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Demographie und Wandel
(Hrsg.: Christian Leipert; 2003)

- Auszüge -

lGeleitwort (Gerhard Wehr)
lVorwort und Einleitung (Christian Leipert)
lGrußwort: Die humanen Versprechen ordnungspolitisch schützen (Josef Homeyer)
GRUNDLAGEN
lStrategische Optionen der Familien- und Migrationspolitik in Deutschland und Europa (Herwig Birg)
lDas demographische Defizit - Die Fakten, die Folgen, die Ursachen und die Politikimplikationen (Hans-Werner Sinn)
lDie Bedeutung der Humanvermögensbildung in der Familie für die Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft (Gary Becker)
lDer verfassungsrechtliche Auftrag zu einer familiengerechten Wirtschafts- und Sozialordnung (Paul Kirchhof)
lDemographischer Wandel ist auch eine Chance (Georg Milbradt)
lZeit für Kinder (Carsten Stahmer / Christian Leipert)
WENIGER KINDER - ÄRMERE WELT?
lAnhaltend niedrige Geburtenraten und ihre Folgen (Gérard-François Dumont)
lFür eine Richtungsänderung in der Familienpolitik (Josef Schmid)
lLeistungsausgleich für gesellschaftlich relevante Arbeit - Konzept und Umsetzung (Helmuth Schattovits)
lFür einen neuen Feminismus (Christine Bruneau)
lNeue Wege der Familienförderung (Claus Kretz)
lGeringe Geburtenraten - soziale und wirtschaftliche Konsequenzen (Jerzy Kropiwnicki)
lWeniger Kinder - andere Welt: das Vordringen der „Ich-AG“ (Peter Wippermann)
DEMOGRAPHIE ALS HERAUSFORDERUNG - ANTWORTEN DER POLITIK
lDas norwegische Betreuungsgeld (Laila Dåvøy)
lFamilienpolitische Antworten auf die demographische Entwicklung (Hans Geisler / Simone Wenzler)
lFamilie ist unsere Zukunft (Christa Stewens)
lDemographie als Herausforderung - Antworten der Arbeitspolitik (Harald Schartau)
FAMILIÄRE ERZIEHUNG - GRUNDLAGE VON BILDUNG; ALLTAGSKOMPETENZ UND BERUFSERFOLG
lDie familiäre Erziehung als Quelle der Kompetenz und des Erfolgs (Jacques Bichot)
lFamilie, Humankapital und Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft (Maximilian Torres)
lZum Wert der emotionalen Erziehung in der Familie (Ulrike Horn)
lOhne Erziehungsoffensive keine Bildungsoffensive (Josef Kraus)
lZur Bedeutung pädagogischer Qualität in der familialen und außerfamilialen Betreuung für die Entwicklung von Kindern im Vorschulalter (Wolfgang Tietze)
lAufwachsen in öffentlicher Verantwortung - Bildung von Anfang an (Norbert Hocke)
FAMILIE, HUMANKAPITAL UND ARBEITSMARKT - ATNWORTEN DER WIRTSCHAFT
lDie Familie als Grundpfeiler einer nachhaltigen Entwicklung (Jean-Didier Lecaillon)
lArgumente zur Familienförderung aus Unternehmenssicht (Mechthild Löhr)
lWirtschaftliche Zukunft braucht Familien (Thomas Müller-Kirschbaum)
lFür eine neue Partnerschaft zwischen Wirtschaft und Familie (Michel-Edouard Leclerc)
lAlterssicherung und Erziehungsarbeit im demographischen Wandel: Herausforderungen an die gesetzliche Rentenversicherung (Anne Meurer)
GRUSSWORTE
lGrußwort (Papst Johannes Paul II.)
lGrußwort (Gerhard Schröder)
lGrußwort (Edmund Stoiber)
EPILOG
lZeit, Geld, Bildung. Was Familien und Kinder heute brauchen - Anmerkungen nach dem Kongreß „Demographie und Wohlstand“ (Jürgen Liminski)

 

Geleitwort (Gerhard Wehr)

„Die Geschichte lehrt uns, daß junge dynamische Staten erfolgreich sind und auch Wirtschaftswachstum produzieren. Es sind nicht allein die Bedürfnisse junger Menschen im Gegensatz zu älteren, sondern auch Phantasie und Erfindungsreichtum wachsen vermehrt in einem kinderreichen Gemeinwesen.“ (Ebd., S. 7).

„Unserer Volkswirtschaft fehlen gerade diejenigen jungen Menschen, denen ein Lebensrecht nicht zugestanden wird. Warum?  In erster Linie, weil Wirtschaft und Politik seit mehr als 40 Jahren (der Text ist von 2003; Anm. HB) kinderfeindlich orientiert sind. Kinder zu haben, ist zunächst Privatsache. Später bemächtigt sich die Gesellschaft der Arbeitskraft, um sie für vielerlei angebliche Machtinteressen zu nutzen. Eltern werden mit verfassungswidrigen Steuern auf das Haushaltseinkommen und den Verbrauch der Kinder belegt, die in der Bundesrepublik Deutschland jährlich mehr als 25 Mrd. Euro ausmachen. Das Kindergeld und Steuerfreibeträge haben sich die Eltern allein verdient. Darüber hinaus gibt es keine echte staatliche Leistung für Familien, wenn man bedenkt, daß allein 80 Mrd. Euro von den Familien mit mehreren Kindern jährlich in die Alterssicherung der gesetzlichen Rentenkassen fließen, die sich ja vorwiegend aus dem Umlageverfahren finanzieren. Wenn diese Familien nicht existieren würden, wäre jedwede finanzielle Alterssicherung gesetzlich oder privat nicht mehr existent.“ (Ebd., S. 7).

„Die Nachbarstaaten wie z.B. Frankreich oder die skandinavischen Länder mit höheren Geburtenraten investieren seit vier Jahrzehnten das dreifache in Kinder und Nachwuchs. Wenn auch in diesen Ländern von echter Leistungsgerechtigkeit nicht gesprochen werden kann, so erklärt sich doch dadurch die höhere Geburtenrate und das höhere Wirtschaftswachstum dieser Staaten. Der Weg in die Deflation ist unserer Wirtschaft vorgezeichnet. Die sozialen Sicherungssysteme sind nicht mehr zu finanzieren. Politik ist nicht in der Lage, weder die Ursachen unserer Misere zu erkennen noch die Rechte in unserem Gemeinwesen so zu verteilen, daß Kinder-Eltern (ohne eine leistungsstarke Lobby) die ihnen zustehenden Rechte hinsichtlich Angekommensein, Erziehung und Ausbildung auch erhalten. Frage: Wie lange wird diese fragile Demokratie diesen Zustand noch ertragen?“  (Ebd., S. 7-8).

Vorwort und Einleitung (Christian Leipert)

Vorwort:
„In diesem Buch sind die Vorträge und Statements versammelt, die auf dem Europäischen Kongreß »Demographie und Wohlstand - Neuer Stellenwert für Familie in Wirtschaft und Gesellschaft« gehalten und für die Veröffentlichung überarbeitet und erweitert worden sind. Dieser Kongreß fand am 12. und 13. Juni 2003 in berlin, und zwar im haus der Deutschen Wirtschaft, statt.“ (Ebd., S. 9).

„Inhaltlich bildet sicherlich die Überzeugung einen dichten roten Faden, daß einerseits die Familie und ihr Leistungsprofil für Wirtschaft und Gesellschaft weiterhin konstitutiv und unerläßlich sind und daß andererseits Familien ungeachtet ihrer funktionalen Bedeutung für die Gesellschaft von der Politik dramatisch vernachlässigt werden, ja sogar »eine strukturelle Rücksichtslosigkeit der Gesellschaft gegenüber den Belangen der Familie und ihren Kindern« (F.-X. Kaufmann) zu konstatieren ist.“ (Ebd., S. 9).

Einleitung:
„Gegenstand des Buches ist der Bedutungsgewinn der Familienpolitik angesichts der demographischen Herausforderung der Zukunft in Europa. Die zukünftigen Belastungen der Gesellschaft - insbesondere im System der Sozialversicherungen - durch das anhaltend niedrige Geburtenniveau begründen eine Renaissance der Familienpolitik. Ein Schwerpunkt des Buches liegt auf der Herausarbeitung der Leistungen, die Familien beim Aufziehen der Kinder erbringen und auf die die Gesellschaft auch und gerade in Zukunft angewiesen bleibt. Diese familiären Leistungen bilden die wichtigste Quelle des Humanvermögens einer Gesellschaft, das wiederum heute der zentralste Bestimmungsfaktor des langfristigen Wirtschaftswachstums und der Produktivitätsentwicklung eines Landes ist.“ (Ebd., S. 11).

„In dem Buch werden in mehreren Beiträgen die demographischen Problemlagen, die sich für die Zeit bis 2050 abzeichnen, grundlegend hearusgearbeitet. Hierzu tragen bei der renommierte Bevölkerungswissenschaftler Birg, der Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung Sinn, ... der bekannte Demograph Schmid, z.T. auch der Ökonomie-Nobelpreisträger Becker von der Universität Chikago ...Dabei stehen die seit Ende der 1960er Jahre daramatisch gesunkene Geburtenrate und deren Ursachen im Vordergrund der Überlegungen. Die Autoren widmen sich auch soziologischen Erklärungsansätzen, die auf die Bedeutung säkularer Veränderungen wie den Veränderungen der Rolle der Frau in den vergangenen 50 Jahren verweisen. Ihr Schwerpunkt liegt allerdings auf der Analyse ökonomischer faktoren und speziell auch ökonomischer Fehlanreize politischer Regelungen (wie der gesetzlichen Altersrentenversicherung), dei den Rückgang der Geburtenrate erklären können (Birg, Sinn, Becker).“ (Ebd., S. 11).

„Abhilfemöglichkeiten, die an den Ursachen der demographischen Probleme der Alterung und Schrumpfung ansetzen, werden in einer Neuausrichtung und massiven Aufwertung der Familienpolitik (Birg, Schmid) gesehen, die sich auch in einer Reform der Rentenversicherung (Sinn), die den Wert der Kindererziehung für die Bemessung der Altersrente grundlegend neu und höher bestimmt, äußern sollte.“ (Ebd., S. 11).

„So wird das Für und Wider der Einwanderung erörtert. Dabei ist für alle Autoren unstreitig, daß Einwanderung kein Allheilmittel der demographischen Krise ist. Im Gegenteil, wenn sie nicht ökonomisch gezielt betrieben wird, kann die ökonomische Nettobilanz für das Aufnahmeland -insgesamt gesehen -sogar negativ ausfallen (Birg, Sinn). “ (Ebd., S. 12).

„Eine klassische Anpassungsstrategie der Rentenpolitik an die Schrumpfung der Zahl der aktiven Beitragszahler und die Zunahme der Lebenserwartung ist die Anhebung des Rentenalters. Becker kritisiert in seinem Beitrag schart. die anhaltende Tendenz zur Frühverrentung in Deutschland und in anderen Ländern Westeuropas. Er verweist dagegen auf die neueste Entwicklung in den USA hin zu einer Anhebung der Altersgrenze auf 67 Jahre. Auch die viel stärker als in Europa in der Gesellschaft verwurzelte markwirtschaftliche Gesinnung erlaube es einem Großteil der Arbeitskräfte in den USA, jenseits der offiziellen Altersgrenze weiterzuarbeiten.“ (Ebd., S. 12).

„Ein klarer Schwerpunkt des Buches liegt auf Beiträgen, die die Bedeutung der Leistungen, die Familien bei der Aufzucht ihrer Kinder mit ihrer Erziehungs-, Betreuungs- und Bildungsarbeit erbringen, für Wirtschaft, Gesellschaft und Politik herausarbeiten. Diese Leistungen sind wesentlicher Teil des Humankapitals oder des Humanvermögens. Während der Begriff des Humankapitals im engeren Sinne sich auf den wirtschaftlichen Wert der in schulischer und nachschulischer Ausbildung erworbenen fachlichen Qualifikationen bezieht, liegt der Fokus beim Humanvermögen auf dem Erwerb von Daseinskompetenzen im weitesten Sinne.“ (Ebd., S. 12).

„Soziale Qualifikationen, die in der Familie vermittelt werden, sind etwa Arbeits- und Lernmotivation, Verantwortungsbereitschaft, Zuverlässigkeit, Teamfahigkeit und Flexibilität. An ihnen hat auch die Wirtschaft ein zentrales Interesse. Unternehmen sind für funktionierende Produktions- und Arbeitsabläufe auf emotional stabile und moralisch geerdete Nachwuchskräfte angewiesen. Und solche Arbeitskräfte wachsen am besten in Familien heran, die ihre Erziehungsarbeit erfüllen können. Die Rede von der »Bildung von Humanvermögen« verdeutlicht, daß im Kontext von Familie volkswirtschaftlich bedeutsame Investitionsprozesse ablaufen. Familienpolitik in dieser Perspektive ist Wirtschaftspolitik mit anderen Mitteln.“ (Ebd., S. 12).

Grußwort: Die humanen Versprechen ordnungspolitisch schützen (Josef Homeyer, Bischof von Hildesheim)

„Für wie zukunftsfähig hält sich diese Gesellschaft eigentlich wirklich noch angsichts ihrer eigenen demographischen Implosion?  .... Glauben wir uns eigentlich selbst noch die humanen Verheißungen der Moderne, oder haben wir uns etwa einer im Kern sinnentleerten Form ebenso verstetigter wie beschleunigter Modernisierung unterworfen ?  Nehmen wir dieser ambivalenten Moderne noch den normativen Kern eines Humanum ab?“  (Ebd., S. 24).

„Um ... Rahmensetzungen ... geht es. Im Kern um die Frage, ob die moderne Gesellschaft sich selbst ihre huamnen Versprechen noch glaubt. Hierfür ist die Familienpolitik ein Lackmustest. Die Kirchen in Europa werden hier anwaltschaftlich Partei ergreifen: Poltisch wie diakonisch.“ (Ebd., S. 26).

 

- GRUNDLAGEN -

Strategische Optionen der Familien- und Migrationspolitik in Deutschland und Europa (Herwig Birg)

„Zu- und Abwanderungen haben besonders starke demographische Auswirkungen auf die Zahl und Struktur der Bevölkerung, und zwar auch dann, wenn man sie nicht zur Kenntnis nimmt. Die demographischen Wirkungen politischen Handelns (und Unterlassens) können auch in einer Demokratie nicht vermieden werden, sondern nur anders benannt werden. Aber warum sollte man die bevölkerungspolitischen Auswirkungen der Politik nicht bevölkerungspolitische Auswirkungen nennen?  .... Dieses Land muß die Souveränität über seine Sprache wieder gewinnen, ohne die es keine geistige und auf Dauer auch keine politische Souveränität geben kann. Die Demokraten in Deutschland haben nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, den Begriff Bevölkerungspolitik neu zu definieren und mit einem an demokratischen Zielen orientierten Inhalt zu füllen.“ (Ebd., S. 28).

„Der Rückgang der Geburtenrate in den letzten Jahrzehnten in Deutschland beruht nach den Äußerungen der Befragten aus zahllosen Umfragen nicht auf einer Abschwächung oder gar auf einem Wegfall des Wunsches nach einem Kind, sondern auf wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Faktoren, die der Realisierung von Kinderwünschen entgegenstehen. dabei fällt es schwer, zu klären, was unter dem Wunsch nache einem Kind genau zu verstehen ist, denn die Befragten machen ihre Wünsche von bestimmten Voraussetzungen abhängig, z.B. vom Angebot von Einrichtungen zur Kinderbetreuung, von ausreichenden staatlichen Unterstützungszahlungen, vom vorherigen Erreichen bestimmter Ziele der Berufsausbildung und der Erwerbskarierre u.s.w.. Ob die Intensität der Kinderwünsche geringer oder die Hürden zu ihrer Verwirklichung höher geworden sind und welchen Anteil die beiden Faktoren am Rückgang der Geburtenrate haben, ist trotz jahrzehntelanger Forschung nicht leicht zu beantworten. .... Faßt man die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung über die Gründe des Rückgangs der Geburtenrate zusammen, so lassen sich je drei Faktoren auf der Ebene des »Individuums« und auf der Ebene der der Gesellschaft feststellen, aus deren Kombination sich neun Fallgruppen von Ursache-Konstellationen ergeben. (Vgl. Tabelle).“ (Ebd., S. 29).

Intervenierende Einflußgrößen auf das demographisch-ökonomische Paradoxon*
 Gesellschaftliche und staatliche Einflußgrößen auf das biographische Universum
 Soziales SicherungssystemVereinbarkeit von Familien- und ErwerbsarbeitWerte und Normen* bzw. Prioritäten für Familien und Kinder
»Individuelle«
Einflußgrößen auf das biographische Universum
Erziehung / Ausbildung
Beruf / Erwerbsarbeit
Regionale Lebenswelt
Demographisch-ökonomisches Paradoxon:
Je höher das pro-Kopf-Einkommen (der Frauen)
*,
desto höher die ökonomischen und biographischen
Opportunitätskosten von Kindern und (folglich
*)
desto niedriger die Zahl der Geburten pro Frau.
Zusätzliche Einflußgrößen auf die Geburtenrate:
– Ausmaß der Einwanderung
– Herkunft der Einwanderer
*
– Ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung
– Siedlungsstruktur und Grad der Urbanisierung
– Anteil der kinderlosen (Männer und)
* Frauen
– Timing-Effekte (Alter der Frau bei der Geburt
    des 1. Kindes, der 2. und der weiteren Kinder)
Ebd., S. 30 (* Zusatz von mir [HB])

„Von der Größe und Art des biographischen Universums werden die biographischen Handlungsalternativen und -optionen des »Individuums« entscheidend beeinflußt. Dabei hat die empirische Lebenslaufforschung gezeigt, daß die Wahrscheinlichkeit einer langfristigen Festlegung im Lebenslauf durch eine Kindergeburt um so geringer ist, je größer die Zahl der Lebenslaufoptionen ist, die aufgrund dieser Festlegung aus dem biographischen Universum ausscheiden würden. Die ausgeschiedenen Lebenslaufoptionen werden als biographische Opportunitätskosten von Kindern bezeichnet. Die ökonomischen Opportunitätskosten bilden einen Teil der biographischen Opportunitätskosten. Sie lassen sich messen durch die Summe der entgangenen Einkommen, auf die eine Frau (oder ein Mann; Anm. HB) verzichten müßte, wenn sie (oder er; Anm. HB) durch die gesellschaftlichen Lebensbedingungen aufgrund einer mangelnden Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familienarbeit nicht erwerbstätig wäre. Mit der biographischen Theorie der Fertilität läßt sich das als »demographisch-ökonomische Paradoxon«* bezeichnete Phänomen erklären, daß die Zahl der Kinder pro Frau um so mehr zurückging, je stärker das Pro-Kopf-Einkommen zunahm.“ (Ebd., S. 30).

*  Das demographisch-ökonomische Paradoxon* kann man in etwa so umschreiben: Je mehr Kinder sich die Menschen leisten könnten, desto weniger haben sie.

„In modernen Gesellschaften sind die folgenreichsten langfristigen Festlegungen in der Biographie die Festlegungen für einen bestimmten Ausbildungsweg und die anschließende Berufswahl. Diese Entscheidungen stehen am Anfang einer Biographie und fallen oft zeitlich zusammen mit der Entscheidung über die Bindung an einen Partner. Durch diese Festlegungen polarisieren sich die Biographien relativ früh in zwei Gruppen mit und ohne Kinder. Innerhalb der Gruppe mit Kindern ist der Übergang von der Phase ohne Kinder zur Elternschaft mit wesentlich höheren biographischen Opportunitätskosten verbunden als der Übergang vom ersten zum zweiten und vom zweiten zum dritten Kind.“ (Ebd., S. 31).

„Entscheidend für die endgültige Zahl der Lebendgeborenen pro Frau ist bei jedem Jahrgang der Anteil der Frauen, die zeitlebens kinderlos bleiben. Der Anteil der Kinderlosen nahm z.B. vom Jahrgang 1940 bis zum Jahrgang 1965 von 10,6% auf 32,1% zu. Bei der größeren, zwei Drittel und mehr umfassenden Teilgruppe von Frauen, die Kinder hatten, blieb jedoch die Kinderzahl pro Frau mit rd. zwei Kindern von Jahrgang zu Jahrgang relativ konstant. Der Rückgang der Geburtenrate der Jahrgänge ab 1940 beruht also in erster Linie darauf, daß die lebenslange Kinderlosigkeit von Jahrgang zu Jahrgang stieg.“ (Ebd., S. 28).

„Nach diesen Ergebnissen der demographischen Forschung bieten sich der Familienpolitik zwei Optionen zur Erhöhung der Geburtenrate. Die erste Option hat als Zielgruppe das Drittel der Frauen, die kinderlos bleiben würden. Bei dieser entscheidenden Zielgruppe müßte die lebenslange Kinderlosigkeit gesenkt werden. Die Zielgruppe für die zweite familienpolitische Option sind die zwei Drittel der Frauen, die Kinder haben. Bei dieser Zielgruppe müßte die durchschnittliche Kinderzahl von rd. zwei Kindern auf mehr als zwei erhöht werden.“ (Ebd., S. 31).

„Die erste Strategie der Verringerung der Kinderlosigkeit hätte - wenn sie erfolgreich wäre - die größte Wirkung auf die Geburtenrate, aber sie bedarf eines familienpolitischen Instrumentariums, das auf diese Zielgruppe zugeschnitten ist. Das entscheidende Element eines solchen familienpolitischen Instrumentariums müßte eine Wertepolitik sein, die die müßte eine Wertepolitik sein, die die Sinnhaftigkeit eines Lebens mit Kindern als gesellschaftliches Leitbild in der Öffentlichkeit vertritt.“ (Ebd., S. 31).

„Wollte man die demographische Alterung, die in erster Linie auf der niedrigen Geburtenrate und erst in zweiter Linie auf der zunehmenden Lebenserwartung beruht, durch die Einwanderungen jüngerer Menschen verhindern, wären dafür so hohe Einwanderungszahlen erforderlich, daß dadurch mehr Probleme geschaffen als gelöst würden.“ (Ebd., S. 36-37).

„Die demographische Alterung ist eine automatische Folge der Bevölkerungsschrumpfung.“ (Ebd., S. 38).

„Die international vergleichende Analyse für die 15 Länder der EU ergibt einen gegenläufigen Zusammenhang zwischen der Höhe der Geburtenrate und der Intensität der demographischen Alterung: Je höher die Zahl der Lebendgeborenen pro Frau, desto niedriger ist der Altenwuotient in der Zukunft. Die niedrigste Geburtenrate bzw. den höchsten Altenquotienten in der Zukunft haben Spanien, Italien und Griechenland. Die höchste Geburtenrate bzw. den niedrigsten Altenquotienten in der Zukunft haben Irland, Dänemark und Finnland.“ (Ebd., S. 39).

„Die Einwanderung jüngerer Menschen würde den Anstieg des Altenquotienten in der EU nur geringfügig mildern. (Dazu kommt noch, daß ja in Wirklichkeit kaum jüngere, sondern eher Menschen mittleren Alters einwandern, die ihrerseits bald Rentner sind und dann den Altenquotienten sogar noch erhöhen! Anm. HB). Auch in den USA hat die Einwanderung junger Menschen nur einen relativ geringen Einfluß auf den Anstieg des Altenquotienten.“ (Ebd., S. 39).

„Aus den Daten und Analysen ergibt sich, daß ein Anstieg der Geburtenrate das wirksamste Mittel (und realistisch gesehen: das einzige Mittel! Anm. HB) ist, um die Bevölkerungsschrumpfung langfristig zu stoppen und der demographischen Alterung entgegen zu wirken. Wollte man die demographische Alterung in der EU durch die Einwanderung jüngerer Menschen verhindern, müßten bis 2050 700,5 Mio. Menschen mehr ein- als auswandern (das ist unmöglich und auch unrealistisch, weil in einem solchen Fall die EU durch Abwanderung ihrr Einheimischen ihre Attraktivität schon lange vor 2050 verloren haben würde! Anm. HB), so daß die Bevölkerungszahl der EU von 1998 bis 2050 von 375 Mio. auf 1,2 Mrd. wachsen würde. Diese Forschungsergebnisse zeigen, daß es absurd wäre, wenn eine demographisch orientierte Politik - statt eine Erhöhung des Geburtenrate anzustreben - auf Dauer auf eine zumindest teilweise Kompensation des Geburtendefizits durch Einwanderungen setzen würde, wie dies in Deutschland durch das Zuwanderungsgesetz (und das heißt: Bevölkerungspolitik [also doch !], wenn auch nur eine extrem negative und dumme! Anm. HB) geplant wird.“ (Ebd., S. 47).

„Erfolge in der Familienpolitik durch eine Erhöhung der Geburtenrate schlagen nach 20 Jahren als Erfolge auf dem Arbeitsmarkt zu Buche.“ (Ebd., S. 51).

„Kosten der Integration .... Wie die vom Ifo-Institut und vom Max-Plack-Institut für ausländisches und internationales Sozialrecht im Auftrag des Bundesarbeitsministers durchgeführten Forschungsarbeiten zeigen, übersteigen die vom Staat für die Zugewanderten erbrachten fiskalischen Leistungen im Rahmen der Sozialversicherung (Gesetzliche Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung) sowie die steuerfinanzierten Transfers und die Zahlungen der Gebietskörperschaften für die Bereitstellung der öffentlichen Güter (Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser, Verkehrsinfrastruktur, Verwaltung etc.), die vom Staat von den Zugewanderten empfangenen Leistungen pro Kopf und Jahr um mehrere Tausend DM. (Vgl. Tabelle). Dieser Befund widerspricht den landläufigen Vorstellungen (also: der Propaganda und ihrer Wirkung; Anm. HB), daß Deutschland fiskalisch von der Zuwanderung profitiere. Nach dieser Untersuchung (und mit Sicherheit nicht nur nach ihr; Anm. HB) war und ist die Zuwanderung nach Deutschland seit langem eine »Zuwanderung in die Sozialsysteme«, die eine »Umverteilung von den Deutschen zu den Zugewanderten« bewirkt, wie es in dem Forschungsbericht heißt.“ (Ebd., S. 51).

Bildungsrückstand der Nicht-EU-Bürger

Bilanz pro Zuwanderer (1997)
Direkte fiskalische Auswirkungen der Zuwanderung pro Zuwanderer
EinnahmenAusgaben
GKV1817,- DMGKV2970,- DM
GRV4053,- DMGRV1362,- DM
SPV252,- DMSPV67,- DM
Arbeitslosenversicherung701,- DMArbeitslosenversicherung452,- DM
Steuern6044,- DMSteuerfinanzierte
Transfers und Leistungen
12646,- DM
Einnahmen insgesamt12867,- DMAusgaben insgesamt 17498,- DM
Gesamtbilanz pro Zuwanderer (1997)
  Ausgaben 4631,- DM
Quelle: SOEP; Ifo-Institut; Hans-Werner Sinn, EU-Erweiterung und Arbeitskräftemigration, 2001.

„Die Qualifikationsdefizite sind der entscheidende Grund dafür, daß die Arbeitslosenquote und die Quote der Sozilhilfeempfänger bei den Zugewanderten aus Nicht-EU-Ländern um den Faktor 5 und mehr höher sind als bei den Einheimischen, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern in nahezu allen (= 15) Ländern der EU. Die Qualifikationsdefizite sind dabei um so größer, je höher der Anteil der Zugewanderten an der Bevölkerung ist. Aufgrund dieser Fakten ist auch in Zukunft nicht damit zu rechnen, daß die Qualifikationsunterschiede im erhofften Umfang abgebaut werden können. Durch die Strategie einer kompensatorischen Zuwanderungspolitik würde das für die Produktivität und das Pro-Kopf-Einkommen wichtige, im Humankapital der jüngeren Erwerbspersonen enthaltene Bildungs- und Ausbildungskapital beeinträchtigt ....“ (Ebd., S. 51-53).

Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts Wachstumsrate der Bevölkerung =Wachstumsrate des Pro-Kopf-Einkommens
2,5 %0,7 %
=1,8 %
1,7 %– 0,7 %  =2,4 %

„In der öffentlichen Debatte ... wird stets ... die Höhe des Bruttoszialprodukts herausgestellt. Aber es kommt auf die Höhe des Pro-Kopf-Bruttossozialprodukts an. Die Schweiz (bzw. Deutschland; Anm. HB) übt nicht deshalb eine magnetische Anziehungskraft auf die Zuwanderer z.B. Indiens aus, weil das Bruttoszozialprodkt der Schweiz größer wäre als das Bruttossozialprodukt Indiens (das Bruttoszialprodukt Indiens [rd. 600 Mrd. $] ist ja sogar viel höher als das der Schweiz [rd. 320 Mrd. $]! Anm. HB), sondern weil das Pro-Kopf-Bruttossozialprodukt und der mit ihm korrelierende Lebensstandard in der Schweiz wesentlich höher ist. (Dem rd. 564 $ Pro-Kopf-BSP in Indien stehen rd. 43553 $ Pro-Kopf-BSP in der Schweiz gegenüber - das heißt: das Pro-Kopf-BSP in der Schweiz ist um den Faktor 77,22 größer als das in Indien; Anm. HB).“ (Ebd., S. 53).

„Resümee: In den letzten 50 Jahren gingen die Geburtenraten in den Indiustrieländern um etwa die Hälfte zurück. In Deutschland beruhte der Rückgang vor allem auf dem Anstieg des Anteils der Frauen an einem Jahrgang mit lebenslanger Kinderlosigkeit auf rd. ein Drittel, während sich bei den Frauen mit Kindern nach wie vor eine im langfristigen Vergleich konstante Zahl von rd. zwei Kindern ergibt. Bei den EU-Ländern, bei denen der Anteil kinderloser Frauen niedrig ist (z.B. Frankreich), liegt die Geburtenrate über dem Durchschnitt der EU, bei Ländern mit hoher Kinderlosigkeit unter dem Durchschnitt (z.B. Deutschland). Durch die in Deutschland besonders hohe Kinderlosigkeit (rd. 33%; Anm. HB) spaltet sich die Gesellschaft in einen Familiensektor (2/3-Mehrheit; Anm. HB) und in einen Sektor ohne eigene Nachkommen (1/3-Minderheit; Anm. HB). Daraus ergeben sich gravierende Konsequenzen für das in der Verfassung verankerte Prinzip der »sozialen Gerechtigkeit«, durch dessen Verletzung auch die sozialen Sicherungssysteme ihre Funktion nicht mehr erfüllen können.“ (Ebd., S. 53-54).

„Bei ... Zuwanderungen verringert sich das Qualifikationsniveau der Bevölkerung, und es kommt zu Einbußen beim Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens, während gleichzeitig die Integrationskosten steigen. Die Strategie der Zuwanderungen ist auch aus internationaler Sicht problematisch. .... Es wäre eine moralisch durch nichts zu rechtfertigende Strategie, wenn die reichen Länder auf Dauer ihre demographischen Defizite auf Kosten der armen ausgleichen und mit den Mitteln der Migrationspolitik eine Art demographischen Kolonialismus etablieren würden.“ (Ebd., S. 54-56).

Das demographische Defizit - Die Fakten, die Folgen, die Ursachen und die Politikimplikationen (Hans-Werner Sinn)

„Dieser Aufsatz beschreibt die demographischen Fakten und analysiert die Folgen für das Rentensystem und die Dynamik unseres Landes ..., untersucht auch die ökonomischen Ursachen der Kinderlosigkeit in Deutschland, zu denen in vorderster Front das Rentensystem selbst zu zählen ist. Die Rentenversicherung hat den Menschen die Verantwortung für ihr Einkommen im Alter genommen und damit die Kinderlosigkeit ... maßgeblich mitverursacht. Zur Korrektur der Fehlentwicklung wird empfohlen, die Renten nach dem alten System deutlich zu kürzen und zusätzlich von der Kinderzahl abhängige Rentenansprüche einzuführen. Personen, die kein Geld für die Kindererziehung ausgeben, sollen ihr Geld statt dessen in die Riester-Rente investieren.“ (Ebd., S. 58).

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Quelle: UNO, Population Division, 2001

„Die schönen Versprechungen der Politiker und Verbandsvertreter, die auf die Demographen nicht hören wollten, entpuppen sich als Luftblasen. Unlösbare Verteilungskämpfe zwischan den Alten und den Jungen drohen, das politische System der Bundesrepublik Deutschland zu erschüttern.“ (Ebd., S. 58).

„Die Alterung ... wird durch die Abbildung verdeutlicht, in der die Entwicklung des Medianalters ... dargestellt ist, also jenes Alters, das die Bevölkerung in zwei gleich große Gruppen von älteren und jüngeren Personen teilt. Man sieht, daß dieses Medianalter ... inzwischen auf 40 Jahre gestiegen ist und bis zum Jahr 2035 um weitere zehn Jahre auf über 50 Jahre ansteigen wird. .... Was ist die Ursache für das hohe und weiter zunehmende Durchschnittsalter ...?“  (Ebd., S. 58-59).

„Die wahre Ursache der ... Alterung ... ist die Verringerung der Zahl der Geburten.“ (Ebd., S. 61).

„Die Erhöhung des Bundeszuschusses zur Rentenversicherung ist ein optischer Trick zur Geringrechnung der Belastung, aber keine Lösung, weil auch ein solcher Zuschuß durch Steuern finanziert werden muß, die von den Arbeitenden zu entrichten sind. Versuche, neben den Lohneinkomemn die Kapitaleinkommen zur Finanzierung der Renten (Stichwort: Wertschöpfungsabgabe) heranzuziehen, werden scheitern, weil die internationale Kapitalmobilität die wirksame Besteuerung des Kapitals verhindert.“ (Ebd., S. 66).

„Die wirklichen Lösungsansätze für Deutschlands demographische Krise liegen nicht in immer neuen Einfällen zur Umverteilung von Einkommen innerhalb einer Generation (d.h.: Umverteilungspolitik der Ewiggestrigen; Anm. HB), sondern bei der Kapitaldeckung und bei Maßnahmen zur Anhebung der Geburtenraten (!!!) ... Die problematischen Folgen der demographischen krise beschränken sich nicht auf das Rentensystem. Auch die geistige und wirtschaftliche Dynamik deutschlands wird erlahmen. Nach einer Untersuchung von Guilford aus dem Jahre 1967 erreichen Wissenschaftler im Durchschnitt aller Disziplinen im Alter von circa 35 Jahren ein Maximum ihrer Leistungskraft. (Vgl. F. E. Weinert, Wissen und Denken, 1997, S. 98; J. P. Guilford, The Nature of Human Intelligence, 1967; H. C. Lehmann, Alter und Leistung, 1953). Schon heute liegen die jüngsten geburtenstarken Jahrgänge in Deutschland ... deutlich über diesem Wert.“ (Ebd., S. 67).

