Zukunft ein ausreichendes Angebot an Arbeitsplätzen für Frauen und Männer, das obendrein attraktiver als Kindererziehung ist, nicht erwartet werden kann, vielmehr die Rationalisierung die Arbeitslosen - etwa für die Bundsrepublik Deutschland - zu einem beträchtlichen Millionenheer anschwellen lassen wird und dieses dann zu unterhalten ist, könnte dem Staat durchaus einfallen, die Arbeitslosen in bezahlte Eltern zu verwandeln und so Geburtenrückgang und ihm nicht genehme soziale Unruhen mit derselben Waffe zu bekämpfen. Er könnte dies sogar in liberaler Manier besorgen, indem ein lebenslanger Versorgungsanspruch für Frauen angeboten wird, welchen diese gleichwohl abtreten können, um selbst statt eines Mannes in die Konkurrenz der Lohnarbeit zu treten. Es würde sich also nicht um gewöhnliche polizeystaatliche Maßnahmen zur Menschenproduktion handeln, sondern um das Kalkulieren auf das Interesse von Frauen, die nicht in die Lohnarbeit und nicht an einen männlichen Versorger gebunden sein wollen. Eine große Schwierigkeit besteht aber in dem vom Geldangebot ganz unabhängigen Problem der Zuwendung für die geborenen Kinder. Ihre existentielle Frage nach den Gründen, warum sie denn in der Welt sind, wie sie also der ihnen gegenüber jetzt schon vorherrschenden Gleichgültigkeit entkommen können, ist trotz aller staatlicher Bemühungen bisher ohne zureichende Ant wort geblieben.
(5)Die einzige uns bekannte ... Gesellschaft, die ebenfalls keine traditionelle Familienstruktur mehr aufweist, aber ihre Industrie und Landwirtschaft statt durch Lohnarbeit durch gleichberechtigte Genossen mit identischen Einkünften betreibt, ist der israelsiche Kibbutz. ....
Der Kapitalwert von Kindern im Kibbutz gleicht ... demjenigen für die traditionellen Bauern (vgl. Graphik G1) .... Allerdings ... kann auch der Kibbutz nicht als allgemeine Problemlösung für die Menschenproduktion in einer technisch hochentwickelten Gesellschaft gelten.“ (Ebd., S. 234-244).

Das „Apriori“ von Kindheit (in: Kindheit [2]; 1980) **

„Wo von Generationsbeziehungen, Kindheit oder Familie die Rede ist, sind Kinder allemal schon vorausgesetzt. .... Von Familie zu sprechen, macht erst Sinn, wenn es sich bei der benannten Formation nicht lediglich um Erwachsene handelt, sondern auch Kinder einbezogen sind.“ (Ebd., S. 301 [§ 1], 302 [§ 2]).

„Die nachgeborenen Brüder konstituieren eine potentiell niedere Klasse von Männern, um der Knechtschaft zu entgehen. Im Kolonisationsprozeß der Griechen, Phönizier und Römer werden aber zunehmend unterworfene Männer nicht mehr ausgerottet, sondern zu Sklaven gemacht, und an seinem historischen Abschluß stehen schließlich auch bankrotte freie Bauern selbst dem Rekrutierungsfeld der Sklavenmärkte zur Verfügung. Dort kaufen die Latifundienbesitzer ihre Arbeitskräfte und ruinieren aufgrund höherer Produktivität ihrer großflächigen Wirtschaft immer weitere Familienbauernwirtschaften, bis schließlich diese familienwirtschaftliche Menschenquelle, welche auch die wesentliche Sklavequelle darstellt, so weit reduziert ist, daß der Kaufsklavenkapitalismus abstirbt. (Vgl. Karl Julius Beloch, Bevölkerung der griechisch-römischen Welt, 1886; Max Weber, Die sozialen Gründe des Untergangs der antiken Kultur, 1896).“ (Ebd., S. 305 [§ 7]).

„Die Dynamik dieses Aufstiegs und Falls des römischen Reiches ist von seinen Wissenschaftlern - insbesondere Plinius dem Älteren - früh prognostiziert worden, im Endeffekt aber nicht aufzuhalten gewesen. Dennoch resultieren aus den kaiserlichen Versuchen, die familiale Vermehrung und so die alte militärisch-kolonisatorische Dynamik wieder herzustellen, gesetzgeberische Initiativen für eine politische Erzwingung von Familienleben, d.h. für eine gewaltsame Brechung des individuellen ökonomischen Interesses, das mit Hilfe von Verhütung, Abtreibung und Kindestötung zu Kinderlosigkeit führt. Den letztendlich bevölkerungspolitisch wirkungslosen Kaisern bietet sich zugleich mit den Christen eine Gruppe an ....“ (Ebd., S. 305 [§ 8]).

„Als Konstantin der Große im Jahre 315 n.Chr. für Italien eine Kindergeldregelung einführt und 318 n.Chr. die Kindstötung unter Androhung furchtbarer Strafen verbietet, ... erweist sich allerdings eine politische Erzwingung von Familie gegen die Interessen der Menschen als bereits nicht mehr erforderlich: Inzwischen - seit 197 n.Chr. - waren die verbliebenen Sklaven, um aus ihnen überhaupt noch etwas herausholen zu können, sukzessive zu unfreien Bauern - Kolonen - gemacht worden, die für ihre Herren zu arbeiten hatten, aber selbst nicht mehr in der Sklavenkaserne, sondern in eigenen Familien lebten. Der römische Kaufsklaven-Kapitalismus war um 300 n.Chr. mit den Reformen Diokletians, dem Vorgänger Konstantins, weitgehend zerstört, d.h. die freie Verkaufbarkeit von Boden und Arbeitskräften verboten. Das sog. Mittelalter oder der Feudalismus hatte seine 1000jährige europäische Geschichte begonnen. Seine Bauern mußten für die eigene Altersversicherung wieder Kinder haben.“ (Ebd., S. 306 [§ 9]).

„Wenn die Findelhäuser bis ins 16. Jahrhundert hinein selten bleiben, so liegt das daran, daß das hochentwickelte mittelalterliche Nachwuchsverhütungswissen unangetastet bleibt, d.h. in die Interessen sowohl der Herren als auch der Bauern hineinpaßt. Die Bedingungen für die Veränderungen dieses Zustandes reifen seit dem 14.Jahrhundert heran, als durch eine klimatische Abkühlung (sog. kleine Eiszeit) insbesondere im nördlichen Europa, wo bis dahin in Grönland Äpfel und in England Oliven reifen, die Erträge zu sinken beginnen und die Ablieferungspflichten der Bauern ungleich drückender gespürt werden, was sich schließlich in einer langen Phase von Kriegen gegen die Grundherren entlädt. Die seit 1348 mit der schlechten Ernährungslage sich zusätzlich über ganz Europa ausbreitende Pest dramatisiert diese sog. spätmittelalterliche Krise noch, die erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts überwunden wird. Sie bedeutet den Bruch mit einer Entwicklung, die nicht nur den Herren Reichtum brachte, sondern auch den Bauern einen Lebensstandard oberhalb des Existnzminimums sicherte. Mangelnder Ertrag für die Grundherren und die Hohen Menschenverluste, welche viele Ländereien verwaisen lassen, zwingen sie zunehmend über eneue Wege der Einkommensgewinnung nachzusinnen. Zwischen 1340 und 1450 sinkt die europäische Bevölkerung, die zwischen 800 und 1300 sehr langsam von ca. 30 auf 75 Millionen gestiegen war, immerhin auf knapp 50 Millionen Menschen ab.“ (Ebd., S. 307 [§ 10, 11]).

„Im Jahre 1484 (per Hexenbulle Sumnis desiderantes affectibus vom 05.12.1484; Anm. HB) wird durch Papst Innozenz VIII. die Verfolgung und Tötung für das gesamte katholische Europa koordiniert: »Niemand schadet dem katholischen Glauben mehr als die Hebammen!«, heißt es im Hexenhammer (vgl. Jakob Sprenger / Heinrich Institoris [Krämer], Malleus maleficarum: Der Hexenhammer, 1486), der offiziellen Begründung der katholischen Kirche für die Hexenverfolgung.“ (Ebd., S. 308 [§ 12]).

„Die 240 Mittel, die nicht allein von Hebammen zur Fortpflanzungsvermeidung verwendet werden, sondern tendenziell jede Frau verdächtig machen, werden das große Kampfziel der frühmerkantilistischen Bevölkerungspolitik in religiöser Rechtfertigung. In den Bullen der Päpste tauchen die Mittel umgehend auf, nachdem sie in der Folter preisgegeben werden, um sei dann allgemein verfolgen und auslöschen zu können. So lehrt der Römische Katechismus von 1566, die bedeutendste Autorität der katholischen Kirche jener Zeit- und auch heute noch Grundlage des katholischen verbotes von Abtreibung und Empfängnisverhütung (vgl. § 14 in der Enzyklika »Humanae Vitae« Pauls V. von 1968) -: Es ist »ein schweres Verbrechen, wenn Eheleute künstlich die Empfängnis verhüten oder abtreiben; eine solche Tat ist ebenso zu beurteilen wie gemeiner Meuchelmord.« Entsprechend dekretiert Sixtus VI. in der Bulle »Effraenatam« von 1588 die Todesstrafe nicht nur für die Abtreibung, sonderna uch für Empfängnisverhütung: »Wer würde deshalb nicht mit den strengsten Bestrafungen die Verbrechen derer verdammen, die durch Gifte, Tränke und malefica (= Hexerei) Frauen unfruchtbar machen oder durch verfluchte Medizinen verhindern, daß sie empfangen oder gebären?«“ (Ebd., S. 308 [§ 12]).

„Das Resultat der Verfolgung von Nachwuchsvermeidung - und durch diese ist Hexerei (malefica) definiert (vgl. Jakob Sprenger / Heinrich Institoris [Krämer], Malleus maleficarum: Der Hexenhammer, 1486) - ist Massenmord (Massenmord wird mit Massenmord bestraft - wie so häufig in der Geschichte; Anm. HB). Zwischen mehreren Hunderttausend und zehn Millionen schwanken die Schätzungen über die Zahl der Frauen, welche in den 3 Jahrhunderten seit der Hexenbulle (1484) von Past Innozenz VIII. - mit dem Höhepunkt zwischen 1560 und 1630 - als Hexen = Hebammen verbrannt, ertränkt, erwürgt und gehängt werden. Dabei wird das gynäkologische Wissen ... der Frauen des Mittelalters mit ihren Trägerinnen weitgehend ausgerottet. Damit ist ein Pfeiler für die Geburt der modernen Familie errichtet. Der andere baut sich aus der moralisch-religiösen Rechtfertigung einer nicht mehr persönlichen wirtschaftlichen Zwecken gehorchenden Familienbildung und Vermehrung auf: Gilt es bis dahin in der Menschheitsgeschichte meist als Verantwortungslosigkeit, Kinder in die Welt zu setzen, denen man - individuell oder kollektiv - ein Erbe und damit eine Zukunft nicht versprechen kann, so kehren die christlichen Kirchen diesen Wert jetzt um und predigen die traditionelle Verantwortungslosigkeit in der Kindererzeugung gerade als die neue Verantwortun vor Gott.“ (Ebd., S. 308-309 [§ 12]).

„Für den Protestantismus steht Martin-Luther als herausragender Repräsentant des politisch-religiösen Werkes der Neuzeit, die individuelle Rationalität aus dem Fortpflanzungsverhalten auszutreiben: »Am Ende haben wir vor uns eine große starke Einrede zu beantworten. Ja, sagen sie, es wäre gut, ehelich zu werden, wie will ich mich aber ernähren? Ich habe nicht: ›nimm ein Weib und iß davon‹ u.s.w.. Das ist freilich das größte Hindernis, das am allermeisten die Ehe hindert und zerreißt und Ursache aller Hurerei ist. Aber was soll ich dazu sagen? Es ist Unglaube und Zweifel an Gottes Güte und Wahrheit. Darum ist es auch nicht wunder, wo der ist, daß lauter Hurerei folge und alles Unglück. Es fehlt ihnen daran, sie wollen zuvor des Guten sicher sein, wo sie essen, trinken und Kleider hernehmen. Ja sie wollen den Kopf aus der Sclinge ziehen ...: ›Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen‹, faule gefräßige Schelme wollen sie sein, die nicht arbeiten müssen« (Martin Luther, Vom ehelichen Stande, 1522, a.a.O., S. 305). Im selben Text bestimmt Luther das Spezifische der christlichen Ehe - der »Schlinge« - konsequent mit dem Gebot, daß auch arme Menschen sie schließen sollen. Eine nicht verantwortungslos wirkende Formel für die Überwindung des Verantwortungsgefühls der Menschen gegenüber sich selbst und möglichem Nachwuchs hat also die protestantische Ehekonzeption der Neuzeit zu finden. Zugleich wird - da nicht verborgen bleibt, daß Geborene zahlreich verhungern - unbedingter Erwerbsfleiß gefordert und so der Lebenssinn des Arbeitens für die Kinder jenseits allen Kalküls aus Gottes Gebot heraus formuliert.“ (Ebd., S. 309 [§ 13]).

„Luthers These, das eigentlich Christliche an der Familie bestehe ab jetzt darin, daß auch der arme Mann sie schließe, wird die neue Formel, der die katholische Kirche auf dem Konzil von Trient (1545-1563) umgehend folgt. Im bereits erwähnten »Römischen Katechismus« von 1566 heißt es jetzt ganz offen, daß die Menschen sich nicht mehr -wie bisher - vermehren sollen, »um Erben für Hab und Gut zu hinterlassen, als um Kinder des wahren Glaubens und Anhänger der wahren Religion heranzuziehen«. Nach Jahrunderten des Folterns, Mordens und Predigens ist gegen 1700 eine neue Frau geschaffen, die von den Fortpflanzungsdingen wenig weiß, deren Sexualtrieb als Krankheit aufgefaßt wird und als deren wirkliche ›Natur‹: Kindesliebe und Gattentreue gelten. Formuliert das alte Testament noch als Fluch, daß Frauen gebären und ihrem Eheman treu sein müssen, so beginnt nun die Ideologie, daß es ihr angeborener Wunsch sei, viele Kinder zu haben und nur einem Mann ganz unerotisch treu angehören zu wollen. (Heute ist bereits der exakt gegenläufige Trend erkennbar, und in nicht allzu ferner Zukunft könnte es z.B. gemäß der dann von einer Frauenbeauftragten erlassenen Machobulle heißen: daß es der Wunsch der Männer sei, Feministen zu sein und nur der einen für sie zuständigen Frauenbeauftragten ganz unerotisch treu angehören zu wollen! Anm. HB.). Angesichts der Natur dieser Frauen nach ihrer historisch wohl fürchterlichsten Niederlage können dann die Männer der Aufklärung die Naturrechte auf Leben und auf Familie als Ideale vor die gesamte Menschheit stellen.“ (Ebd., S. S. 309 [§ 13]).

„Die in Europa ... ablaufende Bevölkerungsexplosion bewirkt denn auch durch die Besiedlung der Kontinente Amerika und Australien sowie durch die Unterwerfung Afikas und Asiens die Ausbreitung deer neuzeitlichen christlichen Moral zur Weltmoral: Da mit den Methoden der gewaltsamen Menschenproduktion eine Feinsteuerung der Bevölkerung nicht möglich ist, wird die Alternative zu viele Menschen verwirklicht. Die Mittel der Feinsteuerung wie Verhütung, Abtreibung und Kindestötung werden ja gerade als Ursache von zu wenig Menschen gefürchtet.“ (Ebd., S. 310 [§ 14]). **

„Mit den Arbeitsverboten (für Kinder; Anm. HB) entfallen aber die Kinderlöhne, so daß die Unterhaltskosten der Eltern umgehend hochschnellen, ohne daß ihnen doch erlaubt wird, weniger Kinder zu haben als zuvor oder gar bereits vorhandene zu beseitigen. (Hier werden die Verhältnisse aber wieder besonders negativ zugespitzt und überdramatisiert; Anm. HB). Diese Notlage setzt die Erwachsenen unter so starken wirtschaftlichen Druck, daß sie nun selbst gegen Moral und Gesetz von neuem nach Verhütungswegen suchen und dabei auch die Hilfe opferbereiter - neomalthusianischer - Intellektueller, die dafür in die Gefängnisse müssen, finden. Trotz andauernder Verfolgung von Verhütungsmittelvertrieb und Abtreibung breitet sich ab 1870 im menschenbepackten Europa, in dem nun Arbeitskräftemangel nicht absehbar ist, die Verhütungsfähigkeit gegen den Widerstand der Kirchen und der marxistischen Parteien, die um das Versiegen der riesigen Proletarierheere für die staatssozialistische Zukunft fürchten, zunehmend aus. Die Konkurrenz zwischen solchen Lohnarbeitern, die schon verhüten können und sich durch geringe Unkosten für Kinder einen Vorteil in der beruflichen Mobilität ergattern, und den Nachhinkenden treibt dazu - durch klerikale, faschistische und staatskommunistischel Gewaltanwendung immer erheblich gebremst, aber doch nicht wirklich unterbrochen - die Ökonomisierung des Lohnarbeiterprivatlebens immer weiter voran. In diesem Prozeß tritt auch der ökonomische Minusposten des Unterhalts einer Frau - noch beschleunigt durch die Entwicklung pflegeleichter und schnen arbeitender Haushaltsgeräte - zunehmend ins Kalkül der Konkurrenten. Allmählich beginnen männliche Lohnarbeiter auf die Eheschließung zu verzichten oder nach einer Partnerin zu suchen, die wirtschaftlich keine Belastung darstellt, also in der Regel selbst erwerbstätig ist. Auffällig wird diese Entwicklung zuerst bei den gut verdienenden Lohnabhängigen, weil dort das männliche Einkommen für den Unterhalt einer Familie ausreichen würde, während in der Arbeiterschaft ohnehin die Ehefrauen häufig für Lohn arbeiten mußten. In demselben Prozentsatz nun, in dem Männer diesen Schritt zur Ehelosigkeit tun bzw. die Bindung an eine verdienende Frau suchen, verlieren Frauen die Chance auf Unterhalt. Wollen sie gleichwohl überleben, dann müssen sie selber berufstätig werden, also ebenfalls in die Konkurrenz um Erwerbsquenen eintreten dürfen. Dafür benötigen sie alle diejenigen formalen Rechte - wie freie Arbeitsplatz- und Wohnsitzwahl, Vertragsmündigkeit u.s.w.. -, welche bis dahin von Vätern, Ehegatten oder Vormündern für sie ausgeübt wurden. Aus der Arbeitsnotwendigkeit entste t mithin der Kampf um die Gleichberechtigung der Frauen. Wollen nun die Frauen durch eigene Arbeit nicht nur erbärmlich überleben, sondern etwa ebensogut leben wie die besser verdienenden Lohnabhängigen, die anfangs ja vorrangig Männer sind, dann müssen sie auch eine ebensogute Ausbildung erhalten wie die qualifizierten Männer, damit sie um die gut bezahlten Arbeitsplätze überhaupt erfolgreich konkurrieren können. Aus diesem »Muß« entsteht der Kampf der Frauen um materielle Gleichheit, der bis heute im Gange ist.“ (Ebd., S. 313 [§ 19], 314 [20]).

„In seinem Verlauf zerstört die feministische Bewegung die nachhexenverfolgerische Ideologie von der naturhaft nur nach Kindern strebenden, gattenliebenden und ansonsten asexuellen Frau. Die gesellschaftlichen Verhältnisse zwingen sie, sich gewissermaßen wieder ihrer biologischen Konstitution zu nähern, um im Konkurrenzkampf nicht durch Kindererziehung behindert zu sein. Innerhalb von hundert Jahren (1870-1970) sind die Geburten pro Frau auf ein Viertel oder gar ein Fünftel gefallen. Unter dieser Größe verbirgt sich aber bereits eine sehr schnell wachsende Kinderlosigkeit, die sich in den entwickeltsten Nationen der 30%-Schwelle aller Erwachsenen annähert, sie in ihren großstädtischen Zentren schon überschritten hat und offensichtlich nicht unglücklicher macht als das Leben mit Kindern. Es mag aus Angst vor Bindungslosigkeit noch geheiratet werden, wer dabei aber kinderlos bleibt, bildet keine Familie mehr.“ (Ebd., S. 314 [§ 20]).

„Aus diesem Grunde existieren - beginnend nach dem 1. Weltkrieg - in etlichen bürgerlichen und sozialistischen Staaten Angebote an Frauen, die Mutterschaft selbst zur Einkommensquelle zu machen. Je näher solche staatlichen Unterhaltsangebote für Vermehrung an dem für die einzelne Frau real zu erwartenden Einkommen durch Lohnarbeit liegen, desto interessanter wird es für sie, diese Einkommensquelle zur »Mutter« ihres Kindes zu machen. Erprobt wird Mutterschaftsentlohnung bereits in einer Höhe um 1000 DM pro Monat in der Bundesrepublik für eine Frau mit einem Kind (vgl. Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, 1977, S. 104). Für die in diesem Nettoverdienstbereich rangierenden Frauen ergibt sich der Vorteil, nicht mehr zur sexuellen Loyalität gegenüber einem einzigen männlichen Versorger genötigt zu sein. Allerdings ist das Schicksal der Lohnarbeit auf diesem Wege nur zeitlich begrenzt durchbrechbar. Für beide vorhandenen Unterhaltsangebote - also aus sexuell-emotionalen Hoffnungen von Männern oder direkt bevölkerungspolitischen staatlichen Motiven - gilt aber, daß die Wahrscheinlichkeit eines Kindes um so größer wird, je näher das Angebot an die Summe aus Kinderkosten plus entgangenem Einkommen heranrückt. Gesamtgesellschaftlich betrachtet werden demzufolge die Geburtenzahlen in dem Maße steigen, wie das staatliche Unterhaltsangebot an die höchsten Frauenlöhne plus Kindernderkosten heranreicht.“ (Ebd., S. 314 [§ 22]).

„Es ist aber nicht wahrscheinlich, daß dieser Schritt in naher Zukunft gegangen wird. Geburtenrückgang ist für den Staat, dessen Aufgabe darin besteht, die Wirtschaft konkurrenzfähig zu halten, an sich keine Kategorie. In seiner Perspektive gibt es nur einen Arbeitskräftemangel. Auch ein noch so süßes Baby dient - vom Staat her gesehen - lediglich seiner Aufgabe, billige, loyale und qualifizierte Arbeitskräfte für eine nicht familienwirtschaftlich organisierte Ökonomie bereitzustellen.“ (Ebd., S. S. 314 [§ 22]).

„»Gegen den alternden Kapitalismus in der Ersten Welt erhebt sich nicht - wie man noch vor 20 Jahren (1960) glauben mochte - eine sozialistische Welt, sondern ein neuer, expansiver und aggressiver Kapitalismus, der mit Hilfe leicht verfügbarer Rohstoffe und Löhnen, die 50% oder sogar 80% (mehr, nämlich: 95% oder sogar 98%! Anm. HB) unter den hiesigen liegen, und einer modernen, schnell beschafften Technologie Märkte erobert.« (B. Gustafson, Imperialismen - Tredje Världen och historiens list, in: Ekonomik Debatt, Heft 5, 1978, S. 340).“ (Ebd., S. 315 [§ 25]).

Kommentar zur Periodisierung der Kindheitsgeschichte durch Lloyd deMause: „Hört ihr die Kinder weinen?“, 1974 (in: Kindheit [3]; 1981) **

„Hielte man also den Vergleich von Vergleichbarem durch, so gewönne man keine aufsteigende Linie à la deMause, sondern eine allmähliche Wiederannäherung an die anständige Behandlung von gewünschten und mit einer Zukunftsperspektive versehenen Kinder, also eine Kreisbewegung.“ (Ebd., S. 342).

„Logischerweise ergibt sich diese (Kreisbewegung! Anm. HB) auch, wenn man ausschließlich Geburtenkontrolle mit Geburtenkontrolle vergleicht: Aussetzung und Abtreibung der Antike erscheinen wieder in der gegenwärtigen Abtreibungsliberalisierung, die denn die Kirche ja auch als Neubeginn einer Ära des Kindemordes kennzeichnet.“ (Ebd., S. 342).

„Wollte deMause dem entgegenhalten, sein Terminus »Kindesmord« sei kein kirchlicher, so könnte ihm doch jeder Kirchenhistoriker schnell erklären, daß die Kirche es eben als eine ihrer größten - und blutigsten - Errungenschaften betrachtet, die Geburtenkontrolle als Kindesmord, der ausdrücklich Abtreibung und Verhütug einschließt, perhorresziert zu haben.“  (Ebd., S. 342).

Söhne und Weltmacht. Terror im Aufstieg und Fall der Nationen (2003) **

 –  Zum Thema (S. 9-11)
 –  Danksagung (S. 12)
 1) Aktueller Weltfeind: die überzähligen Söhne aus dem Youth Bulge (S. 13-36)
 2) Wo leben die jungen Männer?  (S. 37-71)
 3) Die demographische Herkunft der Konquistadoren und das „Wunder“ der europäischen Welteroberung (S. 72-86)
 4) Weltmächte von gestern und morgen: mehr Söhne und striktere Eigentumsstrukturen (S. 87-112)
 5) Youth Bulges im transnationalen Terror (S. 113-140)
 6) Hereingelassene und Herausgehaltene (S. 141-161)
 –  Literatur (S. 163-184)
 –  Register (S. 185-189)

1) Aktueller Weltfeind: die überzähligen Söhne aus dem Youth Bulge

„Nicht alle, ja nicht einmal die größten Megatötungen sind Youth Bulges anzulasten. Die 30-60 Millionen Menschen etwa, die in der Sowjetunion seit 1922 im Gulag der Vernichtung durch Arbeit zugeführt werden (vgl. R. J. Rummel, a.a.O; vgl. Courtois, a.a.O.), sollen große Produktionswunder ... erbringen.“ (Ebd., S. 22).

Islamische Länder tragen das Siegesbanner der Fortpflanzung.“ (Ebd., S. 24).

Youth bulges sind keine alles erklärenden Faktoren, aber Theorien weltgeschichtlicher Großereignisse, die sie schlichtweg ignorieren, greifen zu kurz. Auch weil der Faktor Sohnesüberschuß so beschämend simpel ausschaut und wenig hergibt für theoretische Finessen, läßt man ihn leichthin unausgelotet oder gleich ganz beiseite. Selbst wo er einem irgendwie einleuchtet, behält er etwas Repetitives und Unoriginelles. Dagegen ist nur einzuwenden, daß bei allen Ansprüchen auf Eleganz eines Arguments auf seine Relevanz gleichwohl nicht verzichtet werden kann.“ (Ebd., S. 24).

„Der Vorwurf des eindimensional-biologistischen Arguments wird ebenfalls gerne gegen die Sicht der überschüssigen Söhne vorgebracht. Das hat auch seine Berechtigung, wenn die kritisierten Autoren nicht angeben können, warum die Zahl der jungen Männer plötzlich ansteigt und in ihrer Hilflosigkeit dann in der Tat auf Kräfte der Natur verfallen. So hat man die Megatötungsfeldzüge von Napoleon bis einschließlich des Ersten Weltkrieges als Mittel zur Vernichtung der ganz unstrittig gerade in dieser Zeit besonders überzähligen jungen Europäer gedeutet: »Die demographische Inflation zieht den Völkermord nach sich« (G. Bouthoul, Nachgeholte Kindestötung, 1970, S. 199). Dabei konnte die Herkunft dieser Inflation jedoch nicht erklärt werden. Gleichwohl weist Bouthouls »Nachgeholte Kindestötung« in die Richtung einer verbotenen Geburtenkontrolle. Es falle - so Bouthoul - den Regierungen leichter, die Überzähligen in Kriegen zu verbrauchen, als Verhütung und Abtreibung so weit zu legalisieren, daß womöglich nicht einmal mehr die bevölkerungspolitischen Minima - geschweige denn Überschüsse - erreicht werden können. Im III. Kapitel ist zu zeigen, daß es für die Youth Bulge-Erzeugungen der europäischen Neuzeit (ab 1485) selbstredend ohne Biologie nicht geht, ihre welthistorische Extremaktivierung jedoch ganz handfester Politik anzulasten ist. Die demographische Analyse interessiert sich also für die moralischen Verpflichtungen, gesetzlichen Beschränkungen und gewalttätigen Verfahren, mit denen eine Gesellschaft ihren Nachwuchs hervorbringt. Darüber bekommt man mit einem bloßen Blick auf die Menge der Körper bzw. die Biomasse eines Volkes nichts heraus.“ (Ebd., S. 24).

„Wo nun zwei oder mehr Söhne in den Familien um Zuwendung konkurrieren, gibt es nicht nur Reibereien, sondern auch eine wachsende Bereitschaft, die jungen Männer risikoreich einzusetzen - nicht nur, um ihnen ein Auskommen zu ermöglichen, sondern auch, um den sozialen Frieden zu erhalten. Eine Nation mit Youth Bulge entwickelt also ein ganz anderes Temperament als eine in absoluten Zahlen viel größere Nation, die ohne interne Probleme mit überzähligen Söhnen lebt oder bereits mit einern Sohnesmangel konfrontiert ist. Wiederholt sich ein Youth Bulge - statt ein einmaliger Babyboom zu bleiben - über zwei oder mehrere Generationen, sind kumulierende Effekte unvermeidbar.“ (Ebd., S. 24-25).

