Geleitwort (Gerhard Wehr)Die Geschichte lehrt uns, daß
junge dynamische Staten erfolgreich sind und auch Wirtschaftswachstum produzieren.
Es sind nicht allein die Bedürfnisse junger Menschen im Gegensatz zu älteren,
sondern auch Phantasie und Erfindungsreichtum wachsen vermehrt in einem kinderreichen
Gemeinwesen. (Ebd., S. 7).Unserer Volkswirtschaft fehlen
gerade diejenigen jungen Menschen, denen ein Lebensrecht nicht zugestanden wird.
Warum? In erster Linie, weil Wirtschaft und Politik seit mehr als 40 Jahren
(der Text ist von 2003; Anm. HB) kinderfeindlich
orientiert sind. Kinder zu haben, ist zunächst Privatsache. Später bemächtigt
sich die Gesellschaft der Arbeitskraft, um sie für vielerlei angebliche Machtinteressen
zu nutzen. Eltern werden mit verfassungswidrigen Steuern auf das Haushaltseinkommen
und den Verbrauch der Kinder belegt, die in der Bundesrepublik Deutschland jährlich
mehr als 25 Mrd. Euro ausmachen. Das Kindergeld und Steuerfreibeträge haben
sich die Eltern allein verdient. Darüber hinaus gibt es keine echte staatliche
Leistung für Familien, wenn man bedenkt, daß allein 80 Mrd. Euro von
den Familien mit mehreren Kindern jährlich in die Alterssicherung der gesetzlichen
Rentenkassen fließen, die sich ja vorwiegend aus dem Umlageverfahren finanzieren.
Wenn diese Familien nicht existieren würden, wäre jedwede finanzielle
Alterssicherung gesetzlich oder privat nicht mehr existent. (Ebd., S. 7).Die
Nachbarstaaten wie z.B. Frankreich oder die skandinavischen Länder mit höheren
Geburtenraten investieren seit vier Jahrzehnten das dreifache in Kinder und Nachwuchs.
Wenn auch in diesen Ländern von echter Leistungsgerechtigkeit nicht gesprochen
werden kann, so erklärt sich doch dadurch die höhere Geburtenrate und
das höhere Wirtschaftswachstum dieser Staaten. Der Weg in die Deflation ist
unserer Wirtschaft vorgezeichnet. Die sozialen Sicherungssysteme sind nicht mehr
zu finanzieren. Politik ist nicht in der Lage, weder die Ursachen unserer Misere
zu erkennen noch die Rechte in unserem Gemeinwesen so zu verteilen, daß
Kinder-Eltern (ohne eine leistungsstarke Lobby) die ihnen zustehenden Rechte hinsichtlich
Angekommensein, Erziehung und Ausbildung auch erhalten. Frage: Wie lange wird
diese fragile Demokratie diesen Zustand noch ertragen? (Ebd., S. 7-8).
Vorwort und Einleitung (Christian Leipert) Vorwort:
In diesem Buch sind die Vorträge und Statements versammelt, die
auf dem Europäischen Kongreß »Demographie und Wohlstand - Neuer
Stellenwert für Familie in Wirtschaft und Gesellschaft« gehalten und
für die Veröffentlichung überarbeitet und erweitert worden sind.
Dieser Kongreß fand am 12. und 13. Juni 2003 in berlin, und zwar im haus
der Deutschen Wirtschaft, statt. (Ebd., S. 9).Inhaltlich
bildet sicherlich die Überzeugung einen dichten roten Faden, daß einerseits
die Familie und ihr Leistungsprofil für Wirtschaft und Gesellschaft weiterhin
konstitutiv und unerläßlich sind und daß andererseits Familien
ungeachtet ihrer funktionalen Bedeutung für die Gesellschaft von der Politik
dramatisch vernachlässigt werden, ja sogar »eine strukturelle Rücksichtslosigkeit
der Gesellschaft gegenüber den Belangen der Familie und ihren Kindern«
(F.-X. Kaufmann)
zu konstatieren ist. (Ebd., S. 9).Einleitung: Gegenstand
des Buches ist der Bedutungsgewinn der Familienpolitik angesichts der demographischen
Herausforderung der Zukunft in Europa. Die zukünftigen Belastungen der Gesellschaft
- insbesondere im System der Sozialversicherungen - durch das anhaltend niedrige
Geburtenniveau begründen eine Renaissance der Familienpolitik. Ein Schwerpunkt
des Buches liegt auf der Herausarbeitung der Leistungen, die Familien beim Aufziehen
der Kinder erbringen und auf die die Gesellschaft auch und gerade in Zukunft angewiesen
bleibt. Diese familiären Leistungen bilden die wichtigste Quelle des Humanvermögens
einer Gesellschaft, das wiederum heute der zentralste Bestimmungsfaktor des langfristigen
Wirtschaftswachstums und der Produktivitätsentwicklung eines Landes ist.
(Ebd., S. 11).In dem Buch werden in mehreren Beiträgen die
demographischen Problemlagen, die sich für die Zeit bis 2050 abzeichnen,
grundlegend hearusgearbeitet. Hierzu tragen bei der renommierte Bevölkerungswissenschaftler
Birg,
der Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung Sinn,
... der bekannte Demograph Schmid,
z.T. auch der Ökonomie-Nobelpreisträger Becker
von der Universität Chikago ...Dabei stehen die seit Ende der 1960er Jahre
daramatisch gesunkene Geburtenrate und deren Ursachen im Vordergrund der Überlegungen.
Die Autoren widmen sich auch soziologischen Erklärungsansätzen, die
auf die Bedeutung säkularer Veränderungen wie den Veränderungen
der Rolle der Frau in den vergangenen 50 Jahren verweisen. Ihr Schwerpunkt liegt
allerdings auf der Analyse ökonomischer faktoren und speziell auch ökonomischer
Fehlanreize politischer Regelungen (wie der gesetzlichen Altersrentenversicherung),
dei den Rückgang der Geburtenrate erklären können (Birg, Sinn,
Becker). (Ebd., S. 11). Abhilfemöglichkeiten, die an
den Ursachen der demographischen Probleme der Alterung und Schrumpfung ansetzen,
werden in einer Neuausrichtung und massiven Aufwertung der Familienpolitik (Birg,
Schmid)
gesehen, die sich auch in einer Reform der Rentenversicherung (Sinn),
die den Wert der Kindererziehung für die Bemessung der Altersrente grundlegend
neu und höher bestimmt, äußern sollte. (Ebd., S. 11).So
wird das Für und Wider der Einwanderung erörtert. Dabei ist für
alle Autoren unstreitig, daß Einwanderung kein Allheilmittel der demographischen
Krise ist. Im Gegenteil, wenn sie nicht ökonomisch gezielt betrieben wird,
kann die ökonomische Nettobilanz für das Aufnahmeland -insgesamt gesehen
-sogar negativ ausfallen (Birg,
Sinn).
(Ebd., S. 12).Eine klassische Anpassungsstrategie der Rentenpolitik
an die Schrumpfung der Zahl der aktiven Beitragszahler und die Zunahme der Lebenserwartung
ist die Anhebung des Rentenalters. Becker
kritisiert in seinem Beitrag schart. die anhaltende Tendenz zur Frühverrentung
in Deutschland und in anderen Ländern Westeuropas. Er verweist dagegen auf
die neueste Entwicklung in den USA hin zu einer Anhebung der Altersgrenze auf
67 Jahre. Auch die viel stärker als in Europa in der Gesellschaft verwurzelte
markwirtschaftliche Gesinnung erlaube es einem Großteil der Arbeitskräfte
in den USA, jenseits der offiziellen Altersgrenze weiterzuarbeiten. (Ebd.,
S. 12).Ein klarer Schwerpunkt des Buches liegt auf Beiträgen,
die die Bedeutung der Leistungen, die Familien bei der Aufzucht ihrer Kinder mit
ihrer Erziehungs-, Betreuungs- und Bildungsarbeit erbringen, für Wirtschaft,
Gesellschaft und Politik herausarbeiten. Diese Leistungen sind wesentlicher Teil
des Humankapitals oder des Humanvermögens. Während der Begriff des Humankapitals
im engeren Sinne sich auf den wirtschaftlichen Wert der in schulischer und nachschulischer
Ausbildung erworbenen fachlichen Qualifikationen bezieht, liegt der Fokus beim
Humanvermögen auf dem Erwerb von Daseinskompetenzen im weitesten Sinne.
(Ebd., S. 12).Soziale Qualifikationen, die in der Familie vermittelt
werden, sind etwa Arbeits- und Lernmotivation, Verantwortungsbereitschaft, Zuverlässigkeit,
Teamfahigkeit und Flexibilität. An ihnen hat auch die Wirtschaft ein zentrales
Interesse. Unternehmen sind für funktionierende Produktions- und Arbeitsabläufe
auf emotional stabile und moralisch geerdete Nachwuchskräfte angewiesen.
Und solche Arbeitskräfte wachsen am besten in Familien heran, die ihre Erziehungsarbeit
erfüllen können. Die Rede von der »Bildung von Humanvermögen«
verdeutlicht, daß im Kontext von Familie volkswirtschaftlich bedeutsame
Investitionsprozesse ablaufen. Familienpolitik in dieser Perspektive ist Wirtschaftspolitik
mit anderen Mitteln. (Ebd., S. 12).
Grußwort: Die humanen Versprechen ordnungspolitisch schützen
(Josef Homeyer, Bischof von Hildesheim) Für wie zukunftsfähig
hält sich diese Gesellschaft eigentlich wirklich noch angsichts ihrer eigenen
demographischen Implosion? .... Glauben wir uns eigentlich selbst noch die
humanen Verheißungen der Moderne, oder haben wir uns etwa einer im Kern
sinnentleerten Form ebenso verstetigter wie beschleunigter Modernisierung unterworfen
? Nehmen wir dieser ambivalenten Moderne noch den normativen Kern eines
Humanum ab? (Ebd., S. 24).Um ... Rahmensetzungen ...
geht es. Im Kern um die Frage, ob die moderne Gesellschaft sich selbst ihre huamnen
Versprechen noch glaubt. Hierfür ist die Familienpolitik ein Lackmustest.
Die Kirchen in Europa werden hier anwaltschaftlich Partei ergreifen: Poltisch
wie diakonisch. (Ebd., S. 26). - GRUNDLAGEN
-
Strategische Optionen der Familien- und Migrationspolitik in Deutschland und
Europa (Herwig Birg)Zu- und Abwanderungen haben besonders starke
demographische Auswirkungen auf die Zahl und Struktur der Bevölkerung, und
zwar auch dann, wenn man sie nicht zur Kenntnis nimmt. Die demographischen Wirkungen
politischen Handelns (und Unterlassens) können auch in einer Demokratie nicht
vermieden werden, sondern nur anders benannt werden. Aber warum sollte man die
bevölkerungspolitischen Auswirkungen der Politik nicht bevölkerungspolitische
Auswirkungen nennen? .... Dieses Land muß die Souveränität
über seine Sprache wieder gewinnen, ohne die es keine geistige und auf Dauer
auch keine politische Souveränität geben kann. Die Demokraten in Deutschland
haben nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, den Begriff Bevölkerungspolitik
neu zu definieren und mit einem an demokratischen Zielen orientierten Inhalt zu
füllen. (Ebd., S. 28).Der Rückgang
der Geburtenrate in den letzten Jahrzehnten in Deutschland beruht nach den Äußerungen
der Befragten aus zahllosen Umfragen nicht auf einer Abschwächung oder gar
auf einem Wegfall des Wunsches nach einem Kind, sondern auf wirtschaftlichen und
gesellschaftlichen Faktoren, die der Realisierung von Kinderwünschen entgegenstehen.
dabei fällt es schwer, zu klären, was unter dem Wunsch nache einem Kind
genau zu verstehen ist, denn die Befragten machen ihre Wünsche von bestimmten
Voraussetzungen abhängig, z.B. vom Angebot von Einrichtungen zur Kinderbetreuung,
von ausreichenden staatlichen Unterstützungszahlungen, vom vorherigen Erreichen
bestimmter Ziele der Berufsausbildung und der Erwerbskarierre u.s.w.. Ob die Intensität
der Kinderwünsche geringer oder die Hürden zu ihrer Verwirklichung höher
geworden sind und welchen Anteil die beiden Faktoren am Rückgang der Geburtenrate
haben, ist trotz jahrzehntelanger Forschung nicht leicht zu beantworten. ....
Faßt man die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung über die Gründe
des Rückgangs der Geburtenrate zusammen, so lassen sich je drei Faktoren
auf der Ebene des »Individuums« und auf der Ebene der der Gesellschaft
feststellen, aus deren Kombination sich neun Fallgruppen von Ursache-Konstellationen
ergeben. (Vgl. Tabelle).
(Ebd., S. 29).Intervenierende
Einflußgrößen auf das demographisch-ökonomische Paradoxon* | | Gesellschaftliche
und staatliche Einflußgrößen auf das biographische Universum |
| Soziales
Sicherungssystem | Vereinbarkeit
von Familien- und Erwerbsarbeit | Werte
und Normen* bzw. Prioritäten für
Familien und Kinder | »Individuelle« Einflußgrößen
auf das biographische Universum |
Erziehung
/ Ausbildung | Beruf
/ Erwerbsarbeit | Regionale
Lebenswelt |
| Demographisch-ökonomisches
Paradoxon: Je höher das pro-Kopf-Einkommen (der Frauen)*, desto
höher die ökonomischen und biographischen Opportunitätskosten
von Kindern und (folglich*) desto niedriger die Zahl der Geburten pro
Frau. | | Zusätzliche
Einflußgrößen auf die Geburtenrate: Ausmaß
der Einwanderung Herkunft der Einwanderer* Ethnische
Zusammensetzung der Bevölkerung Siedlungsstruktur und Grad der
Urbanisierung Anteil der kinderlosen (Männer und)* Frauen
Timing-Effekte (Alter der Frau bei der Geburt des 1. Kindes,
der 2. und der weiteren Kinder) |
| | Ebd.,
S. 30 (* Zusatz von mir [HB]) |
Von der Größe
und Art des biographischen Universums werden die biographischen Handlungsalternativen
und -optionen des »Individuums« entscheidend beeinflußt. Dabei
hat die empirische Lebenslaufforschung gezeigt, daß die Wahrscheinlichkeit
einer langfristigen Festlegung im Lebenslauf durch eine Kindergeburt um so geringer
ist, je größer die Zahl der Lebenslaufoptionen ist, die aufgrund dieser
Festlegung aus dem biographischen Universum ausscheiden würden. Die ausgeschiedenen
Lebenslaufoptionen werden als biographische Opportunitätskosten von Kindern
bezeichnet. Die ökonomischen Opportunitätskosten bilden einen Teil der
biographischen Opportunitätskosten. Sie lassen sich messen durch die Summe
der entgangenen Einkommen, auf die eine Frau (oder ein Mann;
Anm. HB) verzichten müßte, wenn sie (oder
er; Anm. HB) durch die gesellschaftlichen Lebensbedingungen aufgrund einer
mangelnden Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familienarbeit nicht erwerbstätig
wäre. Mit der biographischen Theorie der Fertilität läßt
sich das als »demographisch-ökonomische Paradoxon«*
bezeichnete Phänomen erklären, daß die Zahl der Kinder pro Frau
um so mehr zurückging, je stärker das Pro-Kopf-Einkommen zunahm.
(Ebd., S. 30).* Das demographisch-ökonomische
Paradoxon*
kann man in etwa so umschreiben: Je mehr Kinder sich die Menschen leisten könnten,
desto weniger haben sie.In modernen Gesellschaften sind die folgenreichsten
langfristigen Festlegungen in der Biographie die Festlegungen für einen bestimmten
Ausbildungsweg und die anschließende Berufswahl. Diese Entscheidungen stehen
am Anfang einer Biographie und fallen oft zeitlich zusammen mit der Entscheidung
über die Bindung an einen Partner. Durch diese Festlegungen polarisieren
sich die Biographien relativ früh in zwei Gruppen mit und ohne Kinder. Innerhalb
der Gruppe mit Kindern ist der Übergang von der Phase ohne Kinder zur Elternschaft
mit wesentlich höheren biographischen Opportunitätskosten verbunden
als der Übergang vom ersten zum zweiten und vom zweiten zum dritten Kind.
(Ebd., S. 31).Entscheidend für die endgültige Zahl der
Lebendgeborenen pro Frau ist bei jedem Jahrgang der Anteil der Frauen, die zeitlebens
kinderlos bleiben. Der Anteil der Kinderlosen nahm z.B. vom Jahrgang 1940 bis
zum Jahrgang 1965 von 10,6% auf 32,1% zu. Bei der größeren, zwei Drittel
und mehr umfassenden Teilgruppe von Frauen, die Kinder hatten, blieb jedoch die
Kinderzahl pro Frau mit rd. zwei Kindern von Jahrgang zu Jahrgang relativ konstant.
Der Rückgang der Geburtenrate der Jahrgänge ab 1940 beruht also in erster
Linie darauf, daß die lebenslange Kinderlosigkeit von Jahrgang zu Jahrgang
stieg. (Ebd., S. 28).Nach diesen Ergebnissen der demographischen
Forschung bieten sich der Familienpolitik zwei Optionen zur Erhöhung der
Geburtenrate. Die erste Option hat als Zielgruppe das Drittel der Frauen, die
kinderlos bleiben würden. Bei dieser entscheidenden Zielgruppe müßte
die lebenslange Kinderlosigkeit gesenkt werden. Die Zielgruppe für die zweite
familienpolitische Option sind die zwei Drittel der Frauen, die Kinder haben.
Bei dieser Zielgruppe müßte die durchschnittliche Kinderzahl von rd.
zwei Kindern auf mehr als zwei erhöht werden. (Ebd., S. 31).Die
erste Strategie der Verringerung der Kinderlosigkeit hätte - wenn sie erfolgreich
wäre - die größte Wirkung auf die Geburtenrate, aber sie bedarf
eines familienpolitischen Instrumentariums, das auf diese Zielgruppe zugeschnitten
ist. Das entscheidende Element eines solchen familienpolitischen Instrumentariums
müßte eine Wertepolitik sein, die die müßte eine Wertepolitik
sein, die die Sinnhaftigkeit eines Lebens mit Kindern als gesellschaftliches Leitbild
in der Öffentlichkeit vertritt. (Ebd., S. 31).Wollte
man die demographische Alterung, die in erster Linie auf der niedrigen Geburtenrate
und erst in zweiter Linie auf der zunehmenden Lebenserwartung beruht, durch die
Einwanderungen jüngerer Menschen verhindern, wären dafür so hohe
Einwanderungszahlen erforderlich, daß dadurch mehr Probleme geschaffen als
gelöst würden. (Ebd., S. 36-37).Die demographische
Alterung ist eine automatische Folge der Bevölkerungsschrumpfung. (Ebd.,
S. 38).Die international vergleichende Analyse für die 15
Länder der EU ergibt einen gegenläufigen Zusammenhang zwischen der Höhe
der Geburtenrate und der Intensität der demographischen Alterung: Je höher
die Zahl der Lebendgeborenen pro Frau, desto niedriger ist der Altenwuotient in
der Zukunft. Die niedrigste Geburtenrate bzw. den höchsten Altenquotienten
in der Zukunft haben Spanien, Italien und Griechenland. Die höchste Geburtenrate
bzw. den niedrigsten Altenquotienten in der Zukunft haben Irland, Dänemark
und Finnland. (Ebd., S. 39).Die Einwanderung jüngerer
Menschen würde den Anstieg des Altenquotienten in der EU nur geringfügig
mildern. (Dazu kommt noch, daß ja in Wirklichkeit
kaum jüngere, sondern eher Menschen mittleren Alters einwandern, die ihrerseits
bald Rentner sind und dann den Altenquotienten sogar noch erhöhen! Anm. HB).
Auch in den USA hat die Einwanderung junger Menschen nur einen relativ geringen
Einfluß auf den Anstieg des Altenquotienten. (Ebd., S. 39).Aus
den Daten und Analysen ergibt sich, daß ein Anstieg der Geburtenrate das
wirksamste Mittel (und realistisch gesehen: das einzige
Mittel! Anm. HB) ist, um die Bevölkerungsschrumpfung langfristig zu
stoppen und der demographischen Alterung entgegen zu wirken. Wollte man die demographische
Alterung in der EU durch die Einwanderung jüngerer Menschen verhindern, müßten
bis 2050 700,5 Mio. Menschen mehr ein- als auswandern (das
ist unmöglich und auch unrealistisch, weil in einem solchen Fall die EU durch
Abwanderung ihrr Einheimischen ihre Attraktivität schon lange vor 2050 verloren
haben würde! Anm. HB), so daß die Bevölkerungszahl der
EU von 1998 bis 2050 von 375 Mio. auf 1,2 Mrd. wachsen würde. Diese Forschungsergebnisse
zeigen, daß es absurd wäre, wenn eine demographisch orientierte Politik
- statt eine Erhöhung des Geburtenrate anzustreben - auf Dauer auf eine zumindest
teilweise Kompensation des Geburtendefizits durch Einwanderungen setzen würde,
wie dies in Deutschland durch das Zuwanderungsgesetz (und
das heißt: Bevölkerungspolitik [also doch !], wenn auch nur eine extrem
negative und dumme! Anm. HB) geplant wird. (Ebd., S. 47).Erfolge
in der Familienpolitik durch eine Erhöhung der Geburtenrate schlagen nach
20 Jahren als Erfolge auf dem Arbeitsmarkt zu Buche. (Ebd., S. 51).Kosten
der Integration .... Wie die vom Ifo-Institut und vom Max-Plack-Institut für
ausländisches und internationales Sozialrecht im Auftrag des Bundesarbeitsministers
durchgeführten Forschungsarbeiten zeigen, übersteigen die vom Staat
für die Zugewanderten erbrachten fiskalischen Leistungen im Rahmen der Sozialversicherung
(Gesetzliche Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung) sowie die steuerfinanzierten
Transfers und die Zahlungen der Gebietskörperschaften für die Bereitstellung
der öffentlichen Güter (Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser,
Verkehrsinfrastruktur, Verwaltung etc.), die vom Staat von den Zugewanderten empfangenen
Leistungen pro Kopf und Jahr um mehrere Tausend DM. (Vgl. Tabelle).
Dieser Befund widerspricht den landläufigen Vorstellungen (also:
der Propaganda und ihrer Wirkung; Anm. HB), daß Deutschland fiskalisch
von der Zuwanderung profitiere. Nach dieser Untersuchung (und
mit Sicherheit nicht nur nach ihr; Anm. HB) war und ist die Zuwanderung
nach Deutschland seit langem eine »Zuwanderung in die Sozialsysteme«,
die eine »Umverteilung von den Deutschen zu den Zugewanderten« bewirkt,
wie es in dem Forschungsbericht heißt. (Ebd., S. 51).
|
Bilanz pro Zuwanderer (1997) | Direkte
fiskalische Auswirkungen der Zuwanderung pro Zuwanderer | Einnahmen | | Ausgaben |
GKV | 1817,-
DM | | GKV | 2970,-
DM | GRV | 4053,-
DM | | GRV | 1362,-
DM | SPV | 252,-
DM | | SPV | 67,-
DM | Arbeitslosenversicherung | 701,-
DM | | Arbeitslosenversicherung | 452,-
DM | Steuern | 6044,-
DM | | Steuerfinanzierte
Transfers und Leistungen | 12646,-
DM | Einnahmen
insgesamt | 12867,- DM | | Ausgaben
insgesamt | 17498,- DM |
| Gesamtbilanz
pro Zuwanderer (1997) | | | | Ausgaben
| 4631,- DM |
Quelle:
SOEP; Ifo-Institut; Hans-Werner Sinn, EU-Erweiterung und Arbeitskräftemigration,
2001. |
Die Qualifikationsdefizite sind
der entscheidende Grund dafür, daß die Arbeitslosenquote und die Quote
der Sozilhilfeempfänger bei den Zugewanderten aus Nicht-EU-Ländern um
den Faktor 5 und mehr höher sind als bei den Einheimischen, und zwar nicht
nur in Deutschland, sondern in nahezu allen (= 15)
Ländern der EU. Die Qualifikationsdefizite sind dabei um so größer,
je höher der Anteil der Zugewanderten an der Bevölkerung ist. Aufgrund
dieser Fakten ist auch in Zukunft nicht damit zu rechnen, daß die Qualifikationsunterschiede
im erhofften Umfang abgebaut werden können. Durch die Strategie einer kompensatorischen
Zuwanderungspolitik würde das für die Produktivität und das Pro-Kopf-Einkommen
wichtige, im Humankapital der jüngeren Erwerbspersonen enthaltene Bildungs-
und Ausbildungskapital beeinträchtigt .... (Ebd., S. 51-53).Wachstumsrate
des Bruttosozialprodukts | | Wachstumsrate
der Bevölkerung | = | Wachstumsrate
des Pro-Kopf-Einkommens | 2,5 % | | 0,7
%
| = | 1,8 % | 1,7
% | | 0,7
% | = | 2,4 % |
In
der öffentlichen Debatte ... wird stets ... die Höhe des Bruttoszialprodukts
herausgestellt. Aber es kommt auf die Höhe des Pro-Kopf-Bruttossozialprodukts
an. Die Schweiz (bzw. Deutschland; Anm. HB) übt
nicht deshalb eine magnetische Anziehungskraft auf die Zuwanderer z.B. Indiens
aus, weil das Bruttoszozialprodkt der Schweiz größer wäre als
das Bruttossozialprodukt Indiens (das Bruttoszialprodukt
Indiens [rd. 600 Mrd. $] ist ja sogar viel höher als das der Schweiz [rd.
320 Mrd. $]! Anm. HB), sondern weil das Pro-Kopf-Bruttossozialprodukt und
der mit ihm korrelierende Lebensstandard in der Schweiz wesentlich höher
ist. (Dem rd. 564 $ Pro-Kopf-BSP in Indien stehen rd. 43553
$ Pro-Kopf-BSP in der Schweiz gegenüber - das heißt: das Pro-Kopf-BSP
in der Schweiz ist um den Faktor 77,22 größer als das in Indien; Anm.
HB). (Ebd., S. 53). Resümee: In den letzten 50
Jahren gingen die Geburtenraten in den Indiustrieländern um etwa die Hälfte
zurück. In Deutschland beruhte der Rückgang vor allem auf dem Anstieg
des Anteils der Frauen an einem Jahrgang mit lebenslanger Kinderlosigkeit auf
rd. ein Drittel, während sich bei den Frauen mit Kindern nach wie vor eine
im langfristigen Vergleich konstante Zahl von rd. zwei Kindern ergibt. Bei den
EU-Ländern, bei denen der Anteil kinderloser Frauen niedrig ist (z.B. Frankreich),
liegt die Geburtenrate über dem Durchschnitt der EU, bei Ländern mit
hoher Kinderlosigkeit unter dem Durchschnitt (z.B. Deutschland). Durch die in
Deutschland besonders hohe Kinderlosigkeit (rd. 33%; Anm.
HB) spaltet sich die Gesellschaft in einen Familiensektor (2/3-Mehrheit;
Anm. HB) und in einen Sektor ohne eigene Nachkommen (1/3-Minderheit;
Anm. HB). Daraus ergeben sich gravierende Konsequenzen für das in
der Verfassung verankerte Prinzip der »sozialen Gerechtigkeit«, durch
dessen Verletzung auch die sozialen Sicherungssysteme ihre Funktion nicht mehr
erfüllen können. (Ebd., S. 53-54).Bei ... Zuwanderungen
verringert sich das Qualifikationsniveau der Bevölkerung, und es kommt zu
Einbußen beim Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens, während gleichzeitig
die Integrationskosten steigen. Die Strategie der Zuwanderungen ist auch aus internationaler
Sicht problematisch. .... Es wäre eine moralisch durch nichts zu rechtfertigende
Strategie, wenn die reichen Länder auf Dauer ihre demographischen Defizite
auf Kosten der armen ausgleichen und mit den Mitteln der Migrationspolitik eine
Art demographischen Kolonialismus etablieren würden. (Ebd., S. 54-56).
Das demographische Defizit - Die Fakten, die Folgen, die Ursachen und die
Politikimplikationen (Hans-Werner Sinn)Dieser Aufsatz beschreibt
die demographischen Fakten und analysiert die Folgen für das Rentensystem
und die Dynamik unseres Landes ..., untersucht auch die ökonomischen Ursachen
der Kinderlosigkeit in Deutschland, zu denen in vorderster Front das Rentensystem
selbst zu zählen ist. Die Rentenversicherung hat den Menschen die Verantwortung
für ihr Einkommen im Alter genommen und damit die Kinderlosigkeit ... maßgeblich
mitverursacht. Zur Korrektur der Fehlentwicklung wird empfohlen, die Renten nach
dem alten System deutlich zu kürzen und zusätzlich von der Kinderzahl
abhängige Rentenansprüche einzuführen. Personen, die kein Geld
für die Kindererziehung ausgeben, sollen ihr Geld statt dessen in die Riester-Rente
investieren. (Ebd., S. 58).> Quelle:
UNO, Population Division, 2001 |
Die schönen
Versprechungen der Politiker und Verbandsvertreter, die auf die Demographen nicht
hören wollten, entpuppen sich als Luftblasen. Unlösbare Verteilungskämpfe
zwischan den Alten und den Jungen drohen, das politische System der Bundesrepublik
Deutschland zu erschüttern. (Ebd., S. 58).Die Alterung
... wird durch die Abbildung verdeutlicht, in der die Entwicklung des Medianalters
... dargestellt ist, also jenes Alters, das die Bevölkerung in zwei gleich
große Gruppen von älteren und jüngeren Personen teilt. Man sieht,
daß dieses Medianalter ... inzwischen auf 40 Jahre gestiegen ist und bis
zum Jahr 2035 um weitere zehn Jahre auf über 50 Jahre ansteigen wird. ....
Was ist die Ursache für das hohe und weiter zunehmende Durchschnittsalter
...? (Ebd., S. 58-59).Die wahre Ursache der ... Alterung
... ist die Verringerung der Zahl der Geburten. (Ebd., S. 61).Die
Erhöhung des Bundeszuschusses zur Rentenversicherung ist ein optischer Trick
zur Geringrechnung der Belastung, aber keine Lösung, weil auch ein solcher
Zuschuß durch Steuern finanziert werden muß, die von den Arbeitenden
zu entrichten sind. Versuche, neben den Lohneinkomemn die Kapitaleinkommen zur
Finanzierung der Renten (Stichwort: Wertschöpfungsabgabe) heranzuziehen,
werden scheitern, weil die internationale Kapitalmobilität die wirksame Besteuerung
des Kapitals verhindert. (Ebd., S. 66).Die wirklichen Lösungsansätze
für Deutschlands demographische Krise liegen nicht in immer neuen Einfällen
zur Umverteilung von Einkommen innerhalb einer Generation (d.h.:
Umverteilungspolitik der Ewiggestrigen; Anm. HB), sondern bei der
Kapitaldeckung und bei Maßnahmen zur Anhebung der Geburtenraten (!!!)
... Die problematischen Folgen der demographischen krise beschränken sich
nicht auf das Rentensystem. Auch die geistige und wirtschaftliche Dynamik deutschlands
wird erlahmen. Nach einer Untersuchung von Guilford aus dem Jahre 1967 erreichen
Wissenschaftler im Durchschnitt aller Disziplinen im Alter von circa 35 Jahren
ein Maximum ihrer Leistungskraft. (Vgl. F. E. Weinert, Wissen und Denken,
1997, S. 98; J. P. Guilford, The Nature of Human Intelligence, 1967; H.
C. Lehmann, Alter und Leistung, 1953). Schon heute liegen die jüngsten
geburtenstarken Jahrgänge in Deutschland ... deutlich über diesem Wert.
(Ebd., S. 67).Manchmal wird vermutet, die altersbedingte Verringerung
der Erwerbstätigkeit sei ein Vorteil für den Arbeitsmarkt, weil so die
Arbeitslosenquote gesenkt werden könne. Diese Vermutung ist freilich irrig.
Sie entspringt einer allzu primitiven mechanischen Sichtweise des Wirtschaftsgeschehens
und übersieht, daß die Alterung nicht nur Arbeitnehmer, nehmer, sondern
auch Arbeitgeber aus dem Arbeitsmarkt eliminiert. Zu beachten ist nämlich,
daß neue Unternehmen, die neue Arbeitsplätze schaffen, von jungen Leuten
gegründet werden. Das durchschnittliche Alter der Unternehmensgründer
liegt in Deutschland bei 34 bis 35 Jahren, es fällt also mit dem Alter der
maximalen wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit zusammen. (Vgl. J. Brüderl
/ P. Preisendörfer / R. Ziegler, Der Erfolg neugegründeter Betriebe,
1996). Da die am dichtesten besetzten Altersklassen älter als 35 Jahre sind,
ist als Ergebnis einer weiteren Alterung der deutschen Bevölkerung nicht
eine Verminderung der Arbeitslosigkeit, sondern ganz im Gegenteil ein Verschärfung
des ohnehin schon bestehenden Mangels an Unternehmern und Arbeitsplätzen
zu befürchten. Daß ein Land von Greisen eine geringere Arbeitslosigkeit
als ein Land von jungen, arbeitsfähigen Menschen aufweisen würde, ist
eine absurde und naive Vorstellung. Die Alterung der deutschen Bevölkerung
wird die Innovationskraft des Landes, von der seine internationale Wettbewerbsfähigkeit
maßgeblich abhängt, weiter verringern. Deutschland hat im internationalen
Vergleich immer noch eine sehr gute Position bei den Patentanmeldungen, doch ist
das Wachstum der Zahl der Patentanmeldungen ... schon seit den achtziger Jahren
des letzten Jahrhunderts ... hinter den USA zurückgeblieben (relativ
[!], denn gemessen an der Einwohnerzahl liegt Deutschland auch heute immer noch
vor den USA; Anm. HB), die in dieser Hinsicht eine besonders bemerkenswerte
Entwicklung hatten. Während US-Amerikaner 1980 doppelt so viele Patente in
ihrem Heimatland anmeldeten wie die Deutschen in dem ihren, sind es heute dreimal
so viele (gemessen an der 3-bis-4-mal größeren
Einwohnerzahl der USA liegt Deutschland also auch heute immer noch vor den USA;
Anm. HB). Allerdings ist die Zahl der deutschen Patente angesichts der
vergleichsweise geringen Größe Deutschlands immer noch hoch (höher
als in den USA und weltweit am höchsten! Anm. HB). Die Investoren
nehmen die demographischen Probleme vorweg und halten sich schon heute zurück.
Auch die Aktienmärkte, die sehr stark von den langfristigen Gewinnerwartungen
der Anleger geprägt sind, antizipieren die zu erwartende Entwicklung schon
heute. Vielleicht sind der allgemeine Attentismus der Investoren und der im internationalen
Vergleich starke Verfall der deutschen Aktienkurse bereits auf diesen Effekt zurückzuführen.
Nur die Aktien von Altersheimen werden von dieser Entwicklung ausgenommen sein.
Sie werden sich durch steigende Kurse nach obenhin vom allgemeinen Trend abheben,
denn in den Altersheimen liegt die Zukunft des Landes. Deutschland verwandelt
sich unter dem Einfluß der demographischen Probleme allmählich in eine
Gerontokratie, in der die Alten das Sagen haben. Schon heute kann es keine Partei
wagen, gegen die Interessen der Rentner zu agieren. Als die Riester-Reform durch
den Bundestag gebracht wurde, wurde die SPD links von der CDU/CSU überholt
und gezwungen, auf die Absenkung des rentenniveaus und der beiträge zu verzichten.
| Dieser
Trend wird sich in Zukunft verfestigen. Die Abbildung zeigt, wie sich die strategischen
Mehrheiten in der wahlberechtigten deutschen Bevölkerung in den nächsten
Jahrzehnten entwickeln werden. Die Kurve des Medianalters der Wähler gibt
jenes Lebensalter an, das die Gruppe der nach dem Alter aufgelisteten Wahlberechtigten
in zwei gleich große Gruppen aufspaltet. In der Demokratie kann keine Entscheidung
gegen die Interessen des Medianwählers durchgeführt werden, weil sie
keine Mehrheiten fände, und die Parteien werden ungeachtet ihrer ideologischen
Vorprägung stets bestrebt sein, Programme zu entwickeln, die den Präferenzen
des Medianwählers möglichst nahe kommen. Heute ist der deutsche Medianwähler
47 Jahre alt, doch in 20 Jahren wird er bereits 54 Jahre alt sein. Dies wird eine
signifikante Veränderung der Politik erzwingen. Die als »Indifferenzalter«
bezeichnete Kurve in der Abbildung bezieht sich auf eine parallele Renten- und
Beitragskürzung, etwa von der Art, wie sie mit der Riester-Reform versucht
und auch partiell vorgenommen wurde. Versicherungsmathematisch gesehen benachteiligt
eine solche Reform die Rentner und die älteren Erwerbstätigen, die dem
Rentenalter bereits nahe sind. Sie entlastet jedoch jüngere Versicherte,
weil die Senkung der Beitragssätze für sie barwertmäßig einen
größeren Vorteil bedeutet als die Kürzung ihrer eigenen Renten
an Nachteilen hervorruft. Das Indifferenzalter ist jenes Lebensalter, in dem Vor-
und Nachteile sich bezüglich der erwarteten Barwerte rechnerisch gerade aufheben.
Liegt das Indifferenzalter über dem Wahlberechtigten-Medianalter, dann profitiert
die Mehrheit der Wahlberechtigten von einer Reform à la Riester. Liegt
es darunter, dann profitiert eine Mehrheit von einer weiteren Ausdehnung des umlagefinanzierten
Rentensystems, also vom Gegenteil der Riester-Reform. Nach dem in der Abbildung
dargestellten Ergebnis ist eine strategische Mehrheit für Rentenreformen
vom Riester-Typ nur noch bis etwa 2015 gesichert. Danach sind solche Reformen
kaum noch durchsetzbar. Dann kippt das politische System Deutschlands um. Die
demographische Krise Deutschlands ist das Ergebnis eines allgemeinen Wandels in
den Einstellungen der Menschen zur Ehe, zu Kindem, zur Rolle der Frau und zu anderen
Aspekten des Lebens, die ebenfalls Rückwirkungen auf die Kinderzahl haben.