„Manchmal wird vermutet, die altersbedingte Verringerung der Erwerbstätigkeit sei ein Vorteil für den Arbeitsmarkt, weil so die Arbeitslosenquote gesenkt werden könne. Diese Vermutung ist freilich irrig. Sie entspringt einer allzu primitiven mechanischen Sichtweise des Wirtschaftsgeschehens und übersieht, daß die Alterung nicht nur Arbeitnehmer, nehmer, sondern auch Arbeitgeber aus dem Arbeitsmarkt eliminiert. Zu beachten ist nämlich, daß neue Unternehmen, die neue Arbeitsplätze schaffen, von jungen Leuten gegründet werden. Das durchschnittliche Alter der Unternehmensgründer liegt in Deutschland bei 34 bis 35 Jahren, es fällt also mit dem Alter der maximalen wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit zusammen. (Vgl. J. Brüderl / P. Preisendörfer / R. Ziegler, Der Erfolg neugegründeter Betriebe, 1996). Da die am dichtesten besetzten Altersklassen älter als 35 Jahre sind, ist als Ergebnis einer weiteren Alterung der deutschen Bevölkerung nicht eine Verminderung der Arbeitslosigkeit, sondern ganz im Gegenteil ein Verschärfung des ohnehin schon bestehenden Mangels an Unternehmern und Arbeitsplätzen zu befürchten. Daß ein Land von Greisen eine geringere Arbeitslosigkeit als ein Land von jungen, arbeitsfähigen Menschen aufweisen würde, ist eine absurde und naive Vorstellung. Die Alterung der deutschen Bevölkerung wird die Innovationskraft des Landes, von der seine internationale Wettbewerbsfähigkeit maßgeblich abhängt, weiter verringern. Deutschland hat im internationalen Vergleich immer noch eine sehr gute Position bei den Patentanmeldungen, doch ist das Wachstum der Zahl der Patentanmeldungen ... schon seit den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts ... hinter den USA zurückgeblieben (relativ [!], denn gemessen an der Einwohnerzahl liegt Deutschland auch heute immer noch vor den USA; Anm. HB), die in dieser Hinsicht eine besonders bemerkenswerte Entwicklung hatten. Während US-Amerikaner 1980 doppelt so viele Patente in ihrem Heimatland anmeldeten wie die Deutschen in dem ihren, sind es heute dreimal so viele (gemessen an der 3-bis-4-mal größeren Einwohnerzahl der USA liegt Deutschland also auch heute immer noch vor den USA; Anm. HB). Allerdings ist die Zahl der deutschen Patente angesichts der vergleichsweise geringen Größe Deutschlands immer noch hoch (höher als in den USA und weltweit am höchsten! Anm. HB). Die Investoren nehmen die demographischen Probleme vorweg und halten sich schon heute zurück. Auch die Aktienmärkte, die sehr stark von den langfristigen Gewinnerwartungen der Anleger geprägt sind, antizipieren die zu erwartende Entwicklung schon heute. Vielleicht sind der allgemeine Attentismus der Investoren und der im internationalen Vergleich starke Verfall der deutschen Aktienkurse bereits auf diesen Effekt zurückzuführen. Nur die Aktien von Altersheimen werden von dieser Entwicklung ausgenommen sein. Sie werden sich durch steigende Kurse nach obenhin vom allgemeinen Trend abheben, denn in den Altersheimen liegt die Zukunft des Landes. Deutschland verwandelt sich unter dem Einfluß der demographischen Probleme allmählich in eine Gerontokratie, in der die Alten das Sagen haben. Schon heute kann es keine Partei wagen, gegen die Interessen der Rentner zu agieren. Als die Riester-Reform durch den Bundestag gebracht wurde, wurde die SPD links von der CDU/CSU überholt und gezwungen, auf die Absenkung des rentenniveaus und der beiträge zu verzichten.
Dieser Trend wird sich in Zukunft verfestigen. Die Abbildung zeigt, wie sich die strategischen Mehrheiten in der wahlberechtigten deutschen Bevölkerung in den nächsten Jahrzehnten entwickeln werden. Die Kurve des Medianalters der Wähler gibt jenes Lebensalter an, das die Gruppe der nach dem Alter aufgelisteten Wahlberechtigten in zwei gleich große Gruppen aufspaltet. In der Demokratie kann keine Entscheidung gegen die Interessen des Medianwählers durchgeführt werden, weil sie keine Mehrheiten fände, und die Parteien werden ungeachtet ihrer ideologischen Vorprägung stets bestrebt sein, Programme zu entwickeln, die den Präferenzen des Medianwählers möglichst nahe kommen. Heute ist der deutsche Medianwähler 47 Jahre alt, doch in 20 Jahren wird er bereits 54 Jahre alt sein. Dies wird eine signifikante Veränderung der Politik erzwingen. Die als »Indifferenzalter« bezeichnete Kurve in der Abbildung bezieht sich auf eine parallele Renten- und Beitragskürzung, etwa von der Art, wie sie mit der Riester-Reform versucht und auch partiell vorgenommen wurde. Versicherungsmathematisch gesehen benachteiligt eine solche Reform die Rentner und die älteren Erwerbstätigen, die dem Rentenalter bereits nahe sind. Sie entlastet jedoch jüngere Versicherte, weil die Senkung der Beitragssätze für sie barwertmäßig einen größeren Vorteil bedeutet als die Kürzung ihrer eigenen Renten an Nachteilen hervorruft. Das Indifferenzalter ist jenes Lebensalter, in dem Vor- und Nachteile sich bezüglich der erwarteten Barwerte rechnerisch gerade aufheben. Liegt das Indifferenzalter über dem Wahlberechtigten-Medianalter, dann profitiert die Mehrheit der Wahlberechtigten von einer Reform à la Riester. Liegt es darunter, dann profitiert eine Mehrheit von einer weiteren Ausdehnung des umlagefinanzierten Rentensystems, also vom Gegenteil der Riester-Reform. Nach dem in der Abbildung dargestellten Ergebnis ist eine strategische Mehrheit für Rentenreformen vom Riester-Typ nur noch bis etwa 2015 gesichert. Danach sind solche Reformen kaum noch durchsetzbar. Dann kippt das politische System Deutschlands um. Die demographische Krise Deutschlands ist das Ergebnis eines allgemeinen Wandels in den Einstellungen der Menschen zur Ehe, zu Kindem, zur Rolle der Frau und zu anderen Aspekten des Lebens, die ebenfalls Rückwirkungen auf die Kinderzahl haben. Der Wandel dieser Einstellungen ist freilich nicht gottgegeben und auch nicht nur auf die Zufälligkeiten kulturgeschichtlicher Entwicklungen zurückzuführen, sondem hat großenteils handfeste ökonomische Ursachen.“ (Ebd., S. 67-70).

„Wie stark die Fertiltiätsentscheidung von ökonomischen Anreizen bestimmt wird, zeigt ein Blick auf die Geburtenentwicklung in der DDR nach der Einführung eines umfassenden Programms zur Erhöhung der Fertilitätsrate im Jahr 1972, das von einer Stärkung der Rechte der Mütter am Arbeitsplatz über ein breites Angebot an Betreuungseinrichtungen für Kinder ab dem Krippenalter und einer Erhöhung der finanziellen Beihilfen für junge Familien bis zur verbesserten Wohnraumversorgung für Familien mit Kindern reichte. (Vgl. H. Lampert, Priorität für die Familie - Plädoyer für eine nationale Familienpolitik, 1976, S. 200-206). Dieses Programm hatte eine durchschlagende Wirkung. Während die Fertilitätsentwicklung in West- und Ostdeutschland bis etwa 1972 sehr ähnlich verlief, zeigt sich für die DDR nach dem Beginn des Programms ein sehr deutlicher Anstieg der Geburtenrate (sie erreichte sogar fast wieder das Bestandserhaltungsniveau von 2,1 Geburten pro Frau! Anm. HB). .... Es ist übrigens bemerkenswert, daß ... die Geburtenrate ... der neuen Bundesländer nach dem Beitritt zur Bundesrepublik zunächst sehr deutlich unter das bundesrepublikanische Niveau fiel. Das mag daran gelegen haben, daß der Regimewechsel bei den Betroffenen ein stärkeres Problembewußtsein geschaffen und insofern eine besonders starke Änderung des Reproduktionsverhaltens hervorgerufen hat.“ (Ebd., S. 70-72).

„Das Beispiel Frankreich: Es ist nicht einfach, die Unterschiede zwischen den Fördersystemen Frankreichs und Deutschlands zu objektivieren. Hervorzuheben ist jedoch neben der sehr viel besseren Versorgung mit Kindergärten und Kinderkrippen sowie der Ganztagsschule ganz allgemein der Umstand, daß in Frankreich ein anderes Grundverständnis bezüglich der Leistungsfähigkeit der Familien mit Kindern vorzuliegen scheint. Dieses Grundverständnis hat zum Beispiel dazu geführt, daß die Kinde einer Familie in das Splitting-System der Einkommensteuer (»quotient familial«) einbezogen werden, ähnlich wie es in Deutschland bei Ehepartnern (ohne Kinder natürlich! Anm. HB) der Fall ist. Die in der deutschen Politik vorherrschende (falsche !) Vorstellung ist, daß die steuerliche Leistungsfähigkeit von der Kinderzahl unabhängig sei und daß der Staat die Kindererziehung mit festen, für alle gleichen Geldbeträgen bezuschussen solle. In Frankreich herrscht stattdessen die (richtige!) Meinung vor, daß Kinder die steuerliche Leistungsfahigkeit einer Familie reduzieren und deshalb durch einen Abzug von Freibeträgen und eine Absenkung der Progression des Einkommensteuertarifs Berücksichtigung finden sollten. Dort argumentiert man, das deutsche System sei ungerecht (und ist es auch!), weil es Familien mit gleicher Leistungsfähigkeit unterschiedlich stark besteuere, und zwar umso mehr, je höher die Zahl der Kinder sei. Die Unterschiede hätten zur Folge, daß sich in Deutschland die fiskalischen Anreize, Kinder in die Welt zu setzen, bei den ärmeren Familien bis hin in den Bereich der Asozialität konzentrierten, während sie in Frankreich auch bei mittleren und höheren Einkommensschichten erheblich seien. Der französische Weg sei insofern vorzuziehen, als er dazu führe, daß Kinder insbesondere auch in den sozial intakten Familien der Mittelschicht auf die Welt kommen und großgezogen werden. Das führe zu einer besseren Ausbildung der Kinder und sorge beim Erbgang sozusagen automatisch, ohne staatliche Eingriffe, für eine gleichmäßigere Vermögensverteilung. Das französische Kinder-Splitting greift insbesondere beim dritten Kind mit voller Kraft, weil erst dieses Kind mit vollem Gewicht in den entsprechenden Steuerformeln berücksichtigt wird. (Das erste und zweite Kind werden jeweils mit dem halben Gewicht, das dritte mit dem ganzen Gewicht bei der Splitting-Formel berücksichtigt). Dies könnte einer der Gründe für den messbaren Erfolg der französischen Familienpolitik sein, denn viele Familien, die sich prinzipiell für Kinder entschieden haben, planen aus eigenem Antrieb bereits, zwei Kinder zu haben. Der finanzielle Anreiz für das dritte Kind führt zu einer signifikanten Verhaltensänderung und relativ starken Effekten auf die Geburtenziffern. Berechnungen des Ifo-Instituts zeigen, daß das erste Kind in Deutschland stärker als in Frankreich gefördert wird, daß aber in Frankreich das zweite und dritte Kind stärker gefördert werden. Die staatliche Entlastung durch das Kindergeld und durch Steuerersparnisse beim zweiten und dritten Kind ist%ual gesehen deutlich größer als in Deutschland. (Vgl. W. Meister / W. Ochel, Steuerliche Förderung von Familien im internationalen Vergleich, 2003). Ein französisches Ehepaar mit drei Kindern und einem Einkommensbezieher, der den Durchschnittslohn eines Industriearbeiters bekommt, hat ein um 9,1% höheres Familieneinkommen als eine Familie mit zwei Kindern und dem gleichen Bruttoeinkommen. Für Deutschland beträgt der entsprechende Einkommenszuwachs nur 6,5%. Erzielt auch der zweite Ehepartner ein Arbeitseinkommen in Höhe von einem Drittel des Durchschnitts, so beträgt der Zuwachs an Nettoeinkommen für das dritte Kind in Frankreich 7,5 % und in Deutschland 5,9%. Die Wirkung des Kinder-Splitting zeigt sich insbesondere auch daran, daß, falls das Arbeitseinkommen des zweiten Ehepartners zwei Drittel des Durchschnitts beträgt, die zusätzliche Entlastung in Frankreich 7,7%, in Deutschland dagegen nur noch 4,8% ausmacht. Gerade auch dann, wenn die Ehefrauen berufstätig sind, werden die Familien in Frankreich viel stärker entlastet, wenn sie sich für das dritte Kind entscheiden, als das in Deutschland der Fall ist. Noch deutlich größer sind die Förderunterschiede bei Familien, die über überdurchschnittliche Einkommen verfügen. Im Vergleich zu Frankreich und anderen Ländern steht Deutschland auch bei den Sachleistungen zurück.
Kindergärten und Vorschulen
Die Abbildung zeigt einen internationalen Vergleich der Versorgung mit Kindergärten und Vorschuleinrichtungen. Frankreich steht unter anderem wegen seiner »ecole maternelle«, einer von praktisch allen Kindern besuchten Vorschule, ganz oben auf der Rangskala. Deutschland, das den Kindergarten erfunden und als eine institution mitsamt ihren Namen in alle Welt exportiert hat, liegt im Mittelfeld .... Ähnlich ist die Situation bei den Ganztagsschulen. Es gibt kaum noch Länder mit Halbtagsschulen, wie sie in Deutschland üblich sind. Die Ganztagsschule ist in den meisten OECD-Ländern die Regel. Wegen der fehlenden Ganztagsschulen werden in Deutschland junge Frauen vor die schwierige Entscheidung gestellt, entweder den Beruf auszuüben oder Kinder großzuziehen. Der Übergang zu Ganztagsschulen würde diesen Konflikt deutlich entschärfen, den Einkommensverzicht, der mit der Kindererziehung verbunden ist, verringern und die Geburtenraten erhöhen. Die Wirkung von Kindergärten und Ganztagsschulen auf die Kinderhäufigkeit resultiert aus dem Umstand, daß ohne diese Einrichtungen die Frauen gezwungen sind, ihre Berufstätigkeit stark zurückzunehmen, und vor die Alternative Karriere oder Kinder gestellt werden, wobei die Entscheidung zunehmend zugunsten der Karriere ausfällt. Das Fehelen von Kindergärten und Ganztagsschulen bedeutet einen erheblichen Einkommensverzicht der Frauen, wenn sie sich für Kinder entscheiden. Dieser Einkommensverzicht stellt vermutlich den größten Teil der Kosten der Kindererziehung dar und dürfte die internationalen Unterschiede in den Fertilitätsraten weitgehend erklären. Dies gilt umso mehr, als die Loheinkommen der Frauen relativ zu den Lohneinkommen der Männer ... erheblich gestiegen sind. Die Gehälter vollzeitbeschäftigter weiblicher Angestellter, die noch im Jahre 1960 bei 55% der Gehälter ihrer männlichen Kollegen lagen, sind inzwischen auf über 70% angestiegen. Höhere Löhne für die Frauen bedeuten höhere Opportunitätskosten für die Kindererziehung, und insofern kann in ihnen ein Grund für die im Zeitlauf sinkenden Geburtenraten gesehen werden. Wie wichtig dieser Effekt für sich genommen ist, ist aber umstritten. Immerhin ist bemerkenswert, daß die Geburtenarten in Frankreich höher als in Deutschland sind, obwohl dort die Relation von Frauen- und Männerlöhnen höher als in Deutschland zu sein scheint. Eher ist zu vermuten, daß die gestiegenen Einkommen der Frauen indirekt wirken, indem sie den Effekt fehlender Kindergärten und Ganztagsschulen verstärken. Je höher die Lohneinkommen der Frauen sind, desto größer ist der Anreiz, beim Fehlen solcher Einrichtungen auf Kinder zu verzichten.“ (Ebd., S. 72-75).

„Auch die Rentenversicherung gehört zu den Ursachen (!): Unter den ökonomischen Ursachen der Kinderlosigkeit ... ist die Rentenversicherung besonders hervorzuheben. Die Rentenversicherung leidet nicht nur unter den Folgen der demographischen Krise, sondern hat diese Folgen selbst mit hervorgebracht. Die Rentenversicherung nach dem Umlageverfahren ist eine Versicherung gegen Kinderlosigkeit und die daraus entstehende Altersarmut.* Auch wenn man selbst keine Kinder haben kann, muß man im Alter nicht darben, weil man von den Kindern anderer Leute ernährt wird. Der gegenseitige Versicherungsschutz ist ein großer Vorteil für alle Beteiligten. Problematisch ist aber, daß diese Versicherung gegen Kinderlosigkeit die ökonomischen Gründe für den Kinderwunsch aus der Familienplanung ausblendet, indem sie die Leistungen der Kinder an die vorangehende Generation fast vollständig sozialisiert. Nicht nur in den Entwicklungsländern haben Menschen Kinder, um sich vor Altersarmut zu schützen. Vor der Einführung der Rentenversicherung durch Bismarck war es auch in Deutschland üblich, Kinder zu bekommen, um den eigenen Alterskonsum sicherzustellen. Dieses Motiv entfällt heute in Deutschland. Auf eigene Kinder kommt es bei der Versorgung im Alter nicht mehr an. Es reicht, wenn andere Leute Kinder in die Welt setzen, die später die Rente zahlen. Ob man selbst Kinder hat oder nicht, die eigene materielle Versorgung im Alter wird davon kaum berührt, und deshalb ist eines der wichtigsten Motive für den Kinderwunsch erloschen. Kaum ein junges Paar verbindet den Kinderwunsch heute mehr mit der Frage, wie der eigene Lebensabend zu sichern ist. Der fehlende Zusammenhang zwischen Kinderwunsch und Rententhema in den Köpfen der Menschen zeigt in aller Deutlichkeit, auf welch dramatische Weise das staatliche Rentensystem auf die gesellschaftlichen Normen Einfluß genommen hat. Es ist kein Zufall, daß Deutschland, welches als erstes Land eine umfassende staatliche Rentenversicherung eingeführt hat, heute zu den Ländern mit der niedrigsten Geburtenrate gehört. Generationen von Deutschen haben seit 1889 die Erfahrung gemacht, daß man auch ohne eigene Kinder im Alter zurechtkommt, und so haben sich auf dem Wege der Nachahmung von Generation zu Generation neue Lebensmuster verbreitet, die an die neuen institutionellen Verhältnisse angepaßt sind. Das Single-Dasein ist zu einem attraktiven Lebensmuster geworden, und die Zahl der jungen Paare, die zumindest vorläufig keine Kinder haben wollen und auch die Heirat noch nicht einplanen, hat dramatisch zugenommen. Früher erwuchs aus der Kinderlosigkeit eine Bedrohung für das eigene Leben, die es unter allen Umständen zu vermeiden galt. Heute entsteht aus der Kinderlosigkeit ein massiver materieller Vorteil, den immer mehr Menschen für sich reklamieren. Der neue Golf und der Urlaub auf den Malediven können mit dem Geld finanziert werden, das bei der Kindererziehung eingespart wurde oder das die Frau hinzuverdienen konnte, weil sie sich statt für Kinder für eine Berufstätigkeit entschied. Gerade auch die untere Mittelschicht der Gesellschaft, die früher hohe Geburtenraten aufwies, hat in der Kinderlosigkeit einen Weg entdeckt, den materiellen Aufstieg zu schaffen. Die Bedrohung, die aus der Kinderlosigkeit erwächst, ist zwar auch heute noch vorhanden, aber sie verlagert sich diffus auf das gesamte Gemeinwesen. Deutschland vergreist, die Dynamik des Landes läßt nach, der Sozialstaat gerät in die Krise, und dennoch hat der Einzelne kaum etwas davon, wenn er seinen Beitrag zur Verhinderung dieser Entwicklung leistet. Der Zusammenhang zwischen Kinderlosigkeit und Rentenversicherung ist unter dem Stichwort »Social Security Hypothesis« in der Literatur ausgiebig diskutiert und dokumentiert worden. So haben Ehrlich und Chong sowie Ehrlich und Kim (1998 und 2001) in Studien, die 57 Länder umfassten, nachweisen können, daß die Einführung und der Ausbau umlagefinanzierter Rentensysteme im Zeitraum von 1960 bis 1992 einen signifikanten negativen Einfluß auf Familienbildung und Geburtenziffer haben. Ähnliche Resultate* finden Cigno und Rosati (1996; 1997), wobei sie in einer neueren Studie aus dem Jahr 2000 speziell auch für Deutschland zu eindeutigen, die Hypothese bestätigenden Resultaten kommen. (Vgl. Cigno, Casolaro und Rosati 2000). Wie groß die fiskalischen Fehlanreize, die über das Rentenversicherungssystem laufen, wirklich sind, läßt sich sehr deutlich ermessen, wenn man einmal fragt, welchen fiskalischen Beitrag ein neugeborenes Kind, das eine durchschnittliche Erwerbsbiographie durchläuft und selbst wieder für eigene Nachkommen sorgt, für andere Mitglieder des Rentensystems leistet. Das Kind wird erwachsen, zahlt dann bis zum eigenen Rentenalter Beiträge und bezieht anschließend eine Rente, die freilich auf dem Wege der Beitragszahlung von den eigenen Nachkommen aufgebracht wird. Wie vom Autor in einer früheren Studie ausgeführt wurde, lag der Barwert des fiskalischen Beitrags eines neugeborenen Kindes für das Rentensystem im Jahr 1997 bei knapp 90000 Euro, und selbst wenn man die staatliche Hilfen für die Kindererziehung einschließlich der freien Schulausbildung abzieht, kam man in diesem Jahr immer noch auf einen Betrag von etwa 35000 Euro.* Dabei handelt es sich um eine äußerst vorsichtige Schätzung, die die wahren Verhältnisse insofern untertreibt, als von einer Konstanz des Beitragssatzes zur Rentenversicherung ausgegangen wird. Der Barwert von 90000 Euro ist eine positive fiskalische Externalität, die Eltern, die sich für ein Kind entscheiden, für andere Gruppen der Gesellschaft außerhalb ihrer eigenen Nachkommenschaft ausüben. Er ist einer Kindersteuer gleichzusetzen, die der Staat den Eltern bei der Geburt ihres Kindes auferlegt, jedoch verbunden mit dem Verlangen einer marktüblichen Verzinsung stundet, bis das Kind erwachsen ist. Würde der Staat die Wirkung dieser Steuer durch eine entsprechende Transferleistung von 90000 Euro zum Zeitpunkt der Geburt eines Kindes kompensieren, so würden, das wird jedermann auch ohne die entsprechenden ökonometrischen Untersuchungen einleuchten, sicherlich sehr viel mehr Kinder geboren.“ (Ebd., S. 76-78).

*) „Hinsichtlich der Effekte umlagefinanzierter Renten für die private Ersparnis kommen die Studien allerdings zu unterschiedlichen Resultaten: Während I. Ehrlich und J.-G. Chong sowie I. Ehrlich und J. Kim (1998, 2001) einen negativen Zusammenhang finden, ergibt sich bei A. Cigno und F. C. Rosati (1996, 1997) - bei etwas anderer Spezifikation der relevanten Variablen - ein positiver Zusammenhang.“ (Ebd.).

*) „Unterstellt wurde: Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung im Alter von 20 Jahren; Entwicklung des jährlichen Arbeitseinkommens über die Erwerbsphase hinweg nach einem durchschnittlichen Lohnprofil, das auf Mikrodatenbasis hergeleitet wurde; Berücksichtigung der durchschnittlichen Wahrscheinlichkeit vorzeitiger Invalidität ab dem 54. Lebensjahr, definitives Ausscheiden aus dem Berufsleben mit 65 Jahren; das durchschnittliche Lohneinkommen aller Versicherten wächst real um 1,5% pro Jahr, es wird ein Kapitalmarktzins von real 4% und ein Beitragssatz zur Sozialversicherung von 20% unterstellt.“ (Ebd.).

„Was sind die Politikimplikationen aus diesen Erkenntnissen?  Man kann die staatlichen Politikmaßnahmen, die als Reaktion auf die demographische Krise diskutiert werden, in passive und aktive Politikmaßnahmen unterteilen. Passive Maßnahmen versuchen, die Konsequenzen der Krise für die staatliche Rentenversicherung und den Arbeitsmarkt aufzufangen. Aktive Maßnahmen zielen auf die Erhöhung der Geburtenraten ab.“ (Ebd., S. 78).

„Zu den passiven Maßnahmen gehört die Erhöhung der Altersgrenze für das Rentenalter. Statt der Frühverrentung und der Altersteilzeit, die skrupellose Politiker sich ausgedacht haben, um temporär die Arbeitsmarktstatistiken zu schönen und die nächsten Wahlen überstehen zu können, müssen die Deutschen länger arbeiten, um den fehlenden Nachwuchs an jungen Menschen zu kompensieren.“ (Ebd., S. 78).

„Einwanderung (zu teuer!): .... Man darf nicht übersehen, daß die Einwanderer ... dem Staat ... zur Last fallen. Einwanderer profitieren von der Umverteilung zugunsten ärmerer Beitragszahler in der Krankenversicherung und von staatlichen Leristungen wie der Sozialhilfe, dem Arbeitslosengeld und der Arbeitslosenhilfe, die sie überdurchschnittlich in Anspruch zu nehmen pflegen. Außerdem steht ihnen, und das ist ein ganz erheblicher Effekt, die breite Palette unentgeltlich angebotener, aber kostenträchtiger staatlicher Leistungen zur Verfügung, die von der Benutzung von Straßen, Brücken, Parks und anderen Elementen der öffentlichen Infrastruktur bis hin zum Schutz des Rechtsstaates durch seine Richter und Polizisten u.v.m reichen. Dafür zahlen sie zwar Steuern, doch reichen diese nicht aus, die verursachten fiskalischen Kosten zu tragen. Zuwanderer haben ein unterdurchschnittliches Einkommen und gehören deshalb zu denjenigen Bevölkerungsgruppen, die im Sozialstaat deutscher Prägung mehr Ressourcen vom Staat erhalten, als sie an ihn in Form von Steuern und Beiträgen abgeben müssen. Nach Berechnungen, die das Ifo-Institut im Jahre 2001 auf der Basis des sozioökonomischen Panels für die bisher nach Deutschland Zugewanderten angestellt hat, lag die fiskalische Nettolast, die Zuwanderer für den Staat verursachen, pro Kopf und Jahr im Durchschnitt der ersten zehn Jahre bei 2300 Euro. Dabei sind auch die Vorteile für die Rentenversicherung barwertmäßig bereits berücksichtigt worden. So gesehen verändert sich das Bild, das ein alleiniger Blick auf die Rentenversicherung liefert, erheblich. .... Die Zuwanderung ist ... kein Beitrag zur Lösung, sondern ein Beitrag zur Vergrößerung der Probleme .... Daß die Zuwanderung keine Lösung des Rentenproblems bietet, wird auch klar, wenn man sich vor Augen führt, wie viele Menschen zuwandern müßten. ... Das sind astronomisch hohe Zahlen, die so natürlich niemals realisiert werden und auch keinesfalls als Empfehlungen interpretierbar sind. Gerade die Größe der Zahlen zeigt in aller Deutlichkeit, wie gering der Beitrag zur Lösung der demographischen Problems Deutschlands ist, den man von der Zuwanderung erwarten kann. Das Thema wird in der öffentlichen Diskussion total überschätzt, und es wird mißbraucht, um heute schon aus ganz anderen Gründen billige Arbeitskräfte ins Land zu holen. Dabei braucht der Arbeitsmark selbst ... keine Einwanderungen ..., leidet Deutschland unter einer Massenarbeitslosigkeit, also einem Mangel an Stellen, und nicht einem Mangel an Menschen.“ (Ebd., S. 79-82).

„Zu den sinnvollen passiven Reformen zur Milderung der Konsequenzen der demographischen Krise gehört die Umstellung der Rentenversicherung vom Umlagesystem auf ein Kapitaldeckungssystem. Jede Generation wird einmal alt, und dann kann sie nur leben, wenn sie in ihrer Jugend selbst vorgesorgt hat. Entweder muß sie Humankapital gebildet haben, indem sie Kinder in die Welt gesetzt und großgezogen hat. Oder sie muß gespart und somit direkt oder indirekt Realkapital gebildet haben, um vom Verzehr dieses Kapitals zu leben.“ (Ebd., S. 83).

„Freiwillig kommt die notwendige Ersparnis nicht zustande, wie die geringe Beteiligiungsquote bei der Riester-Rente von nicht einmal 10% im ersten Jahr nach der Einführung der Riester-Rente (2000) zeigt. Der Grund liegt nicht in der Unmündigkeit der Bürger, sondern in den Wechselwirkungen mit dem restlichen Sozialsystem. .... Deswegen muß das Riester-Sparen auch im Falle einer kindergerechten Ausgestaltung zur Pflicht gemacht werden, und so war es von Seiten der Wissenschaft ja auch empfohlen worden.“ (Ebd., S. 82).

„Statt nur passiv auf die abnehmenden Genurtenraten zu reagieren und die Konsequenzen für die Sozialsysteme anderweitig abzufedern, kann man versuchen, den Ursachen des Bevölkerungsschwunds entgegenzuwirken, also eine aktive Bevölkerungspolitik zu betreiben. Dies ist seit dem Mißbrauch der Bevölkerungspolitik in der Nazi-Zeit ein heikles Thema. Aber man kann es nicht weiter tabuisieren und die zu erwartenden Probleme sehenden Auges auf sich zu kommen lassen. Es ist Zeit, daß Deutschland sein Tabu überwindet.“ (Ebd., S. 84).

„Heute greift der Staat auf dem Wege über das Rentensystem ganz massiv in die Familienplanung ein, indem er die Beiträge der Kinder zur Rentenversicherung sozialisiert und so die natürlichen ökonomischen Motive für den Kinderwunsch aus den Köpfen der Menschen vertreibt.“ (Ebd., S. 84).

„Auf den ersten Blick spricht vieles dafür, den Kinderwunsch dadurch zu stärken, daß den jungen Familien in Zukunft mehr geholfen wird, als es in der Vergangenheit der Fall war. So ist daran zu denken, die Zahl der Kindergärten pro Kind im entsprechenden Alter wieder auf das internationale Niveau zu erhöhen, das Ehegatten-Splitting um ein Kinder-Splitting nach französischem Muster zu erweitern (besser noch: ersetzen! Anm. HB) oder den so genannten Familienlastenausgleich durch pekuniäre Ausgleichszahlungen wie zum Beispiel das von der CDU/CSU vorgeschlagene Familiengeld zu erweitern. Das alles sind sinnvolle ... Maßnahmen, bei der die Nachwuchsplanung die gewünschten Wirkungen entfalten werden.“ (Ebd., S. 83).

„Statt eine ganze Generation kollektiv in die Verantwortung zu nehmen, solten die notwendige Rentenverkürzungen und das kompensierende Riester-Sparen auf die Kinderlosen konzentriert werden. Wer keine Kinder in die Welt setzt und großzieht, dem kann eine erhebliche Rentenkürzung zugemutet werden.“ (Ebd., S. 85).

„Die Betroffenen müssen angehalten werden, in dem Maße eine Riester-Rente anzusparen, wie ihnen die umlagefinanzierte Rente gekürzt wird. .... Die Staffelung von Umlagerente und Riester-Rente nach der Kinderzahl wird zu der wünschenswerten Änderung der Familienplanung führen. .... Es geht nicht darum, den Staat bei der Familienplanung mitreden zu lassen, sondern ... ihn wieder ... aus der Familienplanung herauszunehmen. .... Die Einführung einer von der Kinderzahl abhängigen Rente ist nicht nur geeignet, die Staatsintervention in die Familienplanung zurückzunehmen und die natürlichen Motive für den Kinderwunsch wieder stärker zur Geltung kommen zu lassen. Sie ist zudem auch gerecht, denn sie folgt dem Verursacherprinzip und dem Leistungsfähigkeitsprinzip. Wer keine Kinder hat und insofern zu wenig tut, um seine eigene Rente im Umlagesystem zu sichern, muß die Konsequenzen tragen und selbst auf dem Wege der Ersparnis für Ersatz sorgen. Und wer keine Kinder hat, kann sparen, weil er keine Ausgaben für die Kindererziehung leisten muß. Er ist vergleichsweise liquide und kann die bei der Kindererziehung eingesparten Geldmittel am Kapitalmarkt anlegen, um auf diese Weise seine gekürzte Umlagerente zu ergänzen. .... Man darf nicht vergessen, daß es im Generationenzusammenhang zu den normalen Pflichten einer jeden Generation gehört, zwei Leistungen zu erbringen: In der leistungsfähigen Lebensphase muß man seine Eltern und seine Kinder ernähren. Die erste dieser beiden Leistungen wird in Form der Rentenbeiträge erbracht, die ja in vollem Umfang an die heutigen Rentner fließen. Doch die zweite Leistung wird von vielen Menschen nicht erbracht, weil sie sich gegen Kinder entscheiden. So gesehen ist es sehr wohl gerecht, nun auch diesen Menschen eine zweite Leistung in Form des Riester-Sparens abzuverlangen. Dadurch sichern sie sich die Rente, deren Vollfinanzierung man den wenigen zukünftigen Beitragszahlern nicht mehr zumuten kann, und es wird möglich, den Eltern einen größeren Teil der von ihren eigenen Kindern gezahlten Rentenbeiträge zu belassen. Menschen, die mehrere Kinder großziehen, an der Riester-Rente zu beteiligen, hieße indes, ihnen eine dreifache Last aufzuerlegen. Als Beitragszahler ernähren sie die jetzt Alten, als Eltern, finanzieren sie über die Kosten der Kindererziehung die Renten aller zukünftiger Rentenbezieher, und als Riester-Sparer müßten sie zusätzlih ihre eigene Rente finanzieren.“ (Ebd., S. 85-87).

„Ein pragmatischer Umgang mit dem Thema Familienplanung und Fertilität ist dringend geboten, um den Schaden der aus einer Vergreisung des Landes zu entstehen droht, zu begrenzen. Dazu muß auch der Staat umsteuern, denn er ist es, der durch seine sozialen Sicherungssystme, die das Schicksal des Einzelnen von den Konsequenzen seiner Fertilitätsentscheidungen abgetrennt haben, ganz maßgeblich zur Änderung des gesellschaftlichen Wertes der Familie und zur Kinderlosigkeit ... beigetragen hat. Richtig ist es, wenn der Staat sich stärker an den Kosten der Kindererziehung beteiligt und die Kinder auch steuerlich stärker berücksichtigt. Die verstärkte Bereitstellung von Kindergärten, der Übergang zu Ganztagsschulen und das Kinder-Splitting nach französischem Muster sind Maßnahmen, die sich aufdrängen und den gewünschten Erfolg haben werden. .... Vieles spricht dafür, daß sich der Staat zurücknimmt, indem er das Ausmaß der Sozialisierung der Rentenbeiträge, die Kinder an die Generation ihrer Eltern zahlen, reduziert. ... Wer keine Kinder hat, kann das bei der Kindererziehung eingesparte Geld am Kapitalmarkt anlegen, um sich so die Rente zu sichern, deren Zahlung er den Kindern anderer Leute in voller Höhe nicht mehr zumuten kann. Das muß die Devise für eine neue Rentenreform sein, bei der die Rente allgemein gekürzt und durch einen kinderbedingten Rentenanspruch ... ergänzt (besser noch: ersetzt! Anm. HB) wird.“ (Ebd., S. 87-88).

„Die Reformen verlangen mehr Mut von den Politikern und den Vertretern der Rentenversicherungssysteme, als heute erkennbar ist. .... Die Politiker und Verbandsverterter, die sich sperren, das Thema weiter tabuisieren oder es mit kleinmütigen juristischen Argumenten beseite schieben, machen sich schuldig an der Zukunft des Deutschen Volkes.“ (Ebd., S. 88).

