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Karl Jaspers
(1883-1969)
Lebensphilosophie Existenzerhellung und Weltgeschichte mit Achsenzeit

NACH OBEN Karl Jaspers gebrauchte den Begriff der Existenzphilosophie, der dennoch seinen stärksten Ausdruck durch Martin Heidegger (1889-1976 ) erhielt, für das alle Sachkunde nutzende und trotzdem überschreitende Denken, durch das der Mensch er selbst werden möchte. Nach Jaspers kommt dem eigentlichen Selbstsein noch ein Ansichsein entgegen, da es sich mit dem Umgreifen, mit der Transzendenz, verbindet, die sich durch eine Chiffreschrift anzeigt. (). Die Chiffre (Geheimzeichen) erfahren wir aus der Wirklichkeit unserer Erkenntnis, nicht aus dem bloßen Verstand, der vielmehr hier überall keinen Sinn zu sehen meint. Der Hauptunterschied zwischen Heidegger und Jaspers liegt darin, daß Jaspers einen „Appell“ an die Menschen richtete, sich um ein eigentliches Dasein zu bemühen, während der frühe Heidegger vom Dasein aus das Sein offenbar werden lassen und den Sinn von Sein erschließen wollte.


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1. Stadium („Winter“)2. Stadium („Frühling“)3. Stadium („Sommer“)4. Stadium („Herbst“)
Vor-/Urdenken: Jaspers’
„Vor-/Urphilosophie“
Frühdenken: Jaspers’
„Frühphilosophie“
Hochdenken: Jaspers’
„Hochphilosophie“
Spätdenken: Jaspers’
„Spätphilosophie“
(Dauer: 18 Jahre)(Dauer: 18 Jahre)(Dauer: 30 Jahre)(Dauer: 20 Jahre)
1883 bis 19011901 bis 19191919 bis 19491949 bis 1969
Geburt
(23.02.)
„PSYCHOLOGIE DER
WELTANSCHAUUNGEN“
Tod  
(26.02.)
Übergang
    Schule / Studium
|„Vom Ursprung und
Ziel der Geschichte“
Frühe
Kindheit
Grund-
Schule
Gym-
nasium
1901
- 1908
1908
- 1913
1913
- 1919
1919
- 1933
1933
- 1945
1945
- 1949
1949
- 1957
1957
- 1961
1961
- 1969
ErläuterungErläuterung

Jaspers kam von der Psychopathologie her; in seinem wissenschaftlichen Hauptwerk (vgl. Allgmeine Psychopathologie, 1913 ) hob er durch die methodologische Systematik die Psychopathologie aus einer klinischen Empirie in eine wissenschaftliche Forschungspraxis. Mit diesem Werk begründete er, den von Dilthey () explizit gemachten Begriff des Verstehens in die Psychologie einführend, eine hermeneutisch-geisteswissenschaftliche Psychopathologie. Theorien werden nur bis an die Grenzen ihres Gehalts an Realität als Theorien ernst genommen. Das Ganze selbst, der Mensch, entzieht sich ihrem Zugriff. Die Psychologie Jaspers' (vgl. Psychologie der Weltanschauungen, 1919 ) ist in weitem Umfang Existenzerhellung. Über die empirische Feststellung von Tatbeständen wuchs sie zum systematischen Entwurf von Möglichkeiten der Seele und zum indirekten Appell an die Freiheit, die eigene Lebenskraft des Menschen.


Nach Jaspers erfährt die menschliche Existenz sich als Unbedingtheit in Grenzsituationen:

„Man ist immer in Situationen. An ihrer Veränderung kann man arbeiten, aber es gibt Grenzsituationen, die
immer bleiben, was sie sind, denn: ich muß sterben, ich muß leiden, ich muß kämpfen, ich bin dem Zufall
unterworfen, ich verstricke mich unausweichlich in Schuld. Die Grenzsituationen sind neben dem
Staunen und dem Zweifel der Ursprung der Philosophie. Wir reagieren auf Grenzsituationen
durch Verschleierung oder durch Verzweiflung, begleitet von einer Wiederherstellung
unseres Selbstseins (Selbstbewußtseins).“ (Karl Jaspers, a.a.O., 1950 ).


Als Existenzphilosoph wurde Jaspers wegen seiner Psychologie der Weltanschauungen (1919 ) also noch eher bekannt als Heidegger () mit Sein und Zeit. (). Philosophie ist nach Jaspers Existenzerhellzng im Ausgang von den Erfahrungen der Grenzsituationen wie z.B. Tod, Schuld, Leiden, Kampf, Zufall u.s.w..

Jaspers' Philosophie hat entscheidende Gehalte von Kant (1724-1804 Kant) und Kierkegaard (1813-1855 ) in sich aufgenommen. (). Doch ging es Jaspers nie darum, wie die großen Philosophen zu denken, sondern aus und in ihren tragenden Gehalten ursprünglich das Philosophieren seiner Zeit zu finden. Philosophiegeschichte, deren Horizont die Universalgeschichte der Philosophie ist, erschöpft sich nicht in der Historie, sondern ist wesentlich Praxis der Aneignung.

Man kann das ganze Gebiet von Jaspers' Philosophie mit den fünf Grundfragen umgrenzen:

1.) Was ist Wissenschaft? Wissenschaft
2.) Wie ist Kommunikation möglich?
3.) Wie wird uns Wahrheit zugänglich?
4.) Was ist der Mensch?
5.) Wie wird man sich der Transzendenz bewußt?