„Das aktuell quantitativ beeindruckendste Beispiel für Youth Bulges liefern die islamisch geprägten Länder, die in nur fünf Generationen (1900- 2000) von 150 auf 1200 Millionen Menschen zugenommen haben und immer noch - neben einigen schwarzafrikanischen Nationen - das Siegesbanner der Fortpflanzung tragen. Zum Vergleich: das immer wieder als Weltbedrohung und »gelbe Gefahr« gezeichnete China hat sich im selben Jahrhundert von 400 auf 1200 Millionen Menschen »nur« verdreifacht, das Territorium des heutigen Indien von 250 auf 1000 Millionen vervierfacht. Lediglich für Einwanderungsländer ergeben sich höhere Werte. So wächst Brasilien mit seinen zahlreichen Genoziden an Eingeborenen bis in die 1990er Jahre (vgl. Gunnar Heinsohn, Lexikon der Völkermorde, 1999) zwischen 1900 und 2000 von 17 auf 170 Millionen. Südamerika (hier definiert als Gesamtamerika ohne USA und Kanada) kommt mit einer Zunahme von 70 (1900) auf 525 Millionen (2000) noch am ehesten an die islamische Welt heran und geht ihr als Terror- und Bürgerkriegsregion chronologisch direkt vorher. Die USA - mit ihren Reservats-Deportationen und Indianergenoziden bis an den Beginn des 20. Jahrhunderts steigen zwischen 1790 und 1890 sogar um den Faktor 15 (knapp 4 auf über 60 Millionen [vgl. auch Hugo Ott / Hermann Schäfer, Wirtschafts-Ploetz, 1984, S. 447; Anm. HB]). Die gesamte Menschheit hat sich zwischen 1800 bis 2000 von 1,5 auf 6 Milliarden vervierfacht.“ (Ebd., S. 25).

„Ohne selbst in absoluter Armut zu stecken, gehen schon archaische Stammesgesellschaften daran, ihre Söhne in einer Weise einzusetzen, bei der Krieg, Kreuzzug und Genozid noch kaum unterscheidbar sind. Obwohl sie viel von Geburtenkontrolle verstehen und nur wenige Kinder aufziehen, sind sie immer an einer Positionsverbesserung interessiert. Ihre militärischen Operationen zielen zwar auch auf Ernährungsgrundlagen, aber eher im Sinne einer Optimierung, einer Gewinnung von ökologisch interessanterem Lebensraum. Es ziehen also keine Geschwächten los, sondern Krieger, die sich noch besser stellen wollen. Ihre Eroberung von Äckern, Gewässern und Wäldern führt »zur Umverteilung des Landes von den Schwachen zu den Starken«. Dafür gibt es mit der »Vertreibung der Schwächeren« und »Ausrottungskriegen« im Wesentlichen nur zwei Mittel (J. Keegan, 1993, a.a.O.). Überlebende junge Frauen und auch Kinder der Geschlagenen können vom Siegerstamm adoptiert werden. Da er selbst ja keine überbordende Populationsdynamik aufweist, ist er daran interessiert, Gefallene zu ersetzen.“ (Ebd., S. 25-26).

Aktueller Youth bulge ist größer als alle seine Vorgänger.“ (Ebd., S. 26).

„Jede »Kolonisation« der Weltgeschichte erweist sich bei genauerem Zusehen als Euphemismus für eine Mixtur aus Ansiedlung und Ausrottung. Das gilt auch für das erste vorchristliche Jahrtausend, als Griechen, Phönizier und Römer ihre überzähligen Söhne - die gesunden werden meist aufgezogen, während bereits der Erhalt eines einzigen Mädchens der Sitte Genüge tut - für die Auswanderung ausrüsten. Diese Siedler eliminieren - nach Raub der Töchter und Tötung der Väter und Brüder - die Stämme um das Mittelmeer herum in wenigen Jahrhunderten und stoßen dann in großen Kriegen unter Ebenbürtigen aufeinander. Die schon im Altertum verklärte Pax Romana setzt erst ein, als 146 v.u.Z. mit der Schleifung und Ausmordung von Korinth (50000 Tote bei 120000 Einwohnern) und Karthago (150000 Tote von 250000 Einwohnern) die Metropolen der Griechen und der Phönizier ausgelöscht sind (vgl. näher Gunnar Heinsohn, Privateigentum, Patriarchat, Geldwirtschaft, 1982, S. 154ff.).“ (Ebd., S. 26).

„Die deutsche Kolonisation Livlands durch nachgeborene Söhne vor allem aus dem Gebiet Bremen/Niedersachsen ab 1201 verfährt nicht weniger genozidal als die konkurrierenden Mächte des Altertums. Selbst die von deutschen Katholiken frisch Getauften - in diesem Fall Letten - haben bei den noch zu bekehrenden Esten im Namen der Heiligen Jungfrau immer wieder »Männer, Weiber und Kinder ... vom Morgen bis zum Abend« umgebracht, bis die »Hände und Arme der Tötenden müde vom ungeheuren Morden des Volkes endlich erlahmten« (Heinrich von Lettland, Livländische Chronik, 1227, S. 95).“ (Ebd., S. 26).

„Die deutsche Ostkolonisation von 1150 bis 1350 zeigt exemplarisch, wei eine Expansion durch das schlichte Abklingen eines Sohnesüberschusses auch wieder aufhört. »Das größte Werk des deutschen Volkes im Mittelalter« kommt »infolge des großen Menschenverlustes durch die Pest von 1348« abrupt zum Stillstand (vgl. Brockhaus, »Ostdeutsche Kolonisation«, in: Der Große Brockhaus, 1932, Band XIII, S. 782).“ (Ebd., S. 26-27).

„Für die Eroberung der Welt durch Abkömmlinge der europäischen Youth Bulges aus den vierhundert Jahren zwischen 1493 und 1900 werden gerade mal 50 Millionen, allerdings zu allem entschlossene Menschen ausgeschickt (dazu die Kapitel III und IV). Die blutigste Phase der Eroberung zwischen 1500 und 1750 besorgen - bei Umrechnung der spanischen Zahlen für Lateinamerika auf die ganze Welt - kaum mehr als 200000 junge Männer (vgl. R. Romano / A. Tenenti, Die Grundlagen der modernen Welt, 1967, S. 204). 50 Millioen junge Leute könnte das heutige Indien (345 Millionen kinder unter 15 Jahren) an einem einzigen Tag freigeben und wäre daheim immer noch mit einem heftigen Bevölkerungswachstum beschäftigt.“ (Ebd., S. 27).

„Vielleicht läßt sich Huntingtons ursprüngliche These so umformulieren, daß ein Youth Bulge, einmal in Bewegung geraten, sich Rechtfertigungen für sein firchtbares Tun auch aus der religion und Moral seiner Herkunftsgebiete zurechtschneidert. Die Religion liefert dann zusätzliches Öl für ein Feuer, dessen Ausgangsbrennstoff nicht von ihr stammt.“ (Ebd., S. 31).

2) Wo leben die jungen Männer?

„Die LEX JULIA des Kaisers Augustus aus dem Jahre 14 v.u.Z. bedroht Nachwuchsverweigerer damit, daß sie ihr eigenes Erbe nicht antreten dürfen. Ausnahmen aber müssen gemacht werden - damals für Prostituierte. Daraufhin lassen sich die feinen Damen Roms in die Hurenregister eintragen. Das Imperium geht weiter unter: »Bis man zu den Zeiten kam, in denen wir weder unsere Krankheiten noch ihre Heilmittel ertragen könne«, kommentiert das Livius (63 v.u.Z. - 17 u.Z.) in der Einleitung zu seiner Römischen Geschichte. (**). – Damals im Römischen Reich verschwindet mit der Bankrottierung der Bauern die kleine ökonomischen Einheit, auf der das römische Familienleben beruht. Nach der Vollstreckung in ihr verpfändetes Land bleiben diesen Bauern nur noch ihre proles (Kinder), nach dem Wegsterben dieser Proletarier wächst dann nichts mehr nach. Am Ende soll das Imperium ... 2000 Familien gehört haben. Auf immer größer werdenden Latifundien der erfolgreichen Konkurrenten hat gerade noch der Aufseher der Sklavenkaserne eine eigene Familie. Sklavenzuchtversuche scheitern an den langwierigen Preiserwartungen, weil nach Investitionen in zehn oder mehr Lebensjahre plötzlich ein einziger großer Sieg in Parthien Zehntausende billigst auf die Sklavenmärkte des Imperiums spülen und die Aufzuchtkosten zum Verlust machen konnte. Am Ende erfüllt sich des älteren Plinius (23-79) Diagnose latifundia Italiam perdidere (die Latifundien haben Italien [bzw. das Römische Reich] zugrunde gerichtet); Naturgeschichte, Buch XVIII, 35).“ (Ebd., S. 47-48).

„Gewiß kann man für jede Nation zusätzlich auch nach ureigenen landestypischen Tötungsgründen jenseits eines Youth Bulge fahnden. Aber man würde ähnliche Gründe auch bei anderen Nationen finden, in denen nicht oder kaum getötet wird, so daß man am Ende doch einer Einbeziehung des Youth Bulge nicht ausweichen könnte. Man würde ganz ähnlich verfahren wie bei der stereotypen Erforschung von großtötenden Diktatoren. Weil diese Männer psychologisch und allgemeinmedizinisch extrem genau seziert werden, findet man bei ihnen fast immer irgendwelche »Mörder«-Anlagen als oberflächlich überzeugende Ursache ihres bösen Tuns. Würde man aber auch alle unauffällig gebliebenen Staatslenker ebenso intensiv angehen, verlören sich die meisten Gewißheiten recht schnell, weil viel verrücktere Herrscher oft ganz harmlos geblieben sind.“ (Ebd., S. 54-55).

Rangfolge nach Bevölkerungswachstum, nach Unter-15-Jährigen in absoluten Zahlen, nach Unter-15-Jährigen in Prozent (Stand: 2003)
RangBevölkerungswachstumin % Unter-15-J. absolutin Mio. (in%)Unter-15-J. relativin %FruchtbarkeitRate
  1Ver. Arabische Emirate7,4Indien345 (33%) Uganda49,8Timor-Leste7,6
  2Timor-Leste5,3China306 (24%) Timor-Leste49,5Niger7,2
  3Pälastina4,1Indonesien  64 (31%)Niger48,9Angola7,0
  4Somalia3,2Pakistan  60 (40%)Tschad48,0Somalia6,9
  5Belize3,2USA  59 (21%)D. R. Kongo47,9Afghanistan6,8
  6D. R. Kongo3,0Nigeria  57 (44%)Somalia47,8D. R. Kongo6,7
  7Angola3,0Brasilien  49 (28%)Angola47,6Guinea-Bissau6,6
  8Jemen3,0Bangladesch  45 (28%)Mali47,2Mali6,4
  9Salomonen3,0Mexiko  34 (33%)R. Kongo46,9R. Kongo6,3
10Saudi-Arabien2,9Äthiopien  32 (47%)Burkina Faso46,9Burkina Faso6,2
(Ebd., S. 60-70 [vgl. auch: Fischer Weltalmanach, 2006, S. 500-507). Rot = 30% und mehr Unter-15-Jährige
Wachstum von Bevölkerung und Krieg
- Wachstum der Bevölkerung und der Kriege pro Jahr -
(Quelle: H. Dießenbacher, Kriege der Zukunft, 1988, S. 83)

3) Die demographische Herkunft der Konquistadoren und das „Wunder“ der europäischen Welteroberung

„Die Eroberung der Welt durch ein halbes Dutzend Länder aus dem kleinen Europa ab 1492 verstört bis heute nicht nur durch seine Enormität, sondern auch durch seine schiere Unbegreiflichkeit.“ (Ebd., S. 72).

4) Weltmächte von gestern und morgen: mehr Söhne und striktere Eigentumsstrukturen

„Die Basis des Wirtschaftens liegt ... weder im Kapital noch im Markt, sondern im Eigentum. Das kann man nicht sehen, riechen, schmecken oder anfassen, weil es ein papierener Rechtstitel ist.“ (Ebd., S. 88).

„Die Unterscheidung zwischen Besitz und Eigentum ist für das Verständnis des Wirtschaftens fundamental. Ökonomie wird so schlecht verstanden, weil die Gelehrten Besitz und Eigentum für ein und dieselbe Sache halten.“ (Ebd., S. 89).

„Die auf Eigentum basierenden Gesellschaften können auch zahlenmäßig größere Völker übertreffen, weil Eigentum für die Schaffung von Geld belastet und für das Borgen von Geld in einem Kredit verpfändet werden kann. Der Geldschaffer verliert durch diese Belastung während des Kreditzeitraumes die Freiheit seines Eigentums, kann es nicht noch einmal belasten und auch nicht verkaufen oder verschenken. Dafür gewinnt er die Zinszusage seines Schuldners. Und eben für dieses Immer-Mehr aus niemals länger werdenden Jahresfristen, muß erfinderisch gewirtschaftet werden.“ (Ebd., S. 89).

„Gesellschaften ohne Eigentum haben kein Geld, also keine zinsbelasteten Schulden und bleiben eben deshalb ohne nennenswertes Wachstum.“ (Ebd., S. 89).

„Daß der Zins als entscheidende Zugkraft des Wirtschaftens am Eigentum haftet, ist zwar ganz allgemein schlecht verstanden. Aber nur die Marxisten schreiten seit 1917 zu seiner regelrechten Abschaffung. Sie versprechen - wenn man so will - den Menschen für ihr Auto eine noch höhere und überdies pannensichere Geschwindigkeit, wenn man nur den Motor ausbaue. Diese Heilung der Tuberkulose durch Entfernung der Lunge hat an die 100 Millionen Menschen das Leben gekostet.“ (Ebd., S. 90).

„An einem Stück Ackerland läßt sich die wirtschaftliche Potenz des Eigentums über das bloße besitzbasierte - und ewige - Produzieren hinaus besonders leicht nachvollziehen. .... Zur geschäftlichen Verwendung eines Ackers - also zum Wirtschaften mit ihm - kann es erst kommen, wenn zum Besitzrecht noch ein Eigentumstitel hinzutritt. Man kann sagen, daß mit dem Acker produziert, mit dem Zaun, der ihn umgibt, jedoch gewirtschaftet wird, wobei er den Eigentumstitel symbolisiert und nicht nach Draht und Pfosten betrachtet wird, die es auch in reinen Besitzgesellschaften geben kann. Während der Bauer einer Eigentumsgesellschft seine Feldmark - durch eigenen Gebrauch oder durch Verpachten - als Besitzer nutzt, kann er mit dem Eigentumstitel an ihr gleichzeitig und eben zusätzlich wirtschaften. Er kann diesen Titel für das Leihen von Geld - Mark z.B. - verpfänden, oder er kann ihn für die Besicherung des von ihm selbst emittierten Geldes - wiederum Mark - belasten.“ (Ebd., S. 90-91).

„Die Geldnote - ob auf Metall oder Papier gedruckt - ist ... ein Eingriffsrecht in das Eigentum ihres Emittenten und kommt nur durch Schuldenmachen in die Welt. Auch das auf fast wertlosem Material notierte Geld ist wertvoll, weil hinter ihm besicherndes und zusätzlich verpfändetes Eigentum steht. Wo jemand Geld emittiert, tut er diese für einen anderen, der ihm mindestens im selben Wert Eigentum verpfändet sowie Tilgung und Zins zusgesagt hat. Der in die Zirkulation gelangten Geldnote entspricht mithin ein zweites notifiziertes Dokument. Das ist der Kreditkontrakt, in dem der geschaffene Betrag als mit Eigentum des Leihers besicherte und zu verzinsende Schuld niedergeschrieben ist. Erst wenn der die Schuld getilgt hat, kann die zum Verleiher heimgekehrte Geldnote vernichtet und der Kreditkontrakt zerrissen werden. Sind die Noten aus Metall oder ist das Papier noch gut, können sie bei einer neuerlichen Emission wieder verwendet werden. .... Als Verwender von Geld, das immer jemand - nämlich der im geldschaffenden Kreditkontrakt Benannte - schuldet, entwickeln Mitglieder von Eigentumsgesellschaften einen ganz anderen Blick auf die Welt als Menschen aus reinen Besitzgesellschaften, also aus Stämmen oder aus Feudalgesellschaften, werden diese nun durch Adelkasten oder »Avantgarden einer Arbeiterklasse« dirigiert. Geldschuldner suchen immer nach Wegen, aus der prinzipiell unveränderlich gleich langen Zeit eines Jahres oder eines Monats das Zusätzliche herauszuholen, das sie für den Zins aufbringen müssen. Eben dafür erzeugen sie Märkte. Auf diesen versucht man Schuldendeckungsmittel, also Geld zu erlangen. Dessen Existenz geht dem Markt somit voraus, während die Marktwirtschaftler glauben, daß erst die Märkte da seien, auf denen es dann für eine Tauscherleichterung erfunden werde.“ (Gunnar Heinsohn, Söhne und Weltmacht, 2003, S. 89-92).

5) Youth Bulges im transnationalen Terror

Jeder versteht, daß der ab 81 n.Chr. errichtete römische Limes für die Schwächung des Römischen Imperiums steht. Alle wissen, daß die chinesische Mauer gebaut wird, als man die Kraft zu militärischen Offensiven gegen feindliche Stämme nicht mehr aufbringt. Seit die USA - mit dem Ballistic Missile Defense System - einen Schutzschild bis hoch in den Weltraum zu bauen beginnen, ist offensichtlich geworden, daß es sich in abnehmender Machtkurve befindet - trotz seiner überregenden Technologie. Star Wars ist nicht Ausdruck für einen dynamischen Eroberungswillen, sondern die schlichte Abwesenheit eines solchen. Auch Limes und Mauer sind zu ihrer Zeit unübertroffene Leistungen der besten Militäringenieure eines Hegemon, aber eben eines wankenden. .... Die Vorstellung, daß die USA gerade jetzt ihren Einflußgipfel erstiegen hätten und deshalb ein Weltgewaltmonopol zum Schutze der Zivilisation aufrichten könnten und sollten (vgl. Sibylle Tönnies, Auf dem Weg zum Weltstaat, 2002), hat gewiß ihren Charme. Die USA jedoch haben guten Grund, sich ganz anders zu sehen. Sie können schlichtweg nicht beliebig oft ihren einzigen Sohn herausschicken, um draußen zehn andere vom Kämpfen abzuhalten. Gleichwohl verfallen auch sie gelegentlich in die ihnen fast immer vorgehaltene Selbstüberschätzung, wenn etwa der Präsident die aktuelle militärische Kraft eines Landes als »unprecedented« (historisch noch nie dagewesen) bezeichnet (vgl. George W. Bush, National Security Strategy of the United States of America, 20.09.2002; www.whitehouse.gov). Unprecedented ist US-Amerikas Macht lediglich zwischen 1941 und 1949, als man (mit Hilfe der Verbündeten; Anm. HB) die beiden Großreiche Deutschland und Japan schlägt, das Britische Empire und die Sowjetunion über Wasser hält ....“ (Ebd., S. 127-128).

„In deutschen Diskussionen fällt auf, wie schnell selbst ausgewiesene Champions der Menschenrechte auf »unsere«, also die zuvor scharf verurteilten us-amerikanischen Atomwaffen, zurückgreifen wollen, wenn sie sich einen 11. September in Frankfurt oder Hamburg vorstellen. Bisher hat Al-Qaida dies ja nur angedroht (vgl. Focus Online, 09.10.2002; www.focus.de) und sich darauf beschränkt, deutsche Touristen in Tunesien und Bali sowie deutsche Soldaten in Kabul zu ermorden. .... In jedem Fall würden nach einem Treffer die Empörungen über den kosmischen Schutzschild der USA umgehend Anklagen darüber weichen, daß man nicht auch unter ihn schlüpfen durfte. Alldeutsche Mahnungen, daß die USA ihre »Aggressionen« gefälligst ohne den deutschen Weltfriedenskämpfer durchstehen solle, wären schnell vom Tisch. So weit allerdings wird man es gar nicht kommen lassen. Man ähnelt zu sehr den frühen Christen, die das römische Imperium zwar gehaßt, vor seinem Untergang sich jedoch niedergeworfen und um seine Verschonung zum Herrn geschrien haben. Die Deutschen liefern für die Mischung aus Schutzbedürfnis und dem Drohen mit fremden Waffen zwar nicht das einzige, aber doch ein Paradebeispiel. Vor dem zweiten Irakkrieg terten ihre Führer als »deutschwegige« Pazifisten gegen Bushs »Spielerei mit dem Krieg« auf (vgl. Die Welt, 18.09.2002, S. 3). Da sie sich dabei mit den Akut-Kriegern Putin (Tschetschenien) und Chirac (Elfenbeinküste) verbünden, wird der Verkauf ihrer Impotenz als Keuschheit schnell durchschaut. Man kann ja nicht einmal die in Afghanistan stationierten Soldaten »mit eigenen Kräften ... evakuieren«, weil es »an geeignetem Fluggerät fehlt« (vgl. H.-J. Leersch, in: Die Welt, 01.02.2003, S. 4). Nur weil die US-Amerikaner durch Zusage von Luftkapazität den Deutschen auch noch diese Verantwortung abnehmen, können sie sich im Kampf gegen die Terroristen überhaupt sichtbar machen. Im Jahr 2002 wenden die gut 280 Millionen US-Amerikaner für ihr Militär 350 Milliarden Dollar und die 59 Millionen Briten immerhin noch knapp 40 Milliarden Dollar auf, während sich die 83 Millionen Deutschen (die allerdings die EU finanzieren, also auch die Miltärausgaben aller anderen EU-Mitglieder!) mit 25 Milliarden Dollar für global untaugliches Gerät und Personal begnügen (vgl. G. Baker et al., in. Finacial Times, 07.11.2002, S. 8). »Europa hat mit 2 Millionen Soldaten eine halbe Millionen mehr als die USA, aber nur ein Bruchteil davon ist wirklich einsetzbar« (J. Black, in: The Guardian, 09.11.2002, S. 2). 250 us-amerikanischen Großraumflugzeugen für die schnelle Fernverlegung von ganzen Divisionen stehen 11 europäische Maschinen gegenüber. Vor 2010 sind eigene Modelle (Airbus 400M) nicht verfügbar. 50 Prozent aller US-Flugzeuge können auch nachts eingesetzt werden, von den europäischen aber nur 10 Prozent. Im Jahre 2003 beginnen die Briten mit dem Bau der beiden größten Flugzeugträger ihrer Geschichte. Sie sollen 2012 und 2015 in Dienst gehen, das Land also für die Gipfelzeit weltweiter Youth-Bulge-Krisen global einsatzfähig halten. Eine Ankündigung deutscher Flugzeugträger für eine wirklich spürbare Beteiligung an friedenssichernden Bündnisse würde wohl als Zeitungsente abgebucht werden. (Und dieses Land, hatte einmal die größte Armee aller Zeiten!) Und doch könnte nur ein Schritt in diese Richtung die Glaubwürdigkeit des Landes (richtig muß es heißen: die Glaubwürdigkeit der Verantwortlichen in diesem Land; Anm. HB) wiederherstellen.“ (Ebd., S. 131-133).

„Europa kann Israel nicht lieben.“ (Ebd., S. 137).

„Deutschland wird den Juden Auschwitz niemals verzeihen.“ (Ebd., S. 138).

4) Hereingelassene und Herausgehaltene

Die Vermittlung von ökonomischem Wissen ist die beste Entwicklungshilfe. - Lassen sich die exkommunistischen Staaten wenigstens so weit attraktiv machen, daß ihr demographisches Ausbluten aufhört und sie womöglich sogar Einwanderungsattraktivität gewinnen?  Sie brauchen dafür keine anderen Ratschläge als die übrigen Entwicklungsländer. Gebt uns frei, dann werden wir reich und mächtig wie ihr, tönt es um 1960 aus Europas Kolonien. Gebt uns Entwicklungshilfe, denn ihr seid noch reicher geworden, seit ihr uns nicht mehr ausbeutet, heißt es kaum zehn Jahre später. Laßt freie Märkte zu, rufen die Gelehrten der alten Herrenländer. Also gibt man Preise frei, kauft Maschinen oder bekommt diese sogar geschenkt und doch wird die Armut größer. Ist es möglich, daß die Berater ihr eigenes System nicht verstehen?  Wenn man den weniger entwickelten Ländern helfen will, dann darf man ihnen kein Geld geben. Die denken sonst in der Tat, daß auf rätselhafte Weise riesige Tresore voll mit dem edlen Papier gerade in den OECD-Staaten (gemeint sind: Australien, Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Italien, Japan, Kanada, Luxemburg, Mexiko, Neuseeland, Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, Schweiz, Südkorea, Spanien, UK, USA) gelandet sind, die somit ruhig mal etwas abgeben könnten. Doch die haben keine Kisten, sondern für die Geldschaffung belastbares Eigentum. Die Etablierung von Eigentum wiederum erfordert nur ganz geringen technischen Aufwand. Bloße Besitztümer müssen um Eigentumstitel ergänzt und dabei breit gestreut werden. Diese Verteilung muß in Dokumenten über die Eigentumstitel fixiert werden. Kataster und Grundbücher sind anzulegen. Man muß also schreiben und Urkundenstempel herstellen können. Man muß an Gesetze gebundene Polizei und unabhängige Gerichte schaffen, die in die Eigentumstitel - ohne Ansehen der Macht ihrer Halter - vollstrecken können. All diesen Anforderungen können auch die Nicht-OECD-Länder (**) ohne großartige Gedankenverrenkungen nachkommen. Keine Hilfe zur Selbsthilfe kann sich segensreicher auswirken als die Information über die Mechanismen der Geldschaffung. Ein akademisch ungeehrter Außenseiter wie Hernando de Soto aus dem Entwicklungsland Peru muß daherkommen, um dem Entwicklungsland Ägypten zu zeigen, wie der Weg aus der Armut auszusehen hat. Neun Zehntel der Immobilien Ägyptens - so findet er heraus - können nicht für die Kreditaufnahme belastet werden, weil sie lediglich unvollstreckbarer Besitz sind. »Totes Kapital« nennt der Peruaner das ein wenig dunkel. Durch Umwandlung des bisherigen Besitztitel in Eigentumstitel - jetzt in der Sprache dieses Autors - würde der Preis des gänzlich neu geschaffenen Eigentums »dreißigmaI höher als der Marktwert aller Firmen liegen, die an der Kairoer Börse registriert sind« (Hernando de Soto, Totes Kapital und die Armen in Ägypten, 2001, S. 35). Wenn etwa 70 Prozent der Weltgeldschaffung immer noch mit Grundeigentum besichert ist, Entwicklungsländer aber kaum 10 Prozent ihres Landes als solches Eigentum zur Verfügung haben, dann sind Elend und zugleich extreme Unterschiede in den Einkommen unvermeidlich. Die OECD-Staaten (**) und eine noch einmal so große Gruppe - insgesamt 59 Länder - schaffen auf ihren Eigentumsstrukturen 96 Prozent des Weltbruttosozialprodukts und halten zugleich 98 Prozent der Weltbörsenkapitalisation. Die übrigen 140 Länder erbringen nur 4 bzw. 2 Prozent. Der »große Satan« ist niemand anders als ihre eigene Nichtvereigentümerung. Die Dauerrede von den reichen Nationen, die endlich ihre Privilegien mit den armen Völkern teilen sollten, könnte aus dem Bereich bloßer Torheit herausfinden, wenn diese «Vorrechte» als vollstreckbare Eigentumstitel identifiziert und ins allgemeine Bewußtsein gehoben würden. Die Nationen, die sie noch nicht haben, würden dann nicht mehr nach Teilung des anderswo Geschaffenen, sondern nach Ausbreitung dieser Rechte auch bei sich rufen. Sollte es einmal gelingen, die ungeheure Wohlstandsverhinderung durch Abschottung des Besitzes gegen seine Vereigentümerung zu überwinden, wäre in vielen Ländern erstmals eine realistische Zukunftsperspektive gegen Apathie oder Terror gesetzt. Zugleich wäre die intellektuelle Fantasie vom Markt als angeblichem Essenzial des Wirtschaftens vom Tisch (als auch theoretisch durchdachten Wegweiser für eine solche Offnung; vgl. Ulf Heinsohn, Eigentum und Entwicklung, 2001, S. 295-335).“ (Ebd., S. 146-147).

„Denn selbst bei einer extrem liberalen Öffnung der Grenzen können Einwanderer eines nicht sonderlich gut - nämlich viele begabte junge Leute bereitstellen, die von klein auf in einer hochtechnologischen Gesellschaft heranwachsen, souverän mit ihr umgehen lernen und dann die kritische Masse bilden, die sie ideenreich auf neue Höhen führt. Diese Voraussetzung für ein Verbleiben Europas im Spitzensegment der Weltwirtschaft kann ... mit direkt in der Wissensgesellschaft aufgewachsenem eigenen Nachwuchs leichter erreicht werden als mit wie auch immer motivierten Zuzüglern aus Afrika und der muslimischen Welt. Selbst Kinder aus zugewanderten Familien, die ihre gesamte Schulausbildung in Deutschland erhalten, scheinen keine Garantie für das Halten eines hohen Niveaus zu geben. Im Gegenteil, sowie der Migrantenanteil bei 20 Prozent liegt, rutscht das Leistungsniveau aller Kinder in diesen Klassen ab ... (vgl. dazu auch: Joachim Peter, Ausländerkinder senken Lern-Niveau erheblich, in: Die Welt, 04. März 2003 [**]).“ (Ebd., S. 160).