Die Bedeutung der Humanvermögensbildung in der Familie für die Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft (Gary S. Becker)

„Die Familie ist eine der ältesten Institutionen, die wir kennen. .... Sie ist m.E. immer noch die bedeutendste Institution in der Gesellschaft - trotz aller Veränderungen, die ihr widerfahren sind. Sie zieht die Kinder auf, sie investiert in deren Bildung und deren Wertorientierungen - das, was wir Humankapital nennen (im Angelsächsischen wird das Humankapital nicht wie bei uns vom Humanvermögen unterschieden - das ist typisch für das Angelsächsische und eindeutig ein Nachteil! Anm. HB Mehr). Und natürlich: sie stellt die Ernährung und Kleidung der Heranwachsenden sicher, hilft in Notfällen aus und kümmert sich um die Alten, wenn es nötig ist.“ (Ebd., S. 89).

„Die Geburtenhäufigkeit begann seit dem frühen 19. Jahrhundert in Frankreich, den USA und einigen anderen Ländern zu sinken. Dieser Rückgang beschleunigte sich während des 20. Jahrhunderts und speziell während dessen zweiter Hälfte. Die Hälfte der Weltbevölkerung hat heute Geburtenraten, die nicht für den Bevölkerungserhalt ausreichen.“ (Ebd., S. 89).

„Die heutige Wirtschaft profitiert ... davon, daß die Familien ... hervorragend ausgebildete und beruflich bestens vorbereitete Kinder haben. Die heutige Wirtschaft wird immer mehr zu einer Wissensökonomie. Familien halten es für besser, weniger Kinder zu haben und viel Zeit und Geld in deren Erziehung und Ausbildung zu investieren, als viele schlecht erzogene und ausgebildete Kinder zu haben. Diese Abkehr von einer großen Zahl von Kindern hin zu weniger Kindern mit stärkerer qualitativer Förderung, die also besser erzogen sind und damit ein größeres Humankapital verkörpern, hatte einen großen Einfluß auf die Entwicklung hin zu niedrigen Geburtenraten.“ (Ebd., S. 94-95).

„Die Kinderkosten werden heute weniger durch die Versorgungskosten der Kinder bestimmt als durch die Zeitkosten der Eltern, weil beide Partner einen Teil ihrer Zeit einer bezahlten Erwerbsarbeit widmen wollen. Vor allem angesichts der gestiegenen Zeitkosten des Kinderhabens reagierten Eltern darauf, indem sie weniger Kinder bekamen.“ (Ebd., S. 95).

„Ich möchte noch etwas zu den Investitionen der Familie in das Humankapital ihrer Kinder hinzufügen, also zur Erziehung, zur Ausbildung, zur Informationsvermittlung, zur gesunden Lebensweise und zu den Wertorientierungen der Kinder. All das sind Aspekte des Humankapitals, und das ist etwas, worauf Eltern einen enormen Einfluß haben. Familien spielen eine bedeutsame Rolle bei den Investitionen in das Humankapital. Das ist deswegen so wichtig, weil die heutige Wirtschaft, in der wir leben, fundamental wissensabhängig ist. Sie ist eine Wissensökonomie. Die Produktivität der modernen Wirtschaft hängt von deren Fähigkeit ab, das vorhandene Wissen und die Informationsverarbeitungskapazität der Menschen erfolgreich im Produktivitätsprozeß zu nutzen. Es geht nicht mehr um Körperkraft. Sie ist heute unwichtig. Viele von uns - mit einigen Ausnahmen - würden sich schlecht anstellen, wenn die Wirtschaft immer noch auf Körperkraft aufbauen würde. Sie gründet heute auf Wissen.“ (Ebd., S. 95).

„Eltern und Familien sind wichtige Träger von Investitionen in den Wissenserwerb. Zweifellos sind Schulen wichtig. Ggegenwärtig gibt es sowohl in Deutschland als auch in den USA eine große Diskussion über die Qualität von Schulen. Aber wir sollten nicht die Tatsache aus dem Blick verlieren, daß die Familien immer noch ganz entscheidend zu den Investitionen in Wissen und den Erwerb von Fähigkeiten beitragen. Schulen ergänzen dies. Aber Schulen haben die Familie nicht ersetzt, und dies sollte m.E. auch nicht das Ziel sein.“ (Ebd., S. 95).

„Die Wirtschaft in Europa und den USA begann sich ... mit der industriellen Revolution zu modernisieren. Die industrielle Revolution war im Kern eine Revolution, in der wissenschaftliche Erkenntnisse in der Wirtschaft angewendet wurden. Es ging primär um die Anwendung von Erkenntnissen der Ingenieurswissenschaften und der Chemie, bei der Deutschland in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts führend war. (Deutschland war in allen Bereichen Weltmeister! Deutschland hatte pro Jahr mehr Nobelpreisträger als der Rest der Welt zusammen ! Die wissenschaftliche Literatur der Welt erschien zu über 80% in deutscher Sprache! Anm. HB WissenschaftDeutschland). Es war die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Wirtschaft, die zu einem massiven Anstieg der Produktivität führte. Gleichzeitig machte die Verwissenschaftlichung der Produktion es erforderlich, daß die Menschen über das Wissen und die Ausbildung verfügten, um mit den neuen Produktionsmethoden in effektiver Weise umgehen zu können. Und das ist auch der Grund dafür, warum ... die in der Ausbildung erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten immer wichtiger für die Produktivität der Arbeitskräfte, für ihren Arbeitsplatz und ihr Einkommen wurden.“ (Ebd., S. 95-96).

„Ich bezeichne unsere Zeit als Zeitalter des Humankapitals. Für dieses gilt, daß das Humankapital zur zentralen Determinante von Wohlstand und Reichtum geworden ist.“ (Ebd., S. 96).

„Erziehung und Ausbildung sind das effektivste Mittel für fähige junge Menschen aus sozial schwachen Schichten, um in der wirtschaftlichen Hierarchie aufzusteigen. Denn Erziehung und Ausbildung - und ich meine damit alle Formen der Ausbildung - bilden die Hauptform des Kapitals in einer modernen Wirtschaft. Entsprechend ist die Frage der Einkommensungleichheit in weitem Maße eine Frage, wie man für eine Gleichheit der Startbedingungen beim Zugang zu Investitionen in das Humankapital sorgt.“ (Ebd., S. 96).

„Erbschaften spielen natürlich eine Rolle bei der Entstehung von Ungleichheiten, aber eine geringere als oft angenommen wird. Viel wichtiger als Quelle der Ungleichheit des Einkommens in einer modernen Wirtschaft ist die Ungleichheit in der Art der Erziehung, Fürsorge und Betreuung, die Kinder von ihren Eltern in den Familienhaushalten erfahren. Denn diese wirkt sich auf die Art der Ausbildung aus, die die Kinder während der Schulzeit erhalten. Die Schule baut auf dem auf, was von der Familie geleistet worden ist. Kommt man aus einer Familie, die ihre Kinder schlecht für das weitere Leben vorbereitet hat, so fallen sie mit der Zeit immer weiter hinter die anderen zurück, die von ihrer Familie mit viel besseren Voraussetzungen versehen worden sind. Das ist das zentrale Problem, das die Gesellschaft m.E. angehen muß, um die strukturellen Nachteile bestimmter Familien zu überwinden.“ (Ebd., S. 96-97).

„Wo sollte der Staat ansetzen, wenn er eine Verbesserung des Bildungsstandes erreichen und die Nachteile, denen ein Teil der Familien ausgesetzt ist, überwinden will?  Je nachdem, ob es sich um ein armes oder ein wohlhabendes Land handelt, wird man unterschiedliche Maßnahmen ergreifen.“ (Ebd., S. 97).

„Wenn die Kinder 10 oder 15 Jahre alt sind, ist es oft zu spät, hier noch gegensteuern zu können. Das haben Untersuchungen eindeutig gezeigt. man muß also sehr viel früher beginnen.“ (Ebd., S. 98).

„Bei einer Vielzahl von Gelegenheiten habe ich angemahnt, unsere Volkseinkommensstatistik, die große Mängel aufweist, zu verändern. So werden Ausgaben für Erziehung und Ausbildung in Familie und Schule nicht als Investitionsausgaben verbucht. Wenn man also wissen will, wie hoch die Investitionen in Deutschland sind, dann erhält man Angaben über die Ausgaben für maschinelle Ausrüstungen, Produktionsgebäude und Infrastruktureinrichtungen. Aber was ist z.B. mit den Personalausgaben im schulischen Bereich?  Wir leben in modernen Volkswirtschaften. Der größte Teil der Investitionen in den heutigen Industrieländern fließt nach meinen Berechnungen in das Humankapital, nicht in das materielle Produktivkapital. Maschinen und Produktionsgebäude sind wichtig, aber nicht so wichtig wie Humankapital. Aber unsere Berechnungen in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) werden diesem Bedeutungswandel nicht gerecht. Dies ist eine Unzulänglichkeit, deren Korrektur ich für nötig halte. Und es stimmt nicht, daß dies nicht machbar wäre.“ (Ebd., S. 99).

„Ein weiteres Defizit der VGR betrifft die Arbeitszeit von Frauen im privaten Haushalt. Wir können sie berechnen. Wirtschaftsforscher haben Schätzungen über den monetären Beitrag der Hausfrauenarbeit in einer richtig berechneten Volkseinkommensziffer vorgenommen. Wenn die Zeit, die Mütter für die Erziehung und Versorgung ihrer Kinder aufwenden, mit einem monetären Wert belegt wird, dann hat man einen wichtigen Teil der volkswirtschaftlichen Investitionen berechnet. Es geht hier also um einen Zeitaufwand, der investiven Charakter hat. Sicherlich sind derartige Schätzungen schwieriger als die Berechnungen der Investitionen in die schulische Ausbildung. Aber man kann hier vorankommen. Es gibt genügend Untersuchungen für eine Vielzahl von Industrie- und Entwicklungsländern. Die UnItersuchungen legen nahe, daß ein adäquat berechnetes Volkseinkommen um ca. 15 bis 25% höher liegen würde, wenn man die Zeit von Hausfrauen und Müttern, die auf die Erziehungs-, Haus- und Familienarbeit entfällt, angemessen bewerten würde.“ (Ebd., S. 99).

„Aber, was würde das bringen?  Für sich genommen ist es nur eine Berechnung. Aber darüber hinaus wäre es eine Anerkennung, eine überfällige Anerkennung der Tatsache, daß Frauen, die sich primär um die Versorgung und Erziehung der Kinder kümmern, nicht nur einer Arbeit nachgehen, sondern daß sie erheblich zum Humankapital der Gesellschaft beitragen. Das ist etwas, was wir anerkennen, wenn wir darüber auf wissenschaftlichen Kongressen reden. Aber bis heute bleibt der Wert der Hausfrauenarbeit in der Volkseinkommensstatistik unberücksichtigt. Ich plädiere dafür, daß man mit Versuchen zu dessen Einbeziehung in die VGR beginnen sollte. Das ist sicherlich kein einfaches Unterfangen. Ich kann mir aber nicht eine adäquate Berechnung zum Ziel nehmen, wenn man nicht damit anfängt.“ (Ebd., S. 99-100).

Für allgemeine, unkonditionierte stastliche Geldleistungen zur Förderung der Geburtenzahl: Eine allgemeine finanzielle Förderung von Familien durch den Staat ist in dem Maße gerechtfertigt, in dem sie mit der Kindererziehung einen Nutzen für die Gesellschaft erzeugen. .... Wenn man mit monetären Mitteln die Geburtenzahl fördern will, dann sollte man dies mit allgemeinen, unkonditionierten Förderungsmaßnahmen machen. Das mag sehr großzügig klingen (und nur so muß es auch gemeint sein; Anm. HB).“ (Ebd., S. 101).

„Eine weitere Implikation der niedrigen Geburtenraten in Industrieländern betrifft die Auswirkungen auf die Altersversorgung. Eines der großen Probleme, die Europa angehen muß, liegt m.E. nicht nur im vorherrschenden Umlageverfahren der Rentenversicherung, obwohl ich ein kapitalbasiertes System favorisiere. Ich denke, das große Problem in Europa liegt im niedrigen Durchschnittsalter von 58 Jahren bei der Verrentung. Das scheint mir sehr seltsam zu sein in einer Welt, in der es den Menschen physisch und mental immer besser im Vergleich zu früher geht. Wir sind geistig gesünder und wir sind körperlich gesünder. Viele Leute, die Mitte 50 sind, würden gerne weiterarbeiten. Ich bin selbst ein gutes Beispiel dafür. Aber viele Systeme der sozialen Sicherheit sind so strukturiert, daß es viel attraktiver ist, sich frühzeitig verrenten zu lassen als noch weiter zu arbeiten. Durch diesen Trend zur Frühverrentung vernichtet jede Gesellschaft einen Großteil ihres Humankapitals, und zwar von Menschen mit großer Erfahrung und Begabung. Immer wieder hört man, daß man für wirtschaftliche Innovationen jüngere Leute braucht. Das ist bis zu einem bestimmten Ausmaß richtig. Aber ältere Menschen verkörpern einen großen Erfahrungsreichtum und vielfaltiges Wissen, was in mehrfacher Hinsicht wichtiger ist als die Fähigkeiten oder die Flexibilität von jüngeren Menschen. Eine gesunde Wirtschaft ist nicht eine Wirtschaft, die sich ausschließlich auf junge Leute stützt. Eine gesunde Wirtschaft zeichnet sich durch eine Mischung älterer und jüngerer Arbeitskräfte aus. Wenn Arbeitskräfte heute mit 55 Jahren in Rente gehen und sie eine Lebenserwartung von 85, bald vielleicht von 90 Jahren haben, dann bedeutet das, daß sie ca. 35 Jahre im Ruhestand verbringen werden. Das ist auch in Ordnung, wenn jemand es so will. Aber man sollte das System der Altersversorgung nicht so strukturieren, daß man einen künstlichen Anreiz zur Frühverrentung schafft. Meines Erachtens ist das das Problem in vielen europäischen Ländern. Auch in den Vereinigten Staaten ist es ein Problem, wenn auch weniger gravierend. Wir sind dabei, das Ruhestandsalter auf 67 und 68 Jahre anzuheben. Wenn man in Zukunft das Alter von 68 Jahren erreicht haben wird, kann man, wenn man will, weiter arbeiten, so lange man will, und gleichzeitig die volle Rente beziehen. Derartige Reformen im System der Altersversorgung können die Belastungen durch eine anhaltend niedrige Geburtenrate vermindern. Gleichzeitig bliebe der Gesellschaft ein wichtiger Teil des Humankapitals erhalten. Letztlich stehen sich - das ist meine Meinung - alle durch solche Maßnahmen besser.“ (Ebd., S. 102).

Der verfassungsrechtliche Auftrag zu einer familiengerechten Wirtschafts- und Sozialordnung (Paul Kirchhof)

„Wenn wir uns die Zukunft einer humanen Gesellschaft erhoffen, wird uns bewußt, daß dieses Humanum nur in einer freiheitsfähigen Jugend liegen kann, die unsere hohen kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Standards aufnimmt und weiterentwickelt. Die Voraussetzungen für eine solche Zukunft ... sind allerdings nicht günstig. Wir haben zu wenig Kinder, zu wenige erziehungsbereite Erwachsene, zu wenig kindgerechte Programmdisziplin bei den Miterziehern der moderenen Medien, eine hohe Jugendkriminalität und deutliche Wertungsschwächen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Eine Gesellschaft ohne freiheitsfähige Jugend aber wäre eine Gesellschaft ohne Zukunft.“ (Ebd., S. 103).

„Das Grundgesetz stellt Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung (aber der Staat behandelt Ehe und Familie als seine größten Feinde; die Politik unserer Herrschenden ist, weil sie gegen das Grundgesetz verstößt, eindeutig verfassungswidrig und demokratiefeindlich! Anm. HB), verlangt also rechtliche, soziale und wirtschaftliche Vorkehrungen, so daß die jungen Menschen die Lebensform der Ehe, also der Gemeinschaft von Mann und Frau und damit der potentiellen Elternschaft wählen und in dieser Ehe sich für Kinder entscheiden und diesen Geborgenheit ihrer Familien bieten. Der Gesetzgeber allerdings hat durch die so genannten »Lebenspartner-Gesetze« Anreize für Lebensformen geschaffen, aus denen keine Kinder hervorgehen können. Zugleich lenkt er von der Verfassungserwartung allgemeiner Elternverantwortung ab und stärkt die Zukunftsvergessenheit, wenn er die Öffentlichkeit Glauben machen will, unsere demokratische, wirtschaftliche und kulturelle Zukunft sei durch Einwanderung zu lösen. Selbst wenn der Staat Einwanderer gewinnen würde, die sich sogleich integrieren und unsere hohen Maßstäbe des Rechts, der Kultur, der Wirtschaft und Technik mittragen und fortentwickeln könnten, würde unsere Gesellschaft weiterhin überaltern. Zudem wird der Staat dieses Personal nicht aus Ländern mit ähnlichen Lebensverhältnissen, sondern nur aus Schwellenländern gewinnen, diesen Ländern also einen Teil ihrer leistungs- und freiheitsfähigen Jugend nehmen (und sie bei uns verkümmern lassen, denn fast alle [jedenfalls mehr als 95%] sind unqualifiziert!). Auf ein solches Konzept der Ausbeutung sollte ein Staat seine Zukunft nicht stützen.“ (Ebd., S. 104-105).

„Geboten ist statt dessen die Wiederherstellung einer Wirtschafts- und Rechtsordnung, die ihre eigene Zukunft in sich selbst findet. Deshalb muß der Gesetzgeber - wie das Bundesverfassungsgericht sagt - Grundlagen dafür schaffen, daß Familientätigkeit und Erwerbstätigkeit aufeinander abgestimmt werden können und die Wahrnehmung der familiären Erziehungsaufgabe nicht zu beruflichen Nachteilen führt. Vor allem die Erziehungsleistung der Eltern muß anerkannt und das heißt in einer Gesellschaft, in der Honor und Honorar eng beieinander liegen, durch Zahlung eines Familiengeldes oder Erziehungsgehaltes gewürdigt werden. Solange ein Wirtschaftssystem die Leistungen der Lehrerin, der Kindergärtnerin oder Sozialtherapeutin durch Einkommenszahlung entgilt, eine entsprechende Leistung der Mutter ohne zeitliche Beschränkung und Urlaubsanspruch im Stichwort der »Schattenwirtschaft« aber nur als Schatten zur Kenntnis nimmt, ist der Verfassungsauftrag des Schutzes von Ehe und Familie und des besonderen Schutzes der Mutter unerfüllt.“ (Ebd., S. 105).

„Praktische Erfahrungen mit einer betrieblichen Rückkehrgarantie, die den Eltern nach Erfüllung ihres Erziehungsauftrages die Rückkehr in ihren vormaligen Beruf rechtlich sichern, sind ermutigend. Sie fördern die Familie und sind auch betriebswirtschaftlich für den einzelnen Betrieb ein Gewinn, weil der Betrieb Arbeitskräfte zurückgewinnt, die in der Begleitung, Betreuung und Erziehung des Kindes wertvolle Lebenserfahrung und Berufsdisziplin in die Betriebe tragen. Allerdings wird der Gesetzgeber zu erwägen haben, ob er die Finanzierung eines solchen Zukunftsprojektes überbetrieblich organisieren muß, weil die Betroffenheit der einzelnen Betriebe durch Mutter- und Elternschaft sehr unterschiedlich ist, sie im übrigen je nach Art und Größe der Betriebe auch nur sehr unterschiedlich auf gefangen werden kann.“ (Ebd., S. 105).

„Art. 6 Abs. 4 GG gibt jeder Mutter einen Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft und verpflichtet derzeit den Gesetzgeber insbesondere, »Grundlagen dafür zu schaffen, daß Familientätigkeit und Erwerbstätigkeit aufeinander abgestimmt werden können und die Wahrnehmung der familiären Erziehungsaufgaben nicht zu beruflichen Nachteilen führt«. »Dazu zählen auch rechtliche und tatsächliche Maßnahmen, die ein Nebeneinander von Erziehungs- und Erwerbstätigkeit für beide Elternteile ebenso wie eine Rückkehr in eine Berufstätigkeit und einen beruflichen Aufstieg auch nach Zeiten der Kindererziehung ermöglichen«.“ (Ebd., S. 105).

„Gerade die jungen Familien leiden heute daran, daß die vom Grundgesetz angebotene Familien- und Berufsfreiheit nicht gleichzeitig wahrgenommen werden kann. Die durch die Erfordernisse der Industriegesellschaft bedingte Trennung der Orte für Erwerbstätigkeit und Familientätigkeit hat zur Folge, daß die Eheleute sich jeden Morgen entscheiden müssen, ob sie in der Familienwohnung bleiben und die Kinder erziehen oder aber den Arbeitsplatz aufsuchen und damit für die Kindererziehung nicht zur Verfügung stehen. Diese räumliche Trennung von Familienwohnung und Arbeitsplatz zwingt zu einer Entscheidung zwischen Familien- und Berufstätigkeit. Diese schroffe Alternativität sucht das Bundesverfassungsgericht mit der Forderung nach einer detaillierten Abstimmung von Familientätigkeit und Erwerbstätigkeit zu überwinden.“ (Ebd., S. 105-106).

Das Rentenrecht: Als wirtschaftlicher Wert der Erziehungsleistung verbleibt der Unterhaltsanspruch der Eltern gegen ihre Kinder, der ihnen in Notfällen - insbesondere bei Krankheit, Arbeitslosigkeit, Invalidität und Alter - Unterhalt und Beistand durch ihre Kinder sichert. Dieser wirtschaftliche Wert der Erziehungsleistung ist aber im Generationenvertrag der öffentlichen Sozialversicherung kollektiviert und von der familiären Erziehungsleistung sogar weitgehend gelöst worden. Die sozialstaatliche Errungenschaft der öffentlichen Sozialversicherung, die auch den Kinderlosen wirtschaftliche Sicherheit im Krisenfalle bietet, wird zu einem rechtsstaatlichen Skandalon, wenn dieser Generationenvertrag die alleinigen Träger dieses sogenannten Vertrages, die Eltern und in erster Linie die Mütter, aus eigenem Recht kaum beteiligt. Hier fordert der Verfassungsauftrag des Familienschutzes und der Gleichberechtigung von Mann und Frau strukturelle Veränderungen. Die gesetzgeberische Entscheidung, daß die Kindererziehung als Privatsache, die Alterssicherung dagegen als gesellschaftliche Aufgabe gilt, benachteiligt die Familie, ohne daß es dafür angesichts der Förderungspflicht aus Art. 6 Abs. 1 GG einen zureichenden Grund gibt. Der Gesetzgeber hat deshalb »jedenfalls sicherzustellen, daß sich mit jedem Reformschritt die Benachteiligung der Familie tatsächlich verringert«. Das System der Sozialversicherung ist so auszugestalten, daß Erziehungsleistung und Erwerbsleistung gleichwertig berücksichtigt werden. Wenn gegenwärtig eine Beteiligung der Mütter am Generationenvertrag als »versicherungsfremde Leistung« mißdeutet wird, so verweist die Verfassung demgegenüber auf die materielle Gleichwertigkeit von Kindererziehung und monetärer Beitragsleistung. Beiden Leistungen liegt eine vergleichbare Arbeitsanstrengung, ein gleicher Konsumverzicht und das gleiche Angewiesensein auf Sicherheit und Bedarfsdeckung zu Grunde. Kindererziehung und monetäre Beitragsleistung sind deshalb beides Grundlagen der öffentlichen Sozialversicherung, die zu gleichwertigen Leistungen führen. Vertretbar wäre es allerdings, die besondere Leistung der Eltern für den Generationenvertrag durch bevorzugte Leistungsansprüche zu berücksichtigen.“ (Ebd., S. 106).

Das Steuerrecht: Ehe und Familie erfahren zudem nur einen ausreichenden verfassungsrechtlichen Schutz, wenn der steuerliche Zugriff auf das individuelle Einkommen ehe- und familiengerecht gestaltet wird. Auch hier ist der Begriff von Ehe und Familie ein wesentlicher Ausgangs- und Orientierungspunkt für die Entwicklung des Steuerrechts. Die Ehe ist eine Erwerbsgemeinschaft, die auch vom Einkommensteuergesetzgeber im Splittingverfahren aufgenommen und anerkannt werden muß. Das Ehegattensplitting ist deshalb »keine beliebig veränderbare Steuervergünstigung«, sondern »unbeschadet der näheren Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers eine an dem Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Ehepaare (Art. 3 Abs. 1 GG) orientierte sachgerechte Besteuerung«. Das Einkommensteuerrecht findet eine von Art. 6 Abs. 1 GG geschützte eheliche Gemeinschaft vor, in der allein die Ehegatten eheintern die Aufgaben der Erwerbs- und Ehegestaltung verteilen, dem Staat gegenüber aber gemeinsam als Erwerbsund Lebensgemeinschaft auftreten. Damit wird die eheliche Erwerbsgemeinschaft, an der dem Staat wegen seiner eigenen Zukunft besonders gelegen ist (Art. 6 Abs. 1 GG), lediglich den sonstigen Erwerbsgemeinschaften, etwa der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, der OHG oder der KG gleichgestellt. Auch in diesen Erwerbsgemeinschaften werden steuerpflichtige Einkommen gemeinsam erzielt, dann aber für den Zweck der Individualbesteuerung auf die einzelnen Beteiligten aufgeteilt. Deswegen fordert der allgemeine Gleichheitssatz - insoweit nicht anders als der besondere Gleichheitssatz des Art. 6 Abs. 1 GG - eine Gleichstellung all dieser Erwerbsgemeinschaften. Im übrigen hätte die These, das Einkommen des einen Ehegatten dürfe dem anderen nicht anteilig zugerechnet werden, zur Folge, daß dann ein Ehegatte einkommenslos und deshalb sozialhilfeberechtigt wäre. Damit würde das Sozialrecht in ungewollter Weise zu einem Instrument der Familienfinanzierung. Im Gegensatz zur Ehe ist die Familie keine Erwerbsgemeinschaft, sondern eine Unterhaltsgemeinschaft. Die Kinder haben in der Realität moderner Bildungs- und Ausbildungsansprüche kaum zum Unterhalt der Familie beizutragen, beanspruchen vielmehr selbst Unterhalt durch ihre Eltern. Deshalb erfaßt das Einkommensteuerrecht das Kind nicht als Steuerpflichtigen, der einen Teil des elterlichen Einkommens mitverdient hat, sondern als Unterhaltsberechtigten, der die steuerliche Leistungsfähigkeit der unterhaltspflichtigen Eltern mindert. Haben die Eltern einen Teil ihres Einkommens zur Erfüllung ihrer Unterhaltsschuld an ihre Kinder weiterzugeben, so steht das zum Kindesunterhalt verwendete Einkommen nicht zur Verfügung der Eltern, kann von diesen deshalb auch nicht zur Zahlung von Steuern verwendet werden. Die finanziellen Leistungsfähigkeit der Eltern ist in Höhe des Kindesunterhalts verringert. Deshalb muß der Unterhaltsbedarf der Kinder die einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage bei den Eltern realitätsgerecht mindern. Das für die Eltern nicht disponible Einkommen ist nicht besteuerbar.“ (Ebd., S. 107-108).

„Ehe und Familie sind von Verfassungs wegen auch in der jeweiligen Wirtschafts- und Sozialordnung zu schützen. Dies gilt insbesondere in einer Gesellschaftsordnung, in der Anerkennung, Einfluß und Existenzgrundlage über Einkommen vermittelt werden.“ (Ebd., S. 110).

„Der Staat findet seine Zukunft in den Familien. Er baut auf die familiäre Bindung unter den Freiheitsberechtigten und die familiären Lesitungen der Erziehung, des Beistandes, der Hausgemeinschaft, der privaten Pflege und auch des familiären Unterhalts, die der Staat nicht ersetzen könnte. Gäbe es die Ehen und Familien nicht, könnte der Rechtsstaat seine Freiheitlichkeit nicht bewahren, der Sozialstaat würde seine Leistungskraft überfordern. Mit den Familien steht deshalb auch der soziale Rechtsstaat auf dem Spiel.“ (Ebd., S. 110).

Demographischer Wandel ist auch eine Chance (Georg Milbradt)

„Der einstige Kinderreichtum in Europa wurde innerhalb nur einer einzigen Generation drastisch reduziert. .... In Mitteleuropa ist das bislang eine einmalige Situation - eine Situation, die ein Umdenken erfordert, denn wir waren es ja in Politik und Gesellschaft ... gewohnt, mit Wachstum umzugehen, ja Wachstum zu verwalten. Uns fehlt dioe Erfahrung, wie man mit einer abnehmenden Bevölkerung als Land leistungsfähig bleibt.“ (Ebd., S. 111-112).

„PolitIk und Wirtschaft müssen einerseits möglichst frühzeitig und intelligent auf den Bevölkerungsrückgang reagieren (bisher haben beide ihn nur verstärkt! Anm. HB). Andererseits muß sich Politik selbstverständlich auch mit den Ursachen der Bevölkerungsentwicklung selbst befassen (bisher hat sie sie nur verdrängt bzw. tabuisiert! Anm. HB), also mit der Kinderlosigkeit eines immer größeren Teils der Bevölkerung (bisher hat sie diesen Teil nur unterstützt bzw. verstärkt! Anm. HB). Was können und müssen wir tun (zumindest das Gegenteil der bisherigen Politik! Anm. HB), damit wieder mehr junge Leute Mut und Freude daran haben, Kinder in die Welt zu setzen?“  (Ebd., S. 114).

„Die Familie ist nach wie vor die zentrale Säule unserer Gesellschaft. Alle ideologisch begründeten Experimente, dies zu ändern sind gescheitert, sowohl an den Menschen als auch an dem Vakuum, das die Ideologie nicht zu füllen vermochte.“ (Ebd., S. 114-115).

„Vom Nutzen der durch die Familie erbrachten Leistungen profitiert ... in großem Maße die Allgemeinheit. Besondere Konsequenzen aus dieser Entwicklung ergeben sich für die kollektiven Sicherungssysteme. Der von der Individualisierung ausgelöste Bedeutungswandel der Familie hat den alten natürlichen »Drei-Generationen-Vertrag« durch einen kollektiven »Zwei-Generationen-Vertrag« abgelöst. (Genauer gesagt: mit viel Dummheit von Adenauer 1957 durchgesetzt; Anm. HB). .... Familien werden also gegenüber den anderen Haushaltsformen benachteiligt, was nicht ohne Auswirkungen auf die Familienbildung bleiben kann.“ (Ebd., S. 115-116).

„Eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung belegt, daß ... das Nettoeinkommen eines kinderlosen Paares doppelt so hoch ist wie das eines Ehepaares mit 2 Kindern und sogar viermal so hoch wie das eines Ehepaares mit 3 Kindern. .... Eine Gesellschaft, die Individualität, Leistungen im Erwerbsleben, Wohlstand und Genuß zu Wertmaßstäben macht, entscheidet sich damit faktisch gegen Kinder.“ (Ebd., S. 116).

Zeit für Kinder (Carsten Stahmer / Christian Leipert)

Konzepte: In unserer Untersuchung untergliedert sich die Zeit für Kinder in verschiedenen Zeitkomponeneten, die amn im Hinblick auf die bezahlung der Leistungen bzw. die Frage der Zurechenbarkeit zusammenfassen kann (siehe Abbildung).“  (Ebd., S. 122).

Bezahlte und unbezahlte Zeit für Kinder                          
Bezahlte ErwerbsarbeitszeitUnbezahlte Zeit im Haushalt
Für den privaten Konsum der KinderFür die schulische Ausbildung der KinderHauswirtschaft und handwerkliche TätigkeitBetreung von KindernSonstige mit Kindern verbrachte Zeit
  
Aktive Betrreuung (Haupttätigkeit)Gleichzeitige Betreuung (Nebentätigkeit)
 
Zurechenbare ZeitZurechenbare ZeitZurechenbare Zeit
Zurechenbare Zeit?
?

„Das Konzept der zurechenbaren Arbeitszeit für Kinder umfaßt zwei Kategorien unbezahlter und zwei Kategorien bezahlter Arbeit. Es beschränkt sich auf Kategorien der Arbeitszeit für Kinder, in denen die Kinderorientierung der aufgewendetetn Zeit von Erwachsenen völlig eindeutig ist. (Also: die zurechenbare Arbeitszeit umfaßt in Wirtklichkeit noch mehr! Anm. HB). Bei den beiden Kategorien unbezahlter Arbeit (aber zurechenbar!) handelt es sich um Tätigkeiten im familiären Haushalt, und zwar um die aktive Betreuung von Kindern als Haupttätigkeit, wie es in der genauerern Sprache der Statistiker heißt, und um die Hausarbeit für Kinder, also die kinderbezogenen hauswirtschaftlichen und handwerklichen Leistungen im familiären Haushalt. Als Kategorien der bezahlten Arbeit wurden die Erwerbsarbeit, die mit der Produktion von Konsumgütern für Kinder verbunden ist, und die Erwerbsarbeit, die direkt und indirekt bei der Leistungserstellung im Bildungswesen erbracht wird, einbezogen. (Vgl. Abbildung).“ (Ebd., S. 122-123).

„Zahl und Verteilung der Kinder auf die einzelnen Familientypen: In die hier vorgestellte Untersuchung wurden alle Familienhaushalte einbezogen, in denen Kinderleben, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Die Zahl der Kinder unter 18 Jahren belief sich ... 1998 auf 15,528 Mill. Kinder (10,112 Mill. 0-bis-12-Jährige + 5,416 Mill. 12-bis-18-Jährige = 15,528 Mill. 0-bis-18-Jährige; Anm. HB). .... Faßt man die Haushalte mit Kindern in mehreren übergeordneten Kategorien zusammen, so zeigt sich, daß sich die Anteile der Kinder in 1-Kind-Familien und in Ehepaarfamilien mit 2 Kindern an allen Kindern zwischen 1990 und 1998 praktisch nicht verändert haben. Ein Viertel der Kinder lebt in 1-Kind-Familien. Der Familientyp, auf den der größte Teil der Kinder entfällt - und zwar über 2/5 aller Kinder (1998: 41,8%) -, sind die Ehepaarfamilien mit 2 Kindern.“ (Ebd., S.127).

3,3% bzw. 2,725 Mill. Alleinerziehende
6,6% bzw. 5,416 Mill. 12-bis-18-Jährige
12,3% bzw. 10,122 Mill. 0-bis-12-Jährige
20,6% bzw. 16,934 Mill. Ehepaare mit Kindern unter 18 Jahren
57,0% bzw. 46,826 Mill. Sonstige Personen
100% bzw. 82,023 Mill. Einwohner
(Stand: 1998)

Zurechenbare Zeit für Kinder (1998)
Abbildung: Unbezahlte Zeit für Kinder
Das Konzept der eindeutig zurechenbaren Zeit für Kinder: .... Als besonders aussagekräftig gelten Indikatoren der Zeit pro Kind und pro Tag. Im folgenden ist also bei der Interpretation zu beachten, daß die Zeit für Kinder generell auf 7 Tage pro Woche aufgetteilt ist.“ (Ebd., S. 128-129).

Unbezahlte Arbeit in der Familie: .... Daß der Anteil der kinderbezogenen Hausarbeit deutlich höher ist als jener der aktiven Kinderbetreuung, hat nicht zuletzt damit zu tun, daß die aktiven Betreuungszeiten der Eltern mit zunehmenden Alter der Kinder immer rascher zurückgehen. Dagegen ist die kinderbezogene Hausarbeit altersunabhängig, ein stabiler Faktor.“ (Ebd., S. 131).