Die erste Frage führt zu einer klaren Trennung von Philosophie und Wissenschaft. Sie bewahrt vor der Verwechslung des Denkens, das auf das Ganze geht, mit dem Denken, das im Partikularen aufgrund bestimmter Voraussetzungen methodisch, zwingend gewiß und allgemein gültig voranschreitet. Für die Wissenschaft bedeutet das, daß sie als Sacherkenntnis unaufhaltsam einen offenen Kosmos des Wißbaren zustrebt, aber um den Preis der Seinserkenntnis; für die Philosophie, daß sie unentwegt diese Seinserkenntnis aus einem philosophischen Glauben heraus sucht, aber um den Preis zwingender Antworten im Sinn der Sacherkenntnis. (Vgl. Jaspers, Die Idee der Universität, 1923 ). Die zweite Frage geht von der These aus, daß der einzelne Mensch für sich allein nicht Mensch werden kann. „Selbstsein ist nur in Kommunikation mit anderen wirklich.“ Grundbedingung der Kommunikation ist die Freiheit, individuell im Entschluß verwirklicht, aber politisch in der Staatsordnung garantiert und in ihrer Praxis ermöglicht. Denken und Tun erhalten ihren Wahrheitsausweis erst von der Kommunikation her: „Wahr ist, was verbindet.“ Die Frage nach der Wahrheit geht vom Faktum der Subjekt-Objekt-Spaltung aus. Was Gegenstand wird, tritt aus dem Grund des Seins als Seiendes in diese Spaltung. Weder ein einzelnes Seiendes noch die Totalität des Seienden sind das Sein selbst. Vielmehr bleibt dieses hinter aller Erscheinung ungreifbar als der ständig sich entziehende Horizont, den Jaspers das Umgreifende nennt. Es kann gegenständlich nicht erkannt, aber philosophisch erhellt werden. Das geschieht jeweils durch eine Weise des Transzendierens. Die Weise des Transzendierens findet ihre methodische Ausfaltung in der offenen Systematik, der „Periechontologie“ (Periechontologie), in der hingedacht wird zum Umgreifenden, in dem wir sind (Welt, Transzendenz), und zum Umgreidenden, das wir sind (Dasein, Bewußtsein überhaupt, Geist). Die Existenz ist der Grund in uns, die Vernunft das Band dieser fünf Weisen des Umgreifenden.

So wie das Sein mehr ist als die Totalität des Seienden, ist das Menschsein mehr als die Totalität seiner historischen Seinsweisen. (Vgl. Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, 1949 ). Der Mensch ist mehr als er weiß. Als Dasein lebt er in der Welt, als Bewußtsein überhaupt forscht er im Gegenständlichen, als Geist entwirft er die Ideen des Ganzen im Weltdasein. Als mögliche Existenz ist er alloffen auf Transzendenz bezogen. Das philosophische Denken umkreist die Transzendenz fortwährend, aber so, daß es sich, im Unterschied zur Religion, keine Objektivierung gestattet. Für Jaspers war Philosophie grundsätzlich anders als Religion und demnach ständig auf diese angewiesen. An der Unerkennbarkeit der Transzendenz muß alles wissende Denken scheitern. Transzendenz ist „draußen“. Aber in der Existenz wird, „gleichsam der Lichtfaden“ spürbar, der alles Seiende mit ihr verbindet. So wird sie immanent, aber nicht als greifbare Endlichkeit, sondern als schwebende, grenzenlose vieldeutige Chiffre.

Jaspers' Philosophie ist sich selbst als Denken nicht genug. In der Offenheit aller Räume und in der Helle der Existenz möchte sie Anruf sein - Anruf zum Denken, aber zu einem Denken, das immer auch Praxis ist, und in dessen Vollzug der Mensch erfährt, was Philosophie eigentlich will: den Aufschwung der Seele. Jaspers scheint zu dieser Praxis seine politischen Sorgen und Aufsätze zu rechnen. (Vgl. z.B. Jaspers Werk: Hoffnung und Sorge, 1965 ).


NACH OBEN Die Achsenzeit in Jaspers' Weltgeschichte

Jaspers war sich sicher, daß nur die gesamte Menschheitsgeschichte „die Maßstäbe für den Sinn des gegenwärtigen Geschehens zu geben“ vermag: „Der Blick auf die Menschheitsgeschichte aber führt uns in das Geheimnis unseres Menschseins. Daß wir überhaupt Geschichte haben, durch Geschichte sind, was wir sind, - daß diese Geschichte nur eine vergleichsweise sehr kurze Zeit bisher gedauert hat, läßt uns fragen: Woher kommt das? Wohin führt das? Was bedeutet das?“ (Karl Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, 1949, S. 15 ). Mit dem Begriff der „Achsenzeit“ führte Jaspers ein interessantes Theorem ein: „Eine Achse der Weltgeschichte, falls es sie gibt, wäre empirisch als ein Tatbestand zu finden, der als solcher für alle Menschen, auch die Christen, gültig sein kann. Diese Achse wäre dort, wo geboren wurde, was seitdem der Mensch sein kann, wo die überwältigendste Fruchtbarkeit in der Gestaltung des Menschseins geschehen ist in einer Weise, die für das Abendland und Asien und alle Menschen, ohne den Maßstab eines bestimmten Glaubensinhalts, wenn nicht empirisch zwingend und einsehbar, doch aber auf Grund empirischer Einsicht überzeugend sein könnte, derart, daß für alle Völker ein gemeinsamer Rahmen geschichtlichen Selbstverständnisses erwachsen würde. Diese Achse der Weltgeschichte scheint nun rund um 500 vor Christus zu liegen, in dem zwischen 800 und 200 stattfindenden geistigen Prozeß. Dort liegt der tiefste Einschnitt der Geschichte. Es entstand der Mensch, mit dem wir bis heute leben. Diese Zeit sei in Kürze die »Achsenzeit« genannt.“ (Karl Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, 1949, S. 19 ).

Welchen Charakter hat diese „Achsenzeit“?

