Wiederholungen
(z.B. dem Typus nach ).
Historisch-politische Konstanten oder sogar überhaupt: Historische Konstanten
- gibt es die? Mit Oswald Spengler gefragt: Gibt es eine Logik der
Geschichte? Gibt es jenseits von allen Zufällen und Unberechenbaren
der Einzelereignisse eine sozusagen metaphysische Struktur der historischen Menschheit,
die von den weithin sichtbaren, populären geistig-politischen Gebilden der
Oberfläche wesentlich unabhängig ist? ().
Ja! Natürlich: Historische Konstanten gibt es wirklich!
| |
Historische Konstanten - Oberbegriff für Dauer und Wiederkehr
- sind zyklisch zu verstehen, nicht im Sinne einer Endzeiterwartung, die
einen Anfang (Sündenfall, Privateigentum u.ä.) annimmt und ein
Ende (Paradies, klassenlose Gesellschaft u.ä.) anstrebt, sondern im
Sinne einer Konstanz, unter der relative Konstanten der Dauer und Wiederkehr subsumiert
werden können. Dafür müßte jedoch ein älteres
Modell der Geschichtsbetrachtung erneut an Interesse gewinnen. Es handelt
sich um die Vorstellung vom zyklischen Ablauf der Geschichte, die der linearen
Betrachtungsweise strikt zuwiderläuft, da sie von einem ständigen Kreislauf
des historischen Geschehens ausgeht. Als Beispiel sei die antike Auffassung von
der Abfolge der Staatsformen angeführt, wie sie - anknüpfend an Aristoteles
(383-322)
- der griechisch-römische Historiker Polybios (ca. 200-120)
besonders anschaulich-schlüssig formuliert hat. Hiernach steht am Anfang
der Verfassungsentwicklung die Staatsform der Monarchie als gleichsam naturgegebene
Ordnung, wie sie etwa auch in der Stellung des pater familias zum Ausdruck
kommt. Im Laufe der Zeit erliegt der zunächst gütig-gerecht regierende
Herrscher den Verlockungen der Machtfülle; die Monarchie entwickelt sich
zur Tyrannis. Sobald Zügellosigkeit und Gesetzwidrigkeit des Tyrannen
unerträglich werden, schließen sich die führenden Familien des
Gemeinwesens zusammen, stürzen ihn und begründen als neue Staatsform
die Aristokratie, die Herrschaft der Besten. Auch sie trägt jedoch den Keim
der Fehlentwicklung in sich. Irgendwann wird auch der Adel, der seine Regierung
zunächst als Dienst an der Gemeinschaft versteht, von der Macht korrumpiert
- die Aristokratie pervertiert nach und nach zur Oligarchie, zur Cliquenherrschaft.
Wenn diese Entwicklung, die durch Vettern- und Pöstchenwirtschaft, Willkür
und Egoismus der Herrschenden gekennzeichnet ist, sich nicht mehr rechtfertigen
läßt, nimmt das Volk selbst seine Geschichte in die Hand. Die neue
Staatsform, die Demokratie, funktioniert aber nur so lange, wie Recht und Gesetz
respektiert werden. Wenn jedoch nach einer gewissen Zeit anstelle des Volkes und
seiner Organe die Masse, der Pöbel, die Straße das politische Geschehen
bestimmen, entartet die Demokratie zur Ochlokratie, zur Pöbelherrschaft.
Sobald die Zustände so chaotisch geworden sind, daß man sich seines
Lebens nicht mehr sicher sein kann, erschallt der Ruf nach dem starken Mann, der
wieder Ordnung schaffen soll. Es kommt daraufhin erneut zur Errichtung einer Monarchie,
und der Kreislauf der Staatsformen beginnt aufs neue. Dieses verfassungsgeschichtliche
Modell ist typisch für das zyklische Geschichtsdenken der Antike. Hiernach
vollzieht sich das, was wir Geschichte nennen, in ständig kreisender Bewegung.
Geschichte ist - wie beim linearen Modell - bis zu einem gewissen Grad bestimmbar,
aber nicht machbar. Der Mensch ist vielmehr dem Geschehen um ihn herum unterworfen,
sein Freiheitsspielraum äußerst begrenzt. Es gibt nichts eigentlich
Neues (nil novi sub sole); vielmehr ist alles schon einmal dagewesen, und
alles kehrt wieder. Die geometrische Figur, die diesem Denken entspricht, ist
der Kreis. (Ulrich March, Dauer und Wiederkehr - Historisch-politische
Konstanten, 2005, S. 12-13).Die
zyklische Betrachtung des Weltgeschehens wirkt bis in die Neuzeit nach und ist
beispielsweise in der Renaissance oder im Zeitalter der Klassik greifbar, insbesondere
bei Hölderlin (),
der die antike Vorstellung in reinster Form zum Ausdruck bringt:»Geh,
fürchte nichts, es kehret wieder, und was geschehen soll, ist schon vollendet.« | Auch
Nietzsches ()
Vision von der »Ewigen Wiederkehr« und Spenglers ()
Grundvorstellung vom Wachstum und Reife, Blüte und Niedergang der Kulturen
sind von zyklischem Denken geprägt. (Ulrich March, Dauer und Wiederkehr
- Historisch-politische Konstanten, 2005, S. 13).Wiederholungen
sind ein Lieblingsthema aller abendländischen Lebensphilosophen (),
weil sie immer auch abendländische Skeptizisten sind (mal mehr, mal weniger)
und z.B. auch das Runde an der ewigen und unendlichen Vorwärtsbewegung, die
in den Köpfen, Seelen und Körpern der Abendländer tief verankert
ist, berücksichtigen. Mit etwas Übertreibung läßt sich feststellen:
Abendland-Skeptizisten faszinieren Wiederholungen. Und deshalb kommen sie alle
immer wieder zürück auf Goethe (1749-1832),
der eine Analogie aus der Botanik, die Spiraltendenz benutzte, um seine Anschauung
von der Wiederkehr des ewig Gleichen darzustellen. Zwar
ist das zyklische Geschichtsmodell wohl nicht tragfähiger, dafür aber
in erkenntnistheoretischer, in methodischer Hinsicht besser geeignet als das progressiv-lineare
Geschichtsmodell: Es besteht aller Anlaß, historischen Phänomenen
wie Wiederholung und Regelmäßigkeit, Dauer und Wiederkehr erheblich
mehr Aufmerksamkeit zu widmen, als dies unter der suggestiven Einwirkung des progressiv-linearen
Modells lange Zeit der Fall gewesen ist. Solche Konstanten sind geschichtswirksamer,
als man sich das zumeist vorstellt, selbst in chaotisch-turbulenten Zeiten ....
().
Man wird der Geschichte nicht gerecht, wenn man sich von äußerlichen
Wandlungsprozessen blenden läßt und dabei die vergleichsweise konstanten
Grundströmungen und dauerhaften Strukturen unterschätzt oder übersieht,
so der Geschichts- und Sprachwissenschaftler Ulrich March (*1936),
der mit seinem Konzept noch einen erheblichen Schritt weiter geht als beispielsweise
Fernand Braudel (1902-1985)
mit dem Konzept mittel- und langfristiger Konstanten und langer
Dauer (longue durée). Denn March ergänzt
den Begriff der langen Dauer, der zur Kennzeichnung relativer
historischer Konstanz verwendet wird, um den Begriff der Wiederkehr
und subsumiert beide unter dem (Ober-) Begriff: Historische Konstanten.
(Vgl. Ulrich March, ebd., S. 16). Gemäß unseres westlichen physikalischen
Weltbildes determinieren Raum und Zeit
das Seiende, und da die Analogie zwischen Makro-Kosmologischem und Mikro-Kosmologischem
vorgeschrieben ist, können wir mit Blick auf Menschen statt Raum auch Geographie
(Geologie) und statt Zeit auch Anthropologie (Biologie) sagen: gemäß
unseres westlichen historischen Weltbildes determinieren Geographie und Anthropologie
das Historisch-Konstante. Mit anderen Worten: Geographie und Anthropologie sind
die zwei Disziplinen der Determination für historische Konstanz.
Über die geographischen Determinanten für historische Konstanz
gibt es auch heute weniger Uneinigkeit als über die anthropologischen
Determinanten. Von der Geographie aus über die Geologie findet man
auch leichter zur Physik, zur 1. naturwissenschaftlichen Disziplin unseres
westlichen Weltbildes, und man kann dabei die Betroffenheit des Menschen
gewissermaßen umgehen. Von der Anthropologie
aus über die Biologie ist das viel schwieriger, weil hier Lebewesen
und man selbst als Mensch angesprochen ist, denn es geht ja, wie
das Wort Anthropologie verrät, um die Lehre vom Menschen und, wie
das Wort Biologie verrät, um die Lehre vom Leben. Eigene Vor- und
Nachteile werden hier geradezu gefühlt, hier ist man schnell in der
Defensive oder Offensive, hier ist man vorsichtig, hier ist man schnell
vor(ver)urteilend.
Der letzte Streit um die Bedeutung der
biologischen Anthropologie für Politik und Geschichte ist ja noch
gar nicht so lange her: Nicht von ungefähr hat Jürgen
Habermas (*1927),
einer der Hauptvertreter der neomarxistischen »Frankfurter Schule«,
vor dem »im Dreieck Carl Schmitt (1888-1985),
Konrad Lorenz (1903-1989),
Arnold Gehlen (1904-1976)
entwickelten Institutionalismus« gewarnt. Die von Konrad Lorenz
und seinen Schülern, vor allem von Irenäus Eibl-Eibesfeldt (1928-2018),
begründete moderne humanbiologische Verhaltensforschung bestätigt
nämlich im Kern die Erkenntnisse Arnold Gehlens: Philosophische und
biologische Anthropologie führen zu den gleichen Resultaten.
().
Richtig! Denn Gehlen ging ja davon aus, daß der Mensch im
Unterschied zum instinktsicheren Tier ein »Mängelwesen«
darstellt und deswegen »aus ernster Not«, um zu überleben,
»handelnd« der Umwelt begegnen muß und dabei entsprechende
Kulturtechniken entwickelt. Damit der Mensch - so der Gedankengang Gehlens
- die jeweils notwendigen Entlastungshandlungen nicht immer wieder neu
entwickeln muß, ist er auf dauerhafte Institutionen angewiesen,
die zwar einerseits seine individuelle Freiheit einschränken (nicht-biogenetisch
gesehen ist der Mensch eh kein Individuum ! ),
andererseits aber die »Außenstabilisierung« menschlicher
Gruppen sichern, ja überhaupt erst ermöglichen. Solche Institutionen
- Ehe, Familie, Kultverbände, soziale Hierarchien, staatliche Ordnungen
- sind überlebensnotwendig, grundsätzliche Kritik an ihnen und
die damit hervorgerufenen Auflösungstendenzen lebensfeindlich.
().
Wahrscheinlich hat gerade diese Einigkeit von Philosophie und Biologie
Habermas noch mehr beunruhigt als die Tatsache, daß Philosophie
und Biologie zu gleichen anthropologischen Ergebnissen gekommen sind.
Auch Habermas ist (trotz seiner Herrschaft über das angeblich herrschaftsfreie,
also in Wahrheit nicht-herrschaftsfreie Gespräch) nur ein Mensch,
und der Mensch ist ein Mängelwesen, so Gehlen, seine
Natur ist seine Kultur. ().
Die
biologische Anthropologie erscheint aus drei Gründen in besonderer Weise
geeignet, Voraussetzungen und Rahmenbedingungen historischer Konstanz zu erhellen,
so March: Erstens basieren ihre Aussagen auf der Erkenntnis naturwissenschaftlicher
Gesetzmäßigkeiten, die subjektive Interpretationen weitgehend ausschließen;
zweitens beschäftigt sie sich nicht nur mit Ausschnitten der menschlichen
Lebenswelt, mit bestimmten Zeit- oder Kulturräumen etwa, sondern mit dem
Menschen als Naturwesen schlechthin; drittens haben die ihr zugrundeliegenden
Disziplinen besonders in den letzten Jahrzehnten bemerkenswerte Ergebnisse zutage
gefördert, an denen niemand vorbeikommt, der sich mit dem Handeln des Menschen
in dieser Welt befaßt. Dies gilt insbesondere für die Humangenetik
und die Humanethologie, deren jüngere Forschungsergebnisse den Menschen gerade
auch in seiner Eigenschaft als politisches Wesen unmittelbar betreffen. Schon
vor, doch spätestens seit Darwins Thesen ist mehr und mehr zur Gewißheit
geworden, daß viele menschliche Eigenschaften und Verhaltensformen stammesgeschichtlich
erworben, angeboren und mit entsprechenden Erscheinungen bei den Wirbeltieren,
besonders bei Säugetieren, durchaus zu vergleichen sind. Seitdem hat man
also auch biologische Gesetzmäßigkeiten und tierische Verhaltensformen
auf die politisch-soziale Welt des Menschen übertragen, und zwar - wie beim
Sozialdarwinismus oder bei der Rassenideologie - in affirmativem Sinne. Daraus
ist zwar auch viel Unheil entstanden (v.a. im 20. Jh.), doch hat der Mißbrauch
wissenschaftlicher Erkenntnisse für politische Zwecke den Fortschritt der
Humanbiologie nicht aufhalten können, die im Gegenteil gerade seit den 1960er
Jahren einen beträchtlichen Aufschwung genommen hat. Manche der neueren
Erkenntnisse stoßen allerdings auf Widerspruch, sei es, weil sie politisch
unerwünscht sind, sei es, weil man die Einzigartigkeit der Stellung des Menschen
gefährdet sieht. Die ermittelten Fakten bleiben davon jedoch unberührt,
da sich die Versuche, auf denen sie beruhen, jederzeit wiederholen lassen.
().
Der Mensch hat mehr als 99 Prozent der Zeit
seit seinem ersten Auftreten als Jäger und Sammler verbracht und
dabei Verhaltensformen ausgebildet, die in der vergleichsweise sehr kurzen
Zeit der Seßhaftigkeit und Kulturentwicklung nicht einfach verschwunden
sind. ().
So gibt es nach wie vor in erheblichem Umfang geschlechtsspezifisches
Verhalten, und zwar auch da, wo man dieses mit allen Mitteln zu unterdrücken
sucht. Dafür nur ein einziges Beispiel: Während zunächst
im israelischen Kibbuz die absolute Gleichheit der Geschlechter unumstößliches
Gesetz war, kann davon in den heutigen Kibbuzim nicht mehr die Rede sein,
weil sich die genetische Disposition als stärker erwiesen hat.
().
Ginge es aber nach den Vorstellungen unserer Juristen und Politiker, so
wären wir Menschen zu mehr als 99 Prozent alles andere als Jäger
und Sammler und alles andere als Wesen mit geschlechtsspezifischem Verhalten.
().
