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© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  http://www.Junge Freiheit.de/         6. Oktober 2006

 


US-Geheimdienst über den Irakkrieg / „War on terror“ stärkt gewalttätige Islamisten
(von Günther Dreschner)

Der Irakkrieg hat die globale Terrorbedrohung verschlimmert.« Mit dieser Schlagzeile machte die New York Times vorvergangenen Donnerstag auf. Eine Sensation war dies eigentlich nicht, denn heute ist Allgemeingut, daß die Begründungen Washingtons für seinen Krieg im Nahen Osten frei erfunden waren.

Weder gab es die Massenvernichtungswaffen, noch gab es die Zusammenarbeit des Diktators Saddam Hussein mit Bin Ladens al-Qaida, der Mutter allen Terrors (JF 39/06). Im Vorfeld des Irakkriegs hatten so gut wie alle Nahostexperten (in der JF unter anderem Peter Scholl-Latour) davor gewarnt, die nahöstliche Büchse der Pandora zu öffnen. Nicht mehr Frieden und Stabilität werde die Folge sein, sondern Chaos und zunehmende Gewalt. Der brutale Militärschlag, wie die USA und ihre »Koalition der Willigen« ihn dann auch führten, spiele eher dem Terrorismus in die Hände als ihm zu wehren.

Abneigung gegen die Rolle der USA in der islamischen Welt

Diese Einschätzung ist nun US-amtlich. Die NYT zitierte aus dem jüngsten »National Intelligence Estimate« (NIE), dem regelmäßigen »Top-Secret»-Bericht der 16 Geheimdienstbehörden der USA an den Präsidenten. Zwar hätten die USA im »Krieg gegen den Terror« die Führungsspitze von al-Qaida »schwer beschädigt«, heißt es in dem Bericht, dennoch breite sich »die weltweite Dschihadisten-Bewegung - die al-Qaida, ihr zugerechnete und unabhängige Terrorgruppen sowie neu entstehende Netzwerke und Zellen - zahlenmäßig und geographisch weiter aus.«

Laut NIE ist es an erster Stelle der Irakkrieg, der im Prozeß des globalen Anwachsens des »dschihadistischen« Terrors die Rolle eines »zentralen Katalysators« eingenommen hat. Der Irakkrieg sei »für diese Leute« eine »Cause célèbre« geworden, die eine »tiefe Abneigung gegen die Rolle der USA in der islamischen Welt und die Globalisierung erzeugt und ständig Gefolgsleute für die globale Terroristenbewegung generiert.« Der von den Kreisen um George W. Bush eingefädelte Angriffskrieg gegen den Irak hat die Sicherheit der USA und des Westens nicht verbessert, sondern deutlich verschlechtert - so das Fazit des Berichts.

Die rot-grüne Bundesregierung hat 2003 eine direkte Beteiligung am Krieg des Hauptverbündeten abgelehnt - und wurde dafür von Washington und seinen Meinungsbildnern in Deutschland scharf kritisiert. Der Forderung nach indirekter Unterstützung konnte sich Deutschland nicht ganz entziehen, doch deutsche Soldaten waren nicht beteiligt. Das ist Deutschlands Ansehen im Vorderen Orient nicht schlecht bekommen und hat die Glaubwürdigkeit Berlins als ehrlicher Makler zwischen den Streitparteien der diversen, einander überlagernden Nahostkonflikte erhalten. Damit könnte es nach der Libanon-Entscheidung der schwarz-roten Bundesregierung (mit grüner Bundestagszustimmung) aber bald vorbei sein.

Natürlich nicht wegen der Tatsache der Entsendung deutscher Truppen an sich. Daran hat sich die Welt gewöhnt. Seit 1992 haben rund 150.000 deutsche Soldaten an diversen Missionen teilgenommen. Derzeit tun 8.000 Männer (und Frauen) zwischen Afghanistan und dem Kosovo, zwischen Bosnien und dem Kongo Dienst. Es ist zudem unbestreitbar, daß Deutschland als größtes EU-Land, zweitstärkster Nato-Partner und ambitioniertes Uno-Mitglied seine Rolle auch in der militärisch gestützten Außenpolitik dieser Bündnisse zu spielen hat.