Der Wandel dieser Einstellungen ist freilich nicht gottgegeben und auch nicht
nur auf die Zufälligkeiten kulturgeschichtlicher Entwicklungen zurückzuführen,
sondem hat großenteils handfeste ökonomische Ursachen. (Ebd.,
S. 67-70).Wie stark die Fertiltiätsentscheidung von ökonomischen
Anreizen bestimmt wird, zeigt ein Blick auf die Geburtenentwicklung in der DDR
nach der Einführung eines umfassenden Programms zur Erhöhung der Fertilitätsrate
im Jahr 1972, das von einer Stärkung der Rechte der Mütter am Arbeitsplatz
über ein breites Angebot an Betreuungseinrichtungen für Kinder ab dem
Krippenalter und einer Erhöhung der finanziellen Beihilfen für junge
Familien bis zur verbesserten Wohnraumversorgung für Familien mit Kindern
reichte. (Vgl. H. Lampert, Priorität für die Familie - Plädoyer
für eine nationale Familienpolitik, 1976, S. 200-206). Dieses Programm
hatte eine durchschlagende Wirkung. Während die Fertilitätsentwicklung
in West- und Ostdeutschland bis etwa 1972 sehr ähnlich verlief, zeigt sich
für die DDR nach dem Beginn des Programms ein sehr deutlicher Anstieg der
Geburtenrate (sie erreichte sogar fast wieder das Bestandserhaltungsniveau
von 2,1 Geburten pro Frau! Anm. HB). .... Es ist übrigens bemerkenswert,
daß ... die Geburtenrate ... der neuen Bundesländer nach dem Beitritt
zur Bundesrepublik zunächst sehr deutlich unter das bundesrepublikanische
Niveau fiel. Das mag daran gelegen haben, daß der Regimewechsel bei den
Betroffenen ein stärkeres Problembewußtsein geschaffen und insofern
eine besonders starke Änderung des Reproduktionsverhaltens hervorgerufen
hat. (Ebd., S. 70-72).Das Beispiel Frankreich: Es ist nicht
einfach, die Unterschiede zwischen den Fördersystemen Frankreichs und Deutschlands
zu objektivieren. Hervorzuheben ist jedoch neben der sehr viel besseren Versorgung
mit Kindergärten und Kinderkrippen sowie der Ganztagsschule ganz allgemein
der Umstand, daß in Frankreich ein anderes Grundverständnis bezüglich
der Leistungsfähigkeit der Familien mit Kindern vorzuliegen scheint. Dieses
Grundverständnis hat zum Beispiel dazu geführt, daß die Kinde
einer Familie in das Splitting-System der Einkommensteuer (»quotient
familial«) einbezogen werden, ähnlich wie es in Deutschland bei
Ehepartnern (ohne Kinder natürlich! Anm. HB)
der Fall ist. Die in der deutschen Politik vorherrschende (falsche
!) Vorstellung ist, daß die steuerliche Leistungsfähigkeit von
der Kinderzahl unabhängig sei und daß der Staat die Kindererziehung
mit festen, für alle gleichen Geldbeträgen bezuschussen solle. In Frankreich
herrscht stattdessen die (richtige!) Meinung vor,
daß Kinder die steuerliche Leistungsfahigkeit einer Familie reduzieren und
deshalb durch einen Abzug von Freibeträgen und eine Absenkung der Progression
des Einkommensteuertarifs Berücksichtigung finden sollten. Dort argumentiert
man, das deutsche System sei ungerecht (und ist es
auch!), weil es Familien mit gleicher Leistungsfähigkeit unterschiedlich
stark besteuere, und zwar umso mehr, je höher die Zahl der Kinder sei. Die
Unterschiede hätten zur Folge, daß sich in Deutschland die fiskalischen
Anreize, Kinder in die Welt zu setzen, bei den ärmeren Familien bis hin in
den Bereich der Asozialität konzentrierten, während sie in Frankreich
auch bei mittleren und höheren Einkommensschichten erheblich seien. Der französische
Weg sei insofern vorzuziehen, als er dazu führe, daß Kinder insbesondere
auch in den sozial intakten Familien der Mittelschicht auf die Welt kommen und
großgezogen werden. Das führe zu einer besseren Ausbildung der Kinder
und sorge beim Erbgang sozusagen automatisch, ohne staatliche Eingriffe, für
eine gleichmäßigere Vermögensverteilung. Das französische
Kinder-Splitting greift insbesondere beim dritten Kind mit voller Kraft, weil
erst dieses Kind mit vollem Gewicht in den entsprechenden Steuerformeln berücksichtigt
wird. (Das erste und zweite Kind werden jeweils mit dem
halben Gewicht, das dritte mit dem ganzen Gewicht bei der Splitting-Formel berücksichtigt).
Dies könnte einer der Gründe für den messbaren Erfolg der französischen
Familienpolitik sein, denn viele Familien, die sich prinzipiell für Kinder
entschieden haben, planen aus eigenem Antrieb bereits, zwei Kinder zu haben. Der
finanzielle Anreiz für das dritte Kind führt zu einer signifikanten
Verhaltensänderung und relativ starken Effekten auf die Geburtenziffern.
Berechnungen des Ifo-Instituts zeigen, daß das erste Kind in Deutschland
stärker als in Frankreich gefördert wird, daß aber in Frankreich
das zweite und dritte Kind stärker gefördert werden. Die staatliche
Entlastung durch das Kindergeld und durch Steuerersparnisse beim zweiten und dritten
Kind ist%ual gesehen deutlich größer als in Deutschland. (Vgl. W. Meister
/ W. Ochel, Steuerliche Förderung von Familien im internationalen Vergleich,
2003). Ein französisches Ehepaar mit drei Kindern und einem Einkommensbezieher,
der den Durchschnittslohn eines Industriearbeiters bekommt, hat ein um 9,1% höheres
Familieneinkommen als eine Familie mit zwei Kindern und dem gleichen Bruttoeinkommen.
Für Deutschland beträgt der entsprechende Einkommenszuwachs nur 6,5%.
Erzielt auch der zweite Ehepartner ein Arbeitseinkommen in Höhe von einem
Drittel des Durchschnitts, so beträgt der Zuwachs an Nettoeinkommen für
das dritte Kind in Frankreich 7,5 % und in Deutschland 5,9%. Die Wirkung des Kinder-Splitting
zeigt sich insbesondere auch daran, daß, falls das Arbeitseinkommen des
zweiten Ehepartners zwei Drittel des Durchschnitts beträgt, die zusätzliche
Entlastung in Frankreich 7,7%, in Deutschland dagegen nur noch 4,8% ausmacht.
Gerade auch dann, wenn die Ehefrauen berufstätig sind, werden die Familien
in Frankreich viel stärker entlastet, wenn sie sich für das dritte Kind
entscheiden, als das in Deutschland der Fall ist. Noch deutlich größer
sind die Förderunterschiede bei Familien, die über überdurchschnittliche
Einkommen verfügen. Im Vergleich zu Frankreich und anderen Ländern steht
Deutschland auch bei den Sachleistungen zurück. | Die
Abbildung zeigt einen internationalen Vergleich der Versorgung mit Kindergärten
und Vorschuleinrichtungen. Frankreich steht unter anderem wegen seiner »ecole
maternelle«, einer von praktisch allen Kindern besuchten Vorschule,
ganz oben auf der Rangskala. Deutschland, das den Kindergarten erfunden und als
eine institution mitsamt ihren Namen in alle Welt exportiert hat, liegt im Mittelfeld
.... Ähnlich ist die Situation bei den Ganztagsschulen. Es gibt kaum noch
Länder mit Halbtagsschulen, wie sie in Deutschland üblich sind. Die
Ganztagsschule ist in den meisten OECD-Ländern die Regel. Wegen der fehlenden
Ganztagsschulen werden in Deutschland junge Frauen vor die schwierige Entscheidung
gestellt, entweder den Beruf auszuüben oder Kinder großzuziehen. Der
Übergang zu Ganztagsschulen würde diesen Konflikt deutlich entschärfen,
den Einkommensverzicht, der mit der Kindererziehung verbunden ist, verringern
und die Geburtenraten erhöhen. Die Wirkung von Kindergärten und Ganztagsschulen
auf die Kinderhäufigkeit resultiert aus dem Umstand, daß ohne diese
Einrichtungen die Frauen gezwungen sind, ihre Berufstätigkeit stark zurückzunehmen,
und vor die Alternative Karriere oder Kinder gestellt werden, wobei die Entscheidung
zunehmend zugunsten der Karriere ausfällt. Das Fehelen von Kindergärten
und Ganztagsschulen bedeutet einen erheblichen Einkommensverzicht der Frauen,
wenn sie sich für Kinder entscheiden. Dieser Einkommensverzicht stellt vermutlich
den größten Teil der Kosten der Kindererziehung dar und dürfte
die internationalen Unterschiede in den Fertilitätsraten weitgehend erklären.
Dies gilt umso mehr, als die Loheinkommen der Frauen relativ zu den Lohneinkommen
der Männer ... erheblich gestiegen sind. Die Gehälter vollzeitbeschäftigter
weiblicher Angestellter, die noch im Jahre 1960 bei 55% der Gehälter ihrer
männlichen Kollegen lagen, sind inzwischen auf über 70% angestiegen.
Höhere Löhne für die Frauen bedeuten höhere Opportunitätskosten
für die Kindererziehung, und insofern kann in ihnen ein Grund für die
im Zeitlauf sinkenden Geburtenraten gesehen werden. Wie wichtig dieser Effekt
für sich genommen ist, ist aber umstritten. Immerhin ist bemerkenswert, daß
die Geburtenarten in Frankreich höher als in Deutschland sind, obwohl dort
die Relation von Frauen- und Männerlöhnen höher als in Deutschland
zu sein scheint. Eher ist zu vermuten, daß die gestiegenen Einkommen der
Frauen indirekt wirken, indem sie den Effekt fehlender Kindergärten und Ganztagsschulen
verstärken. Je höher die Lohneinkommen der Frauen sind, desto größer
ist der Anreiz, beim Fehlen solcher Einrichtungen auf Kinder zu verzichten.
(Ebd., S. 72-75).Auch die Rentenversicherung gehört zu den
Ursachen (!): Unter den ökonomischen Ursachen der Kinderlosigkeit ... ist
die Rentenversicherung besonders hervorzuheben. Die Rentenversicherung leidet
nicht nur unter den Folgen der demographischen Krise, sondern hat diese Folgen
selbst mit hervorgebracht. Die
Rentenversicherung nach dem Umlageverfahren ist eine Versicherung gegen Kinderlosigkeit
und die daraus entstehende Altersarmut.*
Auch wenn man selbst keine Kinder haben kann, muß man im Alter nicht darben,
weil man von den Kindern anderer Leute ernährt wird. Der gegenseitige Versicherungsschutz
ist ein großer Vorteil für alle Beteiligten. Problematisch ist aber,
daß diese Versicherung gegen Kinderlosigkeit die ökonomischen Gründe
für den Kinderwunsch aus der Familienplanung ausblendet, indem sie die Leistungen
der Kinder an die vorangehende Generation fast vollständig sozialisiert.
Nicht nur in den Entwicklungsländern haben Menschen Kinder, um sich vor Altersarmut
zu schützen. Vor der Einführung der Rentenversicherung durch Bismarck
war es auch in Deutschland üblich, Kinder zu bekommen, um den eigenen Alterskonsum
sicherzustellen. Dieses Motiv entfällt heute in Deutschland. Auf eigene Kinder
kommt es bei der Versorgung im Alter nicht mehr an. Es reicht, wenn andere Leute
Kinder in die Welt setzen, die später die Rente zahlen. Ob man selbst Kinder
hat oder nicht, die eigene materielle Versorgung im Alter wird davon kaum berührt,
und deshalb ist eines der wichtigsten Motive für den Kinderwunsch erloschen.
Kaum ein junges Paar verbindet den Kinderwunsch heute mehr mit der Frage, wie
der eigene Lebensabend zu sichern ist. Der fehlende Zusammenhang zwischen Kinderwunsch
und Rententhema in den Köpfen der Menschen zeigt in aller Deutlichkeit, auf
welch dramatische Weise das staatliche Rentensystem auf die gesellschaftlichen
Normen Einfluß genommen hat. Es ist kein Zufall, daß Deutschland,
welches als erstes Land eine umfassende staatliche Rentenversicherung eingeführt
hat, heute zu den Ländern mit der niedrigsten Geburtenrate gehört. Generationen
von Deutschen haben seit 1889 die Erfahrung gemacht, daß man auch ohne eigene
Kinder im Alter zurechtkommt, und so haben sich auf dem Wege der Nachahmung von
Generation zu Generation neue Lebensmuster verbreitet, die an die neuen institutionellen
Verhältnisse angepaßt sind. Das Single-Dasein ist zu einem attraktiven
Lebensmuster geworden, und die Zahl der jungen Paare, die zumindest vorläufig
keine Kinder haben wollen und auch die Heirat noch nicht einplanen, hat dramatisch
zugenommen. Früher erwuchs aus der Kinderlosigkeit eine Bedrohung für
das eigene Leben, die es unter allen Umständen zu vermeiden galt. Heute entsteht
aus der Kinderlosigkeit ein massiver materieller Vorteil, den immer mehr Menschen
für sich reklamieren. Der neue Golf und der Urlaub auf den Malediven können
mit dem Geld finanziert werden, das bei der Kindererziehung eingespart wurde oder
das die Frau hinzuverdienen konnte, weil sie sich statt für Kinder für
eine Berufstätigkeit entschied. Gerade auch die untere Mittelschicht der
Gesellschaft, die früher hohe Geburtenraten aufwies, hat in der Kinderlosigkeit
einen Weg entdeckt, den materiellen Aufstieg zu schaffen. Die Bedrohung, die aus
der Kinderlosigkeit erwächst, ist zwar auch heute noch vorhanden, aber sie
verlagert sich diffus auf das gesamte Gemeinwesen. Deutschland vergreist, die
Dynamik des Landes läßt nach, der Sozialstaat gerät in die Krise,
und dennoch hat der Einzelne kaum etwas davon, wenn er seinen Beitrag zur Verhinderung
dieser Entwicklung leistet. Der Zusammenhang zwischen Kinderlosigkeit und Rentenversicherung
ist unter dem Stichwort »Social Security Hypothesis« in der Literatur
ausgiebig diskutiert und dokumentiert worden. So haben Ehrlich und Chong sowie
Ehrlich und Kim (1998 und 2001) in Studien, die 57 Länder umfassten, nachweisen
können, daß die Einführung und der Ausbau umlagefinanzierter Rentensysteme
im Zeitraum von 1960 bis 1992 einen signifikanten negativen Einfluß auf
Familienbildung und Geburtenziffer haben. Ähnliche Resultate*
finden Cigno und Rosati (1996; 1997), wobei sie in einer neueren Studie aus dem
Jahr 2000 speziell auch für Deutschland zu eindeutigen, die Hypothese bestätigenden
Resultaten kommen. (Vgl. Cigno, Casolaro und Rosati 2000). Wie groß die
fiskalischen Fehlanreize, die über das Rentenversicherungssystem laufen,
wirklich sind, läßt sich sehr deutlich ermessen, wenn man einmal fragt,
welchen fiskalischen Beitrag ein neugeborenes Kind, das eine durchschnittliche
Erwerbsbiographie durchläuft und selbst wieder für eigene Nachkommen
sorgt, für andere Mitglieder des Rentensystems leistet. Das Kind wird erwachsen,
zahlt dann bis zum eigenen Rentenalter Beiträge und bezieht anschließend
eine Rente, die freilich auf dem Wege der Beitragszahlung von den eigenen Nachkommen
aufgebracht wird. Wie vom Autor in einer früheren Studie ausgeführt
wurde, lag der Barwert des fiskalischen Beitrags eines neugeborenen Kindes für
das Rentensystem im Jahr 1997 bei knapp 90000 Euro, und selbst wenn man die staatliche
Hilfen für die Kindererziehung einschließlich der freien Schulausbildung
abzieht, kam man in diesem Jahr immer noch auf einen Betrag von etwa 35000 Euro.*
Dabei handelt es sich um eine äußerst vorsichtige Schätzung, die
die wahren Verhältnisse insofern untertreibt, als von einer Konstanz des
Beitragssatzes zur Rentenversicherung ausgegangen wird. Der Barwert von 90000
Euro ist eine positive fiskalische Externalität, die Eltern, die sich für
ein Kind entscheiden, für andere Gruppen der Gesellschaft außerhalb
ihrer eigenen Nachkommenschaft ausüben. Er ist einer Kindersteuer gleichzusetzen,
die der Staat den Eltern bei der Geburt ihres Kindes auferlegt, jedoch verbunden
mit dem Verlangen einer marktüblichen Verzinsung stundet, bis das Kind erwachsen
ist. Würde der Staat die Wirkung dieser Steuer durch eine entsprechende Transferleistung
von 90000 Euro zum Zeitpunkt der Geburt eines Kindes kompensieren, so würden,
das wird jedermann auch ohne die entsprechenden ökonometrischen Untersuchungen
einleuchten, sicherlich sehr viel mehr Kinder geboren. (Ebd., S. 76-78).*)
Hinsichtlich der Effekte umlagefinanzierter Renten für die private
Ersparnis kommen die Studien allerdings zu unterschiedlichen Resultaten: Während
I. Ehrlich und J.-G. Chong sowie I. Ehrlich und J. Kim (1998, 2001) einen negativen
Zusammenhang finden, ergibt sich bei A. Cigno und F. C. Rosati (1996, 1997) -
bei etwas anderer Spezifikation der relevanten Variablen - ein positiver Zusammenhang.
(Ebd.). *) Unterstellt wurde: Aufnahme
einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung im Alter von 20 Jahren;
Entwicklung des jährlichen Arbeitseinkommens über die Erwerbsphase hinweg
nach einem durchschnittlichen Lohnprofil, das auf Mikrodatenbasis hergeleitet
wurde; Berücksichtigung der durchschnittlichen Wahrscheinlichkeit vorzeitiger
Invalidität ab dem 54. Lebensjahr, definitives Ausscheiden aus dem Berufsleben
mit 65 Jahren; das durchschnittliche Lohneinkommen aller Versicherten wächst
real um 1,5% pro Jahr, es wird ein Kapitalmarktzins von real 4% und ein Beitragssatz
zur Sozialversicherung von 20% unterstellt. (Ebd.). Was
sind die Politikimplikationen aus diesen Erkenntnissen? Man kann die staatlichen
Politikmaßnahmen, die als Reaktion auf die demographische Krise diskutiert
werden, in passive und aktive Politikmaßnahmen unterteilen. Passive Maßnahmen
versuchen, die Konsequenzen der Krise für die staatliche Rentenversicherung
und den Arbeitsmarkt aufzufangen. Aktive Maßnahmen zielen auf die Erhöhung
der Geburtenraten ab. (Ebd., S. 78).Zu den passiven Maßnahmen
gehört die Erhöhung der Altersgrenze für das Rentenalter. Statt
der Frühverrentung und der Altersteilzeit, die skrupellose Politiker sich
ausgedacht haben, um temporär die Arbeitsmarktstatistiken zu schönen
und die nächsten Wahlen überstehen zu können, müssen die Deutschen
länger arbeiten, um den fehlenden Nachwuchs an jungen Menschen zu kompensieren.
(Ebd., S. 78).Einwanderung (zu teuer!):
.... Man darf nicht übersehen, daß die Einwanderer ... dem Staat ...
zur Last fallen. Einwanderer profitieren von der Umverteilung zugunsten ärmerer
Beitragszahler in der Krankenversicherung und von staatlichen Leristungen wie
der Sozialhilfe, dem Arbeitslosengeld und der Arbeitslosenhilfe, die sie überdurchschnittlich
in Anspruch zu nehmen pflegen. Außerdem steht ihnen, und das ist ein ganz
erheblicher Effekt, die breite Palette unentgeltlich angebotener, aber kostenträchtiger
staatlicher Leistungen zur Verfügung, die von der Benutzung von Straßen,
Brücken, Parks und anderen Elementen der öffentlichen Infrastruktur
bis hin zum Schutz des Rechtsstaates durch seine Richter und Polizisten u.v.m
reichen. Dafür zahlen sie zwar Steuern, doch reichen diese nicht aus, die
verursachten fiskalischen Kosten zu tragen. Zuwanderer haben ein unterdurchschnittliches
Einkommen und gehören deshalb zu denjenigen Bevölkerungsgruppen, die
im Sozialstaat deutscher Prägung mehr Ressourcen vom Staat erhalten, als
sie an ihn in Form von Steuern und Beiträgen abgeben müssen. Nach Berechnungen,
die das Ifo-Institut im Jahre 2001 auf der Basis des sozioökonomischen Panels
für die bisher nach Deutschland Zugewanderten angestellt hat, lag die fiskalische
Nettolast, die Zuwanderer für den Staat verursachen, pro Kopf und Jahr im
Durchschnitt der ersten zehn Jahre bei 2300 Euro. Dabei sind auch die Vorteile
für die Rentenversicherung barwertmäßig bereits berücksichtigt
worden. So gesehen verändert sich das Bild, das ein alleiniger Blick auf
die Rentenversicherung liefert, erheblich. .... Die Zuwanderung ist ... kein Beitrag
zur Lösung, sondern ein Beitrag zur Vergrößerung der Probleme
.... Daß die Zuwanderung keine Lösung des Rentenproblems bietet, wird
auch klar, wenn man sich vor Augen führt, wie viele Menschen zuwandern müßten.
... Das sind astronomisch hohe Zahlen, die so natürlich niemals realisiert
werden und auch keinesfalls als Empfehlungen interpretierbar sind. Gerade die
Größe der Zahlen zeigt in aller Deutlichkeit, wie gering der Beitrag
zur Lösung der demographischen Problems Deutschlands ist, den man von der
Zuwanderung erwarten kann. Das Thema wird in der öffentlichen Diskussion
total überschätzt, und es wird mißbraucht, um heute schon aus
ganz anderen Gründen billige Arbeitskräfte ins Land zu holen. Dabei
braucht der Arbeitsmark selbst ... keine Einwanderungen ..., leidet Deutschland
unter einer Massenarbeitslosigkeit, also einem Mangel an Stellen, und nicht einem
Mangel an Menschen. (Ebd., S. 79-82).Zu den sinnvollen passiven
Reformen zur Milderung der Konsequenzen der demographischen Krise gehört
die Umstellung der Rentenversicherung vom Umlagesystem auf ein Kapitaldeckungssystem.
Jede Generation wird einmal alt, und dann kann sie nur leben, wenn sie in ihrer
Jugend selbst vorgesorgt hat. Entweder muß sie Humankapital gebildet haben,
indem sie Kinder in die Welt gesetzt und großgezogen hat. Oder sie muß
gespart und somit direkt oder indirekt Realkapital gebildet haben, um vom Verzehr
dieses Kapitals zu leben. (Ebd., S. 83).Freiwillig kommt
die notwendige Ersparnis nicht zustande, wie die geringe Beteiligiungsquote bei
der Riester-Rente von nicht einmal 10% im ersten Jahr nach der Einführung
der Riester-Rente (2000) zeigt. Der Grund liegt nicht
in der Unmündigkeit der Bürger, sondern in den Wechselwirkungen mit
dem restlichen Sozialsystem. .... Deswegen muß das Riester-Sparen auch im
Falle einer kindergerechten Ausgestaltung zur Pflicht gemacht werden, und so war
es von Seiten der Wissenschaft ja auch empfohlen worden. (Ebd., S. 82).Statt
nur passiv auf die abnehmenden Genurtenraten zu reagieren und die Konsequenzen
für die Sozialsysteme anderweitig abzufedern, kann man versuchen, den Ursachen
des Bevölkerungsschwunds entgegenzuwirken, also eine aktive Bevölkerungspolitik
zu betreiben. Dies ist seit dem Mißbrauch der Bevölkerungspolitik in
der Nazi-Zeit ein heikles Thema. Aber man kann es nicht weiter tabuisieren und
die zu erwartenden Probleme sehenden Auges auf sich zu kommen lassen. Es ist Zeit,
daß Deutschland sein Tabu überwindet. (Ebd., S. 84).Heute
greift der Staat auf dem Wege über das Rentensystem ganz massiv in die Familienplanung
ein, indem er die Beiträge der Kinder zur Rentenversicherung sozialisiert
und so die natürlichen ökonomischen Motive für den Kinderwunsch
aus den Köpfen der Menschen vertreibt. (Ebd., S. 84).Auf
den ersten Blick spricht vieles dafür, den Kinderwunsch dadurch zu stärken,
daß den jungen Familien in Zukunft mehr geholfen wird, als es in der Vergangenheit
der Fall war. So ist daran zu denken, die Zahl der Kindergärten pro Kind
im entsprechenden Alter wieder auf das internationale Niveau zu erhöhen,
das Ehegatten-Splitting um ein Kinder-Splitting nach französischem Muster
zu erweitern (besser noch: ersetzen! Anm. HB) oder
den so genannten Familienlastenausgleich durch pekuniäre Ausgleichszahlungen
wie zum Beispiel das von der CDU/CSU vorgeschlagene Familiengeld zu erweitern.
Das alles sind sinnvolle ... Maßnahmen, bei der die Nachwuchsplanung die
gewünschten Wirkungen entfalten werden. (Ebd., S. 83).Statt
eine ganze Generation kollektiv in die Verantwortung zu nehmen, solten die notwendige
Rentenverkürzungen und das kompensierende Riester-Sparen auf die Kinderlosen
konzentriert werden. Wer keine Kinder in die Welt setzt und großzieht, dem
kann eine erhebliche Rentenkürzung zugemutet werden. (Ebd., S. 85).Die
Betroffenen müssen angehalten werden, in dem Maße eine Riester-Rente
anzusparen, wie ihnen die umlagefinanzierte Rente gekürzt wird. .... Die
Staffelung von Umlagerente und Riester-Rente nach der Kinderzahl wird zu der wünschenswerten
Änderung der Familienplanung führen. .... Es geht nicht darum, den Staat
bei der Familienplanung mitreden zu lassen, sondern ... ihn wieder ... aus der
Familienplanung herauszunehmen. .... Die Einführung einer von der Kinderzahl
abhängigen Rente ist nicht nur geeignet, die Staatsintervention in die Familienplanung
zurückzunehmen und die natürlichen Motive für den Kinderwunsch
wieder stärker zur Geltung kommen zu lassen. Sie ist zudem auch gerecht,
denn sie folgt dem Verursacherprinzip und dem Leistungsfähigkeitsprinzip.
Wer keine Kinder hat und insofern zu wenig tut, um seine eigene Rente im Umlagesystem
zu sichern, muß die Konsequenzen tragen und selbst auf dem Wege der Ersparnis
für Ersatz sorgen. Und wer keine Kinder hat, kann sparen, weil er keine Ausgaben
für die Kindererziehung leisten muß. Er ist vergleichsweise liquide
und kann die bei der Kindererziehung eingesparten Geldmittel am Kapitalmarkt anlegen,
um auf diese Weise seine gekürzte Umlagerente zu ergänzen. .... Man
darf nicht vergessen, daß es im Generationenzusammenhang zu den normalen
Pflichten einer jeden Generation gehört, zwei Leistungen zu erbringen: In
der leistungsfähigen Lebensphase muß man seine Eltern und seine Kinder
ernähren. Die erste dieser beiden Leistungen wird in Form der Rentenbeiträge
erbracht, die ja in vollem Umfang an die heutigen Rentner fließen. Doch
die zweite Leistung wird von vielen Menschen nicht erbracht, weil sie sich gegen
Kinder entscheiden. So gesehen ist es sehr wohl gerecht, nun auch diesen Menschen
eine zweite Leistung in Form des Riester-Sparens abzuverlangen. Dadurch sichern
sie sich die Rente, deren Vollfinanzierung man den wenigen zukünftigen Beitragszahlern
nicht mehr zumuten kann, und es wird möglich, den Eltern einen größeren
Teil der von ihren eigenen Kindern gezahlten Rentenbeiträge zu belassen.
Menschen, die mehrere Kinder großziehen, an der Riester-Rente zu beteiligen,
hieße indes, ihnen eine dreifache Last aufzuerlegen. Als Beitragszahler
ernähren sie die jetzt Alten, als Eltern, finanzieren sie über die Kosten
der Kindererziehung die Renten aller zukünftiger Rentenbezieher, und als
Riester-Sparer müßten sie zusätzlih ihre eigene Rente finanzieren.
(Ebd., S. 85-87).Ein pragmatischer Umgang mit dem Thema Familienplanung
und Fertilität ist dringend geboten, um den Schaden der aus einer Vergreisung
des Landes zu entstehen droht, zu begrenzen. Dazu muß auch der Staat umsteuern,
denn er ist es, der durch seine sozialen Sicherungssystme, die das Schicksal des
Einzelnen von den Konsequenzen seiner Fertilitätsentscheidungen abgetrennt
haben, ganz maßgeblich zur Änderung des gesellschaftlichen Wertes der
Familie und zur Kinderlosigkeit ... beigetragen hat. Richtig ist es, wenn der
Staat sich stärker an den Kosten der Kindererziehung beteiligt und die Kinder
auch steuerlich stärker berücksichtigt. Die verstärkte Bereitstellung
von Kindergärten, der Übergang zu Ganztagsschulen und das Kinder-Splitting
nach französischem Muster sind Maßnahmen, die sich aufdrängen
und den gewünschten Erfolg haben werden. .... Vieles spricht dafür,
daß sich der Staat zurücknimmt, indem er das Ausmaß der Sozialisierung
der Rentenbeiträge, die Kinder an die Generation ihrer Eltern zahlen, reduziert.
... Wer keine Kinder hat, kann das bei der Kindererziehung eingesparte Geld am
Kapitalmarkt anlegen, um sich so die Rente zu sichern, deren Zahlung er den Kindern
anderer Leute in voller Höhe nicht mehr zumuten kann. Das muß die Devise
für eine neue Rentenreform sein, bei der die Rente allgemein gekürzt
und durch einen kinderbedingten Rentenanspruch ... ergänzt (besser
noch: ersetzt! Anm. HB) wird. (Ebd., S. 87-88).Die
Reformen verlangen mehr Mut von den Politikern und den Vertretern der Rentenversicherungssysteme,
als heute erkennbar ist. .... Die Politiker und Verbandsverterter, die sich sperren,
das Thema weiter tabuisieren oder es mit kleinmütigen juristischen Argumenten
beseite schieben, machen sich schuldig an der Zukunft des Deutschen Volkes.
(Ebd., S. 88).
Die Bedeutung der Humanvermögensbildung in der Familie für die Zukunft
von Wirtschaft und Gesellschaft (Gary S. Becker) Die Familie
ist eine der ältesten Institutionen, die wir kennen. .... Sie ist m.E. immer
noch die bedeutendste Institution in der Gesellschaft - trotz aller Veränderungen,
die ihr widerfahren sind. Sie zieht die Kinder auf, sie investiert in deren Bildung
und deren Wertorientierungen - das, was wir Humankapital nennen (im
Angelsächsischen wird das Humankapital nicht wie bei uns vom Humanvermögen
unterschieden - das ist typisch für das Angelsächsische und eindeutig
ein Nachteil! Anm. HB ).
Und natürlich: sie stellt die Ernährung und Kleidung der Heranwachsenden
sicher, hilft in Notfällen aus und kümmert sich um die Alten, wenn es
nötig ist. (Ebd., S. 89).Die Geburtenhäufigkeit
begann seit dem frühen 19. Jahrhundert in Frankreich, den USA und einigen
anderen Ländern zu sinken. Dieser Rückgang beschleunigte sich während
des 20. Jahrhunderts und speziell während dessen zweiter Hälfte. Die
Hälfte der Weltbevölkerung hat heute Geburtenraten, die nicht für
den Bevölkerungserhalt ausreichen. (Ebd., S. 89).Die
heutige Wirtschaft profitiert ... davon, daß die Familien ... hervorragend
ausgebildete und beruflich bestens vorbereitete Kinder haben. Die heutige Wirtschaft
wird immer mehr zu einer Wissensökonomie. Familien halten es für besser,
weniger Kinder zu haben und viel Zeit und Geld in deren Erziehung und Ausbildung
zu investieren, als viele schlecht erzogene und ausgebildete Kinder zu haben.
Diese Abkehr von einer großen Zahl von Kindern hin zu weniger Kindern mit
stärkerer qualitativer Förderung, die also besser erzogen sind und damit
ein größeres Humankapital verkörpern, hatte einen großen
Einfluß auf die Entwicklung hin zu niedrigen Geburtenraten. (Ebd.,
S. 94-95).Die Kinderkosten werden heute weniger durch die Versorgungskosten
der Kinder bestimmt als durch die Zeitkosten der Eltern, weil beide Partner einen
Teil ihrer Zeit einer bezahlten Erwerbsarbeit widmen wollen. Vor allem angesichts
der gestiegenen Zeitkosten des Kinderhabens reagierten Eltern darauf, indem sie
weniger Kinder bekamen. (Ebd., S. 95).Ich möchte noch
etwas zu den Investitionen der Familie in das Humankapital ihrer Kinder hinzufügen,
also zur Erziehung, zur Ausbildung, zur Informationsvermittlung, zur gesunden
Lebensweise und zu den Wertorientierungen der Kinder. All das sind Aspekte des
Humankapitals, und das ist etwas, worauf Eltern einen enormen Einfluß haben.
Familien spielen eine bedeutsame Rolle bei den Investitionen in das Humankapital.
Das ist deswegen so wichtig, weil die heutige Wirtschaft, in der wir leben, fundamental
wissensabhängig ist. Sie ist eine Wissensökonomie. Die Produktivität
der modernen Wirtschaft hängt von deren Fähigkeit ab, das vorhandene
Wissen und die Informationsverarbeitungskapazität der Menschen erfolgreich
im Produktivitätsprozeß zu nutzen. Es geht nicht mehr um Körperkraft.
Sie ist heute unwichtig. Viele von uns - mit einigen Ausnahmen - würden sich
schlecht anstellen, wenn die Wirtschaft immer noch auf Körperkraft aufbauen
würde. Sie gründet heute auf Wissen. (Ebd., S. 95).Eltern
und Familien sind wichtige Träger von Investitionen in den Wissenserwerb.
Zweifellos sind Schulen wichtig. Ggegenwärtig gibt es sowohl in Deutschland
als auch in den USA eine große Diskussion über die Qualität von
Schulen. Aber wir sollten nicht die Tatsache aus dem Blick verlieren, daß
die Familien immer noch ganz entscheidend zu den Investitionen in Wissen und den
Erwerb von Fähigkeiten beitragen. Schulen ergänzen dies. Aber Schulen
haben die Familie nicht ersetzt, und dies sollte m.E. auch nicht das Ziel sein.
(Ebd., S. 95).Die Wirtschaft in Europa und
den USA begann sich ... mit der industriellen Revolution zu modernisieren. Die
industrielle Revolution war im Kern eine Revolution, in der wissenschaftliche
Erkenntnisse in der Wirtschaft angewendet wurden. Es ging primär um die Anwendung
von Erkenntnissen der Ingenieurswissenschaften und der Chemie, bei der Deutschland
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und in der ersten Hälfte
des 20. Jahrhunderts führend war. (Deutschland war
in allen Bereichen Weltmeister! Deutschland hatte pro Jahr mehr Nobelpreisträger
als der Rest der Welt zusammen ! Die wissenschaftliche Literatur der Welt erschien
zu über 80% in deutscher Sprache! Anm. HB ).
Es war die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Wirtschaft, die zu
einem massiven Anstieg der Produktivität führte. Gleichzeitig machte
die Verwissenschaftlichung der Produktion es erforderlich, daß die Menschen
über das Wissen und die Ausbildung verfügten, um mit den neuen Produktionsmethoden
in effektiver Weise umgehen zu können. Und das ist auch der Grund dafür,
warum ... die in der Ausbildung erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten immer
wichtiger für die Produktivität der Arbeitskräfte, für ihren
Arbeitsplatz und ihr Einkommen wurden. (Ebd., S. 95-96).Ich
bezeichne unsere Zeit als Zeitalter des Humankapitals. Für dieses gilt, daß
das Humankapital zur zentralen Determinante von Wohlstand und Reichtum geworden
ist. (Ebd., S. 96).Erziehung und Ausbildung sind das effektivste
Mittel für fähige junge Menschen aus sozial schwachen Schichten, um
in der wirtschaftlichen Hierarchie aufzusteigen. Denn Erziehung und Ausbildung
- und ich meine damit alle Formen der Ausbildung - bilden die Hauptform des Kapitals
in einer modernen Wirtschaft. Entsprechend ist die Frage der Einkommensungleichheit
in weitem Maße eine Frage, wie man für eine Gleichheit der Startbedingungen
beim Zugang zu Investitionen in das Humankapital sorgt. (Ebd., S. 96).Erbschaften
spielen natürlich eine Rolle bei der Entstehung von Ungleichheiten, aber
eine geringere als oft angenommen wird. Viel wichtiger als Quelle der Ungleichheit
des Einkommens in einer modernen Wirtschaft ist die Ungleichheit in der Art der
Erziehung, Fürsorge und Betreuung, die Kinder von ihren Eltern in den Familienhaushalten
erfahren. Denn diese wirkt sich auf die Art der Ausbildung aus, die die Kinder
während der Schulzeit erhalten. Die Schule baut auf dem auf, was von der
Familie geleistet worden ist. Kommt man aus einer Familie, die ihre Kinder schlecht
für das weitere Leben vorbereitet hat, so fallen sie mit der Zeit immer weiter
hinter die anderen zurück, die von ihrer Familie mit viel besseren Voraussetzungen
versehen worden sind. Das ist das zentrale Problem, das die Gesellschaft m.E.
angehen muß, um die strukturellen Nachteile bestimmter Familien zu überwinden.
(Ebd., S. 96-97).Wo sollte der Staat ansetzen, wenn er eine Verbesserung
des Bildungsstandes erreichen und die Nachteile, denen ein Teil der Familien ausgesetzt
ist, überwinden will? Je nachdem, ob es sich um ein armes oder ein
wohlhabendes Land handelt, wird man unterschiedliche Maßnahmen ergreifen.
(Ebd., S. 97).Wenn die Kinder 10 oder 15 Jahre alt sind, ist es
oft zu spät, hier noch gegensteuern zu können. Das haben Untersuchungen
eindeutig gezeigt. man muß also sehr viel früher beginnen. (Ebd.,
S. 98).Bei einer Vielzahl von Gelegenheiten habe ich angemahnt,
unsere Volkseinkommensstatistik, die große Mängel aufweist, zu verändern.
So werden Ausgaben für Erziehung und Ausbildung in Familie und Schule nicht
als Investitionsausgaben verbucht. Wenn man also wissen will, wie hoch die Investitionen
in Deutschland sind, dann erhält man Angaben über die Ausgaben für
maschinelle Ausrüstungen, Produktionsgebäude und Infrastruktureinrichtungen.
