WWW.HUBERT-BRUNE.DE Heimseite

© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  http://www.Junge Freiheit.de/    3. Dezember 2004

 

Der Ende einer Lebenslüge. Altkanzler Helmut Schmidt provoziert eine heftige Debatte um Einwanderung
(von Alexander Griesbach)

Es ist eine gespenstische Debatte, die sich da im Gefolge des van-Gogh-Mordes in den Niederlanden und der Auml;ußerungen von Altkanzler und Zeit-Mitherausgeber Helmut Schmidt zur "multikulturellen Gesellschaft" entwickelt hat. Schmidt hat es im Hamburger Abendblatt als "Fehler" bezeichnet, daß "wir" zu Beginn der 1960er Jahre "Gastarbeiter aus fremden Kulturen" ins Land geholt hätten. Viele Ausländer wollten sich, so Schmidt, gar nicht integrieren. Er zeigte sich überzeugt, daß "multikulturelle Gesellschaften" nur in "Obrigkeitsstaaten" wie Singapur funktionieren könnten.

Auf diese Einlassungen folgte der in Deutschland übliche Sturm der Entrüstung, an dessen Spitze die Einwanderungslobbyisten der Bündnisgrünen stehen. Da wurde einmal mehr die Mär erneuert, daß die Gastarbeiter nach dem Krieg mitgeholfen hätten, "unser Land wieder aufzubauen" (Marieluise Beck). Die Parteivorsitzenden Claudia Roth und Reinhard Bütikofer verstiegen sich sogar zu der Behauptung, daß ohne "Multikulturalität Freiheit in modernen Gesellschaften nicht mehr buchstabierbar" sein soll.

Kein Politiker, der sich zu Wort meldete, mochte darauf verzichten, irgendwelche Integrationskonzepte zu empfehlen. Da will Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) Ausländer, die einen deutschen Paß beantragen wollen, einen Eid auf das Grundgesetz schwören lassen; Brandenburgs Innenministerpräsident Jörg Schönbohm (CDU) regte eine Ausländerquote für Stadtviertel, Schulen und Kindergärten an. Und Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) hat schnell einen Drei-Punkte-Plan aus der Schublade geholt, mit dem in Sachen Integration nichts mehr schiefgehen soll.

Diese reichlich verspäteten Initiativen zeigen nur eines: Die politische Klasse der Bundesrepublik steht ratlos vor dem Scherbenhaufen multikultureller Illusionen, die sie aus ideologischer Verblendung jahrzehntelang genährt hat. Letztlich müssen sich auch die Politiker der Union den Vorwurf gefallen lassen, die Entwicklung viel zu lange treiben gelassen zu haben. Die stärksten Zuwanderungsschübe erlebte Deutschland nämlich unter Helmut Kohl. In seiner Regierungszeit entwickelten sich auch die "Parallelgesellschaften", sprich: Ausländerghettos, die heute mehr und mehr ein kaum kontrollierbares Eigenleben führen. Die Ratschläge und Empfehlungen deutscher Politiker dürften den Türken in Berlin-Kreuzberg und anderswo reichlich gleichgültig sein. Hier hat sich längst, weitgehend unabhängig von der deutschen Umwelt, eine Art Istanbul en miniature herausgebildet. Eine kritische Diskussion hierüber konnte aber nicht geführt werden, weil Gegner dieser Entwicklung schnell als "Ausländerfeinde" aus dem öffentlichen Diskurs ausgegrenzt worden sind.

Jetzt, nachdem diese multikulturellen Gutmenschen von der Wirklichkeit eingeholt worden sind, lauten die neue Zauberworte "Integration" und "Leitkultur", hier und da sogar mit dem schamhaften Zusatz "deutsch" versehen. Mit ihnen soll das gerichtet werden, was jahrzehntelang versäumt worden ist. Beide Begriffe werden allerdings stumpfe Instrumente bleiben, weil sie die Ursache der Malaise unberührt lassen.

