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© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  http://www.Junge Freiheit.de/      3. Dezember 2004

 


„Noch zwei Generationen Zeit“
Der Demographie-Experte Theodor Schmidt-Kaler über die Einwanderung, Helmut Schmidt und das "Heidelberger Manifest"
(von Moritz Schwarz)

Herr Professor Schmidt-Kaler, Altbundeskanzler Helmut Schmidt hat es in der vergangenen Woche in einem Interview mit dem "Hamburger Abendblatt" als "Fehler" bezeichnet, "daß wir zu Beginn der sechziger Jahre Gastarbeiter aus fremden Kulturen ins Land geholt haben".

Schmidt-Kaler: Das ist natürlich äußerst pikant, hat er doch als Bundeskanzler die Einwanderungspolitik seiner Vorgänger fortgesetzt. Späte Reue.

Empfinden Sie Genugtuung?

Schmidt-Kaler: Darum geht es mir nicht. Übrigens habe ich sonst immer viel von Helmut Schmidt gehalten - und seine Fähigkeit zur Einsicht bestärkt mich darin.

Sie hätten allerdings allen Grund dazu, immerhin betrachten Sie Helmut Schmidt als mitverantwortlich für die Lahmlegung der Initiative "Heidelberger Manifest", zu dessen Unterzeichnern Sie 1981/82 gehörten. Des letzten Versuches aus den Reihen etablierter Eliten, die Folgen der Einwanderung öffentlich zu diskutieren, bevor sich nun das Thema in Folge der Ereignisse in Holland nach 22 Jahre wieder auf die offizielle Tagesordnung der Politik gedrängt hat.

Schmidt-Kaler: Angestoßen durch den Münchner Mineralogen Helmut Schröcke hatten wir damals fünfzehn Professoren versammelt, die das Manifest als Erstunterzeichner unterschrieben haben, darunter übrigens auch der ehemalige CDU-Bundesminister Theodor Oberländer. Später haben sich noch Hunderte weitere Bürger angeschlossen. Denn die Folgen der trotz Anwerbestopps durch die an sich noble, aber verantwortungslose Politik der Familienzusammenführung fortgesetzten Massenzuwanderung waren damals schon deutlich vorauszusehen. Wir hatten gehofft, mit dieser Initiative das fatale Schweigen über dieses Schicksalsthema, das doch alle Menschen in unserem Land angeht und über das sie dennoch nicht öffentlich zu sprechen wagten, zu durchbrechen. Leider ohne Erfolg.

Der ehemalige FAZ-Journalist und Sicherheitsexperte Udo Ulfkotte äußerte in der vergangene Woche im Interview mit dieser Zeitung Zweifel daran, daß das Thema nun wirklich ernsthaft diskutiert wird. Er hält es für eine der üblichen Medien-Moden, die bald wieder vergessen sind.

Schmidt-Kaler: Das befürchte ich auch. Bezeichnend ist doch zum Beispiel, daß es sich bei der Debatte gar nicht mehr um das "Ob", sondern nur noch um das "Wie" von Einwanderung dreht. Die Frage "Ist Multikulti am Ende?" zielt nicht auf die Beendigung dieses höchst zweifelhaften Gesellschaftsexperimentes - man diskutiert darüber, wie man es doch noch retten könnte.

Zum Beispiel durch "Integration statt Assimilation" mittels einer "demokratischen Leitkultur"?

Schmidt-Kaler: Das Niveau solcher Vorschläge ist fatal! Was meint denn "demokratische Leitkultur" mehr als Gesetzes- und Verfassungstreue? Der Begriff "Kultur" ist hier völlig falsch verwendet! Kulturelle Integration ist nicht gleich, sondern führt zu Gesetzestreue - das Mittel wird mit dem Ziel verwechselt. Erstaunlich, daß ein Intellektueller wie Bassam Tibi, von dem das Konzept bekanntlich stammt, einen solchen Erstsemester-Fehler macht. Und zum Thema Integration kann ich nur sagen, wo ist diese jemals ohne ein kräftiges Maß an Assimilation gelungen? Staatlichkeit ist ihrem Wesen nach stets die Frage der Loyalität. In einer multikulturelle Gesellschaft besteht naturgemäß kein Konsens über den Bezugspunkt der Loyalität. Es war ein langwieriger und blutiger Prozeß, diesen in Europa auf der Grundlage der Nationalstaaten herzustellen. Beispiel: Während für Theo van Gogh dieser Bezugspunkt der liberale Nationalstaat Niederlande war, war es für seinen Attentäter der Islam. Das Ergebnis des Konfliktes: Van Gogh ist tot und Moscheen brennen.