Aber was ist z.B. mit den Personalausgaben im schulischen Bereich? Wir leben
in modernen Volkswirtschaften. Der größte Teil der Investitionen in
den heutigen Industrieländern fließt nach meinen Berechnungen in das
Humankapital, nicht in das materielle Produktivkapital. Maschinen und Produktionsgebäude
sind wichtig, aber nicht so wichtig wie Humankapital. Aber unsere Berechnungen
in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) werden diesem Bedeutungswandel
nicht gerecht. Dies ist eine Unzulänglichkeit, deren Korrektur ich für
nötig halte. Und es stimmt nicht, daß dies nicht machbar wäre.
(Ebd., S. 99).Ein weiteres Defizit der VGR betrifft die Arbeitszeit
von Frauen im privaten Haushalt. Wir können sie berechnen. Wirtschaftsforscher
haben Schätzungen über den monetären Beitrag der Hausfrauenarbeit
in einer richtig berechneten Volkseinkommensziffer vorgenommen. Wenn die Zeit,
die Mütter für die Erziehung und Versorgung ihrer Kinder aufwenden,
mit einem monetären Wert belegt wird, dann hat man einen wichtigen Teil der
volkswirtschaftlichen Investitionen berechnet. Es geht hier also um einen Zeitaufwand,
der investiven Charakter hat. Sicherlich sind derartige Schätzungen schwieriger
als die Berechnungen der Investitionen in die schulische Ausbildung. Aber man
kann hier vorankommen. Es gibt genügend Untersuchungen für eine Vielzahl
von Industrie- und Entwicklungsländern. Die UnItersuchungen legen nahe, daß
ein adäquat berechnetes Volkseinkommen um ca. 15 bis 25% höher liegen
würde, wenn man die Zeit von Hausfrauen und Müttern, die auf die Erziehungs-,
Haus- und Familienarbeit entfällt, angemessen bewerten würde.
(Ebd., S. 99).Aber, was würde das bringen? Für
sich genommen ist es nur eine Berechnung. Aber darüber hinaus wäre es
eine Anerkennung, eine überfällige Anerkennung der Tatsache, daß
Frauen, die sich primär um die Versorgung und Erziehung der Kinder kümmern,
nicht nur einer Arbeit nachgehen, sondern daß sie erheblich zum Humankapital
der Gesellschaft beitragen. Das ist etwas, was wir anerkennen, wenn wir darüber
auf wissenschaftlichen Kongressen reden. Aber bis heute bleibt der Wert der Hausfrauenarbeit
in der Volkseinkommensstatistik unberücksichtigt. Ich plädiere dafür,
daß man mit Versuchen zu dessen Einbeziehung in die VGR beginnen sollte.
Das ist sicherlich kein einfaches Unterfangen. Ich kann mir aber nicht eine adäquate
Berechnung zum Ziel nehmen, wenn man nicht damit anfängt. (Ebd., S.
99-100).Für allgemeine, unkonditionierte stastliche Geldleistungen
zur Förderung der Geburtenzahl: Eine allgemeine finanzielle Förderung
von Familien durch den Staat ist in dem Maße gerechtfertigt, in dem sie
mit der Kindererziehung einen Nutzen für die Gesellschaft erzeugen. ....
Wenn man mit monetären Mitteln die Geburtenzahl fördern will, dann sollte
man dies mit allgemeinen, unkonditionierten Förderungsmaßnahmen machen.
Das mag sehr großzügig klingen (und nur so muß
es auch gemeint sein; Anm. HB). (Ebd., S. 101).Eine
weitere Implikation der niedrigen Geburtenraten in Industrieländern betrifft
die Auswirkungen auf die Altersversorgung. Eines der großen Probleme, die
Europa angehen muß, liegt m.E. nicht nur im vorherrschenden Umlageverfahren
der Rentenversicherung, obwohl ich ein kapitalbasiertes System favorisiere. Ich
denke, das große Problem in Europa liegt im niedrigen Durchschnittsalter
von 58 Jahren bei der Verrentung. Das scheint mir sehr seltsam zu sein in einer
Welt, in der es den Menschen physisch und mental immer besser im Vergleich zu
früher geht. Wir sind geistig gesünder und wir sind körperlich
gesünder. Viele Leute, die Mitte 50 sind, würden gerne weiterarbeiten.
Ich bin selbst ein gutes Beispiel dafür. Aber viele Systeme der sozialen
Sicherheit sind so strukturiert, daß es viel attraktiver ist, sich frühzeitig
verrenten zu lassen als noch weiter zu arbeiten. Durch diesen Trend zur Frühverrentung
vernichtet jede Gesellschaft einen Großteil ihres Humankapitals, und zwar
von Menschen mit großer Erfahrung und Begabung. Immer wieder hört man,
daß man für wirtschaftliche Innovationen jüngere Leute braucht.
Das ist bis zu einem bestimmten Ausmaß richtig. Aber ältere Menschen
verkörpern einen großen Erfahrungsreichtum und vielfaltiges Wissen,
was in mehrfacher Hinsicht wichtiger ist als die Fähigkeiten oder die Flexibilität
von jüngeren Menschen. Eine gesunde Wirtschaft ist nicht eine Wirtschaft,
die sich ausschließlich auf junge Leute stützt. Eine gesunde Wirtschaft
zeichnet sich durch eine Mischung älterer und jüngerer Arbeitskräfte
aus. Wenn Arbeitskräfte heute mit 55 Jahren in Rente gehen und sie eine Lebenserwartung
von 85, bald vielleicht von 90 Jahren haben, dann bedeutet das, daß sie
ca. 35 Jahre im Ruhestand verbringen werden. Das ist auch in Ordnung, wenn jemand
es so will. Aber man sollte das System der Altersversorgung nicht so strukturieren,
daß man einen künstlichen Anreiz zur Frühverrentung schafft. Meines
Erachtens ist das das Problem in vielen europäischen Ländern. Auch in
den Vereinigten Staaten ist es ein Problem, wenn auch weniger gravierend. Wir
sind dabei, das Ruhestandsalter auf 67 und 68 Jahre anzuheben. Wenn man in Zukunft
das Alter von 68 Jahren erreicht haben wird, kann man, wenn man will, weiter arbeiten,
so lange man will, und gleichzeitig die volle Rente beziehen. Derartige Reformen
im System der Altersversorgung können die Belastungen durch eine anhaltend
niedrige Geburtenrate vermindern. Gleichzeitig bliebe der Gesellschaft ein wichtiger
Teil des Humankapitals erhalten. Letztlich stehen sich - das ist meine Meinung
- alle durch solche Maßnahmen besser. (Ebd., S. 102).
Der verfassungsrechtliche Auftrag zu einer familiengerechten Wirtschafts- und
Sozialordnung (Paul Kirchhof) Wenn wir uns die Zukunft einer
humanen Gesellschaft erhoffen, wird uns bewußt, daß dieses Humanum
nur in einer freiheitsfähigen Jugend liegen kann, die unsere hohen kulturellen,
wirtschaftlichen und politischen Standards aufnimmt und weiterentwickelt. Die
Voraussetzungen für eine solche Zukunft ... sind allerdings nicht günstig.
Wir haben zu wenig Kinder, zu wenige erziehungsbereite Erwachsene, zu wenig kindgerechte
Programmdisziplin bei den Miterziehern der moderenen Medien, eine hohe Jugendkriminalität
und deutliche Wertungsschwächen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Eine
Gesellschaft ohne freiheitsfähige Jugend aber wäre eine Gesellschaft
ohne Zukunft. (Ebd., S. 103).Das Grundgesetz stellt Ehe und
Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung (aber
der Staat behandelt Ehe und Familie als seine größten Feinde; die Politik
unserer Herrschenden ist, weil sie gegen das Grundgesetz verstößt,
eindeutig verfassungswidrig und demokratiefeindlich! Anm. HB), verlangt
also rechtliche, soziale und wirtschaftliche Vorkehrungen, so daß die jungen
Menschen die Lebensform der Ehe, also der Gemeinschaft von Mann und Frau und damit
der potentiellen Elternschaft wählen und in dieser Ehe sich für Kinder
entscheiden und diesen Geborgenheit ihrer Familien bieten. Der Gesetzgeber allerdings
hat durch die so genannten »Lebenspartner-Gesetze« Anreize für
Lebensformen geschaffen, aus denen keine Kinder hervorgehen können. Zugleich
lenkt er von der Verfassungserwartung allgemeiner Elternverantwortung ab und stärkt
die Zukunftsvergessenheit, wenn er die Öffentlichkeit Glauben machen will,
unsere demokratische, wirtschaftliche und kulturelle Zukunft sei durch Einwanderung
zu lösen. Selbst wenn der Staat Einwanderer gewinnen würde, die sich
sogleich integrieren und unsere hohen Maßstäbe des Rechts, der Kultur,
der Wirtschaft und Technik mittragen und fortentwickeln könnten, würde
unsere Gesellschaft weiterhin überaltern. Zudem wird der Staat dieses Personal
nicht aus Ländern mit ähnlichen Lebensverhältnissen, sondern nur
aus Schwellenländern gewinnen, diesen Ländern also einen Teil ihrer
leistungs- und freiheitsfähigen Jugend nehmen (und
sie bei uns verkümmern lassen, denn fast alle [jedenfalls mehr als 95%] sind
unqualifiziert!). Auf ein solches Konzept der Ausbeutung sollte ein Staat
seine Zukunft nicht stützen. (Ebd., S. 104-105).Geboten
ist statt dessen die Wiederherstellung einer Wirtschafts- und Rechtsordnung, die
ihre eigene Zukunft in sich selbst findet. Deshalb muß der Gesetzgeber -
wie das Bundesverfassungsgericht sagt - Grundlagen dafür schaffen, daß
Familientätigkeit und Erwerbstätigkeit aufeinander abgestimmt werden
können und die Wahrnehmung der familiären Erziehungsaufgabe nicht zu
beruflichen Nachteilen führt. Vor allem die Erziehungsleistung der Eltern
muß anerkannt und das heißt in einer Gesellschaft, in der Honor und
Honorar eng beieinander liegen, durch Zahlung eines Familiengeldes oder Erziehungsgehaltes
gewürdigt werden. Solange ein Wirtschaftssystem die Leistungen der Lehrerin,
der Kindergärtnerin oder Sozialtherapeutin durch Einkommenszahlung entgilt,
eine entsprechende Leistung der Mutter ohne zeitliche Beschränkung und Urlaubsanspruch
im Stichwort der »Schattenwirtschaft« aber nur als Schatten zur Kenntnis
nimmt, ist der Verfassungsauftrag des Schutzes von Ehe und Familie und des besonderen
Schutzes der Mutter unerfüllt. (Ebd., S. 105). Praktische
Erfahrungen mit einer betrieblichen Rückkehrgarantie, die den Eltern nach
Erfüllung ihres Erziehungsauftrages die Rückkehr in ihren vormaligen
Beruf rechtlich sichern, sind ermutigend. Sie fördern die Familie und sind
auch betriebswirtschaftlich für den einzelnen Betrieb ein Gewinn, weil der
Betrieb Arbeitskräfte zurückgewinnt, die in der Begleitung, Betreuung
und Erziehung des Kindes wertvolle Lebenserfahrung und Berufsdisziplin in die
Betriebe tragen. Allerdings wird der Gesetzgeber zu erwägen haben, ob er
die Finanzierung eines solchen Zukunftsprojektes überbetrieblich organisieren
muß, weil die Betroffenheit der einzelnen Betriebe durch Mutter- und Elternschaft
sehr unterschiedlich ist, sie im übrigen je nach Art und Größe
der Betriebe auch nur sehr unterschiedlich auf gefangen werden kann. (Ebd.,
S. 105).Art. 6 Abs. 4 GG gibt jeder Mutter einen Anspruch auf den
Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft und verpflichtet derzeit den Gesetzgeber
insbesondere, »Grundlagen dafür zu schaffen, daß Familientätigkeit
und Erwerbstätigkeit aufeinander abgestimmt werden können und die Wahrnehmung
der familiären Erziehungsaufgaben nicht zu beruflichen Nachteilen führt«.
»Dazu zählen auch rechtliche und tatsächliche Maßnahmen,
die ein Nebeneinander von Erziehungs- und Erwerbstätigkeit für beide
Elternteile ebenso wie eine Rückkehr in eine Berufstätigkeit und einen
beruflichen Aufstieg auch nach Zeiten der Kindererziehung ermöglichen«.
(Ebd., S. 105).Gerade die jungen Familien leiden heute daran, daß
die vom Grundgesetz angebotene Familien- und Berufsfreiheit nicht gleichzeitig
wahrgenommen werden kann. Die durch die Erfordernisse der Industriegesellschaft
bedingte Trennung der Orte für Erwerbstätigkeit und Familientätigkeit
hat zur Folge, daß die Eheleute sich jeden Morgen entscheiden müssen,
ob sie in der Familienwohnung bleiben und die Kinder erziehen oder aber den Arbeitsplatz
aufsuchen und damit für die Kindererziehung nicht zur Verfügung stehen.
Diese räumliche Trennung von Familienwohnung und Arbeitsplatz zwingt zu einer
Entscheidung zwischen Familien- und Berufstätigkeit. Diese schroffe Alternativität
sucht das Bundesverfassungsgericht mit der Forderung nach einer detaillierten
Abstimmung von Familientätigkeit und Erwerbstätigkeit zu überwinden.
(Ebd., S. 105-106).Das Rentenrecht: Als wirtschaftlicher
Wert der Erziehungsleistung verbleibt der Unterhaltsanspruch der Eltern gegen
ihre Kinder, der ihnen in Notfällen - insbesondere bei Krankheit, Arbeitslosigkeit,
Invalidität und Alter - Unterhalt und Beistand durch ihre Kinder sichert.
Dieser wirtschaftliche Wert der Erziehungsleistung ist aber im Generationenvertrag
der öffentlichen Sozialversicherung kollektiviert und von der familiären
Erziehungsleistung sogar weitgehend gelöst worden. Die sozialstaatliche Errungenschaft
der öffentlichen Sozialversicherung, die auch den Kinderlosen wirtschaftliche
Sicherheit im Krisenfalle bietet, wird zu einem rechtsstaatlichen Skandalon, wenn
dieser Generationenvertrag die alleinigen Träger dieses sogenannten Vertrages,
die Eltern und in erster Linie die Mütter, aus eigenem Recht kaum beteiligt.
Hier fordert der Verfassungsauftrag des Familienschutzes und der Gleichberechtigung
von Mann und Frau strukturelle Veränderungen. Die gesetzgeberische Entscheidung,
daß die Kindererziehung als Privatsache, die Alterssicherung dagegen als
gesellschaftliche Aufgabe gilt, benachteiligt die Familie, ohne daß es dafür
angesichts der Förderungspflicht aus Art. 6 Abs. 1 GG einen zureichenden
Grund gibt. Der Gesetzgeber hat deshalb »jedenfalls sicherzustellen, daß
sich mit jedem Reformschritt die Benachteiligung der Familie tatsächlich
verringert«. Das System der Sozialversicherung ist so auszugestalten, daß
Erziehungsleistung und Erwerbsleistung gleichwertig berücksichtigt werden.
Wenn gegenwärtig eine Beteiligung der Mütter am Generationenvertrag
als »versicherungsfremde Leistung« mißdeutet wird, so verweist
die Verfassung demgegenüber auf die materielle Gleichwertigkeit von Kindererziehung
und monetärer Beitragsleistung. Beiden Leistungen liegt eine vergleichbare
Arbeitsanstrengung, ein gleicher Konsumverzicht und das gleiche Angewiesensein
auf Sicherheit und Bedarfsdeckung zu Grunde. Kindererziehung und monetäre
Beitragsleistung sind deshalb beides Grundlagen der öffentlichen Sozialversicherung,
die zu gleichwertigen Leistungen führen. Vertretbar wäre es allerdings,
die besondere Leistung der Eltern für den Generationenvertrag durch bevorzugte
Leistungsansprüche zu berücksichtigen. (Ebd., S. 106).
Das Steuerrecht: Ehe und Familie erfahren zudem nur einen ausreichenden
verfassungsrechtlichen Schutz, wenn der steuerliche Zugriff auf das individuelle
Einkommen ehe- und familiengerecht gestaltet wird. Auch hier ist der Begriff von
Ehe und Familie ein wesentlicher Ausgangs- und Orientierungspunkt für die
Entwicklung des Steuerrechts. Die Ehe ist eine Erwerbsgemeinschaft, die auch vom
Einkommensteuergesetzgeber im Splittingverfahren aufgenommen und anerkannt werden
muß. Das Ehegattensplitting ist deshalb »keine beliebig veränderbare
Steuervergünstigung«, sondern »unbeschadet der näheren Gestaltungsbefugnis
des Gesetzgebers eine an dem Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG und der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit der Ehepaare (Art. 3 Abs. 1 GG) orientierte sachgerechte
Besteuerung«. Das Einkommensteuerrecht findet eine von Art. 6 Abs. 1 GG
geschützte eheliche Gemeinschaft vor, in der allein die Ehegatten eheintern
die Aufgaben der Erwerbs- und Ehegestaltung verteilen, dem Staat gegenüber
aber gemeinsam als Erwerbsund Lebensgemeinschaft auftreten. Damit wird die eheliche
Erwerbsgemeinschaft, an der dem Staat wegen seiner eigenen Zukunft besonders gelegen
ist (Art. 6 Abs. 1 GG), lediglich den sonstigen Erwerbsgemeinschaften, etwa der
Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, der OHG oder der KG gleichgestellt.
Auch in diesen Erwerbsgemeinschaften werden steuerpflichtige Einkommen gemeinsam
erzielt, dann aber für den Zweck der Individualbesteuerung auf die einzelnen
Beteiligten aufgeteilt. Deswegen fordert der allgemeine Gleichheitssatz - insoweit
nicht anders als der besondere Gleichheitssatz des Art. 6 Abs. 1 GG - eine Gleichstellung
all dieser Erwerbsgemeinschaften. Im übrigen hätte die These, das Einkommen
des einen Ehegatten dürfe dem anderen nicht anteilig zugerechnet werden,
zur Folge, daß dann ein Ehegatte einkommenslos und deshalb sozialhilfeberechtigt
wäre. Damit würde das Sozialrecht in ungewollter Weise zu einem Instrument
der Familienfinanzierung. Im Gegensatz zur Ehe ist die Familie keine Erwerbsgemeinschaft,
sondern eine Unterhaltsgemeinschaft. Die Kinder haben in der Realität moderner
Bildungs- und Ausbildungsansprüche kaum zum Unterhalt der Familie beizutragen,
beanspruchen vielmehr selbst Unterhalt durch ihre Eltern. Deshalb erfaßt
das Einkommensteuerrecht das Kind nicht als Steuerpflichtigen, der einen Teil
des elterlichen Einkommens mitverdient hat, sondern als Unterhaltsberechtigten,
der die steuerliche Leistungsfähigkeit der unterhaltspflichtigen Eltern mindert.
Haben die Eltern einen Teil ihres Einkommens zur Erfüllung ihrer Unterhaltsschuld
an ihre Kinder weiterzugeben, so steht das zum Kindesunterhalt verwendete Einkommen
nicht zur Verfügung der Eltern, kann von diesen deshalb auch nicht zur Zahlung
von Steuern verwendet werden. Die finanziellen Leistungsfähigkeit der Eltern
ist in Höhe des Kindesunterhalts verringert. Deshalb muß der Unterhaltsbedarf
der Kinder die einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage bei den Eltern realitätsgerecht
mindern. Das für die Eltern nicht disponible Einkommen ist nicht besteuerbar.
(Ebd., S. 107-108).Ehe und Familie sind von Verfassungs wegen auch
in der jeweiligen Wirtschafts- und Sozialordnung zu schützen. Dies gilt insbesondere
in einer Gesellschaftsordnung, in der Anerkennung, Einfluß und Existenzgrundlage
über Einkommen vermittelt werden. (Ebd., S. 110).Der
Staat findet seine Zukunft in den Familien. Er baut auf die familiäre Bindung
unter den Freiheitsberechtigten und die familiären Lesitungen der Erziehung,
des Beistandes, der Hausgemeinschaft, der privaten Pflege und auch des familiären
Unterhalts, die der Staat nicht ersetzen könnte. Gäbe es die Ehen und
Familien nicht, könnte der Rechtsstaat seine Freiheitlichkeit nicht bewahren,
der Sozialstaat würde seine Leistungskraft überfordern. Mit den Familien
steht deshalb auch der soziale Rechtsstaat auf dem Spiel. (Ebd., S. 110).
Demographischer Wandel ist auch eine Chance (Georg Milbradt)Der
einstige Kinderreichtum in Europa wurde innerhalb nur einer einzigen Generation
drastisch reduziert. .... In Mitteleuropa ist das bislang eine einmalige Situation
- eine Situation, die ein Umdenken erfordert, denn wir waren es ja in Politik
und Gesellschaft ... gewohnt, mit Wachstum umzugehen, ja Wachstum zu verwalten.
Uns fehlt dioe Erfahrung, wie man mit einer abnehmenden Bevölkerung als Land
leistungsfähig bleibt. (Ebd., S. 111-112).PolitIk und
Wirtschaft müssen einerseits möglichst frühzeitig und intelligent
auf den Bevölkerungsrückgang reagieren (bisher
haben beide ihn nur verstärkt! Anm. HB). Andererseits muß sich
Politik selbstverständlich auch mit den Ursachen der Bevölkerungsentwicklung
selbst befassen (bisher hat sie sie nur verdrängt bzw.
tabuisiert! Anm. HB), also mit der Kinderlosigkeit eines immer größeren
Teils der Bevölkerung (bisher hat sie diesen Teil nur
unterstützt bzw. verstärkt! Anm. HB). Was können und müssen
wir tun (zumindest das Gegenteil der bisherigen Politik!
Anm. HB), damit wieder mehr junge Leute Mut und Freude daran haben, Kinder
in die Welt zu setzen? (Ebd., S. 114).Die Familie ist
nach wie vor die zentrale Säule unserer Gesellschaft. Alle ideologisch begründeten
Experimente, dies zu ändern sind gescheitert, sowohl an den Menschen als
auch an dem Vakuum, das die Ideologie nicht zu füllen vermochte. (Ebd.,
S. 114-115).Vom Nutzen der durch die Familie erbrachten Leistungen
profitiert ... in großem Maße die Allgemeinheit. Besondere Konsequenzen
aus dieser Entwicklung ergeben sich für die kollektiven Sicherungssysteme.
Der von der Individualisierung ausgelöste Bedeutungswandel der Familie hat
den alten natürlichen »Drei-Generationen-Vertrag« durch einen
kollektiven »Zwei-Generationen-Vertrag« abgelöst. (Genauer
gesagt: mit viel Dummheit von Adenauer 1957 durchgesetzt; Anm. HB). ....
Familien werden also gegenüber den anderen Haushaltsformen benachteiligt,
was nicht ohne Auswirkungen auf die Familienbildung bleiben kann. (Ebd.,
S. 115-116).Eine Untersuchung des Deutschen Instituts für
Wirtschaftsforschung belegt, daß ... das Nettoeinkommen eines kinderlosen
Paares doppelt so hoch ist wie das eines Ehepaares mit 2 Kindern und sogar viermal
so hoch wie das eines Ehepaares mit 3 Kindern. .... Eine Gesellschaft, die Individualität,
Leistungen im Erwerbsleben, Wohlstand und Genuß zu Wertmaßstäben
macht, entscheidet sich damit faktisch gegen Kinder. (Ebd., S. 116).Zeit
für Kinder (Carsten Stahmer / Christian Leipert)Konzepte:
In unserer Untersuchung untergliedert sich die Zeit für Kinder in verschiedenen
Zeitkomponeneten, die amn im Hinblick auf die bezahlung der Leistungen bzw. die
Frage der Zurechenbarkeit zusammenfassen kann (siehe Abbildung).
(Ebd., S. 122).Bezahlte
und unbezahlte Zeit für Kinder
| |
Bezahlte Erwerbsarbeitszeit | | Unbezahlte
Zeit im Haushalt | Für
den privaten Konsum der Kinder | Für
die schulische Ausbildung der Kinder | | Hauswirtschaft
und handwerkliche Tätigkeit | Betreung
von Kindern | Sonstige mit Kindern verbrachte
Zeit | | | | |
Aktive
Betrreuung (Haupttätigkeit) | Gleichzeitige
Betreuung (Nebentätigkeit) |
| | | Zurechenbare
Zeit | Zurechenbare Zeit | | Zurechenbare
Zeit | | ? |
Das
Konzept der zurechenbaren Arbeitszeit für Kinder umfaßt zwei
Kategorien unbezahlter und zwei Kategorien bezahlter Arbeit. Es beschränkt
sich auf Kategorien der Arbeitszeit für Kinder, in denen die Kinderorientierung
der aufgewendetetn Zeit von Erwachsenen völlig eindeutig ist. (Also:
die zurechenbare Arbeitszeit umfaßt in Wirtklichkeit noch mehr! Anm.
HB). Bei den beiden Kategorien unbezahlter Arbeit (aber
zurechenbar!) handelt es sich um Tätigkeiten im familiären
Haushalt, und zwar um die aktive Betreuung von Kindern als Haupttätigkeit,
wie es in der genauerern Sprache der Statistiker heißt, und um die Hausarbeit
für Kinder, also die kinderbezogenen hauswirtschaftlichen und handwerklichen
Leistungen im familiären Haushalt. Als Kategorien der bezahlten Arbeit wurden
die Erwerbsarbeit, die mit der Produktion von Konsumgütern für Kinder
verbunden ist, und die Erwerbsarbeit, die direkt und indirekt bei der Leistungserstellung
im Bildungswesen erbracht wird, einbezogen. (Vgl. Abbildung).
(Ebd., S. 122-123).Zahl und Verteilung der Kinder auf die einzelnen
Familientypen: In die hier vorgestellte Untersuchung wurden alle Familienhaushalte
einbezogen, in denen Kinderleben, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet
haben. Die Zahl der Kinder unter 18 Jahren belief sich ... 1998 auf 15,528 Mill.
Kinder (10,112 Mill. 0-bis-12-Jährige + 5,416
Mill. 12-bis-18-Jährige = 15,528 Mill. 0-bis-18-Jährige;
Anm. HB). .... Faßt man die Haushalte mit Kindern in mehreren übergeordneten
Kategorien zusammen, so zeigt sich, daß sich die Anteile der Kinder in 1-Kind-Familien
und in Ehepaarfamilien mit 2 Kindern an allen Kindern zwischen 1990 und 1998 praktisch
nicht verändert haben. Ein Viertel der Kinder lebt in 1-Kind-Familien. Der
Familientyp, auf den der größte Teil der Kinder entfällt - und
zwar über 2/5 aller Kinder (1998: 41,8%) -, sind die Ehepaarfamilien mit
2 Kindern. (Ebd., S.127). | 3,3%
bzw. 2,725 Mill. Alleinerziehende |
| 6,6%
bzw. 5,416 Mill. 12-bis-18-Jährige |
| 12,3%
bzw. 10,122 Mill. 0-bis-12-Jährige |
| 20,6%
bzw. 16,934 Mill. Ehepaare mit Kindern unter 18 Jahren |
| 57,0%
bzw. 46,826 Mill. Sonstige Personen |
| 100%
bzw. 82,023 Mill. Einwohner |
(Stand:
1998)
Zurechenbare
Zeit für Kinder (1998)
| Das
Konzept der eindeutig zurechenbaren Zeit für Kinder: .... Als besonders
aussagekräftig gelten Indikatoren der Zeit pro Kind und pro Tag. Im folgenden
ist also bei der Interpretation zu beachten, daß die Zeit für Kinder
generell auf 7 Tage pro Woche aufgetteilt ist. (Ebd., S. 128-129).Unbezahlte
Arbeit in der Familie: .... Daß der Anteil der kinderbezogenen Hausarbeit
deutlich höher ist als jener der aktiven Kinderbetreuung, hat nicht zuletzt
damit zu tun, daß die aktiven Betreuungszeiten der Eltern mit zunehmenden
Alter der Kinder immer rascher zurückgehen. Dagegen ist die kinderbezogene
Hausarbeit altersunabhängig, ein stabiler Faktor. (Ebd., S. 131).Bekanntlich
beansprucht die Erziehungs- und Betreuungsarbeit der Eltern um so mehr Zeit, je
jünger das Kind ist. Nach Angaben der Zeitbudgetstudie von 1991/'92 vermindert
sich etwa die aktive Kinderbetreuungszeit der Erwachsenen in Familien mit jüngstem
Kind von 3 bis 6 Jahren um über die Hälfte gegenüber Familien mit
jüngstem Kind unter 3 Jahren. (Vgl. Karen Blanke / Manfred Ehling / Norbert
Schwarz, Zeit im Blickfeld - Ergebnisse einer repräsentativen Zeitbudgeterhebung,
1996). Bei Familien mit jüngstem Kind zwischen 12 bis 16 Jahren sinkt die
aktive Betreuungszeit der Eltern schließlich auf ein Neuntel des Wertes
der Familien mit jüngstem Kind unter 3 Jahren. (Ebd., S. 132).Die
Frage, ob Erwerbsarbeit ausgeübt wird, beeinflußt in einem hohen Grade
das Ausmaß des Zeitaufwands der Eltern für unbezahlte Arbeit in der
Familie. Besonders fallen die Unterschiede bei der aktiven Betreuungszeit ins
Auge. Vergleicht man Ehepaarfamilien mit einem erwerbstätigen Partner mit
dem gleichen Familientyp, aber mit zwei erwerbstätigen Partnern, so weisen
die Pro-Kind-Werte der Familien mit Doppelerwerbstätigkeit über zwei
Drittel weniger an Betreuungszeit gegenüber der Vergleichsgruppe auf. Bekanntlich
unterbrechen meist die Mütter die Erwerbstätigkeit zugunsten der Erziehungs-
und Familienarbeit, und diese weisen nacha nderen Ergebnissen des Statistischen
Bundesamtes deutlich höhere Werte der Betreuungszeit auf als erwerbstätige
Mütter. (Ebd., S. 134).Am höchsten ist der Anteil
der aktiven Betreuung bei Ehepartnern, bei denen nur ein Ehepartner erwerbstätig
ist. Am niedrigsten ist er bei erwerbstätigen Alleinerziehenden. Dies erklärt
sich mit dem knappen Zeitvorrat, über den diese Haushaltsgruppe generell
für Aufgaben der Famileinarbeit verfügt. (Ebd., S. 134).Ein
interessantes Teilergebnis der Untersuchung des Statistischen Bundesamtes liegt
in dem Nachweis des Zeitaufwandes sinstiger Privathaushalte für aktive Betreuung
in den Familien mit Kindern unter 18 Jahren und des Anteils, den sie zum Privatkonsum
der Kinder beitragen. Sonstige Haushalte, zu denen Haushalte der Großeltern,
von anderen Verwandten, Freunden und Nachbarn gehören, bringen sich bei der
Kinderbetreuung und auch beim Unterhalt der Kinder mit Zeit und Geld ein. Der
zeitliche Aufwand dieser Gruppe mithelfender Dritter in Familienhaushalten lag
z.B. 1990 in den alten Bundesländern um zwei Drittel höher als der gesamte
Zeitaufwand von Alleinerziehenden für aktive Kinderbetreuung und bei fast
einem Fünftel des entsprechenden Zeitaufwands von Ehepaarfamilien.
(Ebd., S. 134).Bezahlte Arbeit im Erwerbssektor (vgl. Abbildung):
... Die durchschnittlichen Versorgungskosten pro Kind sinken mit wachsender Kinderzahl
in einer Familie. Die Pro-Kind-Erwerbsarbeitszeiten im Bereich privater Konsum
für Kinder liegen in Familien mit 3 und mehr Kindern um ca. ein Viertel
niedriger als in 1-Kind-Familien. Bei der schulischen Ausbildung ist eher
die gegenläufige Entwicklung festzustellen. Die Erwerbsarbeitszeiten im Bildungssektor
pro Kind steigen mit zunehmender Kinderzahl in den Familien. Familien mit 3 und
mehr Kindern weisen einen um ca. 20% höheren Pro-Kind-Wert auf als in 1-Kind-Familien.
Dies ist darauf zurückzuführen, daß der Anteil von noch nicht
schulpflichtigen Kindern unter 6 Jahren an allen Kindern unter 18 Jahren in 1-Kind-Familien
höher ist als in Familien mit 2 oder mehr Kindern. (Ebd., S. 135)Unbezahlte
Zeit für Kinder (1998)
|
Das
umfassende Konzept der unbezahlten Zeit für Kinder in der Familie: Erst
das umfassende Konzept der unbezahlten Zeit im Haushalt gibt ein annäherndes
Bild der wirklichen zeitlichen Beanspruchung vor allem der Eltern durch ihre Kinder
und deren Entwicklungs- und Bildungsbedürfnisse. Hier sind zusätzlich
die beiden Kategorien der Kinderbetreuung als gleichzeitige Tätigkeit sowie
die sonstige mit Kindern verbrachte Zeit einbezogen. (Beide
gehören ja nach diesem Konzept zur nicht-zurechenbaren Arbeitszeit;
Anm. HB). Im Ergebnis zeigt sich, daß sich die unbezahlte tägliche
Zeit, die für Kinder in den Familien aufgewendet wird, mehr als verdoppelt.
(Ebd., S. 135-136).Die sonstige mit Kindern verbrachte Zeit umfaßt
... fast die Hälfte des gesamten unbezahlten häuslichen Zeitinputs auf
sich. Die Hausarbeit für Kinder kommt auf einen Anteil von eonem knappen
Viertel. (Ebd., S. 135-136).Zeit
für Kinder (1998)
|
Das
umfassende Konzept der Zeit für Kinder: .... Der überragende Anteil
der in der Familie für Kinder verwendeten Zeit liegt hier bei 90%. Faßt
man die die beiden Komponenten der Kinderbetreuung als haupt- und als gleichzeitige
Tätigkeit zusammen, so ergibt sich für die Kinderbetreuung ein Anteilswert
von fast 1/4 der Gesamtzeit. Auf die Hausarbeit entfällt über ein Fünftel
der für Kinder verwendeten Zeit, Den größten Zeitanteil nimmt
die sonstige mit Kindern verbrachte Zeit ein, und zwar mit einem Anteil, der zwar
nicht die Hälfte der Geamtzeit erreicht, aber immerhin vier Neuntel.
(Ebd., S. 136-137). | 3,6%
SCHULISCHE AUSBILDUNG |
| 7,0%
GLEICHZEITIGE KINDERBETREUUNG |
| 17,1%
AKTIVE KINDERBETREUUNG |
| 22,2%
HAUSWIRTSCHAFTLICHE UND HANWERKLICHE TÄTIGKEIT |
| 44,0%
SONSTIGE MIT KINDERN VERBRACHTE ZEIT |
| 100%
ZEIT FÜR KINDER (1998) |
Zeit
für Kinder: Wieviel Äquivalenten eines Arbeitsplatzes in der Erwerbswirtschaft
entspricht sie? Unser Anliegen bei diesem Projekt ist die Ermittlung
des Arbeitszeitvolumens im Zusammenhang mit der Erziehung, Betreuung, Bildung
und Versorgung von Kindern im Alter bis zu 18 Jahren. Die konkrete Leitfrage war,
wieviel gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit im Zusammenhang mit der zukunftsorientierten
Aufgabe des Aufziehens von Kindern und Jugendlichen in den verschiedenen Teilen
der Gesellschaft, in der Famlílie, in der marktlichen Sphäre und im
Staatssektor gelesitet wird. Um einen griffigen Eindruck von der gesamtwirtschaftlichen
Bedeutung des Großziehens zu erhalten, liegt es nahe zu fragen, wie vielen
Äquivalenten eines Erwerbsarbeitspaltzes die für Kinder verwendete Arbeitszeit
in einem Jahr entsprechen würde. (Ebd., S. 137).Es zeigt
sich, daß das kinderbezogene Zeitvolumen im umfassendsten Sinne einem Äquivalent
von knapp 2 6 Mill. Arbeitsplätzen (1990) entspricht. Anders ausgedrückt
entspricht das am weitesten gefaßte Zeitvolumen für Kinder einem Anteil
von 85% des gesamten Arbeitsvolumens oder von 85% aller Erwerbstätigen (!!!).
