US-Geheimdienst
über den Irakkrieg / War on terror stärkt gewalttätige
Islamisten (von Günther Dreschner) Der Irakkrieg hat die globale
Terrorbedrohung verschlimmert.« Mit dieser Schlagzeile machte die New York
Times vorvergangenen Donnerstag auf. Eine Sensation war dies eigentlich nicht,
denn heute ist Allgemeingut, daß die Begründungen Washingtons für
seinen Krieg im Nahen Osten frei erfunden waren. Weder gab es die Massenvernichtungswaffen,
noch gab es die Zusammenarbeit des Diktators Saddam Hussein mit Bin Ladens al-Qaida,
der Mutter allen Terrors (JF 39/06). Im Vorfeld des Irakkriegs hatten so gut wie
alle Nahostexperten (in der JF unter anderem Peter Scholl-Latour) davor gewarnt,
die nahöstliche Büchse der Pandora zu öffnen. Nicht mehr Frieden
und Stabilität werde die Folge sein, sondern Chaos und zunehmende Gewalt.
Der brutale Militärschlag, wie die USA und ihre »Koalition der Willigen«
ihn dann auch führten, spiele eher dem Terrorismus in die Hände als
ihm zu wehren. Abneigung gegen die Rolle der USA in der islamischen Welt Diese
Einschätzung ist nun US-amtlich. Die NYT zitierte aus dem jüngsten »National
Intelligence Estimate« (NIE), dem regelmäßigen »Top-Secret»-Bericht
der 16 Geheimdienstbehörden der USA an den Präsidenten. Zwar hätten
die USA im »Krieg gegen den Terror« die Führungsspitze von al-Qaida
»schwer beschädigt«, heißt es in dem Bericht, dennoch breite
sich »die weltweite Dschihadisten-Bewegung - die al-Qaida, ihr zugerechnete
und unabhängige Terrorgruppen sowie neu entstehende Netzwerke und Zellen
- zahlenmäßig und geographisch weiter aus.« Laut NIE ist
es an erster Stelle der Irakkrieg, der im Prozeß des globalen Anwachsens
des »dschihadistischen« Terrors die Rolle eines »zentralen Katalysators«
eingenommen hat. Der Irakkrieg sei »für diese Leute« eine »Cause
célèbre« geworden, die eine »tiefe Abneigung gegen die
Rolle der USA in der islamischen Welt und die Globalisierung erzeugt und ständig
Gefolgsleute für die globale Terroristenbewegung generiert.« Der von
den Kreisen um George W. Bush eingefädelte Angriffskrieg gegen den Irak hat
die Sicherheit der USA und des Westens nicht verbessert, sondern deutlich verschlechtert
- so das Fazit des Berichts. Die rot-grüne Bundesregierung hat 2003
eine direkte Beteiligung am Krieg des Hauptverbündeten abgelehnt - und wurde
dafür von Washington und seinen Meinungsbildnern in Deutschland scharf kritisiert.
Der Forderung nach indirekter Unterstützung konnte sich Deutschland nicht
ganz entziehen, doch deutsche Soldaten waren nicht beteiligt. Das ist Deutschlands
Ansehen im Vorderen Orient nicht schlecht bekommen und hat die Glaubwürdigkeit
Berlins als ehrlicher Makler zwischen den Streitparteien der diversen, einander
überlagernden Nahostkonflikte erhalten. Damit könnte es nach der Libanon-Entscheidung
der schwarz-roten Bundesregierung (mit grüner Bundestagszustimmung) aber
bald vorbei sein. Natürlich nicht wegen der Tatsache der Entsendung
deutscher Truppen an sich. Daran hat sich die Welt gewöhnt. Seit 1992 haben
rund 150.000 deutsche Soldaten an diversen Missionen teilgenommen. Derzeit tun
8.000 Männer (und Frauen) zwischen Afghanistan und dem Kosovo, zwischen Bosnien
und dem Kongo Dienst. Es ist zudem unbestreitbar, daß Deutschland als größtes
EU-Land, zweitstärkster Nato-Partner und ambitioniertes Uno-Mitglied seine
Rolle auch in der militärisch gestützten Außenpolitik dieser Bündnisse
zu spielen hat. Bis heute aber ist unklar, nach welchen Kriterien. Eine
Gesamtkonzeption der deutschen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik
ist nicht erkennbar. Was genau sind die deutschen Interessen, die im Kongo oder