Nach Jaspers drängte sich in der Achsenzeit Außerordentliches zusammen: „In China lebten Konfuzius und Laotse, entstanden alle Richtungen der chinesischen Philosophie, dachten Mo-Ti, Tschuang-Tse, Lie-Tse und ungezählte andere, - in Indien entstanden die Upanischaden, lebte Buddha, wurden alle philosophischen Möglichkeiten bis zur Skepsis und bis zum Materialismus, bis zur Sophistik und zum Nihilismus, wie in China, entwickelt, - in Iran lehrte Zarathustra das fordernde Weltbild des Kampfes zwischen Gut und Böse, - in Palästina traten die Propheten auf von Elias über Jesaias und Jeremias bis zu Deuterojesaias, - Griechenland sah Homer, die Philosophen - Parmenides, Heraklit, Plato - und die Tragiker, Thukydides und Archimedes. Alles, was durch solche Namen nur angedeutet ist, erwuchs in diesen wenigen Jahrhunderten annähernd gleichzeitig in China, Indien und dem Abendland* (* gemeint ist die apollinische Antike ), ohne daß sie gegenseitig voneinander wußten. Das Neue dieses Zeitalters ist in allen drei Welten, daß der Mensch sich des Seins im Ganzen, seiner selbst und seiner Grenzen bewußt wird. Er erfährt die Furchtbarkeit der Welt und die eigene Ohnmacht. Er stellt radikale Fragen. Er drängt vor dem Abgrund auf Befreiung und Erlösung. Indem er mit Bewußtsein seine Grenzen erfaßt, steckt er sich die höchsten Ziele. Er erfährt die Unbedingtheit in der Tiefe des Selbstseins und in der Klarheit der Transzendenz. Das geschah in Reflexion. Bewußtheit machte noch einmal das Bewußtsein bewußt, das Denken richtete sich auf das Denken. Es erwuchsen geistige Kämpfe mit den Versuchen, den Andern zu überzeugen durch Mitteilung von Gedanken, Gründen, Erfahrungen. Es wurden die widersprechendsten Möglichkeiten versucht. Diskussion, Parteibildung, Zerspaltung des Geistigen, das sich doch im Gegensätzlichen aufeinander bezog, ließen Unruhe und Bewegung entstehen bis an den Rand des geistigen Chaos. In diesem Zeitalter wurden die Grundkategorien hervorgebracht, in denen wir bis heute denken, und es wurden die Ansätze der Weltreligionen geschaffen, aus denen die Menschen bis heute leben. In jedem Sinne wurde der Schritt ins Universale getan. Durch diesen Prozeß wurden die bis dahin unbewußt geltenden Anschauungen, Sitte und Zustände der Prüfung unterworfen, in Frage gestellt, aufgelöst. Alles geriet in einen Strudel. Soweit die überlieferte Substanz noch lebendig und wirklich war, wurde sie in ihren Erscheinungen erhellt und damit verwandelt. Das mythische Zeitalter war in seiner Ruhe und Selbstverständlichkeit zu Ende. Die griechischen, indischen, chinesischen Philosophen und Buddha waren in ihren entscheidenden Einsichten, die Propheten in ihrem Gottesgedanken unmythisch. Es begann der Kampf gegen den Mythos von seiten der Rationalität und der rational geklärten Erfahrung (der Logos gegen den Mythos), - weiter der Kampf um die Transzendenz des Einen Gottes gegen die Dämonen, die es nicht gibt, - und der Kampf gegen die unwahren Göttergestalten aus ethischer Empörung gegen sie. Die Gottheit wurde gesteigert durch Ethisierung der Religion. Der Mythos aber wurde zum Material einer Sprache, die in ihm ganz anderes kundgab als ursprünglich in ihm lag, ihn zum Gleichnis machte. Mythen wurden umgeformt, aus neuer Tiefe erfaßt in diesem Übergang, der auf neue Weise mythenschöpferisch war im Augenblick, als der Mythos im Ganzen zerstört wurde. Die alte mythische Welt sank langsam ab, blieb aber der Hintergrund des Ganzen durch den faktischen Glauben der Volksmassen (und konnte in der Folge in weiten Gebieten wieder zum Siege gelangen). Diese gesamte Veränderung des Menschseins kann man Vergeistigung nennen. Aus dem unbefragten Innesein des Lebens geschieht die Lockerung, aus der Ruhe der Polaritäten geht es zur Unruhe der Gegensätze und Antinomien. Der Mensch ist nicht mehr in sich geschlossen. Er ist sich selber ungewiß, damit aufgeschlossen für neue, grenzenlose Möglichkeiten. Er kann hören und verstehen, was bis dahin niemand gefragt und niemand gekündet hatte. Unerhörtes wird offenbar. Mit seiner Welt und sich selbst wird dem Menschen das Sein fühlbar, aber nicht endgültig: die Frage bleibt. Zum erstenmal gab es Philosophen. Menschen wagten es, als Einzelne sich selbst zu stellen. Einsiedler und wandernde Denker in China, Asketen in Indien, Philosophen in Griechenland, Propheten in Israel gehören zusammen, so sehr sie in Glauben, Gehalten, innerer Verfassung voneinander unterschieden sind. Der Mensch vermochte es, sich der ganzen Welt innerlich gegenüberzustellen. Er entdedckte in sich den Ursprung, aus dem er über sich selbst und die Welt sich erhebt.Im spekulativen Gedanken schwingt er sich auf zu dem Sein selbst, das ohne Zweiheit, im Verschwinden von Subjekt und Objekt, im Zusammenfallen der Gegensätze ergriffen wird. Was im höchsten Aufschwung erfahren wird als Zusichselbstkommen im Sein oder als unio mystica, als Einswerden mit der Gottheit, oder als Werkzeugwerden für den Willen Gottes, das wird im objektivierenden spekulativen Gedanken zweideutig und mißverständlich ausgesprochen.


„Einfaches Schema der Weltgeschichte“ (Karl Jaspers, ebd., S. 48
)

Es ist der eigentliche Mensch, der im Leibe gebunden und verschleiert, durch Triebe gefesselt, seiner selbst nur dunkel bewußt, nach Befreiung und Erlösung sich sehnt, und sie in der Welt schon erreichen kann, - sei es im Aufschwung zur Idee, oder in der Gelassenheit der Ataraxie, oder in der Versenkung der Meditation, oder im Wissen seiner selbst und der Welt als Atman, oder im Erfahren des Nirwana, oder in dem Einklang mit dem Tao, oder in der Hingabe an den Willen Gottes. Es sind wohl außerordentliche Sinnverschiedenheiten in der Gesinnung und in den Glaubensinhalten, aber gemeinsam ist, daß der Mensch über sich hinausgreift, indem er sich seiner im Ganzen des Seins bewußt wird, und daß er Wege beschreitet, die er als je Einzelner zu gehen hat. Er kann auf alle Güter der Welt verzichten, in die Wüste, in den Wald und ins Gebirge gehen, als Einsiedler die schaffende Kraft der Einsamkeit entdecken und zurückkehren in die Welt als Wissender, als Weiser, als Prophet. Es geschah in der Achsenzeit das Offenbarwerden dessen, was später Vernunft und Persönlichkeit hieß.“ (Karl Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, 1949, S. 20-22 ). Historienkulturen

Für Jaspers war also evident, was in der „Achsenzeit“ geschah: „das Offenbarwerden dessen, was später Vernunft und Persönlichkeit hieß. Was der Einzelne erreicht, überträgt sich keineswegs auf alle. Der Abstand zwischen den Gipfeln menschlicher Möglichkeiten und der Menge wird damals außerordentlich. Aber was der Einzelne wird, verändert doch indirekt alle. Das Menschsein im Ganzen tut einen Sprung.“ (Karl Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, 1949, S. 22f. ).