„Bekanntlich beansprucht die Erziehungs- und Betreuungsarbeit der Eltern um so mehr Zeit, je jünger das Kind ist. Nach Angaben der Zeitbudgetstudie von 1991/'92 vermindert sich etwa die aktive Kinderbetreuungszeit der Erwachsenen in Familien mit jüngstem Kind von 3 bis 6 Jahren um über die Hälfte gegenüber Familien mit jüngstem Kind unter 3 Jahren. (Vgl. Karen Blanke / Manfred Ehling / Norbert Schwarz, Zeit im Blickfeld - Ergebnisse einer repräsentativen Zeitbudgeterhebung, 1996). Bei Familien mit jüngstem Kind zwischen 12 bis 16 Jahren sinkt die aktive Betreuungszeit der Eltern schließlich auf ein Neuntel des Wertes der Familien mit jüngstem Kind unter 3 Jahren.“ (Ebd., S. 132).

„Die Frage, ob Erwerbsarbeit ausgeübt wird, beeinflußt in einem hohen Grade das Ausmaß des Zeitaufwands der Eltern für unbezahlte Arbeit in der Familie. Besonders fallen die Unterschiede bei der aktiven Betreuungszeit ins Auge. Vergleicht man Ehepaarfamilien mit einem erwerbstätigen Partner mit dem gleichen Familientyp, aber mit zwei erwerbstätigen Partnern, so weisen die Pro-Kind-Werte der Familien mit Doppelerwerbstätigkeit über zwei Drittel weniger an Betreuungszeit gegenüber der Vergleichsgruppe auf. Bekanntlich unterbrechen meist die Mütter die Erwerbstätigkeit zugunsten der Erziehungs- und Familienarbeit, und diese weisen nacha nderen Ergebnissen des Statistischen Bundesamtes deutlich höhere Werte der Betreuungszeit auf als erwerbstätige Mütter.“ (Ebd., S. 134).

„Am höchsten ist der Anteil der aktiven Betreuung bei Ehepartnern, bei denen nur ein Ehepartner erwerbstätig ist. Am niedrigsten ist er bei erwerbstätigen Alleinerziehenden. Dies erklärt sich mit dem knappen Zeitvorrat, über den diese Haushaltsgruppe generell für Aufgaben der Famileinarbeit verfügt.“ (Ebd., S. 134).

„Ein interessantes Teilergebnis der Untersuchung des Statistischen Bundesamtes liegt in dem Nachweis des Zeitaufwandes sinstiger Privathaushalte für aktive Betreuung in den Familien mit Kindern unter 18 Jahren und des Anteils, den sie zum Privatkonsum der Kinder beitragen. Sonstige Haushalte, zu denen Haushalte der Großeltern, von anderen Verwandten, Freunden und Nachbarn gehören, bringen sich bei der Kinderbetreuung und auch beim Unterhalt der Kinder mit Zeit und Geld ein. Der zeitliche Aufwand dieser Gruppe mithelfender Dritter in Familienhaushalten lag z.B. 1990 in den alten Bundesländern um zwei Drittel höher als der gesamte Zeitaufwand von Alleinerziehenden für aktive Kinderbetreuung und bei fast einem Fünftel des entsprechenden Zeitaufwands von Ehepaarfamilien.“ (Ebd., S. 134).

Bezahlte Arbeit im Erwerbssektor (vgl. Abbildung): ... Die durchschnittlichen Versorgungskosten pro Kind sinken mit wachsender Kinderzahl in einer Familie. Die Pro-Kind-Erwerbsarbeitszeiten im Bereich privater Konsum für Kinder liegen in Familien mit 3 und mehr Kindern um ca. ein Viertel niedriger als in 1-Kind-Familien. Bei der schulischen Ausbildung ist eher die gegenläufige Entwicklung festzustellen. Die Erwerbsarbeitszeiten im Bildungssektor pro Kind steigen mit zunehmender Kinderzahl in den Familien. Familien mit 3 und mehr Kindern weisen einen um ca. 20% höheren Pro-Kind-Wert auf als in 1-Kind-Familien. Dies ist darauf zurückzuführen, daß der Anteil von noch nicht schulpflichtigen Kindern unter 6 Jahren an allen Kindern unter 18 Jahren in 1-Kind-Familien höher ist als in Familien mit 2 oder mehr Kindern.“ (Ebd., S. 135)

Unbezahlte Zeit für Kinder (1998)
Abbildung: Unbezahlte Zeit für Kinder

Das umfassende Konzept der unbezahlten Zeit für Kinder in der Familie: Erst das umfassende Konzept der unbezahlten Zeit im Haushalt gibt ein annäherndes Bild der wirklichen zeitlichen Beanspruchung vor allem der Eltern durch ihre Kinder und deren Entwicklungs- und Bildungsbedürfnisse. Hier sind zusätzlich die beiden Kategorien der Kinderbetreuung als gleichzeitige Tätigkeit sowie die sonstige mit Kindern verbrachte Zeit einbezogen. (Beide gehören ja nach diesem Konzept zur nicht-zurechenbaren Arbeitszeit; Anm. HB). Im Ergebnis zeigt sich, daß sich die unbezahlte tägliche Zeit, die für Kinder in den Familien aufgewendet wird, mehr als verdoppelt.“ (Ebd., S. 135-136).

„Die sonstige mit Kindern verbrachte Zeit umfaßt ... fast die Hälfte des gesamten unbezahlten häuslichen Zeitinputs auf sich. Die Hausarbeit für Kinder kommt auf einen Anteil von eonem knappen Viertel.“ (Ebd., S. 135-136).

Zeit für Kinder (1998)
Abbildung: Zeit für Kinder

Das umfassende Konzept der Zeit für Kinder: .... Der überragende Anteil der in der Familie für Kinder verwendeten Zeit liegt hier bei 90%. Faßt man die die beiden Komponenten der Kinderbetreuung als haupt- und als gleichzeitige Tätigkeit zusammen, so ergibt sich für die Kinderbetreuung ein Anteilswert von fast 1/4 der Gesamtzeit. Auf die Hausarbeit entfällt über ein Fünftel der für Kinder verwendeten Zeit, Den größten Zeitanteil nimmt die sonstige mit Kindern verbrachte Zeit ein, und zwar mit einem Anteil, der zwar nicht die Hälfte der Geamtzeit erreicht, aber immerhin vier Neuntel.“ (Ebd., S. 136-137).

3,6% SCHULISCHE AUSBILDUNG
6,0% PRIVATER KONSUM
7,0% GLEICHZEITIGE KINDERBETREUUNG
17,1% AKTIVE KINDERBETREUUNG
22,2% HAUSWIRTSCHAFTLICHE UND HANWERKLICHE TÄTIGKEIT
44,0% SONSTIGE MIT KINDERN VERBRACHTE ZEIT
100% ZEIT FÜR KINDER (1998)

„Zeit für Kinder: Wieviel Äquivalenten eines Arbeitsplatzes in der Erwerbswirtschaft entspricht sie?  Unser Anliegen bei diesem Projekt ist die Ermittlung des Arbeitszeitvolumens im Zusammenhang mit der Erziehung, Betreuung, Bildung und Versorgung von Kindern im Alter bis zu 18 Jahren. Die konkrete Leitfrage war, wieviel gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit im Zusammenhang mit der zukunftsorientierten Aufgabe des Aufziehens von Kindern und Jugendlichen in den verschiedenen Teilen der Gesellschaft, in der Famlílie, in der marktlichen Sphäre und im Staatssektor gelesitet wird. Um einen griffigen Eindruck von der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung des Großziehens zu erhalten, liegt es nahe zu fragen, wie vielen Äquivalenten eines Erwerbsarbeitspaltzes die für Kinder verwendete Arbeitszeit in einem Jahr entsprechen würde.“ (Ebd., S. 137).

„Es zeigt sich, daß das kinderbezogene Zeitvolumen im umfassendsten Sinne einem Äquivalent von knapp 2 6 Mill. Arbeitsplätzen (1990) entspricht. Anders ausgedrückt entspricht das am weitesten gefaßte Zeitvolumen für Kinder einem Anteil von 85% des gesamten Arbeitsvolumens oder von 85% aller Erwerbstätigen (!!!). Die entsprechenden Werte für das engere Konzept der zurechenbaren Arbeitszeit für Kinder liegen für 1990 bei 12,7 Mill. Äquivalenten eines Arbeitsplatzes, was einem Anteil von kanpp 42% des Arbeitsvolumens oder von 42% aller Erwerbstätigen entspricht.“ (Ebd., S. 138).

„80% des Arbeitsaufwands bleiben in der offiziellen Statistik ausgeblendet, weil er unbezahlt in den Familien aufgebracht wird. Das Aufziehen eines Kindes im Alter von 0 bis 18 Jahren entspricht ... pro Jahr in dem hier verwendeten engeren Zeitkonzept dem durchschnittlichen Arbeitsvolumen von mehr als einem Erwerbsarbeitsplatz, nur daß der größte Teil dieses Arbeitsplatzes im privaten Haushaltssektor liegt.“ (Ebd., S. 138-139).

„Erweitern wir das Konzept der eindeutig Kindern zurechenbaren Zeit um die beiden weiteren Komponenten familiären Zeitaufwands »Kinderbetreuung als gleichzeitige Tätigkeit« und »die sonstige mit Kindern verbrachte Zeit« zum umfassendsten Konzept der Zeit für Kinder, das wir hier untersuchen, dann erhöhen sich die rechnerischen Arbeitsplatzäquivalente pro Kind auf 2,25 (!!!) ....“ (Ebd., S. 139-140).

„Sucht man nach einer Antwort auf die Frage, wieviel Arbeitsplätzen in unserer Wirtschaft im Durchschnitt der zeitliche Aufwand für das Aufziehen eine Kindes bis zur Volljährigkeit pro Jahr entsprechen würde, so ergeben unsere Schätzungen einen Wert in einer Bandbreite zwischen deutlich mehr als einem Arbeitsplatz bis zu einem Wert von 2,25. Würde man auch die anderen Bereiche der Erwerbsarbeit einschließlich der importspezifischen Erwerbszeiten einbeziehen, würde sich die Bandbreite auf einen Wertebereich zwischen fast 1,33 und knapp 2,5 Arbeitsplätzen verschieben. Der Anteil der Erwerbsarbeit würde sich hier auf über 30% erhöhen. Vor dem Hintergrund der pädagogischen Bedeutung der Tätigkeiten, die zur sonstigen mit Kindern verbrachten Zeit gerechnet werden, für die gesamte Entwicklung der Kinder und Jugendlichen liegt man wohl nicht falsch, wenn man annimmt, daß der echte Wert eher in der Nähe von gut zwei Arbeitplätzen liegt.“ (Ebd., S. 140).

„Wir wissen aus den Ergebnissen für die beiden Familiengruppen mit unter 12jährigen Kindern und Kindern im Alter von 12 bis 18 Jahren, daß der Arbeitszeitaufwand für die jüngere Kindergruppe im Durchschnitt ein gutes Fünftel höher liegt als jener für die ältere Gruppe. Je jünger die Kinder, um so höher der Zeitauf wand für ihre Versorgung, Betreuung und Erziehung - so lassen sich die Ergebnisse vieler Zeitstudien in Familienhaushalten zusammenfassen. Übertragen auf unsere Frage, wievielen Äquivalenten eines Erwerbsarbeitsplatzes der Zeitaufwand für Kinder entspricht, läßt sich daraus folgern, daß die Bandbreite der Werte bei Kleinkindern noch wesentlich höher liegen würde (!!!).“ (Ebd., S. 140).

„In den Kinderkostenuntersuchungen von Heinz Lampert entfallen ca. ein Drittel auf Versorgungs- und zwei Drittel auf Betreuungskosten. Von Gary Becker gibt es die Bemerkung, »daß der Wert der Zeit, die für Kinder aufgewendet wird, den größten Teil der Kosten von Kindern in modernen Volkswirtschaften ausmacht.« Betrachten wir unsere Resultate, so offenbart eine Untersuchung auf der Zeitebene eine noch größere Kluft zwischen den Anteilen von Versorgung und kinderbezogener Betreuungs- und Hausarbeit. Selbst im engeren Konzept der eindeutig zurechenbaren Arbeitszeit liegt der Anteil der Versorgung nur zwischen einem Achtel und maximal einem Fünftel der insgesamt aufgewendeten Zeit.“ (Ebd., S. 140).

„Auf der Basis der neuen Ergebnisse zum Arbeitszeitvolumen für Kinder könnten auch neue Berechnungen des volkswirtschaftlichen Wertes des in Deutschland gebildeten Humanvermögens vorgenommen werden. Zum ersten Mal sind derartige Berechnungen von der Sachverständigenkommission für den 5. Familienbericht der Bundesregierung »Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland -Zukunft des Humanvermögens« (1993, S. 193ff. und S. 290ff.) vorgenommen worden. Auf der Basis der Kinderkostenberechnungen von Lampert ermittelte die Kommission den Beitrag der Familien zur volkswirtschaftlichen Humanvermögensbildung. Sie bezifferte den Beitrag der Familien zum gesamtwirtschaftlichen Arbeitsvermögen auf eine Summe von 15,3 Billionen DM. Demgegenüber belief sich der Wert des reproduzierbaren Sachvermögens im Jahre 1990 zu Wiederbeschaffungspreisen auf 6,9 Billionen DM (vgl. ebenda, S. 145).“ (Ebd., S. 141).

„Unsere Resultate können auch der Forschung im Bereich der monetären Bewertung der unbezahlten Arbeit und speziell zur Berechnung eines um die kinderbezogene Familienarbeit erweiterten Bruttoinlandsprodukts (BIP) Impulse verleihen.“ (Ebd., S. 141).

„Bisher liegen seitens des Statistischen Bundesamtes im Rahmen des Satellitensystems »Haushaltsproduktion« Berechnungen des monetären Wertes der Haushaltsproduktion, also der gesamten unbezahlten Arbeit in privaten Haushalten, vor. (Vgl. Dieter Schäfer / Norbert Schwarz, Wert der Haushaltsproduktion 1992, 1994; Dieter Schäfer, Haushaltsproduktion in gesamtwirtschaftlicher Betrachtung, 1988). Als gesellschaftlich und politisch noch viel relevanter könnten sich erstmalige Berechnungen des monetären Wertes der kinderbezogenen Familienarbeit und die Einbeziehung in ein entsprechend erweitertes BIP-Konzept erweisen.“ (Ebd., S. 141).

 

- WENIGER KINDER - ÄRMERE WELT? -

Anhaltend niedrige Geburtenraten und ihre Folgen (Gérard-François Dumont)

„Die niedrige Geburtenziffer in Europa führt in dem Maße, wie die Fertilitätsraten unterhalb bzw. weit unterhalb der Schwelle des Generationenersatzes liegen, zu einem - wie ich es nenne - »demographischen Winter«.“ (Ebd., S. 143).

„Eine niedrige Geburtenrate wirkt sich auf Konsumtion, Investition und - im allgemeineren Sinne - auf die egsamte Wirtschaftsdynamik aus.“ (Ebd., S. 143).

„Der niedrige Anteil junger Menschen beeinflußt Verbrauchsmuster sowie Sparverhalten. Die Gesamtnachfrage zielt stärker auf Konsumtion als auf Investition. Eine junge Bevölkerung äußert in der Tat einen starken Investitionsbedarf (z.B. schulische Einrichtungen, Hochschulen, Grundstücke, Wohausstattung u.s.w.), wohingegen die ältere Bevölkerung ihren Bedarf weitestgehend schon gedeckt hat. Der mit dem Alter einhergehende höhere Ausstattungsgrad der Haushalte schränkt bei der älteren Generation den Konsumbedarf im Rentenalter ein. Zudem führt ein erhöhtes Pflegerisiko dazu, daß eine vorsorgliche Spartätigkeit bis zum Erreichen des fortgeschrittenen Alters beibehalten wird. Die Unternehmen sehen sich Märkten mit geringer Wachstumsrate oder mit Schrumpfungstendenzen gegenüber, zumal die niedrige Geburtenrate den relativen Einfluß der jungen Bevölkerung und damit auch den jugendbezogenen Investitionsbedarf mindert.“ (Ebd., S. 143).

„Die Gefahr alternder Gesellschaften besteht darin, daß deren Fähigkeit zur Innovation abgeschwächt wird. .... Insgesamt sind noch nie dauerhafte wirtschaftliche Fortschritte in einer älter werdenden Bevölkerung beobachtet worden, zumal sich zu den wirtschaftlichen Auswirkungen auch problematische soziale Folgen ergeben.“ (Ebd., S.144).

Schrumpfen des Familiennetzes: Niedrige Geburtenraten bedeuten auch weniger Geschwister, Onkel und Tanten, weniger Cousins und Cousinen, also ein eingeschränkteres Familiennetz. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit engerer Freundschaftsbeziehungen. Das Schrumpfen des Familiennetzes kann Folgen haben für die Fähigkeit, sich ins gesellschaftliche Leben zu integrieren. Unterschiede zwischen den Menschen zu verstehen und im Team erfolgreich zu arbeiten.“ (Ebd., S. 146).

Politische Konsequenzen: Die fortdauernd niedrige Geburtenrate hat vielfältige politische Konsequenzen. Es verändert die Beziehungen zwischen den Generationen innerhalb der jeweiligen Bevölkerung sowie ihrer Wählerschaft. (Siehe auch: Steigendes Wahlberechtigten-Medianalter; Anm. HB). Gleichfalls ändern sich dadurch die demographischen Eckdaten dieser Bevölkerung, und regionale Disparitäten können sich verstärkt ausprägen. Außerdem stellt sich in diesem Zusammenhang auch die Frage nach der Vermittlung politischer Werte.“ (Ebd., S. 146).

Veränderte Wählerschaft: Betrachten wir zunächst den rein quantitativen Aspekt einer dauerhaft niedrigen Geburtenrate. Bei einer Bevölkerung mit sinkender Geburtenziffer schrumpft die Basis der Alterspyramide und die zahlenmäßigen Verhältnisse zwischen den Altersgruppen verändern sich. (Die Alterspyramide hat die Tendenz, sich auf den Kopf stellen; Anm. HB). Mit der Zeit verringert sich der Anteil der Jugendlichen, später der jungen Erwachsenen, während der Anteil der alten Menschen steigt. Ebenso entwickeln sich zwangsläufig die politischen Anforderungen. Diejenigen Bürger, die ihre Bedürfnisse massiv zum Ausdruck bringen, wedrem relativ,ehr Einfluß haben. Hingegen werden Ansprüche an eine Politik für Kinder und Jugendliche von einem immer stärker schrumpfenden Anteil der Bevölkerung erhoben. In den Gemeinden und Bezirken mit ausgeprägt älterer Bevölkerung wird politisch Stimmung für die Schaffung und Bewilligung von Subventionen in Bereichen, die den Senioren zugute kommen, gemacht. Dagegen wird z.B. kein Bau einer neuen Schule gefordert, wenn es keinen entsprechenden Beadrf gibt. Proteste werden eventuell nur dann geäußert, wenn es um die Absicht der Schließung von Klassen als Folge der niedrigen Geburtenrate geht. Die Äußerung politischer Ansprüche durch die Wähler, als diejenigen, die rechtlich dazu befugt sind, verändert sich infolge des sich wandelnden Altersaufbaus. (Siehe auch: Steigendes Wahlberechtigten-Medianalter; Anm. HB). Der unaufualtsam wachsende Anteil der Sechzig-und-Mehr-Jährigen führt dazu, daß deren Stimme ganz natürlich jenen Kandidaten gilt, die dieser Altersgruppe mehr versprechen. Dieses »mehr« führt unausweichlich zum Nachteil für andere Optionen. Entscheidet sich der Staat für die Bildung von Rücklagen zur Finanzierung der Renten aus Steuereinnahmen oder abgabeähnlichen Einnahmen, bedeutet das gleichzeitig, daß diese Mittel nicht für andere Zwecke zur Verfügung stehen, wie z.B. für die Familienpolitik oder die Steuerentlastung der Familien. Wenn ein Staat mit einem defizitären Haushalt Rentnern zusätzliche Leistungen bewilligt oder an diesen festhält, haben die künftigen Generationen, die die Schulden des Staates übernehmen müssen, die Zeche für diese Vergünstigungen zu zahlen. In den Gebietskörperschaften muß durch unvermeidbare Budgetbeschränkungen fortwährend eine Auswahl getroffen werden: sei es durch Bewilligung von Subventionen für Vereine, den Vorrang für den Bau einer Kinderkrippe oder eines Seniorenklubs oder sei es für die bevorzugte Unterstützung eines Sportklubs für Jugendliche oder einer Freizeiteinrichtung für ältere Menschen. Die Entscheidung für eine oder mehrere der hier erwähnten möglichen Maßnahmen hängt immer mehr vom Wählereinfluß der einzelnen Altersgruppen und nicht notwendigerweise von der politischen Richtung der Verantwortlichen ab. Selbst wenn gewählte Lokalpolitiker ideologisch stark gebunden sind, handeln sie in erster Linie pragmatisch und engagieren sich für die Menschen, deren Stimme sie erhalten haben. Das heißt m.a.W., daß die Gesamtheit und die Rangordnung der letztlich politisch zur Geltung kommenden Bedürfnisse der Bevölkerung unausweichlichen Veränderungen aufgrund des sich wandelnden Altersaufbaus unterliegen. Die infolge einer geringen Geburtenrate überalterte Bevölkerung setzt stärker auf Sicherheit als auf Entscheidungsfreudigkeit. Sie wird es zweifelsfrei wichtiger finden, die Anzahl der städtischen Polizisten zu erhöhen, deren physische Präsenz (insbesondere aufgrund ihrer Uniform) und Tätigkeit in der Strafverfolgung für die Wähler sichtbar sind, als die Zahl der Sozialarbeiter zu vermehren, die offensichtlich nicht so auf der Straße ins Auge fallen und deren Präventivarbeit schwer zu bewerten ist.“ (Ebd., S. 146-147).

Gefahren eines Krieges zwischen den Generationen: Die veränderten Relationen zwischen den Generationen führen auch zu Anpassungen des politischen Handeins auf allen Ebenen. Kann der Geburtenschwund soweit führen, daß ein »Krieg zwischen den Generationen« oder sogar Aufstände der zahlenmäßig geringeren Jugendlichen, die sich durch eine überalterte Gesellschaft erdrückt fühlen, heraufbeschworen werden?  Der Krieg zwischen den Generationen in den Gesellschaften, in denen zahlreiche Dienstleistungen für die Allgemeinheit von der öffentlichen Hand bereitgestellt werden, findet in der Tat tagtäglich auf wirtschaftlicher und finanzieller Ebene statt. Die Geschichte der Länder mit dauerhaft niedriger Geburtenrate macht die Niederlage der Jugend in der ökonomischen Auseinandersetzung zwischen den Generationen deutlich. Für sie ist weniger Deflation als Inflation bei der Finanzierung der Leistungen, die den Rentnern gewährt werden (egal ob das System nun auf privater Kapitalbildung oder dem Umlageprinzip beruht), von Vorteil. Aber auch dann können sie nicht damit rechnen, jemals einen Nutzen in gleichwertiger Höhe ziehen zu können.“ (Ebd., S. 147-148).

„In dem alltäglichen Kampf setzen sich die Entscheidungen zugunsten der älteren Generation durch, deren Bedeutung auch politisch am meisten steigt. (Vgl. auch: Steigendes Wahlberechtigten-Medianalter; Anm. HB). Die zunehmende Alterung der Bevölkerung führt ganz mechanisch zu einem malthusianischen* Charakter von Gesetzen und politischen Entscheidungen mit der möglichen Folge, daß die Jugend zur Abwanderung getrieben wird. (Vgl. Malthusianismus; Anm. HB). Bringen nicht zudem die »Demokraten« (Anführungszeichen von mir: HB) mit anhaltend schwacher Geburtenrate die Gefahr offener Auseinandersetzungen zwischen den generationen hervor?  Dem wäre sicher so, wenn das die einzig mögliche Lösung zur Wiederherstellung eines Gleichgewichts wäre. Dann kann es irgendwo dazu kommen, daß die zahlenmäßig schwächere Jugend, die sich im eigenen Land als unterprivilegiert fühlt, mit Gewalt aufbegehrt, um die Rechte einzufordern, die jeder Minderheit zustehen?  Ist dieses politische Risiko, hervorgerufen durch den Bruch einer »Demokratie« (Anführungszeichen von mir: HB) mit ihrer Jugend, nicht schon in seinen Umrissen erkennbar, wenn man sich die große Anzahl der politisch Nichtengagierten und Nichtwähler unter den Jugendlichen vergegenwärtigt ?  (Ebd., S. 148).

* Der Malthusianismus ist die nach Thomas Robert Malthus (1766-1834) benannte Bevölkerungstheorie, nach der die mögliche Größe der Bevölkerung durch die Menge der verfügbaren Nahrungsmittel begrenzt und bestimmt wird. Malthus, der dem Adel entstammte, wollte mit seiner Theorie die Machtübernahme der Nichtadeligen verhindern, denn die Revolution in Frankreich hatte ihn ängstlich gemacht und wohl auch veranlaßt, seine Theorien zu verbreiten (Über die Bedingungen und Folgen der Volksvermehrung, 1789, Das Bevölkerungsgesetz, 1798; ebenso ist es kein Zufall, daß Malthus nach Blüchers und Wellingtons Sieg über Napoleon - 1815 - „gemäßigtere“ Bücher schrieb, so z.B.: Grundsätze der politischen Ökonomie mit Rücksicht auf ihre praktische Anwendung, 1820). „Malthus' »Bevölkerungsgesetz erfüllt keine der Voraussetzungen, die jede Theorie erfüllen sollte, um in der Wissenschaft ernstgenommen zu werden. .... Es ist sogar zu befürchten, daß der Malthusianismus nach seinem gegenwärtigen Wandel zum ökologischen Malthusianismus im 21. Jahrhundert noch verheerendere Auswirkungen haben wird als in den beiden vergangenen Jahrhunderten. Johann Peter Süßmilch (1707-1767) hatte durch empirische Tragfähikeitsanalysen begründet, daß die Erde mehr als das Zehnfache der Menschenzahl ernähren könne, als zu seiner Zeit lebten. Malthus' Kernthese war, daß die Erde bereits mit der damaligen (um 1800) Bevölkerungszahl von rd. einer Milliarde übervölkert sei und daß ein weitere Zuwachs die Gesellschaft in den politischen, ökonomischen und moralischen Ruin führen müsse. Heute (1996) lebt die sechsfache Zahl der Menschen als zu Malthus' Zeit, wobei ein großer Teil von ihnen - mehr als die gesamte damalige Menschheit - einen unvergleichlich höheren Lebensstandard hat als jemals zuvor in der Menschheitsgeschichte, und dies bei mehr als der doppelten Lebenserwartung. Süßmilchs Ideen haben sich bestätigt, nicht die von Mathus, warum ist dann aber Süßmilch nahezu vergessen und nicht Malthus?  Wahrscheinlich kann diese Frage in hundert Jahren genauso gestellt werden wie heute. Die Antwort darauf hat viel mit dem Problem zu tun, warum Menschen Hungers sterben müssen, obwohl das Ernährungspotential der Erde groß genug ist, um eine weitaus größere als die heute lebende Menschenzahl zu ernähren. In seiner Beweisführung führt Malthus ein Zahlenbeispiel an, das die entscheidende Vorausetzung seiner Theorie verdeutlichen soll, daß sich nämlich die Bevölkerung in der Form einer geometrischen Reihe vermehrt (entsprechend der Zinseszinsformel), während die Nahrungsmittelmenge nur in linearer Form wächst (wie eine Gerade). .... Die in diesem Beispiel zugrunde gelegte Voraussetzung, daß die Nahrungsmittelmenge nur linear wächst, erwies sich in den meisten Ländern und im Weltmaßstab als falsch. Die empirisch gewonnenen Ergebnisse von Süßmilch bestätigten sich dagegen. Durch die Verbesserung der Anbaumethoden, durch Erfolge bei der Pflanzen- und Tierzüchtung und später durch den Einsatz des Mineraldüngers, der von Justus von Liebig 1840 entdeckt wurde, wuchsen die landwirtschaftlichen Erträge nicht linear, sondern geometrisch. Die jährliche Wachstumsrate der Nahrungsmittelmenge überstieg sogar die Wachstumsrate der Bevölkerung, so daß die Pro-Kopf-Nahrungsmittelmenge zunahm, statt wie in dem Zahlenbeispiel abzunehmen. Das Malthusianische »Bevölkerungsgesetz« war durch die Arbeiten Süßmilchs bereits zu dem Zeitpunkt seiner Veröffentlichung widerlegt.“ (Herwig Birg, Die Weltbevölkerung, 1996, S. 29-32). Süßmilchs Hauptwerk (Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts aus der Geburt, Tod und Fortpflanzung desselben erwiesen) erschien 1741 (!!!). „Das Ergebnis der Süßmilchschen Berechnungen stimmt mit den Bevölkerungsprojektionen unserer Zeit überein: Im Verlauf des nächsten und übernächsten Jahrhunderts kann bzw. wird die Weltbevölkerung auf mindestens 8 Milliarden wachsen, wobei die Obergrenze weit weniger sicher angegeben werden kann, aber auch hier stimmt die Süßmilchsche Schätzung mit den modernen Berechnungen erstaunlich gut überein: Sie könnte bei etwa 13 Milliarden liegen. Als Süßmilch diese Zahlen veröffentlichte, lebten auf der Erde erst etwa 800 Millionen Menschen, er schätzte also das Wachstumspotential auf das Zehn- bis Sechzehnfache - eine für die damalige Zeit ungeheuerliche Aussage, die auf viel Widerspruch stieß. Malthus kam zu einem völlig anderen Resultat. Für ihn war die Erde mit etwa einer Milliarde Menschen, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des »Bevölkerungsgesetzes« lebten, bereits übervölkert. Die Kernthese seiner Bevölkerungstheorie war, daß gesellschaftlicher Fortschritt, wie er in der französischen Revolution propagiert wurde, aus demographischen Gründen unmöglich sei. Das Bevölkerungswachstum, das als Folge solcher gesellschaftlicher Veränderungen zu erwarten war, müsse auf Grund der »naturgesetzlichen« Mechanismen des »Bevölkerungsgesetzes« zwangsläufig zum Zusammenbruch des Staates und zum moralischen Ruin der Gesellschaft führen.“ (Ebd., S. 22-23). Malthus lag also völlig falsch!

Geburtenrate, Geopolitik und Entwicklung: Die negative Geburtenentwicklung hat nicht nur Auswirkungen auf die nationale, sondern auch auf die internationale Politik. Es ist in der Tat so, daß der relative demographische Einfluß der Länder mit sinkender Geburtenrate weiterhin im Vergleich zu den Ländern abnimmt, deren Geburtenziffer zwar auch zurückgeht, jedoch nicht absackt. (Dumont meint hier Länder mit Geburtendefizit - also Geburten- und Bevölkerungsrückgang (!) - im Vergleich zu Ländern mit Geburtenrückgang ohne Bevölkerungsrückgang; Anm. HB). Wenn die zuesrt genannten Länder auch in Zukunft von einem wertvollen Erbe und einer langjährigen Präsenz in der Welt Nutzen ziehen können, so verfügen die Entwicklungsländer, die zumeist ehemalige Kolonien und historisch gesehen junge Staaten sind, nicht über diese Vorteile. Aber die Veränderungen der entsprechenden demographischen Gewichte führen dazu, daß sich die geopolitische Situation unweigerlich zugunsten dieser letzteren Staaten verändert. (Vgl. Gérard-François Dumont, Les populations du monde, 2001). Das hat notwendigerweise für ein Land mit niedriger Geburtenrate zur Folge, daß dessen Stimme in den internationalen Organisationen weniger Gewicht hat, so wie es Aristide Briand (1862-1932) in den 1920er Jahren vor der Deputiertenkammer mit folgenden Worten erklärte: »Ich mache Außenpolitik mit unserer Geburtenrate«. (Frankreichs Geburtenrate war damals erschreckend niedrig! Anm. HB). Ein anderer Nachteil besteht darin, daß die niedrige Geburtenziffer mit einem geringeren protential an Jugendlichen einhergeht, die für die Entwicklungshilfe mobilisiert werden können.“ (Ebd., S. 148-149).

„Die Politik, die die Pflicht hat, für das Gemeinwohl zu sorgen (und ansonsten ein Verbrechen ist! Anm. HB), sollte also ihr Handeln so ausrichten, daß die Werte der Freiheit und Solidarität in einer sich wandelnden Gesellschaft wieter wirksam bleiben.“ (Ebd., S. 149).

Landflucht: ... Leider erlebt man in Europa häufig eine regelrechte Landflucht (die noch durch unangemessene politische Maßnahmen verstärkt wird), die aus zwei demographischen Ursachen resultiert. Einerseits verlassen die Jugendlichen die Gebiete, die häufig durch politische Entscheidungen zur Förderung einiger Räume und zur Konzentration von Infrastrukturanlagen und Standorten öffentlicher Verwaltungen benachteiligt wurden. Die Überalterung der Landbevölkerung hat unmittelbar zur Folge, daß eine Abwanderung mit selektivem Charakter aus den ländlichen Gebieten einsetzt. Die zweite Ursache der Landflucht hängt mit der geringen Geburtenrate, der selbst zwei Ursachen zugrunde liegen, zusammen. Einerseits ist in den ländlichen wie in den städtischen Gebieten eine Abschwächung der Fertilität zu verzeichnen, die zur Verringerung der Geburtenrate führt. Andererseits wirkt sich dieses Phänomen der schwachen Fertilitätsrate stärker auf die Anzahl der Geburten im ländlichen Raum als im städtischen Raum aus, da der Anteil der Menschen im gebärfähigen Alter geringer ist. Zudem kann in einigen ländlichen Räumen diese negative Geburtenentwicklung noch durch zwei weitere Faktoren verstärkt werden. So wie sich die Entwicklung des Dienstleistungssektors in erster Linie eher in den Städten als in den ländlichen Gebieten vollzog und oftmals mehr Frauen als Männer eingestellt wurden, kann die geschlechtsspezifische Zusammensetzung der jungen Erwachsenengeneration in den ländlichen Räumen zu einem Mangel an Frauen führen, mit der Folge, daß der Geburtenschwund sich noch stärker ausprägt. Die oben dargestellten Generationeneffekte scheinen sich zu bestätigen, denn in zweiter Linie zeigt die räumliche Verteilung der Geburten häufig eine niedrigere Fertilität in den am meisten überalterten Gebieten. Unter dem Einfluß dieser verschiedenen Faktoren werden einige ländliche Gebiete in eine Spirale der Entvölkerung hineingezogen. Die Entwertung des ländlichen Raumes führt somit zur Isolierung ganzer Regionen, die als eine Art von »Dritträumen« betrachtet und politisch benachteiligt werden, ähnlich dem »Dritten Stand« in der Zeit des Ancien Regime vor 1789 in Frankreich. Nun kann aber das Potential des ländlichen Raumes ökologisch nur durch die Menschen unterhalten und genutzt werden. Der Reichtum der Länder entstand in den meisten Fällen aus der Vielfalt der Regionen, aus deren umsichtigen Verwaltung das politische Gleichgewicht erwächst, zu mal die Regionen einen der seltenen Bezugspunkte in einer immer stärker auf Globalisierung ausgerichteten Welt darstellen. In dem Maße wie die schwache Geburtenentwicklung weiter zur Landflucht beiträgt, wird der ländliche Raum auf Dauer und unumkehrbar entwertet, obwohl es doch gerade jener Bereich als Bindeglied zwischen den Städten ist, der den geographischen und sozialen Zusammenhalt der Gesellschaften gewährleistet. Die geringe Geburtenrate, die die Ungleichheiten in der räumlichen Verteilung der Bevölkerung weiter verstärkt, ist also mit Auswirkungen auf die politische Geographie und unbestreitbaren politischen Folgen verbunden.“ (Ebd., S. 149-150).