„Ausländerkinder senken Lern-Niveau erheblich! Neue Pisa-Teilanalyse weist auf erhebliche Schwierigkeiten an Schulen schon bei geringem Migrantenanteil hin! Bereits ein geringer Anteil von Ausländerkindern an Schulen hat drastische Folgen für das Bildungsniveau. Zu diesem Ergebnis kommt eine der WELT vorliegende neue Teilanalyse der nationalen Pisa-Studie. Danach bewirkt schon ein Migrantenanteil von 20 Prozent eine »sprunghafte Reduktion der mittleren Leistungen«. Im Vergleich zu Schulen mit weniger als fünf Prozent Ausländerkindern ergibt sich ein Unterschied von knapp zwanzig Punkten. Die Studie kommt zu der Schlußfolgerung, daß bereits bei einer »quantitativ relativ moderaten ethnischen Durchmischung« den Schulen der »Umgang mit der Heterogenität« Schwierigkeiten bereite. .... Die Ergebnisse der internationalen OECD-Bildungsstudie Pisa I  hatten bereits gezeigt, daß Kinder und Jugendliche aus zugewanderten Familien deutlich geringere Bildungserfolge erzielen als Schüler ohne Migrationshintergrund, auch wenn sie ihre gesamte Schullaufbahn in Deutschland absolviert haben. Die von den Teilnehmerländern gemeinsam entwickelten Leistungstests wurden bei 15-jährigen Schülern durchgeführt.“ (Joachim Peter, Ausländerkinder senken Lern-Niveau erheblich, in: DIE WELT, 04. März 2003).

Warum werden sie zu Kriegern?  (Vortrag in Hannover; 10.02.2003) **

„Der Hauptgegner der Weltmacht trägt seit der Präsidentschaft Clintons nicht mehr den Namen bestimmter Nationen, sondern heißt - auf Englisch - Youth Bulge (Jugendüberschuß; Anm. HB) und wird noch auf »Jahrzehnte« hinaus Gefahrenpotential für die USA entfalten. Ein »Jugendboom« bzw. die überproportionale Ausstülpung (Bulge) der Alterspyramide bei den 15-24-Jährigen ist immer dann gegeben, wenn diese zehn Jahrgänge mindestens 20% und die fünfzehn Jahrgänge der Kinder (0-14-Jährigen) mindestens 30% der Gesamtbevölkerung ausmachen. In den vierzig Spitzenländern des Jugendbooms der islamischen und schwarzafrikanischen Welt wird der Anteil der 15-24-Jährigen in den kommenden fünfzehn Jahren sogar um die 30% ausmachen. (Vgl. S. P. Huntington: »Der kritische Punkt ist erreicht, wenn Jugendliche mindestens 20% der Gesamtbevölkerung ausmachen.«). .... »Demographische Gründe für ethnische Konflikte«, ein Aufsatz von Gary Fuller (1995): er hatte nur auf den ersten Blick eine Beziehung zwischen Youth Bulges und Massakern, ... Massentötungen studiert und dafür weder ökonomische Strukturänderungen noch Klimaverschlechterungen verantwortlich machen können. Auch Hunger, der immer wieder für die Erklärung von Terrorismus herangezogen wird, spielt keine Rolle. Vielmehr kulminierte das Töten, als die Youth-Bulge-Gipfel der 15-24-Jährigen sogar noch über 20% gestiegen waren. Zuvor hatten also die 0-14-Jährigen - Children Bulge (Kinderüberschuß; Anm. HB) - bei 35% bzw. 37% gelegen. .... Über 900 Millionen Jungen unter 15 Jahren werden 2003 außerhalb der OECD-Staaten (nebst Rußland u.a. slawische Staaten bzw. für 2004 vorgesehene EU-Kandidaten) aufgezogen. Die Familien der USA verfügen im selben Zeitraum nur über 30 Millionen Söhne unter 15 - zwanzig Prozent davon mit Übergewicht. Die übrigen OECD-Staaten haben noch einmal 70 Millionen Söhne unter 15. Selbst für den unwahrscheinlichen Fall allgemeinen Zusammenhalts steht es immer noch 9:1 für die weniger entwickelte Welt. Nimmt man dort China heraus, verbessert die entwickelte Welt ihre Unterlegenheit von einem Neuntel auf ein Siebtel. Während die entwickelte Welt bei der Gesamtbevölkerung noch ein gutes Fünftel der Menschheit umfaßt, wird sie beim Nachwuchs in wenigen Jahren auf ein Zehntel gefallen sein. Die weniger entwickelte Welt hat einen weiteren Vorteil dadurch, daß fast jeder Junge in der Ersten Welt der einzige Sohn oder zunehmend sogar das einzige Kind ist, so daß die Sorge um sein Überleben jeden nichtzivilen Einsatz so gut wie unmöglich macht. Hingegen können die Youth-Bulge-Familien ein oder gar zwei Söhne verlieren und immer noch weiter funktionieren.“ (Ebd.).

„Wiederholt sich ein Youth Bulge - statt ein einmaliger Babyboom zu bleiben - über zwei oder mehrere Generationen, kumulieren sich seine Effekte. Das quantitativ beeindruckendste Beispiel liefern die islamisch geprägten Länder, die in nur fünf Generationen (1900-2000) von 150 auf 1200 Millionen Menschen zugenommen haben und immer noch - neben einigen schwarzafrikanischen Nationen - das Siegesbanner der Fortpflanzung vorantragen. Zum Vergleich: die gesamte Menschheit hat sich in der doppelt so langen Zeit von 1800 bis 2000 »nur« versechsfacht (von einer auf sechs Milliarden). .... Es spricht wenig dafür, daß die nicht unterzubringenden Heißsporne von heute auf Großtaten verzichten werden.“ (Ebd.).

„Schon archaische Stammesgesellschaften, die alles in allem begrenzte Sohnespotentiale aufzogen und viel von Geburtenkontrolle verstanden, hatten deren Außeneinsatz in einer Weise organisiert, bei der Krieg und Genozid noch kaum unterscheidbar war. Ihre militärischen Operationen zielten zwar auch auf Ernährungsgrundlagen, aber eher im Sinne einer Optimierung, einer Gewinnung von ökologisch interessanterem Lebensraum. Da zogen also keine Hungernden los, sondern Krieger, die sich noch besser stellen wollten. Ihre Eroberung von Äckern, Gewässern und Wäldern führte »zur Umverteilung des Landes von den Schwachen zu den Starken«. Dafür gab es mit der »Vertreibung der Schwächeren« und »Ausrottungskriegen« im wesentlichen nur zwei Mittel. Überlebende junge Frauen und auch Kinder der Schwächeren konnten vom Siegerstamm adoptiert werden, da er Gefallene zu ersetzen hatte und selbst ja keineswegs eine überbordende Populationsdynamik aufwies. Jede »Kolonisation« erweist sich bei genauerem Zusehen als Euphemismus für eine Mixtur aus Ansiedlung und Ausrottung. Das gilt selbstverständlich auch für die Zeit, als Griechen, Phönizier und Römer ihre überzähligen Söhne - die gesunden wurden meist aufgezogen, während bereits der Erhalt eines einzigen Mädchens der Sitte Genüge tat - für die Auswanderung ausrüsteten. Diese Siedler hatten - nach Raub der Töchter und Tötung der Väter und Brüder - die Stämme um das Mittelmeer herum alsbald eliminiert und stießen dann in großen Kriegen unter Ebenbürtigen aufeinander. Die schon im Altertum verklärte Pax Romana setzte erst ein, als 146 v.u.Z. mit der Zerstörung und Ausmordung von Korinth (50000 Tote bei 120000 Einwohnern) und Karthago (150000 von 250000 Einwohnern) die Metropolen der Griechen und der Phönizier ausgelöscht worden waren. Für die Eroberung der Welt aus europäischen Youth Bulges in den 400 Jahren zwischen 1493 und 1900 waren gerade mal 50 Millionen, allerdings zu allem entschlossene Menschen erforderlich. 50 Millionen junge Leute könnte das heutige Indien (345 Millionen Kinder unter 15) an einem einzigen Tag freigeben und wäre immer noch mit einem heftigen Bevölkerungswachstum daheim beschäftigt. Der neue Youth-Bulge-Weltfeind ist also ein ganz alter Bekannter und zieht sehr lange schon seine Spur durch die Geschichte. .... Es spricht wenig dafür, daß die nicht unterzubringenden Heißsporne von heute auf Großtaten verzichten werden denn »der Krieg versorgt noch jedermann, durch Sieg oder Tod« (Thomas Hobbes, 1651, Kap. XXX, § 17). Als durch Francis Fukuyama (1989; 1992) das Ende der Geschichte verkündet wurde, hatte er die zornigen Männer schlichtweg vergessen. Und das, obwohl der aktuelle Youth Bulge größer ausfällt als alle seine Vorgänger. Im Jahre 2002 hat der ehemalige Berater des US-Außenministeriums dann einen möglichen Wiederbeginn historischer Dynamik eingeräumt .... Wegen des höheren Mädcheninfantizids dürften in den kommenden 15 Jahren etwa 750 Millionen Jungen aus Children Bulges in das »Kampfalter« der Youth Bulges überwechseln. Selbst im optimistischen Szenario, daß für jeden ausscheidenden Vater sogar mehr als ein Sohn in der Heimat eine Position findet, werden mindestens 300 Millionen junge Männer – zweite oder gar dritte Brüder - in die Territorien der entwickelten Welt drängen. Dort werden im selben Zeitraum gerade 100 Millionen Jungen in das Jugend- und Erwachsenenalter entlassen, von denen die große Mehrheit für Frieden und Gewaltlosigkeit erzogen wird.“ (Ebd.).

„Von den 6,25 Milliarden Menschen des Jahres 2003 (genau: 6 240 739 158 am 31. Juli 2002) wurden 4 Milliarden in den 35 Jahren nach 1968 geboren, als die weltweite Bewegung der 68er begonnen und schon sich für ganz besonders zahlreich, jugendlich und wirkungsmächtig gehalten hatte. ... Jedes Jahr hat in diesen 35 Jahren die Weltbevölkerung zwischen 75 und 87 Millionen (jeweils Überschuß der Geborenen über die Gestorbenen) zugenommen. 2004 sollen es nur noch 74 Millionen sein und am Ende von noch einmal 35 Jahren, im Jahre 2038, soll die Zunahme lediglich 49 Millionen betragen. Obwohl die 750 Millionen Mangelernährten unter den 6,25 Milliarden zutiefst beunruhigen müssen, dürfen die Schritte nach vorn nicht übersehen werden. 1930 trug die Erde 2 Milliarden Menschen, von denen ein erheblicher – nicht genau bekannter – Anteil gehungert hat. Wer damals für den Beginn des 21. Jahrhunderts 5,5 Milliarden satte Menschen vorausgesagt hätte, wäre in der Phantastenecke gelandet. Obwohl die absolute Weltbevölkerung zwischen 1990 und 2000 noch einmal um eine Milliarde zulegt, ist die Zahl der Menschen mit lediglich einem US-Dollar pro Tag von 1280 auf 1150 Millionen und der Prozentsatz der Hungerbedrohten von 20 Prozent auf 17 Prozent gefallen. Wichtiger noch, wo heute absolute Armut angetroffen wird, kann sie nicht auf überschrittene natürliche Grenzen zurückgeführt werden. Selbst in vielen Ländern mit Hungernden werden mehr Nahrungsmittel produziert, als vor Ort konsumiert werden können. Je erfolgreicher nun der Kampf gegen den Hunger verläuft, desto kampfeslustiger werden die nach Positionen strebenden jungen Männer. Die ubiquitäre Hoffnung auf Weltfrieden durch Sättigung auch noch der 750 Millionen absolut Armen gilt den Strategen als liebenswerteste und zugleich naivste der Illusionen. Kaum zwei Tode stehen so fern voneinander wie Hungertod und Heldentod. Ohne in Hunger zu versinken, haben die islamischen Länder ihre Einwohnerschaft im 20. Jahrhundert von 150 auf 1200 Millionen verachtfacht. Europa, das sich 1900 mit 401 Millionen Menschen auf ein Viertel der Weltbevölkerung vermehrt hatte, war bis 2000 »nur« auf ca. 725 Millionen gestiegen und hatte sich so aus einer fast dreifachen »Übermacht« gegenüber dem Islam in eine fast zweifache »Unterlegenheit« gedreht. (**). Die Kampfformel der verzweifelt um Positionen ringenden jungen Männer ist uralt: »Gebt uns genügend ab oder ihr werdet auch nichts davon haben. Überlaßt uns einen gerechten Anteil des vom ›Volke‹ Geschaffenen, sonst werden wir euch alles nehmen. Selbst wenn wir unterliegen, wird die Beute, die wir nicht festhalten können, zerstört.« Eine solche Forderungskette zieht sich in endlosen Variationen durch den Lauf der Zeiten. So primitiv dieser Grundmechanismus auch arbeitet, so simpel kommt er gleichwohl nicht daher. Das zwar übermächtig starke, aber dennoch niedrige Motiv will höhere Weihe. Noch die Drahtzieher der Attentate vom 11. September 2001 wissen um diese Notwendigkeit. Deshalb heißt es im Befehl: »Und wie Mustafa, einer der Anhänger des Propheten, sagte, töte und denke nicht an den Besitz derjenigen, die du töten wirst.« Die Bewegten brauchen eine gerechte Sache. Fast immer gibt es die und führt nicht nur Reporter, sondern auch spätere Revolutionsforscher leicht in die Irre. Denn eine Logik, die aus der Gerechtigkeit einer Sache zwangsläufig zum Töten für sie führt, gibt es nicht.“ (Ebd.).

Samuel P. Huntington hat früh (1996) darauf hingewiesen, daß auch in islamischen Ländern die Religion bestenfalls eine nachgeordnete Rolle für die Ausübung des Terrors spielt: „In allen Gesellschaften sind junge Männer die entscheidenden Gewalttäter; in muslimischen Gesellschaften finden sie sich in überreichlicher Zahl. In den 2020er Jahren wird der muslimische Youth Bulge schrumpfen. Das Zeitalter muslimischer Kriege könnte dann Vergangenheit sein“ (Huntington, 2001/2002, 12/13; Hervorhebung G.H.). Als gäbe es einen untergründigen Dialog zwischen der demographischen Analyse und dem Führer der islamistischen Bewegung, hat Osama Bin Laden in einer – am 7. Oktober 2002 ausgestrahlten – Ankündigung nicht etwa mit seinen Frommen, Wahren und Gerechten gedroht, sondern gleich umfassend mit der »Jugend des Islam« oder gar der »Jugend Gottes«. Sind Youth Bulges einmal in Bewegung geraten, schneidern sie sich Rechtfertigungen für ihr furchtbares Tun selbstverständlich auch aus der Religion und Moral ihrer Herkunftsgebiete. Dabei gibt es dann auch Spezialitäten: Wenn ein Selbstmordattentäter schon vor Vollzug der Tat die Paradieseinweisung von einem besonders ehrwürdigen Mullah mit Brief und Siegel verbürgt bekommt, hat man ihm den Rückzug verstellt. Denn ohne Tat verliert er das Heil für immer, während seine Brüder, die sich nicht zum Töten gemeldet haben, auf den traditionellen Wegen in eine gute Ewigkeit streben können. So gewiefte Mittel haben andere nicht, aber 2000 japanische Kamikazes vor 1945 und 200 tamilische Selbstsprenger bis 2002 zeigen, daß derselbe Effekt auch anders erreicht werden kann. Gleichwohl liefert die bald siebzigjährige Glorifizierung des Judenmordes durch Selbstauslöschung in der palästinensischen Öffentlichkeit einen Faktor eigenen Gewichts. Wenn – bei einem Gebäralter von 17 Jahren – bereits vier Generationen die Gleichsetzung von Ruhm und Ehre mit solchem Töten verinnerlicht haben, braucht es für den Schritt zur Tat nicht mehr viel. .... Es stimmt schon, daß der islamische Religionsstifter als erfolgreicher Heerführer und Machtpolitiker vor die Welt tritt, während der christliche als Wanderprediger hingerichtet wird. Der eine tötet, der andere vergibt seinen Henkern. Religion und Staatsgewalt liegen im Islam von Beginn an in einer Hand, während die christliche Kirche gegen die römische Herrschaft heranwachsen muß und auch danach nur in Ausnahmefällen direkt die Regierungen stellt.“

Zwei - nicht mehr und nicht weniger (in: Die Welt; 20.05.2005) **

„Die deutsche Familienpolitik prämiert hohe Geburtenraten in der Unterschicht und die Ein-Kind-Familie bei Gebildeten. Das ist ihr entscheidender Fehler.“ (Ebd.).

„Zwei Kinder pro Frauenleben wachsen nur dann zu den dringend benötigten Bürgern heran, wenn sie sich jene Innovationen ausdenken können, die für das Verbleiben ihres Landes in der Weltkonkurrenz unverzichtbar sind. Die Kinder müssen also gescheiter werden als ihre Eltern und die Einwanderer qualifizierter sein als der Durchschnitt des Aufnahmelandes. Da nun die Leistungsfähigkeit eines Kindes vorrangig von seinen Eltern bestimmt wird und mit drei Jahren weitgehend geformt ist, entscheidet der Nachwuchs der gebildeten Frauen über das Los ihres Landes. Kann man sie zu zwei Kindern bewegen und diese bis zum dritten Lebensjahr vor staatlicher Massenkindhaltung schützen, ist das Wichtigste geschafft. Die Bildungsfrauen aber streben in die anspruchvollsten Berufe und müssen dafür in eine lebenslange Konkurrenz, die jeden benachteiligt, der Zeit nicht für eigenes Lernen und Streßabbau einsetzt. Die emotionale Sehnsucht nach Mutterschaft muß sich dann viel zu oft mit nur einem Kind begnügen. Die Bevölkerungspolitik konzentriere sich deshalb auf das zweite Kind der Karrierefrauen, die längst die Mehrheit des weiblichen Geschlechts stellen. Von den 12 Millionen Zuwanderern, die seit 1990 nach Deutschland kamen, waren nur 10 Prozent hinreichend qualifiziert (gegenüber immerhin 75 Prozent in England für den gleichen Zeitraum). Infolgedessen stieg in Deutschland die Sockelarbeitslosigkeit von 500000 auf über drei Millionen Menschen an. .... Unter 83 Millionen Einwohnern gibt es jetzt 14 Millionen mit Migrationshintergrund. 7,3 Millionen davon mit deutschen Pässen. Da die meisten Neubürger in Deutschland um Spitzenpositionen gar nicht konkurrieren können, werden für sie jene Vermehrungsbeihilfen vom Sozialhilfesatz bis zum Erziehungs- oder Elterngeld attraktiv, mit denen man aber eine Hochqualifizierte von ihrer hart erarbeiteten Position nicht weglocken kann. Weil also für ein viertes Kind mehr bezahlt wird als für das zweite und weil selbst dritte Töchter und vierte Söhne versorgt werden, verhindert die Migrationsbevölkerung rein mengenmäßig zwar einen noch tieferen demographischen Absturz, doch werden ihre Kinder die Sockelarbeitslosigkeit noch höher treiben. Über 60 Prozent von ihnen gelangen bestenfalls mit einem Hauptschulabschluß auf die Arbeitsmärkte. Eine deutsche Aufholjagd im internationalen tertiären Sektor (Software-Services, Bioindustrie, Pharmazie etc.) gelingt damit nicht. Deutschland hat mithin nicht nur zuwenig Nachwuchs, sondern selektiert die hier Geborenen und die von draußen Zuwandernden immer stärker in Richtung Bildungsferne. Das Pionierland Bremen weist den Weg. Nach einem gerade erschienenen Bericht der Arbeitnehmerkammer Bremen gewinnt die Hansestadt aus ihrer Migrationsbevölkerung von 22 Prozent stattliche 41 Prozent ihres Nachwuchses und unübertroffene 80 Prozent ihrer harten Gewaltkriminellen unter 21 Jahren. 32 Prozent aller Kinder unter 15 Jahren dümpeln auf Sozialhilfeniveau dahin - gegenüber knapp 15 Prozent in der gesamten Republik. Entsprechend fällt der niedrigste Pisa-Rang immer wieder an die Hanseaten. In Bremens Richtung geht aber auch der Rest der Republik.“ (Ebd.).

„Im noch bescheidenen Westdeutschland von 1965, als Abtreibung strafbar war und die Fruchtbarkeitsrate bei 2,3 lag, erhielten gerade einmal 160000 Kinder unter 18 Jahren Sozialhilfe. Bis Ende 2005 wird - jetzt freilich für Gesamtdeutschland gerechnet und wuchtig gesteigert durch Hartz IV - bereits für zwei Millionen Kinder bezahlt. Ob Deutschland - oder gar Bremen - noch zu retten ist, wenn es umgehend die Richtung wechselt, kann niemand versprechen. In jedem Fall jedoch muß die jetzt eingebrockte Suppe über Jahrzehnte hinweg ausgelöffelt werden.Woher weiß man das? Die USA erreichten die heutige deutsche Sozialhilfequote von 15 Prozent aller Kinder im Jahre 1990. Weil die Söhne der »Welfare-Mütter« drei- bis viermal so viele Gewaltverbrechen verüben wie die anderen Jungen, verkündete Bill Clinton im Wahlkampf von 1992 das Ende einer Familienpolitik, die dazu führte, daß Frauen ab dem 13. Lebensjahr immer wieder Kinder bekamen, um ihr Recht auf Sozialhilfe zu verlängern - auch weil er dies zu ändern versuchte, wurde Clinton, der Linke aus Arkansas, zum 42. Präsidenten der Vereinigten Staaten. Seit dem 1. Januar 1997 erhält eine us-amerikanische Mutter nur noch maximal fünf Jahre lang staatliche Versorgung. Damit will man auf höchstens zwei Kinder pro Gettomädchen herunter. Wegen dieser Regelungen traten Sozialpolitiker in Washington empört zurück. Sie wollten die »hilflosesten« Mitglieder der Gesellschaft nicht so unmenschlich behandelt sehen - und erwiesen sich als Rassisten. Denn die schwarzen Mädchen sind keineswegs begriffsstutzig: Mittlerweile verhüten sie und suchen sich Arbeit. Heute liegt die Kinderzahl pro Afroamerikanerin nach aktuellsten Zahlen aus Kalifornien bei nur noch 1,66 Kindern. Auch US-Amerika sucht deshalb nun nach Wege zu einer zweifachen Mutterschaft auf hohem Bildungsniveau. Jener Lebensweg, den Clinton damals verstellte, ist für eine Nation deshalb so destruktiv, weil er nur die Töchter der Unterschicht versorgt, ihre Brüder aber nicht durch viele Vaterschaften an Unterhalt gelangen können. Sie verdienen nicht einmal die Steuern für ihre kinderreichen Schwestern. Und doch wollen auch sie alles haben. Frankreich, das jeder Mutter für das dritte Kind mehr zahlt als für das zweite und für das fünfte noch einmal mehr als für das dritte, steht bereits in regelmäßigen Scharmützeln mit seinen unverwendbaren Söhnen. Warum sollte es Deutschland anders ergehen? Attraktive Offerten für ein zweites Kind auch im höheren Bildungsmilieu sind nur finanzierbar, wenn Leistungen für alle weiteren Kinder entfallen. Heute zur Sozialhilfe verführte Frauen werden dann so gut verhüten wie nach 1997 die Mädchen in den Gettos von Los Angeles. Das Grundgesetz garantiert auch weiterhin allen Bürgern das Recht auf Vermehrung. Die Politik aber fördere nur noch zwei Kinder pro Frau und darf dafür den Steuerzahler auch belasten. Alles darüber hinaus bleibt - wie früher auch - Teil der selbst zu bezahlenden Glückssuche.“ (Ebd.).

„Neben einer Gesetzgebung für nur noch zwei staatlich geförderte Kinder gehört ein Kassensturz in die Familienpolitik. 40 verschiedene Behörden verwalten in Deutschland etwa hundert verschiedene Maßnahmen für Familien. Sie verfügen jährlich über 160 Milliarden (so das Rechenergebnis der Deutsche Bundesbank) bis 240 Milliarden Euro (so das Institut für Weltwirtschaft in Kiel). Mitgerechnet sind dabei die beklagenswerten staatlichen Kindergarten-, Schul- und Hochschulsysteme. Das ist sehr viel sinnvoll einsetzbares Geld. Die über drei Jahre zu zahlenden Beträge für zwei Kinder müssen unabhängig vom Einkommen gezahlt werden. Denn welches Argument könnte dafür sprechen, einer ohnehin schlechter Gestellten - ob sie nun aus Palästina oder Vorpommern stammt - weniger gute Voraussetzungen für ihr von der Gesellschaft doch ausdrücklich gewolltes Kind zu ermöglichen? Das Stammtischgerede von der »Schlampe«, die auf Staatskosten ihre Kinder verkommen läßt, lebt ja vom jetzigen System, das sich erst durch eine Reihe von Geburten rechnet und daher zu immer weiteren Kindern animiert, um auf deren Rücken durchs Leben zu kommen. Dem Betrag für das zweite Kind muß der Löwenanteil der Mittel vorbehalten bleiben. Die Sehnsucht nach dem ersten sorgt ja bisher schon für Resultate und wird sich auch noch über 20 Prozent dessen freuen, was es für das zweite geben sollte. Und beim Gedanken an dieses zweite Kind muß die Vorstellung, bei seinem Ausbleiben auch noch einen üppigen Vermögensverlust von - sagen wir - 90000 Euro zu erleiden, richtig wehtun. Das aktuelle Angebot von 22000 Euro Elterngeld für 14 Monate reicht dafür nicht. Doch die Dreijahresperspektive könnte die Konkurrenz aushebeln. Es hieße nicht mehr so leichthin: Du kriegst das Kind, und ich ergattere deinen Posten. Wer verzichtet schon vorschnell auf 90000 Euro und die selbstbestimmte Zeit mit dem Kind?“ (Ebd.).

Gespräch im „Philospohischen Quartett“(TV-Sendung; 13.11.2005): Die Diktatur des Kapitals **

„Wir haben seit 1990 elf Millionen Menschen ins Land gelassen, davon zehn Millionen ohne Qualifikation.“ (Ebd.).

„Dieses Problem lösen wir nicht durch Erhöhung des Rentenalters, und wir lösen es nicht durch unqualifizierte Einwanderer, wir lösen es wahrscheinlich auch nicht durch qualifizierte Einwanderer, weil die knapp sind. Und wenn es welche gibt, dann gehen die in die angloamerikanische Welt von Alaska bis Neusseeland. Die suchen jedes Jahr 1,5 Millionen; aber die suchen natürlich nicht Unqualifizierte, sondern ... »foreign talent« oder »skilled immigration« (also: Qualifizierte! Anm. HB). Das heißt, man sagt: Sie müssen was können, und sie kriegen keine Sozialhilfe! Das ist eine ganz andere Zugangslösung für das Problem; denn dasselbe Problem haben die auch; die haben auch fallende Geburtenraten und können sich aus dem Bestand nicht ersetzen.“ (Ebd.).

„(Verwandeln von) Besitz in Eigentum. Dadurch können die Leute zu einer Bank gehen und einen Kredit aufnehmen. Dafür muß man nämlich Eigentum verpfänden. Sonst kriegt man den Kredit nicht. Dafür müssen sie aber, wenn sie den Kredit jetzt haben, Zinsen bezahlen können. Und um diese Zinsen zu verdienen, müssen sie Erfindungen machen. Weil sie aus derselben kurzen Zeit von 365 Tagen immer zusätzlich den Zins 'rausholen müssen.“ (Ebd.).

„Die Koreaner und Chinesen ... machen Preußen nach - das von 1810 - und nichts anderes.“ (Ebd.).

„Kapital ist eine geschuldete Geldsumme. Die muß ich tilgen. Die muß ich verzinsen. Wenn ich das nicht schaffe, kommt die Bank und vollstreckt mir mein Eigentum, verliere ich mein Eigentum, bin ich meine Existenz los. Das ist die Peitsche. Daß ich Angst habe, mein Eigentum zu verlieren. Deshalb strenge ich mich an, daß ich den Zins verdiene durch Erfindungen die die Leute brauchen, da sie mein Waren kaufen. Wenn ich dabei scheitere, gehe ich unter. Und je mehr Nationen und je mehr Einzelmenschen auf der Erde in diesem System 'reingehen ..., desto mehr Konkurrenz haben wir. Wir haben ... eine Verfünffachung oder Versechsfachung derer, die miteinander konkurrieren und deshalb miteinander konkurrieren müssen, um die Vollstreckung abzuwehren. Also: In der Eigentumsgesellschaft gibt es einen Diktator - das ist der Gerichtsvollzieher.“ (Ebd.).

„Wenn Sie ein »Lamm« und betrachten die Begegnung zwischen »Tiger« und »Lamm«, dann denken Sie da ganz anders drüber als in der Zeit. als Sie der »Tiger« waren. Der »Tiger« war beispielsweise Deutschland zwischen 1820 und 1970 - sage ich mal rund -, die 150 Jahre hat Deutschland globalisiert, hatte Deutschland die besten Produkte, fegte Deutschland andere von den Märkten. .... Der »Tiger« war Deutschland. Und diese Globalisierungsmotorik hat Deutschland verloren. .... Die hat China heute. China hat die optimistischste Bevölkerung der Menschheit.“ (Ebd.).

„Ich glaube nicht, daß die Deutschen ihre Innovationskraft zurückgewinnen, die sie dazu geführt hat, die anderen Länder zu globalisieren.“ (Ebd.).

„Wir drehen es nicht mehr 'rum. Also gehen wir mit weiteren Schulden zugrunde.“ (Ebd.).

„Wir haben 65 Nationen auf der Erde, die schrumpfende Bevölkerungen haben. Deutschland ist ein davon und ist nicht in der allerschwersten Lage. Das ist ein gemeinsames Problem von all diesen Ländern, das Deutschland auch hat, und weil die das alle haben, jagt einer dem anderen die Arbeitskräfte ab.“ (Ebd.).

„Das Problem ist ..., daß eien Nation um so erfindungsreicher ist, je mehr Söhne um die Liebe der Mutter in den Familien konkurrieren. Bei uns konkurrieren keine Söhne mehr um die Liebe der Mutter, denn sie hat nur 0,6 Söhne. .... Und mit einer schrumpfenden und zugleich vergreisenden Gesellschaft verlieren sie diesen Faktor. Nicht nur Deutschalnd verleirt diesen Faktor. Viele Nationen verlieren diesen Faktor. Und jetzt können wir sehen, wer bei diesem Untergehen, bei diesem Heruntergehen bleibt. Es ist ein »Rückbau«.“ (Ebd.).