NACH OBEN
Das, was nach Jaspers „Achsenzeit“ nennt, nenne ich das „Kulturenbündel“.
Von ca. 720 bis 360 waren 3
gleichaltrige „Historienkulturen“ in Hochform.
Zeitlich war der Mittelpunkt der „Historiographik“ also überschritten:
das Zeitalter der „Historiographik“ umfaßt fast 6500 Jahre,
begann um 4230 v. Chr. und wird um 2230 n. Chr. enden.
Der Historismus ist die „Moderne der Historiographik“,
die Historiographik die „Moderne der Historisierung“,
die Historisierung die „Moderne der Menschwerdung“
- also: die Moderne der Menschen-Kultur (Menschen-Kultur). Moderne Analogien

Die „Moderne des Höheren Lebens“ ist die Menschen-Kultur.
Die  Menschen-Kultur entwickelte ihre „1. Moderne“ (Historisierung).
Die Historisierenden entwickelten eine „2. Moderne“ (Historiogaphik).
Die Historienkulturen entwickelten je eine „3. Moderne“ (Historismus).

 

 

Jaspers prägte den Begriff „Achsenzeit“ zur Bezeichnung für den Wendepunkt der Menschheitsgeschichte, da sich (laut Jaspers von 800 bis 200) etwa vom 7. Jh. v. Chr. bis ins 4. Jh. v. Chr. in Griechenland, China, Indien, Iran und Judäa das Auftreten von Denkern mit kritischen Reflexionen ereignete, womit gegenüber Mystik und starrer Tradititonsgebundenheit eine selbstbewußte kulturelle Aktivität einsetzte. Der Begriff „Achsenzeit“ ist ein Beitrag zur Überwindung der unsäglichen Einteilung „Altertum-Mittelalter-Neuzeit“, die z.B. auch Spengler (Spengler) immer wieder beklagte, weil sie unseren „Historikern“ die einzig geläufige war und größtenteils immer noch ist. „Aus philologischen und theologischen Vorurteilen und mehr noch infolge der Zersplitterung der modernen Fachwissenschaft“ ist bis heute der „Aufbau der Gesamtgeschichte in unserem Weltbilde“ nicht erkannt worden. Der Grund sei auch, so Spengler, daß die magische Kultur () geographisch und historisch die einzige Kultur ist, „welche sich räumlich und zeitlich fast mit allen andern berührt. (). Der Aufbau der Gesamtgeschichte in unserem Weltbilde hängt deshalb ganz davon ab, ob man ihre innere Form erkennt, welche durch die äußere gefälscht wird; aber gerade sie ist aus philologischen und theologischen Vorurteilen und mehr noch infolge der Zersplitterung der modernen Fachwissenschaft bis jetzt nicht erkannt worden. Die abendländische Forschung ist seit langem nicht nur dem Stoff und der Methode, sondern auch dem Denken nach in eine Anzahl von Fachgebieten zerfallen, deren widersinnige Abgrenzung es verhindert hat, daß man die großen Fragen auch nur sah. Wenn irgendwo, so ist das 'Fach' für die Probleme der arabischen Welt zum Verhängnis geworden. Die eigentlichen Historiker hielten sich an das Interessengebiet der klassischen Philologie, aber deren Horizont endete an der antiken Sprachgrenze im Osten. Infolgedessen haben sie die tiefe Einheit der Entwicklung diesseits und jenseits dieser seelisch gar nicht vorhandenen Schranke nie bemerkt. Das Ergebnis war die Perspektive Altertum-Mittelalter-Neuzeit, die durch den griechisch-lateinischen Sprachgebrauch abgegrenzt und zusammengehalten wird.“ (Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1917-1922, S. 785-786 Spengler). Links

NACH OBEN Wenn man Schopenhauer (1788-1860Schopenhauer) als Begründer der (abendländisch-[skeptisch-]modernen) Lebensphilosophie bezeichnen darf, so Kierkegaard (1813-1855 ) als Nachfolger Schopenhauers und Begründer einer ersten Nebenlinie dieser Schopenhauerschen Schule. Denn die Existenzphilosophie begann also eigentlich schon mit Kierkegaard, und alle Existenzphilosophen des 20. Jahrhunderts waren von ihm beeinflußt oder erkannten sich zumindest in ihm wieder, soweit sie bereits ohne ihn ihr Konzept entwickelt hatten. (). Kierkegard hatte sich gegen Hegel () gewandt, weil in dessen vom Weltgeist regierten System für den Einzelnen kein Platz und kein Sinn war. Diese Wendung hatte aber auch schon der späte Schelling () gemacht, dessen Vorlesungen Kierkegaard in Berlin gehört hatte. Schelling sprach auch erstmals von „Existenz“ () und dem „reinen Daß“, von dem seine positive Philosophie ausgeht. Darauf hat Hannah Arendt (1906-1975) in ihrer Schrift von 1946 (Was ist Existenzphilosophie?) hingewiesen und auch darauf, daß Karl Jaspers mit seiner Psychologie der Weltanschauungen (1919) das erste Buch der neuen Schule (vgl. „Mittlere Schule“ der Lebensphilosophie bzw. Existenzphilosophie) vorgelegt hat.