Helmut Schmidt meint deshalb, daß "eine multikulturelle Gesellschaft nur dort funktioniert, wo es einen starken Obrigkeitsstaat gibt ... wie zum Beispiel in Singapur".

Schmidt-Kaler: Schlechte Nachrichten für die Vertreter der multikulturellen Gesellschaft. Aber das ist nicht die Prämisse, von der wir in Deutschland ausgehen sollten.

Bassam Tibi empfahl in einem "Spiegel"-Interview in der vergangenen Woche Leitkultur à la Frankreich: Das Bekenntnis zur französischen Republik integriere alle Bürger, egal welcher Herkunft.

Schmidt-Kaler: Was Tibi verschweigt: Während bei uns - und zwar gerade dank der Achtundsechziger - Staat als reines Regelwerk und damit als Gegenmodell zur Nation verstanden wird, ist in Frankreich die Republik das Synonym für die Nation. Dieses Konzept setzt bei allen Beteiligten die Aufklärung voraus. Und der Islam hat bisher weder eine Reformation noch eine Aufklärung erlebt.

Sie haben dagegen schon damals "aus rechnerischen Modellen ... bürgerkriegsähnliche Zustände und Rassenkrawalle" als Folge der Masseneinwanderung vorhergesagt.

Schmidt-Kaler: Dieses Zitat stammt allerdings nicht aus dem Manifest. Anschläge wie in Madrid und Amsterdam erfüllen zwar noch nicht diesen Tatbestand, deuten aber darauf hin, daß die Prognose begründet ist. Übrigens prophezeien das auch andere: Udo Ulfkotte ebenso wie Bassam Tibi, und auch Helmut Schmidt hat bekanntlich schon 1981 gewarnt: "Das gibt Mord und Totschlag".

Ihr Heidelberger Manifest warnte unter anderem vor der "Unterwanderung des deutschen Volkes durch Zuzug von vielen Millionen Ausländern und ihren Familien und der Überfremdung unserer Sprache, Kultur und Volkstums".

Schmidt-Kaler: So hieß es in der Fassung von Professor Schröcke, daneben gab es noch eine weitere Fassung von mir.

In der statt von "deutschen Volk" von "deutscher Bevölkerung" und statt von "Volkstum" nur noch von "deutscher Sprache und Kultur" die Rede war.

Schmidt-Kaler: Die aufgeladene Sprache der Schröcke-Fassung drohte die erhoffte Diskussion in einen Streit über die Formulierungen statt über die Inhalte münden zu lassen. Ich habe beide Fassungen unterschrieben, denn andererseits war die Schröcke-Fassung eher in der Sprache des Grundgesetzes gehalten.

Inwiefern?

Schmidt-Kaler: Das Grundgesetz benennt schließlich allein das "deutsche Volk" als Souverän, während ihm eine "deutsche Bevölkerung" unbekannt ist. Und laut des sogenannten Teso-Urteils des Bundesverfassungsgerichtes von 1987 ist Ziel und Zweck des Grundgesetzes "die Erhaltung des deutschen Volkes" - nicht nur in musealer Weise, nicht nur von Sprache und Kultur, sondern auch ganz konkret deren Verdichtung in einem lebendigen Volkstum.

Welche Beweise haben Sie dafür, auch den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt für das Scheitern des Manifestes verantwortlich zu machen?