Der »Harmonieverlust«: Der Geburtenschwund wirft eine wichtige Frage zur Wertevermittlung auf. Jedes politische System und jede Zivilisation gründet sich auf ein Erbe von Idealwerten, zu denen jede Generation ihren Beitrag leisten soll, um sich diesen Idealen zu nähern. Auf diese Weise hat sich auch die Identität Europas durch ein über Jahrhunderte entwickeltes Handeln aufgebaut mit dem Ziel, die Achtung und Toleranz, die Freiheit, Kreativität und Gewaltenteilung zu fördern. Diese Entwicklung verläuft niemals vollkommen kontinuierlich, denn der weitere Fortschritt wird durch Perioden mit rückläufiger Bewegung unterbrochen, die übrigens oftmals den Zeiten mit schwacher Geburtenrate entsprechen, in denen eine Weitergabe der Idealwerte aufgrund der geringen Anzahl von »Empfangern« unzureichend stattfindet. Eine Zivilisation kann sich nur entwickeln und vervollkommnen, wenn es tatsächlich eine Wertevermittlung zwischen den Generationen durch die Familie, die Schule, das Gemeinwesen, das Vereinswesen u.s.w. gibt. Wenn jeder Mensch einer Generation einer Bibliothek entspricht und alle Menschen dieser Generation den Inhalt ihrer Bibliotheken an die zahlenmäßig geringeren jüngeren Generationen weitergeben, dann kommt es zwangsläufig, selbst bei einigen technischen Fortschritten - wie beispielsweise der digitalen Revolution -, zu einem Verlust. Die Möglichkeit für jeden einzelnen, sich Kenntnisse anzueignen, ist notgedrungen begrenzt. Ebenso ist die Fähigkeit einer zahlenmäßig schwächeren Generation, ein intellektuelles und kulturelles Erbe zu empfangen, notgedrungen geringer als die einer zahlenmäßig stärkeren Generation. Das Leben verläuft folglich wie ein Staffellauf. Wenn die Anzahl neuer Staffelläufer geringer ist als die derjenigen, die den Lauf gerade beendet haben, dann gehen einige Staffelstäbe verloren. Mit anderen Worten, eine zahlenmäßig schwächere Generation kann von der vorhergehenden Generation nur ein geringeres kulturelles Erbe empfangen. In Ermangelung ausreichender Empfänger läuft die Zivilisation somit Gefahr, auf Grund eines »Harmonieverlustes« unterzugehen. In seiner Analyse zum Zusammenbruch von Zivilisationen unterscheidet Toynbee »vertikale Brüche zwischen räumlich getrennten Gemeinschaften« und »horizontale Brüche zwischen den räumlich vermischten, aber in sozialer Hinsicht getrennten sozialen Gruppen«. (Vgl. Toynbee, Arnold, A Study of History, 1972). Die vertikalen Brüche erinnern an die Gefahr der schon oben erwähnten »Bildung von Inselgruppen« und die horizontalen Brüche an die Gefahr des Krieges zwischen den Generationen. Eine schwache Geburtenentwicklung, die dauerhaft die demographische Realität prägt, ist folglich nicht nur eine statistische Fragestellung an jene, die sich mit Vorliebe auf quantitative Daten stützen. Durch Veränderungen von Eigenschaften der Bevölkerung kann sie in der Tat viele nationale und internationale politische Auswirkungen haben. Außerdem stellt der Geburtenschwund die Frage nach der Zukunft der Zivilisation. Da die politischen Risiken einer geburtenschwachen Bevölkerung existierern und jedes Land wohlweislich eine zumeist eher stillschweigende als ausdrücklich klar formulierte Bevölkerungspolitik betreibt, besteht dann nicht die einzige Frage für Frankreich und Europa darin: Haben wir nicht eine Bevölkerungsentwicklung, die der Demokratie zuwiderläuft?  Sollten wir folglich nicht eine Bevölkerungspolitik betreiben, die die dauerhaftigkeit und den Aufschwung der demokratie sicherstellt?“  (Ebd., S. 150-152).

Für eine Richtungsänderung in der Familienpolitik (Josef Schmid)

„Im politischen Alltag, in den Parteien- und Richtungskämpfen scheint Familienpolitik wie ein gelegentliches Strohfeuer auf. Sie kann sich nicht als Dauerthema behaupten in einer »Mediendemokratie«, die ihre Konflikte und Sensationen braucht. Auch der sogenannte Wohlfahrtsstaat, der mit den selbst geschaffenen Finanzierungsproblemen kämpft, wird immer nur kurzlebiges Interesse für Familienpolitik erübrigen. Obwohl Familienpolitik nicht gerade ein Karrierethema ist, so gilt sie dennoch als umstritten, weil diejenigen, die sie mit staatlichen Leistungen ausreichend ausgestattet halten, sofort Zustimmung und zugleich Kritik mobilisieren. Dasselbe gilt für den häufigeren Fall, nämlich Familie zum Stiefkind der Wohlstandsentwicklung zu erklären: auch da melden sich Kritiker, vor allem Junggesellen und Kinderlose, die ihre Leistungen und Abgaben ins rechte Licht gesetzt sehen wollen.“ (Ebd., S. 153).

Familie und Nachwuchs: In den ... 1970er Jahren wurde schon vor einem Kulturkampf zwischen Eltern und Kinderlosen gewarnt, der darum geht, wer von ihnen eigentlich die Zukunft gaIrantiere. Eltern lieferten »Humankapital«, beschäftigte Junggesellen beiderlei Geschlechts dafür »Sachkapital« und müßten davon nicht allzu wenig abliefern. Geschichtlich Bewanderte erinnern an die im alten Deutschland übliche »Hagestolzensteuer«. - Das marode Bild des Generationenvertrags, dieser notleidend gewordene Wechsel, gezogen auf ein Alter in Wohlstand, macht uns auf die verdrängte Lebenserhaltungsgemeinschaft aufmerksam, die Familie einst sichtbar vorgeführt hat und die auch ein bürokratischer Sozialstaat mit der großen »kollektiven Lösung« der Existenzprobleme nicht auf ewige Zeiten vemebeln kann. Es gab immer Ideen, welche die Hervorbringung von Nachwuchs von Familie abkoppeln wollten. Sie sind Gedankenspiele von Utopisten geblieben. 85% aller Kinder werden in existierenden Familien geboren, der Rest in familienähnlichen Verhältnissen. Die Frage der gesellschaftlichen Emeuerung über Geburten kommt immer häufiger auf den Tisch, weil Geburtendefizite - gemessen an der Stärke der Elterngeneration - den Altenanteil an der Bevölkerung anwachsen lassen und die künftigen Aktiven ihn zu versorgen haben werden. Schon deshalb wird Familie ihren Status ändern müssen. Sie ist nicht länger als Konsumeinheit zu betrachten, der von Zeit zu Zeit die Kaufkraft von außen gestärkt gehört, weil sie sonst als bedauerliche und abgeschlagene Einheit im Kampf um die Optimierung von Lebensstandard, Erlebniswelten und »Wellness« erscheint. Schon der Begriff »Lastenausgleich« im Namen sozialer Gerechtigkeit macht Familie zum Patienten des Wohlfahrtsstaates, ohne zu wissen, daß gerade aus ihr das Leben quillt, das ihn erhält. Der Übermut der »Moderne« hat Kinder zur Privatangelegenheit eines elterlichen Verbandes erklärt und dabei gleich eine Doppelbödigkeit eingeführt: lediglich die Entscheidung für oder gegen Kinder sei eine private; sobald ein Kind geboren ist, wird es »sozialisiert«, d.h. willkommen geheißen in einer Arbeitsgesellschaft und Versichertengemeinschaft. Der liberale Staat hat mit dem letzteren nie Mühen gehabt, doch bringt er es bis heute nicht fertig, sich für Entscheidungen, die zur Familienvergrößerung führen, verantwortlich zu fühlen. Das zeigte sich in der Diskrepanz zwischen der Behandlung von Kinderkosten und den Kosten der Alterssicherung. Nur letztere sind voll finanzierte Ansprüche. Nun geht es nicht darum, den Staat zu bewegen, er möge doch den Eltern die Kinder zum Selbstkostenpreis abkaufen. Es geht vielmehr um eine fundamentale Richtungsänderung von gesellschaftlichen Maßnahmen, die die stattliche Summe von nahezu 166 Milliarden Euro (!!!) ausmachen und sich ausschließlich auf Lastenausgleich beziehen (Hilfen, Zuschläge, Komponenten); und nur auf schon geborene Kinder (Kindergeld). Doch wir brauchen Maßnahmen aufgrund der Tatsache, daß eine Generation lang zu wenige Kinder geboren worden sind und in unserer Zivilisation der Realisierung von Kinderwünschen zu viel entgegensteht. Die Gründe dafür liegen in den neuzeitlichen Familienverhältnissen, in denen der Spaltpilz »moderner Lebensentwürfe« lauert. Er nimmt der Familie Stabilität und Tragfähigkeit. Generöse Sozialpolitik scheint die Tendenz zu verstärken: aus Scheidungen gehen immer mehr alleinerziehende Mütter mit Sozialhilfe hervor. Man munkelt, daß man nirgendwo so einfach Frau und Kind »an den Staat« los wird wie in Deutschland. Doch die Problemlage Deutschlands erfordert stabile Familienverhältnisse und Nachwuchs, was ständigen Krieg mit dem Zeitgeist bedeutet.“ (Ebd., S. 153-154).

„Man wird sich ernsthaft die Frage stellen müssen, ob die Mittel und Maßnahmen, die für (die zu teure! Anm. HB) Zuwandererintegration bereitgestellt werden müssen, nicht in erster Linie den einheimischen Familien zufließen sollten, weil der Wunsch nach mehr Nachwuchs, der ein gewisses Zuwanderungsquantum überflüssig macht, und die Forderung nach mehr Bildung und Ausbildung der Jugendjahrgänge bei ihnen am besten aufgehoben ist. Nur wo sich Elternhaus und Bildungseinrichtungen in der Qualifizierungsaufgabe der Jugend glücklich teilen, wird jenes Humankapital erzeugt, mit dem im 21. Jahrhundert zu überleben ist.“ (Ebd., S. 155).

Mißverhältnis von Jung zu Alt: Dieses Missverhältnis von Jung zu Alt, das in der Entwicklung angelegt ist, hebelt das Bismarck'sche System sozialer Sicherung aus, wo wesentlich mehr Jüngere für relativ wenig Ältere, viele Gesunde für wenige Kranke zu sorgen hatten. Die Gewichtsverlagerung zu den Altenjahrgängen hin bringt auch das Umlageverfahren in der Rentenversicherung unter Druck. Die demographische Entwicklung erhöht die Lastquoten der Menschen im aktiven Alter: auf 100 von ihnen (20-60-J.) kommen 40 der abhängigen Jahrgänge. In 30 Jahren wird das Verhältnis 1 zu 1 sein. Die Rentenbezieher sind der steigende Teil in der Rentenformel, die Zahl der in Arbeit befindlichen Beitragsleister geht zurück: (a) aus Gründen des Jugendschwundes und Alterung des Erwerbspersonenpotentials, (b) aus Gründen der Arbeitslosigkeit bzw. von Konjunkturschwankungen und (c) aus Gründen von Fehlqualifikation von Arbeitskraft (»Mismatch am Arbeitsmarkt«). Mit einer solchen Entwicklung kann man die volkswirtschaftliche Leistung nur mit äußerster Anstrengung halten; dabei müßte sie steigen, schon um der sozialen Kosten der Alterung willen und wegen der Investitionen, um im internationalen Wettbewerb zu bestehen.“ (Ebd., S. 155-156).

„Kompensatorische Maßnahmen in Produktion und Arbeitswelt verschaffen eine Galgenfrist:
1.Man kann die Produktivität steigern; doch für Spitzenleistungen braucht es qualifiziertes jüngeres Personal und älteres an der richtigen Stelle; doch das kann nicht ständig abnehmen.
2. Man kann für längere Lebensarbeitszeit sorgen und für mehr Beitragszahler (z.B. Frauen aus der StillenArbeitsmarktreserve locken), und dann
3. an Zuwanderung denken, die den Engpässen am Arbeitsmarkt entspricht und nicht dazu dienen darf, die Arbeitsplatzsuche junger einheimischer Eltern zu erschweren.
Bei Abnahme der Erwerbspersonen zwischen 2010 und 2015 jährlich um 1,3% werden Hilfsmaßnahmen allein nicht mehr greifen, zumal sich um das Jahr 2030 für die jüngere Generation der Erwerbstätigen eine Belastungsspitze abzeichnet: da wird die gesamte Babyboom-Generation der 1960er Jahre in Rente sein, d.h. die stärkste und sozialpolitisch verwöhnteste Rentnergeneration der Welt wird geschlossen Alterssicherung beziehen und die schwächste Erwerbspersonengruppe wird ihr gegenüberstehen.“ (Ebd., S. 156).

„Die Politik bzw. die Wahldemokratie wird es sich nicht leisten können, die mächtiger werdende Gruppe der Älteren zu übergehen; die Tendenz zeichnet sich seit zwei Jahrzehnten ab: 65-bis 70-Jährige beziehen ein Drittel mehr Rente als ihre Altersgenossen vor 20 Jahren. Dagegen müssen zwei Drittel der unter 40-Jährigen mit weniger auskommen als die unter 40-Jährigen der vorangegangenen Generation. Sie verdienen auch 5 bis 6% weniger als diese. Sie erreichen außerdem den Lebensstandard heutiger Rentner nicht mehr. Die Umverteilung von Jung zu Alt trifft dramatisch die Niedrigverdiener. Daher ist die Feststellung richtig, daß das Volkseinkommen zu größeren Teilen in die Taschen der Älteren wandert, die Jungen weniger Chancen der Vermögensbildung und dennoch die Aufgabe der Familienbildung unter ungünstigeren Bedingungen haben. Die junge Familie ist und bleibt, wenn sich nichts ändert, der Lastesel des Systems. “ (Ebd., S. 156-157).

Kein Ausweg ohne Geburtenförderung: Deutschland muß als hochgradige Industrienation bestrebt sein, die benötigten Qualifikationen in Eigenbau zu schaffen. Nachdem die Sozialkosten der Zuwanderung hoch (zu hoch ! Anm. HB) sind, drängt sich die Überlegung auf, ob nicht wenigstens die Hälfte dieses künftigen Menschenmangels über geburtenfördernde Familienpolitik zu beheben wäre.“ (Ebd., S. 157).

„Die konsequente Einleitung ... bedeutet ... eine Neuordnung der Prioritäten, nämlich von kurzfristigem Krisenmanagement zur langfristigen Sicherung der mit der Menschenzahl und ihren Fähigkeiten verbundenen Existenzgrundlagen.“ (Ebd., S. 157).

Leistungsausgleich für gesellschaftlich relevante Arbeit - Konzept und Umsetzung (Helmuth Schattovits)

„Die Konferenz hat in den Eingangsreferaten schwerpunktmäßig zweckrationale Begründungen für die Notwendigkeit einer aktiven Familienpolitik vorgelegt. Im folgenden Beitrag werden eher wertrationale Argumente herangezogen, die ebenfalls neue Ansätze und Maßnahmen in der Politik einbeziehen.“ (Ebd., S. 159).

„Vorbemerkungen:
Kinder stellen nicht nur einen Wert an sich dar, sondern sind auch für die Gesellschaft wertvoll. (Wahrscheinlich sogar: am wertvollsten! Anm. HB). Sollte die Zahl der Kinder als soziale Kategorie eine kritische Größe unterschreiten, beeinträchtigt das den Bestand an wertvollen Verhaltensweisen, was zu einer Verarmung der Gesellschaft führt.
Wir stellen fest, daß - vereinfacht gesagt - sich jede zweite Familie ein Kind mehr wünscht als an Kindern geboren wurden. Wäre dem nicht so, so könnte die Reproduktion in etwa aus den Geburten erfolgen. Offenbar gibt es strukturelle Faktoren, die es schwierig machen, in unserer Welt den Kinderwunsch entsprechend zu verwirklichen. Familienpolitik braucht demnach primär nicht den Kinderwunsch zu stimulieren, sondern lediglich Rahmenbedingungen schaffen, die eine Verwirklichung des vorhandenen Kinderwunsches jedenfalls nicht beeinträchtigen. (Doch noch nicht einmal das können unsere Politiker! Das könnte doch auch Absicht sein, oder?  Anm. HB).

Der Geburtenrückgang ... war (bis in die 1960er Jahre; Anm. HB) im wesentlichen dadurch gekennzeichnet, daß die Zahl der Familien mit höherer Kinderzahl stark zurückgegangen ist. Dafür wurde - im Gegensatz zum 19. Jahrhundert - fast jede Frau Mutter und jeder Mann Vater. Heute zeigt sich folgendes Muster: Neben ungewollter Kinderlosigkeit nimmt auch die gewollte deutlich zu. Es werden in Zukunft insgesamt etwa um die 25% der Frauen und Männer keine Kinder haben. Die gewollte Kinderlosigkeit wird gesellschaftlich anerkannt und durch die Umstände (einer solchen Dekadenz! Anm. HB) eher leicht realisierbar.

Demgegenüber besteht bei etwa 25% der Mütter und Väter ein Wunsch nach mehr als zwei Kindern und bei 50% ein solcher nach zwei Kindern. Diese Wünsche bezüglich Kinderzahl lassen sich in unserer Welt der »strukturellen Rücksichtslosigkeit« (F.-X. Kaufmann) - wenn überhaupt - nur über ein hohes Maß an Zusatzmotivation verwirklichen. Dabei reicht die gesellschaftliche und staatliche Unterstützung offensichtlich keineswegs aus. (Kein Wunder, da ja auch z.B. die gerade erwähnte Differenz von Wunsch und Wirklichkeit zeigt: Staat und Gesellschaft unterstützen die Kinderlosigkeit, sie sind kinderfeindlich ! Anm. HB). Hier liegt demnach eine besondere Herausforderung an die Politik vor, die nicht ausreichend aufgegriffen worden ist.“ (Ebd., S. 159-160).

Wandel der Familie
Der strukturelle Wandel von der Familie als Großgruppe
in einem Haushalt zu einem Netzwerk von Familien
und Einzelpersonen in mehreren Haushalten.
„Die in Familie und Gesellschaft eingetretenen Veränderungen sind so weitgehend, daß auf die daraus entstandenen Herausforderungen nicht mit einem einfachen Mehr an bisherigen Maßnahmen problemlösend geantwortet werden kann. Es bedarf vielmehr neuer Ansätze, die der neuen Problemstruktur entsprechen.“ (Ebd., S. 160).

Wandel aus Mikroperspektive: In horizontaler Betrachtung läßt sich die Entwicklung wie folgt kurz zusammenfassen: Aus der Familie als Gruppe mit ausgeprägter Personenvielfalt in einem Großhaushalt entsteht ein familiales Netzwerk von mehreren, meist räumlich getrennten Haushalten. (Vgl. Abbildung). .... Die wesentlich geringere Personen- und Rollenvielfalt im jeweiligen Haushalt bedeutet auch geringere personelle ressourcen. Das heißt z.B. im Konfliktfall, tendenziell immer wieder auf das kleine Betziehungssystem zurückverwiesen zu werden, also keine »Blitzableiterperson« in der Situation zu haben. Oder im Falle der erforderlichen Hilfe kaum auf im Haushalt lebende Personen zurückgreifen zu könne, was insbesondere für alleinerziehende Eltern oder pflegebedürftige Menschen zu schwer überwindbaren problemen führen kann. In vertikaler Betrachtung führt die zunehmende Lebenserwartung und die sinkende Fertilität, wobei die Kinder eher in einem kurzen Zeitraum des Lebensverlaufes (der Eltern) - wenn auch zunehmend später geboren werden, zur sogenannten Bohnenstangenfamilie: lang und dünn. Einerseits hat sich die Familie auf meist vier Generationen erweitert - häufig in drei Haushalten - und andererseits in der jüngsten Elterngeneration auf etwa ein bis zwei Kinder verringert. Damit gibt es weniger Geschwister und später weniger Tanten bzw. Onkel, dafür mehr lebende Groß- und Urgroßeltern. Die Großeltern sind häufig noch im Erwerb oder knapp in der Pension. Sie können und wollen oft Aufgaben bei der Betreuung übernehmen. Die Urgroßeltern werden mit zunehmendem Alter pflegebedürftiger. So entsteht neben dem Betreuungsbedarf für Kinder zusätzlich ein solcher für ältere Senioren, der nicht einfach so nebenbei mitlaufen kann, da auch die Ansprüche an die zu Betreuenden steigen, und das unter der Bedingung reduzierter Personenvielfalt.“ (Ebd., S. 160-161).

Wandel aus Makroperspektive: Wie oben erwähnt, besteht ein Ergebnis des gesellschaftlichen Wandels darin, daß der Ausgleich von Kosten und Nutzen zwischen den Generationen und Geschlechtern nicht mehr innerhalb des Familiensystems erfolgen kann bzw. erfolgt. Die nachstehende schematische Darstellung verdeutlicht diese Aussage.“ (Ebd., S.162 ).

–  „Familienwirtschaft“  –
bezüglich Kosten-Nutzen
ein geschlossenes System

„Kinderreichtum“

VS.

–  „Individualentgelt“  –
Kinderkosten bleiben weitgehend der Familie;
Nutzen in Form von Abgaben und Steuern hat Gesellschaft/Staat

„Armutsrisiko Kinder“

F
A
M
I
L
I
E
Kosten
=======>
Nicht-mehr-Erwerbstätige
Ý
Nutzen
<=======
Erwerbstätige
Ý
Kosten
=======>
Noch-nicht-Erwerbstätige
F
A
M
I
L
I
E
INFORMELL
<======>
Nicht-mehr-ErwerbstätigeRente (Pension)
<============

S
T
A
A
T
/
G.

Ý
Nutzen
<=======
ErwerbstätigeSteuern, Abgaben
============>
Ý
Kosten
=======>
Noch-nicht-ErwerbstätigeFamilienbeihilfe
<============

„Die Graphik zeigt schematisch den Ausgleich von Kosten und Nutzen zwischen drei Generationen: Nicht-mehr-Erwerbstätige, Erwerbstätige und Noch-nicht-Erwerbstätige im familienwirtschaftlichen und im »individual«-wirtschaftlichen System. Im ersteren gleichen sich Kosten und Nutzen innerhalb des Familiensystems im Laufe der Generationen aus.
A, B, C, D
A = Noch-nicht-Erwerbstätige; Kinder (K.)
B = Erwerbstätige (E.)
C = Nicht-mehr-Erwerbstätige; Rentner (R.)
D = Staat und Gesellschaft (Gemeinschaft)
AB = Familiäres 2-Generationen-System (K.-E.).
AC = Unterstützungsbedürftige (K./J. und R.)
BD = Lobby der „Mittleren“ (E.) bei Staat und Ges.
CD = Lobby der „Alten“ (R.) bei Staat und Ges.
ABC = Familiäres 3-Generationen-System (R.-E.-K..)
ABD = Staatliches Unterstützungs-System ohne R.
ACD = Staatliches Unterstützungs-System ohne Rb.
BCD = Staatliches 2-Generationen-System (E.-R.)*
ABCD = Ausgeglichene (Ideal-) Gemeinschaft
* Problem liegt in BCD: Keine Lobby für A!
Quelle: © Hubert Brune
In der heutigen Zeit funktioniert das als eine Folge des oben beschriebenen Wandels nicht mehr. Es hat daher eine Systemerweiterung um den Staat stattgefunden. Die jeweilige Erwerbsgeneration führt aktuell etwa die Hälfte ihres Erwerbseinkommens in Form von Steuern und Abgaben an den Staat ab. Dieser finanziert u.a. daraus nach dem Lebensstandardprinzip den Unterhalt für die nicht mehr erwerbstätige Generation in Form der Rente (Pension), Zu den Unterhalts- und Betreuungskosten für Kinder, die noch nicht erwerbstätige Generation trägt der Staat relativ wenig (so gut wie gar nichts! Anm. HB) bei, so daß der Erwerbsgeneration, wenn diese Mütter und/oder Väter sind, beachtliche Kosten verbleiben. Der Nutzen der erwachsenen Kinder kommt wesentlich wesentlich der Gesellschaft, dem Staat zugute. Aus Kindern als potentieller Quelle des Reichtums wird eine solche der Armutsgefährdung.“ (Ebd., S. 162-163).

Resümee: Das System des Ausgleichs zwischen den Generationen und Geschlechtern bedarf notwendigerweise der Erweiterung um den Staat (obwohl es doch der Staat selber war, der rücksichtslos die Ungleichheit, die Ungerechtigkeit zwischen den Generationen und Geschlechtern durchgesetzt hat; Anm. HB). Letzterer hat auch als Garant für die Symmetrie im Generationen- und Geschlechterverhältnis zu fungieren, denn das aktuelle Ausgleichssystem hält sich nicht selbststeuernd im dynamischen Gleichgewicht. In den ausdifferenzierten, »individualisierten Gesellschaften« geht die Entwicklung tendenziell insbesondere zu Lasten der Kindergeneration und von Müttern/Vätern.“ (Ebd., S. 163).

Konzept des Leistungsausgleichs für gesellschaftlich relevante Arbeit: Eingeleitet wird mit einer Längsschnittsbetrachtung, die noch deutlicher werden läßt, als die oben besprochenen Querschnittsbetrachtungen, daß grundlegende staatliche Maßnahmen im Sinne einer sekundären Einkommensverteilung erforderlich sind, gerade in einer gesellschaftlichen Situation vielfältiger Lebensformen und -verläufe.“ (Ebd., S. 163).

„Die aktuelle politische Diskussion sucht das oben dargestellte Problem im wesentlichen nach dem Versicherungsprinzip und dem Fürsorgeprinzip zu lösen. Die neuen Sitautionen als Ergebnis des wandels verlangen allerdings nach neuen Ansätzen. An Hand der folgenden Abbildung wird näher darauf eingegangen.
Versicherung (als Prinzip)
bei Erwerbsarbeit
Fürsorge (als Prinzip)
bei mangelder Leistungsfähigkeit
Leistungsausgleich (als Prinzip)
bei geselschaftlich relevanter Arbeit
In der aktuellen Diskussion dominiert das Versicherungsprinzip in Verbindung mit Erwerbsarbeit - ja wird häufig sogar als geradezu einzige Möglichkeit angesehen, Entgelte und Ansprüche »indivduell« zu erwerben und damit den Kaufkraftverlust ansatzweise auszugleichen. .... Diese Position verharrt im reduktionistischen Verständnis von Arbeit als Erwerbsarbeit und läßt andere, gesellschaftlich relevante Arbeit unberücksichtigt. Damit wird Mehrfachbelastung von Eltern gegenüber kinderlosen Frauen und Männern gefördert. ... Fürsorgesysteme dienen als Auffangnetz für Menschen, die zeit- oder teilweise nicht für sich selbst sorgen können. .... Es muß als grob unbillig angesehen werden, gesellschaftlich so relevante Leistungen wie z.B. Kinderbetreuung im Bereich von Fürsorge zu positionieren. Denn Betreuungspersonen, wie z.B. Mütter und Väter, sind ja nicht in ihrer Leistungsfähikeit beschränkt, sondern erbringen im Gegenteil beachtliche Leistungen für Mensch und Gesellschaft. Das dritte Prinzip, Leistungsausgleich, setzt beim Betreuungsbedarf z.B. des Kindes, der behinderten Person u.ä. an. Demnach wird die zu erwartende Betreuung - meist in Abhängigkeit vom Alter des Kindes - als solche unterstützt. Eine Person, die solche oder ähnliche gesellschaftliche relevante Leistungen erbringt, erwirbt dadurch Ansprüche, unabhängig von ihrer Erwerbstätigkeit oder finanziellen Situation. Das Leistungsausgleichsprinzip macht es damit möglich, gleichwertiges Entgelt und soziale Sicherheit auch außerhalb des Erwerbsarbeitsmarktes zu verdienen. Diese so eingesetzte Zeit muß nicht zusätzlich zur Erwerbszeit erbracht werden. Die Teilnahme an der Erfüllung von z.B. Betreuungsarbeit vermittelt gewisse Ansprüche auf Entgelt und soziale Sicherheit. Es entsteht ein sogenanntes participation income (Atkinson), das sich vom citizen’s income (Grundeinkommen nach dem Fürsorgeprinzip) eben durch Anerkennung einer gesellschaftlich relevanten Leistung unterscheidet. .... Mit diesem dritten Ansatz wird der Vorrat an möglichen Leistungen qualitativ und quantitativ erweitert: Lösungen finden sich nicht nur jeweils in bzw. zwischen zwei Polen, sondern auch in der Fläche des Modelldreiecks (Versicherung-Fürsorge-Leistungsausgleich; Anm. HB). Genau diese Erweiterung stellt eine Voraussetzung dar, um der Vielfalt von (familialen) Lebenssituationen besser gerecht zu werden.“ (Ebd., S. 164-166).

Generell präventive Maßnahmen: Diese Maßnahmen dienen dem sozialen Ziel des Ausgleichs zwischen jenen, die aktuell Kosten für den Unterhalt, die Pflege und Erziehung von Kindern zu tragen haben, und jenen, für die das aktuell nicht zutrifft. (Sog. horizontaler Ausgleich). Es handelt sich demnach um generelle und präventive Maßnahmen: generell, weil sie allen Kindern in gleicher Weise zugute kommen, und präventiv, weil sie sozialer Ungerechtigkeit vorauschauend vorbeugen. Die Finanzierung erfolgt nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit der verpflichteten Person anteilmäßig oder progressiv, die Verteilung an alle Kinder in gleicher Höhe. Das bewirkt eine Umverteilung derart, daß die oberen Einkommensbeziehenden mehr zahlen als sie zurückbekommen, während für die unteren und Mehrkinderfamilien das Gegenteil gilt: sie zahlen weniger ein als sie herausbekommen. Neben dem primären Ziel des horizontalen Ausgleichs erfolgt demnach eine beachtliche vertikale Umverteilung. Auf der Verteilungsseite ebenfalls nach Einkommen zu staffeln, würde Kinder aufgrund von Merkmalen der Eltern vom Ausgleich ausschließen. Damit würde das soziale Ziel Ausgleich verfehlt, und soziale Treffsicherheit wäre nicht gegeben. Den Kern solcher generell präventiven Maßnahmen bilden:
Familienbeihilfe: Die Familienbeihilfe (Kindergeld u.ä.) dient dem primären Ziel, Unterhaltskosten für Kinder zwischen jenen, die aktuell solche zu tragen haben, und jenen, für die das nicht zutrifft, ... auszugleichen.
Kinderbetreuungsscheck (KBS) - aktuelle Vorstufe ist das Kinderbetreuungsgeld (KBG): Der Betreuungsscheck dient dem primären Ziel, Betreuungsleistungen für Kinder zwischen jenen, die solche aktuell sicherzustellen haben, und jenen, für die das nicht zutrifft, auszugleichen. Hierzu gehören auch: Gutscheinsysteme, Rentenansprüche (Pensionsansprüche), Krankenversicherung u.ä..
Spezifische Maßnahmen - »individuell« helfend: Diese Maßnahmen dienen der Unterstützung über den generell-präventiven Ausgleich hinaus, wenn zufolge persönlicher Umstände eine Unterstützung der Familie notwendig wird. Dabei handelt es sich um ergänzende Maßnahmen.
Direkte Armutsbekämpfung im Einzelfall: Die Familienzuschüsse mit einer Einkommensgrenze nach dem Pro-Kopf-Einkommen (und nicht nach dem Haushaltseinkommen; Anm. HB).
Akute Krisenintervention: Diese dient dem Härteausgleich mit dem primären Ziel der Verminderung der Folgen von aktuellen Krisensituationen.
Vorschußzahlungen - Kreditgewährung: Diese dienen der Entlastung der anspruchsberechtigten Person ...
Strukturell abstützende Maßnahmen: Neben den direkten sind auch indirekte Maßnahmen erforderlich, die als strukturell abstützende Dienstleistungen angesehen werden können. Sie liegen im Bereich der Bildung, Beratung, Forschung und Interessenvertretung.
Beratung: Familienberatungsförderung.
Elternbildung: Aus- und Aufbau der vorbereitenden und begleitenden Elternbildung.

Evaluierung und Familienforschung: Aus- und Aufbau der Generationen- und Geschlechterforschung sowie der Evaluierung von Maßnahmen der Familienpolitik.

Familienorganisation - Interessenvertretung: Förderung der Basisarbeit und Selbstorganisation.

In der öffentlichen Diskussion wird immer wieder ein Gegensatz von Geldleistungen oder mehr Betreuungseinrichtungen hergestellt. Damit verbunden ist dann auch die Frage der Betreuung in der Familie oder in externen Einrichtungen. Diese Position des Entweder-Oder sollte keinesfalls vom Staat entschieden werden, sondern eher durch geeignete Maßnahmen überwunden werden. Geschieht dies nicht, interveniert der Staat massiv in die Freiheit der Eltern bezüglich ihrer Lebensgestaltung. In der Praxis führt das häufig dazu, daß öffentliche Mittel in externe Betreuung investiret werden und damit jene Väter und Mütter, welche die Betreuung selbst wahrnehmen möchten, kaum Unterstützung erhalten. Im Gegensatz dazu sollte den Eltern die Möglichkeit gegeben werden, die im Sinne des Kindeswohls und ihres eigenen Wohls beste Entscheidung treffen und umsetzen zu können. Das Leistungsausgleichsprinzip bildet die konzeptuelle Grundlage dazu und der Kinderbetreuungsscheck (KBS) das taugliche Instrument zur Umsetzung.“ (Ebd., S. 167-169).

Grundsätzliche Überlegungen zum Kinderbetreuungsscheck (KBS): Kinder brauchen Unterhalt, Betreuung und Erziehung. Dafür Sorge zu tragen, ist primäres Recht und primäre Pflicht der Eltern. Diese haben dabei einen Anspruch auf Unterstützung durch Staat und Gesellschaft: einerseits aus dem Menschenrecht auf Familie und anderseits, weil diese Betreuungsleistung auch für Staat und Gesellschaft von zentraler Bedeutung ist. Es gehört zum Elternrecht zu entscheiden, in welchem Ausmaß die Eltern die Betreuung selbst wahrnehmen oder diese teilweise und zeitweilig anderen Personen übertragen. Diese Wahlfreiheit muss durch generelle Maßnahmen allgemein abgesichert und durch Einzelmaßnahmen für spezifische Situationen ergänzt werden. Dabei ist darauf zu achten, daß diejenigen Eltern, welche die Betreuung selbst wahrnehmen möchten, von Aufwendungen der öffentlichen Hand nicht ausgeschlossen werden. Wenn deren Betreuungsleistung nicht auch praktisch anerkannt wird, erfolgt eine wirtschaftliche und prestigemäßige Diskriminierung der elterlichen Betreuung zugunsten anderer Betreuungsformen. Die Einführung eines Betreuungsschecks hat die Qualität einer sozialen Innovation mit hoher Wirkmächtigkeit. An Auswirkungen könnten beispielsweise die folgenden erwartet werden, wobei insbesondere jene erwähnt werden, welche der Stärkung der Position der Eltern und Kinder dienen:
Durch ansatzweise Abgeltung der von den Eltern erwarteten Betreuungsleistung an den Kindern wird bei diesen auch Kaufkraft für das soziale Gut »Teilzeitbetreuung von Kindern« und damit für den Aufbau eines freien Betreuungsangebotes geschaffen. Damit werden Eltern anstatt Bittstellern bei Anbietern von Kinderbetreuung deren Kunden, was die Position der Eltern wesentlich stärkt und die Qualität des Angebots tendenziell steigert, da Eltern wohl das wählen, was sie für ihre Kinder als am förderlichsten ansehen.
Die Wahlfreiheit der Eltern wird materiell gestützt, was zum Abbau von Diskriminierung sowohl des außerhäuslichen Erwerbs als auch der innerfamilialen Leistungen beiträgt.