Die entsprechenden Werte für das engere Konzept der zurechenbaren Arbeitszeit
für Kinder liegen für 1990 bei 12,7 Mill. Äquivalenten eines Arbeitsplatzes,
was einem Anteil von kanpp 42% des Arbeitsvolumens oder von 42% aller Erwerbstätigen
entspricht. (Ebd., S. 138).80% des Arbeitsaufwands bleiben
in der offiziellen Statistik ausgeblendet, weil er unbezahlt in den Familien aufgebracht
wird. Das Aufziehen eines Kindes im Alter von 0 bis 18 Jahren entspricht ... pro
Jahr in dem hier verwendeten engeren Zeitkonzept dem durchschnittlichen Arbeitsvolumen
von mehr als einem Erwerbsarbeitsplatz, nur daß der größte Teil
dieses Arbeitsplatzes im privaten Haushaltssektor liegt. (Ebd., S. 138-139).Erweitern
wir das Konzept der eindeutig Kindern zurechenbaren Zeit um die beiden weiteren
Komponenten familiären Zeitaufwands »Kinderbetreuung als gleichzeitige
Tätigkeit« und »die sonstige mit Kindern verbrachte Zeit«
zum umfassendsten Konzept der Zeit für Kinder, das wir hier untersuchen,
dann erhöhen sich die rechnerischen Arbeitsplatzäquivalente pro Kind
auf 2,25 (!!!) .... (Ebd., S. 139-140).Sucht
man nach einer Antwort auf die Frage, wieviel Arbeitsplätzen in unserer Wirtschaft
im Durchschnitt der zeitliche Aufwand für das Aufziehen eine Kindes bis zur
Volljährigkeit pro Jahr entsprechen würde, so ergeben unsere Schätzungen
einen Wert in einer Bandbreite zwischen deutlich mehr als einem Arbeitsplatz bis
zu einem Wert von 2,25. Würde man auch die anderen Bereiche der Erwerbsarbeit
einschließlich der importspezifischen Erwerbszeiten einbeziehen, würde
sich die Bandbreite auf einen Wertebereich zwischen fast 1,33 und knapp 2,5 Arbeitsplätzen
verschieben. Der Anteil der Erwerbsarbeit würde sich hier auf über 30%
erhöhen. Vor dem Hintergrund der pädagogischen Bedeutung der Tätigkeiten,
die zur sonstigen mit Kindern verbrachten Zeit gerechnet werden, für die
gesamte Entwicklung der Kinder und Jugendlichen liegt man wohl nicht falsch, wenn
man annimmt, daß der echte Wert eher in der Nähe von gut zwei Arbeitplätzen
liegt. (Ebd., S. 140).Wir wissen aus den Ergebnissen für
die beiden Familiengruppen mit unter 12jährigen Kindern und Kindern im Alter
von 12 bis 18 Jahren, daß der Arbeitszeitaufwand für die jüngere
Kindergruppe im Durchschnitt ein gutes Fünftel höher liegt als jener
für die ältere Gruppe. Je jünger die Kinder, um so höher der
Zeitauf wand für ihre Versorgung, Betreuung und Erziehung - so lassen sich
die Ergebnisse vieler Zeitstudien in Familienhaushalten zusammenfassen. Übertragen
auf unsere Frage, wievielen Äquivalenten eines Erwerbsarbeitsplatzes der
Zeitaufwand für Kinder entspricht, läßt sich daraus folgern, daß
die Bandbreite der Werte bei Kleinkindern noch wesentlich höher liegen würde
(!!!). (Ebd., S. 140).In den
Kinderkostenuntersuchungen von Heinz Lampert entfallen ca. ein Drittel auf Versorgungs-
und zwei Drittel auf Betreuungskosten. Von Gary Becker gibt es die Bemerkung,
»daß der Wert der Zeit, die für Kinder aufgewendet wird, den
größten Teil der Kosten von Kindern in modernen Volkswirtschaften ausmacht.«
Betrachten wir unsere Resultate, so offenbart eine Untersuchung auf der Zeitebene
eine noch größere Kluft zwischen den Anteilen von Versorgung und kinderbezogener
Betreuungs- und Hausarbeit. Selbst im engeren Konzept der eindeutig zurechenbaren
Arbeitszeit liegt der Anteil der Versorgung nur zwischen einem Achtel und maximal
einem Fünftel der insgesamt aufgewendeten Zeit. (Ebd., S. 140).Auf
der Basis der neuen Ergebnisse zum Arbeitszeitvolumen für Kinder könnten
auch neue Berechnungen des volkswirtschaftlichen Wertes des in Deutschland gebildeten
Humanvermögens vorgenommen werden. Zum ersten Mal sind derartige Berechnungen
von der Sachverständigenkommission für den 5. Familienbericht der Bundesregierung
»Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland -Zukunft des Humanvermögens«
(1993, S. 193ff. und S. 290ff.) vorgenommen worden. Auf der Basis der Kinderkostenberechnungen
von Lampert ermittelte die Kommission den Beitrag der Familien zur volkswirtschaftlichen
Humanvermögensbildung. Sie bezifferte den Beitrag der Familien zum gesamtwirtschaftlichen
Arbeitsvermögen auf eine Summe von 15,3 Billionen DM. Demgegenüber belief
sich der Wert des reproduzierbaren Sachvermögens im Jahre 1990 zu Wiederbeschaffungspreisen
auf 6,9 Billionen DM (vgl. ebenda, S. 145). (Ebd., S. 141).Unsere
Resultate können auch der Forschung im Bereich der monetären Bewertung
der unbezahlten Arbeit und speziell zur Berechnung eines um die kinderbezogene
Familienarbeit erweiterten Bruttoinlandsprodukts (BIP) Impulse verleihen.
(Ebd., S. 141).Bisher liegen seitens des Statistischen Bundesamtes
im Rahmen des Satellitensystems »Haushaltsproduktion« Berechnungen
des monetären Wertes der Haushaltsproduktion, also der gesamten unbezahlten
Arbeit in privaten Haushalten, vor. (Vgl. Dieter Schäfer / Norbert Schwarz,
Wert der Haushaltsproduktion 1992, 1994; Dieter Schäfer, Haushaltsproduktion
in gesamtwirtschaftlicher Betrachtung, 1988). Als gesellschaftlich und politisch
noch viel relevanter könnten sich erstmalige Berechnungen des monetären
Wertes der kinderbezogenen Familienarbeit und die Einbeziehung in ein entsprechend
erweitertes BIP-Konzept erweisen. (Ebd., S. 141). -
WENIGER KINDER - ÄRMERE WELT? -
Anhaltend niedrige Geburtenraten und ihre Folgen (Gérard-François
Dumont) Die niedrige Geburtenziffer in Europa führt in dem
Maße, wie die Fertilitätsraten unterhalb bzw. weit unterhalb der Schwelle
des Generationenersatzes liegen, zu einem - wie ich es nenne - »demographischen
Winter«. (Ebd., S. 143).Eine niedrige Geburtenrate
wirkt sich auf Konsumtion, Investition und - im allgemeineren Sinne - auf die
egsamte Wirtschaftsdynamik aus. (Ebd., S. 143).Der niedrige
Anteil junger Menschen beeinflußt Verbrauchsmuster sowie Sparverhalten.
Die Gesamtnachfrage zielt stärker auf Konsumtion als auf Investition. Eine
junge Bevölkerung äußert in der Tat einen starken Investitionsbedarf
(z.B. schulische Einrichtungen, Hochschulen, Grundstücke, Wohausstattung
u.s.w.), wohingegen die ältere Bevölkerung ihren Bedarf weitestgehend
schon gedeckt hat. Der mit dem Alter einhergehende höhere Ausstattungsgrad
der Haushalte schränkt bei der älteren Generation den Konsumbedarf im
Rentenalter ein. Zudem führt ein erhöhtes Pflegerisiko dazu, daß
eine vorsorgliche Spartätigkeit bis zum Erreichen des fortgeschrittenen Alters
beibehalten wird. Die Unternehmen sehen sich Märkten mit geringer Wachstumsrate
oder mit Schrumpfungstendenzen gegenüber, zumal die niedrige Geburtenrate
den relativen Einfluß der jungen Bevölkerung und damit auch den jugendbezogenen
Investitionsbedarf mindert. (Ebd., S. 143). Die Gefahr alternder
Gesellschaften besteht darin, daß deren Fähigkeit zur Innovation abgeschwächt
wird. .... Insgesamt sind noch nie dauerhafte wirtschaftliche Fortschritte in
einer älter werdenden Bevölkerung beobachtet worden, zumal sich zu den
wirtschaftlichen Auswirkungen auch problematische soziale Folgen ergeben.
(Ebd., S.144). Schrumpfen des Familiennetzes: Niedrige Geburtenraten
bedeuten auch weniger Geschwister, Onkel und Tanten, weniger Cousins und Cousinen,
also ein eingeschränkteres Familiennetz. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit
engerer Freundschaftsbeziehungen. Das Schrumpfen des Familiennetzes kann Folgen
haben für die Fähigkeit, sich ins gesellschaftliche Leben zu integrieren.
Unterschiede zwischen den Menschen zu verstehen und im Team erfolgreich zu arbeiten.
(Ebd., S. 146). Politische Konsequenzen: Die fortdauernd
niedrige Geburtenrate hat vielfältige politische Konsequenzen. Es verändert
die Beziehungen zwischen den Generationen innerhalb der jeweiligen Bevölkerung
sowie ihrer Wählerschaft. (Siehe auch: Steigendes Wahlberechtigten-Medianalter;
Anm. HB). Gleichfalls ändern sich dadurch die demographischen Eckdaten
dieser Bevölkerung, und regionale Disparitäten können sich verstärkt
ausprägen. Außerdem stellt sich in diesem Zusammenhang auch die Frage
nach der Vermittlung politischer Werte. (Ebd., S. 146). Veränderte
Wählerschaft: Betrachten wir zunächst den rein quantitativen Aspekt
einer dauerhaft niedrigen Geburtenrate. Bei einer Bevölkerung mit sinkender
Geburtenziffer schrumpft die Basis der Alterspyramide und die zahlenmäßigen
Verhältnisse zwischen den Altersgruppen verändern sich. (Die
Alterspyramide hat die Tendenz, sich auf den Kopf stellen; Anm. HB). Mit
der Zeit verringert sich der Anteil der Jugendlichen, später der jungen Erwachsenen,
während der Anteil der alten Menschen steigt. Ebenso entwickeln sich zwangsläufig
die politischen Anforderungen. Diejenigen Bürger, die ihre Bedürfnisse
massiv zum Ausdruck bringen, wedrem relativ,ehr Einfluß haben. Hingegen
werden Ansprüche an eine Politik für Kinder und Jugendliche von einem
immer stärker schrumpfenden Anteil der Bevölkerung erhoben. In den Gemeinden
und Bezirken mit ausgeprägt älterer Bevölkerung wird politisch
Stimmung für die Schaffung und Bewilligung von Subventionen in Bereichen,
die den Senioren zugute kommen, gemacht. Dagegen wird z.B. kein Bau einer neuen
Schule gefordert, wenn es keinen entsprechenden Beadrf gibt. Proteste werden eventuell
nur dann geäußert, wenn es um die Absicht der Schließung von
Klassen als Folge der niedrigen Geburtenrate geht. Die Äußerung politischer
Ansprüche durch die Wähler, als diejenigen, die rechtlich dazu befugt
sind, verändert sich infolge des sich wandelnden Altersaufbaus. (Siehe
auch: Steigendes Wahlberechtigten-Medianalter;
Anm. HB). Der unaufualtsam wachsende Anteil der Sechzig-und-Mehr-Jährigen
führt dazu, daß deren Stimme ganz natürlich jenen Kandidaten gilt,
die dieser Altersgruppe mehr versprechen. Dieses »mehr« führt
unausweichlich zum Nachteil für andere Optionen. Entscheidet sich der Staat
für die Bildung von Rücklagen zur Finanzierung der Renten aus Steuereinnahmen
oder abgabeähnlichen Einnahmen, bedeutet das gleichzeitig, daß diese
Mittel nicht für andere Zwecke zur Verfügung stehen, wie z.B. für
die Familienpolitik oder die Steuerentlastung der Familien. Wenn ein Staat mit
einem defizitären Haushalt Rentnern zusätzliche Leistungen bewilligt
oder an diesen festhält, haben die künftigen Generationen, die die Schulden
des Staates übernehmen müssen, die Zeche für diese Vergünstigungen
zu zahlen. In den Gebietskörperschaften muß durch unvermeidbare Budgetbeschränkungen
fortwährend eine Auswahl getroffen werden: sei es durch Bewilligung von Subventionen
für Vereine, den Vorrang für den Bau einer Kinderkrippe oder eines Seniorenklubs
oder sei es für die bevorzugte Unterstützung eines Sportklubs für
Jugendliche oder einer Freizeiteinrichtung für ältere Menschen. Die
Entscheidung für eine oder mehrere der hier erwähnten möglichen
Maßnahmen hängt immer mehr vom Wählereinfluß der einzelnen
Altersgruppen und nicht notwendigerweise von der politischen Richtung der Verantwortlichen
ab. Selbst wenn gewählte Lokalpolitiker ideologisch stark gebunden sind,
handeln sie in erster Linie pragmatisch und engagieren sich für die Menschen,
deren Stimme sie erhalten haben. Das heißt m.a.W., daß die Gesamtheit
und die Rangordnung der letztlich politisch zur Geltung kommenden Bedürfnisse
der Bevölkerung unausweichlichen Veränderungen aufgrund des sich wandelnden
Altersaufbaus unterliegen. Die infolge einer geringen Geburtenrate überalterte
Bevölkerung setzt stärker auf Sicherheit als auf Entscheidungsfreudigkeit.
Sie wird es zweifelsfrei wichtiger finden, die Anzahl der städtischen Polizisten
zu erhöhen, deren physische Präsenz (insbesondere aufgrund ihrer Uniform)
und Tätigkeit in der Strafverfolgung für die Wähler sichtbar sind,
als die Zahl der Sozialarbeiter zu vermehren, die offensichtlich nicht so auf
der Straße ins Auge fallen und deren Präventivarbeit schwer zu bewerten
ist. (Ebd., S. 146-147). Gefahren eines Krieges zwischen
den Generationen: Die veränderten Relationen zwischen den Generationen
führen auch zu Anpassungen des politischen Handeins auf allen Ebenen. Kann
der Geburtenschwund soweit führen, daß ein »Krieg zwischen den
Generationen« oder sogar Aufstände der zahlenmäßig geringeren
Jugendlichen, die sich durch eine überalterte Gesellschaft erdrückt
fühlen, heraufbeschworen werden? Der Krieg zwischen den Generationen
in den Gesellschaften, in denen zahlreiche Dienstleistungen für die Allgemeinheit
von der öffentlichen Hand bereitgestellt werden, findet in der Tat tagtäglich
auf wirtschaftlicher und finanzieller Ebene statt. Die Geschichte der Länder
mit dauerhaft niedriger Geburtenrate macht die Niederlage der Jugend in der ökonomischen
Auseinandersetzung zwischen den Generationen deutlich. Für sie ist weniger
Deflation als Inflation bei der Finanzierung der Leistungen, die den Rentnern
gewährt werden (egal ob das System nun auf privater Kapitalbildung oder dem
Umlageprinzip beruht), von Vorteil. Aber auch dann können sie nicht damit
rechnen, jemals einen Nutzen in gleichwertiger Höhe ziehen zu können.
(Ebd., S. 147-148). In dem alltäglichen Kampf setzen sich
die Entscheidungen zugunsten der älteren Generation durch, deren Bedeutung
auch politisch am meisten steigt. (Vgl. auch: Steigendes
Wahlberechtigten-Medianalter;
Anm. HB). Die zunehmende Alterung der Bevölkerung führt ganz
mechanisch zu einem malthusianischen*
Charakter von Gesetzen und politischen Entscheidungen mit der möglichen Folge,
daß die Jugend zur Abwanderung getrieben wird. (Vgl.
Malthusianismus;
Anm. HB). Bringen nicht zudem die »Demokraten« (Anführungszeichen
von mir: HB) mit anhaltend schwacher Geburtenrate die Gefahr offener Auseinandersetzungen
zwischen den generationen hervor? Dem wäre sicher so, wenn das die
einzig mögliche Lösung zur Wiederherstellung eines Gleichgewichts wäre.
Dann kann es irgendwo dazu kommen, daß die zahlenmäßig schwächere
Jugend, die sich im eigenen Land als unterprivilegiert fühlt, mit Gewalt
aufbegehrt, um die Rechte einzufordern, die jeder Minderheit zustehen? Ist
dieses politische Risiko, hervorgerufen durch den Bruch einer »Demokratie«
(Anführungszeichen von mir: HB) mit ihrer Jugend,
nicht schon in seinen Umrissen erkennbar, wenn man sich die große Anzahl
der politisch Nichtengagierten und Nichtwähler unter den Jugendlichen vergegenwärtigt
? (Ebd., S. 148). * Der Malthusianismus
ist die nach Thomas Robert Malthus (1766-1834) benannte Bevölkerungstheorie,
nach der die mögliche Größe der Bevölkerung durch die Menge
der verfügbaren Nahrungsmittel begrenzt und bestimmt wird. Malthus, der dem
Adel entstammte, wollte mit seiner Theorie die Machtübernahme der Nichtadeligen
verhindern, denn die Revolution in Frankreich hatte ihn ängstlich
gemacht und wohl auch veranlaßt, seine Theorien zu verbreiten (Über
die Bedingungen und Folgen der Volksvermehrung, 1789, Das Bevölkerungsgesetz,
1798; ebenso ist es kein Zufall, daß Malthus nach Blüchers und Wellingtons
Sieg über Napoleon - 1815 - gemäßigtere Bücher
schrieb, so z.B.: Grundsätze der politischen Ökonomie mit Rücksicht
auf ihre praktische Anwendung, 1820). Malthus' »Bevölkerungsgesetz
erfüllt keine der Voraussetzungen, die jede Theorie erfüllen sollte,
um in der Wissenschaft ernstgenommen zu werden. .... Es ist sogar zu befürchten,
daß der Malthusianismus nach seinem gegenwärtigen Wandel zum ökologischen
Malthusianismus im 21. Jahrhundert noch verheerendere Auswirkungen haben
wird als in den beiden vergangenen Jahrhunderten. Johann Peter Süßmilch
(1707-1767) hatte durch empirische Tragfähikeitsanalysen begründet,
daß die Erde mehr als das Zehnfache der Menschenzahl ernähren könne,
als zu seiner Zeit lebten. Malthus' Kernthese war, daß die Erde bereits
mit der damaligen (um 1800) Bevölkerungszahl
von rd. einer Milliarde übervölkert sei und daß ein weitere Zuwachs
die Gesellschaft in den politischen, ökonomischen und moralischen Ruin führen
müsse. Heute (1996) lebt die sechsfache Zahl
der Menschen als zu Malthus' Zeit, wobei ein großer Teil von ihnen - mehr
als die gesamte damalige Menschheit - einen unvergleichlich höheren Lebensstandard
hat als jemals zuvor in der Menschheitsgeschichte, und dies bei mehr als der doppelten
Lebenserwartung. Süßmilchs Ideen haben sich bestätigt, nicht die
von Mathus, warum ist dann aber Süßmilch nahezu vergessen und nicht
Malthus? Wahrscheinlich kann diese Frage in hundert Jahren genauso gestellt
werden wie heute. Die Antwort darauf hat viel mit dem Problem zu tun, warum Menschen
Hungers sterben müssen, obwohl das Ernährungspotential der Erde groß
genug ist, um eine weitaus größere als die heute lebende Menschenzahl
zu ernähren. In seiner Beweisführung führt Malthus ein Zahlenbeispiel
an, das die entscheidende Vorausetzung seiner Theorie verdeutlichen soll, daß
sich nämlich die Bevölkerung in der Form einer geometrischen Reihe vermehrt
(entsprechend der Zinseszinsformel), während die Nahrungsmittelmenge nur
in linearer Form wächst (wie eine Gerade). .... Die in diesem Beispiel zugrunde
gelegte Voraussetzung, daß die Nahrungsmittelmenge nur linear wächst,
erwies sich in den meisten Ländern und im Weltmaßstab als falsch. Die
empirisch gewonnenen Ergebnisse von Süßmilch bestätigten sich
dagegen. Durch die Verbesserung der Anbaumethoden, durch Erfolge bei der Pflanzen-
und Tierzüchtung und später durch den Einsatz des Mineraldüngers,
der von Justus von Liebig 1840 entdeckt wurde, wuchsen die landwirtschaftlichen
Erträge nicht linear, sondern geometrisch. Die jährliche Wachstumsrate
der Nahrungsmittelmenge überstieg sogar die Wachstumsrate der Bevölkerung,
so daß die Pro-Kopf-Nahrungsmittelmenge zunahm, statt wie in dem Zahlenbeispiel
abzunehmen. Das Malthusianische »Bevölkerungsgesetz« war durch
die Arbeiten Süßmilchs bereits zu dem Zeitpunkt seiner Veröffentlichung
widerlegt. (Herwig Birg, Die Weltbevölkerung, 1996, S. 29-32).
Süßmilchs Hauptwerk (Die göttliche Ordnung in den Veränderungen
des menschlichen Geschlechts aus der Geburt, Tod und Fortpflanzung desselben erwiesen)
erschien 1741 (!!!).
Das Ergebnis der Süßmilchschen Berechnungen stimmt mit den Bevölkerungsprojektionen
unserer Zeit überein: Im Verlauf des nächsten und übernächsten
Jahrhunderts kann bzw. wird die Weltbevölkerung auf mindestens 8 Milliarden
wachsen, wobei die Obergrenze weit weniger sicher angegeben werden kann, aber
auch hier stimmt die Süßmilchsche Schätzung mit den modernen Berechnungen
erstaunlich gut überein: Sie könnte bei etwa 13 Milliarden liegen. Als
Süßmilch diese Zahlen veröffentlichte, lebten auf der Erde erst
etwa 800 Millionen Menschen, er schätzte also das Wachstumspotential auf
das Zehn- bis Sechzehnfache - eine für die damalige Zeit ungeheuerliche Aussage,
die auf viel Widerspruch stieß. Malthus kam zu einem völlig anderen
Resultat. Für ihn war die Erde mit etwa einer Milliarde Menschen, die zum
Zeitpunkt der Veröffentlichung des »Bevölkerungsgesetzes«
lebten, bereits übervölkert. Die Kernthese seiner Bevölkerungstheorie
war, daß gesellschaftlicher Fortschritt, wie er in der französischen
Revolution propagiert wurde, aus demographischen Gründen unmöglich
sei. Das Bevölkerungswachstum, das als Folge solcher gesellschaftlicher Veränderungen
zu erwarten war, müsse auf Grund der »naturgesetzlichen« Mechanismen
des »Bevölkerungsgesetzes« zwangsläufig zum Zusammenbruch
des Staates und zum moralischen Ruin der Gesellschaft führen. (Ebd.,
S. 22-23). Malthus lag also völlig falsch!Geburtenrate,
Geopolitik und Entwicklung: Die negative Geburtenentwicklung hat nicht nur
Auswirkungen auf die nationale, sondern auch auf die internationale Politik. Es
ist in der Tat so, daß der relative demographische Einfluß der Länder
mit sinkender Geburtenrate weiterhin im Vergleich zu den Ländern abnimmt,
deren Geburtenziffer zwar auch zurückgeht, jedoch nicht absackt. (Dumont
meint hier Länder mit Geburtendefizit - also Geburten- und Bevölkerungsrückgang
(!) - im Vergleich zu Ländern mit Geburtenrückgang ohne Bevölkerungsrückgang;
Anm. HB). Wenn die zuesrt genannten Länder auch in Zukunft von einem
wertvollen Erbe und einer langjährigen Präsenz in der Welt Nutzen ziehen
können, so verfügen die Entwicklungsländer, die zumeist ehemalige
Kolonien und historisch gesehen junge Staaten sind, nicht über diese Vorteile.
Aber die Veränderungen der entsprechenden demographischen Gewichte führen
dazu, daß sich die geopolitische Situation unweigerlich zugunsten dieser
letzteren Staaten verändert. (Vgl. Gérard-François Dumont,
Les populations du monde, 2001). Das hat notwendigerweise für ein
Land mit niedriger Geburtenrate zur Folge, daß dessen Stimme in den internationalen
Organisationen weniger Gewicht hat, so wie es Aristide Briand (1862-1932) in den
1920er Jahren vor der Deputiertenkammer mit folgenden Worten erklärte: »Ich
mache Außenpolitik mit unserer Geburtenrate«. (Frankreichs
Geburtenrate war damals erschreckend niedrig! Anm. HB). Ein anderer Nachteil
besteht darin, daß die niedrige Geburtenziffer mit einem geringeren protential
an Jugendlichen einhergeht, die für die Entwicklungshilfe mobilisiert werden
können. (Ebd., S. 148-149). Die Politik, die die Pflicht
hat, für das Gemeinwohl zu sorgen (und ansonsten ein
Verbrechen ist! Anm. HB), sollte also ihr Handeln so ausrichten, daß
die Werte der Freiheit und Solidarität in einer sich wandelnden Gesellschaft
wieter wirksam bleiben. (Ebd., S. 149). Landflucht:
... Leider erlebt man in Europa häufig eine regelrechte Landflucht (die noch
durch unangemessene politische Maßnahmen verstärkt wird), die aus zwei
demographischen Ursachen resultiert. Einerseits verlassen die Jugendlichen die
Gebiete, die häufig durch politische Entscheidungen zur Förderung einiger
Räume und zur Konzentration von Infrastrukturanlagen und Standorten öffentlicher
Verwaltungen benachteiligt wurden. Die Überalterung der Landbevölkerung
hat unmittelbar zur Folge, daß eine Abwanderung mit selektivem Charakter
aus den ländlichen Gebieten einsetzt. Die zweite Ursache der Landflucht hängt
mit der geringen Geburtenrate, der selbst zwei Ursachen zugrunde liegen, zusammen.
Einerseits ist in den ländlichen wie in den städtischen Gebieten eine
Abschwächung der Fertilität zu verzeichnen, die zur Verringerung der
Geburtenrate führt. Andererseits wirkt sich dieses Phänomen der schwachen
Fertilitätsrate stärker auf die Anzahl der Geburten im ländlichen
Raum als im städtischen Raum aus, da der Anteil der Menschen im gebärfähigen
Alter geringer ist. Zudem kann in einigen ländlichen Räumen diese negative
Geburtenentwicklung noch durch zwei weitere Faktoren verstärkt werden. So
wie sich die Entwicklung des Dienstleistungssektors in erster Linie eher in den
Städten als in den ländlichen Gebieten vollzog und oftmals mehr Frauen
als Männer eingestellt wurden, kann die geschlechtsspezifische Zusammensetzung
der jungen Erwachsenengeneration in den ländlichen Räumen zu einem Mangel
an Frauen führen, mit der Folge, daß der Geburtenschwund sich noch
stärker ausprägt. Die oben dargestellten Generationeneffekte scheinen
sich zu bestätigen, denn in zweiter Linie zeigt die räumliche Verteilung
der Geburten häufig eine niedrigere Fertilität in den am meisten überalterten
Gebieten. Unter dem Einfluß dieser verschiedenen Faktoren werden einige
ländliche Gebiete in eine Spirale der Entvölkerung hineingezogen. Die
Entwertung des ländlichen Raumes führt somit zur Isolierung ganzer Regionen,
die als eine Art von »Dritträumen« betrachtet und politisch benachteiligt
werden, ähnlich dem »Dritten Stand« in der Zeit des Ancien
Regime vor 1789 in Frankreich. Nun kann aber das Potential des ländlichen
Raumes ökologisch nur durch die Menschen unterhalten und genutzt werden.
Der Reichtum der Länder entstand in den meisten Fällen aus der Vielfalt
der Regionen, aus deren umsichtigen Verwaltung das politische Gleichgewicht erwächst,
zu mal die Regionen einen der seltenen Bezugspunkte in einer immer stärker
auf Globalisierung ausgerichteten Welt darstellen. In dem Maße wie die schwache
Geburtenentwicklung weiter zur Landflucht beiträgt, wird der ländliche
Raum auf Dauer und unumkehrbar entwertet, obwohl es doch gerade jener Bereich
als Bindeglied zwischen den Städten ist, der den geographischen und sozialen
Zusammenhalt der Gesellschaften gewährleistet. Die geringe Geburtenrate,
die die Ungleichheiten in der räumlichen Verteilung der Bevölkerung
weiter verstärkt, ist also mit Auswirkungen auf die politische Geographie
und unbestreitbaren politischen Folgen verbunden. (Ebd., S. 149-150). Der
»Harmonieverlust«: Der Geburtenschwund wirft eine wichtige Frage
zur Wertevermittlung auf. Jedes politische System und jede Zivilisation gründet
sich auf ein Erbe von Idealwerten, zu denen jede Generation ihren Beitrag leisten
soll, um sich diesen Idealen zu nähern. Auf diese Weise hat sich auch die
Identität Europas durch ein über Jahrhunderte entwickeltes Handeln aufgebaut
mit dem Ziel, die Achtung und Toleranz, die Freiheit, Kreativität und Gewaltenteilung
zu fördern. Diese Entwicklung verläuft niemals vollkommen kontinuierlich,
denn der weitere Fortschritt wird durch Perioden mit rückläufiger Bewegung
unterbrochen, die übrigens oftmals den Zeiten mit schwacher Geburtenrate
entsprechen, in denen eine Weitergabe der Idealwerte aufgrund der geringen Anzahl
von »Empfangern« unzureichend stattfindet. Eine Zivilisation kann
sich nur entwickeln und vervollkommnen, wenn es tatsächlich eine Wertevermittlung
zwischen den Generationen durch die Familie, die Schule, das Gemeinwesen, das
Vereinswesen u.s.w. gibt. Wenn jeder Mensch einer Generation einer Bibliothek
entspricht und alle Menschen dieser Generation den Inhalt ihrer Bibliotheken an
die zahlenmäßig geringeren jüngeren Generationen weitergeben,
dann kommt es zwangsläufig, selbst bei einigen technischen Fortschritten
- wie beispielsweise der digitalen Revolution -, zu einem Verlust. Die Möglichkeit
für jeden einzelnen, sich Kenntnisse anzueignen, ist notgedrungen begrenzt.
Ebenso ist die Fähigkeit einer zahlenmäßig schwächeren Generation,
ein intellektuelles und kulturelles Erbe zu empfangen, notgedrungen geringer als
die einer zahlenmäßig stärkeren Generation. Das Leben verläuft
folglich wie ein Staffellauf. Wenn die Anzahl neuer Staffelläufer geringer
ist als die derjenigen, die den Lauf gerade beendet haben, dann gehen einige Staffelstäbe
verloren. Mit anderen Worten, eine zahlenmäßig schwächere Generation
kann von der vorhergehenden Generation nur ein geringeres kulturelles Erbe empfangen.
In Ermangelung ausreichender Empfänger läuft die Zivilisation somit
Gefahr, auf Grund eines »Harmonieverlustes« unterzugehen. In seiner
Analyse zum Zusammenbruch von Zivilisationen unterscheidet Toynbee »vertikale
Brüche zwischen räumlich getrennten Gemeinschaften« und »horizontale
Brüche zwischen den räumlich vermischten, aber in sozialer Hinsicht
getrennten sozialen Gruppen«. (Vgl. Toynbee, Arnold, A Study of History,
1972). Die vertikalen Brüche erinnern an die Gefahr der schon oben erwähnten
»Bildung von Inselgruppen« und die horizontalen Brüche an die
Gefahr des Krieges zwischen den Generationen. Eine schwache Geburtenentwicklung,
die dauerhaft die demographische Realität prägt, ist folglich nicht
nur eine statistische Fragestellung an jene, die sich mit Vorliebe auf quantitative
Daten stützen. Durch Veränderungen von Eigenschaften der Bevölkerung
kann sie in der Tat viele nationale und internationale politische Auswirkungen
haben. Außerdem stellt der Geburtenschwund die Frage nach der Zukunft der
Zivilisation. Da die politischen Risiken einer geburtenschwachen Bevölkerung
existierern und jedes Land wohlweislich eine zumeist eher stillschweigende als
ausdrücklich klar formulierte Bevölkerungspolitik betreibt, besteht
dann nicht die einzige Frage für Frankreich und Europa darin: Haben wir nicht
eine Bevölkerungsentwicklung, die der Demokratie zuwiderläuft?
Sollten wir folglich nicht eine Bevölkerungspolitik betreiben, die die dauerhaftigkeit
und den Aufschwung der demokratie sicherstellt? (Ebd., S. 150-152).
Für eine Richtungsänderung in der Familienpolitik (Josef Schmid)
Im politischen Alltag, in den Parteien- und Richtungskämpfen
scheint Familienpolitik wie ein gelegentliches Strohfeuer auf. Sie kann sich nicht
als Dauerthema behaupten in einer »Mediendemokratie«, die ihre Konflikte
und Sensationen braucht. Auch der sogenannte Wohlfahrtsstaat, der mit den selbst
geschaffenen Finanzierungsproblemen kämpft, wird immer nur kurzlebiges Interesse
für Familienpolitik erübrigen. Obwohl Familienpolitik nicht gerade ein
Karrierethema ist, so gilt sie dennoch als umstritten, weil diejenigen, die sie
mit staatlichen Leistungen ausreichend ausgestattet halten, sofort Zustimmung
und zugleich Kritik mobilisieren. Dasselbe gilt für den häufigeren Fall,
nämlich Familie zum Stiefkind der Wohlstandsentwicklung zu erklären:
auch da melden sich Kritiker, vor allem Junggesellen und Kinderlose, die ihre
Leistungen und Abgaben ins rechte Licht gesetzt sehen wollen. (Ebd., S.
153). Familie und Nachwuchs: In den ... 1970er Jahren wurde
schon vor einem Kulturkampf zwischen Eltern und Kinderlosen gewarnt, der darum
geht, wer von ihnen eigentlich die Zukunft gaIrantiere. Eltern lieferten »Humankapital«,
beschäftigte Junggesellen beiderlei Geschlechts dafür »Sachkapital«
und müßten davon nicht allzu wenig abliefern. Geschichtlich Bewanderte
erinnern an die im alten Deutschland übliche »Hagestolzensteuer«.
- Das marode Bild des Generationenvertrags, dieser notleidend gewordene Wechsel,
gezogen auf ein Alter in Wohlstand, macht uns auf die verdrängte Lebenserhaltungsgemeinschaft
aufmerksam, die Familie einst sichtbar vorgeführt hat und die auch ein bürokratischer
Sozialstaat mit der großen »kollektiven Lösung« der Existenzprobleme
nicht auf ewige Zeiten vemebeln kann. Es gab immer Ideen, welche die Hervorbringung
von Nachwuchs von Familie abkoppeln wollten. Sie sind Gedankenspiele von Utopisten
geblieben. 85% aller Kinder werden in existierenden Familien geboren, der Rest
in familienähnlichen Verhältnissen. Die Frage der gesellschaftlichen
Emeuerung über Geburten kommt immer häufiger auf den Tisch, weil Geburtendefizite
- gemessen an der Stärke der Elterngeneration - den Altenanteil an der Bevölkerung
anwachsen lassen und die künftigen Aktiven ihn zu versorgen haben werden.
Schon deshalb wird Familie ihren Status ändern müssen. Sie ist nicht
länger als Konsumeinheit zu betrachten, der von Zeit zu Zeit die Kaufkraft
von außen gestärkt gehört, weil sie sonst als bedauerliche und
abgeschlagene Einheit im Kampf um die Optimierung von Lebensstandard, Erlebniswelten
und »Wellness« erscheint. Schon der Begriff »Lastenausgleich«
im Namen sozialer Gerechtigkeit macht Familie zum Patienten des Wohlfahrtsstaates,
ohne zu wissen, daß gerade aus ihr das Leben quillt, das ihn erhält.
Der Übermut der »Moderne« hat Kinder zur Privatangelegenheit
eines elterlichen Verbandes erklärt und dabei gleich eine Doppelbödigkeit
eingeführt: lediglich die Entscheidung für oder gegen Kinder sei eine
private; sobald ein Kind geboren ist, wird es »sozialisiert«, d.h.
willkommen geheißen in einer Arbeitsgesellschaft und Versichertengemeinschaft.
Der liberale Staat hat mit dem letzteren nie Mühen gehabt, doch bringt er
es bis heute nicht fertig, sich für Entscheidungen, die zur Familienvergrößerung
führen, verantwortlich zu fühlen. Das zeigte sich in der Diskrepanz
zwischen der Behandlung von Kinderkosten und den Kosten der Alterssicherung. Nur
letztere sind voll finanzierte Ansprüche. Nun geht es nicht darum, den Staat
zu bewegen, er möge doch den Eltern die Kinder zum Selbstkostenpreis abkaufen.
Es geht vielmehr um eine fundamentale Richtungsänderung von gesellschaftlichen
Maßnahmen, die die stattliche Summe von nahezu 166 Milliarden Euro (!!!)
ausmachen und sich ausschließlich auf Lastenausgleich beziehen (Hilfen,
Zuschläge, Komponenten); und nur auf schon geborene Kinder (Kindergeld).
Doch wir brauchen Maßnahmen aufgrund der Tatsache, daß eine Generation
lang zu wenige Kinder geboren worden sind und in unserer Zivilisation der Realisierung
von Kinderwünschen zu viel entgegensteht. Die Gründe dafür liegen
in den neuzeitlichen Familienverhältnissen, in denen der Spaltpilz »moderner
Lebensentwürfe« lauert. Er nimmt der Familie Stabilität und Tragfähigkeit.
Generöse Sozialpolitik scheint die Tendenz zu verstärken: aus Scheidungen
gehen immer mehr alleinerziehende Mütter mit Sozialhilfe hervor. Man munkelt,
daß man nirgendwo so einfach Frau und Kind »an den Staat« los
wird wie in Deutschland. Doch die Problemlage Deutschlands erfordert stabile Familienverhältnisse
und Nachwuchs, was ständigen Krieg mit dem Zeitgeist bedeutet. (Ebd.,
S. 153-154). Man wird sich ernsthaft die Frage stellen müssen,
ob die Mittel und Maßnahmen, die für (die zu
teure! Anm. HB) Zuwandererintegration bereitgestellt werden müssen,
nicht in erster Linie den einheimischen Familien zufließen sollten, weil
der Wunsch nach mehr Nachwuchs, der ein gewisses Zuwanderungsquantum überflüssig
macht, und die Forderung nach mehr Bildung und Ausbildung der Jugendjahrgänge
bei ihnen am besten aufgehoben ist. Nur wo sich Elternhaus und Bildungseinrichtungen
in der Qualifizierungsaufgabe der Jugend glücklich teilen, wird jenes Humankapital
erzeugt, mit dem im 21. Jahrhundert zu überleben ist. (Ebd., S. 155).
Mißverhältnis von Jung zu Alt: Dieses Missverhältnis
von Jung zu Alt, das in der Entwicklung angelegt ist, hebelt das Bismarck'sche
System sozialer Sicherung aus, wo wesentlich mehr Jüngere für relativ
wenig Ältere, viele Gesunde für wenige Kranke zu sorgen hatten. Die
Gewichtsverlagerung zu den Altenjahrgängen hin bringt auch das Umlageverfahren
in der Rentenversicherung unter Druck. Die demographische Entwicklung erhöht
die Lastquoten der Menschen im aktiven Alter: auf 100 von ihnen (20-60-J.) kommen
40 der abhängigen Jahrgänge. In 30 Jahren wird das Verhältnis 1
zu 1 sein. Die Rentenbezieher sind der steigende Teil in der Rentenformel, die
Zahl der in Arbeit befindlichen Beitragsleister geht zurück: (a) aus Gründen
des Jugendschwundes und Alterung des Erwerbspersonenpotentials, (b) aus Gründen
der Arbeitslosigkeit bzw. von Konjunkturschwankungen und (c) aus Gründen
von Fehlqualifikation von Arbeitskraft (»Mismatch am Arbeitsmarkt«).
Mit einer solchen Entwicklung kann man die volkswirtschaftliche Leistung nur mit
äußerster Anstrengung halten; dabei müßte sie steigen, schon
um der sozialen Kosten der Alterung willen und wegen der Investitionen, um im
internationalen Wettbewerb zu bestehen. (Ebd., S. 155-156). Kompensatorische
Maßnahmen in Produktion und Arbeitswelt verschaffen eine Galgenfrist:1. | Man
kann die Produktivität steigern; doch für Spitzenleistungen braucht
es qualifiziertes jüngeres Personal und älteres an der richtigen Stelle;
doch das kann nicht ständig abnehmen. | 2. |
Man kann für längere Lebensarbeitszeit sorgen und
für mehr Beitragszahler (z.B. Frauen aus der StillenArbeitsmarktreserve locken),
und dann | 3. |
an Zuwanderung denken, die den Engpässen am Arbeitsmarkt
entspricht und nicht dazu dienen darf, die Arbeitsplatzsuche junger einheimischer
Eltern zu erschweren. | Bei Abnahme der Erwerbspersonen
zwischen 2010 und 2015 jährlich um 1,3% werden Hilfsmaßnahmen allein
nicht mehr greifen, zumal sich um das Jahr 2030 für die jüngere Generation
der Erwerbstätigen eine Belastungsspitze abzeichnet: da wird die gesamte
Babyboom-Generation der 1960er Jahre in Rente sein, d.h. die stärkste und
sozialpolitisch verwöhnteste Rentnergeneration der Welt wird geschlossen
Alterssicherung beziehen und die schwächste Erwerbspersonengruppe wird ihr
gegenüberstehen. (Ebd., S. 156). Die Politik bzw. die
Wahldemokratie wird es sich nicht leisten können, die mächtiger werdende
Gruppe der Älteren zu übergehen; die Tendenz zeichnet sich seit zwei
Jahrzehnten ab: 65-bis 70-Jährige beziehen ein Drittel mehr Rente als ihre
Altersgenossen vor 20 Jahren. Dagegen müssen zwei Drittel der unter 40-Jährigen
mit weniger auskommen als die unter 40-Jährigen der vorangegangenen Generation.