So gilt es, diese riesige Lücke zwischen Realitität und Idealität
zu schließen. Unsere westliche Moderne geht mit ihren juristisch-politischen
Gesetzen von falschen Voraussetzungen aus, z.B. vom Individualismus, vom
Liberalismus, vom Egalitarismus (Gleichheitswahn), vom Humanitarismus
(in dem der Liberalismus als Neoliberalismus und der Egalitarismus als
Neoegalitarismus [Neokommunismus] synthetisch enthalten sind) u.ä.,
wobei es in mehr als 99 Prozent der Fälle um reine Machtinteressen
geht. Die ebenfalls aus unserer westlichen Moderne stammenden anthropologisch-biologischen
Gesetze behaupten genau das Gegenteil, und zwar mit Recht (!), weil auch
deren Voraussetzungen richtig sind. Und das vor allem deswegen, weil die
Versuche, auf denen die von der Anthropobiologie ermittelten Fakten beruhen,
jederzeit wiederholbar sind.
Der
Grund für geschlechtsspezifisches Verhalten ist die Fortpflanzung bzw. der
Wille zur Fortpflanzung bzw. der Fortpflanzungserfolg. Daß der Fortpflanzungserfolg
in der Evolution von größter Bedeutung ist, bedarf eigentlich keiner
Erwähnung, wohl aber, daß er auch von den jeweiligen Kulturformen und
der Geschichte abhängig ist, also von Kultur zu Kultur und von Zeit zu Zeit
verschieden ausfällt. Die Bindung zwischen Eigennutz und Kooperation ist
für Lebewesen im Verlaufe der Evolution zu einer Notwendigkeit im Kampf ums
Überleben geworden, auch zu einer historischen Konstante - die Kooperationsgruppe
kann z.B. Familie (Familismus), Verwandtschaft (Verwandten-Unterstützung,
Verwandten-Bevorzugung, Nepotismus) oder Gemeinschaft (Stamm, Volk, Nation u.s.w.)
genannt werden.
Die Artbildung (Speziation), die Entstehung
von 2 oder mehr Arten aus einer (Abstammungs-) Art, beruht am weitaus
häufigsten auf dem allmählichen Wandel ganzer Populationen,
also nicht auf Individuen, wie Darwin und seine Anhänger,
die Darwinisten, lange glaubten. Die typisch angelsächsische Vorstellung,
die Auslese sei nur ein individueller Kampf ums Dasein,
ist also falsch, und das heißt auch wissenschaftlich nicht haltbar.
().
Früher hieß es z.B., daß neue Arten spontan durch Mutation(en)
entstünden, also demnach die Artbildung (Speziation) eine spontane
Entwicklung sei und von den einzelnen Individuen ausginge;
doch wir wissen längst, daß die weitaus häufigste Form
der Artbildung auf dem allmählichen Wandel ganzer Populationen beruht.
Dabei ist zwischen einer sympatrischen und einer allopatrischen Artbildung
zu unterscheiden. Bei der allopatrischen Artbildung wird eine Art durch
äußere Einflüsse in zwei oder mehr geographisch isolierte
Gruppen (Populationen) aufgeteilt. Eine solche Trennung erfolgt meist
durch klimatische Einflüsse, indem sich in das Verbreitungsgebiet
einer Art durch Umweltveränderungen Zonen einschieben, die für
die betreffende Art nicht bewohnbar sind. Dies war (vor allem auf der
nördlichen Halbkugel) während der Eiszeiten der Fall; in tropischen
Gebieten vor allem durch Entstehung von Trockengürteln zwischen Regenwaldgebieten.
Die räumlich getrennten Populationen entwickeln sich also unabhängig
voneinander gemäß ihren durch Mutationen erworbenen Veränderungen.
Bei der sympatrischen Artbildung ist eine räumliche Isolation von
Populationen nicht erforderlich. Für die Möglichkeit einer sympatrischen
Artbildung spricht das Vorkommen zahlreicher, naher verwandter Arten in
einem großen See (mit z.B. vielen nah verwandten Fischarten). Die
Mechanismen der Entstehung von Bastardierungssperren innerhalb einer Population
ohne räumliche Trennung sind noch nicht vollständig geklärt.
Wenn räumliche Trennung fehlt, muß anders getrennut werden,
z.B. durch Sperren, die Bastardierung - Kreuzung zwischen erblich unterschiedlichen
Partnern, vor allem zwischen verschiedenen Rassen bzw. zwischen verschiedenen
Unterarten oder zwischen verschiedenen Arten - verhindern sollen.
Ein
Artbastard (Arthybride) ist das Ergebnis einer Kreuzung zwischen verschiedenen
Arten. Bei Tieren ist er oft nicht fortpflanzungsfähig (z.B.: Pferdehengst
Eselstute = Maulesel; Eselhengst Pferdestute = Maultier; beide sind
nicht fortpflanzungsfähig), und deshalb ist er selten doch fortpflanzungsfähig.
Bei Pflanzen ist er selten nicht fortpflanzungsfähig (bei Pflanzen sind Bastardierungssperren
viel weniger ausgeprägt als bei Tieren), und deshalb ist er oft doch fortpflanzungsfähig.
Ähnlich ist es übrigens auch bei Kulturen. Ähnlich
bedeutsam in politisch-sozialer Hinsicht ist die Tatsache, daß es unter
Menschen wie bei vielen anderen Lebewesen grundsätzlich Rangordnungen gibt.
Die biologische Rechtfertigung liegt darin, daß die Bereitschaft zur Unterordnung
mit der Bereitschaft des Ranghöheren korrespondiert, seine Kräfte und
Möglichkeiten für das Wohl der Gruppe einzusetzen. Dieser genetische
Tatbestand bildet die ursprüngliche Voraussetzung für politische und
gesellschaftliche Hierarchien, wie sie in allen Epochen der Geschichte anzutreffen
sind, besonders ausgeprägt etwa bei den europäischen Monarchien des
Mittelalters und der frühen Neuzeit, in China, Japan und Indien, beim modernen
Beamtenstaat, beim Militärwesen und bei totalitären Parteien, auch bei
der römisch-katholischen Kirche. Wie diese Beispiele zeigen, schlägt
die genetische Disposition auch dann durch, wenn die ursprünglich auf Gegenseitigkeit
beruhende biologische Rechtfertigung nicht mehr gegeben ist. Wenn man »Parkinsons
Gesetz« folgt, läßt sich übrigens vielleicht auch die sich
ständig aufblähende Bürokratie unserer Tage mit der angeborenen
Neigung erklären, Rangordnungen zu schaffen. ().
Menschliche
Gruppen entwickeln unabhängig von ihrer Größe ein Identitätsbewußtsein,
indem sie sich von anderen abgrenzen. Daß Xenophobie angeboren ist, daß
der Fremde zunächst als Bedrohung empfunden wird, kann jedermann am Verhalten
des etwa halbjährigen Säuglings feststellen. Übrigens wirkt sich
die Xenophobie um so deutlicher aus, je »fremder« sich die mit Scheu
betrachtete Person nach Aussehen und Verhalten darstellt. Auch hier liegen die
geschichtlichen Auswirkungen auf der Hand. Das Gruppenbewußtsein ermöglicht
die Bildung politischer Einheiten wie der Bürgerschaft einer Stadt, eines
Stammes oder eines Volkes. Umgekehrt führt mangelnde Identifikation zum Staatszerfall
.... ().
Bemerkenswert
unter historisch-politischem Gesichtspunkt ist ferner das angeborene Territorialverhalten.
Menschen wie Tiere kennzeichnet die Bereitschaft, das eigene Territorium zu verteidigen,
aber auch eine gewisse Scheu, fremdes Territorium zu betreten. Auch in friedlichen
Zeiten werden die Bewohner des Nachbarterritoriums als andersartig empfunden,
wovon zahllose lokale Sagen zur Grenzfestlegung, verbreitete Rivalität in
allen möglichen Bereichen, etwa in Wirtschaft, Jagd oder Sport, und der ebenso
verbreitete Spott über Alltagsgewohnheiten oder Sprachfärbung der Nachbarn
zeugen. ().
Der trotz aller gegenteiligen
Wunschvorstellungen ebenfalls genetisch bedingte Eigentumsinstinkt bildet
die Voraussetzung für wesentliche wirtschaftsgeschichtliche Vorgänge,
etwa für die Anhäufung großer Vermögen oder für
den Aufbau von weltweiten Handelsimperien. Die Neigung, auch politische
Macht nicht als Auftrag, sondern als Besitz zu betrachten, durchzieht
die ganze Geschichte. ().
Seit
im Jahre 1963 Konrad Lorenz' Buch über Das sogenannte Böse ()
erschien, ist der Begriff der »Aggression« im Sinne stammesgeschichtlich
zu erklärenden menschlichen Triebverhaltens in aller Munde. Zwar gibt es
nach Lorenz auch angeborene Aggressionskontrollen, die jedoch nicht immer die
nötige hemmende Wirkung haben und daher durch erzieherisches Bemühen
ergänzt werden müssen. Immerhin kann zum Beispiel die Tötungshemmung,
die allen Menschen angeboren ist und vor allem bei unmittelbarem, körpernahem
Kontakt mit dem Gegner wirksam wird, zur Humanisierung der Kriegführung beitragen.
Insoweit besteht ein beträchtlicher Unterschied zwischen Nah- und Fernkampf;
nur die wenigsten Bomberpiloten des Zweiten Weltkriegs wären wohl in der
Lage gewesen, die Frauen und Kinder der von ihnen angegriffenen Großstädte
eigenhändig zu erwürgen. ().
Ein
in pädagogisch und politischer Hinsicht gleich wichtiges ethologisches Phänomen
ist die »explorative Aggression« (Hassenstein). Kinder und Jugendliche
versuchen, durch regelverletzende Aggressionshandlungen zu erkunden, wie weit
sie gehen können, bevor eine harte Reaktion erfolgt. Bleibt diese aus, wird
die Regelverletzung wiederholt und von Mal zu Mal verstärkt. Die Eskalation
ist unvermeidlich, da das Kind durch die »aggressive Anfrage« ja gerade
seine Grenzen und die verbindlichen Normen ausloten möchte. Während
am Anfang ein schlichtes verbales Verbot ausgereicht hätte, die Angelegenheit
zu bereinigen, sind bei zu später Reaktion massive Repressionsmaßnahmen
erforderlich. Junge oder schwache Außenseiter-Staaten und starke, arrivierte
Mächte oder Mächtegruppen gehen miteinander nach dem gleichen Interaktionsschema
um. ().
Pazifistische Politik hat schon sehr häufig genau das herbeigeführt,
was sie verhindern wollte. »Der
Krieg als bewaffneter Konflikt zwischen Gruppen ist so alt wie die Menschheit.«
Der Humanethologe Eibl-Eibesfeldt, von dem dieses Zitat stammt, führt eine
ganze Reihe von genetischen Verhaltensmustern an, die im Kriegsfall wirksam werden:
die Bereitschaft von Mitgliedern ein und derselben Gruppe, sich loyal beizustehen,
die Entschlossenheit, bei Bedrohung aggressiv zu reagieren, die Neigung, Reviere
zu besetzen und zu verteidigen, die Kampf- und Dominationsbereitschaft, die Intoleranz
gegenüber Abweichungen von der Norm und die bereits erwähnte Xenophobie.
Bei der Vielzahl der atavistischen Instinkte, die bei bewaffneten Auseinandersetzungen
zu Geltung kommen, ist es kein Wunder, daß Kriege und einzelne kriegerische
Handlungen völlig außer Kontrolle geraten können, so daß
keine rationale Steuerung mehr möglich ist. Beispiele dafür sind der
hemmungslose Blutrausch des Kreuzfahrerheeres bei der Eroberung Jerusalems, die
Metzeleien des Dreißigjährigen Krieges, die sadistischen Exzesse der
modernen Bürgerkriege und die Skrupellosigkeit der Partisanenkriegsführung.
().
Die
moderne humanbiologische Forschung bringt in zunehmendem Maße bestimmte
genetische Merkmale mit bestimmten Populationen in Verbindung, um genetische Verwandtschaftsverhältnisse
zu ermitteln. So hat der italienische Humangenetiker Cavalli-Sforza weltweit die
Verbreitung menschlicher Gene auf die bestehenden Sprachgemeinschaften bezogen
und dabei eine weitgehende Deckungsgleichheit der Verwandtschaftsgrade festgestellt.
Selbst in dem kleinen Europa fallen die Grenzen der Verbreitung genetischer Merkmale
in auffälliger Weise mit den Sprachgrenzen zusammen; jedes Volk stellt -
mehr oder weniger deutlich ausgeprägt - zugleich einen Genpool dar.
Aus biologischer Sicht stellt dieser Befund eigentlich nichts Sensationelles dar,
denn natürlich grenzen Sprachen Populationen auch als Fortpflanzungsgemeinschaften
ab, auch wenn deren Geschlossenheit sich recht unterschiedlich darstellt. Als
genetisch ziemlich geschlossenes Gebiet ist Island bekannt, das seit seiner Besiedlung
im 9. Jahrhundert keine nennenswerten Bevölkerungsveränderungen erfahren
hat. Ganz anders steht es um die genetische Disposition der Deutschen, deren Land
aufgrund seiner zentralen Lage häufig Durchgangsraum und Einwanderungsziel
gewesen ist. Aber ungeachtet solcher Unterschiede bleibt festzuhalten, daß
ein Volk, dessen Hauptmerkmal ja im allgemeinen die einheitliche Sprache darstellt,
nicht nur eine Kultur-, sondern - bisher jedenfalls - auch eine Fortpflanzungsgemeinschaft
ist. ().
Damit
ist erwiesen, und zwar mit modernsten naturwissenschaftlichen Mitteln, daß
nicht nur kleinere, in sich geschlossene Populationen, sondern auch ethnische
Verbände bis zu einem gewissen Grad genetisch geprägt sind und infolgedessen
charakteristische Merkmale über relativ lange Zeiträume bewahren können.
Die genetische Forschung wirft daher ein neues Licht auf manche sogenannten Klischeevorstellungen.
.... In jeder Gesellschaft gibt es ein kollektives vorwissenschaftliches Erfahrungswissen,
das beispielsweise im Sprichwortschatz oder in gängigen Redensarten zum Ausdruck
kommt; die meisten dieser Aussagen enthalten zumindest ein Körnchen Wahrheit.