„Hier sehe ich noch eine Chance, daß man sagt: 2, 3, 4 Millionen (Qualifizierte sind gemeint! Anm. HB) zu uns und nicht nach Australein, nicht nach Kanada, nicht nach USA. Da sehe ich keinerlei Bemühung.“ (Ebd.).

Finis Germaniae? (in: Kursbuch [162]; November 2005) **

„Naturwissenschaftliche Pionierleistungen und technische Großleistungen erwartet die Welt ... aus Mitteleuropa. 1914 verfügen die beiden Kaiserreiche von Berlin und Wien über 100 von 1000 kampffähigen Männern (15 bis 29 Jahren) weltweit. Bei der heutigen Supermacht USA sind es mit 30 nicht einmal ein Drittel davon. Großbritanniens Landstreitkräfte haben einen Umfang, der – so spottet Bismarck – ihre Festnahme durch die preußische Polizei erlaubt.“ (Ebd.).

„Die Niederlage von 1918 erklärt sich später einer der Geschlagenen aus mangelnder Rücksichtslosigkeit. Gewissensbisse, die er für eine jüdische Erfindung hält, sollen von nun an keinen deutschen Triumph mehr verhindern. »Wenn ich Krieg zu führen habe … würde (ich) ihn nicht wie das Deutschland Wilhelms II. führen, das ständig Gewissensqualen wegen der vollständigen Anwendung seiner Waffengewalt hatte. Ich werde bis zum letzten rücksichtslos kämpfen.« (Ernst G. Deuerlein, Hitler - Eine politische Biographie, 1969, S. 144),“ (Ebd.).

„70 Prozent aller Europäer wollen die EU als Supermacht im Rang der USA sehen, und 59 Prozent lehnen deren globale Führungsrolle rundweg ab. Aktiv betreiben eine solche Politik bisher jedoch nur die Führungen Deutschlands und Frankreichs.“ (Ebd.).

„Heute schrumpft Berlin von allen Megastädten der Erde am schnellsten. .... In Frankreich sorgen vor allem Araber und Schwarzafrikaner mit höheren Kinderzahlen dafür, daß man nicht noch schneller zurückfällt. Da sie sich auf eine konkurrenzferne Existenz am unteren sozialen Rand einstellen, greifen sie die großzügigen Prämien für Gebären und Erziehung bereitwillig ab. Mit ihrem Kindersegen schaffen sie eine neue Dienstbotengesellschaft. Kindermädchen und Köchinnen sind wieder bezahlbar. In den USA sorgen die katholischen Hispanier für einen ähnlichen Effekt. Die weiße us-amerikanische Akademikerin aber hat nicht mehr Kinder als eine deutsche (ca. 1,0).“ (Ebd.).

„In Deutschland ... scheint man sich von Sozialhilfehaushalten viel zu erhoffen. Sie bilden nämlich den einzigen nicht schrumpfenden, sondern sogar kräftig wachsenden Familientypus. Im noch bescheidenen Westdeutschland von 1965 (2,3 Kinder pro Frau) lebten 160000 Kinder unter 18 Jahren von Sozialhilfe. Bis 2002 (nur noch 1,3 Kinder pro Frau) wird – jetzt für Gesamtdeutschland – bereits für 1,02 Millionen Kinder bezahlt. In »demokratischen« Ländern gewinnen auch Minderheiten politischen Einfluß, wo Vorsprünge von zwei oder drei Prozent nationale Wahlen entscheiden. Muslime können bisher nur in Frankreich (10 Prozent) innenpolitische Anliegen und außenpolitische Vorlieben durchsetzen. Es wird zwar nicht ermittelt, wie hoch der Islamanteil am französischen Nachwuchs liegt. Treffen die 20 bis 30 Prozent aber zu, von denen geredet wird, dann werden im Jahr 2050 über 50 Prozent der produktiven Bevölkerung Muslime sein.“ (Ebd.).

„Wachsende Minderheiten können demographische Verluste ausgleichen, bei den Einheimischen aber eine gegenläufige Bewegung provozieren. Überall in der entwickelten Welt gilt nämlich, daß die Tüchtigen sich nicht nur ihre Firma, sondern auch den für sie zuständigen Nationalstaat auswählen können. Denn alle OECD-Nationen liegen bei den Geburten unterhalb der Nettoreproduktion, die USA erreichen sie so gerade. Alle reichen Länder kämpfen also längst um die Talente der Nachbarn. Beim Betreten der kanadischen Botschaft für die Auswanderungspapiere nach Vancouver mag man aus australischem Munde die Vorzüge Sidneys zugeraunt bekommen, nachdem man dem Kiwi und seinen Anpreisungen der Naturbelassenheit Neuseelands gerade entkommen ist.“ (Ebd.).

„Aus Angst vor Muslime in Frankreich bringen sich heute schon manche Mitglieder der jüdischen Minderheit in Sicherheit. Fast alle politischen Gewalttaten der hinzu gewonnenen treffen sie und oft genug gibt es bei den Schaulustigen keine Hilfe für die Bedrängten. Nach einem Ha«aretz-Bericht vom 3. März 2005 denken von den 520000 Juden Frankreichs über 50 Prozent an Auswanderung.“ (Ebd.).

„In krassem Gegensatz zur Anglo-Welt wird den deutschen Empfängern von Sozialleistungen immer noch versichert, daß man den Hochqualifizierten die Gehälter kappen und die erlangten Beträge nach einem Schwundgang durch die Taschen der Staatskasse an sie weiterleiten werde. Mit solchen Zusagen lassen sich Wahlen umso leichter gewinnen, je mehr Bürger über Transfers bereits teil- oder ganz versorgt werden. In Frankreich und Deutschland ist das gegenüber den USA ein Mehrfaches. Und obwohl gerade in Deutschland die Wohlstandsdifferenz zwischen unten und oben im inter- nationalen Vergleich gering ausgeprägt ist, befürworten 71 Prozent der politisch Interessierten eine noch stärkere Umverteilung »von den Reichen zu den Armen« (INFRATEST DIMAP, für: Die Welt, 16. September 2005). 56 Prozent der Westdeutschen und 66 Prozent der Ostdeutschen halten im August 2005 den »Sozialismus für eine gute Idee, die bislang nur schlecht ausgeführt worden ist« (INFRATEST DIMAP, für: Die Welt, 16. September 2005).“ (Ebd.).

„Die USA (lediglich 1 Prozent Muslime im Jahr 2005) werden islamischem Druck am längsten widerstehen können.“ (Ebd.).

„Der ... slawische Raum hat viele seiner Mobilsten in den letzten 15 Jahren bereits abgegeben. 15-20 Millionen sind nach Westen gegangen und haben dafür gesorgt, daß´die osteuropäischen Bevölkerungen nicht nur stagnieren, sondern längst schrumpfen. Die Bundesrepublik hat nicht einmal 750000 dieser Besten an sich ziehen können. Wie man schon 1997 bei den Hongkong-Chinesen geschlafen hat – Kanada holt sich eine Million –, behält man aus Osteuropa oft gerade diejenigen, die ohnehin lieber in der Illegalität verbleiben. Die slawischen Territorien außerhalb der EU leiden längst unter Implosionssymptomen. Energieversorgungen und Transportsysteme brechen zusammen, Unterhaltungsleistungen sinken oder kommen gar nicht erst zur Auszahlung. Schon im Jahre 2000 warnte die CIA davor, hier gar Bündnispartner zu suchen, weil einem alsbald nur noch Schützlinge auf der Tasche liegen werden. (Vgl. CIA, Global Trends 2015 - A Dialogue About the Future With Nongeovernment Experts, 2000, S. 43).“ (Ebd.).

„Ethnische Russen rücken stetig aus Sibirien ab und überlassen es den Ureinwohnern, die in Nordamerika Eskimos oder Indianer heißen würden. Sie entscheiden sich immer weniger für Moskau oder Petersburg, sondern fliegen gleich nach Toronto oder Seattle. Weit reisen müssen sie allemal, und die Heimat zeigt keinerlei Anzeichen für zukunftsträchtige Leistungen in auch nur einem einzigen High-Tech-Segment. Siedler für diese ungeheuren Territorien gibt es nicht einmal vom südlichen Nachbarn China, wo die Geburtenrate pro Frau mit 1,7 hinter die USA ... zurückgefallen ist. Die Rohstoffe des Riesenraumes aber braucht der ab 2010 größte Exporteur der Erde so dringend wie der Verdurstende das Wasser. Man wird die Mineralien oder gar die dazugehörigen Territorien allerdings eher kaufen als erobern. Gleichwohl könnte einem Handstreich chinesischer Armeen vom vergreisten Rußland (11 Millionen Söhne unter 15) nichts außer Atomwaffen entgegengesetzt werden. Die aber hat Peking auch und überdies Zugriff auf 148 Millionen Söhne unter 15, von denen – wegen höherer Tötung weiblicher Föten und Neugeborener – 15 Millionen zu Hause keine Ehepartner finden werden. Würde eine Moskauer Nomenklatura die eigene Auslöschung für »lediglich« schwere Verluste beim Gegner riskieren? Putin legt im Mai 2000 die 89 Regionen Rußlands zu sieben Föderationsbezirken zusammen, deren Grenzen den sieben alten Militärbezirken entsprechen. Sechs läßt er von Militärs und Geheimdienstoffizieren kommandieren. Er bereitet sich also vor.“ (Ebd.).

„Was nach Implosionen als zurückgelassener Rest aus den slawischen Nationen noch in den Westen strebt, würde hier weder produktiv werden noch Versorgung finden können. Was in einer solchen Völkerwanderung wiederum als jüngere Elite mit heraustreibt, wird überall im OECD-Raum nachgefragt. Warum sollte sie in ein bereits islamisch absinkendes Westeuropa streben? Die Festungen heißen dann einmal mehr USA und Kanada. Und auch dort kann man doch auf keinen Tüchtigen verzichten.“ (Ebd.).

„Einwanderer ohne Hochschulabschlusß und selbst länger arbeitende einheimische Akademiker können nämlich eines nicht – die kritische Masse begabter junger Leute bereitstellen, die von klein auf mit High-Tech heranwachsen, souverän mit ihr umgehen und sie dann ehrgeizig und voller Ungeduld auf neue Höhen führen wollen. Diese Essentials für ein Verbleiben Deutschlands in der ersten ökonomischen Liga wird man nicht einfach Schwarzafrikanern oder Muslimen aufbürden können. Da aber gerade sie am ehesten hereindrängen, gibt es für die demographischen Probleme Deutschlands und auch der übrigen Länder Kontinentaleuropas keine elegante Lösung.“ (Ebd.).

„Finis-Germaniae-Seufzer haben sich schon öfter als voreilig erwiesen. Dennoch sieht die Lage nicht gut aus. Nichtgeborene vollwertig zu ersetzen, ist kaum einfacher als Tote aufzuwecken.“ (Ebd.).

„Die Hexen-Bulle von 1484 entfaltete auf dem Alten Kontinent ... umgehend Wirkung für die »Repöplierung« nach dem Bevölkerungsabsturz von 80 auf 50 Millionen seit der Großen Pest von 1348-1352. Europaweit verhängt Papst Innozenz VIII. die Todesstrafe für »Personen beiderlei Geschlechts … welche die Geburten der Weiber umkommen machen und verursachen … daß die … Frauen … nicht empfangen«. (Jakob Sprenger / Heinrich Institoris [Krämer], Malleus maleficarum: Der Hexenhammer, 1486). »Abgesehen« vom immer schon bestraften Schadenszauber, so präzisiert der 1486er Hexen-Hammer als Rechtskommentar zur Bulle, ist nunmehr eine »siebenfache Hexerei« auszurotten, deren Delikte durchweg den »Liebesakt und die Empfängnis im Mutterleibe mit verschiedenen Behexungen infizieren«. (ebd., a.a.O., S. 107).“ (Ebd.).

„Secundones, also Zweit- und Nachgebore, nennen die Spanier ihre jugendlichen Konquistadoren. Auch sie werfen sich nieder und schreien zum Herrn, bevor sie zum Töten schreiten, aber ihr »Gold, Ruhm und Evangelium« gewährt der Religion doch nur den letzten Platz. Bis zum Ersten Weltkrieg erzeugt Europa ununterbrochen Youth Bulges, also eine übermäßige Ausstülpung der Bevölkerungspyramide bei den 15- bis 29-Jährigen. 30 bis 45 von 100 männlichen Einwohnern unterstehen dann den Rekrutierungsbehörden. Vier Jahrhunderte lang werden Geburtenraten wie heute im Gaza-Streifen oder in Uganda erzwungen. Wie ein nicht endender Mongolensturm holt sich die Alte Welt mit diesem Überschusspotential bis 1918 neun Zehntel der Erde. Dabei werden für das direkte Unterwerfen und Töten weniger als 500000 Mann eingesetzt, und auch die gesamte Siedlerzahl erreicht zwischen 1500 und 1900 gerade einmal vierzig Millionen.“ (Ebd.).

„Im Jahr 1492 kommen im weltweiten Vergleich von 1000 Männern im besten Kampfalter (15- bis-29-Jährigen) gut 100 aus Europa. 1914 sind – unter Einschluß von Nordamerika, Australien und Neuseeland – von 1000 Wehrfähigen weltweit 350 Weiße. In Kombination mit ihrer eigentumsbasierten Ökonomie wird ihnen die Beherrschung des Globus zum Spaziergang. Europas Lehrer und Pfarrer predigen Imperialismus und soldatischen Geist wie biologische Wahrheiten. Bald kann man sich nur noch untereinander die Kolonien abjagen. Nach den 10 Millionen Gefallenen von 1914 bis 1918 aber geht es rasant abwärts. In fast allen westlichen Nationen werden Lohnabhängige zur Bevölkerungsmehrheit. Eigentumsökonomien, in denen am Ende über 90 Prozent abhängig erwerbstätig sind, scheitern fast überall an der Nettoreproduktion von 2,1 Kindern pro Frauenleben. Die Menschen stehen in keinem ökonomisch motivierten Generationenvertrag mehr. Ihre Absicherung bei Notfällen erfolgt nicht durch Übergabe eines Eigentums (Hof, Handwerk, Fabrik, Laden u.s.w.) an den Nachwuchs, der als Gegenleistung die Eltern bei Alter und Krankheit versorgt. Fortpflanzung gibt es bei Straffreiheit von Geburtenkontrolle also nur noch aus emotionalen Gründen. Da bereits ein Kind dieses Sehnen erfüllen kann, tendieren die Geburtenraten deutlich unter zwei und fallen bei ausbleibenden Gegenmaßnahmen sogar unter eins. Im Jahre 2005 schaffen nicht einmal die reichsten Länder der Erde die Nettoreproduktion von 2,1 Kindern pro Frauenleben: Luxemburg mit einem jährlichen Pro-Kopf-Einkommen von 59000 Kaufkraft-Dollar bringt 1,79 Kinder, in Norwegen mit 41000 Kaufkraft-Dollar sind es 1,78.“ (Ebd.).

„Im selben Maße, wie die hoch qualifizierte Männergruppe wächst, nimmt die Zahl von Versorgungsangeboten an potentielle Mütter ab. Wollen die Frauen gleichwohl überleben, müssen auch sie in den Wettstreit um Geldlöhne eintreten dürfen. Dafür erkämpfen sie noch im 20. Jahrhundert ihre Emanzipation, also Gleichberechtigung beim Schließen von Arbeits-, Miet- und Kaufverträgen sowie im Wahlrecht und beim Ämterzugang. Im Jahre 2005 rivalisieren über 90 Prozent aller Männer und Frauen auf den Arbeitsmärkten so hart wie 1925 die Minderheit der Spitzenmanager. Um Männer und Frauen auszustechen, setzen auch Frauen ihre stärksten und zugleich gebäroptimalen Jahre (15 - 35) für den Weg nach oben ein. Monetäre Gebäranreize, die diesen Aufstiegszwang brechen könnten, sind in der Weltkonkurrenz nicht bezahlbar.“ (Ebd.).

„In diesen Mechanismus des Geburtenrückgangs läßt sich jede beliebige Religion einfüllen, ohne daß er sich ändert. Im Jahre 2005 etwa liegen die islamische Türkei und der multireligiöse Libanon bei 1,95 Kindern pro Frau, also hinter den USA. Das erklärt, warum der allenthalben erwartete Bürgerkrieg im Libanon nicht ausbricht, als die Syrer im Frühjahr 2005 abziehen müssen. Zwischen 1975 und 1990 hingegen, als sich 150000 Libanesen gegenseitig umbringen, agieren die 1950-bis-1965-Geborenen, und in der Periode haben Libanons Frauen über sechs Kinder. Die großen Tötungen in der Türkei zwischen 1980 und 2000 (40000 Linke, Kurden, Soldaten etc.) besorgen die Jahrgänge 1950 - 1970, als 5 bis 7 Kinder pro Mutter geboren werden. Politiker, die den Eintritt der Türkei in die EU irgendwann nach 2015 verhindern wollen, um Deutschlands Überschwemmung mit Anatoliern zu verhindern, werden das Land zu diesem Zeitpunkt ablehnen müssen, weil man nicht auch noch seine Rentenprobleme lösen könne.“ (Ebd.).

„Von den alten Mächten versuchen in den 1930er Jahren noch einmal Italien und Deutschland, Siedlungsräume an sich zu reißen. Dazu schlägt sich Japan, das im Ersten Weltkrieg nicht einen Mann verliert. Zwischen der Vernichtung der russischen Flotte in der Straße von Tshushima im Jahre 1905 und dem 1941er Angriff auf die us-amerikanische Flotte in Pearl Harbor legen die Ostasiaten von 45 auf 75 Millionen Menschen zu. .... Im Jahre 2005 ist der Weltanteil der »Weißen« auf das Niveau von 1500 zurückgefallen. Japan fällt mit. Wenn die besten Forscher der 1980er und 1990er Jahre das 21. Jahrhundert zum »japanischen« erklären, dann ist diese groteske Fehleinschätzung ihrer Überzeugung von der Irrelevanz demographischer Faktoren geschuldet. Nach Monaco (Durchschnittsalter: 45) ergraut kein Land so schnell wie Japan (43), das überdies schlechter als jedes andere OECD-Land auf die Integration von Fremden eingestellt ist. Die »Weißen« stellen 2005 nur noch 120 von 1000 jungen Männern weltweit. Die wachsen als einzige Söhne oder gar Einzelkinder auf, die mit ständig wachsendem Erfolg zur Gewaltlosigkeit erzogen werden.“ (Ebd.).

„Die gewaltige Wucht der in Europas kolonialem Herrschaftsraum triumphierenden jungen Männer wird erst nach den »Befreiungs«-Kriegen voll ausgespielt. Während für die Vertreibung der Weißen deutlich unter einer Million Toten auf beiden Seiten zu Buche stehen, geht es nun in eine ganz andere Dimension. Die Revolutionen fressen dabei aber nicht ihre Kinder, sondern die Brüder aus den siegreichen Youth Bulges. Wo man einen Weißen von seinem Posten gejagt hat, wollen von dort nun zwei oder drei Aufständische dem Volke dienen. ... Und doch werden bis 2020 in anderen Weltregionen etliche hundert Millionen zweite bis vierte Brüder für neue Kämpfe bereitstehen. Zu jedem beliebigen Zeitpunkt sind das mehr als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit. Werden auch die wieder mit Thomas Hobbes beweisen wollen, wie gut der Krieg noch jeden Mann durch Sieg oder Heldentod versorgen kann?“ (Ebd.).

„Der seit Oswald Spenglers Buch von 1917 immer wieder prophezeite Untergang des Abendlandes rückt näher ....“ (Ebd.).

„Im September 2002 hält Präsident Bush die militärische Kraft seines Landes für »unprecedented« (historisch noch nie da gewesen). Davon kann keine Rede sein. »Unprecedented« steht US-Amerika lediglich zwischen 1941 und 1949 da, als man die beiden Großreiche Deutschland und Japan zerschlägt, gleichzeitig das Britische Imperium und die Sowjetunion über Wasser hält ....“ (Ebd.).

„Die North American Free Trade Association (NAFTA) dürfte 2050 mit 610 Millionen Einwohnern auf knapp 22 Millionen Quadratkilometern immer noch ganz weit vorne stehen. Dabei sind die Implosionsflüchtlinge aus Europa und womöglich auch Japan und Korea nicht einmal mitgezählt. Die Globalstrategie der USA bis 2020 / 2025 bestimmt sich – eben der fortlaufenden Rivalität mit China wegen – aus dem Jungmännerüberschuss von über 80 Staaten. Schon am 5. Februar 1997 informiert Generalleutnant Patrick M. Hughes, damals Direktor der US Defence Intelligence Agency, die Geheimdienstausschüsse des us-amerikanischen Kongresses: »Eine globale Bedrohung und Herausforderung der Vereinigten Staaten sind ›Youth-Bulge-Phänomene‹ … die auch historisch die Schlüsselgröße für Instabilität gewesen sind.« Einen zukünftigen Youth Bulge (30 bis 45 Prozent aller männlichen Einwohner im Alter von 15 bis 29) kann es nur bei einem vorhergehenden Children Bulge geben (33 bis 52 Prozent aller männlichen Einwohner im Alter von 0 bis 15). Im Jahre 2005 verfügen 68 der 125 bevölkerungsreichsten Länder (davon 62 mit aktuellen Tötungen) 16 über einen Children Bulge mit über 600 Millionen Söhnen (ohne China, aber mit Indien) gegen die 31 Millionen der USA. Für 300 Millionen der jungen Männer wird auf ein akzeptables Unterkommen daheim gehofft. Auf die zweite Hälfte bereitet man sich vor. Entsprechend lautet die globalstrategische Frage: Können 300 Millionen zweite bis vierte Brüder, die Hälfte davon aus dem Islam, in nur 15 Jahren (2005 bis 2020) die Leistung von 20 Millionen Söhnen Europas wiederholen, die sich über 400 Jahre gestreckt die Erde unterwerfen? Die daraus resultierende militärische Frage steht unter der völkerrechtlichen Prämisse, daß die USA gegen diese Massen nicht genozidal, also nicht mit Massenvernichtungswaffen, vorgehen darf und lautet dann: Wie oft kann man den einzigen Sohn hinausschicken, um draußen zehn überzählige Brüder vom Kämpfen und Töten abzuhalten? Grundsätzlich geht das kein einziges Mal. Aber schon im Afghanistankrieg stehen die GIs gegen junge Al-Qaida-Männer aus 43 Nationen, wie man nach Befragung der Guantanamo-Gefangenen erfährt.“ (Ebd.).

„Das Vorgehen der USA muß sich den klassischen sechs Optionen für überzählige junge Männer anpassen: (1) Emigration bzw. unblutige Kolonisation mit allerdings hohem Unruhepotential bei Scheitern auch in der Fremde; (2) Kriminalität; (3) Aufstand oder Putsch; (4) Bürgerkrieg und Revolution; (5) Beseitigung von Minderheiten und Völkermord und (6) Angriffs- und Eroberungskrieg bzw. blutige Kolonisation. Strategisch einschlägig ist die Option (6) Eroberung, soweit solche Vorstöße für eine Reichsbildung Interessen der Führungsmacht berühren oder sie gar direkt treffen. Zur Vermeidung von grenzüberschreitenden Kriegen wird also darauf geachtet, daß die Youth-Bulge-Kämpfer sich auf die ersten fünf Optionen innerhalb der Grenzen ihrer Nation beschränken.“ (Ebd.).

„Die Kriege gegen Afghanistan (ab Herbst 2001) und Irak (ab Frühjahr 2003) können deren Youth Bulges nicht zum Verschwinden bringen (ganz im Gegenteil! Anm. HB) . Sie verwandeln aber grenzüberschreitende Aggressionen in innere Kämpfe und einheimischen Terror. Das entgeht beispielsweise der deutschen Regierung, als sie 2500 Mann in den Norden Afghanistans schickt (Oktober 2005), weil sie ihrer Pazifismusrhetorik treu bleiben will: »Irakkrieg wegen fehlender Megatötungswaffen nein!«, aber »Friedensmission am Hindukusch selbstverständlich!« Die von dorther kommenden Angriffe sind jedoch nur gegenüber den USA gestoppt.“ (Ebd.).

„Nach den 55 Toten vom Londoner 7. Juli 2005 durch eingewanderte Pakistani wird sehr schnell das Elend in ihrem Herkunftsland beklagt. Auch soll Pakistans 1947er »Geburtsfehler« einer gescheiterten Trennung von Religion und Staat genau 58 Jahre später seine verheerenden Wirkungen entfalten. Der ununterbrochene Youth Bulge mit einer Verachtfachung der Bevölkerung zwischen 1930 (gut 20 Millionen) und 2005 (über 160 Millionen) wird weder erwähnt, noch gar mit Gründen für irrelevant erklärt. Daß Terror und Töten gerade aufblühen, als sich Pakistans Pro-Kopf-Einkommen versechsfacht (350 auf 2200 Kaufkraftdollar von 1970 bis 2005), fällt wegen Unvereinbarkeit mit dem Verelendungsargument ebenfalls unter den Tisch.“ (Ebd.).

„Daß der Sieg über den Hunger der Dritten Welt auch den Krieg besiegen wird, verheißen Friedensforscher in immer neuen Werken. Die Youth-Bulge-Analyse jedoch findet, daß nach der Sättigung das Töten erst richtig losgeht. Denn die von den Ehrgeizigen erstrebten Positionen lassen sich nicht so schnell vermehren wie Nahrung, Schulbücher und Impfstoffe. Gerade bei zunehmendem Wohlstand verschärft sich noch der ewige Jungmännerzorn, wenn er mit ökonomischer Unterbeschäftigung, sexueller Frustration und demographischer Überzähligkeit kombiniert wird. Um Brot wird gebettelt, um Macht wird geschossen. Ob im aktuellen irakischen Bürgerkrieg ... Tötungszahlen wie unter Saddam herauskommen, wird sich zeigen müssen. Erst dann aber würde die Anklage fast aller Experten Sinn machen, daß Iraqi Freedom mehr Opfer gebracht als verhindert habe. Bisher steht man einschließlich aller Kriegs-, Bombardierungs- und Attentatstoten bei weniger als zehn Prozent der 1,5 Millionen Kriegstoten unter Saddam. Auch das Personal für Außenterror könnte – allerdings nur kurzzeitig – reduziert sein, da sich Al-Qaida-Männer aus der ganzen Welt in Mesopotamien zum »Endkampf« stellen und dort beträchtliche Verluste erleiden. .... Ihr Zorn gewinnt durch die USA einen »nobleren« Vorwand für den Konkurrenzkampf um die Spitzenpositionen ihres Landes, als es der schnöde Brudermord je sein könnte. Die älteren gehen ganz unfanatisch in die Produktion, und die nächsten melden sich bei Polizei und Armee. Dennoch bleiben jede Menge dritte und vierte Söhne, die sich vor den Arbeitsämtern und Rekrutierungsbüros in die Luft sprengen und den Irak in die Failed-State-Ecke drücken .... Die dabei zu beklagenden 3000 Toten der letzten achtzehn Monate füllen täglich die Medien. Von den im selben Zeitraum ins Kampfalter gelangten 550000 Irakis berichtet so gut wie niemand. In Massenbewegungen haben es Religionen so gut, weil die jungen Männer die bekämpften Eliten zwar liquidieren, aber nicht als gewöhnliche Mörder oder suizidale Psychopathen ins Amt kommen wollen. Um ehrbare Scharfrichter zu bleiben, suchen sie eine hehre Warte, von der her das Töten wie eine große, aber gewiss auch letzte Härte vor dem Heil anmutet. Deshalb werden Europäer der frühen Neuzeit zu bewaffneten Missionaren. Und deshalb führt die demographische Explosion der Muslime von 140 Millionen Menschen 1900 (global 10 Prozent) auf 1,4 Milliarden 2005 (global 22 Prozent) und 2,8 Milliarden im Jahre 2050 (global 30 Prozent) zu einer Islamistenwelle, die noch vieles mit sich reißen wird. Europa hat für seine demographische Weltdominanz dreimal so viel Zeit benötigt.“ (Ebd.).

„Das Streben nach Ehrbarkeit bei der Gewaltausübung formuliert der 25-jährige Pakistani Hassan Butt aus Manchester. Der bekennende Sympathisant für die Londoner Attentäter, der auch britische Muslime zum Kampf gegen den Westen in Afghanistan rekrutiert, spricht im August 2005 mit der Zeitschrift Prospect: »Schon lange vor meiner Zeit als praktizierender Muslim war ich sehr hitzköpfig. Diese Hitzköpfigkeit führte uns auf einen zerstörerischen Weg. Viele Leute, mit denen ich aufwuchs, wandten sich Drogen zu, verstrickten sich in Kriminalität und Prostitution – und das bereits in recht jungen Jahren. Ich erinnere mich noch sehr genau daran, wie ich dem ersten Moslem begegnete, der mir in einer Sprache, die ich verstehen konnte, den Islam nahe brachte. Er zeigte mir, daß eine Menge Wut und Frustration in mir steckte. Und er sagte mir, ich solle diese Energie in etwas Produktiveres lenken. Von da an begann ich, den Islam ernst zu nehmen. Obwohl wir, meine Brüder und ich, Hitzköpfe waren, wurden wir dennoch keine Straßengangster. Wir haben immer noch fleißig studiert und mit guten Noten unsere Prüfungen abgelegt.« Die Grausamkeiten kommen also nicht aus den frommen Büchern, sondern von denjenigen, die keine Killer werden wollen und deshalb die Folianten überhaupt erst entstauben. Die Erregung der jungen Männer kann deshalb mit Erläuterungen über den »eigentlichen« oder »wirklich gemeinten« Inhalt der heiligen Texte auch nicht abgestellt werden. Die kaum abreißende Flut von Artikeln über den üblen Einfluß von Koranlehrern verkehrt mithin Ursache und Wirkung. Wo zur Bewegung fähige Massen fehlen, vermögen selbst geniale Hetzer so gut wie nichts. Und selbst dort, wo Religionsschulen nachweislich ohne terroristisches Curriculum auskommen, hindert das die Absolventen nicht an ihren Taten für ein neues Kalifat von Spanien bis zu den Philippinen.“ (Ebd.).