Sie verdienen auch 5 bis 6% weniger als diese. Sie erreichen außerdem den
Lebensstandard heutiger Rentner nicht mehr. Die Umverteilung von Jung zu Alt trifft
dramatisch die Niedrigverdiener. Daher ist die Feststellung richtig, daß
das Volkseinkommen zu größeren Teilen in die Taschen der Älteren
wandert, die Jungen weniger Chancen der Vermögensbildung und dennoch die
Aufgabe der Familienbildung unter ungünstigeren Bedingungen haben. Die junge
Familie ist und bleibt, wenn sich nichts ändert, der Lastesel des Systems.
(Ebd., S. 156-157). Kein Ausweg ohne Geburtenförderung:
Deutschland muß als hochgradige Industrienation bestrebt sein, die benötigten
Qualifikationen in Eigenbau zu schaffen. Nachdem die Sozialkosten der Zuwanderung
hoch (zu hoch ! Anm. HB)
sind, drängt sich die Überlegung auf, ob nicht wenigstens die Hälfte
dieses künftigen Menschenmangels über geburtenfördernde Familienpolitik
zu beheben wäre. (Ebd., S. 157).Die konsequente Einleitung
... bedeutet ... eine Neuordnung der Prioritäten, nämlich von kurzfristigem
Krisenmanagement zur langfristigen Sicherung der mit der Menschenzahl und ihren
Fähigkeiten verbundenen Existenzgrundlagen. (Ebd., S. 157).Leistungsausgleich
für gesellschaftlich relevante Arbeit - Konzept und Umsetzung (Helmuth
Schattovits)Die Konferenz hat in den Eingangsreferaten schwerpunktmäßig
zweckrationale Begründungen für die Notwendigkeit einer aktiven Familienpolitik
vorgelegt. Im folgenden Beitrag werden eher wertrationale Argumente herangezogen,
die ebenfalls neue Ansätze und Maßnahmen in der Politik einbeziehen.
(Ebd., S. 159).Vorbemerkungen: | Kinder
stellen nicht nur einen Wert an sich dar, sondern sind auch für die Gesellschaft
wertvoll. (Wahrscheinlich sogar: am wertvollsten! Anm. HB).
Sollte die Zahl der Kinder als soziale Kategorie eine kritische Größe
unterschreiten, beeinträchtigt das den Bestand an wertvollen Verhaltensweisen,
was zu einer Verarmung der Gesellschaft führt. | | Wir
stellen fest, daß - vereinfacht gesagt - sich jede zweite Familie ein Kind
mehr wünscht als an Kindern geboren wurden. Wäre dem nicht so, so könnte
die Reproduktion in etwa aus den Geburten erfolgen. Offenbar gibt es strukturelle
Faktoren, die es schwierig machen, in unserer Welt den Kinderwunsch entsprechend
zu verwirklichen. Familienpolitik braucht demnach primär nicht den Kinderwunsch
zu stimulieren, sondern lediglich Rahmenbedingungen schaffen, die eine Verwirklichung
des vorhandenen Kinderwunsches jedenfalls nicht beeinträchtigen. (Doch
noch nicht einmal das können unsere Politiker! Das könnte doch auch
Absicht sein, oder? Anm. HB). | | Der
Geburtenrückgang ... war (bis in die 1960er Jahre;
Anm. HB) im wesentlichen dadurch gekennzeichnet, daß die Zahl der
Familien mit höherer Kinderzahl stark zurückgegangen ist. Dafür
wurde - im Gegensatz zum 19. Jahrhundert - fast jede Frau Mutter und jeder Mann
Vater. Heute zeigt sich folgendes Muster: Neben ungewollter Kinderlosigkeit nimmt
auch die gewollte deutlich zu. Es werden in Zukunft insgesamt etwa um die 25%
der Frauen und Männer keine Kinder haben. Die gewollte Kinderlosigkeit wird
gesellschaftlich anerkannt und durch die Umstände (einer
solchen Dekadenz! Anm. HB) eher leicht realisierbar. | Demgegenüber
besteht bei etwa 25% der Mütter und Väter ein Wunsch nach mehr als zwei
Kindern und bei 50% ein solcher nach zwei Kindern. Diese Wünsche bezüglich
Kinderzahl lassen sich in unserer Welt der »strukturellen Rücksichtslosigkeit«
(F.-X. Kaufmann)
- wenn überhaupt - nur über ein hohes Maß an Zusatzmotivation
verwirklichen. Dabei reicht die gesellschaftliche und staatliche Unterstützung
offensichtlich keineswegs aus. (Kein Wunder, da ja auch
z.B. die gerade erwähnte Differenz von Wunsch und Wirklichkeit zeigt: Staat
und Gesellschaft unterstützen die Kinderlosigkeit, sie sind kinderfeindlich
! Anm. HB). Hier liegt demnach eine besondere Herausforderung an die Politik
vor, die nicht ausreichend aufgegriffen worden ist. (Ebd., S. 159-160). | Der
strukturelle Wandel von der Familie als Großgruppe in einem Haushalt
zu einem Netzwerk von Familien und Einzelpersonen in mehreren Haushalten. | Die
in Familie und Gesellschaft eingetretenen Veränderungen sind so weitgehend,
daß auf die daraus entstandenen Herausforderungen nicht mit einem einfachen
Mehr an bisherigen Maßnahmen problemlösend geantwortet werden kann.
Es bedarf vielmehr neuer Ansätze, die der neuen Problemstruktur entsprechen.
(Ebd., S. 160).Wandel aus Mikroperspektive: In horizontaler
Betrachtung läßt sich die Entwicklung wie folgt kurz zusammenfassen:
Aus der Familie als Gruppe mit ausgeprägter Personenvielfalt in einem Großhaushalt
entsteht ein familiales Netzwerk von mehreren, meist räumlich getrennten
Haushalten. (Vgl. Abbildung). .... Die wesentlich geringere Personen- und Rollenvielfalt
im jeweiligen Haushalt bedeutet auch geringere personelle ressourcen. Das heißt
z.B. im Konfliktfall, tendenziell immer wieder auf das kleine Betziehungssystem
zurückverwiesen zu werden, also keine »Blitzableiterperson« in
der Situation zu haben. Oder im Falle der erforderlichen Hilfe kaum auf im Haushalt
lebende Personen zurückgreifen zu könne, was insbesondere für alleinerziehende
Eltern oder pflegebedürftige Menschen zu schwer überwindbaren problemen
führen kann. In vertikaler Betrachtung führt die zunehmende Lebenserwartung
und die sinkende Fertilität, wobei die Kinder eher in einem kurzen Zeitraum
des Lebensverlaufes (der Eltern) - wenn auch zunehmend später geboren werden,
zur sogenannten Bohnenstangenfamilie: lang und dünn. Einerseits hat sich
die Familie auf meist vier Generationen erweitert - häufig in drei Haushalten
- und andererseits in der jüngsten Elterngeneration auf etwa ein bis zwei
Kinder verringert. Damit gibt es weniger Geschwister und später weniger Tanten
bzw. Onkel, dafür mehr lebende Groß- und Urgroßeltern. Die Großeltern
sind häufig noch im Erwerb oder knapp in der Pension. Sie können und
wollen oft Aufgaben bei der Betreuung übernehmen. Die Urgroßeltern
werden mit zunehmendem Alter pflegebedürftiger. So entsteht neben dem Betreuungsbedarf
für Kinder zusätzlich ein solcher für ältere Senioren, der
nicht einfach so nebenbei mitlaufen kann, da auch die Ansprüche an die zu
Betreuenden steigen, und das unter der Bedingung reduzierter Personenvielfalt.
(Ebd., S. 160-161).Wandel aus Makroperspektive: Wie oben
erwähnt, besteht ein Ergebnis des gesellschaftlichen Wandels darin, daß
der Ausgleich von Kosten und Nutzen zwischen den Generationen und Geschlechtern
nicht mehr innerhalb des Familiensystems erfolgen kann bzw. erfolgt. Die nachstehende
schematische Darstellung verdeutlicht diese Aussage. (Ebd., S.162 ).
Familienwirtschaft bezüglich Kosten-Nutzen
ein geschlossenes System Kinderreichtum | VS. |
Individualentgelt Kinderkosten bleiben
weitgehend der Familie; Nutzen in Form von Abgaben und Steuern hat Gesellschaft/Staat Armutsrisiko
Kinder |
F A M I L I E | Kosten =======> | Nicht-mehr-Erwerbstätige | | Ý |
Nutzen <======= | Erwerbstätige | | Ý |
Kosten =======> | Noch-nicht-Erwerbstätige | | |
F A M I L I E | INFORMELL <======> | Nicht-mehr-Erwerbstätige | Rente
(Pension) <============ | S T A A T / G. | | Ý | |
Nutzen <======= | Erwerbstätige | Steuern,
Abgaben ============> | | Ý | |
Kosten =======> | Noch-nicht-Erwerbstätige | Familienbeihilfe <============ | |
|
Die
Graphik zeigt schematisch den Ausgleich von Kosten und Nutzen zwischen drei Generationen:
Nicht-mehr-Erwerbstätige, Erwerbstätige und Noch-nicht-Erwerbstätige
im familienwirtschaftlichen und im »individual«-wirtschaftlichen System.
Im ersteren gleichen sich Kosten und Nutzen innerhalb des Familiensystems im Laufe
der Generationen aus. | A
= Noch-nicht-Erwerbstätige; Kinder (K.) B = Erwerbstätige (E.) C
= Nicht-mehr-Erwerbstätige; Rentner (R.) D = Staat und Gesellschaft (Gemeinschaft) AB
= Familiäres 2-Generationen-System (K.-E.). AC = Unterstützungsbedürftige
(K./J. und R.) BD = Lobby der Mittleren (E.) bei Staat und Ges. CD
= Lobby der Alten (R.) bei Staat und Ges. ABC = Familiäres
3-Generationen-System (R.-E.-K..) ABD = Staatliches Unterstützungs-System
ohne R. ACD = Staatliches Unterstützungs-System ohne Rb. BCD = Staatliches
2-Generationen-System (E.-R.)* ABCD = Ausgeglichene
(Ideal-) Gemeinschaft*
Problem liegt in BCD: Keine Lobby für A!Quelle:
© Hubert Brune | In der heutigen Zeit funktioniert das
als eine Folge des oben beschriebenen Wandels nicht mehr. Es hat daher eine Systemerweiterung
um den Staat stattgefunden. Die jeweilige Erwerbsgeneration führt aktuell
etwa die Hälfte ihres Erwerbseinkommens in Form von Steuern und Abgaben an
den Staat ab. Dieser finanziert u.a. daraus nach dem Lebensstandardprinzip den
Unterhalt für die nicht mehr erwerbstätige Generation in Form der Rente
(Pension), Zu den Unterhalts- und Betreuungskosten für Kinder, die noch nicht
erwerbstätige Generation trägt der Staat relativ wenig
(so gut wie gar nichts! Anm. HB) bei,
so daß der Erwerbsgeneration, wenn diese Mütter und/oder Väter
sind, beachtliche Kosten verbleiben. Der Nutzen der erwachsenen
Kinder kommt wesentlich wesentlich der Gesellschaft, dem Staat zugute. Aus Kindern
als potentieller Quelle des Reichtums wird eine solche der Armutsgefährdung.
(Ebd., S. 162-163).Resümee: Das System des Ausgleichs
zwischen den Generationen und Geschlechtern bedarf notwendigerweise der Erweiterung
um den Staat (obwohl es doch der Staat selber war, der rücksichtslos
die Ungleichheit, die Ungerechtigkeit zwischen den Generationen und Geschlechtern
durchgesetzt hat; Anm. HB). Letzterer hat auch als Garant für die
Symmetrie im Generationen- und Geschlechterverhältnis zu fungieren, denn
das aktuelle Ausgleichssystem hält sich nicht selbststeuernd im dynamischen
Gleichgewicht. In den ausdifferenzierten, »individualisierten Gesellschaften«
geht die Entwicklung tendenziell insbesondere zu Lasten der Kindergeneration und
von Müttern/Vätern. (Ebd., S. 163).Konzept des
Leistungsausgleichs für gesellschaftlich relevante Arbeit: Eingeleitet
wird mit einer Längsschnittsbetrachtung, die noch deutlicher werden läßt,
als die oben besprochenen Querschnittsbetrachtungen, daß grundlegende staatliche
Maßnahmen im Sinne einer sekundären Einkommensverteilung erforderlich
sind, gerade in einer gesellschaftlichen Situation vielfältiger Lebensformen
und -verläufe. (Ebd., S. 163).Die aktuelle politische
Diskussion sucht das oben dargestellte Problem im wesentlichen nach dem Versicherungsprinzip
und dem Fürsorgeprinzip zu lösen. Die neuen Sitautionen als Ergebnis
des wandels verlangen allerdings nach neuen Ansätzen. An Hand der folgenden
Abbildung wird näher darauf eingegangen.Versicherung
(als Prinzip) bei Erwerbsarbeit | | Fürsorge
(als Prinzip) bei mangelder Leistungsfähigkeit | | Leistungsausgleich
(als Prinzip) bei geselschaftlich relevanter Arbeit | In
der aktuellen Diskussion dominiert das Versicherungsprinzip in Verbindung mit
Erwerbsarbeit - ja wird häufig sogar als geradezu einzige Möglichkeit
angesehen, Entgelte und Ansprüche »indivduell« zu erwerben und
damit den Kaufkraftverlust ansatzweise auszugleichen. .... Diese Position verharrt
im reduktionistischen Verständnis von Arbeit als Erwerbsarbeit und läßt
andere, gesellschaftlich relevante Arbeit unberücksichtigt. Damit wird Mehrfachbelastung
von Eltern gegenüber kinderlosen Frauen und Männern gefördert.
... Fürsorgesysteme dienen als Auffangnetz für Menschen, die
zeit- oder teilweise nicht für sich selbst sorgen können. .... Es muß
als grob unbillig angesehen werden, gesellschaftlich so relevante Leistungen wie
z.B. Kinderbetreuung im Bereich von Fürsorge zu positionieren. Denn Betreuungspersonen,
wie z.B. Mütter und Väter, sind ja nicht in ihrer Leistungsfähikeit
beschränkt, sondern erbringen im Gegenteil beachtliche Leistungen für
Mensch und Gesellschaft. Das dritte Prinzip, Leistungsausgleich, setzt
beim Betreuungsbedarf z.B. des Kindes, der behinderten Person u.ä. an. Demnach
wird die zu erwartende Betreuung - meist in Abhängigkeit vom Alter des Kindes
- als solche unterstützt. Eine Person, die solche oder ähnliche gesellschaftliche
relevante Leistungen erbringt, erwirbt dadurch Ansprüche, unabhängig
von ihrer Erwerbstätigkeit oder finanziellen Situation. Das Leistungsausgleichsprinzip
macht es damit möglich, gleichwertiges Entgelt und soziale Sicherheit auch
außerhalb des Erwerbsarbeitsmarktes zu verdienen. Diese so eingesetzte Zeit
muß nicht zusätzlich zur Erwerbszeit erbracht werden. Die Teilnahme
an der Erfüllung von z.B. Betreuungsarbeit vermittelt gewisse Ansprüche
auf Entgelt und soziale Sicherheit. Es entsteht ein sogenanntes participation
income (Atkinson), das sich vom citizens income (Grundeinkommen
nach dem Fürsorgeprinzip) eben durch Anerkennung einer gesellschaftlich relevanten
Leistung unterscheidet. .... Mit diesem dritten Ansatz wird der Vorrat an möglichen
Leistungen qualitativ und quantitativ erweitert: Lösungen finden sich nicht
nur jeweils in bzw. zwischen zwei Polen, sondern auch in der Fläche des Modelldreiecks
(Versicherung-Fürsorge-Leistungsausgleich; Anm. HB).
Genau diese Erweiterung stellt eine Voraussetzung dar, um der Vielfalt von (familialen)
Lebenssituationen besser gerecht zu werden. (Ebd., S. 164-166).Generell
präventive Maßnahmen: Diese Maßnahmen dienen dem sozialen
Ziel des Ausgleichs zwischen jenen, die aktuell Kosten für den Unterhalt,
die Pflege und Erziehung von Kindern zu tragen haben, und jenen, für die
das aktuell nicht zutrifft. (Sog. horizontaler Ausgleich). Es handelt sich demnach
um generelle und präventive Maßnahmen: generell, weil sie allen Kindern
in gleicher Weise zugute kommen, und präventiv, weil sie sozialer Ungerechtigkeit
vorauschauend vorbeugen. Die Finanzierung erfolgt nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit
der verpflichteten Person anteilmäßig oder progressiv, die Verteilung
an alle Kinder in gleicher Höhe. Das bewirkt eine Umverteilung derart, daß
die oberen Einkommensbeziehenden mehr zahlen als sie zurückbekommen, während
für die unteren und Mehrkinderfamilien das Gegenteil gilt: sie zahlen weniger
ein als sie herausbekommen. Neben dem primären Ziel des horizontalen Ausgleichs
erfolgt demnach eine beachtliche vertikale Umverteilung. Auf der Verteilungsseite
ebenfalls nach Einkommen zu staffeln, würde Kinder aufgrund von Merkmalen
der Eltern vom Ausgleich ausschließen. Damit würde das soziale Ziel
Ausgleich verfehlt, und soziale Treffsicherheit wäre nicht gegeben. Den Kern
solcher generell präventiven Maßnahmen bilden: | Familienbeihilfe:
Die Familienbeihilfe (Kindergeld u.ä.) dient dem primären Ziel,
Unterhaltskosten für Kinder zwischen jenen, die aktuell solche zu tragen
haben, und jenen, für die das nicht zutrifft, ... auszugleichen. | | Kinderbetreuungsscheck
(KBS) - aktuelle Vorstufe ist das Kinderbetreuungsgeld (KBG): Der Betreuungsscheck
dient dem primären Ziel, Betreuungsleistungen für Kinder zwischen jenen,
die solche aktuell sicherzustellen haben, und jenen, für die das nicht zutrifft,
auszugleichen. Hierzu gehören auch: Gutscheinsysteme, Rentenansprüche
(Pensionsansprüche), Krankenversicherung u.ä.. | Spezifische
Maßnahmen - »individuell« helfend: Diese Maßnahmen
dienen der Unterstützung über den generell-präventiven Ausgleich
hinaus, wenn zufolge persönlicher Umstände eine Unterstützung der
Familie notwendig wird. Dabei handelt es sich um ergänzende Maßnahmen.
| Direkte
Armutsbekämpfung im Einzelfall: Die Familienzuschüsse mit einer
Einkommensgrenze nach dem Pro-Kopf-Einkommen (und nicht
nach dem Haushaltseinkommen; Anm. HB). | | Akute
Krisenintervention: Diese dient dem Härteausgleich mit dem primären
Ziel der Verminderung der Folgen von aktuellen Krisensituationen. | | Vorschußzahlungen
- Kreditgewährung: Diese dienen der Entlastung der anspruchsberechtigten
Person ... | Strukturell
abstützende Maßnahmen: Neben den direkten sind auch indirekte Maßnahmen
erforderlich, die als strukturell abstützende Dienstleistungen angesehen
werden können. Sie liegen im Bereich der Bildung, Beratung, Forschung und
Interessenvertretung. | Beratung:
Familienberatungsförderung. | | Elternbildung:
Aus- und Aufbau der vorbereitenden und begleitenden Elternbildung. | | Evaluierung
und Familienforschung: Aus- und Aufbau der Generationen- und Geschlechterforschung
sowie der Evaluierung von Maßnahmen der Familienpolitik. | | Familienorganisation
- Interessenvertretung: Förderung der Basisarbeit und Selbstorganisation. | In
der öffentlichen Diskussion wird immer wieder ein Gegensatz von Geldleistungen
oder mehr Betreuungseinrichtungen hergestellt. Damit verbunden ist dann auch die
Frage der Betreuung in der Familie oder in externen Einrichtungen. Diese Position
des Entweder-Oder sollte keinesfalls vom Staat entschieden werden, sondern eher
durch geeignete Maßnahmen überwunden werden. Geschieht dies nicht,
interveniert der Staat massiv in die Freiheit der Eltern bezüglich ihrer
Lebensgestaltung. In der Praxis führt das häufig dazu, daß öffentliche
Mittel in externe Betreuung investiret werden und damit jene Väter und Mütter,
welche die Betreuung selbst wahrnehmen möchten, kaum Unterstützung erhalten.
Im Gegensatz dazu sollte den Eltern die Möglichkeit gegeben werden, die im
Sinne des Kindeswohls und ihres eigenen Wohls beste Entscheidung treffen und umsetzen
zu können. Das Leistungsausgleichsprinzip bildet die konzeptuelle Grundlage
dazu und der Kinderbetreuungsscheck (KBS)
das taugliche Instrument zur Umsetzung. (Ebd., S. 167-169).Grundsätzliche
Überlegungen zum Kinderbetreuungsscheck (KBS):
Kinder brauchen Unterhalt, Betreuung und Erziehung. Dafür Sorge zu tragen,
ist primäres Recht und primäre Pflicht der Eltern. Diese haben dabei
einen Anspruch auf Unterstützung durch Staat und Gesellschaft: einerseits
aus dem Menschenrecht auf Familie und anderseits, weil diese Betreuungsleistung
auch für Staat und Gesellschaft von zentraler Bedeutung ist. Es gehört
zum Elternrecht zu entscheiden, in welchem Ausmaß die Eltern die Betreuung
selbst wahrnehmen oder diese teilweise und zeitweilig anderen Personen übertragen.
Diese Wahlfreiheit muss durch generelle Maßnahmen allgemein abgesichert
und durch Einzelmaßnahmen für spezifische Situationen ergänzt
werden. Dabei ist darauf zu achten, daß diejenigen Eltern, welche die Betreuung
selbst wahrnehmen möchten, von Aufwendungen der öffentlichen Hand nicht
ausgeschlossen werden. Wenn deren Betreuungsleistung nicht auch praktisch anerkannt
wird, erfolgt eine wirtschaftliche und prestigemäßige Diskriminierung
der elterlichen Betreuung zugunsten anderer Betreuungsformen. Die Einführung
eines Betreuungsschecks hat die Qualität einer sozialen Innovation mit hoher
Wirkmächtigkeit. An Auswirkungen könnten beispielsweise die folgenden
erwartet werden, wobei insbesondere jene erwähnt werden, welche der Stärkung
der Position der Eltern und Kinder dienen: | Durch
ansatzweise Abgeltung der von den Eltern erwarteten Betreuungsleistung an den
Kindern wird bei diesen auch Kaufkraft für das soziale Gut »Teilzeitbetreuung
von Kindern« und damit für den Aufbau eines freien Betreuungsangebotes
geschaffen. Damit werden Eltern anstatt Bittstellern bei Anbietern von Kinderbetreuung
deren Kunden, was die Position der Eltern wesentlich stärkt und die Qualität
des Angebots tendenziell steigert, da Eltern wohl das wählen, was sie für
ihre Kinder als am förderlichsten ansehen. | | Die
Wahlfreiheit der Eltern wird materiell gestützt, was zum Abbau von Diskriminierung
sowohl des außerhäuslichen Erwerbs als auch der innerfamilialen Leistungen
beiträgt. | | Individuell
erbrachte Leistung wird finanziell sowie sozial- und pensionsrechtlich individuell
abgegolten, womit Betreuung als gesellschaftlich relevante Arbeit anerkannt wird. | | Zwischen
den Eltern verbessert sich die Position für jenen Elternteil, der bisher
primär die Betreuungsarbeit unentgeltlich erbracht hat, was auch Partnerschaftlichkeit
fördert. | | Durch
die Verknüpfung z.B. mit gesundheits- und bildungspolitischen Anliegen kann
die psychosoziale und -hygienische Versorgung auch der Kinder verbessert werden. | | Die
Bedeutung von Familien- und Nachbarschaftsnetzwerken wird zunehmen, was der Selbsthilfe
förderlich ist. | | Die
sich entwickelnden Lösungen werden der soziokulturellen Vielfalt des Landes
entsprechen, da Geld eine unspezifische Maßnahme darstellt. | | Kostenwahrheit
und -bewußtsein bezüglich sozialer Güter wird gefördert (derzeit
meist nur bis 20% der Aufwendungen durch Eigenleistungen abgedeckt). | | Die
erhöhte Kaufkraft bei Familien, insbesondere in strukturschwachen Gebieten,
kommt der Volkswirtschaft zugute, da bei den Familien wenig gespart werden kann
und das Geld überwiegend im Inland ausgegeben wird. | | Die
Mindestlöhne werden marktkonform angehoben werden müssen, da z.B. Mütter
nicht jede Arbeit um jeden Lohn annehmen müssen, um brauchbar überleben
zu können. | | Ab
einer gewissen Höhe des Betreuungsschecks kann erwartet werden, daß
Väter ernsthaft erwägen, ihre Erwerbstätigkeit zu reduzieren oder
zu unterbrechen. | Grundsätzlich
erhält jede Mutter - oder jeder Vater - unabhängig vom Erwerbsstatus
bis zum vollendeten siebenten Lebensjahr des jüngsten Kindes als ansatzweise
Abgeltung für erwartete Betreuungsleistungen einen bestimmten Geldbetrag,
der für ein Kind z.B. in Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes liegt.
(Ebd., S. 169-170).Voraussetzung für die Verwirklichung dieser
innovativen Maßnahmen ist ... der politische Wille dazu. (Ebd., S.
171).
Für einen neuen Feminismus (Christine Bruneau) Kinder
sind Zukunft. Kinder sind die Weiterentwicklung einer Gesellschaft. Sie sind auch
Produkt einer Generation. Kindern sichern die Weitergabe ihrer Kultur und ihres
Wissens. Sie sind die unentbehrliche Konkretisierung der Zukunft. Eine Welt ohne
Kinder oder mit weniger Kindern wird zu einer Welt ohne Leben .... (Ebd.,
S. 175).Das Fehlen eines Vaters oder männlicher Bezugspersonen,
die für den Reifeprozeß, die Identitätsfindung und Entwicklung
der Sozialfähigkeit der Kinder unabdingbar sind, ist heute für die meisten
Kinder eine schmerzliche Wirklichkeit. Es ist unerläßlich, daß
die Frauen sich dafür einsetzen, daß die Verantwortung der Erziehung
gemeinsam getragen wird. (Ebd., S. 176).Die Möglichkeiten
auf dem Arbeitsmarkt im Bereich der häuslichen Kinderbetreuung sind enorm.
Hier könnte eine neue Berufssparte entstehen, bei der bestimmt Qualitäts-
und Sicherheitskriterien in der privaten Kinderbetreuung garantiert würden.
Dies würde denjenigen Eltern, die sich für eine außerhäusliche
Erwerbstätigkeit entscheiden, bessere Wahlmöglichkeiten bieten. Darüber
hinaus sollte die Entscheidung eines Elternteils für die persönliche
Erziehung der Kinder durch eine direkte Honorierung dieser Erziehungsarbeit anerkannt
werden, auch um dieser häuslichen Erziehungsarbeit den »Geruch«
eines unproduktiven Zeitaufwands zu nehmen. (Ebd., S. 177).Das
Kindeswohl steht bei all diesen Überlegungen im Zentrum. (Ebd., S.
178).
Neue Wege der Familienförderung (Claus Kretz)Zusammengefaßtes
Ergebnis der Umfrage (März/April 2002): .... Das Dilemma zwischen Kinder-
bzw. Familienwunsch und gegenläufigen Wünschen und Zielen (insbesondere
von Kinderlosen und deren Förderer: Staat! Anm. HB) lösen viele
junge Leute durch eine Verzögerung von Familie und Elternschaft. Das Heiratsalter
steigt sprunghaft an, und die Eltern sind im Durchschnitt bei der Geburt ihrer
Kinder erkennbar älter als die Eltern noch vor einem Jahrzehnt. Damit verringert
sich aber auch die biologische Möglichkeit für weitere Kinder,
und viele Kinderwünsche bleiben unerfüllt. Einem errechneten Durchschnitt
von 2,2 gewünschten Kindern steht im Durchschnitt eine Geburtenzahl von 1,4
Kindern gegenüber. (Ebd., S. 181).Dabei zeigen die Werte
der Umfrage*,
daß wenigstens jedes 10. Elternpaar sich die Erfüllung eines Kinderwunsches
bewußt versagt, oft aus dem Gefühl heraus, sich keine weiteren Kinder
leisten zu können. (Das ist, insbesondere angesichts
des Reichtums in Deutschland, ein Skandal! Anm. HB [vgl. demographisch-ökonomisches
Paradoxon*]).
Diese Vorstellung ist nicht unbegründet. Nach der Geburt von Kindern erleben
viele junge Familien in der Regel eine spürbare Verringerung ihres Einkommens.
(Schuld daran hat vor allem der Staat, weil er die Familien
ausbeutet! Anm. HB). So berichteten 79% der Eltern, daß sie nach
der Geburt ihres ersten Kindes weniger Geld zur Verfügung hatten als zuvor;
51% erklärten, daß sie sich sehr einschränken mußten.
(Ebd., S. 181). Die Frage nach den vermißten Betreuungsformen
zeigte vor allem einen Mangel an Ganztagsbetreuung für Kindergarten- und
Schulkinder auf. 6% der Eltern berichteten, ihnen fehle über die bereits
vorhandene Einrichtung hinaus ein Ganztagskindergarten in der Nähe, 6% wünschten
sich flexiblere Öffnungszeiten des Kindergartens, und 4% verlangten eine
Ganztagsschule bzw. eine Nachmittagsbetreuung von Schulkindern in der Schule.
Eltern von Kleinkindern wünschten sich in 8% der Fälle darüber
hinaus eine Aufnahme auch von Zweijährigen in die Kindergärten, wobei
es den meisten jedoch nicht um eine Ganztagsbetreuung ging. (Ebd., S. 182).Aktuell
nutzten im befragten Alterssegment vergleichsweise ansehnliche Gruppen auch Beratungsleistungen
... Für solch eine Beratung ergibt sich eindeutig erweitertes Personal. Aus
der Gesamtbetrachtung ergibt sich allerdings auch für die jungen Befragten,
daß Beratung und Betreuung nicht ganz so wichtig wie eine finanzielle Förderung
der Familie durch den Staat sind. Besonders unzufrieden sind viele junge Eltern
mit den finanziellen Leistungen es Staates, die nur 36% für ausreichend halten
und 59% für mangelhaft. (Wenn 100% über die Mißbräuche
des Staates zur Ausbeutung der Familien richtig aufgeklärt gewesen wären,
dann hätten mindestens 90% die Leistungen des Staates für mangelhaft
erklärt; Anm. HB). Auf der Wunschliste der Eltern, aber auch der jungen
Bevölkerung insgesamt, steht deshalb ein Ausbau der finanziellen Förderung
der Familien. (Ebd., S. 183).Für die ersten drei Lebensjahre
eines Kidnes wünschen sich die Befragten vorrangig finanzielle Unterstützung,
durch die vor allem die Mütter in die Lage gesetzt werden, auf eine Berufstätigkeit
zu verzichten und das kleinkind zu betreuen. 81% der jungen Eltern würden
deshalb eine substantielle finanzielle Unterstützung in Höhe von etwa
450 Euro im Monat (Stand: 2003) für die eigene
Kinderbetreuung einem Ausbau der instititionellen Betreuung für Kleinkinder
vorziehen. Lediglich 11% würden mehr außerfamiliäre Betreuung
vorziehen. Die überwältigende Mehrheit der Befragten begrüßte
die Idee der »Kreis-Eltern-Kind-Initiative« (KEKI), nach der junge
Eltern ... eine deutlich spürbare finanzielle Hilfe erhalten, wenn ein Elternteil
während der ersten drei Lebensjahre des Kindes zur Betreuung und Erziehung
zu Hause bleibt und auf eine Berufstätigkeit verzichtet. (Und
zwar muß diese Hilfe m.E. so deutlich spürbar sein, daß dem betroffenen
Elternteil durch den Ausfall der Berufstätigkeit keine finanziellen Einbußen
entstehen! Anm. HB). 83% der gesamten Altersgruppe, 90% der Eltern befürworten
die Initiative als eine gute Sache, die den Familien helfe. (Ebd., S. 183).Dieses
Konzept beurteilt die Kinderbetreuung differenziert nach Altersgruppen. Unterschieden
werden Betreuungsangebote für Kleinkinder zwischen 2 und 3 Jahren sowie für
Kindergartenkinder (also: zwischen 3 und 6 Jahren; Anm.
HB) und schulpflichtige Kinder zwischen 6 und 12 Jahren und zwischen 12
und 15 Jahren (Ebd., S. 184).
Geringe Geburtenraten - soziale und wirtschaftliche Konsequenzen (Jerzy
Kropiwnicki)Tatsächlich leben wir heute in einer Art von »Übergangsperiode«
mit zwei koexistierenden Systemen: in einer Welt der abnehmenden Rolle der Familie
und der wachsenden Rolle des Staates (Familienfressers;
Anm. HB). In einer Situation einer niedrigen (und abnehmenden) Kinderzahl
in der Durchschschnittsfamilie ist es für die Kinder immer schwieriger, für
ihre Eltern und Großelter zu sorgen. Und der Konsumismus von heute fügt
den alten noch weitere neue Herausforderungen hinzu. (Ebd., S. 186-187).Unglücklicherweise
ist es (bisher) unmöglich gewesen, ein System zu schaffen, das auf den Ersparnissen
beruht, die von den zukünftigen Nutznießern gebildet und akkumuliert
worden sind. (Ebd., S. 187).
Weniger Kinder - andere Welt: das Vordringen der Ich-AG (Peter
Wippermann)Weniger kinder - ärmere Welt - das ist die Überschrift
dieses Podiums. Ich würde es es germe ein bißchen modifizieren: Weniger
Kinder - andere Welt! (Ebd., S. 191).Drei Aspekte erscheinen
mir dabei besonders wichtig. Zum einen, die Versportung unserer Gesellschaft,
man kann auch sagen: deren Ökonomisierung. Dazu würde ich gern den Begriff
der »Ich-AG« kurz erläutern und mit einführen. Der zweite
Aspekt betrifft das »gefühlte« Alter einer Gesellschaft, die
älter wird, die davon ausgeht, daß eine Differenz von 15 Jahren besteht
zwischen ihrem Geburtsschein und dem, wie sie sich selber fühlt. Und drittens
das Stichwort Gerontokratie, die »enkelfreie Zone«, die man sich in
der politik sozusagen einrichtet, und die Verteilung der Macht. (Ebd., S.
191).Allensbach untersucht jedes Jahr den Wertewandel in unserem
Land .... Dramatisch angestiegen ist das »Ich«, das eigen Leben sozusagen.
... Ich glaube, es ist interessant, daß das Ich noch knapp vor der Familie
liegt ... Anerkennung ist fast gleichauf mit Selbstachtung. Und Genuß hat
sich fast verdoppelt. Ich meine, das muß man sich klarmachen: eine Gesellschaft,
die sich mit der Antibaby-Pille die Freiheit quasi symbolisch erobert hat, hat
eine sehr egozentrische Wertehaltung. Wie kann man das anders beschreiben?
Jede dritte Ehe wird heute geschieden. 1970 war es noch jede seiebte. Auch das
macht deutlich, daß Langzeitverbindlichkeiten zunehmend aufgegeben werden
- zur Optimierung des eigenen Lebens. (Ebd., S. 191-192).Wenn
man sich die neuen Gesetze ... ansieht, ziehen ja gleichgeschlechtliche Partnerschaften
nach. In Schweden können gleichgeschlechtliche Partner auch Kinder adoptieren.
Also ein dramatischer Wechsel, und die Idee, daß die klassische Familie
noch den Konsens ausmacht, sehe ich für die Zukunft nicht mehr. Die »Patchwork-Familie«,
die wir ständig in der Bild-Zeitung - und wo auch immer wir wollen - beobachten
können - Stefan Effenberg und Claudia Strunz samt dreijähriger Tochter
-, sind ein Stichwort dafür. (Ebd., S. 192).Frauen
verdienen heute soviel Geld, daß sie letzten Endes selber entscheiden können.
75% aller Scheidungen werden von Frauen eingereicht. (Ebd., S. 192).Jetzt
fragt man sich natürlich: Wo bleiben denn all die Omas und Opas, was machen
die in unserer Gesellschaft? Und es ist immer angenehmer, in ein anderes
Land zu schauen als in das eigene. Die Universität Utrecht hat festgestellt:
gerade noch 15% der Omas und Opas sind weiterhin bereit, die Enkel mitzuerziehen.
Die anderen haben etwas vor, was man auch mit Hedonismus bezeichnen könnte.
Sie möchten noch arbeiten, Geld verdienen, die Freizeit genießen oder
aber vielleicht das, was Paul McCartney gerade getan hat, zum zweiten Mal heiraten.
Ich glaube, das ist ein neues Phänomen: die zweite Pubertät, gerade
bei den über 50-Jährigen. Ob sie sich Peter Gabriel ansehen oder unseren
Ex- Verteidigungsminister Rudolf Scharping. (Oder man denke
auch an den 1945 geborenen Fußballweltmeister Franz Beckenbauer; Anm. HB).
