In der Betrachtung
des Weimarer Systems beharrt der Berliner Historiker Ernst Nolte auf seiner Interpretationslinie (von
Herbert Ammon) Ernst Noltes »revisionistische« Thesen zum »kausalen
Nexus« von Bolschewismus und Nationalsozialismus, zum historischen »Prius«
des kommunistischen Klassenmordes vor dem nationalsozialistischen Rassenmord,
zu Hitlers subjektiv realen Motiven lösten einst den »Historikerstreit«
aus. Obgleich nach dem Mauerfall selbst der Marxist Eric Hobsbawm vom 20. Jahrhundert
als »Zeitalter der Extreme« sprach, blieb Nolte von deutschen »Diskursen«
aus-geschlossen. Erst in jüngster Zeit scheint die Hysterie abgeklungen. Mit
dem neuesten Buch, dem mit thematisch relevanten Essays angereicherten Ertrag
von Vorlesungen zur Weimarer Republik, könnte Nolte die Entrüstung wieder
anfachen. Er beharrt auf seinem Ansatz als »verstehender« Historiker,
der ungeachtet der verbrecherischen Monstrosität den »rationalen«
Kern des augenscheinlich irrationalen Judenmordes zu ergründen habe. »Historisierung«
des Nationalsozialismus heißt für Nolte, die Bewegung in den Kontext
von Revolution und Konterrevolution einzuordnen. Adolf Hitler sei nicht nur als
Charismatiker und Hasardeur zu sehen, sondern als von seiner Geschichtsmission
erfüllter Akteur ernstzunehmen. Nolte billigt ihm kaum minderen intellektuellen
Rang zu als der »linken« Heilsfigur Lenin. Daß Hitlers
»Weltanschauung« vor dem Hintergrund der Münchner Räterepublik
unter dem Einfluß von Dietrich Eckart und von »weißen«
Emigranten wie Arthur Rosenberg ideologisch fixiert wurde, hat Nolte bereits in
»Der Faschismus in seiner Epoche« (1963) dargestellt. Hitlers Antijudaismus
(statt »Antisemitismus») entsprang der Wahrnehmung des Bolschewismus
als weltzerstörerischer Konsequenz des jüdischen Messianismus. Im jüdisch-christlichen
Endzeitversprechen eines Friedensreiches sieht Nolte, nicht anders als Jakob L.
Talmon, den Ursprung der »Ewigen Linken». Ihr im Kern, selbst in säkularem
Gewand, stets religiöser Universalismus stößt auf die Kräfte
des Partikularen. »Der Wille zur Verteidigung einer Partikularität
- des Vaterlandes, der Kultur, der Gliederung der Gesellschaft - kann ebenso machtvoll
und wirkkräftig sein wie der Wille zur Überwindung der Grenzen.« Erscheint
der Nationalsozialismus als Gegenkraft gegen das im sozialistischen Utopismus
angelegte »Ende der Geschichte«, so verweist Nolte auf die Paradoxie,
die Antipoden Hitler und Lenin hätten im Endziel ihres jeweiligen »Absolutismus«
übereingestimmt: Lenins Antikapitalismus zielte auf einen historischen Endzustand,
Hitlers antibolschewistischer Furor auf die Auslöschung des revolutionären
Prinzips. Beide Figuren wären - ungeachtet ihrer Faszi-nation für den
technischen Fortschritt - ex post unter die »Anti-Globalisierer« einzureihen,
unter all jene, die sich der Dynamik der Geschichte widersetzen. Mit der
These, Lenin und Hitler seien beide Repräsentanten des »Unbehagens
an der Kultur« (Sigmund Freud), könnte Nolte sogar Beifall bei seinen
Erzrivalen, den Linksliberalen, ernten. Ihre Aversion dürfte bestätigen,
daß Nolte die Kommunisten als die Aggressiveren und als prima causa der
Zerstörung Europas behandelt. Beispielsweise traten KPD-Abgeordnete 1928
als erste im Reichstag in Uniform auf, zwei Jahre vor den Nationalsozialisten. Die
historische Chance bot sich Hitler in der durch den Großen Krieg und »Versailles«
zugespitzten Krise des »Liberalen Systems». Die Definition des Schlüsselbegriffs
nimmt Nolte hier nur en passant vor. Er versteht darunter das für Europa
typische, schon vor der französischen Revolution begründete System des
sozialen und ideellen Pluralismus. Es beruht auf dem Austarieren tief verwurzelter
Widersprüche, auf der Bereitschaft, um des inneren und äußeren
Friedens willen an sich unvereinbare Prinzipien und Interessen in Kompromissen
aufzuheben oder zu verbergen. Nach dem Sturz der Monarchien hatte das »Liberale
System« seine politische Form in der Weimarer Verfassung, seinen Inhalt
in der »Parteiendemokratie« gefunden. Da zwei Extreme das System herausforderten,
war es stets, selbst in der Phase der »fragilen Konsolidierung 1924 bis
1929«, vom Scheitern bedroht. »Die Weimarer Republik ging zugrunde,
weil sie als ungefestigte Demokratie zwischen Lenin und Hitler zerrieben wurde«,
so Nolte. War das Scheitern zwangsläufig? Der Geschichtsdenker Nolte,
durchaus auch Empiriker, nennt Entscheidungsmomente, wo sich das Unheil hätte
abwenden lassen. Lag beim Ende der Großen Koalition im Frühjahr 1930
die Verantwortung bei der SPD, die dem eigenen Ministerpräsidenten Hermann
Müller-Franken in den Rücken fiel, so hätte Hindenburg im Juli
nicht den Reichstag auflösen dürfen. Brüning scheiterte 1932 am
Intrigenspiel Kurt von Schleichers, der mit dem Verweis auf die »Schutzformationen«
des Reichsbanners das Uniformverbot aushebelte und Franz von Papen ans Ruder brachte. Ausgerechnet
Papen tritt als verhinderter Retter der Republik in Erscheinung. Er habe bei seinem
Rücktritt am 17. November 1932 den Bürgerkrieg gegen beide extremistische
Parteien ins Auge gefaßt. Es war Schleicher, der dieses Risiko nicht eingehen
und statt dessen sein »Querfront«-Konzept ins Werk setzen wollte.
Schleicher scheiterte an der SPD und an Papen. Junge Freiheit vom 6. Oktober 2006 |