Individuell erbrachte Leistung wird finanziell sowie sozial- und pensionsrechtlich individuell abgegolten, womit Betreuung als gesellschaftlich relevante Arbeit anerkannt wird.

Zwischen den Eltern verbessert sich die Position für jenen Elternteil, der bisher primär die Betreuungsarbeit unentgeltlich erbracht hat, was auch Partnerschaftlichkeit fördert.

Durch die Verknüpfung z.B. mit gesundheits- und bildungspolitischen Anliegen kann die psychosoziale und -hygienische Versorgung auch der Kinder verbessert werden.

Die Bedeutung von Familien- und Nachbarschaftsnetzwerken wird zunehmen, was der Selbsthilfe förderlich ist.
Die sich entwickelnden Lösungen werden der soziokulturellen Vielfalt des Landes entsprechen, da Geld eine unspezifische Maßnahme darstellt.
Kostenwahrheit und -bewußtsein bezüglich sozialer Güter wird gefördert (derzeit meist nur bis 20% der Aufwendungen durch Eigenleistungen abgedeckt).

Die erhöhte Kaufkraft bei Familien, insbesondere in strukturschwachen Gebieten, kommt der Volkswirtschaft zugute, da bei den Familien wenig gespart werden kann und das Geld überwiegend im Inland ausgegeben wird.

Die Mindestlöhne werden marktkonform angehoben werden müssen, da z.B. Mütter nicht jede Arbeit um jeden Lohn annehmen müssen, um brauchbar überleben zu können.

Ab einer gewissen Höhe des Betreuungsschecks kann erwartet werden, daß Väter ernsthaft erwägen, ihre Erwerbstätigkeit zu reduzieren oder zu unterbrechen.

Grundsätzlich erhält jede Mutter - oder jeder Vater - unabhängig vom Erwerbsstatus bis zum vollendeten siebenten Lebensjahr des jüngsten Kindes als ansatzweise Abgeltung für erwartete Betreuungsleistungen einen bestimmten Geldbetrag, der für ein Kind z.B. in Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes liegt.“ (Ebd., S. 169-170).

„Voraussetzung für die Verwirklichung dieser innovativen Maßnahmen ist ... der politische Wille dazu.“ (Ebd., S. 171).

Für einen neuen Feminismus (Christine Bruneau)

„Kinder sind Zukunft. Kinder sind die Weiterentwicklung einer Gesellschaft. Sie sind auch Produkt einer Generation. Kindern sichern die Weitergabe ihrer Kultur und ihres Wissens. Sie sind die unentbehrliche Konkretisierung der Zukunft. Eine Welt ohne Kinder oder mit weniger Kindern wird zu einer Welt ohne Leben ....“ (Ebd., S. 175).

„Das Fehlen eines Vaters oder männlicher Bezugspersonen, die für den Reifeprozeß, die Identitätsfindung und Entwicklung der Sozialfähigkeit der Kinder unabdingbar sind, ist heute für die meisten Kinder eine schmerzliche Wirklichkeit. Es ist unerläßlich, daß die Frauen sich dafür einsetzen, daß die Verantwortung der Erziehung gemeinsam getragen wird.“ (Ebd., S. 176).

„Die Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt im Bereich der häuslichen Kinderbetreuung sind enorm. Hier könnte eine neue Berufssparte entstehen, bei der bestimmt Qualitäts- und Sicherheitskriterien in der privaten Kinderbetreuung garantiert würden. Dies würde denjenigen Eltern, die sich für eine außerhäusliche Erwerbstätigkeit entscheiden, bessere Wahlmöglichkeiten bieten. Darüber hinaus sollte die Entscheidung eines Elternteils für die persönliche Erziehung der Kinder durch eine direkte Honorierung dieser Erziehungsarbeit anerkannt werden, auch um dieser häuslichen Erziehungsarbeit den »Geruch« eines unproduktiven Zeitaufwands zu nehmen.“ (Ebd., S. 177).

„Das Kindeswohl steht bei all diesen Überlegungen im Zentrum.“ (Ebd., S. 178).

Neue Wege der Familienförderung (Claus Kretz)

Zusammengefaßtes Ergebnis der Umfrage (März/April 2002): .... Das Dilemma zwischen Kinder- bzw. Familienwunsch und gegenläufigen Wünschen und Zielen (insbesondere von Kinderlosen und deren Förderer: Staat! Anm. HB) lösen viele junge Leute durch eine Verzögerung von Familie und Elternschaft. Das Heiratsalter steigt sprunghaft an, und die Eltern sind im Durchschnitt bei der Geburt ihrer Kinder erkennbar älter als die Eltern noch vor einem Jahrzehnt. Damit verringert sich aber auch die biologische Möglichkeit für weitere Kinder, und viele Kinderwünsche bleiben unerfüllt. Einem errechneten Durchschnitt von 2,2 gewünschten Kindern steht im Durchschnitt eine Geburtenzahl von 1,4 Kindern gegenüber.“ (Ebd., S. 181).

„Dabei zeigen die Werte der Umfrage*, daß wenigstens jedes 10. Elternpaar sich die Erfüllung eines Kinderwunsches bewußt versagt, oft aus dem Gefühl heraus, sich keine weiteren Kinder leisten zu können. (Das ist, insbesondere angesichts des Reichtums in Deutschland, ein Skandal! Anm. HB [vgl. demographisch-ökonomisches Paradoxon*]). Diese Vorstellung ist nicht unbegründet. Nach der Geburt von Kindern erleben viele junge Familien in der Regel eine spürbare Verringerung ihres Einkommens. (Schuld daran hat vor allem der Staat, weil er die Familien ausbeutet! Anm. HB). So berichteten 79% der Eltern, daß sie nach der Geburt ihres ersten Kindes weniger Geld zur Verfügung hatten als zuvor; 51% erklärten, daß sie sich sehr einschränken mußten.“ (Ebd., S. 181).

„Die Frage nach den vermißten Betreuungsformen zeigte vor allem einen Mangel an Ganztagsbetreuung für Kindergarten- und Schulkinder auf. 6% der Eltern berichteten, ihnen fehle über die bereits vorhandene Einrichtung hinaus ein Ganztagskindergarten in der Nähe, 6% wünschten sich flexiblere Öffnungszeiten des Kindergartens, und 4% verlangten eine Ganztagsschule bzw. eine Nachmittagsbetreuung von Schulkindern in der Schule. Eltern von Kleinkindern wünschten sich in 8% der Fälle darüber hinaus eine Aufnahme auch von Zweijährigen in die Kindergärten, wobei es den meisten jedoch nicht um eine Ganztagsbetreuung ging.“ (Ebd., S. 182).

„Aktuell nutzten im befragten Alterssegment vergleichsweise ansehnliche Gruppen auch Beratungsleistungen ... Für solch eine Beratung ergibt sich eindeutig erweitertes Personal. Aus der Gesamtbetrachtung ergibt sich allerdings auch für die jungen Befragten, daß Beratung und Betreuung nicht ganz so wichtig wie eine finanzielle Förderung der Familie durch den Staat sind. Besonders unzufrieden sind viele junge Eltern mit den finanziellen Leistungen es Staates, die nur 36% für ausreichend halten und 59% für mangelhaft. (Wenn 100% über die Mißbräuche des Staates zur Ausbeutung der Familien richtig aufgeklärt gewesen wären, dann hätten mindestens 90% die Leistungen des Staates für mangelhaft erklärt; Anm. HB). Auf der Wunschliste der Eltern, aber auch der jungen Bevölkerung insgesamt, steht deshalb ein Ausbau der finanziellen Förderung der Familien.“ (Ebd., S. 183).

„Für die ersten drei Lebensjahre eines Kidnes wünschen sich die Befragten vorrangig finanzielle Unterstützung, durch die vor allem die Mütter in die Lage gesetzt werden, auf eine Berufstätigkeit zu verzichten und das kleinkind zu betreuen. 81% der jungen Eltern würden deshalb eine substantielle finanzielle Unterstützung in Höhe von etwa 450 Euro im Monat (Stand: 2003) für die eigene Kinderbetreuung einem Ausbau der instititionellen Betreuung für Kleinkinder vorziehen. Lediglich 11% würden mehr außerfamiliäre Betreuung vorziehen. Die überwältigende Mehrheit der Befragten begrüßte die Idee der »Kreis-Eltern-Kind-Initiative« (KEKI), nach der junge Eltern ... eine deutlich spürbare finanzielle Hilfe erhalten, wenn ein Elternteil während der ersten drei Lebensjahre des Kindes zur Betreuung und Erziehung zu Hause bleibt und auf eine Berufstätigkeit verzichtet. (Und zwar muß diese Hilfe m.E. so deutlich spürbar sein, daß dem betroffenen Elternteil durch den Ausfall der Berufstätigkeit keine finanziellen Einbußen entstehen! Anm. HB). 83% der gesamten Altersgruppe, 90% der Eltern befürworten die Initiative als eine gute Sache, die den Familien helfe.“ (Ebd., S. 183).

„Dieses Konzept beurteilt die Kinderbetreuung differenziert nach Altersgruppen. Unterschieden werden Betreuungsangebote für Kleinkinder zwischen 2 und 3 Jahren sowie für Kindergartenkinder (also: zwischen 3 und 6 Jahren; Anm. HB) und schulpflichtige Kinder zwischen 6 und 12 Jahren und zwischen 12 und 15 Jahren“ (Ebd., S. 184).

Geringe Geburtenraten - soziale und wirtschaftliche Konsequenzen (Jerzy Kropiwnicki)

„Tatsächlich leben wir heute in einer Art von »Übergangsperiode« mit zwei koexistierenden Systemen: in einer Welt der abnehmenden Rolle der Familie und der wachsenden Rolle des Staates (Familienfressers; Anm. HB). In einer Situation einer niedrigen (und abnehmenden) Kinderzahl in der Durchschschnittsfamilie ist es für die Kinder immer schwieriger, für ihre Eltern und Großelter zu sorgen. Und der Konsumismus von heute fügt den alten noch weitere neue Herausforderungen hinzu.“ (Ebd., S. 186-187).

„Unglücklicherweise ist es (bisher) unmöglich gewesen, ein System zu schaffen, das auf den Ersparnissen beruht, die von den zukünftigen Nutznießern gebildet und akkumuliert worden sind.“ (Ebd., S. 187).

Weniger Kinder - andere Welt: das Vordringen der „Ich-AG“ (Peter Wippermann)

„Weniger kinder - ärmere Welt - das ist die Überschrift dieses Podiums. Ich würde es es germe ein bißchen modifizieren: Weniger Kinder - andere Welt!“  (Ebd., S. 191).

„Drei Aspekte erscheinen mir dabei besonders wichtig. Zum einen, die Versportung unserer Gesellschaft, man kann auch sagen: deren Ökonomisierung. Dazu würde ich gern den Begriff der »Ich-AG« kurz erläutern und mit einführen. Der zweite Aspekt betrifft das »gefühlte« Alter einer Gesellschaft, die älter wird, die davon ausgeht, daß eine Differenz von 15 Jahren besteht zwischen ihrem Geburtsschein und dem, wie sie sich selber fühlt. Und drittens das Stichwort Gerontokratie, die »enkelfreie Zone«, die man sich in der politik sozusagen einrichtet, und die Verteilung der Macht.“ (Ebd., S. 191).

„Allensbach untersucht jedes Jahr den Wertewandel in unserem Land .... Dramatisch angestiegen ist das »Ich«, das eigen Leben sozusagen. ... Ich glaube, es ist interessant, daß das Ich noch knapp vor der Familie liegt ... Anerkennung ist fast gleichauf mit Selbstachtung. Und Genuß hat sich fast verdoppelt. Ich meine, das muß man sich klarmachen: eine Gesellschaft, die sich mit der Antibaby-Pille die Freiheit quasi symbolisch erobert hat, hat eine sehr egozentrische Wertehaltung. Wie kann man das anders beschreiben?  Jede dritte Ehe wird heute geschieden. 1970 war es noch jede seiebte. Auch das macht deutlich, daß Langzeitverbindlichkeiten zunehmend aufgegeben werden - zur Optimierung des eigenen Lebens.“ (Ebd., S. 191-192).

„Wenn man sich die neuen Gesetze ... ansieht, ziehen ja gleichgeschlechtliche Partnerschaften nach. In Schweden können gleichgeschlechtliche Partner auch Kinder adoptieren. Also ein dramatischer Wechsel, und die Idee, daß die klassische Familie noch den Konsens ausmacht, sehe ich für die Zukunft nicht mehr. Die »Patchwork-Familie«, die wir ständig in der Bild-Zeitung - und wo auch immer wir wollen - beobachten können - Stefan Effenberg und Claudia Strunz samt dreijähriger Tochter -, sind ein Stichwort dafür.“ (Ebd., S. 192).

„Frauen verdienen heute soviel Geld, daß sie letzten Endes selber entscheiden können. 75% aller Scheidungen werden von Frauen eingereicht.“ (Ebd., S. 192).

„Jetzt fragt man sich natürlich: Wo bleiben denn all die Omas und Opas, was machen die in unserer Gesellschaft?  Und es ist immer angenehmer, in ein anderes Land zu schauen als in das eigene. Die Universität Utrecht hat festgestellt: gerade noch 15% der Omas und Opas sind weiterhin bereit, die Enkel mitzuerziehen. Die anderen haben etwas vor, was man auch mit Hedonismus bezeichnen könnte. Sie möchten noch arbeiten, Geld verdienen, die Freizeit genießen oder aber vielleicht das, was Paul McCartney gerade getan hat, zum zweiten Mal heiraten. Ich glaube, das ist ein neues Phänomen: die zweite Pubertät, gerade bei den über 50-Jährigen. Ob sie sich Peter Gabriel ansehen oder unseren Ex- Verteidigungsminister Rudolf Scharping. (Oder man denke auch an den 1945 geborenen Fußballweltmeister Franz Beckenbauer; Anm. HB). Auch Don Johnson, der Miami-Vice-Held, macht da keine Ausnahme und ist soeben zum zweiten Mal Vater geworden. Und wenn wir über Versportung reden, müssen wir natürlich auch in die Sportarena gucken, nicht unbedingt zum Tennisstar, der in Deutschland lebt, sondern nach Schweden. Björn Borg hat gerade zum dritten Mal geheiratet. Das Muster sieht immer ähnlich aus: die Männer sind ungefähr 50, die Frauen ungefahr 30. Das ist ganz interessant und daß daraus auch wieder Kinder entstehen, ist auch völlig klar. Das, was interessiert, ist ja der Wertewandel: daß man nachgewiesen hat in einer großen Studie aus New York, daß diejenigen, die Über-50-Jährigen glücklicher sind als die Unter-50-Jährigen.“ (Ebd., S. ).

„Fassen wir das zusammen. Es gibt eine zweite Pubertät (wirklich ? Anm. HB) - vor allem bei Männern -, die dazu führt, daß ein zweiter Kinderschub einsetzt. Und die Großeltern fangen erst ab 65-70 an, relevant zu werden. Schauen wir in die Wirtschaft, was macht der Markt? Die 50-Jährigen sind nach mehreren Untersuchungen - zuletzt von Haryas Stand (Angeberei! Anm. HB) - diejenigen, die das meiste Geld ausgeben. Für Konsum, Immobilien und an der Börse. Das ist insofern interessant, wenn man schaut, wie viele 50-Jährige wir heute haben, es sind rund 900000. Die 35-Jährigen repräsentieren die größte Gruppe, nämlich etwas mehr als eine Million, d.h. wir können davon ausgehen, daß der Konsum-Boom in 15 Jahren einsetzt. 15 Jahre haben Sie also Zeit zu spekulieren. Die heute 1-Jährigen belaufen sich auf gerade mal 750000, dann also bricht der Konsum eher zusammen. Das Stichwort 15 Jahre ist sehr interessant, weil wir versuchen, uns durch die Produkte jünger zu fühlen. Der Symbolwert ist wichtiger als der Nutzwert. Eine kleine Statistik aus dem Fahrradhandel macht dies deutlich: der Mountainbike-Look, also die bequemeren Fahrräder, die sportlich aussehen, haben als einzige um 20% zugenommen, die Kinder- und Jugendräder um fast 30 abgenommen, desgleichen die tatsächlich sportlichen Räder; derenAbnahme beträgt 15%. Das macht deutlich, wir versuchen uns einzurichten. Und zum Abschluß vielleicht noch ein Stichwort: In den 1970er, 1980er und 1990er Jahren ging man davon aus, daß der deutsche Wald stirbt. Die neuen Untersuchungen der NASA besagen, daß die Erde grüner wird, gerade auch in Deutschland.“ (Ebd., S. 192-193).

 

- DEMOGRAPHIE ALS HERAUSFORDERUNG - ANTWORTEN DER POLITIK -

Das norwegische Betreuungsgeld (Laila Dåvøy)

„Heute reproduziert sich die Bevölkerung Norwegens nicht mehr aus sich selbst heraus. Dennoch nimmt die Bevölkerung aufgrund von Zuwanderung zu. Wie in nahezu allen anderen europäischen Ländern ist auch in Norwegen der Anteil älterer Bürger hoch. Seit 1970 hat sich die Zahl der Menschen über 80 Jahre verdoppelt. Und es ist ein spezieller Fonds, der »Nationale Versicherungsfonds«, geschaffen worden, um den weiter wachsenden Finanzierungserfordernissen für die Altersversorgung gerecht werden zu können. In den frühen 1980er Jahren rief die niedrige Geburtenrate Norwegens einige Besorgnisse hervor. Aber seit Mitte der 1980er Jahre ist die Geburtenrate wieder gestiegen und seit Mitte der 1990er Jahre - verglichen mit europäischen Standards - hoch und stabil geblieben. Im Jahre 2000 lag die Geburtenrate bei 1,85. 2001 fiel sie auf 1,78 und es bleibt abzuwarten, ob dies einen neuen Trend anzeigt. Wir haben Anlaß zu glauben, daß die relativ hohe Fertilitätsrate mit den Verbesserungen der Lebensbedingungen der Familien zusammenhängt.“ (Ebd., S. 195).

„In den vergangenen zehn Jahren hat Norwegen viel dafür getan, um die Lebensbedingungen für Familien mit kleinen Kindern zu verbessern. So wurde die Laufzeit des Elternurlaubs schrittweise verlängert. Eltern, die vor der Geburt eines Kindes erwerbstätig waren, erhalten jetzt Elterngeld in Höhe von 80% des Einkommens für ein Jahr oder in Höhe ihres bisherigen Einkommens für eine Laufzeit von 42 Wochen. Bei der Bemessung des Elterngeldes orientiert man sich am Einkommen des Elternteils, der den Elternurlaub nimmt. Mindestens neun Wochen müssen von der Mutter, vier Wochen vom Vater genommen werden. Hinsichtlich der restlichen Elternurlaubszeit können die Eltern frei entscheiden, ob die Mutter oder der Vater zuhause beim Baby bleiben sollten oder ob sie die verbleibende Zeit unter sich aufteilen wollen. Mütter, die nicht mindestens sechs der zehn Monate, die der Geburt vorangingen, erwerbstätig (Kranken- und Arbeitslosengeld wird wie Erwerbseinkommen behandelt) waren oder die ein sehr niedriges Einkommen haben, erhalten kein Eltemgeld, sondern stattdessen eine einmalige Summe in Höhe von 32000 norwegischen Kronen (4380 Euro; Stand: 2003). Ein Viertel aller Mütter macht davon Gebrauch. Zusätzlich haben Mütter und Väter Anspruch auf zehn Tage Freistellung, wenn ein Kind krank ist. Eltern mit Kindern unter zehn Jahren haben auch ein Anrecht auf Arbeitszeitverkürzung. Die Zahl der Kindertagesstätten hat zugenommen. Trotzdem müssen wir uns auch in Zukunft anstrengen, den Bedarf an Tagesbetreuungsplätzen zu erfüllen. Speziell wächst auch der Bedarf nach Teilzeitplätzen in der Tagesbetreuung. In einigen Gemeinden sind die Gebühren für einen Betreuungsplatz sehr niedrig, in anderen wiederum ist es nicht ungewöhnlich für Eltern, wenn sie bis zu 500 Euro pro Monat (Stand: 2003) für einen Betreuungsplatz bezahlen müssen. Die Regierung arbeitet an einem Finanzierungsmodell für Kindertageseinrichtungen, das eine Absenkung der Höchstgebühren für einen Betreuungsplatz anstrebt.“ (Ebd., S. 195-196).

„Während in den 1970er und 1980er Jahren große Anstrengungen unternommen wurden, um das Recht von Müttern, erwerbstätig zu sein, in die Tat umzusetzen, konzentrierte man sich in den 1990ern stärker darauf, Väter zu motivieren, verstärkt Erziehungsarbeit in der Familie zu übernehmen. Die Erwerbsquote der Frauen ist in Norwegen sehr hoch. Sie ist vor allem in den 1970er Jahren stark gestiegen. Circa 75 bis 80% aller Frauen sind in Norwegen außerhäuslich beschäftigt. Und das gilt auch für Frauen mit kleinen Kindern. Teilzeitarbeit ist unter Frauen sehr verbreitet; circa 50% der erwerbstätigen Frauen nutzen diese Möglichkeit. Heute, wo Familien mit zwei Erwerbseinkommen quasi zum Normalfall geworden sind, kann es für Eltern mit kleinen Kindern schwierig sein, mit einem Einkommen auszukommen oder eine Vollzeitzugunsten einer Teilzeitstelle aufzugeben. Dies sind Fakten, die ein wenig den Hintergrund für die Einführung des Betreuungsgeldes beleuchten. Das Betreuungsgeld wurde im August 1998 für Kinder im Alter zwischen ein und zwei Jahren eingeführt. Vom 1. Januar 1999 an wurden auch Kinder, die zwischen zwei und drei Jahren alt waren, in die Maßnahme einbezogen. Entsprechend wird das Betreuungsgeld also maximal für zwei Jahre gezahlt, und zwar in vollem Umfang nur für Kinder, die keinen Betreuungsplatz beanspruchen. Ein Kind mit einem Teilzeitplatz in einer Tageseinrichtung kann gleichzeitig ein Teil-Betreuungsgeld erhalten. Das Betreuungsgeld wird für jedes Kind bezahlt; Familien mit Zwillingen erhalten also ein doppeltes Betreuungsgeld. Der Betrag muß nicht versteuert werden. Das Betreuungsgeld liegt heute bei 3000 Kronen (410 Euro; Stand: 2003) monatlich. Der Anspruch darauf ist nicht daran gebunden, daß die Eltern ihre Arbeitszeit reduzieren oder daß sie sich selbst alleine um die Kinder kümmern. Das Geld kann - je nachdem, wer sich hauptsächlich um die Betreuung kümmert - an die Mutter oder an den Vater ausbezahlt werden. Hauptziele, die mit dem Betreuungsgeld verfolgt werden, sind:
den Familien zu ermöglichen, mehr Zeit für die Betreuung ihrer eigenen Kinder aufzuwenden,
den Familien Wahlfreiheit einzuräumen bei der Entscheidung, welcher Art der Betreuung sie bei ihren Kindern den Vorzug geben und schließlich
mehr Gerechtigkeit bei den staatlichen Transfers für Familien im Zusammenhang mit der Kinderbetreuung zu schaffen unabhängig davon, wie die Betreuung organisiert wird.
Das Betreuungsgeld wurde eingeführt, nachdem darüber unter Politikern und ganz allgemein in der Bevölkerung erhitzte Debatten stattgefunden hatten. Einige befürchteten, daß Kinder zuhause schlecht betreut werden würden oder daß sie nur des Geldes wegen zuhause gelassen würden, statt in einer Tageseinrichtung einen besseren Tagesablauf zu haben. Andere dagegen behaupteten, daß Kinder systematisch aus der institutionellen Tagesbetreuung herausgenommen und zuhause einem Babysitter überlassen würden, während die Eltern weiter erwerbstätig blieben wie bisher. Auf der anderen Seite gab es Befürchtungen, daß nunmehr so viele Mütter zuhause bleiben würden, daß das Erwerbsleben unter einem Mangel an Arbeitskräften leiden würde. Es war von vornherein klar, daß das Betreuungsgeld evaluiert werden sollte. Bevor diese Maßnahme eingeführt wurde, hatte das Statistische Amt Norwegens eine umfangreiche Untersuchung über Familien mit Kindern im Vorschulalter durchgeführt. Sie betraf Fragen der Kinderbetreuung, der Arbeitszeit, der Erwerbsorientierung, der häuslichen Arbeitsteilung und der Einstellung zu verschiedenen sozial- und familienpolitischen Initiativen für Familien mit kleinen Kindern. Eine Quasi-Neuauflage der Untersuchung wurde im Frühjahr 1999 durchgeführt, so daß die soziale Anpassungsreaktion nach Einführung des Betreuungsgeldes untersucht werden konnte. Zusätzlich wurde eine kurzfristige Evaluierung des Betreuungsgeldes vorgenommen, um Informationen über etwaige ungünstige Wirkungen dieser Maßnahme bereitzustellen. Eine Mehrheit der Familien mit Kindern im Alter von ein bis drei Jahren erhält das Betreuungsgeld. Im Durchschnitt haben jeweils 75% aller Familien mit 1-bis-3-jährigen Kindern diese Familienförderung erhalten, seitdem die Maßnahme eingeführt wurde. Von denen, die das Betreuungsgeld bekommen, erhält der Großteil die volle Summe. Nur 15% haben sich für eine Teilsumme entschieden, was gleichzeitig bedeutet, daß sie einen Teilzeitplatz für ihr Kind in einer Einrichtung haben. Die Untersuchungen haben ergeben, daß 213 der Kinder, deren Eltern das Betreuungsgeld erhalten, zuhause von ihren Eltern betreut werden. 15% werden von Kindermädchen oder Babysittern betreut. Und man hat einen leichten Anstieg der Betreuung von einjährigen Kindern durch Kindermädchen festgestellt. 13% der Eltern haben kombinierte Betreuungslösungen. Es scheint so, daß jetzt ein höherer Anteil der Kinder im Alter von ein bis drei Jahren überwiegend von den Eltern betreut wird. Im Schnitt reduzierte sich die Betreuungszeit, die nicht von den Eltern geleistet wird, nach der Einführung des Betreuungsgeldes um 2,4 Stunden pro Woche.“ (Ebd., S. 196-197).

„Das Betreuungsgeld hat zu einem Rückgang der Erwerbsbeteiligung von Müttern kleiner Kinder geführt. Bei den Vätern scheint sich dagegen in Sachen Erwerbsbeteiligung nichts geändert zu haben. Vor der Einführung des Betreuungsgeldes ging der Trend dahin, daß der Anteil von Müttern kleiner Kinder, die Vollzeit arbeiteten, ständig zunahm. Und tatsächlich war zum Zeitpunkt der Einführung des Betreuungsgeldes der Anteil von Müttern mit einem Vollzeitjob größer als jener mit einer Teilzeitarbeit. Insgesamt waren 76% der Mütter von Kindern im Alter von ein bis zwei Jahren entweder in Vollzeit oder in Teilzeit erwerbstätig. Gleichzeitig gab es große Unterschiede - je nach dem Ausbildungsstand der Mütter - in der Länge der wöchentlichen Arbeitszeit. Diese war um so länger, je länger die Ausbildung gedauert hatte. Mütter mit mehr als vier Jahren Universitätsausbildung hatten im Durchschnitt eine um gut 12 Stunden längere Arbeitswoche als jene mit dem niedrigsten Ausbildungsabschluß.“ (Ebd., S. 197-198).

„Bisher hat also die Einführung des Betreuungsgeldes zu einer etwas geringeren Erwerbsbeteiligung von Müttern kleiner Kinder geführt. Zusätzlich ist ein Teil der Mütter von einer Vollzeit- auf eine Teilzeittätigkeit übergegangen. Eine Querschnittsanalyse hat gezeigt, daß die Mütter in den Jahren 1998/'99 ihre Arbeitszeit um 1,5 Stunden wöchentlich reduziert haben. Entgegen den Erwartungen vieler waren es die am besten qualifizierten Mütter, die ihre Arbeitszeit am stärksten eingeschränkt haben. Teilzeitarbeit ist weit verbreitet unter den Müttern kleiner Kinder. Das betrifft nahezu ein Drittel der erwerbstätigen Mütter. Gleichzeitig hat der Anteil der teilzeitarbeitenden Mütter aber nicht zugenommen. Es ist nicht einfach, die Konsequenzen der Einführung des Betreuungsgeldes auf die Gleichstellung der Geschlechter abzuschätzen. Umfragen zeigen allerdings, daß das Betreuungsgeld als Maßnahme für Mütter angesehen wird. In 96% der Familien, die vom Angebot des Betreuungsgeldes profitieren, haben sich die Eltern dafür entschieden, daß das Geld an die Mutter ausbezahlt werden soll. Es sind prinzipiell Mütter, die ihre Arbeitszeit reduziert haben.“ (Ebd., S. 198).

„Man hat ferner untersucht, ob die Einführung des Betreuungsgeldes Auswirkungen auf den Bereich der Kinderbetreuungseinrichtungen gehabt hat. Hier war festzustellen, daß das Platzangebot stagnierte. Ein kleinerer Teil der Tagesbetreuung für die jüngsten Kinder wurde verlagert in private Einrichtungen, die von Familien getragen wurden. Diese haben den gleichen Staatszuschuß erhalten wie die staatlichen Tageseinrichtungen. Im Gefolge der Einführung des Betreuungsgeldes ist allerdings die Zahl der Betreuungseinrichtungen, die von Familien privat betrieben werden, zurückgegangen. Und die Gemeinden haben sich abwartend bei der Frage der Schaffung neuer Betreuungsplätze für Kleinkinder in den staatlichen Einrichtungen verhalten. Im Ergebnis hatte dies ein Stagnieren des Platzangebotes zur Folge. Vielfach wurde die Befürchtung geäußert, daß sich die Einführung des Betreuungsgeldes negativ auf Kinder aus sozial schwachen Familien auswirken würde. Dem sollte auch eine Initiative der staatlichen Jugendhilfe, die das Angebot kostenloser Betreuungsplätze an diese Kinder vorsah, entgegenwirken. Die Befürchtung war, daß viele Eltern nach der Einführung des Betreuungsgeldes die Auszahlung der Geldsumme vorziehen und das Angebot kostenloser Tagesbetreuungsplätze für ihre Kinder ablehnen würden. Glücklicherweise zeigen Untersuchungen, daß dies nicht eingetreten zu sein scheint. Das Hilfsangebot der Sozialbehörden auf Vermittlung kostenloser Betreuungsplätze ist sowohl vor als auch nach der Einführung des Betreuungsgeldes von einer gleich großen Anzahl von sozialhilfeabhängigen Kindern in Anspruch genommen worden. Man hat ferner untersucht, ob von der Betreuungsgeldregelung negative Auswirkungen auf die Integration von auslandsstämmigen Familien ausgegangen sind. Und in diesem Zusammenhang wurden Familien interviewt, die aus Pakistao, Somalia und Vietnam stammen. Dabei kam heraus, daß viele Familien aus Pakistan und Somalia den Standpunkt vertreten, daß es für sie ganz unabhängig von den jeweiligen Umständen immer wünschenswert war, sich selbst um ihre Kleinkinder zu kümmern. Und es hat den Anschein, daß für diese Familien die Existenz des Betreuungsgeldes keine besonders wichtige Rolle bei Fragen der Integration gespielt hat. Auf der anderen Seite scheinen Familien aus Vietnam sich stärker der Angebote für eine Tagesbetreuung bedient zu haben. Sie haben sich nach der Einführung des Betreuungsgeldes in einem größeren Ausmaß auf die Arbeitsleistungen von Kindermädchen und Babysittern gestützt. Das Bruttoeinkommen derer, die Betreuungsgeld erhalten, ist im Schnitt niedriger als das der Eltern kleiner Kinder, die einen Betreuungsplatz in einer Einrichtung haben. Entsprechend haben die Betreuungsgeldzahlungen zu einer Verringerung der Einkommensunterschiede unter Familien mit kleinen Kindern geführt. Die Einfiihrung des Betreuungsgeldes hat keine großen Umbrüche unter den norwegischen Familien mit kleinen Kindern ausgelöst. Dennoch glaube ich, daß diese familienpolitische Maßnahme zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lage und der Wahlfreiheit für Eltern, die ihre Kinder im häuslichen Umfeld selbst betreuen wollen, geführt hat.“ (Ebd., S. 198-199).

„Im Frühling 2002 ist unter den Eltern kleiner Kinder eine neue Umfrage durchgeführt worden. Die Ergebnisse dieser Umfrage werden im Januar 2003 vorliegen und dann auch veröffentlicht werden. Dann können wir besser beurteilen, wie sich in einer etwas längerfristigen Perspektive im Gefolge der Einführung dieser Maßnahme der Familienförderung Änderungen in der Erwerbsbeteiligung der Eltern und in der Inanspruchnahme von außerfamiliären Betreuungsangeboten vollzogen haben.“ (Ebd., S. 199).

Familienpolitische Antworten auf die demographische Entwicklung (Hans Geisler / Simone Wenzler)

„Umfragen wie die Shell-Studie (2000) zeigen immer wieder die große Bedeutung, die Jugendliche der Familiengründung beimessen. Die tatsächlichen Kinderzahlen bleiben später jedoch hinter hinter den genannten Kinderwünschen weit zurück (!!!).“ (Ebd., S. 201).

„Das Beispiel der skandinavischen Länder hat uns gelehrt, daß die Entscheidung für ein (weiteres) Kind inzwischen in erster Linie von der kurz-, mittel- und langfristigen Vereinbarkeit von Familie und Beruf abhängt.“ (Ebd., S. 201).

„Vereinbarkeit von Familienaufgaben und Berufstätigkeit (aber auch von regelmäßigem ehrenamtlichen Engagement) ist wesentlich von festen, zuverlässigen Betreuungszeiten für Kinder abhängig. Die Bedarfe von Eltern sind hierbei sehr unterschiedlich und ändernsich nicht zuletzt mit dem Alter der Kinder.“ (Ebd., S. 202).

„Wir können in Sachsen eine sehr gute Bilanz der aktuellen Betreuungsmöglichkeiten für Kinder im Alter von 0 bis 10 Jahren vorlegen. Es können praktisch alle Kinder in dem von den Eltern gewünschten Umfang - bis zu 9 Stunden täglich - institutionell betreut werden. Dies nehmen Eltern für 35% der Kinder im 2. und 3. Lebensjahr, für 98% der Kinder im Kindergartenalter (3 bis 6 Jahre; Anm. HB) sowie für 55% der Kinder bis zu 10 Jahren wahr, Dabei sei am Rande erwähnt, daß in den Kinderkrippen, -gärten und -horten gleichwertig Erziehung, Bildung und Betreuung geleistet wird.“ (Ebd., S. 203).