Mit Recht hat der Osnabrücker Soziologe Robert Hepp festgestellt, daß die multikulturelle Gesellschaft "Ausdruck eines egalitären, kosmopolitischen und humanitären Nihilismus" sei, "dem im Grunde genommen alles gleichgültig ist". Es ist dieser Nihilismus, der im Namen "kultureller Gleichheit" verunmöglicht, daß eine Überprüfung der kulturellen Kompatibilität bestimmter Zuwanderergruppen stattfinden kann. Deshalb wurde insbesondere aus dem linken politischen Spektrum, das die prinzipielle Gleichheit der Kulturen wie eine Monstranz vor sich herträgt, bisher jede Anpassung an eine "europäische" oder gar "deutsche Leitkultur" abgelehnt.

Welches Demokratie- und Staatsverständnis, welche Arbeitsethik und welche Wertesysteme für die ethnischen Gruppen prägend sind, die nach Deutschland einwandern, spielt keine Rolle. Aus der Sicht der Kulturnihilisten ist es unerheblich, ob Einwanderer aus Nigeria oder Afghanistan kommen, oder ob sie Rußlanddeutsche sind. Eine Konsequenz dieses Ansatzes ist, daß kein Wort darüber verloren wird, wie diejenigen Gruppen, deren Wertvorstellungen von grundsätzlich anderer Natur sind, in die deutsche Gesellschaft integriert werden können. Weil dem so ist, erleben wir gerade in der dritten oder vierten Zuwanderungsgeneration bestimmter Ethnien, insbesondere aber bei den Türken, sogenannte "Reethnisierungstendenzen". Sprich: Die Ansätze von Assimilation und Integration, die es gegeben haben mag, werden durch die permissive deutsche Zuwanderungspolitik, die stark wachsende Diasporas nicht kulturkompatibler Ethnien ermöglicht, wieder rückgängig gemacht.

Es ist eben nicht zufällig, sondern bezeichnend, wenn nach einer Umfrage von 1997 etwa sechzig Prozent der türkischen Jugendlichen im Alter von 15 bis 21 Jahren der These zustimmen: "Das Türkentum ist unser Körper, unsere Seele ist der Islam. Ein seelenloser Körper ist ein Leichnam." Was das bedeutet, liegt auf der Hand und ist in Deutschland mittlerweile tagtägliche Realität: Der multikulturelle (Schein)Konsens muß mit ständigen, (von "Sozialpädagogen" moderierten) teuren Konfliktgesprächen herbeigeführt werden, um die gesellschaftlichen Desintegrationstendenzen in einem erträglichen Rahmen zu halten.

Dieser angebliche Konsens ist allerdings nicht in der Lage, die Beharrungskräfte, mit denen bestimmte Gruppen an ihrer kulturellen und ethnischen Identität festhalten, zu überbrücken. Multikulturalisten bleiben sprachlos, wenn es zum Beispiel um die Unterdrückung islamischer Frauen in deutschen Ausländerghettos geht. Wie paßt Diese Tatsache eigentlich zu der "Freiheit" der modernen, multikulturellen Gesellschaft, von der sie schwärmen?

Die Ghettoisierung scheint in jedem Einwanderungsland einer eisernen Regel zu folgen: Wenn die Wertvorstellungen eines Zuwanderungslandes mit den Wertvorstellungen der Zuwandernden kollidieren, kommt es zu Abschottungstendenzen. Wie diese Ghettos aufgelöst werden könnten, wie es Helmut Schmidt für wünschenswert hält, ist nicht ersichtlich. Wie auch: Deutschland hat sein Selbstbestimmungsrecht in Fragen der Zuwanderung weitgehend aufgegeben. Internationale Verträge werden auch in Zukunft für einen unkontrollierbar großen Strom von Zuwanderern sorgen, der jede Integrationsbemühung zunichte machen wird. So müßte vor allem darüber nachgedacht werden, wie Deutschland in Fragen der Zuwanderung seine Handlungsfähigkeit zurückgewinnen kann.

Junge Freiheit vom 3. Dezember 2004


 

Zur benutzten und empfohlenen Literatur von:

WWW.HUBERT-BRUNE.DE