Unsere Weltorientierung vollzieht sich laut Jaspers unabhängig von der Philosophie am Leitfaden der wissenschaftlichen Methoden, ist aber stets unabgeschlossen und nicht imstande etwas über den Sinn des Lebens auszusagen. (Vgl. die Krise der Wissenschaft ). Die Erfahrung von Grenzsituationen führt dagegen zu einer noch angesichts des Scheiterns aller innerweltlichen Bemühungen bewahrenden Gewißheit des Seins und damit zum philosophischen Glauben an die Existenz Gottes.

Jaspers bezog sich neben Kierkegaard also auch auf einen älteren Denker:

In Jaspers' philosophischem Denken und Werk spielte Kant (Kant) eine zentrale Rolle.
Neben Platon (Platon) und Augustinus (Augustinus) sah er Kant als „fortzeugenden Gründer des Philosophierens“.

„Kant ist als Gipfel und Vollender der Aufklärung, dieser Epoche der Geistesgeschichte, nicht zutreffend aufzufassen. Er ist es so, wie Plato der Gipfel sophistischer Aufklärung als ihr Überwinder war. Auch Kant ist ein Überwinder der Aufklärung zugunsten eines unabschließbaren Prozesses des in der Umwendung eigentlich zu sich selbst kommenden Menschen. Sofern die Aufklärung zum Positivismus des Wissens, zur konstruktiven Metaphysik auf dem rational-dogmatischen Boden von Leibniz (Leibniz), zum politischen Liberalismus von Locke und Montesquieu, zum kultivierten Gefühlsleben von Platonikern und Romantikern wurde, ist sie universale abendländische Erscheinung geblieben. Kant bedeutet allem diesem gegenüber nicht Verneinung, sondern Begrenzung und Durchbruch. Keineswegs hat sein Denken das Abendland, keineswegs auch nur die deutsche Bildung durchdrungen. Wohl gehen viele philosophische Bewegungen, in Deutschland fast alle, von ihm aus oder orientieren sich an ihm als Gegner. Wohl sind besondere Probleme aus seinem Werk überall erörtert. Trotzdem schwankte die Schätzung zwischen höchtster Bewunderung und völliger Verwerfung. Die Substanz der Aufklärung in ihren besten Gestalten ist noch nicht das Kantsche Denken, ist wohl sein Boden, aber birgt es selber nicht in sich. Stimmungen, Gesinnungen, Wissenschaften, alles war schon da, als das neue Kantsche Denken kam und diesen seinen Voraussetzungen Begrenzung, Sinn und Rechtfertigung gab, indem es neue Horizonte öffnete. Daß Kant seine philosophische Methode nur beiläufig und unvollkommen (etwa in der treffenden Unterscheidung der mathematischen und philosophischen Erkenntnis) zum Bewußtsein gebracht hat, ist merkwürdig. Das Wissen darum ist für das Kant-Verständnis wesentlich. Sein Bewußtsein, eine Metaphysik der Metaphysik zu schaffen, blieb doch in einer großartigen Unbewußtheit in bezug auf die Formen und Methoden seines Denkens. Daraus ist es begreiflich, daß sofort nach Kant die jungen Enthusiasten und Eroberer duch ihn entfesselt wurden. Sie kannten nicht die Bändigung, welche in der Kantschen Methode selber lag. Vielmehr verwandelten und verkehrten sie die klaren Vollzüge transzendentalen Denkens in spekulative Konstruktion, in intellektuelle Anschauung, in das Nachdenken der Gedanken Gottes vor der Schöpfung und in der Schöpfung. Sie vollzogen die verhängnisvolle Verwandlung von Vernunft in Geist und die Verwechslung beider. Kants Grenzsetzungen wurden überschritten. Kant wurde Anlaß zu einem Denken, das die Kantsche Vernunft überspülte. Seine philosophisdle Grundhaltung war von Anfang an verlassen. Kant war der Ausgang für den Deutschen Idealismus der Fichte (), Schelling (), Hegel (). - Fichte war sich bewußt, durch Kant die Revolution seines Denkens zur eigentlichen Philosophie gewonnen zu haben. - Der junge Schelling sah entzückt in Kant die Morgenröte, fügte aber sogleich hinzu: jetzt muß die Sonne aufgehen. Was Kant getan habe, deutete er 1804 mit einem damals üblich gewordenen Vergleich: Französische Revolution und Kantsche Philosophie seien zusammengetroffen. - Beide waren in den Augen ihrer Anhänger gleich gewichtige Umwälzungen, dort in einer realen, hier in einer idealen Revolution. »Beide erhoben sich über alle Abhängigkeit von der Erfahrung. Jetzt scheint mit der Ebbe der Revolution auch die des Kantschen Systems eingetreten zu sein.« Beiden war der bloß negative Charakter und die unbefriedigende Auflösung des Widerstreits zwischen Abstraktion und Wirklichkeit gemeinsam. Er war für die Revolution in der Praxis wie für Kant in der Spekulation unüberwindlich. - Hegel konstruierte eine sachliche Entwicklung von Kant zu Fichte über Schelling zu sich selber, unter deren bezwingender Suggestion die Philosophiegeschichtsschreibung bis heute steht. - In der Tat haben diese Denker von Anfang an die Kantsche Grundhaltung verlassen. Deren entscheidende Positionen wurden stillschweigend preisgegeben oder ausdrücklich verworfen: statt der Vieldimensionalität der Vernunft die Ableitung aus einem Prinzip; statt des Bewußtseins des endlichen, diskursiven, menschlichen Verstandes der Anspruch, den intuitiven Verstand zu besitzen. Statt ErheIlung der Vernunft als der Stätte, an der das Sein sich zeigt, die Seinserkenntnis selber. Statt Bescheidung der absolute Anspruch des Denkens der Gedanken Gottes. Als Kant 1804 starb, war er von vielen vergessen. Der neue von genialen Menschen getragene Zauber hatte die Gemüter erobert. Er begann mit der Unwahrheit unkritischen Oberschreitens der Grenzen und blieb darin. Die Gemeinschaft im Abfall von Kant ließ dann sich gegenseitig abstoßende Verwirklichungen faszinierender Werke zu: die penetranten Konstruktionen Fichtes, die gnostischen Visionen Schellings, das großartige System allen Seins in einem System der dialektischen Sinnverstehbarkeiten durch Hegel. Nach dem sogenannten Zusammenbruch des Deutschen Idealismus, dem fast plötzlichen Versagen des Zaubers in der Mitte des 19. Jahrhunderts, begann eine zweite Bewegung auf dem Grunde Kants. Die Situation war diese: Die positiven Wissenschaften hatten triumphiert, die Naturwissenschaften und die Geisteswissenschaften. Die philosophische Bildung hatte einen tiefen Sturz getan. An die Stelle des kritiklosen Zaubers trat ein ebenso kritikloser, aber platter und geistig verwahrloster Materialismus. Aus dem Rest eines philosophischen Geistes kam der Ruf: zurück zu Kant. Naturforscher glaubten bei Kant die Philosophie für ihren Empirismus zu finden (Helmholtz). Die akademische Philosophie, auf der Suche, sich außer der Lehre der Gesmimte der Philosophie noch eine Aufgabe im wissenschaftsabergläubismen Zeitalter zu retten, meinte bei Kant die Philosophie der Wissenschaften zu finden, die Erkenntnistheorie. Sie ließ jetzt die Philosophie zur Magd der Wissensmaften werden. Bei der außerordentlich hohen Bewertung Kants wurde nun durch Kant-Philologie, Editionen, Entdeckungen neuer Texte, Publikationen aus dem Nachlaß und durch sachliche Interpretationen im einzelnen viel geleistet, das für immer nützlich und dankenswert ist. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begann eine Unzufriedenheit mit diesem »Neukantianismus«, während die Gesinnung akademischer philosophischer Scheinforschung dieselbe blieb. Daher war die Folge keineswegs ein tieferes Eindringen in Kants Philosophie, sondern gleichsam eine Repetition der nachkantischen Philosophie. Es wurde versucht mit Fries, Fichte, Schelling, Hegel. Einen Augenblick konnte es scheinen, als ob sich Hegel als der Vollender wieder durchsetzen sollte im »Neuhegelianismus«. Aber es waren ohne Ausnahme Versuche ohne philosophische Ursprünglichkeit; zuletzt traten Epigonen der Epigonen auf. Der Abgrund zwischen Kant und den Idealisten blieb unerkannt (mit einziger Ausnahme von Ebbinghaus, dessen vor Jahrzehnten in Aussicht stehendes Kantbuch, das eine Neuinterpretation des ganzen Kant hätte bringen sollen, leider ausgeblieben ist). Zwei Schlagworte galten im Neukantianismus: »Es muß zu Kant zurügegangen werden« (Liebmann) und »Kant verstehen heißt über Kant hinausgehen« (Windelband). Beides war in einem unangemessenen Sinn gemeint. Zurückgehen: als ob bei Kant feststehende Wahrheiten zu finden seien, die man, gesondert von falschen Sätzen, wieder zur Geltung bringen müsse. Hinausgehen: als ob man weiter käme als Kant, tiefere Einsimt gewinne als er. Beide Sätze wären jedoch wohl zu vereinen durch einen besseren Sinn: »zurück« hieße nicht zurück, sondern in den Ursprung gelangen; »darüber hinaus« hieße nicht besser wissen, sondern in die Kantsche Bewegung gelangen, das erzeugende Denken zu neuer Wirksamkeit in sich kommen lassen. Kant erscheint wie der Knotenpunkt moderner Philosophie. Sein Werk ist unendlich an Möglichkeiten wie das Leben selbst. Es ist bewußt erdacht in rationaler Präzision und doch voller Unbewußtheit, übergriffen von Ideen, die Kant wiederum als ein Stück seiner Lehre zu begreifen suchte. Es ist nicht abzusehen, was durch ihn noch erweckt werden kann. Die Kant-Aneignung hat bisher zweimal in einem je großen Zuge stattgefunden, im Idealismus und im Neukantianismus. Beide Aneignungen sind heute zu übersehen als Mißverständnisse Kants, die in den Dienst einer anderen Lebensverfassung gestellt wurden. Er selber steht unverwandelt, diesen Aneignungen überlegen da. Zum drittenmal ist die Frage nach ihm zugleich eine Schicksalsfrage des Philosophierens. Was Kant sei und was er dachte, ist keineswegs eindeutig und objektiv endgültig zu wissen. Er hat sich als der erzeugende Denker erwiesen, der mehr blieb als das Erzeugte. Er wurde nimt aufgenommen in ein Größeres, nicht überwunden, nicht herabgesetzt zu einer Möglichkeit neben anderen. Kants Schritt ist einzig in der Weltgeschichte der Philosophie. Seit Plato ist im Abendland kein Schritt getan, der in der herben Luft des Denkens so umwendende Folgen hat.“ (Karl Jaspers, Kant, S. 223-227 ).