Auch Don Johnson, der Miami-Vice-Held, macht da keine Ausnahme und ist soeben
zum zweiten Mal Vater geworden. Und wenn wir über Versportung reden, müssen
wir natürlich auch in die Sportarena gucken, nicht unbedingt zum Tennisstar,
der in Deutschland lebt, sondern nach Schweden. Björn Borg hat gerade zum
dritten Mal geheiratet. Das Muster sieht immer ähnlich aus: die Männer
sind ungefähr 50, die Frauen ungefahr 30. Das ist ganz interessant und daß
daraus auch wieder Kinder entstehen, ist auch völlig klar. Das, was interessiert,
ist ja der Wertewandel: daß man nachgewiesen hat in einer großen Studie
aus New York, daß diejenigen, die Über-50-Jährigen glücklicher
sind als die Unter-50-Jährigen. (Ebd., S. ).Fassen wir
das zusammen. Es gibt eine zweite Pubertät (wirklich
? Anm. HB) - vor allem bei Männern -, die dazu führt, daß
ein zweiter Kinderschub einsetzt. Und die Großeltern fangen erst ab 65-70
an, relevant zu werden. Schauen wir in die Wirtschaft, was macht der Markt? Die
50-Jährigen sind nach mehreren Untersuchungen - zuletzt von Haryas Stand
(Angeberei! Anm. HB)
- diejenigen, die das meiste Geld ausgeben. Für Konsum, Immobilien und an
der Börse. Das ist insofern interessant, wenn man schaut, wie viele 50-Jährige
wir heute haben, es sind rund 900000. Die 35-Jährigen repräsentieren
die größte Gruppe, nämlich etwas mehr als eine Million, d.h. wir
können davon ausgehen, daß der Konsum-Boom in 15 Jahren einsetzt. 15
Jahre haben Sie also Zeit zu spekulieren. Die heute 1-Jährigen belaufen sich
auf gerade mal 750000, dann also bricht der Konsum eher zusammen. Das Stichwort
15 Jahre ist sehr interessant, weil wir versuchen, uns durch die Produkte jünger
zu fühlen. Der Symbolwert ist wichtiger als der Nutzwert. Eine kleine Statistik
aus dem Fahrradhandel macht dies deutlich: der Mountainbike-Look, also die bequemeren
Fahrräder, die sportlich aussehen, haben als einzige um 20% zugenommen, die
Kinder- und Jugendräder um fast 30 abgenommen, desgleichen die tatsächlich
sportlichen Räder; derenAbnahme beträgt 15%. Das macht deutlich, wir
versuchen uns einzurichten. Und zum Abschluß vielleicht noch ein Stichwort:
In den 1970er, 1980er und 1990er Jahren ging man davon aus, daß der deutsche
Wald stirbt. Die neuen Untersuchungen der NASA besagen, daß die Erde grüner
wird, gerade auch in Deutschland. (Ebd., S. 192-193). -
DEMOGRAPHIE ALS HERAUSFORDERUNG - ANTWORTEN DER POLITIK -
Das norwegische Betreuungsgeld (Laila Dåvøy)Heute
reproduziert sich die Bevölkerung Norwegens nicht mehr aus sich selbst heraus.
Dennoch nimmt die Bevölkerung aufgrund von Zuwanderung zu. Wie in nahezu
allen anderen europäischen Ländern ist auch in Norwegen der Anteil älterer
Bürger hoch. Seit 1970 hat sich die Zahl der Menschen über 80 Jahre
verdoppelt. Und es ist ein spezieller Fonds, der »Nationale Versicherungsfonds«,
geschaffen worden, um den weiter wachsenden Finanzierungserfordernissen für
die Altersversorgung gerecht werden zu können. In den frühen 1980er
Jahren rief die niedrige Geburtenrate Norwegens einige Besorgnisse hervor. Aber
seit Mitte der 1980er Jahre ist die Geburtenrate wieder gestiegen und seit Mitte
der 1990er Jahre - verglichen mit europäischen Standards - hoch und stabil
geblieben. Im Jahre 2000 lag die Geburtenrate bei 1,85. 2001 fiel sie auf 1,78
und es bleibt abzuwarten, ob dies einen neuen Trend anzeigt. Wir haben Anlaß
zu glauben, daß die relativ hohe Fertilitätsrate mit den Verbesserungen
der Lebensbedingungen der Familien zusammenhängt. (Ebd., S. 195).In
den vergangenen zehn Jahren hat Norwegen viel dafür getan, um die Lebensbedingungen
für Familien mit kleinen Kindern zu verbessern. So wurde die Laufzeit des
Elternurlaubs schrittweise verlängert. Eltern, die vor der Geburt eines Kindes
erwerbstätig waren, erhalten jetzt Elterngeld in Höhe von 80% des Einkommens
für ein Jahr oder in Höhe ihres bisherigen Einkommens für eine
Laufzeit von 42 Wochen. Bei der Bemessung des Elterngeldes orientiert man sich
am Einkommen des Elternteils, der den Elternurlaub nimmt. Mindestens neun Wochen
müssen von der Mutter, vier Wochen vom Vater genommen werden. Hinsichtlich
der restlichen Elternurlaubszeit können die Eltern frei entscheiden, ob die
Mutter oder der Vater zuhause beim Baby bleiben sollten oder ob sie die verbleibende
Zeit unter sich aufteilen wollen. Mütter, die nicht mindestens sechs der
zehn Monate, die der Geburt vorangingen, erwerbstätig (Kranken- und Arbeitslosengeld
wird wie Erwerbseinkommen behandelt) waren oder die ein sehr niedriges Einkommen
haben, erhalten kein Eltemgeld, sondern stattdessen eine einmalige Summe in Höhe
von 32000 norwegischen Kronen (4380 Euro; Stand: 2003).
Ein Viertel aller Mütter macht davon Gebrauch. Zusätzlich haben Mütter
und Väter Anspruch auf zehn Tage Freistellung, wenn ein Kind krank ist. Eltern
mit Kindern unter zehn Jahren haben auch ein Anrecht auf Arbeitszeitverkürzung.
Die Zahl der Kindertagesstätten hat zugenommen. Trotzdem müssen wir
uns auch in Zukunft anstrengen, den Bedarf an Tagesbetreuungsplätzen zu erfüllen.
Speziell wächst auch der Bedarf nach Teilzeitplätzen in der Tagesbetreuung.
In einigen Gemeinden sind die Gebühren für einen Betreuungsplatz sehr
niedrig, in anderen wiederum ist es nicht ungewöhnlich für Eltern, wenn
sie bis zu 500 Euro pro Monat (Stand: 2003) für
einen Betreuungsplatz bezahlen müssen. Die Regierung arbeitet an einem Finanzierungsmodell
für Kindertageseinrichtungen, das eine Absenkung der Höchstgebühren
für einen Betreuungsplatz anstrebt. (Ebd., S. 195-196).Während
in den 1970er und 1980er Jahren große Anstrengungen unternommen wurden,
um das Recht von Müttern, erwerbstätig zu sein, in die Tat umzusetzen,
konzentrierte man sich in den 1990ern stärker darauf, Väter zu motivieren,
verstärkt Erziehungsarbeit in der Familie zu übernehmen. Die Erwerbsquote
der Frauen ist in Norwegen sehr hoch. Sie ist vor allem in den 1970er Jahren stark
gestiegen. Circa 75 bis 80% aller Frauen sind in Norwegen außerhäuslich
beschäftigt. Und das gilt auch für Frauen mit kleinen Kindern. Teilzeitarbeit
ist unter Frauen sehr verbreitet; circa 50% der erwerbstätigen Frauen nutzen
diese Möglichkeit. Heute, wo Familien mit zwei Erwerbseinkommen quasi zum
Normalfall geworden sind, kann es für Eltern mit kleinen Kindern schwierig
sein, mit einem Einkommen auszukommen oder eine Vollzeitzugunsten einer Teilzeitstelle
aufzugeben. Dies sind Fakten, die ein wenig den Hintergrund für die Einführung
des Betreuungsgeldes beleuchten. Das Betreuungsgeld wurde im August 1998 für
Kinder im Alter zwischen ein und zwei Jahren eingeführt. Vom 1. Januar 1999
an wurden auch Kinder, die zwischen zwei und drei Jahren alt waren, in die Maßnahme
einbezogen. Entsprechend wird das Betreuungsgeld also maximal für zwei Jahre
gezahlt, und zwar in vollem Umfang nur für Kinder, die keinen Betreuungsplatz
beanspruchen. Ein Kind mit einem Teilzeitplatz in einer Tageseinrichtung kann
gleichzeitig ein Teil-Betreuungsgeld erhalten. Das Betreuungsgeld wird für
jedes Kind bezahlt; Familien mit Zwillingen erhalten also ein doppeltes Betreuungsgeld.
Der Betrag muß nicht versteuert werden. Das Betreuungsgeld liegt heute bei
3000 Kronen (410 Euro; Stand: 2003) monatlich. Der
Anspruch darauf ist nicht daran gebunden, daß die Eltern ihre Arbeitszeit
reduzieren oder daß sie sich selbst alleine um die Kinder kümmern.
Das Geld kann - je nachdem, wer sich hauptsächlich um die Betreuung kümmert
- an die Mutter oder an den Vater ausbezahlt werden. Hauptziele, die mit dem Betreuungsgeld
verfolgt werden, sind: | den
Familien zu ermöglichen, mehr Zeit für die Betreuung ihrer eigenen Kinder
aufzuwenden, | | den
Familien Wahlfreiheit einzuräumen bei der Entscheidung, welcher Art der Betreuung
sie bei ihren Kindern den Vorzug geben und schließlich | | mehr
Gerechtigkeit bei den staatlichen Transfers für Familien im Zusammenhang
mit der Kinderbetreuung zu schaffen unabhängig davon, wie die Betreuung organisiert
wird. | Das Betreuungsgeld
wurde eingeführt, nachdem darüber unter Politikern und ganz allgemein
in der Bevölkerung erhitzte Debatten stattgefunden hatten. Einige befürchteten,
daß Kinder zuhause schlecht betreut werden würden oder daß sie
nur des Geldes wegen zuhause gelassen würden, statt in einer Tageseinrichtung
einen besseren Tagesablauf zu haben. Andere dagegen behaupteten, daß Kinder
systematisch aus der institutionellen Tagesbetreuung herausgenommen und zuhause
einem Babysitter überlassen würden, während die Eltern weiter erwerbstätig
blieben wie bisher. Auf der anderen Seite gab es Befürchtungen, daß
nunmehr so viele Mütter zuhause bleiben würden, daß das Erwerbsleben
unter einem Mangel an Arbeitskräften leiden würde. Es war von vornherein
klar, daß das Betreuungsgeld evaluiert werden sollte. Bevor diese Maßnahme
eingeführt wurde, hatte das Statistische Amt Norwegens eine umfangreiche
Untersuchung über Familien mit Kindern im Vorschulalter durchgeführt.
Sie betraf Fragen der Kinderbetreuung, der Arbeitszeit, der Erwerbsorientierung,
der häuslichen Arbeitsteilung und der Einstellung zu verschiedenen sozial-
und familienpolitischen Initiativen für Familien mit kleinen Kindern. Eine
Quasi-Neuauflage der Untersuchung wurde im Frühjahr 1999 durchgeführt,
so daß die soziale Anpassungsreaktion nach Einführung des Betreuungsgeldes
untersucht werden konnte. Zusätzlich wurde eine kurzfristige Evaluierung
des Betreuungsgeldes vorgenommen, um Informationen über etwaige ungünstige
Wirkungen dieser Maßnahme bereitzustellen. Eine Mehrheit der Familien mit
Kindern im Alter von ein bis drei Jahren erhält das Betreuungsgeld. Im Durchschnitt
haben jeweils 75% aller Familien mit 1-bis-3-jährigen Kindern diese Familienförderung
erhalten, seitdem die Maßnahme eingeführt wurde. Von denen, die das
Betreuungsgeld bekommen, erhält der Großteil die volle Summe. Nur 15%
haben sich für eine Teilsumme entschieden, was gleichzeitig bedeutet, daß
sie einen Teilzeitplatz für ihr Kind in einer Einrichtung haben. Die Untersuchungen
haben ergeben, daß 213 der Kinder, deren Eltern das Betreuungsgeld erhalten,
zuhause von ihren Eltern betreut werden. 15% werden von Kindermädchen oder
Babysittern betreut. Und man hat einen leichten Anstieg der Betreuung von einjährigen
Kindern durch Kindermädchen festgestellt. 13% der Eltern haben kombinierte
Betreuungslösungen. Es scheint so, daß jetzt ein höherer Anteil
der Kinder im Alter von ein bis drei Jahren überwiegend von den Eltern betreut
wird. Im Schnitt reduzierte sich die Betreuungszeit, die nicht von den Eltern
geleistet wird, nach der Einführung des Betreuungsgeldes um 2,4 Stunden pro
Woche. (Ebd., S. 196-197).Das Betreuungsgeld hat zu einem
Rückgang der Erwerbsbeteiligung von Müttern kleiner Kinder geführt.
Bei den Vätern scheint sich dagegen in Sachen Erwerbsbeteiligung nichts geändert
zu haben. Vor der Einführung des Betreuungsgeldes ging der Trend dahin, daß
der Anteil von Müttern kleiner Kinder, die Vollzeit arbeiteten, ständig
zunahm. Und tatsächlich war zum Zeitpunkt der Einführung des Betreuungsgeldes
der Anteil von Müttern mit einem Vollzeitjob größer als jener
mit einer Teilzeitarbeit. Insgesamt waren 76% der Mütter von Kindern im Alter
von ein bis zwei Jahren entweder in Vollzeit oder in Teilzeit erwerbstätig.
Gleichzeitig gab es große Unterschiede - je nach dem Ausbildungsstand der
Mütter - in der Länge der wöchentlichen Arbeitszeit. Diese war
um so länger, je länger die Ausbildung gedauert hatte. Mütter mit
mehr als vier Jahren Universitätsausbildung hatten im Durchschnitt eine um
gut 12 Stunden längere Arbeitswoche als jene mit dem niedrigsten Ausbildungsabschluß.
(Ebd., S. 197-198).Bisher hat also die Einführung des Betreuungsgeldes
zu einer etwas geringeren Erwerbsbeteiligung von Müttern kleiner Kinder geführt.
Zusätzlich ist ein Teil der Mütter von einer Vollzeit- auf eine Teilzeittätigkeit
übergegangen. Eine Querschnittsanalyse hat gezeigt, daß die Mütter
in den Jahren 1998/'99 ihre Arbeitszeit um 1,5 Stunden wöchentlich reduziert
haben. Entgegen den Erwartungen vieler waren es die am besten qualifizierten Mütter,
die ihre Arbeitszeit am stärksten eingeschränkt haben. Teilzeitarbeit
ist weit verbreitet unter den Müttern kleiner Kinder. Das betrifft nahezu
ein Drittel der erwerbstätigen Mütter. Gleichzeitig hat der Anteil der
teilzeitarbeitenden Mütter aber nicht zugenommen. Es ist nicht einfach, die
Konsequenzen der Einführung des Betreuungsgeldes auf die Gleichstellung der
Geschlechter abzuschätzen. Umfragen zeigen allerdings, daß das Betreuungsgeld
als Maßnahme für Mütter angesehen wird. In 96% der Familien, die
vom Angebot des Betreuungsgeldes profitieren, haben sich die Eltern dafür
entschieden, daß das Geld an die Mutter ausbezahlt werden soll. Es sind
prinzipiell Mütter, die ihre Arbeitszeit reduziert haben. (Ebd., S.
198).Man hat ferner untersucht, ob die Einführung des Betreuungsgeldes
Auswirkungen auf den Bereich der Kinderbetreuungseinrichtungen gehabt hat. Hier
war festzustellen, daß das Platzangebot stagnierte. Ein kleinerer Teil der
Tagesbetreuung für die jüngsten Kinder wurde verlagert in private Einrichtungen,
die von Familien getragen wurden. Diese haben den gleichen Staatszuschuß
erhalten wie die staatlichen Tageseinrichtungen. Im Gefolge der Einführung
des Betreuungsgeldes ist allerdings die Zahl der Betreuungseinrichtungen, die
von Familien privat betrieben werden, zurückgegangen. Und die Gemeinden haben
sich abwartend bei der Frage der Schaffung neuer Betreuungsplätze für
Kleinkinder in den staatlichen Einrichtungen verhalten. Im Ergebnis hatte dies
ein Stagnieren des Platzangebotes zur Folge. Vielfach wurde die Befürchtung
geäußert, daß sich die Einführung des Betreuungsgeldes negativ
auf Kinder aus sozial schwachen Familien auswirken würde. Dem sollte auch
eine Initiative der staatlichen Jugendhilfe, die das Angebot kostenloser Betreuungsplätze
an diese Kinder vorsah, entgegenwirken. Die Befürchtung war, daß viele
Eltern nach der Einführung des Betreuungsgeldes die Auszahlung der Geldsumme
vorziehen und das Angebot kostenloser Tagesbetreuungsplätze für ihre
Kinder ablehnen würden. Glücklicherweise zeigen Untersuchungen, daß
dies nicht eingetreten zu sein scheint. Das Hilfsangebot der Sozialbehörden
auf Vermittlung kostenloser Betreuungsplätze ist sowohl vor als auch nach
der Einführung des Betreuungsgeldes von einer gleich großen Anzahl
von sozialhilfeabhängigen Kindern in Anspruch genommen worden. Man hat ferner
untersucht, ob von der Betreuungsgeldregelung negative Auswirkungen auf die Integration
von auslandsstämmigen Familien ausgegangen sind. Und in diesem Zusammenhang
wurden Familien interviewt, die aus Pakistao, Somalia und Vietnam stammen. Dabei
kam heraus, daß viele Familien aus Pakistan und Somalia den Standpunkt vertreten,
daß es für sie ganz unabhängig von den jeweiligen Umständen
immer wünschenswert war, sich selbst um ihre Kleinkinder zu kümmern.
Und es hat den Anschein, daß für diese Familien die Existenz des Betreuungsgeldes
keine besonders wichtige Rolle bei Fragen der Integration gespielt hat. Auf der
anderen Seite scheinen Familien aus Vietnam sich stärker der Angebote für
eine Tagesbetreuung bedient zu haben. Sie haben sich nach der Einführung
des Betreuungsgeldes in einem größeren Ausmaß auf die Arbeitsleistungen
von Kindermädchen und Babysittern gestützt. Das Bruttoeinkommen derer,
die Betreuungsgeld erhalten, ist im Schnitt niedriger als das der Eltern kleiner
Kinder, die einen Betreuungsplatz in einer Einrichtung haben. Entsprechend haben
die Betreuungsgeldzahlungen zu einer Verringerung der Einkommensunterschiede unter
Familien mit kleinen Kindern geführt. Die Einfiihrung des Betreuungsgeldes
hat keine großen Umbrüche unter den norwegischen Familien mit kleinen
Kindern ausgelöst. Dennoch glaube ich, daß diese familienpolitische
Maßnahme zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lage und der Wahlfreiheit
für Eltern, die ihre Kinder im häuslichen Umfeld selbst betreuen wollen,
geführt hat. (Ebd., S. 198-199).Im Frühling 2002
ist unter den Eltern kleiner Kinder eine neue Umfrage durchgeführt worden.
Die Ergebnisse dieser Umfrage werden im Januar 2003 vorliegen und dann auch veröffentlicht
werden. Dann können wir besser beurteilen, wie sich in einer etwas längerfristigen
Perspektive im Gefolge der Einführung dieser Maßnahme der Familienförderung
Änderungen in der Erwerbsbeteiligung der Eltern und in der Inanspruchnahme
von außerfamiliären Betreuungsangeboten vollzogen haben. (Ebd.,
S. 199).
Familienpolitische Antworten auf die demographische Entwicklung (Hans Geisler
/ Simone Wenzler) Umfragen wie die Shell-Studie (2000)
zeigen immer wieder die große Bedeutung, die Jugendliche der Familiengründung
beimessen. Die tatsächlichen Kinderzahlen bleiben später jedoch hinter
hinter den genannten Kinderwünschen weit zurück (!!!).
(Ebd., S. 201).Das Beispiel der skandinavischen Länder hat
uns gelehrt, daß die Entscheidung für ein (weiteres) Kind inzwischen
in erster Linie von der kurz-, mittel- und langfristigen Vereinbarkeit von Familie
und Beruf abhängt. (Ebd., S. 201).Vereinbarkeit von
Familienaufgaben und Berufstätigkeit (aber auch von regelmäßigem
ehrenamtlichen Engagement) ist wesentlich von festen, zuverlässigen Betreuungszeiten
für Kinder abhängig. Die Bedarfe von Eltern sind hierbei sehr unterschiedlich
und ändernsich nicht zuletzt mit dem Alter der Kinder. (Ebd., S. 202).Wir
können in Sachsen eine sehr gute Bilanz der aktuellen Betreuungsmöglichkeiten
für Kinder im Alter von 0 bis 10 Jahren vorlegen. Es können praktisch
alle Kinder in dem von den Eltern gewünschten Umfang - bis zu 9 Stunden täglich
- institutionell betreut werden. Dies nehmen Eltern für 35% der Kinder im
2. und 3. Lebensjahr, für 98% der Kinder im Kindergartenalter (3
bis 6 Jahre; Anm. HB) sowie für 55% der Kinder bis zu 10 Jahren wahr,
Dabei sei am Rande erwähnt, daß in den Kinderkrippen, -gärten
und -horten gleichwertig Erziehung, Bildung und Betreuung geleistet wird.
(Ebd., S. 203).Finanzielle Leistungen für elterliche Familienarbeit:
Die zweite Seite der Wahlfreiheit ist die staatliche Unterstützung von Eltern,
die auf einen Teil ihres gemeinsamen Erwerbseinkommens verzichten, um ihre Kinder
selbst zu betreuen und zu erziehen. Hier wurde insbesondere in der Ära Kohl
auf Bundesebene etliches geleistet. (Soll das ein Witz sein
? Anm. HB). Sowohl der inzwischen weiterentwickelte und flexiblere
Erziehungsurlaub - sinnvollerweise zwischenzeitlich in Elternzeit umbenannt -
als auch das Erziehungsgeld sind für Eltern von sehr großer Bedeutung.
Auch in Sachsen wird der Erziehungsurlaub von 98% der Eltern eine Zeitlang in
Anspruch genommen, und im ersten Lebensjahr erhalten 94% der Eltern Erziehungsgeld.
In Sachsen werden derzeit (= 2003; Anm. HB) ca. 460
Mio. Euro pro Jahr für die Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen durch
das Land und die Kommunen aufgebracht und ca. 230 Mio. Euro für Bundeserziehungsgeld-
und Landeserziehungsgeld-Zahlungen. Diese Leistungen für außerhäusliche
und elterliche Erziehungsleistungen stehen rechtlich weitgehend unverbunden nebeneinander.
Dadurch erhalten manche Familien gleichzeitig staatliche Leistungen in Form von
Erziehungsgeld und eines Krippenplatzes und manche Eltern erhalten keine der beiden
Förderungen. Dies ist schlicht ungerecht. Zudem erhalten Eltern, die ihr
Kind im zweiten Lebensjahr in eine Krippe bringen, in Euro gerechnet, sehr viel
mehr öffentliche Leistungen als Eltern, die rund um die Uhr selbst für
ihre Kinder sorgen. Erziehungsgeld wird nur in den ersten 2 (bzw. in Sachsen 2,75)
Lebensjahren geleistet, ist stark einkommensabhängig und beträgt monatlich
maximal 307 Euro. Für eine Ganztagsbetreuung im gleichen Alter leistet die
öffentliche Hand jedoch in Sachsen rund 600 Euro - fast doppelt soviel! Die
Abwägung zwischen einem zweiten Einkommen und der Inanspruchnahme eines von
den Eltern nur zu einem Bruchteil zu finanzierenden Kinderkrippenplatzes oder
dem Verzicht auf ein Einkommen und - sofern alle sonstigen Voraussetzungen erfüllt
sind - dem Bezug eines sehr »überschaubaren« Erziehungsgeldes
ist damit oft eine schlichte Frage des Geldes. Hier wird mit einer unausgewogenen
staatlichen Förderung das Verhalten von Eltern beeinflußt und damit
die Wahlfreiheit der Eltern entgegen dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes
beschränkt. Die Leistungen müßten so gestaltet oder verzahnt sein,
daß Eltern möglichst stufenlos zwischen der finanziellen Unterstützung
für die elterliche Betreuung und dem damit einhergehenden - teilweisen -
Einkommensausfall und einer außerhäuslichen Betreuungsform wählen
können. Ein vom Einkommen und der Erwerbstätigkeit unabhängiges
Erziehungsgehalt, das Eltern die finanziellen Mittel in die Hand gibt, mit denen
sie selbst Betreuungsleistungen einkaufen oder eigene Betreuung finanzieren können,
würde die verfassungsrechtlich gebotene Gleichbehandlung optimal gewährleisten.
Doch davon sind wir noch ein gutes Stück entfernt. Wir haben uns deshalb
- unter anderem auch im Rahmen der Vorgängerkongresse - immer wieder dafür
ausgesprochen, die in Familien erbrachten Leistungen durch ein Erziehungsgehalt
zu honorieren. Das Konzept zielt darauf ab, die »Zwangs-Flexibilität«
von familien hinsichtlich Lage und Umfang der Arbeitszeit und des Arbeitsortes
zu berücksichtigen. Das Erziehungsgehalt soll für alle Eltern mit Kindern
im Alter von 0 bis unter 3 Jahren monatlich 550 Euro (netto!) und für
Kinder im Alter von 4 bis unter 6 Jahren 400 Euro (netto!) betragen. Die
Leistung ist unabhängig vom Umfang der Erwerbstätigkeit und von sonstigem
Einkommen. Es entstehen keine Abzüge (Steuern, Sozialabgaben). Eltern, die
ihre Kinder während des Tages selbst betreuen möchten, erleichtert das
Erziehungsgehalt den (teilweisen) Einkommensverzicht. Entscheiden sich die Eltern
für eine andere Betreuungsform, dann müssen sie die entsprechenden Kosten
ganz übernehmen. Die bisherige Förderung der Betriebskosten für
Kindertageseinrichtungen und Tagesmütter würde entfallen. Die bislang
dafür aufgewendeten staatlichen Gelder werden den Eltern direkt ausbezahlt.
Damit können Eltern die gleichen Leistungen »einkaufen« wie bisher
- aber sie haben wesentlich mehr Entscheidungsfreiheit und Einflußmöglichkeiten.
Eine Sonderregelung für die pädagogisch besonders bedeutsamen Kindergärten
oder Vorschuleinrichtungen wäre dabei notwendig. Durch das Erziehungsgehalt
würden Eltern auf dem »Betreuungsmarkt« zu kaufkräftigen
Nachfragern. Wenngleich die bestehende Kontrolle der pädagogischen Qualität,
aber auch z.B. der hygienischen und räumlichen Bedingungen in Kindertageseinrichtungen
weiterhin wichtige staatliche Aufgaben bleiben, so wird doch eine spürbare
Ausweitung, Flexibilisierung und Differenzierung der Betreuungsangebote eintreten.
Dies wird insbesondere von Eltern in den westdeutschen Bundesländern dringend
gewünscht. Damit stünde Eltern einerseits eine gezielte Auswahl des
Betreuungsangebotes auch im Hinblick auf die Wünsche und Bedürfnisse
des Kindes offen, andererseits würden damit flexible Kombinationen der Erfüllung
von Familienaufgaben und Erwerbstätigkeit in Abhängigkeit der sich immer
wieder verändernden Bedürfnisse und Bedingungen möglich. Mit dem
Erziehungsgehalt würde auch dem starken Ungleichgewicht in der Bewertung
von Erziehungs- und Erwerbsarbeit entgegengewirkt. Die Tatsache, daß beide
Aufgaben von gleichwertiger Bedeutung sind, muß in dem Gesamt der familienpolitischen
Leistungen sehr viel stärker erkennbar sein. (Ebd., S. 204-205).Soziale
Sicherung: Im Gegensatz zu anderen Modellen haben wir uns aus verschiedenen
fachlichen Gründen gegen ein steuer- und sozialabgabenpflichtiges Bruttogehalt
entschieden. Die ungewollten indirekten Nebenwirkungen schienen uns zu stark.
Um so wichtiger ist mir der Hinweis auf den unabdingbar notwendigen weiteren Ausbau
der Sozialen Sicherung für Familien bzw. für Erziehende. Die drei Jahre
Anerkennung von Erziehungsleistung in der Rentenversicherung mit dem Durchschnittsgehalt
sind ein wichtiges Fundament. Ein Ausbau scheint jedoch für die noch nicht
einbezogenen Jahrgänge und für Familien mit mehreren Kindern notwendig,
da dann eine Erwerbstätigkeit auch über einen längeren Zeitraum
oft nicht möglich ist. Die immer wieder diskutierte beitragsfreie Familienmitversicherung
in der gesetzlichen Krankenkasse könnte auf Erziehende reduziert werden.
Kinderlose Ehepartner müssen von dieser Regelung nicht profitieren können.
Aber grundsätzlich ist dies ein wichtiges Element der Familienpolitik. Allerdings
spricht nichts gegen eine Steuerfinanzierung dieser versicherungsfremden Leistung.
Problematisch gestaltet sich derzeit die Regelungen in der Arbeitslosenversicherung.
Die knappen Fristen und reduzierten Regelungen stehen der Wahlfreiheit für
Erziehende oft entgegen. Wer Kinder erzieht, sollte mindestens in den ersten drei
Lebensjahren darauf vertrauen können, daß er nach der Erziehungszeit
so gestellt ist, wie vor der Erziehungszeit bzw. wie wenn er in dieser Zeit versichert
gewesen wäre. Zusätzlich sind Weiterbildung während der Erziehungszeit
und Wiedereinstieg nach der Erziehungszeit umfänglicher und verbindlicher
als gegenwärtig gesetzlich festgelegt zu fördern. (Ebd., S. 206).Schlußbemerkung:
Demographisch wirksame Familienpolitik muß die Eigenverantwortung und die
Wahlfreiheit von Eltern in einem Höchstmaß respektieren. Denn die Entscheidung
für ein Kind ist immer eine sehr komplexe und kann nicht durch schlicht gestrickte,
nur ein bestimmtes Familienbild oder Lebenskonzept betrachtende Unterstützung
positiv befördert werden. Sie muß die Leistungen der Eltern entlohnen,
die Lasten reduzieren und ein Maximum an eigenverantwortlicher, flexibler LeIbensgestaltung
ermöglichen. (Ebd., S. 206).
Familie ist unsere Zukunft (Christa Stewens) Was wir heute
für unsere Familien zu leisten versäumen, diese Defizite werden wir
morgen bitter bezahlen müssen. Und zwar nicht nur in Euro und Cent. Unsere
Familien sind nicht nur ein unersetzlicher Wirtschaftsfaktor, weil mit den Kindern
die künftigen Steuer- und Beitragszahler großgezogen werden, die später
als Arbeitnehmer, Unternehmer, Wissenschaftler, Dienstleistende, Ärzte und
Fachkräfte zur Versorgung der Bevölkerung und zum Wohlstand in unserer
Gesellschaft beitragen. Die Erziehung und Sozialisation von Kindern, die Vermittlung
von Werten und Fähigkeiten in und durch die Familie sind entscheidende Faktoren
für ein Gelingen des Lebens des Einzelnen und damit auch Grundlage für
das Gelingen unserer Gesellschaft. Familie, in der diese Leistungen erbracht werden,
schafft Bindung, schafft eine besondere Qualität, die weder der Einzelne
noch die Gesellschaft ersetzen kann. Negativschlagzeilen über steigende Scheidungszahlen,
verwahrloste Kinder und jugendliche Amokschützen dürfen nicht darüber
hinwegtäuschen, daß die Mehrzahl der Familien diese wichtigen Aufgaben
für ihre Kinder nach wie vor leisten will und leistet. Aber wir müssen
uns bewußt sein, daß der gesellschaftliche Wandel nicht spurlos an
unseren Familien vorübergeht, sondern gerade sie vor große Herausforderungen
stellt. (Ebd., S. 207).Höhere Anforderungen in der Arbeitswelt
an Qualifikation, Flexibilität und Einsatzbereitschaft der Menschen, die
selbstverständliche Forderung an die Mobilität des Arbeitnehmers stellen
gerade Familien oft vor große Probleme. (Ebd., S. 207).Mit
dem steigenden durchschnittlichen Einkommen wächst die Diskrepanz zwischen
Kinderlosen und Eltern, die ihre Erwerbstätigkeit zum Teil einschränken
und z.B. auf dem Wohnungsmarkt mit Singles oder Dink(»double income no kids«)-Paaren
konkurrieren müssen. Gleichzeitig erhöhen sich die Kosten für Kinder
aufgrund durchschnittlich längerer Ausbildungszeiten und der notwendigen
Teilhabe auch von Kindern an modernen Kommunikationssystemen. Angesichts all dieser
Anforderungen verwundert es nicht, daß sich nach repräsentativen Umfragen
(z.B der Shell-Studie, 2000) zwar 80% aller jungen Menschen eigene Kinder wünschen,
die Realität aber ganz anders aussieht. Auch wenn bei vielen Menschen der
Kinderwunsch vorhanden ist, entscheiden sich nur wenige von ihnen für Kinder.
Die Geburtenzahlen belegen diesen Trend: | Die
Geburtenentwicklung in Deutschland ist besorgniserregend. Die Geburtenziffer liegt
bei rund 1,35 Kindern pro Frau. Um die Bevölkerungszahl einigermaßen
konstant zu halten, wären aber mindestens 2,13 Kinder nötig. | | Immer
mehr Frauen sind kinderlos: Ein Viertel der heute 40-Jährigen ist kinderlos. | | Die
Familien werden immer kleiner. Nur 13% haben mehr als zwei Kinder. | Woran
liegt es also, daß sich immer weniger junge Menschen für Kinder entscheiden
? Als wichtigsten der Gründe gegen einen Kinderwunsch nennen nach der
Generationenstudie 2001 der Hanns-Seidel-Stiftung 84% der Befragten die Anforderungen
der modernen Arbeitswelt. An zweiter Stelle folgen mit 80% die finanziellen Belastungen
durch Kinder. Die ungenügenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten gelten
für 70% der Befragten als weiterer wichtiger Grund für die sinkenden
Geburtenzahlen. Hier sind Eltern in vielfältiger Weise auf Unterstützung
angewiesen. Ich möchte Ihnen aus der Vielzahl familienpolitischer Maßnahmen
heute einige Punkte vorstellen, die ich für besonders wichtig halte:1. | Der
Ausbau von Kinderbetreuung in allen Altersgruppen. | 2. | Die
bessere finanzielle Unterstützung unserer Familien durch ein Familiengeld. | 3. | Die
höhere gesellschaftliche Anerkennung der Familien. | Wahlfreiheit
zwischen Erwerbs- und Familientätigkeit setzt voraus, daß beides miteinander
vereinbar ist. Dies beginnt zum einen mit familiengerechten Arbeitsplätzen.
Wir wollen bei den Tarifparteien darauf hinwirken, daß im Rahmen von Tarifverhandlungen
oder Betriebsvereinbarungen die Bedürfnisse der Familien mit Kindern stärker
berücksichtigt werden. Gerade Familien kommen Regelungen wie flexible Arbeitszeiten,
Jobsharing, Arbeitszeitkonten oder Gleitzeit zugute. Zum anderen setzen wir auf
eine maßgeschneiderte Betreuung von Kindern aller Altersstufen vor Ort.
(Ebd., S. 207-208).Darüber hinaus wollen wir familiennahe
Betreuungsalternativen gerade bei den Unter-3-Jährigen fördern. Wir
können schließlich unsere Augen nicht davor verschließen, daß
mehr als 50% der Frauen mit Kindern unter drei Jahren arbeiten. Deshalb fördern
wir ab diesem Jahr erstmals auch Tagespflegeangebote, wobei zunächst in diesem
und im nächsten Jahr ein Modellversuch durchgeführt werden soll, um
die Konditionen für eine flächendeckende Förderung abzuklären.
Weiterhin ist vorgesehen, neben der bereits stattfindenden Förderung von
Mütterzentren auch die Förderung von Eltern-Kind-Gruppen in einem Modellversuch
vorzubereiten. Damit setzen wir gleichzeitig einen Impuls und einen Anreiz für
die Familienselbsthilfe. (Ebd., S. 208-209).Doch die ausreichende
Bereitstellung von Kinderbetreuungsangeboten allein genügt nicht, um die
Situation für Familien zu verbessern. Gerade wenn Eltern - Frauen und Männer
- auch die realistische Möglichkeit haben sollen, auf Erwerbstätigkeit
zu verzichten, um sich selbst ausschließlich der Kindererziehung zu widmen,
müssen die finanziellen Belastungen, die die Entscheidung für ein Kind
mit sich bringen, viel stärker als bisher ausgeglichen werden. Nach einer
Erhebung des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung (München) kostet
ein Kind bis zum 18. Lebensjahr immerhin 365500 Euro (240300 Euro tragen die Eltern,
den Rest der Staat; Stand: 2000). Die Union setzt
sich deshalb für einen Ausgleich dieser Belastung durch das Familiengeld
ein. Im Endausbau soll das Familiengeld folgende Leistungen umfassen: | in
den ersten drei Lebensjahren: 600 Euro/Kind (Stand: 2000); | | vom
4. bis 18. Lebensjahr: 300 Euro/Kind (Stand: 2000); | | für
volljährige Kinder in Ausbildung bis zum 27. Lebensjahr eine Leistung in
Höhe von 150 Euro bzw. 170 Euro ab dem vierten Kind (Stand:
2000). | Damit
werden die finanziellen Belastungen für Eltern gerade in den ersten drei
Lebensjahren des Kindes abgefangen. Eine finanzielle Unterstützung ist in
dieser Zeitspanne besonders wichtig, denn häufig reduzieren die Eltern die
Erwerbstätigkeit in den ersten drei Jahren und verfügen somit über
weniger Einkommen, während die kindbedingten Ausgaben erheblich steigen.
Mit unserem Familiengeld stärken wir die Familien, wir schaffen eine einheitliche
Leistung anstelle des inzwischen unübersichtlichen Systems der Familienförderung.
Und wir verhindern Sozialhilfebedürftigkeit von Familien. Keine Familie darf
nur deshalb, weil sie die Kosten für ihre Kinder nicht aufbringen kann, auf
Sozialhilfe angewiesen sein. 56% der Kinder, die Sozialhilfe beziehen, wachsen
in Haushalten von Alleinerziehenden auf. Etwa 1 Mio. Kinder sind derzeit in der
Sozialhilfefalle gefangen. Dies ist ein Zustand, der in einem Land wie Deutschland
untragbar ist. (Wie schon mehrfach erwähnt, ist das
gerade angesichts des Reichtums in Deutschland ein Skandal! Anm. HB [vgl. demographisch-ökonomisches
Paradoxon*]).Allein
die genannten Zahlen belegen, daß das System der staatlichen Familienförderung
in Deutschland grundlegend neu gestaltet werden muß. Natürlich kann
die Verwirklichung des Familiengeldes angesichts des Kostenvolumens nur stufenweise
erfolgen. Aber wir sind bereit, für Familien hier Prioritäten zu setzen.