Finanzielle Leistungen für elterliche Familienarbeit: Die zweite Seite der Wahlfreiheit ist die staatliche Unterstützung von Eltern, die auf einen Teil ihres gemeinsamen Erwerbseinkommens verzichten, um ihre Kinder selbst zu betreuen und zu erziehen. Hier wurde insbesondere in der Ära Kohl auf Bundesebene etliches geleistet. (Soll das ein Witz sein ?  Anm. HB). Sowohl der inzwischen weiterentwickelte und flexiblere Erziehungsurlaub - sinnvollerweise zwischenzeitlich in Elternzeit umbenannt - als auch das Erziehungsgeld sind für Eltern von sehr großer Bedeutung. Auch in Sachsen wird der Erziehungsurlaub von 98% der Eltern eine Zeitlang in Anspruch genommen, und im ersten Lebensjahr erhalten 94% der Eltern Erziehungsgeld. In Sachsen werden derzeit (= 2003; Anm. HB) ca. 460 Mio. Euro pro Jahr für die Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen durch das Land und die Kommunen aufgebracht und ca. 230 Mio. Euro für Bundeserziehungsgeld- und Landeserziehungsgeld-Zahlungen. Diese Leistungen für außerhäusliche und elterliche Erziehungsleistungen stehen rechtlich weitgehend unverbunden nebeneinander. Dadurch erhalten manche Familien gleichzeitig staatliche Leistungen in Form von Erziehungsgeld und eines Krippenplatzes und manche Eltern erhalten keine der beiden Förderungen. Dies ist schlicht ungerecht. Zudem erhalten Eltern, die ihr Kind im zweiten Lebensjahr in eine Krippe bringen, in Euro gerechnet, sehr viel mehr öffentliche Leistungen als Eltern, die rund um die Uhr selbst für ihre Kinder sorgen. Erziehungsgeld wird nur in den ersten 2 (bzw. in Sachsen 2,75) Lebensjahren geleistet, ist stark einkommensabhängig und beträgt monatlich maximal 307 Euro. Für eine Ganztagsbetreuung im gleichen Alter leistet die öffentliche Hand jedoch in Sachsen rund 600 Euro - fast doppelt soviel! Die Abwägung zwischen einem zweiten Einkommen und der Inanspruchnahme eines von den Eltern nur zu einem Bruchteil zu finanzierenden Kinderkrippenplatzes oder dem Verzicht auf ein Einkommen und - sofern alle sonstigen Voraussetzungen erfüllt sind - dem Bezug eines sehr »überschaubaren« Erziehungsgeldes ist damit oft eine schlichte Frage des Geldes. Hier wird mit einer unausgewogenen staatlichen Förderung das Verhalten von Eltern beeinflußt und damit die Wahlfreiheit der Eltern entgegen dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes beschränkt. Die Leistungen müßten so gestaltet oder verzahnt sein, daß Eltern möglichst stufenlos zwischen der finanziellen Unterstützung für die elterliche Betreuung und dem damit einhergehenden - teilweisen - Einkommensausfall und einer außerhäuslichen Betreuungsform wählen können. Ein vom Einkommen und der Erwerbstätigkeit unabhängiges Erziehungsgehalt, das Eltern die finanziellen Mittel in die Hand gibt, mit denen sie selbst Betreuungsleistungen einkaufen oder eigene Betreuung finanzieren können, würde die verfassungsrechtlich gebotene Gleichbehandlung optimal gewährleisten. Doch davon sind wir noch ein gutes Stück entfernt. Wir haben uns deshalb - unter anderem auch im Rahmen der Vorgängerkongresse - immer wieder dafür ausgesprochen, die in Familien erbrachten Leistungen durch ein Erziehungsgehalt zu honorieren. Das Konzept zielt darauf ab, die »Zwangs-Flexibilität« von familien hinsichtlich Lage und Umfang der Arbeitszeit und des Arbeitsortes zu berücksichtigen. Das Erziehungsgehalt soll für alle Eltern mit Kindern im Alter von 0 bis unter 3 Jahren monatlich 550 Euro (netto!)  und für Kinder im Alter von 4 bis unter 6 Jahren 400 Euro (netto!)  betragen. Die Leistung ist unabhängig vom Umfang der Erwerbstätigkeit und von sonstigem Einkommen. Es entstehen keine Abzüge (Steuern, Sozialabgaben). Eltern, die ihre Kinder während des Tages selbst betreuen möchten, erleichtert das Erziehungsgehalt den (teilweisen) Einkommensverzicht. Entscheiden sich die Eltern für eine andere Betreuungsform, dann müssen sie die entsprechenden Kosten ganz übernehmen. Die bisherige Förderung der Betriebskosten für Kindertageseinrichtungen und Tagesmütter würde entfallen. Die bislang dafür aufgewendeten staatlichen Gelder werden den Eltern direkt ausbezahlt. Damit können Eltern die gleichen Leistungen »einkaufen« wie bisher - aber sie haben wesentlich mehr Entscheidungsfreiheit und Einflußmöglichkeiten. Eine Sonderregelung für die pädagogisch besonders bedeutsamen Kindergärten oder Vorschuleinrichtungen wäre dabei notwendig. Durch das Erziehungsgehalt würden Eltern auf dem »Betreuungsmarkt« zu kaufkräftigen Nachfragern. Wenngleich die bestehende Kontrolle der pädagogischen Qualität, aber auch z.B. der hygienischen und räumlichen Bedingungen in Kindertageseinrichtungen weiterhin wichtige staatliche Aufgaben bleiben, so wird doch eine spürbare Ausweitung, Flexibilisierung und Differenzierung der Betreuungsangebote eintreten. Dies wird insbesondere von Eltern in den westdeutschen Bundesländern dringend gewünscht. Damit stünde Eltern einerseits eine gezielte Auswahl des Betreuungsangebotes auch im Hinblick auf die Wünsche und Bedürfnisse des Kindes offen, andererseits würden damit flexible Kombinationen der Erfüllung von Familienaufgaben und Erwerbstätigkeit in Abhängigkeit der sich immer wieder verändernden Bedürfnisse und Bedingungen möglich. Mit dem Erziehungsgehalt würde auch dem starken Ungleichgewicht in der Bewertung von Erziehungs- und Erwerbsarbeit entgegengewirkt. Die Tatsache, daß beide Aufgaben von gleichwertiger Bedeutung sind, muß in dem Gesamt der familienpolitischen Leistungen sehr viel stärker erkennbar sein.“ (Ebd., S. 204-205).

Soziale Sicherung: Im Gegensatz zu anderen Modellen haben wir uns aus verschiedenen fachlichen Gründen gegen ein steuer- und sozialabgabenpflichtiges Bruttogehalt entschieden. Die ungewollten indirekten Nebenwirkungen schienen uns zu stark. Um so wichtiger ist mir der Hinweis auf den unabdingbar notwendigen weiteren Ausbau der Sozialen Sicherung für Familien bzw. für Erziehende. Die drei Jahre Anerkennung von Erziehungsleistung in der Rentenversicherung mit dem Durchschnittsgehalt sind ein wichtiges Fundament. Ein Ausbau scheint jedoch für die noch nicht einbezogenen Jahrgänge und für Familien mit mehreren Kindern notwendig, da dann eine Erwerbstätigkeit auch über einen längeren Zeitraum oft nicht möglich ist. Die immer wieder diskutierte beitragsfreie Familienmitversicherung in der gesetzlichen Krankenkasse könnte auf Erziehende reduziert werden. Kinderlose Ehepartner müssen von dieser Regelung nicht profitieren können. Aber grundsätzlich ist dies ein wichtiges Element der Familienpolitik. Allerdings spricht nichts gegen eine Steuerfinanzierung dieser versicherungsfremden Leistung. Problematisch gestaltet sich derzeit die Regelungen in der Arbeitslosenversicherung. Die knappen Fristen und reduzierten Regelungen stehen der Wahlfreiheit für Erziehende oft entgegen. Wer Kinder erzieht, sollte mindestens in den ersten drei Lebensjahren darauf vertrauen können, daß er nach der Erziehungszeit so gestellt ist, wie vor der Erziehungszeit bzw. wie wenn er in dieser Zeit versichert gewesen wäre. Zusätzlich sind Weiterbildung während der Erziehungszeit und Wiedereinstieg nach der Erziehungszeit umfänglicher und verbindlicher als gegenwärtig gesetzlich festgelegt zu fördern.“ (Ebd., S. 206).

Schlußbemerkung: Demographisch wirksame Familienpolitik muß die Eigenverantwortung und die Wahlfreiheit von Eltern in einem Höchstmaß respektieren. Denn die Entscheidung für ein Kind ist immer eine sehr komplexe und kann nicht durch schlicht gestrickte, nur ein bestimmtes Familienbild oder Lebenskonzept betrachtende Unterstützung positiv befördert werden. Sie muß die Leistungen der Eltern entlohnen, die Lasten reduzieren und ein Maximum an eigenverantwortlicher, flexibler LeIbensgestaltung ermöglichen.“ (Ebd., S. 206).

Familie ist unsere Zukunft (Christa Stewens)

„Was wir heute für unsere Familien zu leisten versäumen, diese Defizite werden wir morgen bitter bezahlen müssen. Und zwar nicht nur in Euro und Cent. Unsere Familien sind nicht nur ein unersetzlicher Wirtschaftsfaktor, weil mit den Kindern die künftigen Steuer- und Beitragszahler großgezogen werden, die später als Arbeitnehmer, Unternehmer, Wissenschaftler, Dienstleistende, Ärzte und Fachkräfte zur Versorgung der Bevölkerung und zum Wohlstand in unserer Gesellschaft beitragen. Die Erziehung und Sozialisation von Kindern, die Vermittlung von Werten und Fähigkeiten in und durch die Familie sind entscheidende Faktoren für ein Gelingen des Lebens des Einzelnen und damit auch Grundlage für das Gelingen unserer Gesellschaft. Familie, in der diese Leistungen erbracht werden, schafft Bindung, schafft eine besondere Qualität, die weder der Einzelne noch die Gesellschaft ersetzen kann. Negativschlagzeilen über steigende Scheidungszahlen, verwahrloste Kinder und jugendliche Amokschützen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Mehrzahl der Familien diese wichtigen Aufgaben für ihre Kinder nach wie vor leisten will und leistet. Aber wir müssen uns bewußt sein, daß der gesellschaftliche Wandel nicht spurlos an unseren Familien vorübergeht, sondern gerade sie vor große Herausforderungen stellt.“ (Ebd., S. 207).

„Höhere Anforderungen in der Arbeitswelt an Qualifikation, Flexibilität und Einsatzbereitschaft der Menschen, die selbstverständliche Forderung an die Mobilität des Arbeitnehmers stellen gerade Familien oft vor große Probleme.“ (Ebd., S. 207).

„Mit dem steigenden durchschnittlichen Einkommen wächst die Diskrepanz zwischen Kinderlosen und Eltern, die ihre Erwerbstätigkeit zum Teil einschränken und z.B. auf dem Wohnungsmarkt mit Singles oder Dink(»double income no kids«)-Paaren konkurrieren müssen. Gleichzeitig erhöhen sich die Kosten für Kinder aufgrund durchschnittlich längerer Ausbildungszeiten und der notwendigen Teilhabe auch von Kindern an modernen Kommunikationssystemen. Angesichts all dieser Anforderungen verwundert es nicht, daß sich nach repräsentativen Umfragen (z.B der Shell-Studie, 2000) zwar 80% aller jungen Menschen eigene Kinder wünschen, die Realität aber ganz anders aussieht. Auch wenn bei vielen Menschen der Kinderwunsch vorhanden ist, entscheiden sich nur wenige von ihnen für Kinder. Die Geburtenzahlen belegen diesen Trend:
Die Geburtenentwicklung in Deutschland ist besorgniserregend. Die Geburtenziffer liegt bei rund 1,35 Kindern pro Frau. Um die Bevölkerungszahl einigermaßen konstant zu halten, wären aber mindestens 2,13 Kinder nötig.
Immer mehr Frauen sind kinderlos: Ein Viertel der heute 40-Jährigen ist kinderlos.
Die Familien werden immer kleiner. Nur 13% haben mehr als zwei Kinder.
Woran liegt es also, daß sich immer weniger junge Menschen für Kinder entscheiden ?  Als wichtigsten der Gründe gegen einen Kinderwunsch nennen nach der Generationenstudie 2001 der Hanns-Seidel-Stiftung 84% der Befragten die Anforderungen der modernen Arbeitswelt. An zweiter Stelle folgen mit 80% die finanziellen Belastungen durch Kinder. Die ungenügenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten gelten für 70% der Befragten als weiterer wichtiger Grund für die sinkenden Geburtenzahlen. Hier sind Eltern in vielfältiger Weise auf Unterstützung angewiesen. Ich möchte Ihnen aus der Vielzahl familienpolitischer Maßnahmen heute einige Punkte vorstellen, die ich für besonders wichtig halte:
1.Der Ausbau von Kinderbetreuung in allen Altersgruppen.
2.Die bessere finanzielle Unterstützung unserer Familien durch ein Familiengeld.
3.Die höhere gesellschaftliche Anerkennung der Familien.
Wahlfreiheit zwischen Erwerbs- und Familientätigkeit setzt voraus, daß beides miteinander vereinbar ist. Dies beginnt zum einen mit familiengerechten Arbeitsplätzen. Wir wollen bei den Tarifparteien darauf hinwirken, daß im Rahmen von Tarifverhandlungen oder Betriebsvereinbarungen die Bedürfnisse der Familien mit Kindern stärker berücksichtigt werden. Gerade Familien kommen Regelungen wie flexible Arbeitszeiten, Jobsharing, Arbeitszeitkonten oder Gleitzeit zugute. Zum anderen setzen wir auf eine maßgeschneiderte Betreuung von Kindern aller Altersstufen vor Ort.“ (Ebd., S. 207-208).

„Darüber hinaus wollen wir familiennahe Betreuungsalternativen gerade bei den Unter-3-Jährigen fördern. Wir können schließlich unsere Augen nicht davor verschließen, daß mehr als 50% der Frauen mit Kindern unter drei Jahren arbeiten. Deshalb fördern wir ab diesem Jahr erstmals auch Tagespflegeangebote, wobei zunächst in diesem und im nächsten Jahr ein Modellversuch durchgeführt werden soll, um die Konditionen für eine flächendeckende Förderung abzuklären. Weiterhin ist vorgesehen, neben der bereits stattfindenden Förderung von Mütterzentren auch die Förderung von Eltern-Kind-Gruppen in einem Modellversuch vorzubereiten. Damit setzen wir gleichzeitig einen Impuls und einen Anreiz für die Familienselbsthilfe.“ (Ebd., S. 208-209).

„Doch die ausreichende Bereitstellung von Kinderbetreuungsangeboten allein genügt nicht, um die Situation für Familien zu verbessern. Gerade wenn Eltern - Frauen und Männer - auch die realistische Möglichkeit haben sollen, auf Erwerbstätigkeit zu verzichten, um sich selbst ausschließlich der Kindererziehung zu widmen, müssen die finanziellen Belastungen, die die Entscheidung für ein Kind mit sich bringen, viel stärker als bisher ausgeglichen werden. Nach einer Erhebung des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung (München) kostet ein Kind bis zum 18. Lebensjahr immerhin 365500 Euro (240300 Euro tragen die Eltern, den Rest der Staat; Stand: 2000). Die Union setzt sich deshalb für einen Ausgleich dieser Belastung durch das Familiengeld ein. Im Endausbau soll das Familiengeld folgende Leistungen umfassen:
in den ersten drei Lebensjahren: 600 Euro/Kind (Stand: 2000);
vom 4. bis 18. Lebensjahr: 300 Euro/Kind (Stand: 2000);
für volljährige Kinder in Ausbildung bis zum 27. Lebensjahr eine Leistung in Höhe von 150 Euro bzw. 170 Euro ab dem vierten Kind (Stand: 2000).
Damit werden die finanziellen Belastungen für Eltern gerade in den ersten drei Lebensjahren des Kindes abgefangen. Eine finanzielle Unterstützung ist in dieser Zeitspanne besonders wichtig, denn häufig reduzieren die Eltern die Erwerbstätigkeit in den ersten drei Jahren und verfügen somit über weniger Einkommen, während die kindbedingten Ausgaben erheblich steigen. Mit unserem Familiengeld stärken wir die Familien, wir schaffen eine einheitliche Leistung anstelle des inzwischen unübersichtlichen Systems der Familienförderung. Und wir verhindern Sozialhilfebedürftigkeit von Familien. Keine Familie darf nur deshalb, weil sie die Kosten für ihre Kinder nicht aufbringen kann, auf Sozialhilfe angewiesen sein. 56% der Kinder, die Sozialhilfe beziehen, wachsen in Haushalten von Alleinerziehenden auf. Etwa 1 Mio. Kinder sind derzeit in der Sozialhilfefalle gefangen. Dies ist ein Zustand, der in einem Land wie Deutschland untragbar ist. (Wie schon mehrfach erwähnt, ist das gerade angesichts des Reichtums in Deutschland ein Skandal! Anm. HB [vgl. demographisch-ökonomisches Paradoxon*]).Allein die genannten Zahlen belegen, daß das System der staatlichen Familienförderung in Deutschland grundlegend neu gestaltet werden muß. Natürlich kann die Verwirklichung des Familiengeldes angesichts des Kostenvolumens nur stufenweise erfolgen. Aber wir sind bereit, für Familien hier Prioritäten zu setzen.“ (Ebd., S. 209).

„Eine weitere Entlastung der Familien soll im Bereich der Sozialversicherung erfolgen. Arbeitnehmer sollen weniger an Beiträgen zur Renten- und Pflegeversicherung zahlen, wenn sie Kinder erziehen. Dies ist auch Ausfluß des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Pflegeversicherung (3. April 2001), das gefordert hatte, Eltern bei den Beiträgen im Verhältnis zu Kinderlosen zu entlasten. Dieser Kinderbonus, den wir durch eine Gutschrift bei den Sozialversicherungsbeiträgen einführen wollen, dient also dem Ausgleich des generativen Beitrags von Eltern in der Renten- und Pflegeversicherung.“ (Ebd., S. 209-210).

„Aber es geht uns nicht nur um eine Verbesserung der finanziellen Situation der Familien. Wir wollen auch für eine ideelle Unterstützung der Familien sorgen. Unsere Gesellschaft muß insgesamt kinder- und familienfreundlicher werden: Wir setzen uns deshalb für
mehr Rücksicht auf Familien,
ein neues Bewußtsein für den Wert von Kindern in einer immer älter werdenden Gesellschaft,
eine stärkere Orientierung an den Interessen der Familien
ein.“ (Ebd., S. 210).

Demographie als Herausforderung - Antworten der Arbeitspolitik (Harald Schartau)

„Qualifizierte Beschäftigte sind die wichtigste Antwort auf die zunehmende Geschwindigkeit von Veränderungsprozessen und steigende Anforderungen an die Innovatiosnfähigkeit.“ (Ebd., S. 211).

„Quantitativ gehen Prognosen davon aus, daß die Zahl der Erwerbspersonen von heute (2003) 41 Millionen auf 26 Millionen im Jahre 2040 schrumpfen wird. Qualitativ wird sich die Zusammensetzung des Erwerbsperonenpotentials in diesem Prozeß mit verändern ...“ (Ebd., S. 211).

„Das durchschnittliche Renteneintrittsalter lag 1973 noch bei 62 Jahren, heute (2003) dagegen bei ungefähr 59 Jahren.“ (Ebd., S. 212).

„Zuwanderung kann nicht die demographischen Probleme in Deutschland lösen ....“ (Ebd., S. 213).

„Im Rahmen einer nachhaltigen Strategie, nach der von der Globalisierung (gemeint ist die wirtschaftliche! Anm. HB) alle Regionen dieser Welt proftitieren sollen, muß zudem berücksichtigt werden, daß ärmeren Volkswirtschaften nicht Ausbildungslasten aufgebürdet und anschließend dort dringend benötigte Fachkräfte entzogen werden dürfen. (Denn das ist Kolonialismus, eine Kolonialpolitik unserer Zuwanderungspolitiker; Anm. HB). Gleichzeitig, und hier gibt es ein reales Spannungsverhältnis, steht Deutschland bei der Anwerbung von Fachkräften in einem internationalen Wettbewerb. Sprachkenntnisse und fachliche Qualifikationen spielen dabei eine entscheidende Rolle.“ (Ebd., S.214 ).

„Es ist schon signifikant, daß in den Ländern mit höherer Frauenerwerbsquote auch die Geburtenrate höher liegt als in Deutschland, also z.B. in Skandinavien ... Die Vereinbarkeit von familie und Beruf ist folglich machbar, wenn die Rahmenbedingungen stimmen (und unsere Politiker und Lobbyisten dies nicht weiterhin verhindern; Anm. HB). Es schließt sich daher die Frage an, wo in Deutschland die Mängel liegen, Familie und Beruf zusammenzubringen ?  (Antwort [und zwar in genau dieser Reihenfolge]: In Politik und Gesellschaft, Lobby, Medien, Wirtschaft; Anm. HB). Notwendig erscheint ein ganzes Maßnahmenbündel, um die Bedingungen von Familie, insebsondere von Kindererziehung und Beruf, nachhaltig ... zu verbessern.“ (Ebd., S. 214).

„Zudem hapert es an Kinderbetreuungsangeboten, die auf die realen Bedürfnisse von Frauen wie Männern, aber auch auf die von Betrieben zugeschnitten sind.“ (Ebd., S. 214).

 

- FAMILIÄRE ERZIEHUNG - GRUNDLAGE VON BILDUNG; ALLTAGSKOMPETENZ UND BERUFSERFOLG -

Die familiäre Erziehung als Quelle der Kompetenz und des Erfolgs (Jacques Bichot)

„Wir verfügen über ausreichende Erfahrungen, um wieder anzuerkennen, welch wichtige Rolle die Eltern im Lernprozeß spielen. Ohne deren positiven Einfluß werden die jungen Menschen weder zu guten Schülern noch zu guten Bürgern, zu guten Berufstätigen und auch nicht zu guten Eltern. Wenn die Eltern diese Rolle in der Erziehung übernehmen, bringen sie die wichtigste Investition ein, die es gibt: Sie investieren in das Humankapital - ein begriff, den Gary Becker in seiner ganzen Tragweite und in seinem analytischen Reichtum erschlossen hat.“ (Ebd., S. 217).

„Es ist tatsächlich meine Meinung, daß der Wirtschaftswissenschaftler gut beraten wäre, dem Philosophen Platz zu machen, ihm zuzuhören, mit ihm in einen Dialog zu treten und sich in bestimmten Punkten dann auch von ihm inspirieren zu lassen. Es ist nicht deplaziert, hier mit der Begrifflichkeit der Wirtschaftsanalyse zu arbeiten, um zu versuchen zu verstehen, was dann passiert, wenn ein Kind Geschmack findet an der Musik oder an der Wahrheit oder aber auch an Gewalt, Faulheit und Gemeinheit. Der Gegenstandsbereich der Ökonomie als Wissenschaft wurde von Ludwig von Mises perfekt definiert im Titel seines Hauptwerks: »Das menschliche Handeln«. Und wenn es darum geht, sich Gedanken zu machen über die Ausbildung von Werten, über all das, was den Dingen und Handlungen Wert verleiht, dann beziehe ich mich gerne auf Georg Simmel und seine Philosophie des Geldes: Er stellt den Prozeß der Ausbildung von Werten »außerhalb der Substanzialität, die isoliert, in den lebendigen Beziehungsprozess«. Und gerade das ist es, was das Wesen der elterlichen Rolle bei der Ausbildung von Werten ausmacht: Der lebendige Prozeß der Beziehung »Eltern-Kind« ist der Prüfstein der Werte und der Einstellung gegenüber dem Leben und den anderen.“ (Ebd., S. 218).

„In der Familie, in der Beziehung zum Vater, zur Mutter, zu Brüdern und Schwestern festigen sich die Einstellungen, die später eine sehr große Rolle im Berufsleben spielen. Das Berufsethos zum Beispiel, d.h. die Freude an einer gut gemachten Arbeit, hat seine tiefsten Ursprünge in dem Lob, den Ermutigungen und auch in den Ermahnungen aus der Zeit unserer Jugend. Wenn man sich über einen zufriedenen Kunden freut, so bedeutet das, daß man im übertragenen Sinne als Erwachsener die gleiche Freude erlebt wie in der Kindheit, als Mutter oder Vater oder beide die Kinder lobten, weil sie dieses oder jenes geschafft oder getan hatten. Als kleines Kind schon lernt man, daß Freude bereiten Freude schenkt. Schon als Kleinkind lernt man den Wert eines Lächelns, eines Dankesagens, eines Zeichens der Zufriedenheit und Dankbarkeit zu schätzen. Wenn ein Kind von seinen Eltern nicht das Glück des Schenkens von Zufriedenheit erfährt, von wem wird es das denn sonst lernen ?  Wenn es von ihnen dagegen das üble Vergnügen lernt, den anderen zu demütigen, zu erniedrigen, ihm Leid zuzufügen, ihn zu beschmutzen, wie soll ein Kind das verlernen, wer wird es umprogrammieren, wer sollte es schaffen, ihm ein anderes Verhalten beizubringen?“  (Ebd., S. 218-219).

„Das moderne Wirtschaftsleben ist weithin auf Kooperation begründet. Was bedeutet es denn zu kooperieren?  Es wäre sehr einengend und sehr ungenau, zur Kooperation einen utilitaristischen Standpunkt einzunehmen, als wenn sie nur eine Technik im Dienst der Produktivitätssteigerung sei. Andersherum argumentiert würde ich sagen, daß die Kooperation als solche einen noch größeren Wert schafft als den, den sie mit der Erzeugung materieller Werte oder Dienstleistungen erbringt. Kooperieren, das bedeutet zusammenzuleben, bedeutet, etwas zusammen zu machen: Ob man nun Autos baut oder Pizzen ausliefert - das, was von Bedeutung ist, ist das gemeinsame Leben, das gemeinsame Werk. Das Erlernen des »Zusammenlebens« erfolgt nun zunächst in der Familie. In den Rangeleien zwischen zwei Brüdern wegen eines Spielzeugs oder eines Stück Kuchens bilden sich die Persönlichkeiten heraus, die dazu in der Lage sind, den anderen, seine ihm eigene Welt, das was ihm gehört, zu respektieren, ohne sich dennoch dabei unterkriegen zu lassen. Die Bewältigung von Konflikten, die im Berufsleben ebenso wichtig ist wie im Leben von Vereinen und Verbänden oder in der Politik, haben wir zunächst im Rahmen der Familie erprobt, und zwar unter der Aufsicht der Eltern, die als Schiedsrichter fungieren. Die Bedeutung dieser schiedsrichterlichen Funktion ist groß für die späteren Erlebnisse, ja für das ganze Leben. Je nachdem, wie es den Eltern gelingt, eindeutige Normen zu setzen, je nachdem, wie sie ihre Kinder dazu anhalten, Gesetz, Ordnung und Unparteilichkeit innerhalb des Gemeinwesens zu respektieren - oder ob sie das nicht tun - wird bei dem künftigen Erwachsenen die Einstellung zum Leben in der Gesellschaft unterschiedlich sein. Auch Ehrlichkeit ist ein halb ererbter Charakterzug, der im Laufe der ersten Lebensjahre erworben wird. Diese für ein gutes Funktionieren einer Marktwirtschaft unerlässliche Eigenschaft wird in jedem Kind durch ein komplexes Ensemble von Wechselwirkungen erzeugt, deren früheste und grundlegendste in der Familie lagen. Ehrlichkeit ist eine Wesensart. Moralisch ist sie gleichbedeutend mit einer geraden Haltung. Wie die Körperhaltungen scheinen auch die moralischen Einstellungen »natürlich« zu sein. Aber sie sind in Wirklichkeit das Ergebnis einer langdauernden Praxis, einer Art Training. Menschen - wie im übrigen auch Affen - lernen, indem sie imitieren (nicht nur, aber doch hauptsächlich! Anm. HB). Sie sehen, wie sich ihre Eltern in den verschiedenen Situationen verhalten, und sie haben die Tendenz, es ihnen gleich zu tun.“ (Ebd., S. 219-220).

„Und schließlich müssen die finanziellen Mittel für eine soziale Absicherung der Elternschaft mobilisiert werden als unerläßliche Anerkennung für den Platz, den Bildung und Betreuung der Kinder für die Vorbereitung auf die Zukunft aller einnehmen.“ (Ebd., S. 221).

„In diesem Zusammenhang war ich glücklich zu hören, was Paul Kirchhof im Kern gesagt hat, wie ich das auch selbst mehrfach getan habe: Es darf kein Tabu geben gegenüber einer Entlohnung der elterlichen Erziehung, jedenfalls nicht mehr als gegenüber der Bezahlung für jedwede befriedigende und mit Freude ausgeübte Arbeit in unserer Gesellschaft.“ (Ebd., S. 221).

Familie, Humankapital und Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft (Maximilian B. Torres)

„Ziel dieses Beitrages ist, die Rolle deutlich zu machen, die die Familie bei der Vorbereitung von Menschen für das leben in wirtschaftlichen Organisationen spielt - Organisationen, für die u.a. Kompetenzen für einen optimalen Umgang mit anderen, die normalerweise nicht als wirtschaftliche Größen angesehen werden, höchst wichtig sind.“ (Ebd., S. 223).

„Was ich hier unterstreichen möchte, ist der Trend, der dahin geht, die Grenzen des quantitativen, rein zahlenmäßigen Denkens zu erkennen und diese zu überschreiten.“ (Ebd., S. 224).

„Nun ist es die Familie - und nicht das Unternehmen -, die die Saat legt (oder nicht) für das Bedürfnis zu lernen und die eine Prägekraft hat (oder auch nicht) für die Entwicklung der Fähigkeit zu kooperieren, zu dienen und zu vertrauen. Deshalb sind Unternehmen im Hinblick auf ihr finanzielles Gedeihen und ihren Erfolg in ganz ursprünglicher Weise auf die Familie angewiesen. Entsprechend liegt der zentrale Beitrag der Familie bei der Entwicklung des Humankapitals und der Wirtschaft im allgemeinen ganz genau in ihrer Rolle, als erste gesellschaftliche Instanz prägend und formend auf die Herausbildung der inmateriellen Eigenschaften und Gewohnheiten der jungen Menschen Einfluß zu nehmen.“ (Ebd., S. 224).

„Aus der Rückschau betrachtet hätten sich die Aktionäre von Enron eher weniger als mehr von diesem »Expertenwissen« der Wirtschaftsprüfer gewünscht und mehr Klugheit als Cleverneß im Topmanagement.“ (Ebd., S. 228).

„Paradoxerweise schwächt eine Erziehung der Jugend zu einer konsumistischen Haltung die konsumorientierte Wirtschaft, weil sie die Übernahme der für eine gedeihliche Entwicklung der Wirtschaft erforderlichen Eigenschaften der Durchhaltefähigkeit und Robustheit gegenüber externen Störungen unterminiert.“ (Ebd., S. 229).

„Wir haben bereits klargemacht, daß das, was im Wirtschaftsleben meßbar ist, wie Einnahmen, Ausgaben (und also auch: Kosten, Leistungen u.ä.; Anm. HB) oder auch Gewinne (bzw. Verluste; Anm. HB) letztendlich vom Vorhandensein (bzw. Nicht-Vorhandensein; Anm. HB) inmaterieller Faktoren wie Vertrauen, Loyalität und Engagement abhängen.“ (Ebd., S. 230).

„Tugenden verändern das Sein dessen, der sie besitzt, und das Handeln folgt dem Sein. .... Da es die Handlungsfähigkeit des Einzelnen ist, die Humankapital definiert, kommt die Familie am wirkunghsvollsten ihrer ökonomischen Funktion dann nach, wenn sie für ihre Kinder in der Familie möglichst günstige Bedingungen schafft, diese moralischen Tugenden zu erwerben.“ (Ebd., S. 231).

„Rechtschaffenheit z.B. ist eine habituelle Eigenschaft, die man durch Nachahmung des Beispiels derjenigen, die rechtschaffen sind, erwirbt und indem man Entscheidungen in Übereinstimmung mit dem »richtigen Gebrauch der Vernunft« trifft. Entsprechend erfüllen Eltern ihre Rolle bei der Humankapitalbildung, wenn sie für ihre Kinder ein gutes Vorbild sind und - das das Handeln der Entscheidung folgt - auf die Entwicklung der Entscheidungskriterien ihrer Kinder Einfluß nehmen.“ (Ebd., S. 231).

„Wie Väter und Mütter wissen, beobachten Kinder ständig. Das ist der Grund, warum Eltern die ersten Vorbilder für ihre Kinder sind.“ (Ebd., S. 232).

„Wie in vielen Familien verteilen wir Hausarbeiten an unsere Kinder und versuchen, ihnen die Bedeutung, den ihr persönlicher Einsatz für die Familie hat, deutlich zu machen. Wie Victor Frankl gelehrt hat, gibt es kein größeres Streben als die »Suche des Menschen nach Sinn«, und es gibt keinen tieferen Sinn als Liebe, die sich wiederum durch Aufgaben ausdrückt: »Tatsächlich muß der Mensch ein Ziel haben, auf das er sein Leben beständig ausrichten kann. Er muß konkrete, persönliche Aufgaben und Anforderungen erfüllen; er muß den einzigartigen Sinn erkennen, den jeder von uns zu erfüllen hat. Deswegen halte ich es für mißverständlich von ›Selbsterfüllung‹ oder ›Selbstverwirklichung‹ zu sprechen. Denn was vom Menschen erwartet wird, ist nicht primär Erfüllung und Verwirklichung seines Selbst, sondern die Verwirklichung spezifischer Aufgaben in dieser Welt. Und nur in dem Ausmaß, in dem er dies leistet, wird er auch sich selbst verwirklichen: Nicht per intentionem, sondern per effectum.«“ (Ebd., S. 232).

„Wie Plato (Platon ist gemeint; Anm. HB) gelehrt hat, gibt es keinen größeren Schaden für einen Menschen, als eine Ungerechtigkeit zu begehen und dafür nicht bestraft zu werden. Er kam zu der Schlußfolgerung - und zwar zu Recht, wie ich meine -, daß es besser ist, eine Ungerechtigkeit zu erleiden als sie zu begehen.“ (Ebd., S. 233).

„In der Familie erleben die Kinder auch zum ersten Mal, daß Gnade vor Recht geschieht. Gerechtigkeit und Gnade verhalten sich komplementär zueinander. Das eine ist für das andere ein notwendiges Korrektiv bei Übertreibungen in die eine oder andere Richtung. Thomas von Aquin beschrieb ihre Beziehung folgendermaßen: Recht ohne Gnade ist Grausamkeit. Gnade ohne Recht ist dagegen die Mutter der Auflösung und des Verfalls.“ (Ebd., S. 234).

„Mein Ziel war es, den Bereich abzustecken, in dem die Familie eine entscheidende wirtschaftliche Rolle dadurch spielt, daß sie Einfluß auf die Bedingungen für beruflichen Erfolg nimmt, d.h. daß sie prägend auf die Ausbildung dieser inmateriellen Faktoren bei ihren Kindern einwirkt. Im weiteren Verlauf habe ich auf eine Reihe menschlicher Eigenschaften - persönliche Integrität, Wissen, Flexibilität, Durchhaltefähigkeit und Teamwork (und nicht zu vergessen: Kreativität! Anm. HB) - hingewiesen, die die Märkte von Unternehmen und ganz besonders von Managern erwarten. Wenn der betreffenden Person diese Eigenschaften fehlen, dann fehlen ihr grundlegende Erfolgsvoraussetzungen - zum Schaden der beruflichen Karriere und letztlich auch zum Schaden der Wirtschaft. Mit anderen Worten: Mein Ziel war es, das Augenmerk auf die spezielle Kompetenz der Familie, diese Eigenschaften zu fördern, zu richten.“ (Ebd., S. 235).