künftig im Nahen Osten mit militärischen Mitteln vertreten werden? Eine
fachkundig geführte »interessengeographische Lagekarte« würde
den jeweiligen Bundesregierungen und dem Bundestag die politische Navigation erleichtern: Gibt
es Regionen auf der Welt, in denen Deutschland sich mit gutem Grund militärisch
engagiert, und solche, von denen es sich wohlüberlegt fernhält? Wie
verträgt sich die Lieferung deutscher U-Boote an Israel, die sich auch als
Träger von Atomraketen eignen, mit der deutschen Rolle bei den gleichzeitigen
Verhandlungen über Irans Atomprogramm? Wie sinnvoll ist die beschlossene
Marine-Entsendung vor die Levante-Küste? Doch die nüchterne Diskussion
deutscher Interessen ist vielen politischen Entscheidern fremd. Die Wortführer
der Libanon-Mission stützten sich stattdessen auf moralisches Pathos: Damit
sichere Deutschland Israels Existenzrecht, so lautete der Kern der »nüchternen
Interessenabwägung». »Doch im Kampf gegen die Hisbollah war der
Bestand des jüdischen Staates zu keiner Zeit gefährdet. Und wenn er
bedroht gewesen wäre, was können dann Fregatten vor Beirut ausrichten
?« fragte der proisraelische Kommentator Jacques Schuster in der Welt.
Mit dem entsandten Marinekontingent soll die Bundeswehr Waffenlieferungen an die
Hisbollah stoppen, antwortete die Bundesregierung. Doch die Lieferungen
für die libanesische Schiiten-Miliz kommen selten übers Wasser. Der
Hauptlieferant für moderne Infanteriewaffen und die Raketen (die gefährliche
C-802 zur Bekämpfung von Schiffszielen und die weitreichende Selsal-2-Rakete,
die auch Tel Aviv erreichen könnte) ist der Iran. Israelischen Geheimdienstberichten
zufolge schickt Teheran diese Waffen zu Land und zu Luft über die Türkei
nach Syrien, von wo aus sie auf schwer kontrollierbaren (Land-)Wegen in den Libanon
gelangen. Die Türkei unterhält zwar auch zu Israel freundliche
Kontakte, doch gestalteten sich die Beziehungen zur islamischen Welt, vor allem
zu den Nachbarn Syrien und Iran in den letzten Jahren zusehends intensiver. Zweifellos
spiegelt sich darin der Prozeß der Neuorientierung der Türkei im sich
ändernden geopolitischen Koordinatensystem des ganzen Nahen Ostens. Syriens
Präsident Baschar Hafiz al-Assad bezeichnete im Spiegel den Auftrag der deutschen
Marinemission denn auch als »mission impossible». Deutsche Flaggen
in Schiiten-Vierteln Beiruts verbrannt Das sei »kein Einsatz wie jeder
andere«, erklärte Angela Merkel - in deutlichem Bezug auf Last und
Verantwortung der deutschen Geschichte - im Bundestag. Dies lauthals als Begründung
für eine ungewisse Militäraktion zu verkünden, ist weder nötig
noch nützlich. In arabischen und muslimischen Ohren wird es einen drohenden
Unterton gehabt haben, als die Kanzlerin hinzufügte: »Wir sind nicht
neutral. Wir wollen auch gar nicht neutral sein.« Die ersten deutschen Flaggen
wurden in den schiitischen Vierteln Beiruts auch schon verbrannt - einer Gegend,
die während der Fußballweltmeisterschaft in Schwarz-Rot-Gold getaucht
war! Daß dennoch sachliche Gründe für die Teilnahme Deutschlands
an dieser UN-Mission sprechen können, geriet im Bundestag ganz zur Nebensache:
Deutschland ist - gerade wegen seiner positiven Wahrnehmung in dieser Region -
an Frieden im Nahen Osten interessiert, will einen Beitrag zur Stabilisierung
des Libanon leisten, wenn möglich den Einfluß islamistischer Extremisten
mindern. Deutschland muß eine seinen Interessen entsprechende Rolle in Nahmittelost
spielen und dafür auch Präsenz zeigen. Sich - und sei es »nur«
verbal - als potentielle Kriegspartei zu positionieren, liegt nicht im deutschen
Interesse. Junge Freiheit vom 6. Oktober 2006 |