In diesem Sinne kann man in dem Sprichwort »Der Apfel fällt nicht weit
vom Stamm«, mag er als Sachurteil im Einzelfall auch immer wieder verfehlt
sein, die auf allgemeiner Erfahrung beruhende Vorwegnahme der Mendelschen Gesetze
sehen. In gleicher Weise ist bereits der Umstand, daß es pauschale Kollektivurteile
über Völker überhaupt gibt, mögen sie im einzelnen auch noch
so fragwürdig sein, nichts anderes als der vorwissenschaftliche Ausdruck
der mittlerweile von der modernen Humangenetik bestätigten Tatsache, daß
Völker Genpoole darstellen. ().
|
Und was die Nation als
Begriff und Sache angeht, so heißt es z.B. bei Karlheinz
Weißmann (*1959):
Es ist mit diesen Hinweisen zur Wortgeschichte natürlich wenig
darüber gesagt, ob die Nation nicht schon früher von der Sache
her bestand, obwohl der Begriff ungebräuchlich war. Die radikalste
Bejahung dieser Position findet man bei den Ethnologen. .... Robert Ardrey
()
behauptete, daß man grundsätzlich jede Sozialform als »Nation«
bezeichnen könne, die sich durch engen Zusammenschluß nach innen
und extravertierte Aggression auszeichne. Die Probe auf die Existenz sei
die Verteidigung des in Anspruch genommenen Territoriums gegen beliebige
Angreifer. »Territorialität«, so Ardrey, gehöre wie
die Gruppenbildung zu den anthropologischen Gegebenheiten und sei durch
keine kulturelle Entwicklung zu überformen. Die hier aufgestellte These
von der »biologischen Nation«, deren Ursprungsform sich heute
noch bei anderen Primaten beobachten lassen soll, wird von anderen Forschern,
etwa Irenäus Eibl-Eibesfeldt, durchaus geteilt und unter Hinweis auf
bestimmte Konstanten des menschlichen Verhaltens - Brutpflegetrieb, Stärke
der Binnenmoral, Schwäche der »Fernstenliebe« - weiter
untermauert. (Vgl. z.B. Irenäus Eibl-Eibesfeld, Liebe und Haß
- Zur Naturgeschichte elementarer Verhaltensweisen, 1970, S. 187-190).
Der Vorzug dieser Konzeption liegt offen zu Tage. Ihre Anhänger verweisen
darauf, daß es eine Reihe elementarer Verhaltensweisen gebe, die unter
allen kulturellen und historischen Umständen immer wieder auftreten
und ohne Zweifel dazu beigetragen haben, Nationen zu begründen.
(Karlheinz Weißmann, Nation?, 2001, S. 25-26).
Es gibt somit -
vor allem in der Wahrnehmung des ANDEREN
als ANDERS - eine zum Nationalbewußtsein
gehörige elementare Konstante. Eine Konstante des menschlichen Verhaltens;
also auch eine historische Konstante - bei folgender Beachtung: Wenn
man den Begriff der »Nation« so weit faßt, wie das von
Ardrey vorgeschlagen wird, verliert er, so Weißmann (),
jede historische Zuordnung, er bezeichnet einfach jede beliebige
Form menschlicher (tendenziell: tierischer) Gemeinschaft, die sich deutlicher
von anderen absetzt und bestimmte Machtmittel in die Hand bekommt, um
diese Existenzweise auf Dauer zu verwirklichen. Selbstverständlich
kannte auch schon die Antike von den Griechen als ethnos, von den
Römern als genus, seltener als natio, bezeichnete Gruppen,
die eine politische Einheit bildeten, ein gemeinsames Territorium bewohnten,
gewisse deutlich erkennbare Kollektiveigenschaften besaßen und ihre
Selbständigkeit notfalls mit Gewalt verteidigten. Aber die Allgemeinheit,
in der eine ältere Redeweise von der Nation auch die Griechen, Römer,
Germanen oder Inka als »Nationen« bezeichnete, provozierte
im Gegenzug die These, daß »Nationen« eigentlich ganz
neuartige Gebilde seien, die bestenfalls seit der französischen
Revolution Bestand haben. Auch diese Auffassung hat ihre Tradition.
So schrieb der Historiker Eduard Meyer ()
ausgerechnet in der Hochphase nationaler Erregung und Begeisterung, während
des Ersten Weltkriegs: die Nationen seien »... ein letztes, äußerst
kompliziertes Produkt eines langen historischen Prozesses .... Vor einem
Jahrhundert hat von den gegenwärtigen Nationen Europas noch keine
einzige existiert; sie alle sind durch Zusammenfassung sehr verschiedenartiger
Elemente geschaffen und hätten bei anderem Verlauf der Geschichte
auch ganz anders gestaltet sein können.« (Eduard Meyer, Weltgeschichte
und Weltkrieg, 1916, S. 7).
Neuerdings ist es in Radikalisierung dieser Ansicht Mode geworden, Nationen
als Niederschlag von Kommunikationsformen oder einfach als »Erfindungen«
zu betrachten, deren Durchsetzungschance auf eine bestimmte geschichtliche
Konstellation in der Entwicklung Europas zurückzuführen sein
soll. ().
Auch wenn eine Nation gar keine Nation sein will, aber von Nationen umgeben
ist, so ist sie eben doch wegen dieser sie umschließenden
Nationen eine Nation. Das Nationale ist eine
historische Konsante; es beginnt bei den beiden Ur-Ständen (Adel
und Priestertum); dem Aufstieg vom Nichtnationalen zum Nationalgefühl
bis hin zum Nationalbewußtsein als Höhepunkt folgt der Abstieg
vom Nationalbewußtsein zum Nationalismus bis hin zum Globalismus
als Tiefpunkt. Der zyklische Verlauf (
Verlauf in der Abbildung) bezieht sich vor allem auf den 1.
und 2. Stand, also auf Adel und Priestertum, am meisten auf den Adel,
der glaubt, mit seinem gesamten Gefolge (Volk) eine Einheit im Sinne einer
nationalen Gemeinschaft bilden zu müssen, z.B. vor dem Feind, dem
Fremden, dem ANDEREN. Der progressive Verlauf
(
Verlauf in der Abbildung) bezieht sich vor allem auf den 3.
und 4. Stand, also auf Bürgertum und Nicht-Stand (),
am meisten auf das Bürgertum, das glaubt, mit seiner ideologischen
Mehrheitsbildung (Masse) eine Einheit im Sinne einer nationalen Gemeinschaft
bilden zu müssen, z.B. vor dem Feind, dem Fremden, dem ANDEREN.
|
Progressiver Verlauf
Variante: Beispiel A
Variante: Beispiel B
Zyklischer Verlauf
|
Selbst so scheinbar gegensätzliche National-Konzepte, z.B. das deutsche
und das französische, stehen ja in Wirklichkeit in einer dialektischen
bzw. komplementären Beziehung, die richtig - ursächlich
- nur verstehbar ist aus einer gemeinsamen Geschichte, z.B. der von Deutschen
und Franzosen. Das heißt vor allem zweierlei: 1.) daß die
eine Idee als Reaktion auf die andere Idee entstanden ist, z.B. die staatlich-verordnete
auf die völkisch-reichische, und 2.) daß die Fortwirkung beider
Ideen für jede der beiden Seiten unumgänglich ist! Schließlich
bliebe zu ergänzen: »Eine Nation ist, was eine Nation sein
will und diesen Willen dauernd aufrechterhalten kann«. Wenn der
Wille erlischt, dann wird die Nation als historische Größe
verschwinden. Ob der Wille durch Wahlen als Votum der zahlenmäßigen
Mehrheit zum Ausdruck gebracht wird oder als Wille einer Elite besteht
- Oswald Spengler meinte zu recht: »Jede Nation wird vor der Geschichte
durch eine Minderheit repräsentiert« ()
-, ist dabei ohne Belang, es kommt in erster Linie auf die Intensität
des Willens an. ().
Welthistorisch gesehen ist es egal, ob für bestimmte Menschen
in bestimmten Räumen zu bestimmten Zeiten das Nationale
nicht ist, nicht sein muß, nicht sein soll,
nicht sein darf u.s.w. - denn das Phänomen existiert ja auch
ohne sie, der Wille dazu ist dann eben in den anderen Menschen
um so größer. Nationales existiert auch dann, wenn für
bestimmte Menschen in bestimmten Räumen zu bestimmten
Zeiten die nationale Intensität gleich Null ist (vgl. z.B. Nichtnationales
und Globales
im zyklischen Verlauf [
Verlauf in der Abbildung]). Halten wir fest: Trotz der kulturspezifischen
Eigenarten ist das Nationale eine historische Konstante.
Das Nationale beginnt und endet in einem So-gut-wie-Nichts, das
heißt für uns Abendländer und ganz konkret für alle
abendländischen Nationen, daß der Wille zur Nation, der gerade
im Abendland so außerordentlich ausgeprägt worden ist, in Zukunft,
spätestens um 2230 wieder ins So-gut-wie-Nichts zurückgekehrt,
so gut wie erloschen sein wird. Es gibt heute zahllose Möglichkeiten,
das Abnehmen dieses nationalen »Willens« zu beobachten. Einige
davon sind besonderer deutscher Natur. .... Aber eine Tendenz zu »nationalflüchtigem«
Verhalten ist in allen modernen Nationen zu beobachten. .... Das Aufweichen
des Nationalen ist eine allgemeine Erscheinung vor allem im Westen (=
Abendland; HB) und hängt mit der dramatischen Veränderung
der lebensweltlichen Bedingungen zusammen, unter denen der Mensch gegenwärtig
existiert. Unser Leben ist schneller und anonymer, eindrucksvoller und
bedeutungsloser, komplizierter und barbarischer, als es in der Vergangenheit
jemals sein konnte, in ihm sind Gefühle schwerer zu verankern, denn
der moderne Mensch neigt einerseits zu abgebrühter Sicht der Dinge,
andererseits zu ebenso sentimentalen wie folgenlosen Aufwallungen. Das
Nationale gibt es zwar als Hintergrundwahrnehmung, aber es tritt selten
oder nur mehr als Atavismus ins Bewußtsein. Daß es seine Funktion
als Fokus von Loyalitäten verloren hat, kann man nicht nur an der
Kommerzialisierung und Globalisierung des Sports erkennen, sondern auch
an dem Verschwinden der früher selbstverständlichen Bereitschaft
zur Landesverteidigung in allen oder doch den meisten westlichen Staaten.
Der Soziologe Ferdinand Tönnies hat die hier
geschilderten Tatbestände auf eine zwangsläufige »Kulturentwicklung«
zurückgeführt, in der ein »Zeitalter der Gemeinschaft«
durch ein »Zeitalter der Gesellschaft« abgelöst worden
sei: »Dieses ist durch den sozialen Willen als Eintracht, Sitte,
Religion bezeichnet, jenes durch den sozialen Willen als Konvention, Politik,
öffentliche Meinung.« ().
Die Nation paßt allerdings weder in die eine noch in die andere
dieser Kategorien ganz hinein. Sie ist keine »Gemeinschaft«,
die eine selbstverständliche Übereinstimmung in Tradition, Glaube,
Kleidung und Kost voraussetzt, noch ist sie mit der »Gesellschaft«
identifizierbar, zu der sich Einzelne zufällig oder aufgrund vernünftiger
Erwägungen zusammenfinden. Die Nation ist eine Größe zwischen
»Gemeinschaft« und »Gesellschaft«, ein »Bund«,
der durch Bundes-Schluß begründet wurde. ().
Ein solcher Bund hätte bei seinem Aufstieg (siehe
Verlauf in der Abbildung oberhalb der mittleren Intensität!)
wohl mehr Ähnlichkeit mit der Gemeinschaft wie z.B. der Ehe oder
der Familie, umgekehrt jedoch bei seinem Abstieg (siehe
Verlauf in der Abbildung oberhalb der mittleren Intensität!)
wohl mehr Ähnlichkeit mit der Gesellschaft wie z.B. der GmbH oder
der AG.
Doch wenn das so ist, was folgt dann daraus? Wenn die Nation
in erster Linie als Bund zu verstehen ist und der Bund auf Gefühlen beruht,
dann wird erkennbar, daß das Schwinden der Gefühle eine eminente Bedrohung
für die Fortexistenz der Nation bedeutet. In allen entwickelten Industrieländern
kann man beobachten, daß sie dazu tendieren, ausschließlich »Gesellschaften«
zu sein und dabei ... Gemeinschaften ... zerstören .... Der Vorgang ... hat
mit dem oben skizzierten sozialen Wandel zu tun, der seit mehr als zweihundert
Jahren (das heißt: seit Ende des 18. Jahrhunderts;
HB) die Einzelnen emanzipiert, sie von wichtigen älteren Bindungen
trennt und mit der Rationalisierung der Existenzweise und der Entwurzelung zusammenwirkt.
.... Dabei scheint vorausgesetzt, daß Europa in der Zukunft ein imperiales
Gebilde werden sollte, das in seinen Grenzen eine bunte Völkerschar beherbergt,
während die Nationalstaaten als potentielle Feinde des überlegen planenden
Zentrums betrachtet werden müssen. Bestimmte Tendenzen der EU-Bürokratie,
immer mehr staatliche Kompetenzen an sich zu ziehen, weisen ganz in diese Richtung
.... Der europäische Staat ist für seine Befürworter nicht mehr
in erster Linie aus genuin politischen oder moralischen Gründen wünschenswert,
er liegt in der Logik der historischen Entwicklung. ().
Und in bestimmter Hinsicht gibt es sie ja: die Logik der Geschichte ().
Auch z.B. Homologien und Analogien, Wiederholungen, Wiederkehr und Dauer, anders
gesagt: historische Konstanten.
Abgesehen von den Vorläufern als den unmitelbaren Voraussetzungen
dazu (Gründung der Federal Reserve Bank, 1. Weltkrieg) haben wir
seit Mitte (Ende des 2. Weltrkieges) oder Ende (Aufhebung der Dollar-Gold-Bindung,
Mauerfall) des 20. Jahrhunderts eine Tendenz zu einer rein globalen und
rein privaten Politik (vgl. Globalismus),
und diese Politik führt wahrscheinlich sowohl zur Infragestellung
oder gar Beseitigung der Macht der Staaten als auch zur Begünstigung
oder gar Machtübernahme übernationaler Einheiten - z.B. wirtschaftlicher
Unternehmen -, die die bisherigen Kompetenzen des Staates an sich ziehen,
während umgekehrt die Staaten wegen Geldmangel früher beanspruchte
Gebiete oder Felder - z.B. die soziale Sicherung oder den Schutz ihrer
Bürger - aufgeben und so den oben schon skizzierten Prozeß
des Loyalitätsverlustes sehr verstärken. Nicht wenige Westler
glauben, daß diese Entwicklung zwangsläufig mit einem
Desaster enden muß, weil wesentliche Bedingungen der conditio
humana übersehen werden. Zu ihnen gehört das Verlangen nach
Identität. Identität kann sich aber nur ausbilden, wenn das
Bedürfnis nach Eindeutigkeit als legitim betrachtet wird. Die Nation
hat diesem Bedürfnis in hohem Maße Rechnung getragen. Nationen
beruhen immer auf eine Menge undiskutierter, weil durch die Geschichte
selbstverständlich gemachter, Vorstellungen und Verhaltensweisen.