Schmidt-Kaler: Bert Rürup kam 1981 zu einer Tagung der Deutschen Gesellschaft für Bevölkerungswissenschaft - heute Deutsche Gesellschaft für Demographie - in Bad Königstein im Taunus und sorgte dafür, daß dort die "Pro-Natalisten", also alle, die wie wir "Heidelberger" für ein Ende der Masseneinwanderung und für die Anhebung der deutschen Geburtenziffern eintraten, ausmanövriert wurden. Methode: Zuckerbrot und Peitsche. Er ließ durchblicken: Wer sich widersetzt, mußte mit Schwierigkeiten bei seiner Karriere rechnen, wer dagegen kooperiere, könne auf Belohnung hoffen. Wer oder was ermächtigte Rürup dazu? Nun, er war damals Berater im Bundeskanzleramt.

Es war aber nicht allein Helmut Schmidt, wie Sie vermuten?

Schmidt-Kaler: Was die unterschwellige Stimmungsmache einer Regierung so alles anrichten kann, haben wir spätestens beim sogenannten "Aufstand der Anständigen" gesehen. Insgesamt aber sind wir an der schon im Entstehen begriffenen Political Correctness gescheitert, die bereits damals Vertreter mißliebiger Meinungen Haß, Verachtung und Terrormaßnahmen aussetzte.

Terrormaßnahmen?

Schmidt-Kaler: Ich bekam zum Beispiel Drohbriefe, inklusive Morddrohungen. An der Universität liefen diverse Flugblatt-Kampagnen gegen mich, unsere Bürotüren wurden mit Parolen wie "Institut für Rassismus" beschmiert. Schließlich wurden wir von einem Putztrupp überfallen und mein Vertreter so schlimm zusammengeschlagen, daß er zum Arzt mußte und noch Wochen später blau und gelb leuchtete. Auch mein Wohnhaus wurde wiederholt mit Parolen beschmiert, Fenster eingeworfen und ich schließlich in aller Öffentlichkeit geohrfeigt. Einige Kollegen zogen sich unter solchem Druck schließlich zurück. Danach wollte sich - bis auf Einzelkämpfer wie den Soziologen Robert Hepp - niemand mehr dem aussetzen, und das Thema wurde nur noch an den politischen Rändern aufgegriffen. Was natürlich ganz im Kalkül der Meinungsterroristen lag, denn damit hatte es endgültig das Gütesiegel "rechtsextrem".

Immerhin druckten sowohl die "Frankfurter Rundschau" als auch die katholische "Tagespost" das Manifest als Dokumentation ab. Das Südwestfunkfernsehen in Baden-Baden lud Sie in eine Diskussionssendung im Regionalprogramm, der Bayerische Rundfunk in eine Sendung im ARD-Fernsehen ein.

Schmidt-Kaler: Es war erfreulich, daß sie mir als Gegenüber einen Mann wie den SPD-Politiker Heinz Kühn, bis 1978 Ministerpräsident von NRW, eingeladen hatten. Aber es war auch die Sendung, in der ich von einer herbeistürmenden Zuschauerin - offensichtlich aus dem linksextremen Milieu bestellt - vor laufender Kamera geohrfeigt wurde. Aber abgesehen von diesen Ausnahmen liefen die Pressereaktionen fast überall ab, wie zuletzt im Fall Hohmann. So wie dort aus "Die Juden sind kein Tätervolk", "Hohmann nennt Juden Tätervolk" wurde, so wurde aus Einwanderungsstopp "Ausländerfeindlichkeit" gemacht. Daß es völlig absurd ist, Einwanderer pauschal mit jeder Art von Ausländern in Deutschland gleichzusetzen oder "Begrenzung" mit "Feindlichkeit", störte dabei nicht. Man wollte auch gar nicht verstehen, denn es ging darum, nicht zuzulassen, daß wir unsere vernünftigen Argumente überhaupt vorbringen. Im übrigen enttäuschte uns besonders das Schweigen von FAZ und Welt.

Das Heidelberger Manifest hat auf beide Seiten des Problems hingewiesen, die zunehmende Immigration von Ausländern einerseits, die abnehmende Natalität der Deutschen andererseits.