(Ebd., S. 209).Eine weitere Entlastung der Familien soll im Bereich
der Sozialversicherung erfolgen. Arbeitnehmer sollen weniger an Beiträgen
zur Renten- und Pflegeversicherung zahlen, wenn sie Kinder erziehen. Dies ist
auch Ausfluß des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Pflegeversicherung
(3. April 2001), das gefordert hatte, Eltern bei den Beiträgen im Verhältnis
zu Kinderlosen zu entlasten. Dieser Kinderbonus, den wir durch eine Gutschrift
bei den Sozialversicherungsbeiträgen einführen wollen, dient also dem
Ausgleich des generativen Beitrags von Eltern in der Renten- und Pflegeversicherung.
(Ebd., S. 209-210).Aber es geht uns nicht nur um eine Verbesserung
der finanziellen Situation der Familien. Wir wollen auch für eine ideelle
Unterstützung der Familien sorgen. Unsere Gesellschaft muß insgesamt
kinder- und familienfreundlicher werden: Wir setzen uns deshalb für | mehr
Rücksicht auf Familien, | | ein
neues Bewußtsein für den Wert von Kindern in einer immer älter
werdenden Gesellschaft, | | eine
stärkere Orientierung an den Interessen der Familien | ein.
(Ebd., S. 210).
Demographie als Herausforderung - Antworten der Arbeitspolitik (Harald
Schartau) Qualifizierte Beschäftigte sind die wichtigste Antwort
auf die zunehmende Geschwindigkeit von Veränderungsprozessen und steigende
Anforderungen an die Innovatiosnfähigkeit. (Ebd., S. 211).Quantitativ
gehen Prognosen davon aus, daß die Zahl der Erwerbspersonen von heute (2003)
41 Millionen auf 26 Millionen im Jahre 2040 schrumpfen wird. Qualitativ wird sich
die Zusammensetzung des Erwerbsperonenpotentials in diesem Prozeß mit verändern
... (Ebd., S. 211).Das durchschnittliche Renteneintrittsalter
lag 1973 noch bei 62 Jahren, heute (2003) dagegen
bei ungefähr 59 Jahren. (Ebd., S. 212).Zuwanderung kann
nicht die demographischen Probleme in Deutschland lösen .... (Ebd.,
S. 213).Im Rahmen einer nachhaltigen Strategie, nach der von der
Globalisierung (gemeint ist die wirtschaftliche! Anm. HB)
alle Regionen dieser Welt proftitieren sollen, muß zudem berücksichtigt
werden, daß ärmeren Volkswirtschaften nicht Ausbildungslasten aufgebürdet
und anschließend dort dringend benötigte Fachkräfte entzogen werden
dürfen. (Denn das ist Kolonialismus, eine Kolonialpolitik
unserer Zuwanderungspolitiker; Anm. HB). Gleichzeitig, und hier gibt es
ein reales Spannungsverhältnis, steht Deutschland bei der Anwerbung von Fachkräften
in einem internationalen Wettbewerb. Sprachkenntnisse und fachliche Qualifikationen
spielen dabei eine entscheidende Rolle. (Ebd., S.214 ).Es
ist schon signifikant, daß in den Ländern mit höherer Frauenerwerbsquote
auch die Geburtenrate höher liegt als in Deutschland, also z.B. in Skandinavien
... Die Vereinbarkeit von familie und Beruf ist folglich machbar, wenn die Rahmenbedingungen
stimmen (und unsere Politiker und Lobbyisten dies nicht
weiterhin verhindern; Anm. HB). Es schließt sich daher die Frage
an, wo in Deutschland die Mängel liegen, Familie und Beruf zusammenzubringen
? (Antwort [und zwar in genau dieser Reihenfolge]:
In Politik und Gesellschaft, Lobby, Medien, Wirtschaft; Anm. HB). Notwendig
erscheint ein ganzes Maßnahmenbündel, um die Bedingungen von Familie,
insebsondere von Kindererziehung und Beruf, nachhaltig ... zu verbessern.
(Ebd., S. 214).Zudem hapert es an Kinderbetreuungsangeboten, die
auf die realen Bedürfnisse von Frauen wie Männern, aber auch auf die
von Betrieben zugeschnitten sind. (Ebd., S. 214). -
FAMILIÄRE ERZIEHUNG - GRUNDLAGE VON BILDUNG; ALLTAGSKOMPETENZ UND BERUFSERFOLG
-
Die familiäre Erziehung als Quelle der Kompetenz und des Erfolgs (Jacques
Bichot) Wir verfügen über ausreichende Erfahrungen, um
wieder anzuerkennen, welch wichtige Rolle die Eltern im Lernprozeß spielen.
Ohne deren positiven Einfluß werden die jungen Menschen weder zu guten Schülern
noch zu guten Bürgern, zu guten Berufstätigen und auch nicht zu guten
Eltern. Wenn die Eltern diese Rolle in der Erziehung übernehmen, bringen
sie die wichtigste Investition ein, die es gibt: Sie investieren in das Humankapital
- ein begriff, den Gary Becker
in seiner ganzen Tragweite und in seinem analytischen Reichtum erschlossen hat.
(Ebd., S. 217).Es ist tatsächlich meine Meinung, daß
der Wirtschaftswissenschaftler gut beraten wäre, dem Philosophen Platz zu
machen, ihm zuzuhören, mit ihm in einen Dialog zu treten und sich in bestimmten
Punkten dann auch von ihm inspirieren zu lassen. Es ist nicht deplaziert, hier
mit der Begrifflichkeit der Wirtschaftsanalyse zu arbeiten, um zu versuchen zu
verstehen, was dann passiert, wenn ein Kind Geschmack findet an der Musik oder
an der Wahrheit oder aber auch an Gewalt, Faulheit und Gemeinheit. Der Gegenstandsbereich
der Ökonomie als Wissenschaft wurde von Ludwig von Mises perfekt definiert
im Titel seines Hauptwerks: »Das menschliche Handeln«. Und wenn es
darum geht, sich Gedanken zu machen über die Ausbildung von Werten, über
all das, was den Dingen und Handlungen Wert verleiht, dann beziehe ich mich gerne
auf Georg Simmel und seine Philosophie des Geldes: Er stellt den Prozeß
der Ausbildung von Werten »außerhalb der Substanzialität, die
isoliert, in den lebendigen Beziehungsprozess«. Und gerade das ist es, was
das Wesen der elterlichen Rolle bei der Ausbildung von Werten ausmacht: Der lebendige
Prozeß der Beziehung »Eltern-Kind« ist der Prüfstein der
Werte und der Einstellung gegenüber dem Leben und den anderen. (Ebd.,
S. 218).In der Familie, in der Beziehung zum Vater, zur Mutter,
zu Brüdern und Schwestern festigen sich die Einstellungen, die später
eine sehr große Rolle im Berufsleben spielen. Das Berufsethos zum Beispiel,
d.h. die Freude an einer gut gemachten Arbeit, hat seine tiefsten Ursprünge
in dem Lob, den Ermutigungen und auch in den Ermahnungen aus der Zeit unserer
Jugend. Wenn man sich über einen zufriedenen Kunden freut, so bedeutet das,
daß man im übertragenen Sinne als Erwachsener die gleiche Freude erlebt
wie in der Kindheit, als Mutter oder Vater oder beide die Kinder lobten, weil
sie dieses oder jenes geschafft oder getan hatten. Als kleines Kind schon lernt
man, daß Freude bereiten Freude schenkt. Schon als Kleinkind lernt man den
Wert eines Lächelns, eines Dankesagens, eines Zeichens der Zufriedenheit
und Dankbarkeit zu schätzen. Wenn ein Kind von seinen Eltern nicht das Glück
des Schenkens von Zufriedenheit erfährt, von wem wird es das denn sonst lernen
? Wenn es von ihnen dagegen das üble Vergnügen lernt, den anderen
zu demütigen, zu erniedrigen, ihm Leid zuzufügen, ihn zu beschmutzen,
wie soll ein Kind das verlernen, wer wird es umprogrammieren, wer sollte es schaffen,
ihm ein anderes Verhalten beizubringen? (Ebd., S. 218-219).
Das moderne Wirtschaftsleben ist weithin auf Kooperation begründet.
Was bedeutet es denn zu kooperieren? Es wäre sehr einengend und sehr
ungenau, zur Kooperation einen utilitaristischen Standpunkt einzunehmen, als wenn
sie nur eine Technik im Dienst der Produktivitätssteigerung sei. Andersherum
argumentiert würde ich sagen, daß die Kooperation als solche einen
noch größeren Wert schafft als den, den sie mit der Erzeugung materieller
Werte oder Dienstleistungen erbringt. Kooperieren, das bedeutet zusammenzuleben,
bedeutet, etwas zusammen zu machen: Ob man nun Autos baut oder Pizzen ausliefert
- das, was von Bedeutung ist, ist das gemeinsame Leben, das gemeinsame Werk. Das
Erlernen des »Zusammenlebens« erfolgt nun zunächst in der Familie.
In den Rangeleien zwischen zwei Brüdern wegen eines Spielzeugs oder eines
Stück Kuchens bilden sich die Persönlichkeiten heraus, die dazu in der
Lage sind, den anderen, seine ihm eigene Welt, das was ihm gehört, zu respektieren,
ohne sich dennoch dabei unterkriegen zu lassen. Die Bewältigung von Konflikten,
die im Berufsleben ebenso wichtig ist wie im Leben von Vereinen und Verbänden
oder in der Politik, haben wir zunächst im Rahmen der Familie erprobt, und
zwar unter der Aufsicht der Eltern, die als Schiedsrichter fungieren. Die Bedeutung
dieser schiedsrichterlichen Funktion ist groß für die späteren
Erlebnisse, ja für das ganze Leben. Je nachdem, wie es den Eltern gelingt,
eindeutige Normen zu setzen, je nachdem, wie sie ihre Kinder dazu anhalten, Gesetz,
Ordnung und Unparteilichkeit innerhalb des Gemeinwesens zu respektieren - oder
ob sie das nicht tun - wird bei dem künftigen Erwachsenen die Einstellung
zum Leben in der Gesellschaft unterschiedlich sein. Auch Ehrlichkeit ist ein halb
ererbter Charakterzug, der im Laufe der ersten Lebensjahre erworben wird. Diese
für ein gutes Funktionieren einer Marktwirtschaft unerlässliche Eigenschaft
wird in jedem Kind durch ein komplexes Ensemble von Wechselwirkungen erzeugt,
deren früheste und grundlegendste in der Familie lagen. Ehrlichkeit ist eine
Wesensart. Moralisch ist sie gleichbedeutend mit einer geraden Haltung. Wie die
Körperhaltungen scheinen auch die moralischen Einstellungen »natürlich«
zu sein. Aber sie sind in Wirklichkeit das Ergebnis einer langdauernden Praxis,
einer Art Training. Menschen - wie im übrigen auch Affen - lernen, indem
sie imitieren (nicht nur, aber doch hauptsächlich!
Anm. HB). Sie sehen, wie sich ihre Eltern in den verschiedenen Situationen
verhalten, und sie haben die Tendenz, es ihnen gleich zu tun. (Ebd., S.
219-220).Und schließlich müssen die finanziellen Mittel
für eine soziale Absicherung der Elternschaft mobilisiert werden als unerläßliche
Anerkennung für den Platz, den Bildung und Betreuung der Kinder für
die Vorbereitung auf die Zukunft aller einnehmen. (Ebd., S. 221).In
diesem Zusammenhang war ich glücklich zu hören, was Paul Kirchhof
im Kern gesagt hat, wie ich das auch selbst mehrfach getan habe: Es darf kein
Tabu geben gegenüber einer Entlohnung der elterlichen Erziehung, jedenfalls
nicht mehr als gegenüber der Bezahlung für jedwede befriedigende und
mit Freude ausgeübte Arbeit in unserer Gesellschaft. (Ebd., S. 221).Familie,
Humankapital und Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft (Maximilian B. Torres)Ziel
dieses Beitrages ist, die Rolle deutlich zu machen, die die Familie bei
der Vorbereitung von Menschen für das leben in wirtschaftlichen Organisationen
spielt - Organisationen, für die u.a. Kompetenzen für einen optimalen
Umgang mit anderen, die normalerweise nicht als wirtschaftliche Größen
angesehen werden, höchst wichtig sind. (Ebd., S. 223).Was
ich hier unterstreichen möchte, ist der Trend, der dahin geht, die
Grenzen des quantitativen, rein zahlenmäßigen Denkens zu erkennen und
diese zu überschreiten. (Ebd., S. 224).Nun ist es die
Familie - und nicht das Unternehmen -, die die Saat legt (oder nicht) für
das Bedürfnis zu lernen und die eine Prägekraft hat (oder auch nicht)
für die Entwicklung der Fähigkeit zu kooperieren, zu dienen und zu vertrauen.
Deshalb sind Unternehmen im Hinblick auf ihr finanzielles Gedeihen und ihren Erfolg
in ganz ursprünglicher Weise auf die Familie angewiesen. Entsprechend liegt
der zentrale Beitrag der Familie bei der Entwicklung des Humankapitals und der
Wirtschaft im allgemeinen ganz genau in ihrer Rolle, als erste gesellschaftliche
Instanz prägend und formend auf die Herausbildung der inmateriellen Eigenschaften
und Gewohnheiten der jungen Menschen Einfluß zu nehmen. (Ebd.,
S. 224).Aus der Rückschau betrachtet hätten sich die
Aktionäre von Enron eher weniger als mehr von diesem »Expertenwissen«
der Wirtschaftsprüfer gewünscht und mehr Klugheit als Cleverneß
im Topmanagement. (Ebd., S. 228).Paradoxerweise schwächt
eine Erziehung der Jugend zu einer konsumistischen Haltung die konsumorientierte
Wirtschaft, weil sie die Übernahme der für eine gedeihliche Entwicklung
der Wirtschaft erforderlichen Eigenschaften der Durchhaltefähigkeit und Robustheit
gegenüber externen Störungen unterminiert. (Ebd., S. 229).Wir
haben bereits klargemacht, daß das, was im Wirtschaftsleben meßbar
ist, wie Einnahmen, Ausgaben (und also auch: Kosten, Leistungen
u.ä.; Anm. HB) oder auch Gewinne (bzw. Verluste;
Anm. HB) letztendlich vom Vorhandensein (bzw. Nicht-Vorhandensein;
Anm. HB) inmaterieller Faktoren wie Vertrauen, Loyalität und Engagement
abhängen. (Ebd., S. 230).Tugenden verändern das
Sein dessen, der sie besitzt, und das Handeln folgt dem Sein. .... Da es die Handlungsfähigkeit
des Einzelnen ist, die Humankapital definiert, kommt die Familie am wirkunghsvollsten
ihrer ökonomischen Funktion dann nach, wenn sie für ihre Kinder in der
Familie möglichst günstige Bedingungen schafft, diese moralischen Tugenden
zu erwerben. (Ebd., S. 231).Rechtschaffenheit z.B. ist eine
habituelle Eigenschaft, die man durch Nachahmung des Beispiels derjenigen,
die rechtschaffen sind, erwirbt und indem man Entscheidungen in Übereinstimmung
mit dem »richtigen Gebrauch der Vernunft« trifft. Entsprechend erfüllen
Eltern ihre Rolle bei der Humankapitalbildung, wenn sie für ihre Kinder ein
gutes Vorbild sind und - das das Handeln der Entscheidung folgt - auf die Entwicklung
der Entscheidungskriterien ihrer Kinder Einfluß nehmen. (Ebd., S.
231).Wie Väter und Mütter wissen, beobachten Kinder ständig.
Das ist der Grund, warum Eltern die ersten Vorbilder für ihre Kinder sind.
(Ebd., S. 232).Wie in vielen Familien verteilen wir Hausarbeiten
an unsere Kinder und versuchen, ihnen die Bedeutung, den ihr persönlicher
Einsatz für die Familie hat, deutlich zu machen. Wie Victor Frankl gelehrt
hat, gibt es kein größeres Streben als die »Suche des Menschen
nach Sinn«, und es gibt keinen tieferen Sinn als Liebe, die sich wiederum
durch Aufgaben ausdrückt: »Tatsächlich muß der Mensch
ein Ziel haben, auf das er sein Leben beständig ausrichten kann. Er muß
konkrete, persönliche Aufgaben und Anforderungen erfüllen; er muß
den einzigartigen Sinn erkennen, den jeder von uns zu erfüllen hat. Deswegen
halte ich es für mißverständlich von Selbsterfüllung
oder Selbstverwirklichung zu sprechen. Denn was vom Menschen erwartet
wird, ist nicht primär Erfüllung und Verwirklichung seines Selbst, sondern
die Verwirklichung spezifischer Aufgaben in dieser Welt. Und nur in dem Ausmaß,
in dem er dies leistet, wird er auch sich selbst verwirklichen: Nicht per intentionem,
sondern per effectum.« (Ebd., S. 232).Wie Plato
(Platon ist gemeint; Anm. HB) gelehrt hat, gibt es
keinen größeren Schaden für einen Menschen, als eine Ungerechtigkeit
zu begehen und dafür nicht bestraft zu werden. Er kam zu der Schlußfolgerung
- und zwar zu Recht, wie ich meine -, daß es besser ist, eine Ungerechtigkeit
zu erleiden als sie zu begehen. (Ebd., S. 233).In der Familie
erleben die Kinder auch zum ersten Mal, daß Gnade vor Recht geschieht. Gerechtigkeit
und Gnade verhalten sich komplementär zueinander. Das eine ist für das
andere ein notwendiges Korrektiv bei Übertreibungen in die eine oder andere
Richtung. Thomas von Aquin beschrieb ihre Beziehung folgendermaßen: Recht
ohne Gnade ist Grausamkeit. Gnade ohne Recht ist dagegen die Mutter der Auflösung
und des Verfalls. (Ebd., S. 234).Mein Ziel war es, den Bereich
abzustecken, in dem die Familie eine entscheidende wirtschaftliche Rolle dadurch
spielt, daß sie Einfluß auf die Bedingungen für beruflichen Erfolg
nimmt, d.h. daß sie prägend auf die Ausbildung dieser inmateriellen
Faktoren bei ihren Kindern einwirkt. Im weiteren Verlauf habe ich auf eine Reihe
menschlicher Eigenschaften - persönliche Integrität, Wissen, Flexibilität,
Durchhaltefähigkeit und Teamwork (und nicht zu vergessen:
Kreativität! Anm. HB) - hingewiesen, die die Märkte von Unternehmen
und ganz besonders von Managern erwarten. Wenn der betreffenden Person diese Eigenschaften
fehlen, dann fehlen ihr grundlegende Erfolgsvoraussetzungen - zum Schaden der
beruflichen Karriere und letztlich auch zum Schaden der Wirtschaft. Mit anderen
Worten: Mein Ziel war es, das Augenmerk auf die spezielle Kompetenz der Familie,
diese Eigenschaften zu fördern, zu richten. (Ebd., S. 235).Im
letzten Teil des Beitrages beschäftige ich mich mit einer Reihe von Möglichkeiten,
mit denen die Eltern auf das Humankapital ihrer Kinder Einfluß nahmen dadurch,
daß sie Vorbilder für ihre Kinder sind. Die Familie bildet den Rahmen,
innerhalb dessen Kinder lernen: den Wert, für andere etwas zu tun, Verantwortungsbewußtsein,
Großzügigkeit, Hingabefähigkeit, Wissensdurst, Sinn für rechtmäßiges
Handeln, Gnade, Solidarität, Subsidiarität und Pflichtbewußtsein.
(Ebd., S. 235).Manche Ökonomen neigen dazu, die heutigen ökonomischen
Negativreize dafür, Kinder zu bekommen, und das Verschwinden der ökonomischen
Bedingungen, die früher das Kinderkriegen gefördert haben, hervorzuheben.
Aber diese Überlegungen lassen den wichtigen Umstand, daß Kinder auf
einzigartige Weise zur Persönlichkeitsentfaltung der Eltern beitragen, außer
Acht. Das ist aber ein unschätzbarer Dienst an den Eltern, der Wirtschaft
und der Gesellschaft. (Ebd., S. 235-236).Eine letzte allgemeine
Bemerkung über die Familie: Sowohl Eltern als auch Kinder lernen in der Familie,
daß sie als »Individuen« (Anführungszeichen
von mir: HB) nicht die einzigen Menschen auf der Erde sind und daß
es im Leben um weit mehr geht als nur um einen selbst. Das sind schicksalhafte
Lektionen, diezu erlernen sind, von denen allerdings letztlich die Vitalität
der Wirtschaft abhängt. (Ebd., S. 236).
Zum Wert der emotionalen Erziehung in der Familie (Ulrike Horn) Das
Ziel muß und kann ... nur die schte Wahlfreiheit zwischen Familien- und
Erwerbsarbeit sein. zahlreiche Umfragen, die hier von Herrn Prof. Kirchhof,
Herrn D. Geisler
und Landrat Kretz eindeutig
bestätigt wurden, belegen: Wenn Frauen die wahl hätten, würden
zwei Drittel von ihnen in den ersten Lebensjahren lieber Erziehungsarbeit als
Erwerbsarbeit leisten. (Ebd., S. 239).Eltern bieten grundsätzlich
etwas Einmaliges: ... bedingungslose Liebe. (Ebd., S. 240).Die
Familie ist die soziale und emotinale Keimzelle der Gesellschaft .... (Ebd.,
S.240).Nicht von ungefähr hat das Kinderhilfswerk UNICEF die
Länder der Welt dazu azfgerufen, vor allem in die ersten drei Jahre des Kleinkindes
zu investieren, denn jeder Dollar, den wir für das Kleinkind ausgeben, hilft
uns später, sieben Dollar zu sparen. .(Ebd., S. 241).Kinder
sind ein Wert an sich. Sie sind unser kostbarstes Gut und unser wertvollstes Kapital.
Deshalb kann eine zukunftsorientierte Familienpolitik einzig darin bestehen, für
die Familien und damit für Kinder die optimalen Lebensbedingungen zu schaffen.
Das heißt im Klartext: Wir brauchen Wahlfreiheit, und deshalb brauchen wir
ein Erziehungsgehalt (!!!) .... Wir brauchen eine
Politik, die es ermöglicht, frei zu entscheiden, wer, wann, wo und wie lange
ihre Kinder betreut. (Ebd., S. 241).
Ohne Erziehungsoffensive keine Bildungsoffensive (Josef Kraus) Die
Familie .... vermittelt, | daß
man regeln für das Zusammenleben braucht, | | daß
es legitime Grenzziehungen gibt, | | daß
ein Interessenausgleich notwenig und möflich ist, | | daß
es knappe Güter (Zeit und Geld) gibt, | | daß
es gewaltfreie Konfliktlösungen gibt. | Familie
ist zudem aus der Geborgenheit heraus Schule der Empathie und damit Gewaltprophylaxe. Wir
müssen folgende Einsichten unter die Eltern bringen: | Erziehung
darf auch spontan sein, denn sie ist nur ein »begrenzt planbares Unternehmen«
(Jaspers). | | Erziehung
heißt »In-Anspruch-Nehmen« (Spranger). | | Erziehung
heißt »Führen und Wachsenlassen - Wachsenlassen und Führen«. | Es
gibt auch eine Bildung jenseits von PISA. (Ebd., S. 244-245).
Zur Bedeutung pädagogischer Qualität in der familialen und außerfamilialen
Betreuung für die Entwicklung von Kindern im Vorschulalter (Wolfgang
Tietze) Die Lebensbedingungen auch von kleinen Kindern im vorschulischen
Alter unterliegen einem stetigen gesellschftlich-historischen Wandel und sind
durch kulturelle wie auch subkulturelle Unterschiede geprägt. Ein solcher
Wandel wird nicht nur bei einer großräumigen historischen Betrachtungsweise
sichtbar (vgl. Philippe Ariès, Geschichte der Kindheit, 1960; Lloyd
DeMause, Hört ihr die Kinder weinen?, 1974; Wolfgang Tietze, Früherziehung,
1996) und dokumentiert sich nicht nur in eher globalen kulturvergleichenden Perspektiven
(vgl. H.-H. Krüger / C. Grunert, Handbuch der Kindheits- und Jugendforschung,
2002), sondern wird auch dann erkennbar, wenn der Rückblick nur wenige Jahrzehnte
umfaßt oder auch die mehr oder weniger aktuelle Situation analysiert wird
(vgl. D. Baacke, Die 0-5-Jährigen, 1999; Bundesministerium für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Kinder und ihre Kindheit in Deutschland,
1998). Ein solcher Wandel ist nicht nur bei ausdifferenzierten Lebensformen von
älteren Kindern zu beobachten, sondern zeigt sich zuletzt auch in den für
das Überleben und Aufwachsen von jungen Kindern elementaren Betreuungssituationen.
(Ebd., S. 247).Eine »neue Kultur (Anführungszeichen
von mir: HB) des Aufwachsens« in unserer Gesellschaft, wie sie in
letzter Zeit zunehmend gefordert wird (vgl. L. Krappmann, Kinderbetreuung als
kulturelle Aufgabe, in: Wolfagng Tietze, Rüherziehung, 1996, S. 20-29;
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 10. Kinder-
und Jugendbericht, 1998), muß auf beide Seiten, die Familien und die
Tageseinrichtungen, setzten. (Ebd., S. 255).
Aufwachsen in öffentlicher Verantwortung - Bildung von Anfang an (Norbert
Hocke) 70% der Mütter mit Kindern unter 12 Jahren wollen nach
einer im Jahr 2000 durchgeführten Studie des Deutschen Instituts für
Wirtschaftsforschung und des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in
Berlin mindestens eine Teilzeitbeschäftigung. (=> ).
Mehr als 40 % der Mütter waren jedoch tatsächlich nicht erwerbstätig.
Die Hauptursache dafür sei die fehlende Möglichkeit, Kinder in Kindertagesstätten
unterzubringen. 30% der halbtags arbeitenden Mütter mit Kindern im Alter
von 0 bis 12 Jahren würden gerne länger arbeiten. Die Ergebnisse wurden
am 4. Juni 2002 von der Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
Dr. Christine Bergmann der Öffentlichkeit vorgestellt. (=> ).
In einer Online-Umfrage mit 170.000 Teilnehmerinnen - der größten Online-Umfrage
in Europa - fragte das McKinsey-Institut unter der Überschrift »Perspektive
Deutschland«: »Wo sehen Sie den Staat in der Pflicht und wo sehen
Sie Dinge, die Sie selbst in die Hand nehmen würden?« 58 Prozent
wollten den Staat beim Thema Arbeitsmarkt in die Pflicht nehmen und 51 Prozent
beim Themenbereich Kindheit und Familie. 7 von 10 berufstätigen Müttern
von Kindern im Vorschulalter würden gern eine Berufstätigkeit aufnehmen,
wenn sie für ihr Kind einen Kindergartenplatz bekämen. (=> ).
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt die Zeitschrift »Brigitte«
in einem Dossier über die Wünsche von Frauen zur Vereinbarkeit von Familie
und Beruf. (=> ).
Was heißt öffentliche Verantwortung für Bildung und Erziehung
? In den Empfehlungen des 11. Kinder- und Jugendberichtes der Bundesregierung
(kostenlos erhältlich unter: 0180/5329329 oder: )
sind dazu Ausführungen gemacht .... (Ebd., S. 257).Die
öffentliche Verantwortung für die Erziehung und Bildung von Kindern
hat in Deutschland kläglich versagt. Die Datenlage ist eindeutig, die Politik
miserabel. (Ebd., S. 258).Wir brauchen auch eine neue Partnerschaft
zwischen der Familie und den öffentlichen Erziehungs- und Bildungsinstitutionen
(Ebd., S. 258).Wir brauchen den gebührenfreien Kindergarten
auf qualitativ hohem Niveau und ein die Existenz sicherndes Kindergeld.
(Ebd., S. 263). - FAMILIE, HUMANKAPITAL UND ARBEITSMARKT
- ANTWORTEN DER WIRTSCHAFT -
Die Familie als Grundpfeiler einer nachhaltigen Entwicklung (Jean-Didier
Lecaillon) Wenn man zunächst die Dinge unter dem mikroökonomischen
(Unternehmen) oder dem makroökonomischen Blckwinkel (das Land als ganzes)
betrachtet, so stellt immer das Huamnkapital die wichtigste Quelle des wirtschaftlichen
wachstums dar. Wer aber trägt primär zur Bildung dieses Humankapitals
bei? Die Familien, wie jeder weiß. (Ebd., S. 267).Ganz
allgemein gilt, daß wir ein äußerst schwerwiegendes Problem vorwegzunehmen
haben, das den Generationenwechsel betrtifft und seinen Höhepunkt im Jahr
2020 erreichen wird (und dieser Höhepunkt wird mindestens
bis zum Jahr 2030 andauern! Anm. HB): ganze Bereiche der Wirtschaft könnten
wegbrechen, wobei der mangel an Arbeitskräften in bestimmten Bereichen schon
ketzt spürbar wird. Die Überalterung, also die Zunahme des relativen
Gewichts der älteren Personen im Rahmen der gesamten Bevölkerung - wobei
dieses Phänomen die gesamte entwickelte Welt, speziell Europa -, könnte
ohne weiteres ursächlich dafür sein, daß wirtschaftliche Schwierigkeiten
tatsächlich eintreten. (Ebd., S. 268).Wir berühren
hier eine ganz wesentliche Frage. Die wirtschaftlichen Aufgaben, die von der Familie
- einer produktionsstätte im echten Sinne (!!!)
- wahrgenommen werden, sind sehr alt; ursprünglich war dies sogar das Hauptmerkmal
der Familie (!!!). Wenn es nun richtig ist, daß
bestimmte traditionelle Formen der Produktion, wie z.B. die landwirtschaftliche,
die kommerzielle und die handwerkliche Aktivität, ihre scharfen Umrisse eingebüßt
haben so trifft dies aber nicht zu, soweit es die erste dieser traditionellen
Aufgaben betrifft: die Reproduktion. Denn die vorgenannten Tätigkeiten wurden
durch jene Investition abgelöst, die in der Bildung des Humankapitals besteht.
Der theoretische Irrtum besteht darin, diese Tätigkeit nicht als Produzent
von reichtum anzusehen. (Ebd., S. 268).Um diese Präsentation
zu vervollständigen, möchte ich im folgenden die Bedeutung einiger Kernbegriffe
unterstreichen. In der Tat laufen wir Gefahr, das Wesentliche zu verpassen und
uns auf eine Debatte einzulassen, die sich auf die technisch-fachlichen Aspekte
oder auf durch bestimmte Umstände geprägte Sorgen beschränkt, falls
wir nicht die Bedeutung bestimmter Begriffe ermessen. (Ebd., S. 269).Der
erste dieser Begriffe ist die Stabilität des Familienverbandes. Diese ist
natürlich erforderlich, um die Erziehung sicherzustellen, jedoch ebenfalls
die Fruchtbarkeit, wobei die verfügbaren demographischen Fakten einen entsprechenden
Nachweis ermöglichen. Eine andere Art und Weise, um die gleiche Aussage zu
treffen, besteht in folgender Formulierung: der Langzeitaspekt muß vorrangig
verfolgt werden. Diese Notwendigkeit wird jedoch von den Politikern ebenso wie
von jenen Personen negiert, die behaupten, man könne die Wirtschaft auf Finanzen
oder auf Buchhaltung reduzieren. (Ebd., S. 269).Der zweite
Begriff, der angesprochen werden soll, ohne ihn weiter entfalten zu können,
verweist auf das Subsidiaritätsprinzip, dessen klarste und vollständigste
Formulierung von der Soziallehre der Katholischen Kirche geleistet worden ist.
Dieses Prinzip muß in sämtlichen Phasen einer richtig verstandenen
und vollständigen Erziehung zum Tragen kommen. (Ebd., S. 269).Die
dritte Bemerkung richtet sich darauf, das Primat der Personen gegenüber Iden
Gütern zu unterstreichen: Investitionen in das Humankapital stellen tatsächlich
eine Vorbedingung für jede Weitergabe von einer Generation zur anderen dar.
Der wichtige Gedanke, der zu berücksichtigen ist, liegt nicht nur darin,
daß heute Kapital produziert werden muß, um dank dieses Kapitals morgen
über Verbrauchsgüter und Dienstleistungen verfügen zu können,
sondern ebenfalls darin, daß der menschliche Faktor langfristig der wesentliche
Faktor ist. Wenn die Kinder immer rarer werden oder ihre Erzeihung nicht ausreichend
ist, werden die materiellen Investitionen nicht mehr unter bestmöglichen
Bedingungen eingesetzt werden können. (Ebd., S. 269-270).
Argumente zur Familienförderung aus Unternehmenssicht (Mechthild Löhr)Gerade
die Unternehmen haben ein starkes Interesse an der Zukunft der sozialen Sicherungssysteme,
da sie ganz erheblich an den finanziellen Belastungen mittragen. Das wird eine
solche Entwicklungsdynamik mit sich bringen, daß Unternehmen und Unternehmensvertreter
sich sehr nachdrücklich mit Fragen der Zukunft der Familien beschäftigen
werden. (Ebd., S. 271).Wir haben jetzt gerade seitens der
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) herausgefunden,
daß in Deutschland ein Viertel aller Auszubildenden die Ausbildung abbricht,
weil dieses Viertel aller Auszubildenden sich teilweise aus verschiedenen Gründen
als gar nicht ausbildungsfähig oder gar nicht ausbildungswillig erweist.
Wirtschaft und Gesellschaft begegnen also in Besorgnis erregendem Maße (potentiellen)
Mitarbeitern und Bürgern, die nur über ein sehr begrenztes Ausbildungspotential
(Wissen und Verhalten) verfügen. Laut PISA-Studie sind dies in einem Jahrgang
zwischen 10 und 23% der jungen Menschen. Und dies, obwohl wir eine Wissensgesellschaft
... und ... eine Dienstleistungsgesellschaft sind, deren Zukunft immer stärker
von der Qualität der Mitarbeiter abhängt. Denn unser Wohlstand hängt
eng mit der Qualität und Qualifizierung unserer Mitarbeiter zusammen. Dennoch
haben wir eine nachwachsende junge Generation, die diesen qualitativen Anforderungen
nur bis zu einem gewissen Prozentsatz gewachsen ist. (Ebd., S. 272).Daraus
ergeben sich für Unternehmen wachsende Problempotentiale. Unternehmen müssen
sich außerdem verstärkt damit beschäftigen, wie sie solche jungen
Mitarbeiter in ein soziales System, in ein Unternehmen eben, integrieren, die
von ihren Familien und auch ihren Schulen nur bedingt und teilweise auf eine Integration
in den Arbeitsprozeß vorbereitet sind. Man könnte es auch zugespitzter
sagen: Im Prinzip ist für viele Jugendliche das Unternehmen, in dem sie ihren
Berufsweg anfangen und einen Arbeitsplatz und Verantwortung übernehmen, die
erste wirklich feste Einbindung in eine verbindliche Sozialstruktur. Oft wird
die Familie im Unterschied dazu gar nicht mehr als feste Lebensgemeinschaft erlebt.
Darin liegt eine beachtliche Erziehungs-und Bildungsproblematik, der wir sehr
intensiv nachgehen sollten. Unternehmen müssen zunehmend Bildungs- und Erziehungsaufgaben
übernehmen. Sie müssen an Defiziten arbeiten, die sich aus dem Bildungs-
und Erziehungsversagen von Eltern und Schulen ergeben. (Dazu erscheint jetzt u.a.
eine Broschüre der Arbeitgeberverbände unter dem Titel »Bildungsauftrag
Werteerziehung«, => ).
Auch problematische Jugendliche wollen irgend wann Beruf und Beschäftigung
oder sie bleiben dauerhaft auf den Sozialstaat angewiesen und müssen dann
von der Solidargemeinschaft getragen und finanziert werden. Diese Problemgruppen
sind natürlich vor allen Dingen der Personenkreis, der uns in Zukunft Sorgen
machen wird; und diese Problemgruppe wächst in Deutschland. Schon jetzt liegt
die Jugendarbeitslosigkeit der Bis-zu-25-Jährigen bei rd. 500000. Dies ist
ein Skandal (!!!); und das kann unsere Gesellschaft
auf Dauer nicht verkraften und hinnehmen. (Ebd., S. 272).Einen
weiteren Aspekt will ich kurz noch anreißen. Das ist die Frage der konkreten
Familiensituation unserer Mitarbeiter. Wir können ganz eindeutig feststellen,
daß die Motivation, die Stabilität der Persönlichkeit, die Gesundheit
oder die Belastbarkeit von Mitarbeitern und von Führungskräften sehr
stark gekoppelt ist an ihre individuelle Familiensituation. Dazu könnte ich
Ihnen als Personalberaterin viele Beispiele geben, aber das können Sie sich
unschwer selbst vorstellen. Die Frage, ob und wie jemand familiär gebunden
ist, entscheidet häufig wesentlich darüber, welche Entwicklung oder
Karriere er oder sie machen kann. Dies stimmt übrigens nicht nur bei Frauen,
sondern genauso bei Männern, wenn auch mit anderen Kriterien und Rücksichten.
Und als letzten Aspekt möchte ich noch die Globalisierung (gemeint
ist aber nur die wirtschaftliche Globalisierung; Anm .HB) erwähnen:
Sicher, dieses Stichwort darf ja derzeitig nirgendwo fehlen. Aber in der Tat ist
den Unternehmen klar geworden, daß über die Zukunft eines Unternehmens
vor allem entscheidet, welche Qualität dessen Mitarbeiter haben. Und über
die Zukunft einer Volkswirtschaft entscheidet ebenfalls, welchen Ausbildungsstand
die Beschäftigten haben und wie die sozialen Rahmenbedingungen aussehen.
Wie steht es mit Leistungsbereitschaft und -fähigkeit? Wie groß
und wie leistungsfähig und -bereit ist die nachfolgende Generation?
(Ebd., S. 273).All das führt wieder zum Anfang meiner Kurzanalyse
zurück, nämlich zur ersten Prägung der Kinder in der Familie. Wir
haben heute morgen gehört, daß schon bei einem eineinhalbjährigen
Kind spezifisch geprägtes Verhalten seitens seines sozialen Umfeldes feststellbar
ist. Wir können dabei in unserer Gesellschaft auf den verschiedensten Ebenen
wahrscheinlich einen riesigen »Reparaturbedarf« feststellen. Seitens
der Wirtschaft, weil wir im Wettbewerb stehen mit anderen leistungsorientierten
Volkswirtschaften, die andere und effizientere Erziehungs- und Bildungsmodelle
verfolgen und den Wert der Familie höher schätzen. Wir sind also aufgefordert,
verstärkt an deutlich verbesserten sozial- und familienpolitischen Rahmenbedingungen
zu arbeiten. Von daher sehe ich eigentlich derzeitig besonders gute Chancen, das
Thema Familie auch unter diesen betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen
Aspekten mit einer ganz neuen Brisanz zu versehen. Die Unternehmen und die gesamte
Volkswirtschaft brauchen Familien, die junge Menschen gut auf das Leben und auf
ihr Berufsleben vorbereiten. Vor allem die Familie begleitet jeden in Krisen und
Schwierigkeiten. Dies kann und sollte weder der Staat noch die Wirtschaft ersetzen
wollen. Die Familien bleiben der wichtigste Baustein unserer Gesellschaft, von
dem alle weiteren Systeme und Lebensbedingungen abhängen. Das macht ihren
unersetzbaren Wert aus. (Ebd., S. 273).