„Weil Kolonisation – als Siedeln mit den jungen Frauen und Tötung oder Verknechtung des Restes – bisher unvorstellbar erscheint, beschränken sich die Youth-Bulge-Jünglinge gegenüber dem Westen auf Terror. Die Alternative zu ihm lautet also nicht Frieden, sondern – ganz wie zu Zeiten europäischer Konquistadoren – Eroberung und Reichsbildung. Bereits 1998 versichert der Koranlehrer Mohammed Fazazin in Hamburg-Sankt-Georg den Twin-Tower-Angreifern um Mohammed Atta: »Wir können ihnen gar nicht so viel wegnehmen, wie sie uns schulden. … Wir sind hier in einem kriegerischen Land, das den Islam und die Muslime bekämpft. … So dürfen wir uns ihre Töchter, Mütter, Frauen und Seelen nehmen.«“ (Ebd.).

„Um eines Tages nicht nur noch genozidale Waffen gegen die auf Reichsbildung setzenden Megaarmeen einsetzen zu können, müssen die USA dort entwickelte Megatötungswaffen wegverhandeln oder vorab ausschalten. Weil es dafür Erfolgsgarantien nicht geben kann, werden sie sich an der Befestigung des eigenen Lagers mit himmelhohen Mauern (Cosmic Shield) durch ... Klagelieder am allerwenigsten behindern lassen. Fernschlagkapazitäten sowie die us-amerikanischen und britischen Flugzeugträgergruppen sollen die dennoch unvermeidlichen Kriege gewinnbar machen. Gegen Großtötungen innerhalb der Youth-Bulge-Länder wird es bis dahin bei verbalen Empörungen und papiernen Protesten bleiben. Da das alles niemanden freuen kann, wünscht man sich die nächsten zwanzig Friedensnobelpreise nur für Persönlichkeiten, die Lösungen anbieten, wie der Machtwillen von 300 Millionen ohne Krieg und Gewalt gezähmt werden könnte.“ (Ebd.).

Kinder, Kinder (in: Die Welt; 24.12.2005) **

„Der von Birg mit Recht beklagte Spätstart des bundesdeutschen Demographie offenbart sich vor allem bei ihren historischen Ausflügen. Da ist man vom Gedankenreichtum der Zeit vor 1933 noch weit entfernt. Birgs Idee, der Geburtenrückgang sei eine »Nebenwirkung« des Erfolges der Bismarck'schen Sozialgesetzgebung, widerlegte schon Julius Wolf. Er wurde um 1900 zum Entdecker der seit 1860/'70 fallenden Kinderzahlen Europas (in einigen Ländern Europas schon seit Ende des 18. Jahrhunderts; Anm. HB).“ (Ebd.).

„Wolf fand heraus, daß nicht die Versorgung bei Krankheit und Alter durch den Staat die Leute von eigenen Erben unabhängig und alsbald kinderlos machte. Vielmehr wurden die Sozialgesetze gerade für Lohnabhängige erlassen, die ihren bürgerlichen Unterhaltspflichten schlicht nicht mehr nachzukommen vermochten, weil Vater und Sohn gleichzeitig arbeitslos sein konnten. Und da diese Lohnabhängigen ohnehin kein Erbe im Tausch für Versorgung anbieten konnten, tendierten sie zu Kinderlosigkeit, solange nicht mit Gewalt gegen die Geburtenkontrolle vorgegangen wurde.“ (Ebd.).

„Der Geburtenrückgang ist also nicht deutsch und auch nicht europäisch, sondern strukturgeboren. Abhängig Erwerbstätige schaffen sich im Wettstreit um qualifizierte Positionen Vorteile, wenn sie Zeit, Energie und Geld für lebenslanges Lernen einsetzen und nicht für Familie und Kindererziehung verbrauchen. Deshalb suchen zuerst Männer - das beginnt bei den bestbezahlten - nach Frauen, die bei der Kinderzahl nach unten und für die Erwerbstätigkeit nach draußen gehen. Bei einem Niveau von 80 bis 95 Prozent Lohnabhängigen in den 50 am meisten entwickelten Staaten kämpft heute jeder gegen jeden um die attraktivsten Jobs, weshalb auch Frauen ihre stärksten und zugleich gebäroptimalen Jahre (15-35) für den Weg nach oben einsetzen müssen.“ (Ebd.).

„Warum aber haben im Jahr 1850 geborene deutsche Lohnarbeiterinnen sieben Kinder, während 1970 geborene näher bei eins als bei zwei liegen? Über die dafür verantwortliche Bestrafung der europäischen Geburtenkontrolle hören Birgs Leser wenig.“ (Ebd.).

„Schon 1484 dekretiert die Hexen-Bulla für die »Repöplierung« Europas nach dem Bevölkerungsabsturz von 80 auf 50 Millionen seit der Großen Pest die Todesstrafe für »Personen beiderlei Geschlechts ..., welche die Geburten der Weiber umkommen machen und verursachen, ... daß die ... Frauen ... nicht empfangen«. Zwischen 1480 und 1500 begann infolgedessen die europäische Geburtenexplosion, deren Früchte alsbald den Großteil der Erde eroberten. Selbst die Mächtigsten wußten bald weniger von der Verhütung als heute ein zehnjähriges Kind.“ (Ebd.).

„Und ausschließen kann man eine neuerliche Vernichtung der Weisen Frauen nicht.“ (Ebd.).

Birg fordert die »Priorität für Mütter bei Stellenbesetzungen durch Frauen«.“ (Ebd.).

„Indes verhüllen Frankreichs vorbildlichen Antidiskriminierungsgesetze, wer da eigentlich die Kinder bekommt. Nicht einmal der Anteil der Muslime ist bekannt, so daß allenthalben mit nur geschätzten zehn Prozent argumentiert wird.“ (Ebd.).

„Welchen Anteil diese - sowie die christlichen Einwanderer aus dem Gebiet südlich der Sahara - am französischen Nachwuchs stellen, ist ebenfalls unbekannt. Sind es schon 30 Prozent? In jedem Fall stecken viele Araber und Schwarzafrikaner am unteren sozialen Rand, von dem aus sie die großzügigen Prämien für Gebären und Erziehung gern abgreifen. Mit ihrem Kindersegen sorgen sie für eine Wiedergeburt der Dienstbotengesellschaft, in der auch Mittel- und Oberschichtfrauen beim Nachwuchs zulegen, weil Kindermädchen und Köchinnen wieder bezahlbar werden. Noch muß sich erweisen, ob ein solcher Mix Frankreich ... zu halten vermag .... Die doch erst einmal schwer zu verdienenden Gebärprämien könnten sich mithin ganz anders auswirken, als Demographen erhofften.“ (Ebd.).

„Vor der Wahl zwischen ... Fortpflanzungsdiktatur und einem Eurabien in Frankreich mag für manchen der stetige Niedergang an Schrecken verlieren. Als Kaiser Augustus 14 vor Christus alle freien Römer um ihre Erbschaft bringen wollte, die nicht zuvor für Nachwuchs gesorgt hatten (**), mußte er eine Ausnahme billigen: Prostituierte. Daraufhin ließen sich viele der besser betuchten Frauen in die Hurenregister Roms eintragen und kamen so auch kinderlos an das elterliche Vermögen. Der Bevölkerungsschwund des Reiches gingungebrochen weiter, und der große Livius beschrieb jene Verwirrungen als die »Zeit, da wir weder unsere Gebrechen noch ihre Heilmittel ertragen konnten«. (**)“ (Ebd.).

„Ungeachtet aller Parallelen zur Gegenwart bleibt doch fraglich, ob heute alle verfassungsmäßigen Vorschläge schon auf dem Tisch sind.“ (Ebd.).

Gespräch im „Philospohischen Quartett“(TV-Sendung; 29.10.2006): Radikalismus und Bevölkerungswachstum **

„Wenn eine Nation über Jahrzehnte oder Jahrhunderte pro Frau drei oder mehr Söhne hat und nur einer, vielleicht zwei eine Chance finden, dann werden die überzähligen Söhne, wenn sie nicht friedlich auswandern können, der Gewalt in irgendeiner Form - von der Kriminalität bis zum Krieg - sich zuwenden.“ (Ebd.).

„Es geht über überflüssige junge Männer, die zugleich nicht hungern. Denn um Hunger wird gebettelt - der Hunger ist grausam, aber strategisch fürchtet ihn niemand -, um Positionen wird geschossen.“ (Ebd.).

„Am Anfang steht eine Bewegung, und dann will die Bewegung ehrbar sein, nicht kriminell, nicht mörderisch, und dann greift sie nach den Texten.“ (Ebd.).

„Die Verlegenheit besteht in der Tat darin, daß wir bisher nicht wissen, wie man ein solches Problem ... friedlich lösen kann. Ich würde sagen: Die nächsten fünfzehn Nobelpreise für Frieden an Leute, die eine unblutige Lösung für den Machtwillen von 300 Millionen jungen Männern - das sind die 300 Millionen, die in den nächsten fünfzehn Jahren fünfzehn bis neunundzwanzig Jahre alt sein werden.“ (Ebd.).

„England hat über vierhundert Jahre lang fünf oder sechs Kinder (pro Frau! Anm. HB) zuhause, und die reichen immer aus, um das Wachstum der Wirtschaft zu betreiben, um Bürgerkriege zuhause zu machen, um Kriege in Europa zu machen, um Eroberungen und Ausmordungen in der ganzen Welt zu machen und um noch zu besiedeln.“ (Ebd.).

„Als Lateinamerika seinen Youth bulge hat, von 1955 bis 1995, geht fast der ganze Kontinent hinein in die Diktatur, und die herrschenden Eliten begreifen, in einer Demokratie werden sie weggestimmt und ihre Position verlieren, und entscheiden sich für den Bürgerkrieg. Die jungen Männer teilen sich ziemlich gleich auf in eine Guerillas für die »Freiheit« und Soldaten für das »Gesetz«. Dann töten sie sich so lange gegenseitig weg, bis eine Balance erreicht ist. Dann können die Überlebenden Positionen einnehmen, und die Ideologie wird ganz schnell abgeworfen, und die Demokratie kommt auch wieder.“ (Ebd.).

„Gerade, was Sie sagen: »Anerkennung« - der Wunsch nach Wichtigkeit. Es gibt kein Menschenrecht auf Wichtigkeit, aber es ist der stärkste Wunsch, den die Menschheit kennt. Die Wichtigkeit ist halt verbunden mit bestimmten Positionen, und es sind immer mehr Wichtigkeitswünsche in einer Gesellschaft als Wichtigkeitkarrieren.“ (Ebd.).

„Die zweiten bis n-ten Brüder des Islam, die wissen schon auch, daß sie in ein Sexualleben, das es nur in Form des Ehelebens gibt, nur hereinkommen können, wenn sie eine Position erringen können - und das ist fast aussichtslos. Und dann gilt die Beobachtung von Thomas Hobbes, der schon 1651 beobachtet, wie gut der Krieg noch jeden jungen Mann durch Sieg oder einen sehr respektvollen Heldentod versorgen kann.“ (Ebd.).

„Europa verliert nach 1945 jeden Krieg, weil es das Personal nicht mehr hat, welche zu führen. Während die Kolonien acht, neun Kinder (pro Frau! Anm. HB) haben, haben die europäischen Frauen noch zwei bis drei. Und man hat in den beiden Weltkriegen gerade 15 Millionen junge Männer verbraucht. Das ist der Grund, weshalb - meines Erachtens- Europa friedlich wird und »erotisch« werden kann. .... »Make love not babies« ....“ (Ebd.).

„Das beste (aber nicht das einzige und doch bei einer bestimmten Mehrheit funktionierende) Verhütungsmittel ist immer die Verlohnarbeiterung, das heißt, daß eine Mehrheit lohnabhängig wird und nicht mehr über Erben ihr Alter und ihre Krankheit sichern muß.“ (Ebd.).

„Die Wut, die pubertäre Wut hat auch der einzige Sohn, wenn der 15 wird. .... »Angry young men« - die gibt es immer. Diese Kondition, würde ich sagen, ist ewig. Aber wenn sie jetzt zusätzlich in einer Überschüssigkeit stecken, in einer Arbeitslosigkeit und einer Kultur, die sagt: »Sexualleben gibt's nur, wenn du vorher eine Karriere gemacht hast«, dann kriegt diese Wut eine Verdreifachung, eine Vervierfachung, jedenfalls eine Verschärfung. Und erst die macht dann die nächsten Schritte.“ (Ebd.).

„Es wollen aus der »Dritten Welt« ungefähr 300 Millioen junge Männer 'raus. Die wollen alle auswandern. Die wollen zu uns, in die »Erste Welt«. In dieser »Ersten Welt« gibt es in der gleichen Zeit bis 2020 - wir reden von den nächsten 15 Jahren - ... 100 Millionen junge einzige Söhne, oft einzige Kinder. Zu denen wollen hinzutreten 300 Millionen Männer, dritte, vierte, fünfte, sechste Brüder. Das ist der Konflikt der nächsten 15 Jahre. Und der wird so laufen, daß die einzige Macht überhaupt antritt: USA - 30 Millionen Söhne, davon ein Drittel übergewichtig - gegen diese 300 Millionen, die kommen werden. Nur die USA kämpfen. .... In dieser Situation werden Festungen aufgerichtet, und die sicherste Festung wird Usanada (USA + Kanada) sein. .... Die kann sich in dieser Situation stabilisieren. Und wenn es notwendig wird, wenn also von diesen Youth-Bulge-Ländern ... nicht Bürgerkrieg gemacht wird, sondern Krieg, dann werden die (USA + Kanada) noch intervenieren, so lange der Krieg sie betrifft. Aber die Paraole wird sein: »Kriege zu Bürgerkriegen«. Das wird das Erfolgskriterium sein.“ (Ebd.).

„In Europa bereitet sich die aufgeklärte Jugend ja darauf vor, nach Usanada auszuwandern. .... Is' ja jeder selber schuld, wenn er 2030 noch hier is'.“ (Ebd.).

„Das Prinzip Hoffnung ist: Nach 2020 ist Ruhe (sehr wahrscheinlich nicht!  Anm. HB). Also: Man muß eigentlich nur 15 Jahre durchhalten. ... Ja, man muß durchhalten. Wie gesagt, es gibt ... Ausnahmen: ... Palästina, die (Palästinenser) haben weiter sieben Kinder (pro Frau!). Warum? Weil wir sagen: »Wir bezahlen euch das.« »Habt ihr ein erstes, ein fünftes, ein fünfzehntes Kind - das ist ein Flüchtling: Wir bezahlen euch das.« Also. Wir verführen die Palästinenser dazu, sich weiter demographisch aufzurüsten. Wir geben ihnen die Hoffnung, daß sie die Juden tatsächlich eines Tages ins Meer treiben können.“ (Ebd.).

„In Zukunft wird man die Bürgerkriege und die Völkermorde genauso laufen lassen wie auch heute.“ (Ebd.).

„Europa hat nur noch die Möglichkeit, sich als Festung zu verteidigen. Und ich weiß nicht, ob Europa das kann. (Dem bleibt nur hinzuzufügen: Europa darf nicht länger nur ein Imperium bleiben, sondern muß eine Nation werden. Und ich weiß nicht, ob Europa das kann. Anm. HB).“ (Ebd.).

Jung, aggressiv und engagiert. Die Wut der Söhne und des Terrorismus (Vortrag, 1. Juni 2007) **

„So sterben etwa im Jahre 2000 selbst im ärmsten Afrika von 100 neugeborenen Kindern weniger - nämlich 14 - als im Jahre 1900 in der globalen industriellen Führungsmacht Deutschland, wo es 20 waren.“ (Ebd.).

„Einer von dreien, vielleicht auch einmal zwei von vieren kommen dann unter. Die Überzähligen gehen fast immer dieselben sechs Wege ....“ (Ebd.).

„Nicht irgendeine Überbevölkerung mit zu wenig Platz oder Nahrung wird als Gewaltauslöser identifiziert, sondern das genaue Gegenteil davon. Die überzähligen jungen Männer müssen nicht nur häufiger als zuvor auftreten, sondern dazu auch passabel ernährt sein und zudem über ein gehöriges Stück Freiheit verfügen. Hier wird also verstanden, daß bei Hunger lediglich um Brot gebettelt, für das Erlangen von Positionen aber zur Waffe gegriffen wird.“ (Ebd.).

Die demographische Kapitulation (in: Cicero, Juni 2007) **

„Heute konkurrieren fast alle Männer und Frauen so hart wie damals wenige Spitzenkräfte. Um beide Geschlechter ausstechen zu können, müssen nun auch 90 Prozent der Frauen ihre besten Jahre für den Aufstieg einsetzen und von Kinderlasten freihalten. Bei Legalität der Geburtenkontrolle tendiert die Geburtenrate nur deshalb nicht gegen null, weil die Erfüllung der Sehnsucht nach einem Kind für eine Eins vor dem Komma sorgt. Daß die fünfzig höchstentwickelten Nationen im Durchschnitt sogar bei 1,45 Kindern liegen, verdankt sich partiell den Prämien und Privilegien der Bevölkerungspolitik.“ (Ebd., S. 107).

„Niemals wird man auf neue Computer und Mobiltelefone oder auch nur elegante Leinensakkos aus Russland warten. Ohne Devisen für Gas und Öl wäre längst offensichtlich, wie fertig das Land ist.“ (Ebd., S. 107).

„Weitgehend unbemerkt wegen seines schieren Volumens von mehr als 1,3 Milliarden Einwohnern bleibt, daß auch China jährlich schon eine halbe Million seiner Besten an Gebiete verliert, die teilweise ebenfalls von Chinesen bewohnt werden und die niedrigsten Geburtenraten der Welt aufweisen: Taiwan (1,2 Geburten pro Frau), Singapur (1,1), Hongkong (1,0) und Macao (0,8). Der Viererblock mit zusammen 35 Millionen Einwohnern wäre ohne Chinas permanenten Aderlaß schon raus aus den Märkten. Von einer Ausweidung dieses Giganten durch die Kleinen zu reden, mag übertrieben anmuten. Aber dieser Prozeß kann sich ... nur beschleunigen.“ (Ebd., S. 107).

„Im Jahre 2050 werden von Chinas dann 1,4 Milliarden Einwohnern 430 Millionen Rentner sein, für deren Versorgung nicht einmal falsche Prognosen à la Blüm vorliegen. Da niemand den jungen Chinesen weniger Intelligenz oder Fleiß bescheinigt als dem deutschen Nachwuchs, schwimmen sie bereitwillig mit im Pool, aus dem man »foreign talent« fischt. Wegen geringster Immigrationsattraktivität und hoher Westorientierung seiner Eliten spricht wenig für Chinas Aufstieg in die Oberliga der preissetzenden Innovateure. Das Land bleibt deshalb erstrangiger Abwerberaum für die übrigen Spitzenländer.“ (Ebd., S. 107-108).

„Während in Deutschland über einreisende Luschen und ausreisende Asse gejammert wird, betreiben andere Hightech-Nationen das Absaugen der Talente aus dem Ausland systematisch. Mit dem eigenen Nachwuchs schaffen wir es nicht durch das 21. Jahrhundert, wirbt etwa der Angelsachsen-Raum ganz offen. Seine Prinzipien versteht jeder. Neubürger – ob daheim geboren oder hinzukommend – müssen den Leistungsdurchschnitt der jetzt Aktiven übertreffen, da in der internationalen Konkurrenz nur mithalten kann, wer durch innovative Produkte Preise auch setzen kann und nicht immer nur unterbieten muß. Fachabsolventen, die jünger als vierzig Jahre sind und Geld für die Überbrückung der Startzeit mitbringen, erhalten Eintritt in ein Territorium mit erstklassiger Infrastruktur, das nicht von Banditen, sondern von Gesetzen beherrscht wird. Das ist schon das ganze Angebot. Dann aber bleiben den Neuen von ihren Einkommen nicht nur 50, sondern mehr als 70 Prozent, damit sie Erziehung, Gesundheit und Altersversorgung auf freien Märkten einkaufen können. Lediglich körperlich und geistig Behinderte können sich auf staatliche Fürsorge verlassen.“ (Ebd., S. 108).

„Wer schon daheim zu den Abgeschlagenen gehörte und nun im Westen seine Menschenrechte auf Grundeinkommen und Kinderreichtum bezahlt haben will, hört in Canberra oder Ottawa keineswegs nur Unfreundlichkeiten. Man gibt ihm – und das kostenlos – den Tipp, es doch in der Europäischen Union und dort vor allem in Deutschland oder Frankreich zu versuchen. Dort haben – im Januar 2007 auch für die Zukunft fixiert – Diskriminierte, nachziehende Familienangehörige und halblegal im Land schon Lebende Vorrang. Erst an vierter Stelle geht es um Tauglichkeit für den Arbeitsmarkt. Deshalb sind unter Einwanderern nach Frankreich und Deutschland nur zehn Prozent qualifiziert, von den Neubürgern Australiens und Kanadas aber 80 beziehungsweise 95 Prozent. Deshalb wachsen die Zahlen der Hartz-IV-Empfänger und der offenen Stellen wie in gegeneinander hermetisch abgeschotteten Welten gleichzeitig. Und deshalb hören die Deutschen mit Bestürzung, daß bei ihnen »jüngere Jahrgänge seltener einen tertiären Bildungsabschluß haben als ältere« (Institut für Wirtschaft und Gesellschaft Bonn e.V., April 2007). Das liegt vor allem daran, daß die Zugewanderten geringer qualifiziert sind als die Alteingesessenen (Statistisches Bundesamt, 4. Mai 2007).“ (Ebd., S. 108).

„Nach Englands Abzug aus Hongkong im Jahre 1997 hat Kanada, anders als Deutschland, die exilwilligen Einwohner der Enklave mit offenen Armen empfangen. Drei Millionen Chinesen gäbe es zwischen Rhein und Oder, wenn Bonn damals wie Ottawa zugegriffen hätte. Das wäre schon mehr als der halbe Bedarf bis 2050 bei der Absackvariante auf 69 Millionen. Ist es jetzt zu spät? Wird Deutschland den Sozialstaat auf Behinderte beschränken, um von Hilfesysteminteressenten auf Leistungsträger zu wechseln?“  (Ebd., S. 108).

„Wenn bei Oranienburg für 700 Millionen Euro nun eine chinesische Stadt mit Pagodendächern geplant wird, sind Chinesen aus Fleisch und Blut vielleicht nicht mehr weit. Wie 1685 die Hugenotten nach Berlin und 1732 die Salzburger nach Ostpreußen treckten, so würden jetzt chinesische Neusiedler nach Brandenburg an der Havel, Halle an der Saale oder Bremerhaven am Nordseestrand strömen. Wir bräuchten sie dringend. Die erste halbe Million ließe sich mit verbrieften Titeln auf eine Wohnung ködern. Immerhin muß ein Tüchtiger nach Vancouver, Los Angeles oder Brisbane auch noch Geld für eine Unterkunft mitbringen. Bei uns würden Grips und Fleiß vollkommen reichen – doch der politische Wille zu solchen Maßnahmen fehlt selbst im Angesicht der demographischen Kapitulation.“ (Ebd., S. 108).

Strategie gegen Deutschlands demographischen und pädagogischen Sinkflug (15.09.2008, 22:57) **

I. Die Lage.

„Der demographische GAU tritt ein, wenn die Lebenserwartung steigt, die Geburtenrate abstürzt und die Einwanderung unerheblich ist oder bewußt gebremst wird. Im GAU-Bereich verteidigt den Spitzenrang unangefochten Japan (127 Millionen Einwohner). Dort liegt das Durchschnittsalter bei 44 Jahren (im Jahre 2050 über 56) bei einem Weltdurchschnitt von 27 Jahren oder gar nur 15 in so blutigen Gebieten wie Kongo, Gaza und Uganda. Nur 13 von hundert Japanern sind jünger als fünfzehn, dafür aber 22 (gegen 8 im Weltdurchschnitt) älter als 65. Pro Frauenleben werden 1,22 Kinder geboren und seit 2007 nimmt die Bevölkerung absolut ab. Die arbeitsfähige Bevölkerung, die mit ihren Produkten heute noch den 4. Platz unter den Exporteuren der Welt schafft, soll zwischen 2005 und 2050 von 78 auf 48 Millionen sacken.“ (Ebd.).

„Zum demographischen GAU-Bereich gehören aber auch unauffällige Kandidaten wie etwa Jugoslawiens ehemaliges Musterland Slowenien (2 Millionen Einwohner und sinkend). Dort sind ebenfalls nur noch 13 Prozent unter fünfzehn und schon 16 Prozent über 65. Das Durchschnittsalter arbeitet sich an 42 heran und soll 2050 bei japanischen 56 Jahren liegen. Die Frauen schaffen 1,27 Kinder. Keine größere Stadt des Westens schrumpft schneller als das malerische Maribor (vor 1919 das ethnisch-deutsche Marburg an der Drau).“ (Ebd.).

„Bisher behauptet niemand, für Japan, Slowenien und ihresgleichen eine Lösung zu kennen. Dabei befinden sich diese Länder nicht einmal in der Sphäre eines Super-GAUs. Der allergrößte anzunehmende demographische Unfall tritt ein, wenn bei steigender Lebenserwartung und abtauchender Geburtenrate eine bildungsferne Masseneinwanderung erfolgt und zugleich heimische Eliten weggehen. In diesem Sektor tummeln sich vor allem westeuropäische Nationen, aber keine kann Deutschland vom letzten Platz verdrängen. In der Berliner Republik sind bald nur noch 13 Prozent der Einwohner unter 15 und schon 20 Prozent über 65. Das heutige Durchschnittsalter nähert sich Japans 44 Jahren. Die ethno-deutschen Frauen haben mit 1,1 Kindern noch weniger Nachwuchs als ihre ostasiatischen Schwestern. Aber alle weiblichen Einwohner zusammen schaffen 1,38 Kinder, weil die 20 Prozent der Migrantinnen 40 Prozent der Babys beisteuern.“ (Ebd.).

„Viele Länder ächzen unter noch heftigerem Talenteverlust als Deutschland und haben obendrein geringere Geburtenraten. Ganz vorne in dieser Schicksalsgemeinschaft liegen Rußland, Ukraine und Polen – Übergewichtige im Trippelschritt auf Liliputanerbeinen. Insgesamt – mit Ausnahme der von Brüssel, Berlin et al. ausgehaltenen Territorien der Albaner – befinden sich alle Länder östlich der Oder zwischen Estland und Griechenland demographisch im GAU-Bereich. Keiner kennt einen Ausweg aus dem Fiasko dieser – bei Mitzählung von Armenien und Georgien - 22 Staaten. Ihr Großraum stürzt von 215 Millionen Erwerbstätigen im Jahre 2005 auf nur noch 140 Millionen gegen 2050, wobei die Gesamtbevölkerung von 350 auf 240 Millionen schrumpft. Und doch fällt selbst diese vorstehende Prognose zu optimistisch aus. Sie geht nämlich davon aus, daß die beteiligten Bevölkerungen den Sinkflug still mitmachen und nicht – zumindest in ihren tüchtigen und beweglichen Anteilen – rechtzeitig in den demographisch ebenfalls kämpfenden und deshalb massiv anwerbenden Anglo-Raum überwechseln. Allein für das Verlangsamen der Alterung – keineswegs für ihre Umkehr – brauchen Australien, England, Irland, Kanada, Neuseeland und USA pro Jahr 1,7 Millionen skilled immigrants. Das entspricht den 1,7 Millionen Neugeborenen pro Jahr in den fünf Staaten Deutschland, Schweiz, Österreich, Polen und der Ukraine.“ (Ebd.).

„Ungeachtet aller Handicaps ist der Kontinent zwischen Stettin und Wladiwostok mangels Budget von einem gewichtigen Nachteil frei, der Deutschland so wuchtig nach unten zieht. Ihm fehlen die Sozialsysteme, in die man einwandern kann, weshalb das beliebte „wir sind tolerant und geben Geld auf die Hand“ so gut wie nie zu hören ist. Hingegen ermöglicht das deutsche Sozialsystem gerade den niedrig Qualifizierten die stärkste Vermehrung. Denn erst über die Betreuung wiederum bildungsferner Kinder erzielen sie akzeptable und obendrein langfristige Einkommen. Die liegen zwar knapp unter dem deutschen Durchschnitt, aber mehrfach über dem der Herkunftsländer.“ (Ebd.).

„Seit langem bekannt sind die Ergebnisse der Berliner Immigrationspolitik, deren Rangfolge von (1) EU-Bürgern über (2) Familiennachzug, (3) weltweit Diskriminierte und (4) einheimische Illegale erst ganz zum Schluß (5) Könner für den Arbeitsmarkt berücksichtigt. Der hiesige Durchschnitts-IQ, den ja nicht kümmert, wie weit er von der DNS oder vom Milieu stammt, ist nach der 2007er Rindermann-Tabelle – von einst wohl 102 bis 103 – bereits auf 99 Punkte abgesunken. Wo andere Länder 55% (USA), 75% (UK) oder 99 % (Kanada) Qualifizierte unter ihren Einwanderern haben, gelingt Deutschland mit lediglich 5% etwas so Originelles wie die Dequalifizierungsspirale, in der jüngere Jahrgänge schlechter ausgebildet sind als ältere, obwohl doch die Anforderungen in Zukunft nur steigen können. “ (Ebd.).

