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© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  http://www.Junge Freiheit.de/         6. Oktober 2006

 


In der Betrachtung des Weimarer Systems beharrt der Berliner Historiker Ernst Nolte auf seiner Interpretationslinie
(von Herbert Ammon)

Ernst Noltes »revisionistische« Thesen zum »kausalen Nexus« von Bolschewismus und Nationalsozialismus, zum historischen »Prius« des kommunistischen Klassenmordes vor dem nationalsozialistischen Rassenmord, zu Hitlers subjektiv realen Motiven lösten einst den »Historikerstreit« aus. Obgleich nach dem Mauerfall selbst der Marxist Eric Hobsbawm vom 20. Jahrhundert als »Zeitalter der Extreme« sprach, blieb Nolte von deutschen »Diskursen« aus-geschlossen. Erst in jüngster Zeit scheint die Hysterie abgeklungen.

Mit dem neuesten Buch, dem mit thematisch relevanten Essays angereicherten Ertrag von Vorlesungen zur Weimarer Republik, könnte Nolte die Entrüstung wieder anfachen. Er beharrt auf seinem Ansatz als »verstehender« Historiker, der ungeachtet der verbrecherischen Monstrosität den »rationalen« Kern des augenscheinlich irrationalen Judenmordes zu ergründen habe. »Historisierung« des Nationalsozialismus heißt für Nolte, die Bewegung in den Kontext von Revolution und Konterrevolution einzuordnen. Adolf Hitler sei nicht nur als Charismatiker und Hasardeur zu sehen, sondern als von seiner Geschichtsmission erfüllter Akteur ernstzunehmen. Nolte billigt ihm kaum minderen intellektuellen Rang zu als der »linken« Heilsfigur Lenin.

Daß Hitlers »Weltanschauung« vor dem Hintergrund der Münchner Räterepublik unter dem Einfluß von Dietrich Eckart und von »weißen« Emigranten wie Arthur Rosenberg ideologisch fixiert wurde, hat Nolte bereits in »Der Faschismus in seiner Epoche« (1963) dargestellt. Hitlers Antijudaismus (statt »Antisemitismus») entsprang der Wahrnehmung des Bolschewismus als weltzerstörerischer Konsequenz des jüdischen Messianismus. Im jüdisch-christlichen Endzeitversprechen eines Friedensreiches sieht Nolte, nicht anders als Jakob L. Talmon, den Ursprung der »Ewigen Linken». Ihr im Kern, selbst in säkularem Gewand, stets religiöser Universalismus stößt auf die Kräfte des Partikularen. »Der Wille zur Verteidigung einer Partikularität - des Vaterlandes, der Kultur, der Gliederung der Gesellschaft - kann ebenso machtvoll und wirkkräftig sein wie der Wille zur Überwindung der Grenzen.«

Erscheint der Nationalsozialismus als Gegenkraft gegen das im sozialistischen Utopismus angelegte »Ende der Geschichte«, so verweist Nolte auf die Paradoxie, die Antipoden Hitler und Lenin hätten im Endziel ihres jeweiligen »Absolutismus« übereingestimmt: Lenins Antikapitalismus zielte auf einen historischen Endzustand, Hitlers antibolschewistischer Furor auf die Auslöschung des revolutionären Prinzips. Beide Figuren wären - ungeachtet ihrer Faszi-nation für den technischen Fortschritt - ex post unter die »Anti-Globalisierer« einzureihen, unter all jene, die sich der Dynamik der Geschichte widersetzen.

Mit der These, Lenin und Hitler seien beide Repräsentanten des »Unbehagens an der Kultur« (Sigmund Freud), könnte Nolte sogar Beifall bei seinen Erzrivalen, den Linksliberalen, ernten. Ihre Aversion dürfte bestätigen, daß Nolte die Kommunisten als die Aggressiveren und als prima causa der Zerstörung Europas behandelt. Beispielsweise traten KPD-Abgeordnete 1928 als erste im Reichstag in Uniform auf, zwei Jahre vor den Nationalsozialisten.

Die historische Chance bot sich Hitler in der durch den Großen Krieg und »Versailles« zugespitzten Krise des »Liberalen Systems». Die Definition des Schlüsselbegriffs nimmt Nolte hier nur en passant vor. Er versteht darunter das für Europa typische, schon vor der französischen Revolution begründete System des sozialen und ideellen Pluralismus. Es beruht auf dem Austarieren tief verwurzelter Widersprüche, auf der Bereitschaft, um des inneren und äußeren Friedens willen an sich unvereinbare Prinzipien und Interessen in Kompromissen aufzuheben oder zu verbergen.

Nach dem Sturz der Monarchien hatte das »Liberale System« seine politische Form in der Weimarer Verfassung, seinen Inhalt in der »Parteiendemokratie« gefunden. Da zwei Extreme das System herausforderten, war es stets, selbst in der Phase der »fragilen Konsolidierung 1924 bis 1929«, vom Scheitern bedroht. »Die Weimarer Republik ging zugrunde, weil sie als ungefestigte Demokratie zwischen Lenin und Hitler zerrieben wurde«, so Nolte.

War das Scheitern zwangsläufig? Der Geschichtsdenker Nolte, durchaus auch Empiriker, nennt Entscheidungsmomente, wo sich das Unheil hätte abwenden lassen. Lag beim Ende der Großen Koalition im Frühjahr 1930 die Verantwortung bei der SPD, die dem eigenen Ministerpräsidenten Hermann Müller-Franken in den Rücken fiel, so hätte Hindenburg im Juli nicht den Reichstag auflösen dürfen. Brüning scheiterte 1932 am Intrigenspiel Kurt von Schleichers, der mit dem Verweis auf die »Schutzformationen« des Reichsbanners das Uniformverbot aushebelte und Franz von Papen ans Ruder brachte.

Ausgerechnet Papen tritt als verhinderter Retter der Republik in Erscheinung. Er habe bei seinem Rücktritt am 17. November 1932 den Bürgerkrieg gegen beide extremistische Parteien ins Auge gefaßt. Es war Schleicher, der dieses Risiko nicht eingehen und statt dessen sein »Querfront«-Konzept ins Werk setzen wollte. Schleicher scheiterte an der SPD und an Papen.

Junge Freiheit vom 6. Oktober 2006


 

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