 

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Anmerkungen:


Erläuterung der Jaspers-Tabelle () - Denk-Biographie von Karl Jaspers (1883-1969 ):
1. „Stadium“ („Winter“ - 1883-1901) und seine 3 „Stufen“: Jaspers’ frühe Kindheit (1. Stufe); Grund-Schulzeit (2. Stufe); Gymnasialzeit (3. Stufe), also bis zum Übergang von der Schule zur Universität (1901).
2. „Stadium“ („Frühling“ - 1901-1919) und seine 3 „Stufen“: Jaspers’ Studienzeit von 1901 bis 1908 (4. Stufe); die Zeit von der Promotion bis zur Habilitation, also die Zeit von 1908 bis 1913 (5. Stufe); die folgenden 7 Jahre bis zur Veröffentlichung seiner Psychologie der Weltanschauungen, also die Zeit von 1913 bis 1919 (6. Stufe).
3. „Stadium“ („Sommer“ - 1919-1949) und seine 3 „Stufen“: Jaspers’ Psychologie der Weltanschauungen bis zum Ende der Weimarer Republik, also die Zeit von 1919 bis 1933 (7. Stufe); von der Machtergreifung der Nationalsozialisten bis zum Ende des 2. Weltkrieges, also die Zeit von 1933 bis 1945 (8. Stufe); vom Ende des 2. Weltkrieges bis zur Veröffentlichung des Werkes Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, also die Zeit von 1945 bis 1949 (9. Stufe).
4. „Stadium“ („Herbst“ - 1949-1969) und seine 3 „Stufen“: Jaspers’ Veröffentlichung des Werkes Vom Ursprung und Ziel der Geschichte bis zur Veröffentlichung des Werkes Die großen Philosophen, also die Zeit von 1949 bis 1957 (10. Stufe); von der Veröffentlichung des Werkes Die großen Philosophen bis zur Emeritierung, also die Zeit von 1961 bis 1961 (11. Stufe); die Zeit nach der Emeritierung, also die Zeit von 1961 bis 1969 (12. Stufe).