Sie setzen die Anerkennung des »Imperativs der Homogenität«
voraus. Gemeint ist damit keine Homogenität in einem rassischen,
nicht einmal in einem »völkischen«, aber eine in einem
kulturellen Sinn, der über die Beherrschung der Sprache deutlich
hinausgeht. Wenn dieses Moment der größeren Nähe beseitigt
wird, entsteht nicht alternativ eine Menge von Individuen, die
sich vernünftig verträgt und Entscheidungen nach dem Mehrheitsprinzip
fällt, dann tritt an die Stelle des demos, des politischen
Volkes, der ochlos, der »Haufen«, in dem jeder ...
weiß, was für ihn »an cash, an Gebrauchswerten,
aus dem politischen Prozeß herausspringt« ().
Politische Ordnungen bedürfen aber zu ihrer Existenz eines Überschusses
an integrativer Kraft, sie allein von ihrem Zweck her zu bestimmen, heißt
ihren Lebensnerv treffen: Dem Bürger muß die Legitimität
des Staates auch glaubwürdig erscheinen, und der Anknüpfungspunkt
für diesen Glauben ist bis dahin die Nation. Sie stiftet den politischen
Identitätsbezug des Einzelnen.
|
|
Die Nation vermag das, weil sie ...
eben keine »Abstraktion« ist, sondern etwas Konkretes, das,
was mit »unpersönlichen Stolz« ()
erfüllt. .... Die Frage, ob die enge Verbindung von Macht und Nationalstaat
in Zukunft fortbestehen wird, ist schwer zu beantworten. Aber die Aufgabe,
die Einheit zu bilden, die die politische Identiät stiftet, bleibt
davon unberührt.
Der große Historiker Leopold von Ranke hat
das Entscheidende so formuliert: »Nicht dort ist unser Vaterland,
wo es uns endlich einmal wohlergeht. Unser Vaterland ist vielmehr mit
uns, in uns. Deutschland lebt in uns; wir stellen es dar, mögen wir
wollen oder nicht, in jedem Lande, dahin wir uns verfügen, unter
jeder Zone. Wir beruhen darauf von Anfang an und können uns nicht
emanzipieren. Dieses geheime Etwas, das den Geringsten erfüllt wie
den Vornehmsten - diese geistige Luft, die wir aus- und einatmen -, geht
aller Verfassung vorher, belebt und erfüllt alle Formen.« ().
().
Man kann Ranke und auch Weißmann, der hier Ranke zitiert hat, nur
ausdrücklich zustimmen.
Während die Freunde der »postnationalen
Demokratie« (Karl Dietrich Bracher) gerade noch behaupteten, daß
im neuen Zeitalter die kulturelle Homogenität wie von selbst gewahrt
bleibe und sich die Teilnehmer am herrschaftsfreien Diskurs ohne sprachliche
Probleme würden verständigen können, sieht man jetzt immer
deutlicher, wie unwahrscheinlich diese Hoffnungen sind. Das gilt selbst
dann, wenn ein Nationalstaat nur in seine historisch gewachsenen Bestandteile
zerfällt. Es zeigt sich also einmal mehr, daß die Nation besteht,
sofern sie etwas repräsentiert, das hinreichend klar erkennbar und
großartig genug ist, um Loyalitätsgefühle bis zur Opferbereitschaft
zu wecken. Sie existiert fort, weil ihre Existenz solche Empfindungen
zu nähren weiß, sie verfällt, wenn die Erkennbarkeit undeutlich
und die Emotionen schwach werden. Die Nation ist nicht natürlich
wie Familie oder Sippe, sie gehört zur Natur des Menschen nur insofern,
als sie zu jenen identitätstiftenden politischen Verbänden zählt,
ohne die wir als soziale Wesen nicht leben können. Es hat in der
Geschichte Verbände gegeben, die kleiner (Bünde, Stämme)
oder größer (Imperien) waren und ähnliches leisteten,
auch zahlreiche Fälle, in denen alles da war, um sich als Nation
selbständig zu behaupten, die politischen Kräfteverhältnisse
das aber nicht oder nur phasenweise erlaubten. (Karlheinz Weißmann,
in: Sezession, März 2009).
Der Nationalstaat
ist das bisher größte staatliche Gemeinschaftsgebilde - zu mehr reicht
die Schaffenskunst der Menschen offenbar nicht aus. Logischerweise gilt das auch
dann, wenn ein Nationalstaat einen ganzen Kulturkreis umfaßt. Aber einen
Staat, der alle Menschen umfaßt, hat es bisher noch nicht gegeben, und es
ist sehr fraglich, ob es ihn jemals geben wird. Menschen, die angeblich für
die Menschheit einen Staat gründen wollen, haben bisher immer völlig
versagt, weil sie immer gelogen und immer betrogen haben. Es gibt ein starkes
Argument eines deutschen Staatsrechtlers ...: »Wer
Menschheit sagt, will betrügen« (Carl Schmitt, Der Begriff
des Politischen, 1927, S. 55).
Das heißt, man täuscht ein »Super-Wir« vor, daß es
noch gar nicht gibt, daß in Wirklichkeit wiederum eine maskierte partikulare
Stimme ist. Nach dem Schema hat ja übrigens auch die Ideologiekritik in den
letzten 200 Jahren funktioniert. Da treten z.B. so ein paar französische
Rechtsannwälte ... auf - es sind vielleicht ein paar 100 Leute - und nennen
sich selbst »die Menschheit«. Daraus ist die französische
Revolution hervorgegangen. Und so funktioniert das immer. Es gibt immer eine
kleine Avantgarde - die nennt sich selbst »Menschheit« und trägt
sozusagen die Flamme vor allen anderen her und sagt: »Alles hört auf
mein Kommando!« (Peter Sloterdijk).
Wie gesagt: Einen größeren Staat als den Nationalstaat können
Menschen offenbar (noch) nicht schaffen. Carl Schmitt würde sagen:
der erfolgreichste Superorganismus, den wir bisher hervorgebracht haben, ist dieser
... zweipolige Nationalstaat, in dem der Markt und ein hinreichend regulierungsfähiger
staatlicher Apparat eine sinnvolle Synergie miteinander erzeugen. Alles, was darüber
hinaus liegt, gelingt uns noch nicht. ().
Einen Nationalstaat begründen und führen können die Abendländer
wohl kaum noch. Sie haben sich dem Globalismus schon sehr angenähert
(siehe
Verlauf in der Abbildung). Wie also sollten sie dann erst ein
Imperium wie die EU
nationalstaatlich begründen und führen können? Eigentlich
müßte ja die EU
oder sogar auch die NATO
(bzw. EU
+ NAFTA) nationalstaatlich begründet sein - ist bzw. sind
sie aber nicht. Abendländer sind offenbar nur noch fähig, ein
Imperium zu begründen - gerade und vor allem dann, wenn sie dies
zu verleugnen versuchen. Die EU
ist ein Imperium, kein Nationalstaat. Ob die Herrschenden dies zugeben
oder nicht. Die EU
ist ein Reich: ein Europäisches Reich Deutscher Ökonomie,
das 4. Deutsche Reich ().
Die Herrschenden in Deutschland sind zwar dabei, eine EU-Identität
zu begründen und vermeiden dabei tunlichst alles Nationale; doch
wie eine Identität ohne Nationales begründbar sein soll, verraten
sie nicht. Wenn aber eine EU-Identität
nichts Nationales sein soll, dann kann sie sich nur imperial durchsetzen
oder gar nicht; und wenn sie sich gar nicht durchsetzen kann, dann kann
sie nur ein globalistisches Reich sein. Und welche abendländische
Nation gibt sich globalistischer als die deutsche? Also ist auch so gesehen
nur das 4. Deutsche Reich fähig, die EU
als globalistische Institution zu begründen, denn als ihre ökonomische
Basis finanziert es sie und verleugnet sich dabei selbst.
Eine
Kultur braucht auch ihre Nationen, und das gilt ganz besonders für die abendländische
Kultur, die in einem lange dauernden Prozeß so merkwürdige Nationen
hervorgebracht hat. Seitdem sind diese Nationen aber nun einmal da. Deshalb kann
man sie auch nicht plötzlich abschaffen, mit ihnen einen kurzen Prozeß
machen, denn eine solche zwanghafte Abschaffung ist extrem gefährlich. Eine
Universal-Kultur ()
hat es noch nie gegeben. Sie ist ebenfalls extrem gefährlich, ein totales
Risiko-Unternehmen. Multikulturalismus bedeutet Bürgerkriege mit einer ständig
wachsenden Brutatalität, wie es sie zuvor noch nie gegeben hat. Mutilkulturalismus
bedeutet nicht das Miteinander, sondern das Nebeneinander als die totale Abschottung
voneinander und das Gegeneinander als die barbarische Gefahr im ständig brodelnden
Konfliktherd, der zu jeder Zeit und an jedem Ort ausbrechen und auflodern kann.
Öffentlich-militante Privatsphäre! Theortisch ist Multikulturalismus
der Versuch träumerischer Selbstverwirklichung, praktisch ist er erst einmal
nichts (weil der Träumer ja noch pennt) und plötzlich: der permanente
Kriegszustand! Der dann erst erwachende Träumer wird, falls über genügend
Beziehungen und Geldmittel verfügend, den Kriegsschauplatz verlassen, sogar
schnell - für seine Verhältnisse. So sieht er also aus, der (Alp-) Traum
von der Universalkultur als der monokulturellen Menschheit, der singulären
Humanität.Individualform | | K O L L E K T I V F O R M E N | | Universalform | | K L E I N E | M I T T L E R E | G R O S S E | | Einzelwesen (Individuum)
| | Paar
(Ehe u.ä.) | Familie | Sippe | Stamm | Nation | Kultur | | Universalkultur (Menschheit)
| |
Organisationssystem
(**)
wie z.B. Unternehmen, Staat, Kirche, Superorganismus (**),
Energon ()
|
|
Vgl.
die Beispiele zur Rationalitätenfalle, bei der Individualrationalität
und Kollektivrationalität in Konflikt geraten (). |
Eine kranke Gemeinschaft erkennt man daran, daß sie Gesellschaft
nur noch sein will, denn sie will nur noch aus Individuen
bestehen, mit uneinlösbaren und die Umwelt völlig zerstörenden
Menschenrechten, die letztlich auch sie selbst zerstören,
ihren Traum von der Menschheit wie eine Blase zerplatzen lassen.
Nicht-kollektive Formen erkennt man daran, daß sie dauerhaft nicht
realisierbar sind. Individualform und Universalform werden besonders in
Zeiten der Dekadenz (Zivilisation)
gewählt, als das Moderne gepriesen und als Symptom auch
dann zumeist nicht erkannt, wenn der Untergang schon fast vollendet ist.
Individualform und Universalform sind Zeichen der Dekadenz. Kollektive
Formen sind für jede Art des menschlichen Zusammenseins die gesunden
Formen; die kleinste ist das Paar, die größte die Kultur
(sie alle können auch - nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen
- Organisationssysteme []
bzw. Superorganismen []
genannt werden); die warmen, kleinen (Paar, Familie) werden
von den Dekadenten deshalb zuerst angegriffen, weil sie im Grunde sehr
viel stabiler sind als die kalten, großen (Nation, Kultur),
die gleich danach angegriffen werden.
Nicht-kollektive Formen (Individualform, Universalform) sollen gemäß
dem Willen ihrer Befürworter alle Kollektivformen zerstören, und wenn
die größte Kollektivform, die Kultur, gestorben ist, dann ist es ihnen
auch zum größten Teil gelungen, allerdings nicht zu dem Preis, den
sie angeblich gerne hätten - daß die nicht-kollektiven Formen schon
bald an die Stelle der Kollektivformen treten würden (jedenfalls gibt es
dafür bisher kein Beispiel) -, sondern zu dem Preis, daß sie als Symptom
genauso verschwinden werden wie zuvor der von ihnen zerstörte größte
Teil der Kollektivformen.
Jeder Versuch, eine Kollektivform durch die Individualform oder die Universalform
zu ersetzen, führt letztlich über Kriege brutalster Art nur in Untergang
und Tod. Die größtmögliche Zerstörung der im Grunde unzerstörbaren
kleinen Kollektivformen beschleunigt den Zerfall der großen Kollektivformen
am meisten. Am Zerstörungsgrad kleiner Kollektivformen ist der Untergang
großer Kollektivformen ablesbar.
KLEIN (1,
2), MITTEL (3, 4), GROSS (5, 6)
|
Je kleiner die Kollektivform, desto stabiler ist
sie. Wegen dieser Regel ist jeder kollektive Zerfallsprozeß immer
begleitet vom Willen zur Zerstörung der kleinen Kollektivformen.
Die Regel besagt nämlich implizit auch, daß die Existenz der
großen und mittleren Kollektivformen von der Existenz der kleinen
abhängig ist. Die Bedeutung dieser Regel steigt daher mit zunehmender
Anzahl an Kollektivformen. Anders formuliert: Je größer die
Anzahl der mittleren und großen Kollektivformen, desto mehr steigt
die Belastung der kleinen. Politiker (besonders unsere beruflichen Parteipolitiker),
Juristen und andere Interessengruppen gaukeln vor, daß es auch umgekehrt
oder (noch wahnsinniger) sogar ohne Kollektivformen gehen könne,
doch das beweist nur, daß gerade sie, weil sie es doch eigentlich
wissen, am meisten lügen.
Gemeinschaften
sind deshalb am erfolgreichsten, weil sie vom Gemeinschaftssinn, von der Bindung
- eben: vom Gemeinchaftlichen - getragen werden. Innerhalb der Gemeinschaft darf
es zwar auch gesunde Egoisten geben, doch nach außen hin darf es immer nur
um die jeweilige Gemeinschaft gehen, zu der man gehört. Eine im gesunden
Sinne egoistisch motivierte gegenseitige Hilfe dient ja sogar der Gemeinschaft.
Aber eine Gesellschaft bleibt eine chaotische Gruppe von Egoisten
dann, wenn sie diese auch nach außen hin ist. Eine Gesellschaft, die gleichzeitig
keine Gemeinschaft ist, ist erfolglos. Sogar eine Welt-Gesellschaft,
falls deren Bildung in der Zukunft überhaupt gelingen würde, müßte
auch eine Welt-Gemeinschaft sein, um erfolgreich sein zu können.
Wenn sie das nicht sein würde, würde sie das Ende der Menschheit bedeuten.
Nur eine Gemeinschaft ist erfolgreich, denn sie ist nach außen hin erfolgreich.