„Schaffen im Jahre 2000 noch 74,7 Prozent eines deutschen Jahrgangs eine Berufsausbildung oder gar das Abitur, so sind es – trotz erleichterter Hauptschulabschlüsse – im Jahre 2007 nur noch 72,5 Prozent. Der Anteil der Schulversager steigt von 25,3 auf 27,5 Prozent. Während die EU-Zielmarke von 85 Prozent gut Ausgebildeten für innovative Industriestaaten in immer weitere Ferne rückt, berichtet das Magazin Karriere 2007, daß gleichzeitig 87 Prozent der deutschen Hochschulabsolventen vom Leben im Ausland träumen. Dort legen die Anteile der Hochschulabsolventen zwischen 2000 und 2006 von 28 auf 37 Prozent zu. Hingegen bleibt Deutschland mit 18 auf 21 Prozent nahe der Stagnation, die zwischen 1995 und 2005 von einem Rückgang der Bildungsausgaben von 5,4 auf 5,1 Prozent am Inlandsprodukt begleitet wird (OECD September 2008).“ (Ebd.).

„Die bald 30 Prozent deutschen Leistungsversager machen vor allem die übrigen 70 Prozent der Schüler nervös. Bisher hat man ihnen nur verraten, daß demnächst 100 Aktive 70 Rentner versorgen müssen, falls es bis 2025 nicht gelingt, jährlich 100.000 – statt der heutigen 500 – Eliteeinwanderer zu gewinnen und zugleich 150.000 tüchtige Auswanderer jährlich in der Heimat zu halten. Scheitern diese Vorhaben, dann müssen 100 Aktive ab 2025 schon 100 Rentner versorgen. Nun finden die tüchtigen Schüler aber heraus, daß womöglich nur 80 Aktive nicht nur 100 Rentner, sondern auch noch 20 Gleichaltrige im Hartz-IV-Archipel finanzieren müssen – und dazu sämtliche Kinder. Nur übermenschliche Heimatliebe kann da die Flucht ins Ausland unterbinden. Und das lockt immer heftiger, weil ja in allen Spitzenländern die demographische Malaise bereits brusthoch steht und niemand sich damit trösten kann, daß Deutschland sie schon Oberkante Unterlippe spürt.“ (Ebd.).

„Da in Deutschland Migranten jünger und schlechter qualifiziert sind als Alteingesessene, benötigen sie über viel längere Lebensphasen Unterstützung aus deren Taschen. Durch die daraus erwachsenden Zusatzkosten liegt die deutsche Staatsschuld – bei Einschluß der Rentenansprüche – nicht bei 4,2, sondern bei 5,2 Billionen Euro. Diese Last liefert einen gewichtigen Grund dafür, daß jährlich jene 150.000 Tüchtigen – ob nun ethnodeutsch oder migratorisch– im Ausland ihre Karrieren und Altersversicherungen aufbauen. “ (Ebd.).

„Es sind diese 1000 Milliarden Euro – 25.000 Euro Schulden auf jeden der 40 Millionen Erwerbsfähigen in Deutschland – , die beispielsweise Japan sich spart. Sie bewirken im besten Falle, daß gegen 2050 Deutschlands Durchschnittsalter mit 52 vier Jahre unter dem japanischen oder slowenischen liegen soll. Wer hierzulande in sozialpolitische Musterkommunen schaut, wird solche „Jugendlichkeits“-Prognosen gerne glauben. So ist etwa Bremerhaven mit seinen 115.000 Einwohnern eine vergleichsweise junge Stadt, weil bereits 52 Prozent aller Babys direkt in die Hartz-IV-Viertel geboren werden. Das dreimal so menschenreiche Neukölln schafft sogar weltrekordverdächtige 75 Prozent. In Nordrhein-Westfalen – repräsentativ für die gesamte Republik – stellen Migranten erst 25 Prozent der Gesamtbevölkerung, aber schon 65 Prozent der Schulabbrecher. Bereits in jungen Jahren wählen diese Nachkommen ihrerseits junger und bildungsferner Eltern die Elternschaft, weil man sie dafür bezahlt, während sie am Arbeitsmarkt nur unten oder gar nicht unterkommen. Wer das – à la „mehr Einwanderer, die uns nützen, und weniger die uns ausnützen“ – als Schmarotzertum angreift, vergißt, daß doch jedermann staatliche Geldangebote abgreift, solange sie zu seinem Erwartungshorizont passen. Das Angebot ist Schuld und nicht die Hereindrängenden, die es gerührt abgreifen.“ (Ebd.).

„Die Wege von Weser, Spree und Rhein werden wohl noch viele Jahre beschritten, weil die deutschen Alten bisher kaum ahnen, daß einmal sie für viele der quirligen Neubürger sorgen müssen – und nicht umgekehrt. Schon jetzt sind 34 Prozent der 7,4 Millionen Bundesdeutschen unter 65 im Hartz-IV-Archipel jünger als 18 Jahre, während es bei den übrigen 58 Millionen unter 65 nur 20 Prozent sind. Solche Probleme der hiesigen Alten kennen die Senioren in Japan nicht. Deshalb geraten sie so gut wie nie in Schlägereien mit zornigen Jünglingen aus der Fremde.“ (Ebd.).

„Die deutsche Führung will ihr Megaproblem aus Überalterung, Überschuldung und Entqualifizierung dadurch in den Griff bekommen, daß sie die Prämien für dritte bis sechste Kinder noch einmal erhöht. Die sollen mit diesem Geld klüger gemacht werden. Niemand hat eine Ahnung, ob das funktioniert. Man will die Kleinen bei Sprechbeginn, also ab dem 18. Lebensmonat aus den heimischen Milieus lösen, dann mit hoch eloquenten Deutschsprachigen viele Stunden pro Tag konfrontieren und so nach oben sozialisieren. Noch ist nicht einmal absehbar, ob die etwa 100.000 pädagogischen Spitzenkräfte für die Intelligenzformung von bald fünfzig Prozent der Neugeborenen zu haben sind. Sie müssen schließlich aus der heimischen Elite rekrutiert werden, die besonders intensiv über Auswanderung nachdenkt. Ob dann ihnen gelingt, woran die Lehrkräfte in Anatolien oder Afrika bei der Erziehung unserer Immigranten gescheitert sind, kann man erst gegen 2020 ermitteln, wenn die ersten Absolventen Aufnahmetests für die höheren Schulstufen zu bestehen haben. In jedem Fall spielt die deutsche Bildungspolitik mit dieser gigantischen kognitiven „Umvolkung“ ihren letzten Joker. Wenn der nicht sticht, bleibt am Ende nichts als die Vergeudung von Milliarden für den subtilen Rassismus eines pädagogischen Überlegenheitsdünkels und noch mehr „weniger, älter, dümmer und ärmer.““ (Ebd.).

„Ungeachtet dieser Unwägbarkeiten wird – jenseits der Regierung und ihrer Soziologenteams – leicht verstanden, daß die Zusatzprämien noch mehr dritte bis sechste Kinder im bildungsfernen Sektor hervorbringen. Es muß ja immer ein Kind unter drei da sein, damit die Mütter dem Arbeitsmarkt entkommen können. Von der Leyens Zulagen für dritte und weitere Kinder dürften die Entscheidung gegen elterliche Eigenverantwortung noch profitabler machen. Ein beamtenähnlicher Status als Berufsmutter mit staatlicher Alimentierung bis zum Lebensende muß dann kein mehr Traum bleiben. Schon 2007 leben 2,6 Millionen Kinder von Sozialtransfers, während es im viel ärmeren und überdies abtreibungsfeindlichen Jahr 1965 gerade mal 160.000 waren.“ (Ebd.).

II. Strategie.

„Gibt es andere Optionen als staatliche Anreize für mehr Bildungsferne? Man könnte sich anschauen, wie vier technologische Spitzennationen, die ob ihrer geringen Geburtenraten eigentlich bald verschwunden sein sollten, dennoch wachsende und zudem besonders intelligente Bevölkerungen aufweisen. Es geht um Singapur (1,08 Kinder pro Frauenleben; Durchschnitts-IQ 107), Hongkong (1,0 Kinder; IQ 106), Taiwan (1,1 Kinder; IQ 108) und Kanada (1,57 Kinder; IQ 102). Diese Territorien mit knapp 70 Millionen Einwohnern sind Pioniere beim demographischen Ausschlachten der Volksrepublik China (1,7 Kinder), das trotz geschlossener Schulen und Lehrerabschlachtungen unter Mao beim IQ immer noch mit 107 glänzt. Die vier Chinaprofiteure ähneln Österreich und der Schweiz, die – wiederum als wenig beachtete „Kleine“ – beim Absaugen der Besten aus Deutschland vorne liegen. Insgesamt gibt es bereits 65 Staaten unterhalb der Nettoreproduktion von 2,1 Kindern pro Frauenleben. Keiner von ihnen kann bei der gegenseitigen Kannibalisierung für Talente nicht mitmachen. Sie können lediglich daran arbeiten, auf der anzapfenden und nicht auf der angezapften Seite zu landen.“ (Ebd.).

„China wird in der Tat alt, bevor er reich wird, was seine intelligenten Bewohner so gut verstehen, das schon jetzt eine Million pro Jahr in Länder mit oberen Rängen in der globalen Innovationskonkurrenz streben. Dort können sie noch am ehesten eine eigene Altersversorgung aufbauen. Bei einem Abwandernden auf 1300 Einwohner pro Jahr – gegen einen auf 500 in Deutschland – scheint das ein geringer Aderlaß zu sein, aber er wird umso kräftiger, je mehr junge Leute ihre prekäre Lage begreifen. In China mag das schneller gehen als hier, denn beim demographisch fundamentalen Verhältnis zwischen 15-19-jährigen Jungen und 0-4-jährigen Mädchen, die ja allein einmal die Kinder bekommen können, liegen die Asiaten – wegen häufigerer Tötung weiblicher Föten – mit 100:65 sogar noch hinter Deutschland mit 100:71.“ (Ebd.).

„Chinas Geburtenlücken und Abwanderungen sorgen dafür, daß sein Durchschnittsalter 2050 bei 51 Jahren liegt. Die Westeuropäer sollen dann mit 49,5 Jahren kaum jünger sein und – selbst bei Maximalerfüllung der Träume von Elitezuwanderern – bei den Arbeitsfähigen von 200 auf 160 Millionen absinken (830 auf 730 Millionen in China). Hingegen wird der US-Konkurrent, der schon heute bald 4 Millionen Chinese Americans beherbergt, im Durchschnitt jünger als 40 sein und seinen Bevölkerungsrückstand auf China um 80 Millionen verringern (1330:300 Millionen 2005 gegen 1370:420 im Jahre 2050). Bei den Arbeitsfähigen werden die USA von 180 auf 230 Millionen zulegen. Nach dem 2008er 20-Millionen-Rückstand auf die 200 Millionen Arbeitsfähigen Westeuropas, die dort Weltmachtsphantasien beflügeln, werden die Amerikaner auf einen Vorsprung von 70 Millionen davonziehen. Dieses 2050er Verhältnis von 230 (USA) zu 160 Millionen (Westeuropa) mag für die Alte Welt noch viel zu optimistisch aussehen, weil wiederum unterstellt wird, daß ihre Tüchtigsten einfach in der Falle sitzen bleiben und die Einladungen nach Seattle oder Boston ausschlagen. Davonziehen wird Westeuropa lediglich bei der Softpower: 2050 werden hier knapp 100 Millionen Rentner gegen dann 85 Millionen in den USA stehen.“ (Ebd.).

„In Kanada (33 Millionen Einwohner) sorgen 1,4 Millionen Chinesen dafür, daß es als erstes Land der Welt bei den Kindern der Zuwanderer mehr Intelligenz mißt als beim Nachwuchs der Alteingesessenen. Hätte Deutschland (83 Millionen Einwohner [wenn die Dunkelziffer berücksichtigt würde, dann: mehr als 100 Millionen! HB]) vergleichbar gehandelt, gäbe es zwischen Maas und Oder fast 4 Millionen Han. Allein im Ruhrgebiet hätten die ein halbes Dutzend kleine Shanghais aufbauen können. Statt dessen liegen nirgendwo auf der Welt Einwandererkinder beim Schulerfolg so weit unter den einheimischen wie in Deutschland.“ (Ebd.).

„Gewiß, auch in Kanada gibt es scheele Blicke auf Fremde. Die weichen aber schnell einem zufriedenen Schmunzeln darüber, daß die einen keineswegs 25000 Euro kosten, sondern später sogar versorgen werden. Ein preiswerteres und obendrein einträglicheres Mittel gegen Ausländerfeindlichkeit ist schwer vorstellbar. Die kommt nur selten als Rassismus daher, sehr oft aber als Widerstand dagegen, Schulversager ferner Länder versorgen zu müssen. Je leistungsfähiger die Zuwanderer antreten, desto irrelevanter wird ihre Hautfarbe. Nicht Rassismus steuert Kanadas Einwanderungspolitik, ein Art »Intelligenzismus« aber schon.“ (Ebd.).

„Ganz schlecht stehen die ostasiatischen Optionen für Deutschland nicht. An seinen Universitäten besetzen 25.000 Chinesen unter ausländischen Studenten Platz eins. Wer mit dem Pfund einer »gelben Erlösung« allerdings erfolgreich wuchern will, muß den chinesischen Standardtraum von einem späteren Leben in Nordamerika im Auge behalten. So berichten niederländische Kollegen, daß die Technische Hochschule Delft direkt und teuer in China Studenten rekrutiert und dann mit ansehen muß, daß die nach dem Examen oft nicht zu Philips, sondern nach Kalifornien gehen. Auch ein japanischer Griff nach dem chinesischen Rettungsring hätte mit demselben Problem zu kämpfen.“ (Ebd.).

„Das Festhalten mehr noch als das Anlocken von Eliten lenkt den Blick auf bisher gänzlich unerprobte Verfahren der Bevölkerungsstabilisierung. Da in besagten 65 Ländern vor allem das zweite – und nicht selten sogar das erste – Kind der Karrierefrauen fehlt, nicht aber das dritte oder gar sechste der Bildungsfernen, kann man die Steuergelder der Bürger so konzentrieren, daß es Prämien nur noch für ein zweites Kind gibt. Alle Mittel für erste sowie dritte und weitere Kinder würden dabei umgeleitet auf das zweite Kind. Das ergäbe schon aus den heutigen deutschen Budgets eine fast sechsstellige Eurosumme, die – wie Peter Mikolasch bemerkt hat – bei Zwillingsmüttern sogar schon beim ersten Sprößling anfallen.“ (Ebd.).

„Eine so fokussierende Sozialpolitik streicht die öffentliche Fürsorge nicht, begrenzt sie allerdings, woraufhin die Schulversager der Welt hier auch nicht mehr ihr Heil suchen. Mit einem derart gezielten Einsatz von Steuergeldern hätte man sogar Kanadiern und Australiern etwas voraus und müßte das auch, wenn man Talente hierher umleiten will. Diese Anglos offerieren ja als einzige Verlockung, daß man – so Alter (unter 44) und Bildung stimmen – herein darf, um die Produktions- und Sozialsysteme der neuen Heimat zu stützen. Die Familienbildung wird vor allem dadurch angereizt, daß man von 100 Einkommen 70 bis 80 und nicht nur 40 bis 60 in der Tasche behält.“ (Ebd.).

„Der üppige Betrag für ein zweites Kind könnte sich nebenher auch als Mittel gegen hiesiges Schulversagen erweisen. Da er auch an Bildungsferne ginge, erhielten deren Zöglinge erstmals eine Chance. Daheim mußten sie nur noch mit einem geschwisterlichen Rivalen um die so intelligenzrelevante elterliche Zuwendung konkurrieren. Weitere Konkurrenten gäbe es nicht mehr. Und das würde niemanden schmerzen. Denn anders als bei realen Schulversagern entsteht durch ihr Ungeborensein niemandem ein Schaden. Draußen könnten Migrantenkinder auf ehrliche Integrationsangebote rechnen. Denn man würde nicht mehr skeptisch und lustlos Kümmerungsappellen der Politklasse folgen, sondern angesichts des zu verdienenden Geldes diesen Kindern hochklassige pädagogische Dienste anbieten.“ (Ebd.).

Gespräch im „Philospohischen Quartett“ (TV-Sendung; 25.10.2009): Halbzeit der Krise?  **

„Die Krisen von 1929 und von 2008 sind beide noch nicht verstanden. Bei der Bekämpfung werden aber unterschiedliche Fehler gemacht. Und die aktuell gemachten Fehler, also den Zins jetzt fast aller wichtigen Zentralbanken auf Null zu setzen, sind heftigere Fehler als die von 1929 bis 1933.“ (Ebd.).

„Nur die Banken machen diese Gewinne, und die Summen sind ohne jeden Kontakt mit dem Sektor, in dem geleistet wird - das sind die Firmen und die Arbeitskräfte.“ (Ebd.).

„Die achtzig Nobelpreise für Ökonomie sind auf eine Lehre gefallen, die das Wirtschaften nicht versteht.“ (Ebd.).

„Die Verhaltensökonomen unterscheiden sich eigentlich nicht ... von ... Neoklassikern und auch von ... Marxisten. Sie schauen alle auf den Markt und glauben, am Markt sei etwas schief gegangen. Man kann den Markt nicht am Markt heilen. Denn der ist etwas Nachgeordnetes. Ich kann auf einem Markt nur etwas für 100 Euro anbieten, wenn vorher diese 100 Euro geschaffen worden sind in einem Kreditkontrakt, in dem ein Eigentümer Eigentum besichert, um Geld zu schaffen, weil ein anderer Eigentümer Eigentum verpfändet, um den Kredit zu besichern, über den er das Geld bekommt. .... Und wenn wir den Finanzsektor, von dem der Markt ein »Kind« ist - der Kaufkontrakt ist ein »Kind« des Kreditkontrakts -, wenn wir den Kreditkontrakt nicht verstehen, dann können wir nicht den Markt verstehen.“ (Ebd.).

„Was wir erleben, ist, daß die Regierungen in allen Ländern jeden Tag eine neues Gesetz unterschreiben für mehr »Feuerlöscher« auf den Märkten und zugleich mit der linken Hand immer mehr »Brandbeschleuniger« aus den Zentralbanken - dieses »Null-Zins-Geld« - in dieselben Märkte schmeißen.“ (Ebd.).

„Wir sind ja in einer Situation, wo Zentralbanken die Märkte zerstören, wo sie die Geschäftsbanken verlocken in dieses Null-Geld - die Firmen fragen es nicht nach oder können es nicht nachfragen -, und mit dem Geld wird gespielt. Und wir hören jetzt gleichzeitig, daß die Finanzaufsicht, die Bankenaufsicht in die Hand der Zentralbanken kommen soll. Also: Nie ist mehr Bock für einen Gärtner vorgeschlagen worden, als daß die Zentralbanken, die die »Null-Zins-Politik« fahren, jetzt die Banken überwachen sollen und die Finanzaufsicht. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wie brauchen eine Bankenaufsicht für Zentralbanken - eine globale. Und das ist einfach, denn es gibt nur 20, 25 ernst zu nehmende Zentralbanken. Das hätten die G20 in Philadelphia anfassen können. Das war nicht mal als Tagesordnungspunkt auf dem Tisch.“ (Ebd.).

„Der Fehler - der Denkfehler - ist, daß sie die Krise nicht verstehen, daß sie nicht verstehen: nach einer Krise sind die Eigentumspreise gefallen, und Pfänder in der Wirtschaft sind nicht mehr da. Und deshalb nutzt es nichts, wenn sie den Zins 'runterfahren.“ (Ebd.).

„Die Zentralbank hat die Geschäftsbanken dazu verführt, Leuten ohne Pfand Kredit zu geben.“ (Ebd.).

„Diese 20 Millionen Amerikaner, die für 60 Millionen Menschen stehen - einmal die Bevölkerung Frankreichs oder Italiens -, die hat man vorher mit der Maschinenpistole vor der Bank weggejagt. Jetzt hat man ihnen die Bank aufgemacht und hat gesagt: »Wir haben kalkuliert. Wenn zehn von euch die Hypothek aufnehmen und einer oder zwei verlieren, dann bleibt für uns noch was ... übrig, weil: wir haben diesen geringen Zins.« Ohne diesen Zins wäre das Spiel nicht begonnen worden. Wenn das Spiel begonnen wird, dann ist klar, daß das Hauptkonsumgut der Menschen in den Eigentumsgesellschaften - das Haus - ... vorne steht. Da ist einmal die Bevölkerung Frankreichs behaust worden, ohne daß sie's bezahlen kann. .... Die 20 Millionen, die jetzt gebaut haben und das nicht bezahlen können, haben diese 20 Millionen Häuser auf die Märkte geschmissen. .... Und 60 Millionen Amerikaner, die brav ihre Hypotheken bedienen konnten, können die jetzt nicht mehr bedienen, weil ihre Hypotheken durch dieses Zusatzangebot 'runterfallen. Das kostet 500000, das Haus, und sie haben ein Kredit von 500000, jetzt kostet es noch 350000, und der Kredit ist 500000. Das heißt: In dem Prozeß ist ja enorm vielen Amerikanern die Behausung genommen worden.“ (Ebd.).

„Der Zentralbanker ... kann den Gewinn der Zentralbank an den Sozialminister überweisen, und der gibt das als Sozialhilfe und Miethilfe an die Leute weiter, die jetzt in dieser Situation ein schweres Schicksal erleiden. Das wäre die Aufgabe der Zentralbank. Es ist nicht die Aufgabe der Zentralbank, Sozialpolitik zu machen. Und das wollen die. Und einer der Sozialpolitik machen will, darf niemals auf den Sessel einer Zentralbank.“ (Ebd.).

„Als die Amerikaner auf »Null-Zins« gingen, haben sie das schneller gemacht als die Europäer .... Wenn die Euro-Länder jetzt einen Zentralbankzins von Null haben, dann liegt das nicht daran ..., daß unsere Zentralbanker die Bankregeln nicht kennen - die kennen sie -, aber sie sagen: »Ich kann ja nicht den amerikanischen Banken einen ›Null-Zins‹ erlauben und unseren Banken vier Prozent abnehmen. Dann fallen die aus der internationalen Konkurrenz heraus.« Diese Abwärtsspirale in den Zentralbankzinsen, die ist natürlich einer solchen Konkurrenz geschuldet. Und wer zuerst den Schachzug macht, der hat mehr seine eigenen Banken geschützt als der andere, der später ... dann seine Banken schützen kann.“ (Ebd.).

„In Amerika sind es fünf Dollar ..., die aus der Zentralbank 'rauskamen: von denen kam ein Dollar in der sogenannten »Realwirtschaft« an, von der wir hoffentlich jetzt verstanden haben, daß es die nicht gibt, sondern daß die immer das »Kind« der Kreditverträge ist.“ (Ebd.).

„Die ganz Reichen ... haben gesagt in der Krise: »Wir fallen von 100 auf 20. Wir wollen aber nur auf 90 fallen«. Dann haben die Regierenden gesagt: »Was zwischen 90 und 20 ist, die 70, die zahlt der Mittelstand. Und da der kein Geld hat, verschulden wir den Mittelstand in seiner Figur als ›Staatsbürger‹.« .... Als »Staatsbürger« verschuldet sich die Regierung .... Und in diesem Schritt haben jetzt alle Systeme Belastungen. Der EU-Raum geht von 66% auf 84%, die USA gehen von 66% auf über 90% Staatsschulden. Aber: Wer kann die bedienen? Und da hatten wir kürzlich eine ... Debatte mit Herrn Sarrazin, der in der Bundesbank sitzt und sagt: »Es kommt auch auf's Personal an, das nachwächst, ob man noch Schulden bedienen kann.« Und jetzt schauen wir die Situation noch 'mal anders an: Da fällt Deutschland - nehmen wir nur Deutschland jetzt: Exportweltmeister! - von 83 Millionen auf 73 Millionen Menschen ..., Amerika legt aber zu um 140 Millionen Menschen, während wir um 10 Millionen abnehmen. Das heißt: Amerika kann eine ganz andere Staatsschuld schultern, weil Leute nachwachsen, die einaml diese Schulden bedienen können. Die werden mehr und nicht sehr viel älter und vielleicht klüger. Wir werden weniger, dümmer und älter ....“ (Ebd.).

„Man hat geglaubt, und das sind auch die Änderungsvorschläge ..., man hat geglaubt, man kann eine »Investment«-Bank, die ja nur mit diesem »Spielgeld« gearbeitet hat und kaum Firmenschuldner hatte, man hat gesagt, ich kann die kippen lassen und zugleich die »Retail«-Banken, ... die die Kredite an die Firmen geben, die laß ich leben. Der Gedanke ist ja im Kern nicht falsch. Nur was man gleichzeitig hätte tun müssen und auch in Deutschland nicht getan hat, ich mach's an Deutschland: Die 100 Milliarden, die jetzt die »Bankenrettungen« gekostet haben, die hätte man nehmen können, um eine »Gute Bank«, eine »good bank«, eine »anständige Bank« auszustatten. 100 Milliarden Eigenkapital, die erlauben Ausleihungen von 1 Billion. Das wäre mehr als alle anderen Banken gewesen. Und dies in Kombination mit der Einlagengarantie der Kanzlerin, die ja richtig war, hätte also diese »starke Bank« leben lassen, und alle Firmen, die jetzt verpfändungs- und verschuldungsfähig sind, hätten einen Ansprechpartner gehabt, den auch die verschuldungsfähigen Firmen bei den Banken nicht mehr hatten, weil deren Eigenkapital 'runtergefahren war und die bestimmte Ausleihungsgrenzen nicht mehr schaffen konnten.“ (Ebd.).

„Das wäre möglich gewesen, diese »Gute Bank« hinzustellen. Aber man hätte das System verstehen müssen. Und das größte systemische Risiko war nicht die Lehman-Bank. Das größte systemische Risiko ist bis jetzt, daß das System nicht verstanden wird.“ (Ebd.).

„Es ist so einfach. Natürlich. Und sie haben zugleich eine Volksbank, bei der das Volk verdienen würde. Und jetzt haben sie also da so und so viel Milliarden zusätzliche ... Schulden für diese 25 Millionen ... aufgenommen, die überhaupt noch volle Steuern zahlen - es ist ja nur noch ein Bruchteil derer, die arbeiten gehen. Aber ich hätte es verstehen müssen. Ich hätte sagen müssen: Aha, da ist 'ne »Investment«-Bank. Ich will doch, man wollte doch die Firmen und die Arbeitskräfte schützen. .... Das ist doch ein gutes Ziel. .... Ich muß eine Bank haben, an der die Firmen Kredit bekommen, jedenfalls, wenn sie ... noch was zu verpfänden haben. Die Bank muß ich schaffen.“ (Ebd.).

„Man kann eine Standardkrise als Standardkrise erhalten und nicht in eine Megakrise umsetzen. .... Man hat die Standardkrise nicht verstanden. Und weil man die Standardkrise nicht verstanden hat und gedacht hat, mit Null-Zins kann man die heilen, hat man diese Riesen-Vergiftung gemacht und eine Megakrise gemacht.“ (Ebd.).

„Wir erreichen viel, wenn wir eine Standardkrise als Standardkrise laufen lassen und für die Opfer eine anständige Sozialpolitik machen und nicht das Finanzsystem zerstören, von dem, wie gesagt, unsere Marktwirtschaft ein »hilfloses Kind« ist.“ (Ebd.).

„Wirtschaften wird vorangetrieben, weil ich ein Eigentzum im Preisverfall schützen muß. Ob ich ein Gieriger bin oder ein Lieber: Ich muß das machen. Dann muß ich investieren. Dann muß ich mich verschulden. Und wenn ich das nicht verstehe und sehe das, daß da alle Leute auf einmal Schulden aufnehmen und investieren, um Gewinne zu machen, dann sage ich: ».... Die wollen den Verfall ihres Eigentums auf Null verhindern.« Wie Sie, wenn Sie ein Haus haben, sagen: »Jetzt muß ich die Schulden aufnehmen für's neue Dach, sonst fällt mein Hauspreis so weit 'runter, daß ich's nicht mehr loswerden kann.« Es ist derselbe Mechanismus.“ (Ebd.).

„Es gibt keine »Realwirtschaft«. Es gibt nur verschuldete Unternehmen, die versuchen, diese Schulden zu decken, und beim Decken dieser Schulden schaffen sie Märkte. Märkte sind - ich wiederhole mich -, Kaufverträge sind »Kinder« von Kreditverträgen.“ (Ebd.).

„Und wenn in dieser Sphäre, in der Kredite geschaffen werden, auf einmal die Bedingungen der Kreditschaffung nicht mehr eingehalten werden, weil a) der Unternehmer, der jetzt eine Modernisierungsinvestition durchsetzen will, der kommt gar nicht an diesen Tresen heran, und b) die aber herankönnen - jetzt sind's wieder die Banken »Safranski« und »Heinsohn« (als Beispiele; Anm. HB) -, wir reiben uns die Hände und sagen: »Ist ja ein Wunder für Null kriegen wir das! Irgendwo werden wir damit schon einen Gewinn machen!«  Da ist dann die Abtrennung von den verschuldeten Firmen eingetreten. Wir machen jetzt andere Schulden, um irgendetwas damit zu gewinnen. Wir kaufen auf Preissteigerungen, wir investieren in Preissteigerungen und nicht in Produktionssteigerungen und nicht in Produktionsmodernisierungen, wohin ein Unternehmen investiert. Wir investieren nur in Preissteigerungen und sagen: »Das können wir auch so lange machen, wie die aus den Zentralbanken immer nachschieben.« Das heißt: Die Zentralbanken haben es geschafft, daß die Geschäftsbanken nicht mehr in Kontakt stehen mit ihren gewöhnlichen Firmenschuldnern. Das ist eingetreten.“ (Ebd.).