Chiffre (Zahlzeichen, Geheimzeichen) galt z.B. bei Kant (1724-1804 Kant) als das Mittel, „wodurch die Natur in ihren schönen Formen zu uns spricht“; ähnlich bei Goethe (1749-1832 Goethe) und einigen seiner Zeitgenossen. (Vgl. Idealismus Goethe und Romantik Goethe).

Periechontologie (griech.: to periechon, „das Umfassende“, „das Umgreifende“), eine Neubildung von Jaspers, ist im weitesten Sinne eine Lehre vom Sein, aber ein bewußter Gegenentwurf zur bisherigen Ontologie. Sie will nicht das Sein kategorial erfassen, sondern den Raum des Seins, der Subjekt und Objekt umgreift, transzendierend erhellen. Sie gibt keine Seinsbestimmungen und kein System des Seins, sondern sagt, woraus alles Seiende tritt, und entwirft so eine offene Systematik des Seienden, ohne diese von einem vermeintlich erkannten ersten Prinzip des Seins abzuleiten. Die Folgen der Periechontologie sind: Es gibt kein absolutes Weltbild; es gibt keine geschlossene Kategorienlehre. Der Mensch ist in die Gegenwärtigkeit zurückgeworfen, in der er aus Vernunft und Freiheit seine Existenz entscheiden muß. (Vgl. Karl Jaspers, Vernunft und Existenz, 1935; Von der Wahrheit, 1947; Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, 1962).

Die magische Kultur (Magische Kultur), Spengler nannte sie auch „Arabien“ (Arabien), hat ein dualistischem Seelenbild:„Geist und Seele“, ihr Ursymbol die „Welthöhle“. Vertreter der magischen Kultur berücksichtigen stets den „Consensus“ - die Übereinstimmung der Gelehrten als Grundlage für die religiöse (= „wahre“) Lehre. Das arabische Wort „Idschma“ ist auch in diesem Sinne zu verstehen, und es gilt immer noch als eines der vier Grundprinzipien der islamischen Rechtslehre. Der magischen Kultur haftet an, daß sie mit Schuldzuweisungen arbeitet, d.h. jedem Subjekt Schuld zuspricht, z.B. durch die Erbsünde. Die bekannten monotheistischen Religionen sind eine Schöpfung der magischen Kultur. (). Also: „Die arabische Kultur bleibt problematisch, weil sie nie einen eigenen Körper ausbilden, sich nie überzeugend territorialisieren konnte und darum nur als höhere Gespenstergeschichte möglich war - Spengler nennt das vornehm eine Pseudomorphose. (Pseudomorphose). Vergessen wir nicht, daß nach ihm das Christentum in seinem ersten Zyklus nur eine Metastase der übervölkisch herumspukenden arabischen Seele gewesen sein soll.“ (Peter Sloterdijk / Hans-Jürgen Heinrichs, Die Sonne und der Tod, 2001, S. 226-227).Spengler / Sloterdijk

Zum „magisch“ () anerzogenen Schema: „Altertum-Mittelalter-Neuzeit“ vgl. Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1917-1922; besonders z.B. die Seiten: 24 (Spengler), 26(Spengler), 32 (Spengler), 32-34 (Spengler), 617-618 (Spengler), 785-786 (Spengler). Spengler erteilt diesem Schema eine Absage (Spengler) ! Er wurde dafür von einigen getadelt, von anderen aber auch gewürdigt, z.B. fast ein Jahrhundert später von Samuel Phillips Huntington in seinem Buch Kampf der Kulturen (1996). Huntington