Eine Gesellschaft kann es nur sein, wenn sie nach außen hin keine Gesellschaft,
sondern eine Gemeinschaft bildet. Eine Gemeinschaft aber ist auch dann erfolgreich,
wenn sie nach innen hin eine Gesellschaft bildet. Mit anderen, einfachen Worten:
Wenn wir nach außen hin nicht zusammenhalten, folgt die Niederlage, der
Untergang.Wer meint, ich sei, da ich von der Notwendigkeit bestimmter
Kollektivformen spreche, ein Kollektivist (),
liegt jedoch falsch, denn: Kollektivisten wollen Kollektivformen nur im Sinne
einer (ihrer!) Parteipolitik durchsetzen, und das bedeutet, daß gerade sie
die größten Feinde der natürlichen Kollektivformen sind.
Ausgerechnet die Kollektivisten zerstören in ihrem Parteipolitikswahn die
Kollektivformen, wie ich sie oben beschrieben habe (),
am meisten. Kollektivisten lassen nur die von ihrem Staat erlaubten künstlichen
Kollektivformen zu, und das auch nur so lange, wie sie sich selbst dadurch an
der Macht halten können. So sind beispielsweise staatliche Kinderhorte, Kindergärten,
Schulen und Universitäten total in ihrem Interesse, außerdem: staatliche
Medien (fälschlich öffentlich-rechtliche genannt), staatliches
Militär (fälschlich als Wehrpflicht getarnt) u.s.w. u.s.w.
u.s.w. - am liebsten hätten die Kollektivisten auch vom Staat abhängige
Gehirne, also solche Gehirne, die von ihrem privaten Träger getrennt und
verstaatlicht wurden. Zwar sind sie auch nicht dagegen, wenn alle diese verstaatlichten
Institutionen privatisert würden, aber eben nur so lange, wie sie
ihre Macht nicht verlieren, denn: sie tun alles (wirklich: ALLES!) dafür
und nur dafür, ihre Macht zu erhalten, zu erweitern, zu vergrößern.
So erklärt sich auch, warum z.B. unserer Politiker, überhaupt keine
Probleme damit haben, ihre Politik von heute auf morgen von Verstaatlichung auf
Privatisierung umzustellen. Sie setzen auch das durch, von dem sie gestern noch
behaupteten, daß es das Schädlichste überhaupt sei - unter nur
einer Voraussetzung: daß es für ihre Macht keinen Verlust bedeutet!
Ihr Hauptanliegen ist immer die Erhaltung, Erweiterung, Vergrößerung
ihrer Macht!
Ich bin gegen den Radikalismus, den Extremismus, den unser Parteinstaat
praktiziert. Das bedeutet, daß ich dann Staatliches und Kollektivistisches
sowie Privates und Individualistisches gleichermaßen ablehne, wenn
sie Teil, Produkt, Nebenprodukt oder Folge der Radikalismen, Extremismen
unseres Parteienstaates sind.
Ein gutes
Beispiel ist das Wort Gerechtigkeit: Gerechtigkeit bedeutet, daß
vor dem Recht und dem Gesetz alle Menschen gleich sein sollen (was in der Praxis
allerdings leider nicht der Fall ist). Aber was ist dann noch soziale
Gerechtigkeit ()?
Es gibt keine objektiven Kriterien dafür, was soziale Gerechtigkeit
ist. Verschiedene Menschen haben dazu unterschiedliche Ansichten. Weil der Begriff
leer ist, ist es unredlich, ihn zu benutzen. In den Wahlprogrammen und Reden aller
unserer Parteipolitiker kommt aber die Floskel soziale Gerechtigkeit
ständig vor. Friedrich von Hayek ()
hat soziale Gerechtigkeit als Wieselwort bezeichnet, weil
ein Wiesel Eier aussaugen, also inhaltsleer machen kann, ohne die Hülle zu
zerstören, so wie Verfechter der sozialen Gerechtigkeit die Demokratie
aussaugen, weil sie die Freiheit einengen. Im Grunde unterstellen sie stillschweigend,
daß alle Einkommen und Vermögen Kollektiveigentum seien und deshalb
zur beliebigen Umverteilung durch angeblich gerechte Umverteiler zur
Verfügung stünden. Ein Vergleich zum Schachspiel macht deutlich, was
gemeint ist: Wenn einem Spielleiter das Recht eingeräumt würde,
bei jedem Spiel Ausnahme- und Sonderregeln festzulegen - beispielsweise eine Regel
wie: Der Spieler X hat eine schlechtere Schulbildung gehabt als der
Schüler Y und darf deshalb zweimal einen Zug zurücknehmen
- , so dürfte sich der Spielleiter anmaßen, allmächtig wie Gott
die Vor- und Nachteile der Spieler zu bewerten und in Sonderregelungen umzusetzen.Es
soll hier aber auch nicht der übertriebene Liberalismus gelobt, sondern lediglich
darauf hingewiesen werden, daß ein vom Staat verordneter Kollektivismus
(fast immer ist er ein Links-Sozialismus)
falsch, böse, häßlich ist; er ist also in logischer, ethischer,
ästhetischer, in jeder Hinsicht die schlechteste Lösung von allen. Kollektivformen
gibt es auch ohne Staat; der Staat muß sich aus ihnen möglichst heraushalten;
ein kollektivistischer Staat will Formen diktieren, die es schon lange vor der
Zeit des Staates gab; kurz vor seinem Ende schreibt ein kollektivistischer Staat
sogar vor, wann wer mit wem wie und um welche Uhrzeit ins Bett gehen muß.
Der Staat soll die Gemeinschaft in Ruhe lassen, anders gesagt: der Staatsanteil
muß stets unter 15% und über 5% bleiben (meine Faustregel!). Der Staat
soll sich nur da einmischen, wo es wirklich dringend erforderlich ist, z.B. dann,
wenn die Rahmenbedingungen verletzt worden sind. Und diese Rahmenbedingungen darf
er nicht ständig erweitern, verengen oder sonstwie auf ein von ihm bevorzugtes
Maß verändern. Also ist ein Staatsanteil von 10%, wie er früher
in Deutschland üblich war, eine optimale Lösung. Um einen solchen schlanken
Staat wieder zu erreichen, bedarf es aber erst einmal der Erinnerung an die Zeit,
in der in Deutschland alles am besten und optimalsten war (),
v.a. also an die »Hochzeit« seines modernen goldenen Zeitalters ().JA
zu Kollektiven und Sozialen, aber: NEIN zu Kollektivismen und zu Sozialismen.
JA zu Individuen und Liberalen, aber: NEIN zu Individualismen und zu Liberalismen. JA
zu Idealen und zu Idealismen, aber: NEIN zu Ideologien und zu Ideologismen.Nietzsche
sah das kaum anders. Gemäß seiner Wille-zur-Macht-Theorie bzw.
-Metaphysik () laufen
ja Ideale u.ä. immer auf denselben Sumpf, immer auf Dekadenz, Untergang
und also Ende hinaus. Nicht »Menschheit«, sondern Übermensch
ist das Ziel! (Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 658). Was
Nietzsche ablehnte, war ja das Christentum, aber bezogen auf die moderne Politik
(in dieser Reihenfolge): (1.) der Gleichheitswahn (Egalitarismus, Kommunismus,
Links-Sozialismus u.s.w.); (2.)
der Brüderlichkeitswahn (Fraternitarismus, Nationalismus, Rechts-Sozialismus
u.s.w.); (3.)
der Freiheitswahn (Liberalismus, Individualismus, Eudämonismus u.s.w.). Diese
modernen Politwahnsysteme - vereint im modernen Demokratismus (Nietzsche wollte
stattdessen den Aristokratismus; er liebte die Aristokratie) - bekämpfte
Nietzsche, und zwar auf seine Art, d.h. er wollte sie nicht vernichten, weil
erst durch sie als Unterbau ()
der von ihm gewollte Übermensch (), die
neue Aristokratie (),
die stärkere Gattung ()
ermöglicht werden kann. Er konnte den gesamten Nihilismus, zu dem auch
die drei Politwahnsysteme gehören, nicht wirklich direkt, sondern
eher nur indirekt (und gemäß der Reihenfolge) bekämpfen, d.h.
er mußte erst bei sich selbst (!) den Nihilismus überwinden,
um keine Fehler zu begehen. Obwohl er also im Grunde moderne Politsysteme verneinte
(v.a. den Gleichheitswahn; darum: 1.), konnte er dennoch für sich und
sein Vorhaben nur dann wirklich Erfolg erreichen, wenn er sie bejahte.Wie
Nietzsche bejahe auch ich, weil ich wie Nietzsche im Grunde verneine oder verneint
habe, d.h. eigentlich lehne auch ich die modernen Politwahnsysteme ab, aber
ich verschweige es - ebenfalls wie Nietzsche (Schweigen-können:
aber darüber kein Wort vor Hörern)
-, indem ich mein Schweigen mit Reden verberge. Nur hin und wieder
kommt es noch vor, daß ich (nicht wegen der Gesäßgeographie!)
die Linken als die heutigen Diktatoren korrigieren muß,
weil sie die Rechten und größtenteils auch die Mittigen
zensieren. Dabei müßten gerade die Linken aus den minusheiligen
12 Jahren (1933 bis 1945) wissen, daß ihren Vorgängern genau das
passiert ist, was heute den Rechten und Mittigen passiert: Wenn heute schon
Aussagen, die noch z.B. Willy Brandt und Helmut Schmidt befürworteten, als
nazihaft, nazistisch (also: nationalsozialistisch) diffamiert, wenn also
ehemals Verfolgte wie Willy Brandt schon als Nazis diskrimniert werden, dann
kann ich nicht mehr schweigen. Gemäß Nietzsches Theorie outete ich
mich in dem Moment zwar immer noch als ein Nihilist, weil ich ja verneine und
nicht - wie der Post-Nihilist (Nihilismus-Überwinder) - bereits bejahe
(zu den Gründen dafür: siehe oben), aber das ist mir in dem Fall egal.
Es geht mir ums Prinzip. Ich will nicht, daß einseitig regiert wird,
weil das Diktatur bedeutet, und die haben wir bei uns - wieder oder immer noch
(jedenfalls ist die BRD 2.0 nicht mehr die BRD, sondern die DDR 2.0).Wir
Menschen sind nicht wirklich geeignet zum Kollektivismus, aber noch viel weniger
zum Individualismus. Wir brauchen Abweichler, Querdenker, Andersdenker, Freidenker,
Freigeister (Friedrich Nietzsche),
besonders deshalb, weil erst dadurch die Gemeinschaft sich auch wirklich weiterentwickeln
kann. Es darf dabei aber auch nicht übertrieben werden. Das gilt für
beide Extreme. Uns gelingen nämlich beide nie richtig. Trotzdem brauchen
wir beide - mal mehr, mal weniger -, aber nie zuviel und nie zu
wenig. Wir sind weder absolut frei noch absolut unfrei. Unvollkommen zwischen
Gott und Tier. Wir sind Zwitterwesen.
Fragen
wir nun direkt die Biologen Irenäus Eibl-Eibesfeldt (*1928)
und Erlung Kohl (*1952):Warum
sind unsere angeborenen Programme zur Steuerung des Verhaltens immer noch steinzeitlich
? |
Zunächst
einmal ist es wichtig, sich darüber klar zu werden, daß wir
Menschen mit angeborenen verhaltenssteuernden Programmen ausgerüstet
sind, die Wahrnehmen, Denken und Handeln in ganz entscheidender Weise
mitbestimmen. Diese Programme entwickelten sich in jener langen Zeit,
in der unsere Vorfahren auf altsteinzeitlicher Entwicklungsstufe als Jäger
und Sammler in Kleinverbänden lebten. (Irenäus Eibl-Eibesfeld,
Zukunft multikulturelle Gesellschaft?, in: Andreas Mölzer
& Rudolf Eder, Einwanderungsland Europa?, 1993, S. 130).
Und seit dem Jungpaläolithikum, ganz sicher aber seit dem Neolithikum
haben wir uns biologisch nicht geändert. Das bedeutet unter
anderem, daß Menschen mit steinzeitlicher Emotionalität heute
als Präsidenten Supermächte leiten oder in ihren Autos über
die Autobahnen rasen. Wir schufen uns kulturell mit der technischen Zivilisation
und der Großstadt eine Umwelt, für die wir biologisch zunächst
nicht geschaffen sind. Wir müssen uns kulturell neu anpassen, und
dazu ist es wichtig, die in unserem stammesgeschichtlichen Erbe verborgenen
Stolperstricke zu erkennen, das heißt jene Handlungspositionen aufzudecken,
die in der modernen Gesellschaft unter bestimmten Bedingungen zu fehlangepaßten
Verhalten führen. ().
Warum
ist unser Umgang mit der Macht so ungenügend, ist der Wille bzw. Antrieb
zur Macht so unbegrenzt? | So
sind wir für den Umgang mit der Macht biologisch nur äußerst ungenügend
ausgerüstet. Während alle anderen Antriebe - Hunger, Durst, Sexualtrieb
- über Triebbefriedigung oder abschaltende Endstationen ihre Absättigung
erfahren, ist das Machtstreben nach oben hin nicht begrenzt - es ist unersättlich.
Es lag in unserer Stammesgeschichte offenbar keine Notwendigkeit vor, Absicherungen
gegen eine Eskalation des Machtstrebens zu entwickeln, denn das Machtpotential,
das ein Einzelner in den Kleinverbänden altsteinzeitlicher Kulturen an sich
raffen konnte, war begrenzt. Auch waren in diesen Verbänden die Machtkämpfe
durch persönliche Bekanntheit gemildert. In der anonymen Großgesellschaft
dagegen treten Menschen den ihnen unbekannten Mitmenschen gegenüber rücksichtsloser
auf. Darüber hinaus ist das heute verfügbare Machtpotential ungeheuer.
Aus der Unersättlichkeit unseres Machtstrebens erwächst uns daher Gefahr.
().Warum
wird Brutpflege betrieben, sind Paare, Familien, Gruppen, Völker, Nationen,
Imperien, Kulturen so wichtig? | Um
das Überleben konkurrieren die Lebewesen. Sie entwickelten dazu verschiedene
Strategien des Wettstreits und der Kooperation. .... Wo Brutpflege betrieben wird,
kommt es bei höheren Wirbeltieren zur Bildung von Familien. Bei vielen Vögeln
beteiligen sich beide Elternteile an der Brutpflege, manchmal auch ältere
Geschwister der vorhergehenden Brut. ().