„Unterschätzen Sie die Banker nicht. Wenn z.B. Prince sagt: »Entschuligen Sie, meine Leute, ich muß so lange tanzen, wie die Musik spielt. Wenn ich als Bank dieses ›Null-Zins-Geld‹ nicht nehme, und die Aktionäre meiner Bank kriegen das mit - die stoßen morgen die Aktien dieser Bank ab und kaufen Aktien der Bank ›Safranski‹, weil der ›Safranski‹ mit diesem ›Null-Geld‹ 'was unternimmt und der ›Heinsohn einfach stillsitzt und sagt: ›Das kann nicht gut gehen‹.« Natürlich, wir wissen beide: Es kann nicht gut gehen. Aber so lange noch ein größerer Idiot in den höheren Preis geht, sind wir ja gut 'raus.“ (Ebd.).

„Das ist ein didaktisches Problem. Aber, wie gesagt, wenn ... erstklassige Leute ... sagen, wir verstehen das Wirtschaften nicht, wir haben 'n Modell, das kennt nur Teilelager, Firmen sind Teilelager, und die tauschen Schrauben so lange miteinander aus, bis 'was geschraubt werden kann, und eine Schraube wird zum Geld gemacht - das ist die herrschende Lehre (!), 's klingt so dumm, aber darauf sind die 80 Nobelpreise gefallen (!) -, wenn die sagen, wir verstehen nicht, und gehen dann weiter zur Tagesordnung über, und der Kollege ... sagt, aber ich werde nachgefragt mehr als je zuvor, ich kann reden mehr als je zuvor ....“ (Ebd.).

Wie man mit viel Geld Armut vermehrt (in: Die Welt, 9. Februar 2010) **

„Am 22. August 1996 unterschreibt Bill Clinton im Einklang mit den Republikanern ein Gesetz, das den überkommenen Sozialstaat abschafft. Bis dahin war Clinton noch das Idol der us-amerikanischen Linken, jetzt schallt ihm überall »Rassist!«  entgegen. Warum tut der Präsident das? Der Sozialstaat verhält sich widersinnig, ja regelrecht absurd. Obwohl USA pro Kopf immer reicher wird und immer höhere Summen an seine Armen überweist, geraten immer mehr Menschen in Armut. Dabei soll das seit 1935 geltende Familiengesetz unschuldig in Not geratene Mütter befähigen, auch weiterhin die Erziehung ihrer Kinder abzusichern. Schützen soll es die kinderreiche Witwe eines vom Gerüst gestürzten Dachdeckers oder eines sonst wie ums Leben gekommenen Ernährers.“ (Ebd.).

„Auffällig wird dieses Gesetz erst in den 1960er Jahren, als junge Frauen vor den Staat treten und für sich und ihren minderjährigen Nachwuchs Geld fordern, obwohl bei ihnen niemand vom Gerüst gefallen ist. Lediglich die Namen der Väter sind ihnen entfallen. Das wohlgemeinte Gesetz wird für die Steuerzahler plötzlich zur Falle. Sie durchschauen die Mütter, können aber doch die Neugeborenen nicht ohne Schutz lassen. Grimmig also zahlen sie auch an diese Frauen. Die aber hören dann mit dem Kinderkriegen nicht auf, um es für die bestmögliche Erziehung der schon vorhandenen einzusetzen, sondern bekommen weitere Kinder. Für den Steuerzahler verdoppelt sich die Rechnung. Zugleich verschlechtern sich die Entwicklungschancen der bereits vorhandenen Kinder und die der neuen gleich mit. Um der wachsenden Bildungsferne zu begegnen, werden die staatlichen Hilfen erhöht, was noch mehr Neugeborene nach sich zieht. Hilfe gibt es am Ende vor allem für Frauen, die durch Vermehrung nach Einkommen streben.“ (Ebd.).

„Die demographischen Auswirkungen erweisen sich als ungemein wuchtig. Während 1964 lediglich eine Million von Müttern geführte Familien mit vier Millionen Mitgliedern Sozialhilfe beziehen, explodiert ihre Zahl bis 1994 auf fünf Millionen Haushalte mit 14 Millionen Menschen. Das sind zwar nur fünf Prozent aller US-Amerikaner unter 65 Jahren, aber die zehn Millionen Kinder unter ihnen stellen bereits zehn Prozent aller us-amerikanischen Kinder.“ (Ebd.).

„USA schafft sich ein regelrechtes Proletariat, also eine schnell wachsende Minderheit, die sich nur über proles - lateinisch für Kinder - finanziert. Angesichts dieser Lage formuliert Charles Murray in seinem Buch »Losing Ground« (1984) sein heute berühmtes - damals aber auch verteufeltes - Gesetz, daß Versorgungszahlungen an Sozialhilfemütter ihre Kinder nicht besserstellen, sondern lediglich immer mehr von Sozialhilfe abhängige Mütter und Kinder hervorbringen (**). “ (Ebd.).

„In Staaten wie Kalifornien oder New York, die »linksprogressiv« regiert werden und besonders großzügig auszahlen, wird Murrays Befund am härtesten bestätigt. Die beiden Staaten stellen 1995 weniger als 20 Prozent der us-amerikanischen Bevölkerung, beherbergen aber fast 30 Prozent aller für Staatsgeld geborenen Kinder. Nahezu ein Viertel aller Babys werden in diesen beiden Staaten direkt in die Sozialhilfe geboren. In New York führt das - trotz wachsender Einwohnerschaft der Gesamt-USA - zu Bevölkerungsrückgang, weil steuerkräftige Bürger aus dem Staat fliehen. Zur Verbitterung der Progressiven laufen die für ihre großzügigen Gesetze vorgesehenen Zahler einfach davon.“ (Ebd.).

„Clinton bekommt von seinen Kritikern zu hören, Armut sei farbig, weiblich und kindlich. Sie treffe also die Schwächsten überhaupt, und gerade die greife der einst so verehrte Präsident an. Mitte der 1990er Jahre sind von 100 US-Amerikanern zwölf schwarz, aber unter 100 Sozialhilfebeziehern sind es 37. Weil ein Viertel aller schwarzen - und übrigens auch 20 Prozent aller hispanischen - Mütter vom Steuerzahler leben, entsteht der Eindruck eines Rassenproblems. Aber 75 Prozent aller schwarzen Frauen kommen - wenn auch mit eher einfachen Arbeiten - ohne Staatshilfe zurecht. Es geht also nur zum Teil um Unterschiede der Hautfarbe. Als gewichtiger erweisen sich Unterschiede in der Leistungsorientierung. Die schwarzen Frauen auf Sozialhilfe sind jünger, bildungsärmer und kinderreicher als ihre »Schwestern«. Gegen ihre beamtenähnliche Versorgung auf Lebenszeit empören sich deshalb schwarze Steuerzahlerinnen nicht weniger als hispanische, weiße oder solche koreanischer und chinesischer Herkunft.“ (Ebd.).

„USA fürchtet um seine Zukunft. Denn viele Töchter der Sozialhilfefrauen bereiten sich ihrerseits auf ein kinderreiches Leben auf Sozialhilfe vor. Die Söhne sind oft noch weniger qualifiziert als die Mädchen, weshalb sie die Steuergelder für ihre Mütter und Schwestern nicht verdienen können. Stärker noch beunruhigt, daß sie bei einem Anteil von nur zehn Prozent aller Jungen über 50 Prozent aller jugendlichen Gewalttaten begehen. Die Sozialhilfe eröffnet Karrieren also nur für die Mädchen, die beizeiten schwanger werden, um selbst Ansprüche aufbauen zu können. Die Jungen hingegen können durch schlichtes Nachwuchszeugen keine Versorgung erlangen. Doch haben wollen verständlicherweise auch sie alles. Der Schritt in die Kriminalität ist dann nicht weit.“ (Ebd.).

„Was nun unternimmt Bill Clintons Gesetz gegen eine schnell zunehmende Jugend, die nicht ausbildungsfähig ist und ihre zahlenden Mitbürger mit Gewalt bedroht? Ab 1. Januar 1997 kürzt es körperlich gesunden US-Amerikanern den bis dahin lebenslangen Rechtsanspruch auf Sozialhilfe auf fünf Jahre. (**). Diese Entscheidung wird flankiert durch Trainingsprogramme für Mütter und Tagesstätten für ihren Nachwuchs. Entscheidend aber wirkt die Obergrenze von fünf Jahren. Die können am Stück oder in Raten genommen werden, damit selbst mehrere echte Notlagen abgefangen werden können.“ (Ebd.).

„Wieder passiert etwas scheinbar Widersinniges. Obwohl US-Amerika seine Ausgaben gegen Armut herunterfährt, nimmt die Zahl der Armen nicht etwa zu, sondern ab. Erhalten am Vorabend des Gesetzes im Jahre 1996 noch 12,2 Millionen Bürger Sozialhilfe, so sind es 2005 nur noch 4,5 Millionen. Die Clinton-Kritiker dagegen prophezeien eine massive Zunahme der Fälle. Die aber bleibt aus. Die Zahl der Neuanträge sinkt. Charles Murrays Erkenntnis, daß man mit steigenden Ausgaben für mittellose Familien ihre Zahl noch vermehrt, funktioniert auch in der Gegenrichtung. (**). Werden die Prämien für Kinder von Sozialhilfebezieherinnen wieder abgeschafft, wird für solche Anreize auch nicht mehr geboren.“ (Ebd.).

„Das behauptete Rassenproblem scheint gleichwohl nicht geschwunden. Denn auch unter den verbleibenden Hilfeempfängern sind Afroamerikaner mit 36 Prozent dreimal häufiger und Hispanier mit 24 Prozent zweimal häufiger vertreten, als es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht. Weiße hingegen machen mit 33 Prozent nur die Hälfte ihres Bevölkerungsanteils aus, während aus Korea, Japan und China stammende US-Amerikaner so gut wie niemals etwas beanspruchen.“ (Ebd.).

„Am meisten überraschen die Schwächsten, also die armen Kinder. Für sie hatte man das Schlimmste angekündigt - vom Schlafen im Straßengraben bis zum Verhungern. Das unterbleibt schon deshalb, weil alle für Steuergeld geborenen Kinder ja auch weiter versorgt werden. Doch ihre absolute Zahl nimmt umgehend ab. Warum? Das Recht, jedes weitere Kind aus den Geldbörsen der Nachbarn zu finanzieren, existiert nicht mehr. Daraufhin werden auf solche Mittel gezielte Kinder gar nicht erst geplant. Schon die bloße Ankündigung des Gesetzes bewirkt, daß sich zwischen 1994 und 1996 über 500000 us-amerikanische Familien aus der Sozialhilfe verabschieden. Die Verwandten machen Druck. Denn an sie würde sich nun wenden müssen, wer weiter auf fremde Kosten leben wollte. »Den Steuerzahler kannst du meinetwegen abzocken, aber versuch nicht, mit neuen Gören bei mir zu landen«, heißt es jetzt derb, dafür aber auch sehr eingängig. Anders kann es nicht sein. Vom bisherigen Recht, sämtliche Steuerzahler für meine Kinder in Zahlungspflichten nehmen zu dürfen, ist nur noch das Recht gegenüber solchen Steuerzahlern geblieben, die meine Verwandten sind.“ (Ebd.).

„Nur wenigen entsteht durch Clintons Reform ein Schaden. Viele aber gewinnen. Die Bürger dürfen mehr von ihrem Verdienst behalten. Ihre Angst vor Kriminalität weicht. Bildungsferne Jungen, die über Gewalt nach oben streben, werden kaum noch gezeugt. Eine bedauernswerte, weil hoffnungslose Jugend wächst schlicht nicht mehr heran. Ungeborene können niemandem einen Baseballschläger über den Kopf ziehen, aber sie können auch von niemandem erniedrigt oder beleidigt werden. Vor allem die schlechter verdienenden Minderheiten können aufatmen. Ihre Gettos brennen nicht mehr. Und die Sozialhilfemütter von gestern können durch Erwerbstätigkeit ein Stück Selbstachtung zurückgewinnen.“ (Ebd.).

„Auch die Einwanderung in die Sozialhilfe hört auf, weil den Suchern nach solchem Heil schlicht nichts mehr angeboten wird. Im Gegenzug fliehen die Leistungsträger nicht mehr. Ihre Gemeinden blühen wieder auf. Wer in den 1980er und 1990er Jahren das immer mehr verrottende New York besucht hat und heute wieder in die Metropole kommt, könnte an ein Wunder glauben. Neben der Politik des Bürgermeisters Rudy Giuliani hat Bill Clintons Gesetzesänderung einen Beitrag zu der neuen Blüte geleistet. Die Zahl der Morde sank von 1990 bis 2009 um fast 80 Prozent, von 2245 auf 461. Das spricht sich global herum. Mehr als je zuvor streben tüchtige junge Menschen aus der ganzen Welt in den Big Apple. Auch Los Angeles und Chikago melden drastische Rückgänge der Gewaltkriminalität.“ (Ebd.).

„Wo die hartgesottenen Rassisten sitzen, wird nach Clintons glücklicher Reform ebenfalls deutlich. Sie unterteilen sich in zwei Gruppen. Die eine steht eher rechts und hält die Sozialhilfemütter für parasitär, durchtrieben und sexuell verkommen. Dabei handeln diese Frauen genauso rational wie andere Subventionsempfänger auch. Wenn mir der Staat Geld anbietet, wäre ich dumm, es nicht zu nehmen. Clinton versteht das. Deshalb beginnt er keinen moralischen Kreuzzug, sondern ändert das Gesetz - und zwar für alle.“ (Ebd.).

„Die zweite Gruppe steht eher links und argumentiert im Grunde noch verachtender. Sie betrachtet die Sozialhilfemütter als hilflose Personen, die selbst einfachste menschliche Verrichtungen nicht hinbekämen. Deshalb müsse mehr Geld her für immer größere Schutzheere von Sozialarbeitern. Rechte wie linke Rassisten werden von den Sozialhilfemüttern umgehend Lügen gestraft. Sie können Schwangerschaften nämlich genauso gut verhüten wie ihre Karriere-»Schwestern«. Gleich nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes verwenden auch sie das gesamte Arsenal der Geburtenkontrolle. Im einst besonders hart betroffenen Kalifornien liegen afroamerikanische Frauen heute bei nur noch 1,7 Kindern. Sie erreichen nicht einmal mehr die Nettoreproduktion. Seinerzeit ehrlich besorgte und nicht nur Pfründen verteidigende Clinton-Kritiker räumen deshalb ein, daß der Präsident viel Richtiges bewirkt hat. Und seine Verteidiger akzeptieren, daß Sozialhilfe nicht immer »mißbräuchlich« bezogen wird. In etwa 30 Prozent der Fälle mit 20 Prozent der Kinder handelt es sich um wirklich unschuldig in Not Geratene.“ (Ebd.).

„Rassist« gilt in Deutschland noch als liebevoller Anwurf gegen Kritiker von Zuständen, die Clinton 1996 zum Handeln gezwungen haben. Gerne kommt da auch noch ein Goebbels oder gleich ein ganzer Holocaust hinterhergeflogen. Ein Stück weit steckt in solchen Invektiven auch Nazivergangenheit. Schwerer aber wiegt, daß Deutschlands Interessengruppen, die aus der Armutshege stetige Gehälter beziehen, längst größer sind als ihre Gegenstücke damals in US-Amerika. Das kann auch gar nicht anders sein. Schließlich leben bei uns nicht nur 4,6 Prozent der Einwohner - wie 1995 in US-Amerika - von Sozialhilfe, sondern mit elf Prozent bereits mehr als doppelt so viele. Nicht zehn Prozent aller Kinder werden in Sozialhilfe geboren, sondern fast 20 Prozent. Spitzenkommunen erreichen nicht wie New York damals 25 Prozent, sondern über 70 Prozent wie im Berliner Süd-Neukölln, über 40 Prozent im Bundesland Bremen und schon 26 Prozent selbst im noblen Hamburg.“ (Ebd.).

„Die Zahl der von Sozialhilfe lebenden Kinder unter 14 Jahren explodiert in Deutschland zwischen 1965 und 2009 von 120000 auf fast zwei Millionen im April 2009. Das sind noch einmal 130000 Kinder mehr als beim Start der Hartz-IV-Reform im Jahre 2005, die doch die Trends umkehren wollte. Obwohl seit damals fünf Jahrgänge über das Alter von 14 Jahren hinausgewachsen sind, verbessern sich die Zuwendungschancen der Kinder nicht. Ganz wie damals in US-Amerika werden immer stärkere Jahrgänge direkt in die Transfers nachgeboren.“ (Ebd.).

„1965 ist in Deutschland die Geburtenkontrolle noch erschwert, die Abtreibung bestraft. Dennoch bleiben Sozialhilfekinder mit 0,6 Prozent aller Kinder die rare Ausnahme. Heute ist Deutschland um ein Mehrfaches reicher und zahlt dennoch mehr als je zuvor für seine unteren Einkommensgruppen. Gleichwohl haben die Frauen das gesamte Programm der Verhütung zur Verfügung. Niemand muss wegen äußerer Zwänge Kinder in die Welt setzen. Dennoch schießt der prozentuale Anteil des Nachwuchses auf Transfer mit jetzt 20 Prozent um den fast unglaublichen Faktor 33 nach oben.“ (Ebd.).

„Während der Tod der Familie beklagt wird, erweist sie sich in Hartz IV als jung und vital. Während unter den rund sieben Millionen Hartz-IV-Empfängern unter 65 Jahren 34 Prozent jünger als 20 Jahre alt sind, erfreuen sich in der zahlenden Gruppe mit 55 Millionen unter 65 Jahren gerade einmal 20 Prozent solcher Jugend. Im Stillen konzediert mancher jetzt auch für Deutschland die Gültigkeit von Murrays Gesetz, daß steigende Prämien für bildungsferne Kinder nicht weniger und besser gebildeten Nachwuchs, sondern noch mehr bildungsferne Kinder hervorbringen. (**). Ungleich mehr Bestürzung bewirkt, daß mittlerweile 20 bis 25 Prozent der gesamten Jugend nur beschränkt ausbildungsfähig ist. Unter den Hartz-IV-Kindern sind es 40 bis 50 Prozent. Spätestens seit 2004 sind diese Zahlen bekannt. Ein halbes Jahrzehnt später warnt der zweite Nationale Bildungsbericht der Kultusministerkonferenz, daß dieses alarmierende Zurückbleiben immer mehr Migrantenkinder betrifft, die Deutschlands Zukunft sind, weil ihr Anteil in den Schulklassen jährlich steigt. Gerade die Unqualifizierten unter den Migranten mit ihren ausgedehnten Familienclans zeigen die höchste Zufriedenheit mit dem Leben auf Hartz IV. Hingegen wollen Einwanderer vor allem aus Osteuropa heraus aus dem Transfersektor, wo sie sich etwa wegen Nichtanerkennung ihrer Diplome vorübergehend aufhalten müssen.“ (Ebd.).

„In Deutschland gibt es pro Jahr nur 700000 Neugeborene. Für die Nettoreproduktion von 2,1 Kindern pro Frauenleben wären jedoch 1,1 Millionen Geburten erforderlich. Es fehlen pro Jahrgang also von vornherein 420000 Kinder. Zählt man zu den Nichtgeborenen die 170000 Nichtausbildungsfähigen unter den Geborenen hinzu, dann liegt der jährliche Fehlbestand bereits bei knapp 600000. Nun verlassen aber seit 2004 jährlich auch noch 140000 bis 170000 junge Qualifizierte das Land. Während damals die New Yorker vor den finanziellen und kriminellen Lasten ihrer Heimatstadt meist nur in einen anderen Bundesstaat übersiedeln, also US-Amerikaner bleiben, gehen die hiesigen Abwanderer gleich der gesamten Nation verloren. Damit fehlen von den 1,1 Millionen der pro Jahr Benötigten 750000.“ (Ebd.).

„Es verbleiben pro Jahr 350000 Ausbildungssichere, also gerade mal 30 Prozent des Bedarfs. Die deutsche Demographie rechnet mit ihnen auch für die weitere Zukunft als festem Bestand. Da sie aber weltgewandt sind, begreifen sie früh, daß sie als Erwachsene nicht nur 170000 unqualifizierbare Gleichaltrige nebst Nachwuchs versorgen müssen, sondern daß jährlich auch eine Million zusätzliche Rentner versorgt sein wollen. Selbst bei entschiedener Vaterlandsliebe traut sich das kaum noch jemand zu. Schon 2007 träumen deshalb 87 Prozent aller deutschen Hochschulabsolventen von Karrieren im Ausland. Auch deshalb, weil sie dank geringer Sozialverschwendung dort 70 Prozent ihres Verdienstes behalten statt weniger als 50 Prozent hier.“ (Ebd.).

„In der Bundesrepublik will man von Murrays Gesetz (**) und Clintons Politik nichts wissen. Man glaubt, die Zahl der armen und bildungsfernen Kinder anders verringern zu können. Erstens: durch noch einmal höhere Prämien für bildungsferne Mütter sowie - zweitens - durch Kinderkrippen. Die betroffenen Frauen sollen nicht nur für jedes Kind mehr Geld bekommen. Zugleich sollen bildungsnahe und oftmals kinderlose Frauen ihren bildungsfernen »Schwestern« den Nachwuchs ab dem 18. Lebensmonat viele Stunden täglich entziehen und durch Deutschreden klug machen.“ (Ebd.).

„Daß dies nicht funktioniert, kann man bereits heute besichtigen. Kein Bundesland lebt seit 1945 linker ... als Bremen. Reich ist man damals ebenfalls. Heute jedoch werden mit über 40 Prozent - Bremerhaven allein über 50 Prozent - mehr Kinder gleich in die Sozialhilfe geboren als in den anderen Bundesländern. Und nirgendwo wird mutiger mit Erziehungsreformen experimentiert als am Weserstrand. Dennoch belegt das Land in den Pisa-Tests eisern und immer wieder nur den letzten Platz. Und zusammen mit den Berlinern leiden die Hanseaten unter dem höchsten Kriminalitätsrisiko. So leben von 100 Jungen Bremerhavens 2006 über 40 im Archipel Hartz IV. Die aber schaffen 90 Prozent der Jugendkriminalität. Man wiederholt US-Amerikas Erfahrungen fast eins zu eins.“ (Ebd.).

„Wenn irgendjemand in der Welt versucht, den Nachwuchs eingewanderter Schulversager hochintelligent zu machen, dann sind das die Hanseaten. Und doch tritt ihr Scheitern offen zutage. Das bremst ihren Optimismus nicht. Nur noch eine letzte Schippe Geld drauf, und alles werde gut. So verspricht der regierende Bürgermeister, das weitere Versinken der Hanseaten im Leistungsabgrund zu stoppen, wenn er nur von den anderen Ländern mit »besseren Sätzen für Kinder bei Hartz IV« eine letzte Chance bekomme. Das höchste deutsche Gericht ist ganz bei ihm mit der anstehenden Erhöhung des Kindersatzes für Hartz-IV-Familien gleich für die gesamte Republik.“ (Ebd.).

„Wenn Deutschland überdurchschnittlich vielen Schulversagern aus aller Welt eine Heimstatt bietet, dann könnte auch genau darin der Grund für die unterdurchschnittliche Akademikerquote liegen.“ (Ebd.).

„Nun hat Deutschland bald zwölf Millionen Menschen hereingeholt, unter denen höchstens zehn Prozent qualifiziert sind. Dabei geht es nicht nur um Muslime. Denn auch frühere Zuwanderer aus dem christlichen Südeuropa schaffen den Leistungssprung für höhere Qualifikationen häufig nicht. Obwohl im Zeitraum 1970 bis 2003 rund 7,3 Millionen Ausländer ankommen, stagniert die Zahl sozialversicherungspflichtiger Ausländer bei 1,8 Millionen. Der Löwenanteil landet in den Transfersystemen. Hingegen sind Neuankömmlinge in den klassischen Einwanderungsländern im Durchschnitt deutlich besser ausgebildet als die Bevölkerung ihrer Herkunftsländer. Die Zuwanderer in Deutschland dagegen verfügen über niedrigere Bildungsabschlüsse als ihre Landsleute daheim. Deshalb haben bei der Migrationsbevölkerung mit 14 Prozent siebenmal mehr keinen Schulabschluß als bei den Einheimischen. 44 Prozent dieses 19-Prozent-Anteils der Bevölkerung bleibt ohne Berufsausbildung gegenüber 20 Prozent bei den übrigen.“ (Ebd.).

„Deutschland rekrutiert also vorrangig aus Milieus, die schon daheim im Leistungswettbewerb ausgeschieden sind. Wie sollten die jenseits ihrer Grenzen plötzlich Elitepools für Akademiker bilden? Die generöse Entscheidung, aus den zu Hause Gescheiterten zu rekrutieren, sorgt dafür, daß die meisten Migrantenkinder in den Pisa-Tests 100 Punkte oder zwei Lernjahre hinter den Einheimischen liegen. Und diese Auswahl ist auch der entscheidende Grund dafür, daß jeder der in Deutschland 40 Millionen Erwerbstätigen schon 2008 auf Zusatzschulden von 25000 Euro für die Versorgung von Migranten sitzt. Nicht weil sie Ausländer sind, sondern weil sie schlechter qualifiziert sind, zahlen sie in ihrer aktiven Phase zwischen 20 und 60 Jahren weniger Abgaben, als sie an Leistungen erhalten.“ (Ebd.).

„Andere Nationen hüten sich auch angesichts solcher Noblesse davor, den deutschen Weg zu kritisieren. Mancher, der bei ihnen nicht landen kann, mag den durchaus warmherzigen Tipp bekommen, es doch in Deutschland zu versuchen. Aber diese Nationen kämen niemals auf den Gedanken, Deutschland zu imitieren. Wenn wir - so argumentieren sie - die Zuwanderer erst durch viele Milliarden klug machen sollen und das womöglich schiefgeht, haben wir in der globalen Konkurrenz doch gleich verloren. Vor allem Anglo-Länder wie Kanada und Australien gehen deshalb einen diametral anderen Weg. Er ist ganz leicht zu verstehen. Diese Länder wollen, daß ihre Kinder gescheiter werden als die Eltern und ihre Zuwanderer tüchtiger sind als die Durchschnittsbürger. Schließlich sollen beide Gruppen gemeinsam das Land auch in Zukunft durch Innovationen unter den Hightech-Nationen halten. Nur wer den Aufnehmenden etwas bieten kann und ihnen nicht gleich in die Taschen greifen muß, darf hoffen, von ihnen auch angenommen zu werden. Das funktioniert ohne Integrationsgipfel und Dauerkampagnen gegen Rassismus. Eine Bevorzugung von Intelligenz pflegen diese Länder an ihren Grenzen schon. Wer etwas kann, darf in jeder Farbe schillern. Wer aber schon daheim nicht mitgekommen ist, darf auch mit lautstarkem Verweis auf Haut und Haare nicht herein.“ (Ebd.).

„Alles unter 40 Jahren wird entschlossen angelockt, solange es nur »highly skilled« ist. Selbst Mittelschulzeugnisse reichen nur, wenn zugleich Meisterbriefe für ausgewählte Handwerksberufe vorliegen. Hochschulreife sollte es schon sein. Auch Absolventen aus Orchideenfächern dürfen herein. Denn wer in einer Universität Erfolg hat, wird auch in einem fremden Land ohne kostspielige Hilfe weiterkommen. Australien bringt es auf den Punkt: »Unser Programm für die hoch qualifizierte Einwanderung zielt auf Menschen, die bestens ausgebildet sind. Sie müssen Englisch auf hohem Niveau beherrschen und sehr schnell einen Beitrag zur australischen Wirtschaft leisten können.« In Kanadas Signal an die Talente der Welt erklingt derselbe Ton: Wir sind »an der Einwanderung von erfolgreichen Unternehmern interessiert, die mit ihren Fähigkeiten und ihrem Know-how einen Beitrag zum wirtschaftlichen und kulturellen Wohl Kanadas sowie zur Schaffung neuer Arbeitsplätze leisten.«“ (Ebd.).

„Ist es in Deutschland schon zu spät für den angelsächsischen Weg? Präsident Clinton hat in US-Amerikas dynamisch wachsender Bevölkerung bei fünf Prozent der Menschen unter 65 auf Sozialhilfe die Notbremse gezogen. Wir wissen nicht einmal, daß es eine Notbremse gibt. Deshalb versorgt Ende 2009 die Hauptstadt Berlin mit 16,6 Prozent mehr als dreimal so viele Leute unter 65 auf Hartz IV. Bei 600000 Transferempfängern gibt es in der Metropole mittlerweile weniger als 100000 Industriearbeiter.“ (Ebd.).

„Die heutigen Deutschen haben bei einer schrumpfenden und vergreisenden Einwohnerschaft 20 Prozent aller Kinder auf Hartz IV. In US-Amerika sind es selbst in den schlimmsten Jahren nie mehr als zehn und jetzt unter zwei Prozent. In US-Amerika geht die jugendliche Gewaltkriminalität durch die Reform kräftig nach unten. In Deutschland explodiert die Zahl verhafteter 18- bis 20-jähriger Gewalttäter zwischen 1994 und 2008 von 19000 auf 37000.“ (Ebd.).

„Deshalb also Koffer packen und nichts wie weg? Hunderttausende machen es so und raunen den Zögernden zu: Wer unter 25 ist, etwas kann und trotzdem bleibt, ist selber schuld. Womöglich ist es für Deutschland tatsächlich in dem Sinne zu spät, daß selbst eine Beendigung der Sozialhilfetrends das demographische Gesamtproblem kaum tangiert. Richtig ist auch, daß ein Kreuzzug gegen Minarette und Ganzkörperschleier nicht aus der Misere führt. Denn hiesiger Islamismus erwächst nur selten aus Frömmigkeit. Er dient zumeist als Schutzbehauptung für Versager nach dem Muster »Ich bin kein Verlierer, sondern nur unten, weil man meine Religion verfolgt, und dafür werden die Deutschen, Franzosen, Dänen u.s.w. teuer bezahlen«.“ (Ebd.).