Bis heute aber ist unklar, nach welchen Kriterien. Eine Gesamtkonzeption der deutschen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist nicht erkennbar. Was genau sind die deutschen Interessen, die im Kongo oder künftig im Nahen Osten mit militärischen Mitteln vertreten werden? Eine fachkundig geführte »interessengeographische Lagekarte« würde den jeweiligen Bundesregierungen und dem Bundestag die politische Navigation erleichtern:

Gibt es Regionen auf der Welt, in denen Deutschland sich mit gutem Grund militärisch engagiert, und solche, von denen es sich wohlüberlegt fernhält? Wie verträgt sich die Lieferung deutscher U-Boote an Israel, die sich auch als Träger von Atomraketen eignen, mit der deutschen Rolle bei den gleichzeitigen Verhandlungen über Irans Atomprogramm? Wie sinnvoll ist die beschlossene Marine-Entsendung vor die Levante-Küste?

Doch die nüchterne Diskussion deutscher Interessen ist vielen politischen Entscheidern fremd. Die Wortführer der Libanon-Mission stützten sich stattdessen auf moralisches Pathos: Damit sichere Deutschland Israels Existenzrecht, so lautete der Kern der »nüchternen Interessenabwägung». »Doch im Kampf gegen die Hisbollah war der Bestand des jüdischen Staates zu keiner Zeit gefährdet. Und wenn er bedroht gewesen wäre, was können dann Fregatten vor Beirut ausrichten ?«  fragte der proisraelische Kommentator Jacques Schuster in der Welt. Mit dem entsandten Marinekontingent soll die Bundeswehr Waffenlieferungen an die Hisbollah stoppen, antwortete die Bundesregierung.

Doch die Lieferungen für die libanesische Schiiten-Miliz kommen selten übers Wasser. Der Hauptlieferant für moderne Infanteriewaffen und die Raketen (die gefährliche C-802 zur Bekämpfung von Schiffszielen und die weitreichende Selsal-2-Rakete, die auch Tel Aviv erreichen könnte) ist der Iran. Israelischen Geheimdienstberichten zufolge schickt Teheran diese Waffen zu Land und zu Luft über die Türkei nach Syrien, von wo aus sie auf schwer kontrollierbaren (Land-)Wegen in den Libanon gelangen.

Die Türkei unterhält zwar auch zu Israel freundliche Kontakte, doch gestalteten sich die Beziehungen zur islamischen Welt, vor allem zu den Nachbarn Syrien und Iran in den letzten Jahren zusehends intensiver. Zweifellos spiegelt sich darin der Prozeß der Neuorientierung der Türkei im sich ändernden geopolitischen Koordinatensystem des ganzen Nahen Ostens. Syriens Präsident Baschar Hafiz al-Assad bezeichnete im Spiegel den Auftrag der deutschen Marinemission denn auch als »mission impossible».

Deutsche Flaggen in Schiiten-Vierteln Beiruts verbrannt

Das sei »kein Einsatz wie jeder andere«, erklärte Angela Merkel - in deutlichem Bezug auf Last und Verantwortung der deutschen Geschichte - im Bundestag. Dies lauthals als Begründung für eine ungewisse Militäraktion zu verkünden, ist weder nötig noch nützlich. In arabischen und muslimischen Ohren wird es einen drohenden Unterton gehabt haben, als die Kanzlerin hinzufügte: »Wir sind nicht neutral. Wir wollen auch gar nicht neutral sein.« Die ersten deutschen Flaggen wurden in den schiitischen Vierteln Beiruts auch schon verbrannt - einer Gegend, die während der Fußballweltmeisterschaft in Schwarz-Rot-Gold getaucht war!

Daß dennoch sachliche Gründe für die Teilnahme Deutschlands an dieser UN-Mission sprechen können, geriet im Bundestag ganz zur Nebensache: Deutschland ist - gerade wegen seiner positiven Wahrnehmung in dieser Region - an Frieden im Nahen Osten interessiert, will einen Beitrag zur Stabilisierung des Libanon leisten, wenn möglich den Einfluß islamistischer Extremisten mindern. Deutschland muß eine seinen Interessen entsprechende Rolle in Nahmittelost spielen und dafür auch Präsenz zeigen. Sich - und sei es »nur« verbal - als potentielle Kriegspartei zu positionieren, liegt nicht im deutschen Interesse.

Junge Freiheit vom 6. Oktober 2006


 

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