Im Zusammenhang mit der Brutpflege entwickelten sich eigene Verhaltensweisen
der Betreuung und kindliche Appelle, die diese auslösen, ferner der
Drang zu betreuen und Betreuung zu suchen. Damit waren Dispositionen zum
Freundlichsein, zur Kooperation ebenso wie das Instrumentarium freundlicher
Verhaltensweisen gegeben, die auch in den Dienst der Erwachsenenbildung
gestellt werden konnten. Tatsächlich handelt es sich bei den bandstiftenden
Verhaltensweisen, die in der Balz ebenso wie im sozialen Alltag geselliger
Vögel und Säuger beobachtet werden können, um weiterentwickelte
Verhaltensweisen der Betreuung und um kindliche Signale. Das zärtliche
Balzfüttern und das davon abgeleitete Schnäbeln werbender Singvögel
ist ritualisiertes Füttern. Das gleiche gilt für das Kußfüttern
und das davon abgeleitete Küssen des Menschen. Soziale Gefiederpflege,
soziale Fellpflege, Streicheln und schützendes Umarmen wären
weitere Beispiele für aus der Brutpflege abgeleitete bandbekräftigende
Verhaltensweisen. Noch etwas anderes kam mit der Brutpflege in die Welt,
nämlich die Fähigkeit, individualisierte Bindungen einzugehen.
Denn dort, wo längere Betreuung der Jungen notwendig war, durften
Mutter (oder Eltern) und Kinder einander nicht verwechseln oder gar verlieren.
Für Alttiere wäre es überdies eine Fehlinvestition, genetisch
nicht näher verwandte Junge zu betreuen. Die meisten Vögel und
Säuger lehnen daher fremde Jungtiere ab, ja töten sie häufig
sogar als Konkurrenten des eigenen Nachwuchses. Niko Tinbergen (1907-1988)
filmte, wie Heringsmöven unbewachte Küken des Nachbarn überfallen
und verschlingen. Bekanntheit unterdrückt aber in solchen Fällen
die sonst gegen jeden Artgenossen gerichteten Aggressionen. Das gilt auch
für Erwachsene. Mit der Erfindung der Brutpflege kam also in der
Form der betreuenden Verhaltensweisen und der kindlichen Appelle, die
diese aktivieren, die Fähigkeit zum Freundlichsein in die Welt. Dazu
kam noch die Motivation, zu betreuen und Betreuung zu suchen, die ein
Urvertrauen in einen Partner voraussetzt, und schließlich die Fähigkeit
zur Liebe, die ja durch die persönliche Bindung definiert wird. ().
Damit eröffneten sich auch für die Entwicklung der Beziehungen
zwischen Erwachsenen neue Möglichkeiten. Bis dahin basierte das Sozialverhalten
der Wirbeltiere auf den agonalen Mechanismen der Dominanz und Submission.
Nunmehr eröffneten sich Möglichkeiten für affiliativ-kooperative
Beziehungen. Man kann daher zu Recht die Entwicklung der Brutpflege als
Sternstunde in der Verhaltensevolution der Wirbeltiere bezeichnen. Das
affiliative Verhalten beschränkt sich zunächst allerdings auf
die Familie, die sich anderen gegenüber abgrenzte. Bei Säugern
jedoch erwuchsen aus den Familienverbänden durch das Zusammenbleiben
der Nachkommenschaft im gleichen Territorium oft größere Verbände,
deren Mitglieder einander entweder persönlich oder an einem gemeinsamen
Merkmal (Geruch) als Gruppenkumpane kennen. Anders riechende Gruppenfremde
werden zum Beispiel bei Hausmäusen angegriffen und vertrieben. Schimpansen
dagegen bilden exklusive Gruppen, deren Mitglieder einander persönlich
kennen. Sie besetzen ein Gruppenterritorium, das sie gegen Gruppenfremde
verteidigen. In der Konkurrenz mit anderen zählt dabei sowohl das
geschlossene Auftreten der Gruppe als auch die Zahl. Je mehr Mitglieder
eine Gruppe hat, desto besser kann sie ihr Gebiet verteidigen. Ein weiterer
Vorteil besteht darin, daß die Bildung von »Wir-Gruppen«
unter gleichzeitiger Abgrenzung gegen andere Fremde die Evolution fördert,
da Mutationen sich nur in Kleingruppen durchsetzen und in der Konkurrenz
mit anderen Gruppen bewähren können. Wenden wir uns den Verhältnissen
beim Menschen zu, dann finden wir Vergleichbares. Auch wir neigen dazu,
uns in Gruppen zusammenzuschließen und von Fremden abzugrenzen.
Wir reagieren auf Mitmenschen, die wir nicht kennen, deutlich anders als
auf uns gut bekannte. Das ist bereits beim Säugling so, der im Alter
von 6 bis 8 Monaten »Fremdenfurcht« zeigt, auch wenn ihm nie
Böses von Fremden widerfuhr. Während bis zu diesem Alter jede
Person, die sich dem Säugling zuwendet, Verhaltensweisen der Kontaktbereitschaft
auslöst, reagiert das Kind nunmehr auf fremde Personen ambivalent.
Es schwankt zwischen freundlicher Zuwendung und offensichtlich angstmotivierter
Meidung. Es lächelt zum Beispiel den Fremden an und birgt sich danach
scheu an der Brust seiner Bezugsperson. Die Scheu schlägt in Abwehr
und Angstweinen um, wenn sich die fremde Person um körperlichen Kontakt
bemüht. Kinder aller daraufhin untersuchten Kulturen verhalten sich
so, als wären Fremde potentiell gefährlich, eine Annahme, die
sich offenbar in der Phylogenese bewährte. Die Säuglinge sind
allerdings offen, sich mit Fremden anzufreunden. Dazu bedarf es aber einer
Zeit der Angewöhnung, die durch das Vorbild der Eltern und anderer
Bezugspersonen abgekürzt werden kann. Die Stärke der Fremdenscheu
hängt ferner davon ab, wie ähnlich die fremde Person den eigenen
Bezugspersonen ist. Nach Untersuchungen des US-Amerikaners Feinman fürchten
sich Negerkinder mehr vor fremden Weißen als vor Fremden der eigenen
Rasse. Ganz analog verhält es sich mit der Fremdenscheu weißer
Kinder. ().
In
dieser uns angeborenen Verhaltensdisposition begründet sich unsere Neigung
zur Wir-Gruppenbildung. Gelegentlich hört man, die Fremdenscheu des Kindes
könne nicht mit der Fremdenscheu (Xenophobie) des Erwachsenen verglichen
oder gleichgesetzt werden. Eine Begründung für diese Aussage fand ich
nie. Es wäre auch schwer, diese Behauptung zu untermauern. Verfolgt man nämlich
das xenophobe Verhalten in seiner Entwicklung, dann stellt man wohl Weiterentwicklung,
aber keinerlei Abriß und Neubeginn fest. Die Weiterentwicklung wird entscheidend
kulturell bestimmt. Der Mensch erfährt seine Einbettung in eine größere
Gemeinschaft, er entwickelt abgestufte Loyalitäten und faßt auch Zutrauen
zu Menschen, die er nicht kennt - aber eben abgestuft nach dem archaischen Grundmuster.
Schon das »Du« und »Sie« in unserer Kultur spiegelt das
abgestufte Vertrauen wider. Bemerkenswert bleibt das Mißtrauen, das zunächst
unser Verhalten gegenüber Fremden kennzeichnet. Dieses Vorurteil schafft
die Bereitschaft, vom Fremden vor allem das Negative wahrzunehmen, gewissermaßen
als Bestätigung des Vorurteils. Diese Bereitschaft, ein Negativbild aufzubauen,
muß man kennen, wenn man ihr entgegenwirken will. Einfach leugnen, daß
dem so ist, hilft nicht weiter. ().Das
multikulturelle Modell ... würde aufgrund uns angeborener Reaktionsbereischaften
zu Konflikten führen, zu Polarisierungen, die eine liberale Demokratie gefährden.
().
Leider leben wir ja schon lange nicht mehr in einer echten Demokratie, sondern
in einer die Demokratie (und übrigens auch die Plutokratie) nur benutzenden
Zeusiokratie ().
Daher auch die völlig absurden Entscheidungen und Argumente der Politiker
und Interessenverbände. Absurd ist das Argument, wir müßten
durch Förderung der Immigration den durch den Geburtenmangel bewirkten Bevölkerungsschwund
ausgleichen. ()
.... Die Befürworter der multikulturellen Gesellschaft gehen davon aus, daß
der Mensch Wachs in den Händen der Meinungsmacher ist, da ihm nichts angeboren
sei. Wir zeigten, daß dem nicht so ist. Zu den uns angeborenen Bedürfnissen
gehört der Wunsch nach Einbettung in eine größere familienübergreifende
Gruppe, wie sie heute in einer Vielzahl ethnisch begründeter Nationen vorliegt.
().Paare,
Familien, Gruppen, Völker, Nationen, Imperien sind Beispiele für wichtige
Teibereiche einer Kultur und heißen daher auch Unterkulturen (Subkulturen),
allerdings nur dann, wenn sie auch wirklich nur dieser einen Kultur angehören.
Das ist logisch. So wie in der Biologie die Unterarten nur zu einer Art gehören,
so gehören die Unterkulturen nur zu einer Kultur.Warum
sind Kulturen und biologische Arten so ähnlich? | Jede
der sich von anderen bis zu einem gewissen Grade abgrenzenden Kulturen stellt
ein Experiment dar, auf andere Weise zu leben. Jede Kultur pflegt und tradiert
eigene Subsistenzstrategien, eigene Formen der Lebensführung, eigene Varianten
der Kunst, und das stellt sowohl eine Bereicherung des Kulturbesitzes unserer
Gattung dar als auch eine Absicherung für das Überleben durch Schaffung
von Vielfalt. Kultur wiederholt hier auf anderer Ebene schöpferisch, was
Natur auf der Ebene der Artenbildung schuf. Vielfalt dient der Absicherung. Eine
Monozivilisation würde die Anpassungsbreite der Menschheit einschränken,
ganz abgesehen von dem mit der Einschmelzung der Differenzierungen verbundenen
Werteverlust. Das Leben drängt nach Differenzierung auf der biologischen
wie auf der kulturellen Ebene. Menschen haben ein Bedürfnis, sich mit dem
kulturellen Erbe der Gemeinschaft, in die sie hineingeboren wurden, zu identifizieren,
dieses Erbe weiterzugeben und zu erhalten. Das wird auch als Menschenrecht anerkannt.
Die Erhaltung kultureller Vielfalt hat keineswegs radikale Abschließung
zur Voraussetzung. Kulturen standen stets miteinander im Austausch. Es kommt auf
die Ausgewogenheit zwischen Öffnung und Identitätsbewahren der Abgrenzung
an. ().
In vielerlei Hinsicht gilt auch für Kulturen
das, was für biologische Arten gilt: so müssen sie z.B., wenn sie sich
untereinander vermischen wollen, ihre Bastardierungssperren ()
lösen, um sich untereinander zu vermischen, oder Unterformen bilden, aus
denen später eigenständige (eigenartige) Formen hervorgehen können.
Die Kulturen könnten Unterkulturen (Subkulturen) bilden, aus denen später
vielleicht eigenständige (eigenartige) Kulturen werden, denn aus den biologischen
Arten können ja auch Unterarten hervorgehen, aus denen später vielleicht
Arten werden. (Vgl. Artbildung).
Eine Unterkultur kann z.B. ein Imperium (das bekannteste Beispiel ist das Römische
Reich, das zuletzt sogar die ganze Kultur geographisch umfaßte), eine Nation,
ein Volk, eine Familie oder auch nur ein Paar sein: entscheidend ist, ob sie sich
so ausdehnen und fortzupflanzen kann, daß sie entweder der ihr übergeordneten
Kultur angehörig bleibt oder aber sogar versucht, eine eigenständige
(eigenartige) Kultur zu werden, nämlich entweder mit anderen oder aber sogar
ohne sie. Eine Unterkultur ist also keine Multikultur (auch multikulturelle
Gesellschaft genannt), denn die Multikultur ist ja lediglich
eine Pseudomorphose (),
und ihre Befürworter sind Nihilisten oder Träumer, die das Ergebnis
der Bastardierung aus zwei oder mehr verschiedenen Kulturen befürworten:
einen Kulturbastard (analog zum biologischen Artbastard).
Wer also einen Kulturbastard befürworten will, sollte wissen: 1.)
Voraussetzung dafür ist das Lösen der Bastardierungssperren aller
Beteiligten, und ich weiß, daß die anderen Kulturen ()
dazu nicht bereit sind und daß innerhalb unserer eigenen Kultur (Abendland),
auch nur die Dekadenten dazu bereit sind; 2.) die
Wahrscheinlichkeit des baldigen Todes der eigenen (Abstammungs-) Kultur würde
dadurch sehr viel größer, und ich weiß, daß dies der eigentliche
Wille der Nihilisten ist (vgl. auch Kulturnihilismus);
3.) die Wahrscheinlichkeit des baldigen Todes eines
eventuell lebenden Kulturbastards würde dadurch ebenfalls sehr viel größer,
denn die Geschichte zeigt, daß Kulturbastarde nicht alt geworden sind; 4.)
die Wahrscheinlichkeit für den Anstieg von Gewalt und Tod würde dadurch
ebenfalls sehr viel größer.Es besteht eine merkwürdige
Ähnlichkeit zwischen der Entstehung von Arten und der von selbständigen
Kulturen. .... In der Tat verhalten sich Kulturen, die einen bestimmten Grad der
Verschiedenheit voneinander erreicht haben, in vieler Hinsicht ähnlich zueinander,
wie verschiedene, aber sehr nahe verwandte Tierarten es tun. Die nahe Verwandtschaft
zu betonen ist deshalb wichtig, da in keinem bekannten Fall zwei Kulturgruppen
durch divergente Entwicklung ethologisch und ökologisch so verschieden voneinander
geworden sind, daß sie in reibungsloser Beziehungslosigkeit und, ohne einander
Konkurrenz zu machen, friedlich nebeneinander im gleichen Gebiet wohnen könnten.
Angesichts der grundsätzlich vorhandenen Möglichkeit, Kulturen miteinander
zu vermischen, muß man sich fragen, woher es eigentlich kommt, daß
sie sich so lange unbeeinflußt erhalten können, wie sie es in der Weltgeschichte
tatsächlich getan haben und ... noch tun. Die Gebräuche, die Manieren
der eigenen Gruppe werden als »fein« empfunden, die aller anderen,
einschließlich der objektiv gleichwertigen Konkurrenzgruppe, als unfein,
und zwar in genau nach Ähnlichkeiten abgestuften Graden. Der emotionale Wert,
der in dieser Weise auf alle gruppeneigenen Ritualisierungen gelegt wird, und,
parallel dazu, die gefühlsmäßige Abwertung aller nichtgruppeneigenen
Verhaltensmerkmale, vergrößert nicht nur den inneren Zusammenhalt der
Gruppe, sondern trägt auch zu ihrer Isolierung von anderen Gruppen und damit
zur Unabhängigkeit ihrer weiteren kulturellen Entwicklung bei. Dies hat analoge
Folgen wie die geographische Isolierung für den Artenwandel. Die verhältnismäßig
festen Barrieren, die von den ... Vorgängen zwischen zwei divergent sich
entwickelnden Kulturkeimen errichtet werden, sind für alle Kulturen kennzeichnend
und für ihre Höherentwicklung offenbar unentbehrlich. (Erlung
Kohl, Vom Wert der Mannigfaltigkeit - Ethnologische Grundlagen jeder Bevölkerungspolitik,
in: Andreas Mölzer & Rudolf Eder, Einwanderungsland Europa?,
1993, S. 15-16).