„Um zu verhindern, daß sich die Situation weiter verschlimmert, wirkt nichts segensreicher als ein ganz unideologisches Zudrehen des Geldhahns für alle, die ohne Behinderung sind und dennoch von Sozialhilfe leben wollen. In US-Amerika wachsen seitdem keine Gettobrandstifter mehr heran.“ (Ebd.).

„Man müßte beim Kappen der Sozialhilfe die US-Amerikaner nicht einmal sklavisch imitieren. Man könnte sie überbieten und statt fünf ein Maximum von fünfeinhalb oder gar sechs Jahren Sozialhilfe anbieten. Gleichwohl wäre das Abstellen der Sozialhilfekultur kein Allheilmittel für Deutschlands Gebrechen. Aber ohne diesen Schritt kann das Land nur weiter abrutschen. Stoppt es hingegen den aktuellen Kurs, läßt sich vielleicht die Abwanderung der Intelligenten und gut Ausgebildeten verlangsamen. Überdies käme die Zuwanderung in die Transfersysteme zum Erliegen. Sie erfolgt schon jetzt im wesentlichen über die Familienzusammenführung, weil der freie Zuzug von Millionen gering Qualifizierten nicht mehr fortgesetzt wird.“ (Ebd.).

„Nach dem Kassieren des Rechts auf lebenslange Elternschaft in Hartz IV könnte sogar eine ernsthafte Einwanderungspolitik à la Kanada beginnen.“ (Ebd.).

„Jährlich verlassen fast eine Million Chinesen ihre Heimat, um anderswo ihr Glück zu suchen. Deutschland sollte um diese Auswanderer werben. Denn es gibt starke Hinweise darauf, daß es die Auswahl der Einwanderer ist und nicht ihre nachträgliche Bekrippung, die den Weg zum Erfolg weist.“ (Ebd.).

Sozialhilfe auf fünf Jahre begrenzen (in: F.A.Z., 16. März 2010) **

„Die Bedrohung für die Wirtschaft, den Sozialstaat, das Gemeinwesen insgesamt wird als so groß empfunden, daß es unter den Demographen kaum einen gibt, der dem Land noch Hoffnungen macht.“ (Ebd.).

„Eine demographische Zukunft haben nur die Bildungsfernen. So besteht im Februar 2010 die Hartz-IV-Bevölkerung von 6,53 Millionen Menschen zu 26 Prozent aus Kindern unter 15 Jahren (1,7 Millionen). Im leistenden Bevölkerungsteil von 58 Millionen Bürgern unter 65 Jahren dagegen gibt es nur 16 Prozent Kinder (9,5 Millionen). Doch selbst der 26-Prozent-Kinderanteil in Hartz IV ist nur ein Anfang. Er wird weiter wachsen, weil er bei den Kleinsten schon sehr viel höher liegt. So hatte Bremerhaven vergangenes Jahr zwar »nur« 33 Prozent der Kinder von 7 bis 15 Jahren auf Hartz IV. Bei den 0- bis 3-Jährigen aber waren es 45 Prozent. Deshalb steht zu befürchten, daß in einigen Jahrzehnten weit mehr als ein Viertel der Menschen in eine Hightech-Gesellschaft mit ihren hohen Qualifikationsanforderungen nicht paßt.“ (Ebd.).

„Weil junge Frauen während ihrer optimalen Gebärperiode heute genauso wie junge Männer mit ihrem beruflichen Fortkommen beschäftigt sind, reicht es bestenfalls noch für ein Wunschkind und oft nicht einmal für dieses. Deshalb liegen bereits 100 Nationen unterhalb der Nettoreproduktion von 2,1 Kindern. Die Regierungen haben spät auf diese Entwicklung reagiert.“ (Ebd.).

„Kanada wird zur ersten Nation, die bei den (oft chinesischen) Zuwandererkindern einen höheren Intelligenzquotienten (IQ) mißt als bei den Alteingesessenen.“ (Ebd.).

„Deutschland rekrutiert seine Einwanderer vorrangig nicht aus Eliten, sondern aus den Niedrigleistern des Auslands, weshalb man eben nur etwa 5 Prozent qualifizierte Einwanderer gewinnt. Und deren Nachwuchs schleppt die Bildungsschwäche weiter.“ (Ebd.).

„Die deutsche politische Führung scheint fest entschlossen, weiter auf dem erfolglosen, immer teurer werdenden Weg der verfehlten Einwanderungs- und Sozialpolitik zu gehen. Mehr Geld für Sozialprogramme hilft dabei nicht einmal zur Bekämpfung der Symptome, wie der Politologe und Ökonom Charles Murray in seiner Studie »Losing Ground« überzeugend dargelegt hat (**). Zwischen 1964 und 1984 erhöhten die USA ihre Ausgaben für Sozialhilfe sehr stark. Und doch stieg die Zahl der »Sozialhilfemütter« und ihrer Kleinen von 4 auf 14 Millionen. Murray faßte diese Entwicklung in die Gesamtformel »Mehr Geld vermehrt Armut«.“ (Ebd.).

„Seine wichtigsten Schlußfolgerungen lauteten: Erstens: Die Bezahlung der Mutterschaft für arme Frauen führt zu immer mehr solchen Müttern. Zweitens: Die Kaschierung des Schulversagens ihrer Kinder durch Senkung der Anforderungen höhlt die Lernbereitschaft weiter aus. Drittens: Die Entschuldigung der Kriminalität dieser Kinder - 10 Prozent der Jungen sind auf Sozialhilfe, diese begehen aber 50 Prozent der Verbrechen - als »Versagen der Gesellschaft« treibt die Deliktzahl weiter nach oben. Viertens: Die Abschaffung der Sozialhilfe wirkt für die Betroffenen hilfreicher als ihre Belohnung mit Quasiverbeamtung für immer mehr bildungsferne Kinder.“ (Ebd.).

„Diese unbequemen Einsichten haben in der us-amerikanischen Politik zu einem Umdenken geführt. Letztlich hat der Linksliberale Bill Clinton die entscheidende Wende eingeleitet. Ungeachtet aller »Rassismus«-Vorwürfe aus den eigenen Reihen setzte er zum 1. Januar 1997 die wichtigsten von Murrays Vorschlägen um. Clintons Reform beendete das geltende Recht auf lebenslange Sozialhilfe. An seine Stelle trat ein auf fünf Jahre begrenztes Recht auf Unterstützung bei tatkräftiger Hilfe nicht zu irgendeiner abstrakten Integration, sondern zum Übergang in Arbeit. Der Erfolg dieser Maßnahmen war durchschlagend: Bezogen vor der Reform 12,2 Millionen us-amerikanische Bürger Sozialhilfe, so waren es 2005 nur noch 4,5 Millionen. Die Frauen der Unterschicht betrieben nun Geburtenkontrolle. So sank die Zahl der »welfare mothers« drastisch, ebenso die Kriminalität der Söhne dieses Milieus.“ (Ebd.).

„Fährt Deutschland mit seinem sozialpolitischen Kurs, der die Clintonsche Lektion ignoriert, wirklich besser? Die Zahl der ausschließlich von Sozialhilfe lebenden Kinder unter 15 Jahren sprang von rund 130000 im Jahre 1965 (nur Westdeutschland) über 630000 im Jahre 1991 auf 1,7 Millionen im Februar 2010. Nicht nur 10 Prozent aller Babys wie damals in den USA, sondern schon 20 Prozent werden mit Steuergeld finanziert. Während deutsche Frauen außerhalb von Hartz IV im Durchschnitt nur ein Kind haben ..., vermehrt sich die vom Sozialstaat unterstützte Unterschicht stärker - mit allen Folgeproblemen. So sind in der Hartz-IV-Musterkommune Bremerhaven die Jungen in Sozialhilfe mit einem Anteil von rund 40 Prozent an der männlichen Jugend für mehr als 90 Prozent der Gewaltkriminalität verantwortlich.“ (Ebd.).

„Solange die Regierung das Recht auf Kinder als Recht auf beliebig viel öffentlich zu finanzierenden Nachwuchs auslegt, werden Frauen der Unterschicht ihre Schwangerschaften als Kapital ansehen. Allein eine Reform hin zu einer Sozialnotversicherung mit einer Begrenzung der Auszahlungen auf fünf Jahre statt lebenslanger Alimentierung würde wirken - nicht anders als in den USA. Eine solche Umwandlung des Sozialstaats würde auch die Einwanderung in die Transfersysteme beenden. Deutschland könnte dann im Wettbewerb um ausländische Talente mitspielen ....“ (Ebd.).

Heute Athen, morgen Berlin (in: Der Tagesspiegel, 27. April 2010) **

„Die Griechen kann es kalt lassen, ob das aktuelle europäische Hilfspaket nun 40, 80 oder 160 Milliarden Euro kostet. Bankrott bleiben sie so oder so. Und auch in Zukunft rechnet niemand auf Innovationen aus Griechenland. Es gibt schlichtweg keine Kameras, Computer oder Autos aus Griechenland, die wir umgehend kaufen würden, wenn nur ihre Preise endlich fielen.

Die griechische Bevölkerung schrumpft – optimistisch gerechnet – bis 2040 von 11 auf 10 Millionen. Ihr Durchschnittsalter springt von 38 auf 50 Jahre. Zur Schrumpfvergreisung gesellt sich beim Pisa-Mathetest ein eisern verteidigter europäischer Schlußrang. Man ähnelt hier dem Bankrotteur an der westlichen Peripherie der EU.

Auch Portugals Bevölkerung schrumpft, steigt beim Durchschnittsalter von 38 auf 50 Jahre und liegt bei Pisa nur knapp vor Griechenland. Vor dem Internationalen Währungsfonds mag man all das verheimlichen können. Doch die Ratingagenturen finden es heraus und werden dann neugierig auf Länder, die immer noch glauben, den Griechen sagen zu können, wo es langgeht.

Wer genau sind zum Beispiel die »vorbildlich wirtschaftenden« Deutschen, die jetzt widerwillig, aber irgendwie auch böse stolz für mediterranes Grillen aufkommen? Unter 40 Millionen Erwerbstätigen hat der EU-Riese 25 Millionen voll versicherte Nettosteuerzahler. Auf die fallen – zusätzlich zu ihren persönlichen Obligationen – offizielle 1800 Milliarden Euro Staatsschulden an. Pro Nase sind das 72000 Euro oder zwei unversteuerte Jahresgehälter. Hinzu kommen unausgewiesene Verpflichtungen, zum Beispiel für Renten- und Pensionsverpflichtungen. Der Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen veranschlagte sie Anfang 2010 auf 6200 Milliarden Euro. Auf jeden unserer Nettoleister fallen damit 240000 Euro Schulden oder sieben unversteuerte Jahresgehälter an. Und dieser Einäugige unter Blinden gilt als bester Schuldner der Menschheit.

Auch die Deutschen werden einmal vor der Staatspleite stehen.

Aber ist ein solcher Betrag jemals bedienbar und bleibt sogar noch etwas übrig für das Tilgen der griechischen Schulden? Bis 2060 soll Deutschland von jetzt 83 auf 65 Millionen Einwohner schrumpfen, wenn 100000 Hochqualifizierte jährlich kommen und 170000 Hochqualifizierte nicht mehr auswandern. Für diesen noch optimistischen Fall wird das Durchschnittsalter von jetzt 44 auf »nur« 54 Jahre ansteigen. 100 Versorger zwischen 25 und 65 Jahren werden »nur« 180 Versorgten gegenüberstehen.

Als eine einzige Person betrachtet wird Deutschland mithin älter, kleiner, unqualifizierter und schuldenreicher. Gewiß, es verfügt global noch über Spitzenpositionen (mehr als alle anderen Länder der Welt! Anm. HB). Deshalb erfolgt sein Innovationsabstieg als Verlust von Branchen, die Griechenland von vornherein nicht hat. Nach Optik, Telekommunikation und Computern verabschiedet sich momentan das Bio-Engineering. Und wenn man die chinesischen Nobelkarossen auf der Auto-Show in Peking anschaut, will man die Unantastbarkeit deutscher Autos auch nicht mehr beschwören.

Überraschen kann das gleichwohl nicht, weil Deutschland sich als erstes OECD-Land in der Dequalifizierungsspirale befindet. Auf 100 ins Rentenalter wechselnde Ingenieure folgen ... in Deutschland aber nur noch 90. Denen läßt der Staat von 100 verdienten Euro gerade mal 46 in der Tasche. Und dennoch stammen von den 320 Milliarden Euro im Bundeshaushalt 2010 runde 100 Milliarden aus frischen Schulden. Auch die kommen auf die rare Jugend zu.

Niemand bringt deshalb überzeugende Gründe dafür vor, daß die Deutschen auch nur ihren eigenen Verpflichtungen nachkommen werden. Von einer dreißigjährigen Bundesanleihe über drei Milliarden Euro wurde Deutschland in der vergangenen Woche nur noch 2,75 Milliarden los. Auch das kriegen die Ratingagenturen bald heraus. Und wer spätestens dann nicht gegen den Euro wettet, ist selbst schuld.“ (Ebd.).

Gabriel und die Gene (in: Die Achse des Guten, 13. September 2010) **

„In der internationalen Intelligenzforschung gilt Richard Nisbett aus Ann Arbor als Randfigur. Aber als es in Deutschland darum geht, Thilo Sarrazin in die Ecke des Rassismus zu drängen, steht er plötzlich im Mittelpunkt. Der SPD-Führer Sigmar Gabriel gibt die Angriffslinie vor: Sarrazin »hat eine rote Linie überschritten mit der Behauptung, daß sich Intelligenz und Leistung verschiedener Kulturen genetisch vererben würden« (BILD, 1. September 2010). Diese »Perversion«, setzt er am 12. September mit einer neuen Holocaust-Theorie nach, habe »nach Auschwitz geführt« (BILD AM SONNTAG). Es obliegt dem SPIEGEL, Nisbett am 6. September 2010 als Kronzeugen gegen den Bundesbanker in Stellung zu bringen. Sein Vererbungsprozentsatz von 50 bis 80 Prozent sei »veraltet«, denn »ein Wert von 50 Prozent [sei] der maximale Beitrag der Genetik« (SPIEGEL, Nr. 36, 2010, S. 135).

Parteiführer und Regierungsspitzen, die Sarrazin zu jagen haben, sind nur halb zufrieden. Sie können Sarrazin jetzt nur noch für sein »bis 80 Prozent« aburteilen. Denn Gabriel wird bei Heranziehung Nisbetts ja selbst zu einem fünfzigprozentigen Vererber. Die Anwälte Sarrazins können dann entgegnen, daß doch auch ihr Mandant von 50 Prozent spreche und seine Offenheit ja gerade dadurch ausdrücke, daß er die 80 Prozent nicht dogmatisiere, sondern als Höchstwert begreife. Bis 50 Prozent sei er also deckungsgleich mit der allermodernsten Wissenschaft und ihrem Anhänger Gabriel. Parteichef und Dissident würden mithin als »Halbbiologisten« durchaus Arm in Arm gehen können.

Setzt Nisbett sich durch, dürfen alle 50-Prozent-Vererber in Parteien, Parlamenten und Banken bleiben. Als schönes Nebenprodukt gewinnt Deutschland gleich für die ganze Welt eine neue Definition des Rassismus. Alles bis 50 Prozent bleibt legal. Doch wer nicht ausdrücklich und immer wieder beteuert, daß er nie und nimmer auch nur ein einziges Prozent über 50 in Erwägung ziehen werde, wird der Antifa zum Fraß vorgeworfen.

Doch schon am 8. September geht die 50-Prozent-Klarheit wieder verloren. Nisbett erklärt in der Süddeutschen Zeitung: »Wächst man in Ober- oder Mittelschichten auf, dann hat man meist die besseren Voraussetzungen, den vererbten IQ auch zu entwickeln.« Das tut nun wirklich weh. Auf einmal ist gleich der ganze IQ ererbt. So radikal formuliert nicht einmal Sarrazin. Niemand kann – so nun Nisbett – seinen IQ voll entfalten, weil niemand die optimale Umwelt für seine hundertprozentige Realisierung kennt. Die einen kommen lediglich näher ans Maximum heran als die anderen. Haben sich unsere Journalisten mit einem »Menschenverächter« eingelassen? Muß nun Nisbett aus dem herrschaftsfreien Dialog ausscheiden?

Wie dem auch sei, am 10. September ist der Mann aus Michigan im STERN. Dort gibt er noch einmal den Über-Sarrazin, wenn er bei der »Begabung« der US-Mittelschicht »die Biologie stärker« durchschlagen läßt, weil sie über ein höheres Anregungspotential verfüge. Stecke man aber Schüler aus der Unterschicht täglich elf Stunden lang über drei Jahre hinweg in ein Intensivprogramm – diese 10000 Stunden kosten deutlich über 100000 Dollar –, dann könne man »die Hälfte der Leistungsunterschiede zwischen schwarzen Kindern aus ärmeren Verhältnissen und weißen Mittelschichtkindern zum Verschwinden bringen« (STERN Nr. 37/2010, S. 38). Rechtfertigt diese Hälfte nun wieder volle Breitseiten gegen Sarrazin? Wohl kaum. Denn mehr als eine Rückstandsverringerung verspricht selbst Nisbett nicht. Überdies weiß keiner, wie es ausginge, wenn auch die Mittelschichtkinder drei Jahre lang so trainiert würden. Führt der gute Nisbett den STERN also an der Nase herum, weil er über ein Experiment ohne Kontrollgruppe berichtet, also die Minima wissenschaftlicher Sorgfalt verletzt? Man muß Nachsicht haben, wenn deutschen Intellektuellen so etwas nicht auffällt. Denn die Intelligenzmessung wird unter Hitler als »Prüfungssystem jüdischen Ursprungs« geächtet und hat sich von der Ermordung oder Vertreibung der einschlägigen Gelehrten bis heute nicht erholt (H. Rindermann, »Intelligenz«, in: Merkur, August 2009).

Doch in Amerika schaut man Nisbett auf die Finger und konzentriert sich dabei auf sein 2009er Buch Intelligence and How to Get It (New York, Norton). So verteidigt James J. Lee von der Harvard Universität die Position, daß die Intelligenz mittelschichtig erzogener weißer Kinder zu 75 Prozent vererbt ist (in: Personality and Individual Differences, Band 48, 2010, S. 247-255). Diesen Befund präsentiert 1997 als Altmeister der Zwillingsforschung Thomas J. Bouchard in seinem Aufsatz »IQ similarity in twins reared apart: Findings and responses to critics« (in: R. J. Sternberg und E. Grigorenko [Hrsg.], Intelligence, Heredity and Environment, Cambridge, UK: Cambridge University Press, S. 126-160). Nisbett will von eben diesen 75 Prozent weg und behauptet dafür, daß getrennt aufwachsende eineiige Zwilling, die extrem unterschiedlichen Milieus ausgesetzt sind, nicht mehr maximal zu 91 Prozent im IQ übereinstimmen, sondern höchstens nur noch zu 67 Prozent.

Lee verweist darauf, daß schon Bouchard selbst diesen Gedanken verfolgt und aufgrund der empirischen Befunde verworfen hat (»Do environmental similarities explain the similarity in intelligence of identical twins reared apart?«,  in: Intelligence, Band 7, 1983, S. 175-184). Überdies zeigt die größte Untersuchung an eineiigen (74) und zweieiigen (52) Zwillingspaaren, die ähnliche wie auch extrem unterschiedlich pädagogische Umwelten einschließt, daß die Betroffenen in g (generelle Intelligenz) zu 77 Prozent übereinstimmen, obwohl die zweieiigen Paare von vornherein unterschiedliche biologische Ausstattungen mitbringen (W. Johnson et al., »Genetic and environmental influences on the Verbal–Perceptual-Image Rotation (VPR) - model of the structure of mental abilities in the Minnesota Study of Twins Reared Apart (MISTRA)«, in: Intelligence, Band 35, 2007, S. 542-562).

Diese 77 Prozent nun unterminieren Gabriels glücklich gefundene Richtung, daß zwar alles bis 50 Prozent Vererbung in der SPD bleiben darf, er aber ab dem ersten Prozent darüber mit der Auschwitzkeule zuschlägt. Gerade mit dem Argument, das sogar Sarrazins Verteidigern peinlich ist, legt der seinen Verfolgern also eine Nuß hin, deren Knacken noch viel Kurzweil verspricht.

Und doch ständen wir mit solchen Verrenkungen noch nicht einmal am Anfang von Lösungen für unsere Probleme. Denn bei uns soll ja durch Intensivförderung ab dem 18. Lebensmonat eine Bevölkerung an die Weltspitze geführt werden, die im us-amerikanischen Jargon überwiegend als »weiß« firmiert. Solche US-Amerikaner nun liegen bei der Internationalen Mathematikolympiade für Zehnjährige (TIMSS 2007) mit 550 Punkten deutlich hinter us-amerikanischen Ostasiaten (Koreaner, Chinesen), die 582 Punkte erreichen. Niemand weiß, wo Menschen aus kürzlich noch bettelarmen Ländern die anregenden Umwelten durchlaufen haben könnten, die sie an die mathematische Weltspitze bringen. Und nicht einmal Nisbett kennt Wege, wie man den Rückstand seinesgleichen mit dem unstrittig besten Anregungsmilieu aller Zeiten gegenüber den Ostasiaten verringern oder gar halbieren könnte. Nur wer den altdeutschen Durchschnitts-IQ von 103 (vor einigen Jahren noch: 108! Anm. HB [**|**]) auf die ostasiatischen 107 (nach meiner Information: 100 [China], 105 [Japan], 106 [Südkorea]; Anm. HB [**|**]) anheben kann, sollte deshalb im SPD-Vorstand direkt neben Gabriel sitzen dürfen.“ (Ebd.).

„Europäerinnen und Europäer: Wir haben fertig!“ (in: Focus, 02. Juli 2012) **

„Angela Merkels noch zu haltende Europa-Rede könnte - oder müßte - ungefähr so lauten: »Europäerinnen und Europäer: Wir haben fertig!«

Liebe Europäerinnen und Europäer! Ich habe am 14. Juni 2012 gesagt: »Unsere Stärke ist nicht unendlich.« Man hat diese Aussage oft als Ausrede gegen die Übernahme weiterer Lasten gedeutet. Ich möchte deshalb noch offener werden.

Milliarden Menschen sehen Deutschland auf vollen Geldkisten sitzen, aus denen es endlich etwas hergeben müsse, weil viele Regierungen nur Schulden hätten und allein aus Berlin ein globaler Absturz verhindert werden könne. Doch wo immer wir helfen, tun wir das nicht mit frei verfügbaren Mitteln. Für alle Gaben müssen wir selber zusätzliche Schulden aufnehmen. Das könnten unsere Bürger doch leicht aushalten, wird gerne entgegnet. Schließlich gelte der deutsche Staat ihretwegen als bester Schuldner der Welt. In Wahrheit aber hat auch der deutsche Staatsbürger seit über 40 Jahren niemals tilgen können, sondern immer weiter hochschulden müssen. Schuldete er 1970 pro Kopf gerade mal 800, so sind es heute 24 000 Euro. Doch 1970 hatten unsere Bürger bei einem Durchschnittsalter von 34 Jahren noch viele aktive Jahre vor sich. Heute hingegen drückt sie ein Durchschnittsalter von 44 Jahren. Ich weiß nicht, wie sie von ihrer Last jemals wieder herunterkommen sollen. Im Stillen hoffe ich, daß die Rating-Agenturen unsere Ohnmacht nicht allzu schnell erfassen. Wir brauchen also selber dringend Rat, wo man von uns Entlastung erhofft.

»Wir wissen nicht, wer unsere eigenen Alten nebst ihren Schulden tragen wird. Wir stehen hilflos vor demographischen Problemen.«

Lassen Sie mich erläutern, wie wir mit unseren eigenen Schuldnern verfahren. Der Staat hilft ihren Gläubigem bei der Vollstreckung. Wenn jemand seine Steuern nicht zahlt, nehmen ihm unsere Gerichte Eigentum im Umfang der Schuldsumme weg. Wie können wir den so Behandelten weiteres Eigentum abverlangen, um es Ländern zu geben, in denen die Regeln des Kreditgebens und des Steuerzahlens nicht durchsetzbar sind?

Man sagt uns, daß 100 im Jahre 1970 geborene Griechen oder Portugiesen im Jahre 2030 lediglich 70 Enkel haben werden, die niemals für ihre Alten sorgen können. Mitleidlos verhalte sich Deutschland, wenn es da nichts gebe. Wir wissen um diese Not. Deshalb wurde ja der Löwenanteil der bald 40 000 Euro, die etwa jeder Grieche seit dem EU-Beitritt seines Landes bekommen hat, von Deutschen gegeben. Aber wir können das nicht mehr fortführen, weil 100 im Jahre 1970 geborene Deutsche im Jahre 2030 nicht einmal 70, sondern nur 60 Enkel haben werden. Wir wissen nicht, wer unsere eigenen Alten nebst ihren Schulden tragen wird. Wir stehen hilflos vor unseren demographischen Problemen. Und es beschämt uns, daß wir in Zukunft nicht einmal mehr das zahlen können, worauf man bisher so selbstverständlich rechnen durfte.

Wir hören, daß Spanien mit nur sieben und Portugal oder Griechenland mit sogar nur zwei europäischen Patenten auf eine Million Einwohner (2009) auch nach den Milliardenfluten niemals konkurrenzfähig werden und deshalb für alle Zukunft Berliner Unterstützung brauchen. Deutschland mit 114 Patenten auf eine Million Einwohner stehe dagegen glänzend da. Wir begreifen die Hoffnungslosigkeit dieses Raumes mit seinen 65 Millionen Menschen, und es stimmt, daß wir allein wegen unserer Innovationen anderen noch beistehen können. Doch auch wir befinden uns in schnellem Niedergang. Lassen Sie mich das mit Anträgen auf europäische Patente in der Hochtechnologie belegen. 2003 kamen aus Deutschland 3500, 2008 waren es nur noch 1900. Bei internationalen Patenten stand es 1990 zwischen Deutschland und China noch 700:100. Aber bereits 2009 ist der asiatische Gigant auf 130:100 davongezogen. Auch unsere Menschen können gegen die Begabung, den Fleiß und die Präzision der Menschen aus Ostasien immer weniger ausrichten.

»Während wir viele hunderttausend der Besten ziehen ließen, nahmen wir Abgeschlagene aus der ganzen Welt in Obhut.«

Manche erinnern sich, daß Deutschland bei Kameras und Telefonen, Fernsehern und Speichermedien, Medikamenten und der Unterhaltungselektronik, im Schiffbau und bei Atomkraftwerken bis in die 1970er Jahre Weltspitze war. Wir haben diese Industrien nicht nur verloren, weil andere Länder geringere Löhne zahlten, sondern weil sie schneller und einfallsreicher waren. Das sieht man daran, daß wir diese Branchen auch dann nicht zurückgewinnen konnten, als unsere Löhne unter die Einkommen der Konkurrenz fielen. Wir haben für eine Aufholjagd einfach keine Köpfe mehr. Dabei verschlechtert sich unsere Bilanz weiter, weil ein Fünftel unserer Kinder nicht ausbildungsreif wird und in keinem Land der Erde die Schulleistungen der Einwandererkinder tiefer unter dem einheimischen Niveau liegen als bei uns. Während wir viele hunderttausend der Besten ziehen ließen, haben wir Abgeschlagene aus der ganzen Welt in Obhut genommen. Da werden Millionen ein Leben lang Hilfe fordern, aber niemals Patente entwickeln. Wir wissen nicht, wie lange wir diese Mitbürger noch versorgen können, denn das Durchschnittsalter unserer männlichen Leistungsträger überschreitet mühselige 46 Jahre, während der Hilfesektor bei 26 Jahren liegt. Wir wissen aber, daß niemand außer uns für diese Menschen etwas tun wird.

Erlauben Sie mir zum Schluß ein paar Worte an unsere angelsächsischen Ratgeber. .... Sie versichern uns, daß nach 1945 die Schuldenstände noch höher lagen als heute und man bereits 1970 wieder gut dastand. Das ist richtig, aber damals haben wachsende und viel jüngere Bevölkerungen diese Lasten abgetragen. Heute stehen vergreisende und schrumpfende Bevölkerungen vor den Billionenbergen, und es gibt die brillante Konkurrenz aus Ostasien, die zwischen 1945 und 1965 keine Rolle spielte. Hier ist man im Blick auf die Vergangenheit viel zu optimistisch.

Man warnt uns auch vor neuer politischer Radikalisierung a la 1933, wenn wir nicht endlich garantieren und zahlen. Auch ich habe manchmal mit neuen Kriegsgefahren argumentiert. Aber ich verstehe längst, daß die jungen Männer, die sich damals in roten, braunen oder schwarzen Hemden gegenseitig terrorisierten, aus den Jahrgängen der Zeit vor 1914 kamen, als Europas Frauen mit vier bis fünf Kindern vor Problemen standen wie jetzt die Mütter in Syrien oder dem Gazastreifen. Solche paramilitärischen Millionenheere gibt es bei weniger als einem Sohn pro Frau in Europa nicht mehr. Hier ist man im Blick auf die Vergangenheit also viel zu pessimistisch.

Gleichwohl warnt man uns und mich persönlich immer öfter vor dem Haß der ganzen Welt. Wir fürchten uns vor diesen Emotionen. Aber wir haben auch viel zu selten dargelegt, warum wir sie nicht verdienen.“ (Ebd.).

 

Zitate: Hubert Brune, 2007 (zuletzt aktualisiert: 2012).

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- Literaturverzeichnis -