„Ein Bild des Ganzen machte sich der Mensch seit alters: zunächst in mythischen Bildern (in Theogonien und Kosmogonien, in denen der Mensch seinen Ort hat), dann in dem Bilde von einem Handeln Gottes durch die politischen Weltentscheidungen (Geschichtsvision der Propheten), dann als Offenbarungsgeschehen im Ganzen von Weltschöpfung und Sündenfall bis zum Weltende und Weltgericht (Augustin, ).
Grundsätzlich anders wird das historische Bewußtsein, wenn es sich auf empirische Grundlagen und nur auf diese stützt. Die noch legendären Geschichten einer natürlichen Kulturentstehung, wie sie überall von China bis zum Abendlande entworfen wurden, hatten schon diese Absicht. Heute ist der reale Horizont außerordentlich erweitert. Die zeitliche Beschränkung - etwa das Alter der Welt von 6000 Jahren im biblischen Glauben - wurde durchbrochen. Ein Endloses öffnet sich in Vergangenheit und Zukunft hinein. Darin bindet sich die Forsmung an historische Reste, an Dokumente und Monumente der Vergangenheit. Dieses empirische Geschichtsbild muß sich entweder bescheiden vor der unübersehbaren Mannigfaltigkeit im Aufweisen von einzelnen Regelmäßigkeiten und im unabschließbaren Beschreiben des Vielen: Es wiederholt sich dasselbe; es gibt im Verschiedenen das Analoge; es gibt die machtpolitischen Ordnungen in ihrer typischen Folge von Gestaltungen und es gibt das chaotische Durcheinander; es gibt regelmäßige Stilfolgen im Geistigen und es gibt die Nivellierung in das unregelmäßig Dauernde. Oder man sucht ein einheitliches, zusammenfassendes Totalbild der Menschheitsgeschichte zu gewinnen: man erblickt die tatsächlichen Kulturkreise und ihren Ablauf; man sieht sie getrennt und dann in Wechselwirkung; man erfaßt ihre Gemeinschaft in Sinnfragen und gegenseitiger Verstehbarkeit; man denkt schließlich eine einzige Sinneinheit, in der alles Mannigfaltige seinen Platz hat (Hegel ).
Wer sich der Geschichte zuwendet, vollzieht unwillkürlich solche universalen, das Ganze der Geschichte zur Einheit bringenden Anschauungen. Diese mögen unkritisch, ja unbewußt und daher unbefragt bleiben. In geschichtlichen Denkungsweisen pflegen sie als Selbstverständlichkeiten vorausgesetzt zu werden. So galt im 19. Jahrhundert als Weltgeschichte, was nach den Vorstufen Ägyptens und Mesopotamiens in Griechenland und Palästina begann und zu uns geführt hat - das übrige gehörte in das Gebiet der Völkerkunde und lag außerhalb der eigentlichen Geschichte. Weltgeschichte war Geschichte des Abendlandes (Ranke ).
Dagegen sollte nun im Positivismus des 19. Jahrhunderts allen Menschen gleiches Recht werden. Geschichte ist, wo Menschen leben. Die Weltgeschichte umspannt in Zeit und Raum den Erdball. Sie wird nach ihrer Verteilung im Raum geographisch angeordnet (Helmolt). Überall auf der Erde fand sie statt. Negerkämpfe im Sudan lagen auf gleichem historischem Niveau mit Marathon und Salamis, ja waren vielleicht durch Massen an Menschenaufgebot bedeutender.
Rangordnung und Struktur schienen in der Geschichte wieder durch die Anschauung von einheitlichen Kulturen fühlbar zu werden. Aus der Masse bloß naturhaften menschlichen Daseins wachsen - so war die Anschauung - Kulturen gleichsam wie Organismen als selbständige Lebensgebilde, die Anfang und Ende haben, sich gegenseitig nichts angehen, wohl aber sich einmal treffen und stören können. Spengler (Spengler) kennt acht, Toynbee (Toynbee) einundzwanzig solcher Geschichtskörper. Spengler gibt ihnen eine Lebensdauer von tausend Jahren, Toynbee eine unbestimmte. Spengler sieht die Notwendigkeit eines geheimnisvollen Totalprozesses des jeweiligen Kulturkörpers, eine Metamorphose, deren Gesetzmäßigkeit er morphologisch aus den Analogien zwischen den Phasen der verschiedenen Kulturkörper zu erkennen meint, ihm wird alles Symbol im physiognomischen Bilde. Toynbee vollzieht eine vielfache kausale Analyse unter soziologischen Gesichtspunkten. Er gibt darüber hinaus den freien Entschlüssen des Menschen Raum, aber derart, daß auch nach ihm das Ganze in der Anschauung eines jeweils notwendigen Prozesses vor Augen tritt. Beide machen daher aus ihrer Gesamtanschauung heraus Voraussagen für die Zukunft.
Ein selbständiges großes Geschichtsbild hat in unserer Zeit außer Spengler und Toynbee Alfred Weber entwickelt. Seine universale Geschichtsanschauung, seine Kultursoziologie, bleibt trotz seiner Neigung, die Ganzheiten der Kulturen zum Gegenstand der Erkenntnis zu machen, in der Tat ungemein offen. Unter Führung seiner hellsichtigen Geschichtsintuition mit einem unbeirrbaren Sinn für den Rang der geistigen Schöpfungen entwirft er den Geschichtsprozeß derart, daß weder die Zerstreutheit in unbezogene Kulturorganismen, noch die Einheit der Menschheitsgeschichte als solche ihm zum Prinzip wird. Aber tatsächlich entsteht ihm die Gestalt eines universalen Geschichtsprozesses, der sich ihm gliedert in primäre Hochkulturen, sekundäre Kulturen erster und zweiter Stufe bis zur Geschichte des expansiven Abendlandes seit 1500.
Diese Anschauungen sollen nicht weiter erörtert werden. Vielmehr versuche ich meinerseits das Schema einer Totalanschauung zu entwerfen.
Bei meinem Entwurf bin ich getragen von der Glaubensthese, daß die Menschheit einen einzigen Ursprung und ein Ziel habe. Ursprung und Ziel kennen wir nicht, schlechterdings gar nicht durch irgendein Wissen. Fühlbar sind sie nur im Schimmer vieldeutiger Symbole; unser Dasein bewegt sich zwischen ihnen; in philosophischer Besinnung suchen wir uns wohl beiden, Ursprung und Ziel, zu nähern:
In Adam sind wir Menschen alle verwandt, stammen aus der l. Hand Gottes, nach seinem Ebenbilde geschaffen.
Im Ursprung war die Offenbarkeit des Seins in bewußtloser Gegenwärtigkeit. Der Sündenfall brachte uns auf den Weg, durch Erkennen und durch endliche Praxis mit Zwecken in der Zeit zur Helle des bewußt Offenbaren zu kommen.
Mit der Vollendung des Endes erreichen wir den Einklang der Seelen, schauen einander in liebender Gegenwart, in grenzenlosem Verstehen, einem einzigen Reim der ewigen Geister angehörend.
Das alles sind Symbole, keine Realitäten. Die empirisch zugängliche Universalgeschichte aber erfassen wir in ihrem Sinn - sei es, daß sie ihn hat, sei es, daß wir Menschen ihn ihr geben - nur unter der Idee der Einheit des Ganzen der Geschichte. Die empirischen Tatbestände betrachten wir daraufhin, wie weit sie einer Einheitsidee entsprechen, oder wie weit sie ihr durchaus entgegenstehen.
Und dabei entwickelt sich uns ein Geschichtsbild, in dem zur Geschichte gehört, was erstens als ein Einmaliges in dem einen, einzigen Gesamtprozeß der Menschheitsgeschichte unverwechselbar an seinem Orte steht, und was zweitens in der Kommunikation oder der Kontinuität des Menschseins Wirklichkeit und Unentbehrlichkeit hat.
Entwerfen wir nunmehr in einer Struktur der Weltgeschichte unser Schema, das die größte Weite und die entschiedenste Einheit der Menschheitsgeschichte sucht.“ (Karl Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, 1949, S. 15-18 ).

Karl Jaspers (1883-1969), Philosoph, Jurist und Psychiater. Vgl. seine Werke: Werke


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