Also noch einmal: es gibt zwar grundsätzlich die Möglichkeit, daß
Kulturen sich vermischen, jedoch sind die Bedingungen dafür und die Begleitumstände
sehr hart und problematisch, so dermaßen gefährlich, daß man
nur davor warnen kann.
Der Mensch, von Natur aus ein
Kulturwesen (),
kann ohne das Stützskelett, das ihm seine Zugehörigkeit zu einer
Kultur und seine Teilhaberschaft an ihren Gütern verleiht, schlechterdings
nicht existieren. .... Die Einwanderer ... verhindern eine vertretbare
und gezielte Assimilisation, die den Zuwanderern eine »neue Identität«
in einer »neuen Heimat« ermöglichen könnte. So entsteht
dann eine rassenverachtende, weil rassenvernichtende »multi-kulturelle
Gesellschaft«, der »sanfte« Genozid geht um. In weiterer
Folge kommt es zum bekannten »melting pot«, dessen Probleme
wohl nie (oder nur in erdgeschichtlichen Zeiträumen) befriedigend
gelöst werden können, da hier alle Bezugspunkte zu Geschichte,
Tradition, Kultur, Religion und den Ahnen total abhanden gekommen sind.
.... Alle angeführten Faktoren weisen uns den Weg, eine Vielfalt
von Kulturen und Völkern in ihren angestammten Gebieten, im ihrer
ökologischen Heimat zu erhalten. Die Angst des Menschen fördert
familiale und Gruppenabgrenzungen und damit die Entwicklung ethnischer
Differenzierungen. .... Wir müssen ... die multikulturelle Gesellschaft
... vermeiden. (Verwendete und weiterführende
Literatur: Konrad Lorenz, Das sogenante Böse, 1963; Die
Rückseite des Spiegels, 1973; Die acht Todsünden der
zivilisierten Menschheit, 1973; Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Liebe
und Haß, 1970; Krieg und Frieden aus der Sicht der Verhaltensforschung,
1975; Die Biologie des menschlichen Verhaltens, 1984; Grundriß
der Vergleichenden Verhaltensforschung, 1987; Der Mensch - Das
riskierte Wesen, 1988, Hubert Markl,
Evolution, Genetik und menschliches Verhalten, 1986; Erlung Kohl,
Revier - Heimat - Nationale Identität, ökologische Notwendigkeiten
und gesellschaftliche Realitäten, 1992; Ernst Haeckel, Anthropogenie
oder Entwicklungsgeschichte des Menschen, 1874; Ilse Schwidetzky [Hrsg.],
Die neue Rassenkunde, 1962; Oswald Spengler, Der Untergang des
Abendlandes, 1918-1922). ().
Klaus
Kunze: Während die genetische Verschiedenheit der Menschenrassen noch
vergleichsweise gering ist, unterscheiden wir uns ... kulturell gewaltig. Die
verschiedenen Kulturen gleichen auf einer anderen Ebene den verschiedenen Rassen
der Menschheit und verschiedenen Arten des Tierreichs. Man spricht hier von »Pseudo-Artbildung«.
Wie die Tierarten und die Menschenrassen bestimmte klimatische, geographische
und temporäre Nischen besetzen und sich anpassen, ist auch die Ausbildung
menschlicher Kulturen eine Anpassungsleistung, ein informationsgewinnender Vorgang.
Die Information über die Außenwelt wirkt auf die Kultur zurück
und verändert sie. Dieser Prozeß ist die eigentliche Überlebensleistung
und führte bisher zu stetiger Höherentwicklung des Lebens und der Kulturen.
().
Fragt sich jedoch nur: Wie lange noch? Kunze: Er darf nicht enden
- um den Preis des Überlebens selbst darf er das niemals. ().
Aber er wird enden! Kunze: Unveränderliche äußere Konstanten
gibt es in der menschlichen Entwicklungsgeschichte nicht. ().
Aber es spricht doch sehr vieles für diese Konstanten! Kunze: Jeder
Verzicht auf Anpassung kann nur im Untergang enden, sei dieser das Aussterben
eines Volkes, die Auslöschung einer Kultur oder gar der ganzen Menschheit.
Eine bestimmte Problemlösungsstrategie dürfen wir unseren Kindern nie
als unveränderlich in die Wiege legen; unwandelbar sind nur die Inschriften
von Grabsteinen. ().
Aber die Inschriften von Grabsteinen sind sehr wohl wandelbar!
Ewig ist nur die Energie! | Leider
gibt es eben doch die Wandelbarkeit. Sogar unser Planet, unsere Sonne, unser Sonnensystem,
unsere Galaxie sind wandelbar. Die Erde wird vergehen. Die Sonne hat die Hälfte
ihres Aktiv-Alters (Kernfusionsalters) fast beendet oder sogar schon
überschritten; und die 2. Hälfte ihres Aktiv-Alters heißt
auch, daß die Sonne sich gegen ihre Planeten wenden muß. ().
Und auch Galaxien sind zum Vergehen verurteilt, auch die ganze Materie
(sie wird dann in Strahlung verwandelt sein), sogar auch die Schwarzen Löcher.
Ja, wenn selbst die vergangen sein werden, wird es in unserem Universum wirklich
nichts mehr geben außer Neutrinos und Photonen in der Art von extrem langwelliger
elektromagnetischer Strahlung. ().
- Naiv ist, wer glaubt, das Leben im Universum könne ewig dauern; naiver
ist, wer glaubt, das Leben auf der Erde könne ewig dauern; am naivsten ist,
wer glaubt, sein Leben könne ewig dauern. Selbst dann, wenn unsere
Genetiker in der Zukunft den Menschen das ewige Leben (der Begriff
ist falsch!) ermöglichen würden, bedeutet das nicht, daß es wirklich
ewig sein würde, weil es physikalisch unmöglich ist. Das
Leben kann letztendlich nur relativ verstanden werden. Das ewige Leben
ist nur metaphysisch möglich, weil physisch unmöglich. Was dem ewigen
Leben fehlt, ist die Grundvoraussetzung. Die Grundvoraussetzung für
alles Biologische sind das Chemische und das Physikalische. ().
Folglich sind sie auch für alles Kulturelle die Grundvoraussetzung - doch
für alles Kulturelle ist außerdem noch das Biologische die Voraussetzung.
().
Wenn also das Biologische nicht ewig sein kann, dann kann es das Kulturelle
erst recht nicht. Werden und Vergehen sind Konstanten!
Wenn aber Werden und Vergehen Konstanten sind,
dann steckt in ihnen auch Dauer und Wiederkehr. Doch Werden und Vergehen
bleiben natürlich nur so lange konstant, wie sie eben dauern
und wiederkehren. Denn letztendlich ist nichts von Dauer (wie schon gesagt):
Nichts ist bekanntlich von Dauer; auch das härteste Gestein
unterliegt der Erosion und dem Zerfall mit der Zeit. Das Leben muß
dieser Gesetzmäßigkeit allein schon deswegen massiv entgegenwirken,
um sich überhaupt erhalten zu können. Die Physik bezeichnt dieses
Naturphänomen als Entropie ()
und betont ihre unvermeidbare Zunahme mit der Zeit. Das Leben muß
sich gegen diese Entropie stemmen. Wie es das schafft, ist im Grundsatz
bekannt, aber in vielen Details noch immer reichlich unverstanden. Der
Grundsatz besagt, daß Leben Energie aufnehmen muß, um beständig
gegen den Zerfall, gegen die Entropie, sich selbst immer wieder aufzubauen.
.... Der Physiknobelpreisträger Ilya Prigogine bezeichnete die Organismen
daher als »dissipative Strukturen«, weil sie schneller, als
es dem physikalischen Zerfall entspricht, Energie in Entropie umwandeln
und davon selbst leben. Sie halten sich - solange sie leben - »fern
vom Gleichgewicht«. Nähern sie sich dem physikalischen Gleichgewicht
an, gehen sie zugrunde. Der Tod ist das Erreichen des (thermodynamischen)
Gleichgewichts. In einer solcherart physikalischen Beschreibung erscheint
Leben als ein Prozeß, der sich von der unbelebten Welt abgelöst,
also emanzipiert hat. (Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte,
2008, S. 39).
| | Vermehrung | Körpergröße | | Lebensdauer
des Individuums | Lebensdauer
der Art | Extrem
A | groß | klein | | kurz | lang | Mitte | | | | | | Extrem
B | klein | groß | | lang | kurz |
|
Wir
können in den höchst bedeutsamen, weil das ganze Leben auf der Erde
grundsätzlich charakterisierenden Vorgängen zwei Richtungen erkennen.
Die eine, die alte und und ursprüngliche, geht von der schnellstmöglichen
Vermehrung aus. Die Organismen selbst bleiben (winzig) klein, und es sind die
Produkte ihres Stoffwechsels, die sich anhäufen und die zu neuen Ressourcen
mit der Zeit werden. Die andere sammelt gleichsam Kapital an. Ihr Anwachsen ist
mit starker Größenzunahme verbunden. Die Ressourcen, die Bäume
in ihren Stämmen ansammeln, sind den anderen, den Konkurrenten, weggenommen.
Man kann diese Verfahrensweise auch »Monopolisierung« nennen. Bäume,
die schneller als ihre Nachbarn wachsen, übergipfeln diese und unterdrücken
sie. Von Zehntausenden, die als Sämlinge angefangen haben, bleibt vielleicht
einer übrig. Die anderen sind durch die zunehmende Konkurrenzkraft dieses
einen Baumes erdrückt und verdrängt worden. Der »Gewinn«
liegt in der Langlebigkeit und in der damit verbundenen Dauerhaftigkeit. Der Nachteil,
am Ort festgesetzt zu sein, muß dadurch ausgeglichen werden, ansonsten würde
sich diese Lebensweise nicht lohnen und keinen Bestand auf Dauer haben können.
Je nach Art der örtlichen Lebensbedingungen, ob stark flukturierend oder
länger andauernd gleichbleibend, hat die eine oder die andere Form Vor- und
Nachteile. Eine absolut überlegene Strategie gibt es nicht. Die »Mitte«
zwischen den Extremen, zwischen mikroskopisch kleinen Organismen und den gewaltigen
Bäumen, bilden unter den Pflanzen vor allem die langlebigen Gräser.
().
| | Vermehrung | Raumgröße | | Beständigkeit
des Individuums | Beständigkeit
der Kultur | Werdende
Kultur | groß | klein | | kurz | lang | Mitte
der Kultur | | | | | | Vergehende
Kultur | klein | groß | | lang | kurz |
|
Die
zwei Richtungen und die Mitte zwischen ihnen ()
kann man auch in den ebenfalls höchst bedeutsamen, weil die ganze Geschichte
der Kultur ja grundsätzlich charakterisierenden Vorgängen erkennen.
Eine werdende Kultur investiert in ihre Vermehrung viel, in ihre Raumgröße
(Expansion) nur wenig; in einer werdenden Kultur bedeutet der Einzelne als Individuum
nur wenig, die Gemeinschaft als eine Kultur viel. Mitte
der Kultur bedeutet eine Kultur zwischen Blüte und Reife;
in diesen Phasen ist die Kultur - abgesehen von Schwankungen, die sogar auch in
jeder Phase einer Kultur immer wieder auftreten - ausgeglichener als
in den Phasen ihrer (werdenden und vergehenden) Extreme. Bei einer
vergehenden Kultur sind die für sie charakteristischen Vorgänge natürlich
umgekehrt zu denen der werdenden Kultur. Eine vergehende Kultur investiert
in ihre Vermehrung nur wenig, in ihre Raumgröße (Expansion) viel; in
einer vergehenden Kultur bedeutet der Einzelne als Individuum viel, die Gemeinschaft
als eine Kultur nur wenig. Jede Kultur erlebt ihren
ersten Winter, ihren ersten Frühling, ihren ersten
Sommer, ihren ersten Herbst und ihren zweiten Winter.
Und weil die Geschichte der Menschheit auf zwei Bahnen ()
verläuft, gilt dies für die menschlichen Historienkulturen ()
und die gesamte menschliche Evolution, die Menschenkultur ().
| | | BLAU
= R-Strategie - ROT
= K-Strategie |
Außer
den eben angesprochenen zwei Richtungen ()
gibt es noch zwei Strategien: die R-Strategie und die K-Strategie ().
Bei der Produktion von Nachkommen sind R-Strategen Maximalisten und K-Strategen
Minimalisten; bei der Aufzucht von Nachkommen sind K-Strategen Maximalisten
und R-Strategen Minimalisten. R-Strategen neigen dazu, wenig bis gar nichts in
die Aufzucht ihrer Nachkommen zu investieren, dafür produzieren sie aber
viele bis sehr viele Nachkommen, haben einen kleinen Körper und ein kleines
Gehirn, beginnen früh mit der Fortpflanzung, sterben früh und führen
kein qualitativ geprägtes Leben; K-Strategen neigen dazu, viel bis sehr viel
in die Aufzucht ihrer Nachkommen zu investieren, dafür produzieren sie aber
nur wenige bis sehr wenige Nachkommen, haben einen großen Körper und
ein großes Gehirn, beginnen spät mit der Fortpflanzung, sterben spät
und führen ein qualitativ geprägtes Leben. Sowohl in der Evolution als
auch in der Kulturgeschichte (als der speziellen Evolution sozusagen)
bieten für die R-Strategen die überwiegend quantitativen
und für die K-Strategen die überwiegend qualitativen Zeiten
Überlebensvorteile.
Es gibt bestimmte Phänomene, Prinzipien und Strategien, die einfach
immer wieder auftauchen, so z.B. in der Evolution des Lebens bestimmte
körperliche Organe, Größe, Umweltanpassung und -distanzierung,
gegenseitige Aufrüstung (Verhalten von Jägern und
Gejagten), R-Strategie und K-Strategie ()
und andere Strategien des Überlebens. Sie führen immer wieder
zu ähnlichen oder sogar gleichen, aber eben nicht zu selbigen Erscheinungsbildern.