Schmidt-Kaler: Ja, und wir waren damit bereits an einem Punkt, an dem die Diskussion heute noch nicht wieder angelangt ist. Denn kommen diese beiden Faktoren zusammen, haben wir es nicht mehr mit der Art Einwanderung zu tun, wie wir sie von Einwanderungsländer wie den USA oder Kanada kennen. Dann entspricht Einwanderung im Effekt dem, was wir in der Geschichte mit dem Begriff "Völkerwanderung" ausdrücken, nämlich die Veränderung der Grundbedingungen des Lebens ganzer Völker.

Im Moment haben wir sieben Millionen Ausländer bei 83 Millionen Deutschen, das klingt noch verkraftbar.

Schmidt-Kaler: Das sind nominelle Zahlen, die schon "dank" der großzügigen Einbürgerungspraxis, Sonderregelungen wie Asyl und illegalen Aufenthalten längst nicht mehr die Wirklichkeit beschreiben. Aber der Punkt ist, daß man die Einwanderungsfrage verzerrt, wenn man sie statisch darstellt. Denn Einwanderung ist keine Situation, sondern ein Prozeß. Fixe Zahlen transportieren nicht die eigentliche Information, diese ist erst in den Faktoren enthalten, die auf die Zahlen wirken. Und der entscheidende Faktor ist die Natalität. Die eigentliche Einwanderung findet bei uns längst nicht mehr "sichtbar" über die Grenzen statt, sie vollzieht sich "unsichtbar" über die Kreißsäle. Und ebenso "verschwindet" das deutsche Volk nicht sichtbar über die Grenzen wie bei einer Vertreibung, sondern ebenfalls unsichtbar: Kindergärten werden dichtgemacht, Friedhöfe erweitert.

Die Union fordert jetzt verschärfte Maßnahmen wie etwa einen Eid auf die Verfassung bei der Einbürgerung. Was erwarten Sie von einem eventuellen CDU-Wahlsieg 2006?

Schmidt-Kaler: 1986 habe ich für Bundeskanzler Kohl eine internationale bevölkerungswissenschaftliche Tagung in Bonn organisiert. Zur Vorbereitung empfing er mich zum Gespräch unter vier Augen im Bundeskanzleramt. Er wollte über das Problem der Demographie reden. Wann immer ich die Einwanderung ansprach, winkte er ab. Was also soll ich von der Politik erwarten? Wir haben de facto nur Einwanderungsparteien in Deutschland. Ebenso ist es mit den "relevanten" gesellschaftlichen Gruppen, ob Kirchen oder die angeblich arbeitnehmerfreundlichen Gewerkschaften. Ich frage mich auch, warum etwa der Zentralrat der Juden in Deutschland uns hierzulande stets dringend eine unterschiedslose Einwanderungspolitik empfiehlt, während er die extrem völkische Einwanderungspolitik in Israel nicht kritisiert. Nun, wenn in den nächsten Jahren der EU-Beitritt der Türkei bei voller Freizügigkeit für dann 90 Millionen Türken beschlossen wird, hat sich die Diskussion sowieso erledigt. Dann gebe ich Deutschland noch maximal zwei Generationen.

Prof. Dr. Theodor Schmidt-Kaler ist einer der letzten noch lebenden Unterzeichner des Heidelberger Manifestes, mit dem 1981/82 vierzehn deutsche Professoren und ein Bundesminister a.D. vor den Folgen der Masseneinwanderung warnten und - vergeblich - versuchten, eine öffentliche Diskussion darüber zu entfachen. Schmidt-Kaler beriet mehrfach Ministerien während der Kabinette Schmidt und Kohl zu demographischen und rentenpolitischen Fragen, ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Demographie und veröffentlichte zahlreiche Artikel zum Thema, etwa in Bevölkerungswissenschaft oder aus Politik und Zeitgeschichte. Der 1930 im oberfränkischen Seibelsdorf geborene Naturwissenschaftler lehrte in Bonn, Toronto und Bochum, war Präsident der Astronomischen Gesellschaft und ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen und der Europäischen Akademie der Wissenschaften.

Junge Freiheit vom 3. Dezember 2004


 

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