Wirtschaftliche Zukunft braucht Familien (Thomas Müller-Kirschbaum)
Das Problem der Vereinbarkeit von Familie und beruflichem Engagement
trifft hauptsächlich die Frauen. Unternehemn können hier vielfach Hilfestellung
leisten. (Ebd., S. 275).Begriffe wie Soziale Kompetenz oder
Emotionale Intelligenz werden immer wieder als die eigentlichen Schlüsselqualifikationen
von Führungskräften geschildert. Hieraus ergibt sich ein ökonomischer
Nutzen der Familienförderung. Zunächst bedeutet die Wahrnehmnung der
Elternrolle eine Übernahme von Vernatwortung, nicht nur für sich selbst
oder einen erwachsenen Ehepartner, sondern für ein heranwachsnedes Kind mit
all seinen über die Jahre sich verändernden Bedürfnissen.
(Ebd., S. 276).Unternehmen tungut daran, über die Grenzen
des Unternehmens hinaus Familien als einen Kern ihres sozialen Engagements zu
verstehen. Eine lebenswerte Gesellschaft und eine nachhaltig ausgerichtete Wirtschaft
sind auf funktionierende Familein als eines ihrer wesentlichen und stabilisierenden
Elemente angewiesen. Die Zukunft, die gesellschaftliche wie die wirtschaftliche,
braucht Familien. (Ebd., S. 277).
Für eine neue Partnerschaft zwischen Wirtschaft und Familie (Michel-Edouard
Leclerc) Angesichts des raschen Wandels braucht die Familie Grundpfeiler
der Stabilität. Davon profitieren alle, auch die Wirtschaft. Denn in der
Familie wird das gebildet, wovon auf diesem Kongreß so intensiv die Rede
war, das Humankapital. Für die Wirtschaft bringt jede Investition in das
Humankapital gute Rendite. Bisher profitierten betriebe und Wirtschaft davon gratis;
es waren und sind die Familien, die diese Investition mit der Erzeihung aufbringen.
Die Familie als Unternehmen und Produzent von Humankapital spielte in den Wirtschaftswissenschaften
keine Rolle. Erst in der letzten Zeit wurde sie mit dieser Funktion wahrgenommen,
weil eben der Wandel der Gesellschaft - inbegriffen der Wandel der Kultur - auch
einen Mangel an Humankapital hat erkennen lassen. (Ebd., S. 279-280).Die
Wirtschaft hat die Familie in ihrer gesellschaftlichen Funktion zu unterstützen.
Unternehmen müssen sich zu Stützpfeilern der Stabilität entwickeln.
Das setzt voraus, daß Unternehmen, insbesondere das Management, eine bestimmte
Kulturvorstellung haben. Ohne Kultur geht das Menschliche verloren. Ohne Sinn
für eine Kultur des Menschlichen kann es keine Unterstützung für
die Bildung des Humankapitals geben. Das ist die Basis, auf der wir zu einem neuen
Pakt zwischen Unternehmen und Familie gelangen können. (Ebd., S. 280).
Alterssicherung und Erziehungsarbeit im demographischen Wandel: Herausforderungen
an die gesetzliche Rentenversicherung (Anne Meurer) Befürworter
eines nach Kinderzahl gestaffelten Beitragssatzes argumentieren oftmals, daß
Eltern mit ihrer Erziehungsarbeit einen generativen Beitrag zum Erhalt des Systems
der gesetzlichen Rentenversicherung leisten und es daher »gerecht«
sei, sie von finanziellen Beiträgen zu entlasten. Dieses Argument wäre
stringent, wenn die gesetzliche Rentenversicherung nicht nur einen Teil der Erwerbstätigen
einbeziehen würde, sondern eine Volksversicherung wäre, die die gesamte
Wohnbevölkerung erfaßt. Erst eine solche Versicherung könnte sicherstellen,
daß der »generative Beitrag« tatsächlich in der Gesetzlichen
Rentenversicherung zum Tragen kommt. Gegenwärtig ist dies beispielsweise
bei Beamten, Selbständigen und Nicht-Erwerbstätigen nicht der Fall.
Aus Sicht der Rentenversicherung, insbesondere der BfA, ist das Modell der Staffelung
des Beitragssatzes nach der Kinderzahl ein ungeeignetes Mittel des Familienlastenausgleichs.
Der Familienlastenausgleich ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, da alle
gesellschaftlichen Systeme von der nachwachsenden Generation abhängen. Deshalb
sollte der Familienlastenausgleich als Unterstützung in der Phase der Kindererziehung
über das Steuersystem erfolgen. Entscheidend für eine verbesserte Einkommenssituation
in der Erwerbsphase und im Alter ist jedoch nicht allein der Familienlastenausgleich,
sondern vielmehr die Schaffung von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für
eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Internationale Erfahrungen zeigen,
daß insbesondere ein ausreichendes Angebot an Kinderbetreuungsmöglichkeiten
und die bessere sozialrechtliche Stellung von Teilzeitarbeit einen wichtigen Beitrag
zur Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen leisten können. Dadurch
kann nicht nur das Einkommen von Haushalten mit Kindern verbessert werden, sondern
auch das sozialpolitische Ziel der eigenständigen Anwartschaften von Frauen
in der Gesetzlichen Rentenversicherung in erheblichem Umfang verwirklicht werden.
(Ebd., S. 287).Der Dreh- und Angelpunkt für eine bessere Absicherung
von Frauen im Alter ist nicht die rentenversicherung, sondern der Arbeitsmarkt,
auf dem die Anwartschaften für die spätere Rente begründet werden.
Frauen wollen heute beides: Familie und Erwerbstätigkeit. (Ebd., S.
288). - GRUSSWORTE -
Grußwort (Papst Johannes Paul II.) Eine gesunde
Familienkultur kann der Gesellschaft in entscheidender Weise die notwendige geistig-moralische
Kraft und innere Festigkeit verleihen. Denn »die soziale Dimension des Menschen
findet ihren ersten und ursprünglichsten Ausdruck in den Eheleuten und in
der Familie: Gott hat den Menschen nicht allein geschaffen; von Anfang an
hat er ihn als Mann und Frau geschaffen (Geneseis, 1,27); ihre Verbindung
schafft die erste Form personaler Gemeinschaft. Die Erfahrung zeigt, daß
Zivilisation und Festigkeit der Völker vor allem durch die menschliche Qualität
ihrer Familien bestimmt werden. Die Kirche ist zutiefst davon überzeugt:
Die Zukunft der Menschheit geht über die Familie.« (Christifideles
laici, 40). (Ebd., S. 289).
Grußwort (Gerhard Schröder) Familien bilden
das stabile Zentrum unserer Gesellschaft. (Ebd., S. 290).
Grußwort (Edmund Stoiber)Die Familie ist und bleibt
die Keimzelle der Gesellschaft. (Ebd., S. 291). -
EPILOG -
Zeit, Geld, Bildung. Was Familien und Kinder heute brauchen - Anmerkungen nach
dem Kongreß Demographie und Wohlstand (Jürgen Liminski)
Die Vertreibung aus dem Paradies läßt sich auf den Tag
genau festlegen und zwar periodisch etwa alle vier Jahre. Am 23. September 2002
war es wieder soweit. Da wurden die Familien aus dem politischen Garten Eden vertrieben
- auch ohne Sündenfall. Und wenn sich die Wahlen erneut nähern, werden
die Götter auf dem Berliner Olymp wieder das Paradies auf Erden versprechen.
Das hat viele Namen: Mehr Kindergeld, Familiengeld, Erziehungslohn, mehr Plätze
im Kindergarten, mehr Lehrer, mehr Flexibilität in den Betrieben, mehr Teilzeitjobs,
weniger Steuern und Sozialabgaben für Familien, mehr Gerechtigkeit, bessere
Vereinbarkeit. Mehr, besser, alles - das Paradies eben. Aber die Familie muß
jetzt leben. Junge Menschen wollen und müssen jetzt planen. Das Warten am
Zaun oder Tor zum Paradies ist kein Lebenskonzept. Schrittweise würde man
sich dem großen Ziel nähern, behaupten die Olympiken und sie übersehen,
daß die Institutionen Ehe und Familie Gefahr laufen, sich schrittweise aufzulösen.
In großen Städten bestehen die Haushalte zur Hälfte bereits aus
Einzelpersonen ..., bestimmen Singles, Dinks (»Double income no kids«
- doppeltes Einkommen, keine Kinder) und Oldies die Wohnstruktur und den Markt.
Und mit dem Markt auch das öffentliche Leben und Lebensgefühl, wenigstens
in den Medien. Untrügliche Zeichen sind: Tiefkühlprodukte boomen durch
alle Konjunkturzyklen hinweg, Babyartikel werden zu Ladenhütern. Auch die
Scheidungsziffern in Deutschland boomen. Das letzte statistisch erfaßte
Jahr (2001) erlebte einen traurigen Doppelrekord: Noch nie gab es so viele Scheidungen
(197500), noch nie so wenig Eheschließungen. Die Bindungsangst geht um.
Ist das der Fluch der Spaßgesellschaft? (Ebd., S. 293).Es
bleibt nicht bei der Vertreibung aus dem Paradies. Wie alle vier Jahre hat man,
um ein anderes Bild zu gebrauchen, das Aschenputtel Familie für eine Zeitlang
zur Prinzessin gemacht. Der Wahlkampf ist der Ball mit dem Prinzen. Das arme Mädchen
in Grimms Märchen darf am Ende ihren Prinzen behalten, weil der sie wirklich
liebt. Das ist bei den Prinzen der Politik seit Jahrzehnten nicht mehr der Fall
und deshalb wird die Prinzessin regelmäßig wieder zum Aschenputtel.
Es muß ja nicht so sein wie im Märchen, da Aschenputtel unter dem Baum
auf dem Grab seiner Mutter sagt: »Bäumchen, rüttel dich und schüttel
dich, wirf Gold und Silber über mich«, und dann regnet es golden und
silbern Kleider für das Fest mit dem Prinzen. Nein, das nicht. Und es muß
auch nicht sein, daß die Tauben den bösen Schwestern, die zu gern mit
dem Prinzen tanzen würden, die Augen aushacken und es heißt: »So
waren sie also für ihre Falschheit mit Blindheit für ihr Lebtag gestraft.«
Nein, es ist eigentlich schlimmer: Der Ball der Familie mit den Prinzen der Politik
ist ein Tanz mit Vampiren. Man tanzt und saugt sie nachher aus. Die versprochene
Kindergelderhöhung? Vergessen oder kein Geld in der Kasse. Das Familiengeld
? Vergessen, am besten auch aus dem Programm streichen, meinen manche ungefragt.
Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts? Vergessen, denn wo kein Kläger,
da kein Richter. Leistungsgerechtigkeit für die Familie? Was ist das
? Der Begriff ist noch nicht im allgemeinen Bewußtsein der Politik
angelangt. Nur bei der Rente regt sich was. Da muß sich etwas tun, denn
die Rentner sind mittlerweile eine der größten Wählergruppen (siehe
den bemerkenswerten Aufsatz von Prof. Sinn).
(Ebd., S. 293-294).Wenn von Leistungsgerechtigkeit für Familien
die Rede ist, verhalten sich Politiker in Deutschland wie zwei der drei berühmten
Affen: Nichts sehen, nichts hören. Und beim dritten Affen ist es umgekehrt.
Statt schamvoll zu schweigen, reden sie unentwegt, natürlich die Taten ihrer
jeweiligen Partei preisend. Aber das Jonglieren mit aktuellen Milliarden ist trügerisch.
All die Maßnahmen der Parteien der letzten Jahrzehnte halten einem Vergleich
der Kaufkraft, der einzigen familienrelevanten Größe, nicht stand:
Der Familienlastenausgleich machte in den 1060er Jahren rund 400 Arbeitsstunden
pro Jahr aus, heute sind es weniger als 200. Während Löhne, Gehälter
und Renten kräftige Steigerungen verbuchten, blieb der Ausgleich für
die Leistungen der Familie weit zurück, so daß kinderreiche Familien
heute zu den ersten Kategorien der Armen gehören. Jedes siebte Kind lebt
in einem Haushalt von Sozialhilfeempfängern. Das wirkt auf junge Leute abschreckend,
wenn es darum geht, eine Familie zu gründen. Niemand wird gern freiwillig
arm. Heute eine Familie mit mehreren Kindern zu gründen, sei, so der Präsident
der Caritas, ein sicherer Weg sich zu ruinieren. Es ist auf jeden Fall ein Abenteuer
geworden. Der Sozialwissenschaftler Franz-Xaver Kaufmann
sprach schon vor Jahren von der »strukturellen Rücksichtslosigkeit«
der Gesellschaft gegenüber Familien. Das Steuer- und Abgabesystem gibt ihm
recht. Es belohnt die Kinderlosen und der Staat hat, bemerkt Konrad Adam richtig,
»bei der Verteilung seiner Wohltaten« nicht auf Gefühle zu reagieren,
sondern auf Tatsachen. »Wo es um Nachwuchs geht, darf ihn und muß
ihn nur eines interessieren: ob Kinder da sind. Aus welchen Gründen sie existieren
oder fehlen, geht ihn nichts an.« Das ist eine Existenztrage. Deshalb hat,
so sagen die Richter in Karlsruhe, der Staat auch den Schutz der Familie, mithin
auch ihr Existenzminimum zu gewährleisten. Das eben geschieht nicht. Eltern
werden faktisch höher besteuert als Kinderlose. Ihre Unterhaltskosten werden
bei der Festlegung der steuerlichen Kinderfreibeträge zu gering veranschlagt,
weshalb Eltern seit Jahren Steuern auf Einkommen entrichten, über das sie
tatsächlich gar nichtfrei verfügen. Es geht nicht um Almosen, sondern
um Zukunft und Leistungsgerechtigkeit. Die Gönnerpose der Politik ist Hochstapelei.
Sie wäre zu ertragen, wenn das derzeitige, vom Bundesverfassungsgericht wiederholt
festgestellte Unrecht an den Familien für alle gälte. Aber immer mehr
junge Leute entscheiden sich gegen Kinder. Damit droht die Gerechtigkeitslücke
gegenüber Familien mit Kindern zum Abgrund zu werden, in den auch die Sozialsysteme
- lemminggleich - abzustürzen drohen. (Ebd., S. 294-295).Nun
hat die Politik, die ja die Rahmenbedingungen setzt, die Demographie entdeckt.
Zwar weisen seit mehreren Jahren schon Experten auf die sozialen Folgen des wachsenden
demographischen Defizits hin. Gutachten wurden erstellt und Gegengutachten bestellt.
Die maßgebliche Politik hat sich festgelegt. Alle Parteien singen als Lösung
das Hohelied der Vereinbarkeit. Vorfahrt für Wirtschaft und Beruf außer
Haus. Man verweigert schlicht die Anerkennung der häuslichen Familienarbeit.
Familienmanagement als Beruf- soweit denkt man selten. Vollmundig stimmt man in
den Chor der Verfemung des Herdes ein, so als ob dieses arme Küchengerät
Teufelswerk wäre. Familie ist da, wo ein Kühlschrank steht, heißt
es. Aber es gibt kaum einen Ort der Erziehung, der markanter wäre als das
regelmäßige gemeinsame Essen. Hier ist Kommunikation, hier entsteht
emotionale Stabilität, hier wird Humankapital gebildet. Echte Wahlfreiheit
zwischen Erwerbsberuf und Familienmanagement (siehe dazu Christian Leipert [Hrsg.],
Familie als Beruf, 2001) würde auch die Präsenz zu Hause ermöglichen.
Diese Präsenz, Zeit mit den eigenen Kindern, ist konstitutiv für die
Erziehung. Sie ist aber auch ein Tabuthema. Präsenz zu Hause - da saust sofort
das Fallbeil der Ideologie herab. Selbst die Präsenz der Eltern über
den Kinderbetten wird kaum noch toleriert. Die fortgesetzte Diskriminierung von
Hausfrauen und Müttern, wahre Unternehmertypen, ist abenteuerlich. Denn selbst
Wirtschaftswissenschaftler haben den Wert der emotionalen Stabilität entdeckt
und sie als eine Quelle ausgemacht, aus der sich das Humankapital speist. Das
Humankapital ist mittlerweile zur wichtigsten weil knapper werdenden Ressource
der modernen Wirtschaft avanciert. Humankapital - das sind die grundlegenden Fähigkeiten
des Menschen: Das Lernenkönnen, das Miteinander-Umgehen-Können, Ausdauer,
nach Lösungen suchen statt zu jammern, Gefühle erkennen und einordnen,
Vertrauen schenken, ohne naiv zu sein, Alltagsprobleme meistern; es ist die soziale
Kompetenz und die Fähigkeit, emotionale Intelligenz zu steuern und viele
Eigenschaften mehr. Das ist mehr als Wissen. Der us-amerikanische Nobelpreisträger
Gary Becker,
ein liberaler Ökonom, der den Begriff des Humankapitals in die Wirtschaft
eingeführt hat, sagt es so: »Das grundlegende Humanvermögen wird
in der Familie erzeugt. Die Schule kann die Familie nicht ersetzen.« Man
könnte das Humankapital auch durch einen anderen Begriff ersetzen oder ergänzen:
Das Kindeswohl. Die neuere Hirnforschung belegt, daß emotionale Stabilität
und aktive Kommunikation mit dem Kleinstkind grundlegend sind für das Kindeswohl
und damit die Bildung von Humankapital. Durch die Kommunikation bildet sich Sprache,
durch Sprache und emotionale Stabilität bildet sich Persönlichkeit.
Beides setzt Präsenz oder auch Zeit mit dem Kind seitens der Eltern oder
von anderen Sorgetragenden voraus. Das kann zuhause sein, das kann aber auch im
Kindergarten, besser noch in einer Art Vorschule geschehen. An beiden Orten entscheidet
sich das Kindeswohl. An beiden Orten muß dafür erzogen, nicht nur betreut
werden. Eltern müssen deshalb gebildet sein und je mehr sie das sind, um
so größer sind die Chancen des Kindes für die Ausbildung seiner
Persönlichkeit, beziehungsweise für den Aufbau von Humankapital.
(Ebd., S. 295-296).Die Einengung auf Ideologien führt in die
Irre. Das kann die Mütterideologie sein nach dem Motto: Nur die Mutter kann
wirklich erziehen. Das kann auch die Kollektivideologie sein nach der Devise;
Nur der Staat kann's richten. Beiden gemeinsam ist eine gewisse Selbstverwirklichungsidee.
Sie geht im ersten Fall davon aus, daß das Mutterglück das eigentliche
Glück sei und die Frau sich in ihm allein verwirklicht. Im zweiten Fall wird
der außerhäusliche Beruf zum Glücksfall, zum Lebenssinn. Aber
beide Selbstverwirklichungsprogramme leben nur von einem künstlichen Gegensatz.
Für das allgemeine Kindeswohl dürfte die Ergänzung von Zuhause
und Vorschule gesellschaftlich der Idealfall sein, sofern an beiden Orten nicht
nur betreut oder aufbewahrt wird. In Deutschland wird dennoch fast ausschließlich
und geradezu mit prophetischem Eifer für eine Vereinbarkeit argumentiert,
die de facto die Ganztagsbetreuung außer Haus meint. Es lasse sich
zeigen, heißt es, daß Länder mit einer höheren Erwerbsquote
von Müttern auch höhere Geburtenraten aufwiesen. Diese Behauptung ist
wie ein Axiom, aus ihm leitet man die Notwendigkeit einer besseren Vereinbarung
von Familienarbeit und außerhäuslicher Erwerbsarbeit ab. Wie eine Monstranz
wird das Vereinbarkeitsdogma in jeder Diskussion vor Kameras und Mikrofone getragen
und in der Prozession marschieren alle Parteien mit. Es ist das Dogma der Betreuungsideologen.
Ihnen stehen die Mütterideologen gegenüber. Derzeit haben die Betreuungsideologen
die stärkeren Bataillone im öffentlichen Diskurs. Die Verteidiger der
Familien-, Mütter- und Heimthesen erscheinen dagegen wie Volkstribune, ohne
Auftrag, ohne Amt, ohne Armee, ohne Waffen. Auf ihrer Seite steht lediglich das
Empfinden, daß es ohne Mütter und ohne Familie auch nicht geht. An
dieser - falschen - Schlachtordnung im öffentlichen Diskurs wird die allgemeine
und ebenfalls falsche Prioritätenordnung sichtbar; Erst der Beruf, dann das
Kind. Aber es sollte umgekehrt sein. Es geht um das Kindeswohl. In diesem Sinn
sollte sich der Beruf dem Kind und den Bedürfnissen der Familie anpassen.
Genau darüber läuft seit ein paar Monaten in den USA, wo es auch flächendeckende,
freilich nicht staatlich finanzierte Betreuungseinrichtungen gibt, eine heiße
Debatte - das Buch »Creating a life -professional woman and the quest for
children« von Sylvia Ann Hewlett hat offenbar einen tiefsitzenden Zentralnerv
getroffen. (Ebd., S. 296).Auch das Zuhause kann zum billigen
Aufbewahrungsort werden, zum Beispiel vor dem Fernsehen. Entscheidend sind gebildete
Eltern und Erziehungskonzepte für Kinder in der Gruppe. Man kann es nicht
oft genug wiederholen; Erziehung ist mehr als Betreuung. Es ist »Beschenkung
mit Menschlichkeit« (Johannes Paul II). In einer Gesellschaft, die Familien
strukturell behindert, wird das Humankapital zur Mangelware. Hier ist auch die
schiefe Ebene zu erkennen, auf dem der deutsche Bildungs- Turm steht. Es geht
längst nicht mehr nur um Werte. Wenn Wirtschaft und Politik sich weiterhin
weigern, den Zusammenhang zwischen Familie und Humankapital zu sehen, dann laufen
auch alle Reformen der Sozial- und Bildungssysteme ins Leere. Dann wird das Abenteuer
Familie zum existentiellen Wagnis für alle. Für die Politik bedeutet
das: Eltern brauchen die Wahlfreiheit. Die wiederum ist abhängig von einer
finanziellen Anerkennung der Erziehungsarbeit. Zeit ist Geld, sagt der Volksmund.
Man könnte es auch so formulieren: Geld ist Zeit. Und das ist es, was die
Familien brauchen und was Eltern und Kinder wünschen. Nach allen Umfragen
in Deutschland, Österreich, aber auch in Frankreich und in skandinavischen
Ländern äußern junge Eltern eine starke Präferenz, ihre Kleinstkinder
selbst zu betreuen. Eine Befragung deutscher Mütter durch das Nürnberger
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ergab, daß nur fünf
bis sieben Prozent der westdeutschen Mütter, die in Partnerschaft leben,
mit Kindern unter sieben Jahren auf ihre volle Erwerbstätigkeit setzen. In
Ostdeutschland wollen nur noch 17 bis 24 Prozent der dort lebenden Mütter
für sich und ihren Mann einen Vollzeitjob. (Ebd., S. 296-297).Motivation
zur Arbeit und Identifikation mit dem Unternehmen sind emotionale Faktoren. Mütter
im emotionalen Streß aber begreifen sowohl den Job außer Haus als
auch die Arbeit zuhause eher als Gegensatz denn als Ergänzung oder Teile
eines Ganzen. Dieser emotionale Faktor wird in Deutschland gerade erst entdeckt,
offenbar leider nur für die Leistungsbereitschaft in der Schule. Die Beispiele
anderer Länder in Europa (Dänemark, Norwegen, Schweden, Finnland, Frankreich,
Österreich) zeigen, daß die Vereinbarkeit machbar ist und auch nicht
immer auf Kosten des Kindes geht. Sie zeigen allerdings auch, daß die Vereinbarkeit
keine Garantie für eine höhere Geburtenrate ist. In Schweden stieg die
Quote und sackte dann innerhalb von 10 Jahren von 2,14 auf 1,5 Kinder pro Frau,
also um knapp 113, ab -trotz der flächendeckenden Ganztageseinrichtungen.
(Danach ist sie aber wieder gestiegen! Anm. HB).
Und sie zeigen, daß die Geburtenrate auch nicht das Ergebnis einer hohen
Erwerbsquote von Frauen ist. In Frankreich liegt die Erwerbsquote von Frauen unter
der in Deutschland, aber die Geburtenzahlen weit über den deutschen Zahlen.
Schaut man sich das skandinavische Panorama genauer an, ergibt sich außerdem
ein sehr differenziertes Bild der Betreuungssituation. Erstes Faktum: Der Eigenbeitrag
der Eltern zur Betreuung ihrer Kinder spielt eine viel größere Rolle,
als unsere Luftraum erobernden Familienpolitiker offenbar wissen oder zur Kenntnis
nehmen wollen. Zunächst ist festzustellen, daß Familienpolitik und
vor allem die staatlichen Leistungen zur finanziellen Absicherung von häuslicher
und außerhäuslicher Betreuungszeit in Skandinavien einen sehr viel
höheren Stellenwert - gemessen an den zur Verfügung gestellten staatlichen
Finanzmitteln - haben als in Deutschland. Mit anderen Worten: Es wird gerade für
die sensible Zeit der Betreuung von Kleinkindern bis zur Erreichung des Kindergartenalters
sehr viel mehr staatliches Geld ausgegeben. So gibt es eine Lohnersatzleistung,
Elterngeld genannt, in praktisch allen nordischen Staaten. Es liegt bei circa
80 Prozent des letzten Einkommens (bei einer Höchstgrenze von 2650 Euro,
z.B. in Schweden). Dieses Elterngeld wird in Schweden und Norwegen ein Jahr, in
Finnland neun Monate und in Dänemark mindestens sechs Monate mit verschiedenen
Verlängerungsoptionen gezahlt. Diese hohe Lohnersatzleistung ist auch die
Haupterklärung für die höhere Beteiligung von Vätern am Elternurlaub
in Skandinavien. Ein zusätzlicher Anreiz für Väter ist ferner,
daß der sogenannte Vätermonat, wenn er vom Vater nicht in Anspruch
genommen wird, in Schweden und in Norwegen seit einigen Jahren ersatzlos entfällt.
Es gab einmal eine Zeit, da hatte auch die SPD die Lohnersatzleistung in ihrem
Programm. Aber das war zu einer Zeit, als das Aschenputtel Familie noch Prinzessin
war. (Ebd., S. 297-298).Der Schlüsselbegriff ist die
Zeit. An ihrer Teilung kommt man nicht vorbei. Ihre Teilung ist auch nicht nur
formal und numerisch zu sehen. Persönlich mehr Zeit für die Kinder zu
haben und sie mit ihnen zu verbringen, bringt auch mehr Zufriedenheit, mithin
mehr Motivation und Freude an der Arbeit außer Haus. Abgesehen davon, daß
die Zeit mit Kindern mehr Erfüllung als Erfolg mit sich bringt, handelt es
sich um eine Lebensphase von einigen Jahren, die je nach der Zahl der Kinder variieren
kann. Diese Zeitdauer ist in das Belieben der Frau oder des Paares gestellt. Auch
hier spielen Emotionen eine große, vermutlich sogar die entscheidende Rolle.
Es existiert natürlich ein Zusammenhang zwischen den persönlichen Faktoren
und den Folgen für die Gesellschaft. Das generative Verhalten ist eine private
Entscheidung, aber sie ist »eingebettet« in gesellschaftliche Strukturen.
Die Gesamtgleichungen sehen so aus: Mehr Streß und weniger Zeit bedeuten
auch weniger Kinder. Ferner gilt: Kinder kosten Geld. Mehr Streß und weniger
Geld bedeuten auch weniger Kinder. Beide Gleichungen sind heute in Deutschland
Wirklichkeit. Wer sie addiert und weiterdenkt, kommt nach den Gesetzen der Logik
auf dieses Ergebnis: Ohne Kinder keine Zukunft. Genau dieses Programm wird zur
Zeit in Deutschland und manch anderen Ländern Europas fast mit mathematischer
Stringenz umgesetzt. Es ist eine zukunftsausblendende Logik. Aber die Spieldauer
für solch gesellschaftlichen Luxus ist begrenzt. Das Publikum wird älter
und bleibt aus. In der deutschen Diskussion ist bei familienpolitischen Vergleichen
immer von Dänemark und Schweden die Rede. Auch Norwegen wird mit seiner hohen
Frauenerwerbsquote und der relativ hohen Geburtenrate gerne zitiert. Die hochinteressante
Betreuungsgeldregelung Norwegens, von der wir in Deutschland vorläufig nur
»träumen« können, scheint in den Medien und in der Politik
noch weitgehend unbekannt zu sein oder wird schlicht ignoriert, sie paßt
nicht in das aktuelle Konzept (siehe jedoch den Beitrag von Dåvøy
in diesem Band). Auch Frankreich wird gern als Beispiel herangezogen. Dort ist
das Ganztagsangebot dank der »Ecoles Maternelles« seit Jahrzehnten
flächendeckend, wenigstens für die Altersgruppe ab zwei, drei Jahren.
Und auch Horte und Krippen gibt es in weit größerer Zahl als in Deutschland.
Aber die höhere Geburtenrate, mit Irland die höchste in der EU, hat
mit der Subjektförderung zu tun. In Deutschland frönt man dem vereinheitlichenden
Prinzip der Objektförderung. Man investiert in Gebäude, Institute -
der Staat soll's richten. In Frankreich tut man beides. Man fördert die Einrichtungen
und gibt den Eltern Geld in die Hand - Stichwort: Leistungsgerechtigkeit -, man
fördert auch Subjekte. Das geschieht auf vielerlei Weise, direkt und indirekt.
Die familienpolitischen Maßnahmen enthalten das klassische Repertoire, also
Kindergeld, Wohngeld, Mutterschaftsurlaub, Baby-Rentenjahre, bis hin zu spezifisch
französischen Maßnahmen wie Familiensplitting, Familienzulagen, Geburtsbeihilfen,
Geburts- und Adoptionsurlaub, Schulbeginnhilfe, Alleinerziehendenhilfe, Haushaltsgründungsdarlehen,
Umzugsprämie oder Renovierungsprämie. Insgesamt sind es rund drei Dutzend
einzelne Posten, plus Sondermaßnahmen. Die direkten Maßnahmen machen
etwa 40 Milliarden Euro pro Jahr aus, die indirekten wie Familiensplitting kommen
hinzu. Frankreich verfolgt eine klar natalistische Politik, deren Wurzeln bis
in das vergangene Jahrhundert hinein zurückzuverfolgen sind. Lange Zeit wurden
Familien besonders für das dritte Kind finanziell »belohnt«,
für das erste bekamen und bekommen die Eltern nichts, eine Unikum in Europa.
Aber insgesamt wurden Familien gerechter behandelt als in anderen Ländern
Europas, vor allem in Deutschland. So war während der 1980er Jahre der Gesamtaufwand
für direkte finanzielle Leistungen des Staates an die Familien durchweg doppelt
so hoch wie in Deutschland oder in Großbritannien. Auch heute geht es den
Familien in Frankreich immer noch erheblich besser. Kinderreiche Familien zahlen
in Frankreich kaum oder wenig Steuern, hierzulande immer noch zuviel, weil die
offiziell bei uns anerkannten Steuerfreibeträge für Kinder viel zu niedrig
sind. Hinzu kommt das Engagement oder Familienbewußtsein: Die Linksregierung
Jospin wollte 1998 das Kindergeld einkommensabhängig gestalten und damit
den Familien den finanziel1en Hahn abdrehen. Es gab Massenproteste, auf der Straße
und in den Medien. Es war der Auftakt zu einer bürgerlichen Protestbewegung,
seither findet jedes Jahr eine nationale Familienkonferenz der Regierung mit den
Verbänden statt. Der familienpolitische Diskurs ist geprägt von staatlichem
und privatem Interesse. De Gaulle schrieb in seinen Memoiren: »Von allen
Investitionen ist die Erhöhung der Bevölkerungszahl in Frankreich zweifellos
die wichtigste.« Er schrieb diesen Satz und handelte danach, als Frankreich
in Trümmern lag und sich nach hiesigem Denken familienpolitische Maßnahmen
eigentlich nicht leisten konnte. Aber das ist eine Frage der politischen Prioritätensetzung.
Der Diskurs ist übrigens älter als de Gaulle und hat Tradition. Schon
vor mehr als hundert Jahren, am 28. Oktober 1898 forderte der Abgeordnete Lemire
in der Nationalversammlung die Einführung eines Familiengeldes mit dem Argument
der Leistungsgerechtigkeit. Er sagte: »Das, was ich von der Kammer fordere,
nenne ich weder Hilfe noch Entschädigung. Denn eine Hilfe wird bei einem
drängenden oder vortibergehenden Bedarf gewährt, und eine Entschädigung
erhält man für einen Verlust. Eine Familie zu haben, bedeutet jedoch,
weder einen Unfall noch einen Schaden erlitten zu haben. Eine Zuwendung wie das
Familiengeld ist eine Gegenleistung für einen Dienst. Die Familie leistet
einen sozialen Dienst.« Solche Gedanken sind in Deutschland derzeit unpopulär.
Sie scheitern schon an der Frage: Wer soll das bezahlen? (Ebd., S.
298-299).Der bekannte Professor für Volkswirtschaft Jean Didier
Lecaillon
meinte auf dem 2. Europäischen Kongreß zur Aufwertung der Erziehungsarbeit
in Straßburg (2000, »Familie als Beruf«): »Ökonomie
wird aIlzu oft mit Rechnungswesen verwechselt. Man betrachtet nur die Höhe
einer Ausgabe, ohne zu unterscheiden, ob es sich bei ihr um Konsum oder um Investition
handelt. Die wichtigste Frage ist nicht: Wie viel kostet es? Sondern: Wieviel
bringt es ein? Wenn es um die Familie geht, muß man sich darauf einigen
können, daß man es im allgemeinen mit Investitionen zu tun hat.«
Es handelt sich in der Tat um eine Investition und zwar in die wichtigste und
immer knapper werdende Ressource in Deutschland, das Humankapital. Es ist eine
Frage des Denkens und der Begriffe. Auch die Frauen investieren selbst und zwar
Zeit. Selbst die Frauen, die neben der Familienarbeit oder dem Familienmanagement
einer außerhäuslichen Erwerbsarbeit nachgehen, tun dies meist teilzeitig.
Und selbst bei den Frauen, die voIlzeitig außer Haus beschäftigt sind,
gibt es in Frankreich einen markanten Unterschied zu Deutschland. Der Lebensrhythmus
in Frankreich geht von acht bis zwölf und von zwei bis fünf. Zwischen
zwölf und vierzehn Uhr gibt es eine Mittagspause. In dieser Pause holen die
meisten Mütter ihre Kinder aus den Krippen, Horten und Vorschulen ab. Sie
essen zusammen. Sie verbringen Zeit zusammen. Sie kommunizieren bei einer grundlegenden,
ja vitalen Tätigkeit. Natürlich geschieht das manchmal unter erheblichem
Streß, aber es geschieht. Der gedankliche und emotionale Austausch findet
statt, die Beziehung lebt und damit auch die Erziehung. Erlebnisse in den Betreuungsanstalten
werden verarbeitet. Die Eltern schenken das, was die Kinder sich am meisten wünschen:
Zeit. Der Wunsch nach Familie und nach Kindern ist ungebrochen, auch in Deutschland.
Staat und Wirtschaft können ihn erfüIlen helfen. Der Staat, indem er
mit Ganztagsangeboten und der Subjektförderung die Wahlfreiheit ermöglicht,
die Wirtschaft, indem sie mit mehr Flexibilität die Zeitorganisation der
Familien erleichtert. Jede Familie sollte sich ihr eigenes Lebensprogramm erfüIlen
können. (Ebd., S. 299-300).Der große Pädagoge
Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827) hat einmal seine Forschungsergebnisse und
Erfahrungen in einer Art summa paedagogica zusammengefasst und nannte sie die
drei großen »Z«: Zuwendung, Zärtlichkeit, Zeit. Die Zeit
ist das wichtigste, ohne sie gibt es keine Zuwendung und keine Zärtlichkeit.
Hier liegt der große Unterschied zwischen Erziehung und Betreuung. Betreuung
ist satt, sauber, beschäftigt. Erziehung sind die drei Z, das heißt
Investition in das Humankapital. Das kann außerhalb der Familie in der Regel
nur begrenzt geschehen. Die Ergebnisse der Hirnforschung, die vor allem in den
USA auch mit Blick auf die Erziehung und Bedürfnisse des Kindes vorangetrieben
wird, machen immer deutlicher, daß emotionale Stabilität, mithin klare
Bezugsrahmen und gleichbleibende Bezugspersonen, für die gesunde Entwicklung
des Kindes grundlegend und vital sind. Sie schaffen das Urvertrauen oder die Vitalbindung,
die die Ausbildung der Daseinskompetenzen ermöglichen. Man soIlte das nicht
unterschätzen. In einer Studie im Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung
Deutschlands ist schon vor Jahren festgesteIlt worden, daß rund 40 Prozent
aIler Krankheiten psychosomatisch sind, also eine mitverursachende psychische
Komponente haben und daß von dieser psychischen Komponente rund fünfzig
Prozent in Zusammenhang mit familiären Zerwürfnissen steht. Mit anderen
Worten: Ein Fünftel aller Krankheitsfalle wäre vermeidbar, wenn das
Familienleben der Betreffenden intakt wäre oder gewesen wäre. Natürlich
machen Eltern Fehler - übrigens auch Ärzte, Handwerker, Politiker und
überhaupt alle beruflich Tätigen - und geschehen in Familien auch Vergehen
bis hin zum Verbrechen. Aber das sind Ausnahmen. Sie rechtfertigen keineswegs
ein gesellschaftliches Dogma der Ganztagsbetreuung. Die Investition in die Beständigkeit
familiärer Beziehungen ist gesellschaftlich immer noch rentabler als die
Auflösung oder Instrumentalisierung der Institution Familie. Um es menschlicher
zu formulieren: Wer Zeit, Zuwendung und Zärtlichkeit schenkt, der schenkt
Liebe und das ist die beste Medizin für die Seele. Das muß nicht, wie
gesagt, immer zuhause sein. Aber dort kommt das Kind dem Paradies wohl immer noch
am nächsten. (Ebd., S. 300-301). |