In der Entwicklung gibt es also Wiederholungen (z.B. dem Typus nach) und
Konstanten aufgrund von Analogien, nicht aber aufgrund von völligen
Identitäten. Dies ist etwas, was man aus meinen natur- und kulturphilosophischen
Axiomen unmittelbar ableiten kann. Wenn sich ein wie auch immer geartetes
Phänomen spiralzyklisch entwickelt, dann hat es zwar prinzipiell
keine Möglichkeit zu einer anderen Identität als der eigenen;
aber es hat die Möglichkeit, ja ist sogar der Notwendigkeit unterworfen,
sich auf analoge Weise zu entwickeln. Es gibt nichts, was nicht auf analoge
Weise schon einmal existiert hätte. Das, was wirklich neu hinzukommen
kann, bezieht sich immer nur auf Identitäten. Warum das so
ist, hat bisher noch kein Wissenschaftler oder Philosoph herausgefunden.
Was
ist der Mensch? | Anthropologisch-biologisches
Argument
| | Politisch-juristisch-moralisches
Argument
|
Zu über 99% ist der
Mensch Jäger und Sammler | | Zu
über 99% ist er Universalbürger und (Frei-)Wähler | Seine
Natur ist seine Kultur und im Extremfall noch mehr |
| Seine
Natur steht in der Bibel und im Extremfall im Strafgesetzbuch | Weltoffenes
Tier, Distanzwesen, Werfer, Aufrecht-Geher, Stein-, Werkzeug-, Feuer-, Sprachnutzer |
|
Gottähnliches
Einzelwesen, das die Natur beherrschen, also zaubern können soll |
Gemeinschaftswesen
(in: Paar, Familie, Sippe, Stamm, Volk, Nation, Kultur) |
| Individuum
und Universalwesen (Menschheit) | Mängelwesen
(darum: Zwang zu hoher Kultur) | |
Engel-/Bengel-Wesen (darum: Zwang zur Zivilisation) | Luxuswesen
(darum: Zwang zum Kultur-Untergang) | |
Robinson-Crusoe-Wesen (Rechtfertigung der Expansion) | Als
weltoffenes Sozialwesen braucht er Institutionen | | Als
Individualwesen braucht er nur Genuß und Spaß | Rangordnung
bedeutet Ausgleich und Harmonie | | Rangordnung
bedeutet Streß und Disharmonie | Ungleichheit
der Geschlechter | | Gleichheit
der Geschlechter | Xenophobie
ist angeboren | | Xenophobie
ist ein Verbrechen (Sündenfall) | Territorialverhalten | | Allerweltsverhalten,
Global(ismus)verhalten | Instinkt
für Eigentum | | Liberalismus-
und/oder Sozialismus-Bezug zu Eigentum | Aggression
ist mehr angeboren als anerzogen | | Aggression
ist mehr anerzogen als angeboren | Pädagogik
ist wichtig (explorative Aggression u.ä.) | | Parteipolitik
ist wichtig (Politkorrektheit u.ä.) | Die
Biologie lehrt uns auch vieles über die Politik | | Die
Politik soll die Lehre der Biologie bestimmen | Kulturen
sind ähnlich wie biologische Arten | |
Kulturen sollen sich
vermischen, also verschwinden |
| Hier
der Mensch | | Hier
der Wunsch |
W e i t e r e B e s c h r e i b u n g e n
f ü r d a s , w a s
d e r M e n s c h i s t
|
Sprechendes
Tier (seine Sprache ist - selbstredend
- die menschenspezifische Sprache) | Religiöses
Tier | Historisches
Tier | Künstlerisches
Tier | Technologisches
Tier | Eigentumsökonomisches
Tier | F a z i t : | Transzendentes
bzw. weltoffenes Tier (ein menschenspezifisches Sozial-, Gemeinschafts-, Kulturwesen) |
Menschen sind Gemeinschaftswesen. Sie kooperieren
gerne, und nur deshalb haben sie sich in der Evolution durchsetzen können.
Körperlich ist der Mensch fast jedem Raubtier unterlegen; er kann
nicht einmal schnell fliehen (auch nicht mehr auf die Bäume). Nur
in der Gruppe ist der Mensch wirklich stark. Im Menschen ist die für
das Überleben nötige Gemeinschaftsbezogenheit genetisch tief
verankert. Zwar entwirft der Mensch Idealbilder von sich selbst, vergißt
aber dabei sein unbewußtes stärkeres Bedürfnis, sich der
Gemeinschaft zu unterwerfen und sich der Autorität zu beugen. Und
ob ein Mensch andere Menschen z.B. erniedrigt, hängt nicht so sehr
von seinen Charaktereigenschaften ab, sondern von dem Konformitätsdruck
seiner Gruppe. (Vgl. Gruppendynamik). Im extremen Fall darf dann über
bestimmte Themen entweder nur noch in einer ganz bestimmten Wortwahl -
also: politisch korrekt - oder gar nicht gesprochen werden, ansonsten
wird man von scharfen Signalen gesellschaftlicher Ächtung getroffen.
(Vgl. politische Korrektheit, Schweigespirale). Daß
in der Bundesrepublik Deutschland zwischen veröffenlichter Meinung
und tatsächlicher Meinung heute eine große Kluft besteht, ist
wahrhaftig kein Wunder. Das Faktum, daß der Mensch ein Gemeinschaftswesen
ist, also auch unter einem gewissen Zwang der Gruppendynamik steht und
zum Schweigen gebracht werden kann, wird von den Herrschenden mächtig
ausgenutzt. Trotzdem: Macht und Gemeinschaft schließen sich nicht
etwa aus (wie linke oder andere michelige Träumer glauben), sondern
gehören unbedingt zusammen. Der Mensch als Gemeinschaftswesen wird
von der Macht (und der jeweiligen Situation) innerhalb seiner Gemeinschaft
(die nur mit einer Herrschafststruktur existieren kann) bestimmt - und
das steht überhaupt nicht im Widerspruch zu seinem Willen zur Macht.
Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das
immer wieder versucht, die Natur zu beherrschen, die Evolution auszutricksen,
sich aus der Welt der Lebewesen, der Biologie auszuklammern, das Einzelwesen
über das Gemeinwesen zu stellen, das Individuum über ein Dividuum,
ein Paar, eine Familie, eine Sippe, ein Stamm, ein Volk, eine Nation,
eine Gemeinschaft zu stellen. Der Mensch versucht dies deswegen immer
wieder, weil seine Natur die Kultur ist, er sich selbst feststellen will
und deshalb sich scheitern sehen muß. Es ist zwecklos, den Menschen
diesbezüglich aufklären, belehren, therapieren zu wollen, er
wird es immer wieder versuchen. Das schicksalhafte Dilemma des Menschen
besteht darin, daß er einerseits ein Tier, das er ist, nicht sein
will, andererseits ein Gott, der er sein will, nicht sein kann. Das Mängelwesen
Mensch hat sich einerseits erfolgreich aus seiner Umwelt gelöst und
ist darum im Gegensatz zu allen anderen Tieren weltoffen,
doch andererseits wie alle anderen Tiere ein Teil der Natur und darum
auch nur ein Lebewesen und kein Gott. Er ist zur Rolle eines Halbgottes
verdammt, wobei die Gott-Tier-Zwickmühle ihn ständig
matt setzen kann.
Aus
Sicht der natürlichen Evolution ist der Mensch ein Mängelwesen, darum
zu seiner Kultur gezwungen, aber aus Sicht der kulturellen Evolution ist der Mensch
ein Luxuswesen, darum zu seinem kulturellen Untergang gezwungen. Peter Sloterdik,
der Gehlens Anthropologie sehr lobt, sieht aber dennoch nicht primär wie
Gehlen, der hierbei insbesondere von Herder ausgeht, im Menschen ein Mängelwesen,
sondern ein Luxuswesen. Das Wohnen in Häusern führt immer zu Verwöhungen
().
(Peter Sloterdijk / Hans-Jürgen Heinrichs, Die Sonne und der Tod, 2001,
S. 19). Weil wir beim Menschen dessen Natur und Kultur berücksichtigen
müssen, bestimmen wir sein Wesen: Mängelwesen und Luxuswesen.
Die Erinnerung an dieses ingeniöse, fürs erste auch
scheinbar gelungene Manöver - die Vordatierung der menschlichen Armut
vor jede historisch und sozial konkrete Manifestation des Mangels an Produkten,
Chancen und Ressourcen - ist in den Annalen der Kulturwissenschaften mit
dem Werk Arnold Gehlens verbunden, eines Gelehrten, dem man nicht zu nahe
tritt, wenn man ihn als den - vor Niklas Luhmann - geistreichsten unter
den bekennenden Konservativen des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Seiner
Stellung in der jüngeren Ideengeschichte gemäß ist Gehlen
ein nach rechts versetzter Junghegelianer, der die Sorge um die empirische
oder anthropologische Materialisierung der Philosophie zu seiner persönlichen
Angelegenheit erklärt hatte. Man kann in Gehlens Ansatz einen deutschen
Weg zum Pragmatismus sehen; seine Losung heißt Skepsis gegen die
Verblasenheiten des »unwirklichen Geistes«, sein Erkennungszeichen
ist Verachtung für die Wörtergläubigkeit der Intellektuellen.
In typologischer Sicht läßt sich Gehlens Intelligenz als eine
jesuitische charakterisieren, da sie ihre besten Möglichkeiten einer
quasi gegenreformatorischen, an den Stärken des Gegners geschulten
Haltung konservativen Widerstands verdankt. Sogar der paradoxe Titel eines
Avantgarde-Konservativen, den italienische Gesprächspartner in den
1970er Jahren an Luhmann verliehen hatten, ist unbemüht auf den um
fast eine Generation älteren Gehlen rückübertragbar. Sein
Name verdient es, noch vor Freud, Lacan, Adorno und Carl Schmitt genannt
zu werden, wenn man versucht, den erfolgreichsten Modernisierern des pessimistischen
Syndroms im 20. Jahrhundert in die Karten zu schauen. (Peter Sloterdijk,
Spären III - Schäume, 2004, S. 701). Was das ...
Schlüsselwort Ausbeutung ... in prozeßlogischer Sicht bedeutet,
ist erst explizit artikulierbar geworden, nachdem die philosophische Anthropologie
des 20. Jahrhunderts, vor allem infolge von Arnold Gehlens Bemühungen,
einen hinreichend abstrakten Begriff der Entlastung entwickelt hat. (Zur
Auseinandersetzung mit diesem Begriff vgl. Peter Sloterdijk, Sphären
III - Schäume, S. 699-711. Dort wird gezeigt, daß Arnold
Gehlen aufgrund seiner institutionalistischen Interessen nur den illiberalen
Strang von Konsequenzen aus dem Begriff entwickelt hat.). Seit
den Kulturwissenschaften dieses Konzept zur Verfügung steht, lassen
sich allgemeine Aussagen über die Evolutionsrichtung hochtechnologischer
sozialer Komplexe formulieren, die systemisch und psychologisch um einiges
griffiger sind als die fühlbar naiven Emanzipations- und Fortschrittsthesen
des 19. Jahrhunderts. (Peter Sloterdijk, Im Weltinnenraum des
Kapitals, 2005, S. 349-350).
Die Lebensordnung der Natur ist gekennzeichnet von
massenhaftem Entstehen und Vergehen, großer Fruchtbarkeit und großer
Sterblichkeit. Viele Lebewesen sterben, noch ehe sie zu individueller Fortpflanzung
gelangen. Nur eine Minderheit vermag ihre physiologischen Möglichkeiten auszuschöpfen
und ihre biologisch vorgegebene Lebensspanne zu durchlaufen. Individuelles Leben
ist dem Leben der Gattung nachgeordnet. Diese Ordnung hat sich in einer langen
Entwicklung bewährt. Das gilt auch für die längste Zeit der Menschheitsgeschichte.
Der Einzelne ist der Gemeinschaft nachrangig. Die Gemeinschaft ist nicht nur Voraussetzung,
sondern auch Seinsgrund individueller Existenz. Als wesenhafter Bestandteil der
Gemeinschaft geht der Einzelne in ihr auf. (Meinhard Miegel, Das Ende
des Individualismus - Die Kultur des Westens zerstört sich selbst, 1993,
S. 15).
Die Individualisierung beginnt erst in historischer Zeit, und in dieser historischen
Zeit ist sie ganz besonders stark ausgeprägt in den jeweils späten Phasen
einer jeden Historienkultur ().
Zunehmende Individualisierung bedeutet abnehmende Fruchtbarkeit. Individualismus
bedeutet Unfruchtbarkeit.
| |
Es besteht aller Anlaß, historischen Phänomenen wie
Wiederholung und Regelmäßigkeit, Dauer und Wiederkehr erheblich mehr
Aufmerksamkeit zu widmen, als dies unter der suggestiven Einwirkung des progressiv-linearen
Modells lange Zeit der Fall gewesen ist. Solche Konstanten sind geschichtswirksamer,
als man sich das zumeist vorstellt, selbst in chaotisch-turbulenten Zeiten.
(Ulrich March, Dauer und Wiederkehr - Historisch-politische Konstanten,
2005, S. 13).
Die Polarität zwischen Werden und Sein muß wieder mehr beachtet werden,
weil es um Komplemetarität geht, weil das eine ohne das andere nicht
denkbar ist. Diese Polarität tritt in vielen Bereichen in Erscheinung, in
der Physik beispielsweise als Gegensatz von »Bewegung« und »Trägheit«.
Das Trägheitsgesetz besagt, daß jeder Körper im Zustand der Ruhe
oder der gleichförmigen Bewegung verharrt, solange keine entsprechend starke
äußere Kraft auf ihn einwirkt. Entsprechend spielt sich alle Geschichte
im Spannungsfeld zwischen Wandel und Beharrung ab, wobei - wie in der Welt der
Physik - die Veränderungsdynamik stets auf den Widerstand der Beharrungskräfte
stößt. Erst aus dieser bipolaren Spannung und der Wechselwirkung beider
Kräfte ergibt sich Geschichte. Akzeptiert man diese Grundvorstellung, dann
folgt daraus, daß bei der Interpretation historischer Erscheinungen stets
beide Seiten zu berücksichtigen sind. (Ebd., S. 128).
Auch Marchs Untersuchung hat nicht den geringsten Anhaltspunkt für
eine Aufwärtsentwicklung des Menschen im Sinne einer qualitativen Verbesserung
seiner Fähigkeiten ergeben. »Fortschritt« hat es nicht in der
inneren, sondern allenfalls in der äußeren Welt des Menschen gegeben.
(Ebd., S. 128). Der Umstand, daß es Dauer und Wiederkehr in
der Geschichte überhaupt gibt, und zwar in beträchtlichem Umfang, schließt
eine unbegrenzte menschliche Willensfreiheit definitiv aus, ebenso die totale
Plan- und Machbarkeit der menschlichen Verhältnisse. .... Weder eine fallende
noch eine aufsteigende Gerade sind somit geeignet, den Gang der Geschichte zu
veranschaulichen. .... Ein angemessenes Abbild des Geschichtsverlaufs könnte
deshalb eine Kurve darstellen, die diese Mängel vermeidet: die unregelmäßige
Spirale. (Ebd., S. 130-131).
|