„Im letzten Teil des Beitrages beschäftige ich mich mit einer Reihe von Möglichkeiten, mit denen die Eltern auf das Humankapital ihrer Kinder Einfluß nahmen dadurch, daß sie Vorbilder für ihre Kinder sind. Die Familie bildet den Rahmen, innerhalb dessen Kinder lernen: den Wert, für andere etwas zu tun, Verantwortungsbewußtsein, Großzügigkeit, Hingabefähigkeit, Wissensdurst, Sinn für rechtmäßiges Handeln, Gnade, Solidarität, Subsidiarität und Pflichtbewußtsein.“ (Ebd., S. 235).

„Manche Ökonomen neigen dazu, die heutigen ökonomischen Negativreize dafür, Kinder zu bekommen, und das Verschwinden der ökonomischen Bedingungen, die früher das Kinderkriegen gefördert haben, hervorzuheben. Aber diese Überlegungen lassen den wichtigen Umstand, daß Kinder auf einzigartige Weise zur Persönlichkeitsentfaltung der Eltern beitragen, außer Acht. Das ist aber ein unschätzbarer Dienst an den Eltern, der Wirtschaft und der Gesellschaft.“ (Ebd., S. 235-236).

„Eine letzte allgemeine Bemerkung über die Familie: Sowohl Eltern als auch Kinder lernen in der Familie, daß sie als »Individuen« (Anführungszeichen von mir: HB) nicht die einzigen Menschen auf der Erde sind und daß es im Leben um weit mehr geht als nur um einen selbst. Das sind schicksalhafte Lektionen, diezu erlernen sind, von denen allerdings letztlich die Vitalität der Wirtschaft abhängt.“ (Ebd., S. 236).

Zum Wert der emotionalen Erziehung in der Familie (Ulrike Horn)

„Das Ziel muß und kann ... nur die schte Wahlfreiheit zwischen Familien- und Erwerbsarbeit sein. zahlreiche Umfragen, die hier von Herrn Prof. Kirchhof, Herrn D. Geisler und Landrat Kretz eindeutig bestätigt wurden, belegen: Wenn Frauen die wahl hätten, würden zwei Drittel von ihnen in den ersten Lebensjahren lieber Erziehungsarbeit als Erwerbsarbeit leisten.“ (Ebd., S. 239).

„Eltern bieten grundsätzlich etwas Einmaliges: ... bedingungslose Liebe.“ (Ebd., S. 240).

„Die Familie ist die soziale und emotinale Keimzelle der Gesellschaft ....“ (Ebd., S.240).

„Nicht von ungefähr hat das Kinderhilfswerk UNICEF die Länder der Welt dazu azfgerufen, vor allem in die ersten drei Jahre des Kleinkindes zu investieren, denn jeder Dollar, den wir für das Kleinkind ausgeben, hilft uns später, sieben Dollar zu sparen.“ .(Ebd., S. 241).

„Kinder sind ein Wert an sich. Sie sind unser kostbarstes Gut und unser wertvollstes Kapital. Deshalb kann eine zukunftsorientierte Familienpolitik einzig darin bestehen, für die Familien und damit für Kinder die optimalen Lebensbedingungen zu schaffen. Das heißt im Klartext: Wir brauchen Wahlfreiheit, und deshalb brauchen wir ein Erziehungsgehalt (!!!) .... Wir brauchen eine Politik, die es ermöglicht, frei zu entscheiden, wer, wann, wo und wie lange ihre Kinder betreut.“ (Ebd., S. 241).

Ohne Erziehungsoffensive keine Bildungsoffensive (Josef Kraus)

„Die Familie .... vermittelt,
daß man regeln für das Zusammenleben braucht,
daß es legitime Grenzziehungen gibt,
daß ein Interessenausgleich notwenig und möflich ist,
daß es knappe Güter (Zeit und Geld) gibt,
daß es gewaltfreie Konfliktlösungen gibt.
Familie ist zudem aus der Geborgenheit heraus Schule der Empathie und damit Gewaltprophylaxe.
Wir müssen folgende Einsichten unter die Eltern bringen:
Erziehung darf auch spontan sein, denn sie ist nur ein »begrenzt planbares Unternehmen« (Jaspers).
Erziehung heißt »In-Anspruch-Nehmen« (Spranger).
Erziehung heißt »Führen und Wachsenlassen - Wachsenlassen und Führen«.
Es gibt auch eine Bildung jenseits von PISA.“ (Ebd., S. 244-245).

Zur Bedeutung pädagogischer Qualität in der familialen und außerfamilialen Betreuung für die Entwicklung von Kindern im Vorschulalter (Wolfgang Tietze)

„Die Lebensbedingungen auch von kleinen Kindern im vorschulischen Alter unterliegen einem stetigen gesellschftlich-historischen Wandel und sind durch kulturelle wie auch subkulturelle Unterschiede geprägt. Ein solcher Wandel wird nicht nur bei einer großräumigen historischen Betrachtungsweise sichtbar (vgl. Philippe Ariès, Geschichte der Kindheit, 1960; Lloyd DeMause, Hört ihr die Kinder weinen?, 1974; Wolfgang Tietze, Früherziehung, 1996) und dokumentiert sich nicht nur in eher globalen kulturvergleichenden Perspektiven (vgl. H.-H. Krüger / C. Grunert, Handbuch der Kindheits- und Jugendforschung, 2002), sondern wird auch dann erkennbar, wenn der Rückblick nur wenige Jahrzehnte umfaßt oder auch die mehr oder weniger aktuelle Situation analysiert wird (vgl. D. Baacke, Die 0-5-Jährigen, 1999; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Kinder und ihre Kindheit in Deutschland, 1998). Ein solcher Wandel ist nicht nur bei ausdifferenzierten Lebensformen von älteren Kindern zu beobachten, sondern zeigt sich zuletzt auch in den für das Überleben und Aufwachsen von jungen Kindern elementaren Betreuungssituationen.“ (Ebd., S. 247).

„Eine »neue ›Kultur‹ (Anführungszeichen von mir: HB) des Aufwachsens« in unserer Gesellschaft, wie sie in letzter Zeit zunehmend gefordert wird (vgl. L. Krappmann, Kinderbetreuung als kulturelle Aufgabe, in: Wolfagng Tietze, Rüherziehung, 1996, S. 20-29; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 10. Kinder- und Jugendbericht, 1998), muß auf beide Seiten, die Familien und die Tageseinrichtungen, setzten.“ (Ebd., S. 255).

Aufwachsen in öffentlicher Verantwortung - Bildung von Anfang an (Norbert Hocke)

„70% der Mütter mit Kindern unter 12 Jahren wollen nach einer im Jahr 2000 durchgeführten Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin mindestens eine Teilzeitbeschäftigung. (=> ). Mehr als 40 % der Mütter waren jedoch tatsächlich nicht erwerbstätig. Die Hauptursache dafür sei die fehlende Möglichkeit, Kinder in Kindertagesstätten unterzubringen. 30% der halbtags arbeitenden Mütter mit Kindern im Alter von 0 bis 12 Jahren würden gerne länger arbeiten. Die Ergebnisse wurden am 4. Juni 2002 von der Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Christine Bergmann der Öffentlichkeit vorgestellt. (=> ). In einer Online-Umfrage mit 170.000 Teilnehmerinnen - der größten Online-Umfrage in Europa - fragte das McKinsey-Institut unter der Überschrift »Perspektive Deutschland«: »Wo sehen Sie den Staat in der Pflicht und wo sehen Sie Dinge, die Sie selbst in die Hand nehmen würden?«  58 Prozent wollten den Staat beim Thema Arbeitsmarkt in die Pflicht nehmen und 51 Prozent beim Themenbereich Kindheit und Familie. 7 von 10 berufstätigen Müttern von Kindern im Vorschulalter würden gern eine Berufstätigkeit aufnehmen, wenn sie für ihr Kind einen Kindergartenplatz bekämen. (=> ). Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt die Zeitschrift »Brigitte« in einem Dossier über die Wünsche von Frauen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. (=> ). Was heißt öffentliche Verantwortung für Bildung und Erziehung ?  In den Empfehlungen des 11. Kinder- und Jugendberichtes der Bundesregierung (kostenlos erhältlich unter: 0180/5329329 oder: ) sind dazu Ausführungen gemacht ....“ (Ebd., S. 257).

„Die öffentliche Verantwortung für die Erziehung und Bildung von Kindern hat in Deutschland kläglich versagt. Die Datenlage ist eindeutig, die Politik miserabel.“ (Ebd., S. 258).

„Wir brauchen auch eine neue Partnerschaft zwischen der Familie und den öffentlichen Erziehungs- und Bildungsinstitutionen“ (Ebd., S. 258).

„Wir brauchen den gebührenfreien Kindergarten auf qualitativ hohem Niveau und ein die Existenz sicherndes Kindergeld.“ (Ebd., S. 263).

 

- FAMILIE, HUMANKAPITAL UND ARBEITSMARKT - ANTWORTEN DER WIRTSCHAFT -

Die Familie als Grundpfeiler einer nachhaltigen Entwicklung (Jean-Didier Lecaillon)

„Wenn man zunächst die Dinge unter dem mikroökonomischen (Unternehmen) oder dem makroökonomischen Blckwinkel (das Land als ganzes) betrachtet, so stellt immer das Huamnkapital die wichtigste Quelle des wirtschaftlichen wachstums dar. Wer aber trägt primär zur Bildung dieses Humankapitals bei?  Die Familien, wie jeder weiß.“ (Ebd., S. 267).

„Ganz allgemein gilt, daß wir ein äußerst schwerwiegendes Problem vorwegzunehmen haben, das den Generationenwechsel betrtifft und seinen Höhepunkt im Jahr 2020 erreichen wird (und dieser Höhepunkt wird mindestens bis zum Jahr 2030 andauern! Anm. HB): ganze Bereiche der Wirtschaft könnten wegbrechen, wobei der mangel an Arbeitskräften in bestimmten Bereichen schon ketzt spürbar wird. Die Überalterung, also die Zunahme des relativen Gewichts der älteren Personen im Rahmen der gesamten Bevölkerung - wobei dieses Phänomen die gesamte entwickelte Welt, speziell Europa -, könnte ohne weiteres ursächlich dafür sein, daß wirtschaftliche Schwierigkeiten tatsächlich eintreten.“ (Ebd., S. 268).

„Wir berühren hier eine ganz wesentliche Frage. Die wirtschaftlichen Aufgaben, die von der Familie - einer produktionsstätte im echten Sinne (!!!) - wahrgenommen werden, sind sehr alt; ursprünglich war dies sogar das Hauptmerkmal der Familie (!!!). Wenn es nun richtig ist, daß bestimmte traditionelle Formen der Produktion, wie z.B. die landwirtschaftliche, die kommerzielle und die handwerkliche Aktivität, ihre scharfen Umrisse eingebüßt haben so trifft dies aber nicht zu, soweit es die erste dieser traditionellen Aufgaben betrifft: die Reproduktion. Denn die vorgenannten Tätigkeiten wurden durch jene Investition abgelöst, die in der Bildung des Humankapitals besteht. Der theoretische Irrtum besteht darin, diese Tätigkeit nicht als Produzent von reichtum anzusehen.“ (Ebd., S. 268).

„Um diese Präsentation zu vervollständigen, möchte ich im folgenden die Bedeutung einiger Kernbegriffe unterstreichen. In der Tat laufen wir Gefahr, das Wesentliche zu verpassen und uns auf eine Debatte einzulassen, die sich auf die technisch-fachlichen Aspekte oder auf durch bestimmte Umstände geprägte Sorgen beschränkt, falls wir nicht die Bedeutung bestimmter Begriffe ermessen.“ (Ebd., S. 269).

„Der erste dieser Begriffe ist die Stabilität des Familienverbandes. Diese ist natürlich erforderlich, um die Erziehung sicherzustellen, jedoch ebenfalls die Fruchtbarkeit, wobei die verfügbaren demographischen Fakten einen entsprechenden Nachweis ermöglichen. Eine andere Art und Weise, um die gleiche Aussage zu treffen, besteht in folgender Formulierung: der Langzeitaspekt muß vorrangig verfolgt werden. Diese Notwendigkeit wird jedoch von den Politikern ebenso wie von jenen Personen negiert, die behaupten, man könne die Wirtschaft auf Finanzen oder auf Buchhaltung reduzieren.“ (Ebd., S. 269).

„Der zweite Begriff, der angesprochen werden soll, ohne ihn weiter entfalten zu können, verweist auf das Subsidiaritätsprinzip, dessen klarste und vollständigste Formulierung von der Soziallehre der Katholischen Kirche geleistet worden ist. Dieses Prinzip muß in sämtlichen Phasen einer richtig verstandenen und vollständigen Erziehung zum Tragen kommen.“ (Ebd., S. 269).

„Die dritte Bemerkung richtet sich darauf, das Primat der Personen gegenüber Iden Gütern zu unterstreichen: Investitionen in das Humankapital stellen tatsächlich eine Vorbedingung für jede Weitergabe von einer Generation zur anderen dar. Der wichtige Gedanke, der zu berücksichtigen ist, liegt nicht nur darin, daß heute Kapital produziert werden muß, um dank dieses Kapitals morgen über Verbrauchsgüter und Dienstleistungen verfügen zu können, sondern ebenfalls darin, daß der menschliche Faktor langfristig der wesentliche Faktor ist. Wenn die Kinder immer rarer werden oder ihre Erzeihung nicht ausreichend ist, werden die materiellen Investitionen nicht mehr unter bestmöglichen Bedingungen eingesetzt werden können.“ (Ebd., S. 269-270).

Argumente zur Familienförderung aus Unternehmenssicht (Mechthild Löhr)

„Gerade die Unternehmen haben ein starkes Interesse an der Zukunft der sozialen Sicherungssysteme, da sie ganz erheblich an den finanziellen Belastungen mittragen. Das wird eine solche Entwicklungsdynamik mit sich bringen, daß Unternehmen und Unternehmensvertreter sich sehr nachdrücklich mit Fragen der Zukunft der Familien beschäftigen werden.“ (Ebd., S. 271).

„Wir haben jetzt gerade seitens der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) herausgefunden, daß in Deutschland ein Viertel aller Auszubildenden die Ausbildung abbricht, weil dieses Viertel aller Auszubildenden sich teilweise aus verschiedenen Gründen als gar nicht ausbildungsfähig oder gar nicht ausbildungswillig erweist. Wirtschaft und Gesellschaft begegnen also in Besorgnis erregendem Maße (potentiellen) Mitarbeitern und Bürgern, die nur über ein sehr begrenztes Ausbildungspotential (Wissen und Verhalten) verfügen. Laut PISA-Studie sind dies in einem Jahrgang zwischen 10 und 23% der jungen Menschen. Und dies, obwohl wir eine Wissensgesellschaft ... und ... eine Dienstleistungsgesellschaft sind, deren Zukunft immer stärker von der Qualität der Mitarbeiter abhängt. Denn unser Wohlstand hängt eng mit der Qualität und Qualifizierung unserer Mitarbeiter zusammen. Dennoch haben wir eine nachwachsende junge Generation, die diesen qualitativen Anforderungen nur bis zu einem gewissen Prozentsatz gewachsen ist.“ (Ebd., S. 272).

„Daraus ergeben sich für Unternehmen wachsende Problempotentiale. Unternehmen müssen sich außerdem verstärkt damit beschäftigen, wie sie solche jungen Mitarbeiter in ein soziales System, in ein Unternehmen eben, integrieren, die von ihren Familien und auch ihren Schulen nur bedingt und teilweise auf eine Integration in den Arbeitsprozeß vorbereitet sind. Man könnte es auch zugespitzter sagen: Im Prinzip ist für viele Jugendliche das Unternehmen, in dem sie ihren Berufsweg anfangen und einen Arbeitsplatz und Verantwortung übernehmen, die erste wirklich feste Einbindung in eine verbindliche Sozialstruktur. Oft wird die Familie im Unterschied dazu gar nicht mehr als feste Lebensgemeinschaft erlebt. Darin liegt eine beachtliche Erziehungs-und Bildungsproblematik, der wir sehr intensiv nachgehen sollten. Unternehmen müssen zunehmend Bildungs- und Erziehungsaufgaben übernehmen. Sie müssen an Defiziten arbeiten, die sich aus dem Bildungs- und Erziehungsversagen von Eltern und Schulen ergeben. (Dazu erscheint jetzt u.a. eine Broschüre der Arbeitgeberverbände unter dem Titel »Bildungsauftrag Werteerziehung«, => ). Auch problematische Jugendliche wollen irgend wann Beruf und Beschäftigung oder sie bleiben dauerhaft auf den Sozialstaat angewiesen und müssen dann von der Solidargemeinschaft getragen und finanziert werden. Diese Problemgruppen sind natürlich vor allen Dingen der Personenkreis, der uns in Zukunft Sorgen machen wird; und diese Problemgruppe wächst in Deutschland. Schon jetzt liegt die Jugendarbeitslosigkeit der Bis-zu-25-Jährigen bei rd. 500000. Dies ist ein Skandal (!!!); und das kann unsere Gesellschaft auf Dauer nicht verkraften und hinnehmen.“ (Ebd., S. 272).

„Einen weiteren Aspekt will ich kurz noch anreißen. Das ist die Frage der konkreten Familiensituation unserer Mitarbeiter. Wir können ganz eindeutig feststellen, daß die Motivation, die Stabilität der Persönlichkeit, die Gesundheit oder die Belastbarkeit von Mitarbeitern und von Führungskräften sehr stark gekoppelt ist an ihre individuelle Familiensituation. Dazu könnte ich Ihnen als Personalberaterin viele Beispiele geben, aber das können Sie sich unschwer selbst vorstellen. Die Frage, ob und wie jemand familiär gebunden ist, entscheidet häufig wesentlich darüber, welche Entwicklung oder Karriere er oder sie machen kann. Dies stimmt übrigens nicht nur bei Frauen, sondern genauso bei Männern, wenn auch mit anderen Kriterien und Rücksichten. Und als letzten Aspekt möchte ich noch die Globalisierung (gemeint ist aber nur die wirtschaftliche Globalisierung; Anm .HB) erwähnen: Sicher, dieses Stichwort darf ja derzeitig nirgendwo fehlen. Aber in der Tat ist den Unternehmen klar geworden, daß über die Zukunft eines Unternehmens vor allem entscheidet, welche Qualität dessen Mitarbeiter haben. Und über die Zukunft einer Volkswirtschaft entscheidet ebenfalls, welchen Ausbildungsstand die Beschäftigten haben und wie die sozialen Rahmenbedingungen aussehen. Wie steht es mit Leistungsbereitschaft und -fähigkeit?  Wie groß und wie leistungsfähig und -bereit ist die nachfolgende Generation?“  (Ebd., S. 273).

„All das führt wieder zum Anfang meiner Kurzanalyse zurück, nämlich zur ersten Prägung der Kinder in der Familie. Wir haben heute morgen gehört, daß schon bei einem eineinhalbjährigen Kind spezifisch geprägtes Verhalten seitens seines sozialen Umfeldes feststellbar ist. Wir können dabei in unserer Gesellschaft auf den verschiedensten Ebenen wahrscheinlich einen riesigen »Reparaturbedarf« feststellen. Seitens der Wirtschaft, weil wir im Wettbewerb stehen mit anderen leistungsorientierten Volkswirtschaften, die andere und effizientere Erziehungs- und Bildungsmodelle verfolgen und den Wert der Familie höher schätzen. Wir sind also aufgefordert, verstärkt an deutlich verbesserten sozial- und familienpolitischen Rahmenbedingungen zu arbeiten. Von daher sehe ich eigentlich derzeitig besonders gute Chancen, das Thema Familie auch unter diesen betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Aspekten mit einer ganz neuen Brisanz zu versehen. Die Unternehmen und die gesamte Volkswirtschaft brauchen Familien, die junge Menschen gut auf das Leben und auf ihr Berufsleben vorbereiten. Vor allem die Familie begleitet jeden in Krisen und Schwierigkeiten. Dies kann und sollte weder der Staat noch die Wirtschaft ersetzen wollen. Die Familien bleiben der wichtigste Baustein unserer Gesellschaft, von dem alle weiteren Systeme und Lebensbedingungen abhängen. Das macht ihren unersetzbaren Wert aus.“ (Ebd., S. 273).

Wirtschaftliche Zukunft braucht Familien (Thomas Müller-Kirschbaum)

„Das Problem der Vereinbarkeit von Familie und beruflichem Engagement trifft hauptsächlich die Frauen. Unternehemn können hier vielfach Hilfestellung leisten.“ (Ebd., S. 275).

„Begriffe wie Soziale Kompetenz oder Emotionale Intelligenz werden immer wieder als die eigentlichen Schlüsselqualifikationen von Führungskräften geschildert. Hieraus ergibt sich ein ökonomischer Nutzen der Familienförderung. Zunächst bedeutet die Wahrnehmnung der Elternrolle eine Übernahme von Vernatwortung, nicht nur für sich selbst oder einen erwachsenen Ehepartner, sondern für ein heranwachsnedes Kind mit all seinen über die Jahre sich verändernden Bedürfnissen.“ (Ebd., S. 276).

„Unternehmen tungut daran, über die Grenzen des Unternehmens hinaus Familien als einen Kern ihres sozialen Engagements zu verstehen. Eine lebenswerte Gesellschaft und eine nachhaltig ausgerichtete Wirtschaft sind auf funktionierende Familein als eines ihrer wesentlichen und stabilisierenden Elemente angewiesen. Die Zukunft, die gesellschaftliche wie die wirtschaftliche, braucht Familien.“ (Ebd., S. 277).

Für eine neue Partnerschaft zwischen Wirtschaft und Familie (Michel-Edouard Leclerc)

„Angesichts des raschen Wandels braucht die Familie Grundpfeiler der Stabilität. Davon profitieren alle, auch die Wirtschaft. Denn in der Familie wird das gebildet, wovon auf diesem Kongreß so intensiv die Rede war, das Humankapital. Für die Wirtschaft bringt jede Investition in das Humankapital gute Rendite. Bisher profitierten betriebe und Wirtschaft davon gratis; es waren und sind die Familien, die diese Investition mit der Erzeihung aufbringen. Die Familie als Unternehmen und Produzent von Humankapital spielte in den Wirtschaftswissenschaften keine Rolle. Erst in der letzten Zeit wurde sie mit dieser Funktion wahrgenommen, weil eben der Wandel der Gesellschaft - inbegriffen der Wandel der Kultur - auch einen Mangel an Humankapital hat erkennen lassen.“ (Ebd., S. 279-280).

„Die Wirtschaft hat die Familie in ihrer gesellschaftlichen Funktion zu unterstützen. Unternehmen müssen sich zu Stützpfeilern der Stabilität entwickeln. Das setzt voraus, daß Unternehmen, insbesondere das Management, eine bestimmte Kulturvorstellung haben. Ohne Kultur geht das Menschliche verloren. Ohne Sinn für eine Kultur des Menschlichen kann es keine Unterstützung für die Bildung des Humankapitals geben. Das ist die Basis, auf der wir zu einem neuen Pakt zwischen Unternehmen und Familie gelangen können.“ (Ebd., S. 280).

Alterssicherung und Erziehungsarbeit im demographischen Wandel: Herausforderungen an die gesetzliche Rentenversicherung (Anne Meurer)

„Befürworter eines nach Kinderzahl gestaffelten Beitragssatzes argumentieren oftmals, daß Eltern mit ihrer Erziehungsarbeit einen generativen Beitrag zum Erhalt des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung leisten und es daher »gerecht« sei, sie von finanziellen Beiträgen zu entlasten. Dieses Argument wäre stringent, wenn die gesetzliche Rentenversicherung nicht nur einen Teil der Erwerbstätigen einbeziehen würde, sondern eine Volksversicherung wäre, die die gesamte Wohnbevölkerung erfaßt. Erst eine solche Versicherung könnte sicherstellen, daß der »generative Beitrag« tatsächlich in der Gesetzlichen Rentenversicherung zum Tragen kommt. Gegenwärtig ist dies beispielsweise bei Beamten, Selbständigen und Nicht-Erwerbstätigen nicht der Fall. Aus Sicht der Rentenversicherung, insbesondere der BfA, ist das Modell der Staffelung des Beitragssatzes nach der Kinderzahl ein ungeeignetes Mittel des Familienlastenausgleichs. Der Familienlastenausgleich ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, da alle gesellschaftlichen Systeme von der nachwachsenden Generation abhängen. Deshalb sollte der Familienlastenausgleich als Unterstützung in der Phase der Kindererziehung über das Steuersystem erfolgen. Entscheidend für eine verbesserte Einkommenssituation in der Erwerbsphase und im Alter ist jedoch nicht allein der Familienlastenausgleich, sondern vielmehr die Schaffung von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Internationale Erfahrungen zeigen, daß insbesondere ein ausreichendes Angebot an Kinderbetreuungsmöglichkeiten und die bessere sozialrechtliche Stellung von Teilzeitarbeit einen wichtigen Beitrag zur Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen leisten können. Dadurch kann nicht nur das Einkommen von Haushalten mit Kindern verbessert werden, sondern auch das sozialpolitische Ziel der eigenständigen Anwartschaften von Frauen in der Gesetzlichen Rentenversicherung in erheblichem Umfang verwirklicht werden.“ (Ebd., S. 287).

„Der Dreh- und Angelpunkt für eine bessere Absicherung von Frauen im Alter ist nicht die rentenversicherung, sondern der Arbeitsmarkt, auf dem die Anwartschaften für die spätere Rente begründet werden. Frauen wollen heute beides: Familie und Erwerbstätigkeit.“ (Ebd., S. 288).

 

- GRUSSWORTE -

Grußwort (Papst Johannes Paul II.)

„Eine gesunde Familienkultur kann der Gesellschaft in entscheidender Weise die notwendige geistig-moralische Kraft und innere Festigkeit verleihen. Denn »die soziale Dimension des Menschen findet ihren ersten und ursprünglichsten Ausdruck in den Eheleuten und in der Familie: ›Gott hat den Menschen nicht allein geschaffen; von Anfang an hat er ihn als Mann und Frau geschaffen‹ (Geneseis, 1,27); ihre Verbindung schafft die erste Form personaler Gemeinschaft. Die Erfahrung zeigt, daß Zivilisation und Festigkeit der Völker vor allem durch die menschliche Qualität ihrer Familien bestimmt werden. Die Kirche ist zutiefst davon überzeugt: Die Zukunft der Menschheit geht über die Familie.« (Christifideles laici, 40).“ (Ebd., S. 289).

Grußwort (Gerhard Schröder)

„Familien bilden das stabile Zentrum unserer Gesellschaft.“ (Ebd., S. 290).

Grußwort (Edmund Stoiber)

„Die Familie ist und bleibt die Keimzelle der Gesellschaft.“ (Ebd., S. 291).

 

- EPILOG -

Zeit, Geld, Bildung. Was Familien und Kinder heute brauchen - Anmerkungen nach dem Kongreß „Demographie und Wohlstand“ (Jürgen Liminski)

„Die Vertreibung aus dem Paradies läßt sich auf den Tag genau festlegen und zwar periodisch etwa alle vier Jahre. Am 23. September 2002 war es wieder soweit. Da wurden die Familien aus dem politischen Garten Eden vertrieben - auch ohne Sündenfall. Und wenn sich die Wahlen erneut nähern, werden die Götter auf dem Berliner Olymp wieder das Paradies auf Erden versprechen. Das hat viele Namen: Mehr Kindergeld, Familiengeld, Erziehungslohn, mehr Plätze im Kindergarten, mehr Lehrer, mehr Flexibilität in den Betrieben, mehr Teilzeitjobs, weniger Steuern und Sozialabgaben für Familien, mehr Gerechtigkeit, bessere Vereinbarkeit. Mehr, besser, alles - das Paradies eben. Aber die Familie muß jetzt leben. Junge Menschen wollen und müssen jetzt planen. Das Warten am Zaun oder Tor zum Paradies ist kein Lebenskonzept. Schrittweise würde man sich dem großen Ziel nähern, behaupten die Olympiken und sie übersehen, daß die Institutionen Ehe und Familie Gefahr laufen, sich schrittweise aufzulösen. In großen Städten bestehen die Haushalte zur Hälfte bereits aus Einzelpersonen ..., bestimmen Singles, Dinks (»Double income no kids« - doppeltes Einkommen, keine Kinder) und Oldies die Wohnstruktur und den Markt. Und mit dem Markt auch das öffentliche Leben und Lebensgefühl, wenigstens in den Medien. Untrügliche Zeichen sind: Tiefkühlprodukte boomen durch alle Konjunkturzyklen hinweg, Babyartikel werden zu Ladenhütern. Auch die Scheidungsziffern in Deutschland boomen. Das letzte statistisch erfaßte Jahr (2001) erlebte einen traurigen Doppelrekord: Noch nie gab es so viele Scheidungen (197500), noch nie so wenig Eheschließungen. Die Bindungsangst geht um. Ist das der Fluch der Spaßgesellschaft?“  (Ebd., S. 293).

„Es bleibt nicht bei der Vertreibung aus dem Paradies. Wie alle vier Jahre hat man, um ein anderes Bild zu gebrauchen, das Aschenputtel Familie für eine Zeitlang zur Prinzessin gemacht. Der Wahlkampf ist der Ball mit dem Prinzen. Das arme Mädchen in Grimms Märchen darf am Ende ihren Prinzen behalten, weil der sie wirklich liebt. Das ist bei den Prinzen der Politik seit Jahrzehnten nicht mehr der Fall und deshalb wird die Prinzessin regelmäßig wieder zum Aschenputtel. Es muß ja nicht so sein wie im Märchen, da Aschenputtel unter dem Baum auf dem Grab seiner Mutter sagt: »Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich, wirf Gold und Silber über mich«, und dann regnet es golden und silbern Kleider für das Fest mit dem Prinzen. Nein, das nicht. Und es muß auch nicht sein, daß die Tauben den bösen Schwestern, die zu gern mit dem Prinzen tanzen würden, die Augen aushacken und es heißt: »So waren sie also für ihre Falschheit mit Blindheit für ihr Lebtag gestraft.« Nein, es ist eigentlich schlimmer: Der Ball der Familie mit den Prinzen der Politik ist ein Tanz mit Vampiren. Man tanzt und saugt sie nachher aus. Die versprochene Kindergelderhöhung?  Vergessen oder kein Geld in der Kasse. Das Familiengeld ?  Vergessen, am besten auch aus dem Programm streichen, meinen manche ungefragt. Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts?  Vergessen, denn wo kein Kläger, da kein Richter. Leistungsgerechtigkeit für die Familie?  Was ist das ?  Der Begriff ist noch nicht im allgemeinen Bewußtsein der Politik angelangt. Nur bei der Rente regt sich was. Da muß sich etwas tun, denn die Rentner sind mittlerweile eine der größten Wählergruppen (siehe den bemerkenswerten Aufsatz von Prof. Sinn).“ (Ebd., S. 293-294).

„Wenn von Leistungsgerechtigkeit für Familien die Rede ist, verhalten sich Politiker in Deutschland wie zwei der drei berühmten Affen: Nichts sehen, nichts hören. Und beim dritten Affen ist es umgekehrt. Statt schamvoll zu schweigen, reden sie unentwegt, natürlich die Taten ihrer jeweiligen Partei preisend. Aber das Jonglieren mit aktuellen Milliarden ist trügerisch. All die Maßnahmen der Parteien der letzten Jahrzehnte halten einem Vergleich der Kaufkraft, der einzigen familienrelevanten Größe, nicht stand: Der Familienlastenausgleich machte in den 1060er Jahren rund 400 Arbeitsstunden pro Jahr aus, heute sind es weniger als 200. Während Löhne, Gehälter und Renten kräftige Steigerungen verbuchten, blieb der Ausgleich für die Leistungen der Familie weit zurück, so daß kinderreiche Familien heute zu den ersten Kategorien der Armen gehören. Jedes siebte Kind lebt in einem Haushalt von Sozialhilfeempfängern. Das wirkt auf junge Leute abschreckend, wenn es darum geht, eine Familie zu gründen. Niemand wird gern freiwillig arm. Heute eine Familie mit mehreren Kindern zu gründen, sei, so der Präsident der Caritas, ein sicherer Weg sich zu ruinieren. Es ist auf jeden Fall ein Abenteuer geworden. Der Sozialwissenschaftler Franz-Xaver Kaufmann sprach schon vor Jahren von der »strukturellen Rücksichtslosigkeit« der Gesellschaft gegenüber Familien. Das Steuer- und Abgabesystem gibt ihm recht. Es belohnt die Kinderlosen und der Staat hat, bemerkt Konrad Adam richtig, »bei der Verteilung seiner Wohltaten« nicht auf Gefühle zu reagieren, sondern auf Tatsachen. »Wo es um Nachwuchs geht, darf ihn und muß ihn nur eines interessieren: ob Kinder da sind. Aus welchen Gründen sie existieren oder fehlen, geht ihn nichts an.« Das ist eine Existenztrage. Deshalb hat, so sagen die Richter in Karlsruhe, der Staat auch den Schutz der Familie, mithin auch ihr Existenzminimum zu gewährleisten. Das eben geschieht nicht. Eltern werden faktisch höher besteuert als Kinderlose. Ihre Unterhaltskosten werden bei der Festlegung der steuerlichen Kinderfreibeträge zu gering veranschlagt, weshalb Eltern seit Jahren Steuern auf Einkommen entrichten, über das sie tatsächlich gar nichtfrei verfügen. Es geht nicht um Almosen, sondern um Zukunft und Leistungsgerechtigkeit. Die Gönnerpose der Politik ist Hochstapelei. Sie wäre zu ertragen, wenn das derzeitige, vom Bundesverfassungsgericht wiederholt festgestellte Unrecht an den Familien für alle gälte. Aber immer mehr junge Leute entscheiden sich gegen Kinder. Damit droht die Gerechtigkeitslücke gegenüber Familien mit Kindern zum Abgrund zu werden, in den auch die Sozialsysteme - lemminggleich - abzustürzen drohen.“ (Ebd., S. 294-295).

„Nun hat die Politik, die ja die Rahmenbedingungen setzt, die Demographie entdeckt. Zwar weisen seit mehreren Jahren schon Experten auf die sozialen Folgen des wachsenden demographischen Defizits hin. Gutachten wurden erstellt und Gegengutachten bestellt. Die maßgebliche Politik hat sich festgelegt. Alle Parteien singen als Lösung das Hohelied der Vereinbarkeit. Vorfahrt für Wirtschaft und Beruf außer Haus. Man verweigert schlicht die Anerkennung der häuslichen Familienarbeit. Familienmanagement als Beruf- soweit denkt man selten. Vollmundig stimmt man in den Chor der Verfemung des Herdes ein, so als ob dieses arme Küchengerät Teufelswerk wäre. Familie ist da, wo ein Kühlschrank steht, heißt es. Aber es gibt kaum einen Ort der Erziehung, der markanter wäre als das regelmäßige gemeinsame Essen. Hier ist Kommunikation, hier entsteht emotionale Stabilität, hier wird Humankapital gebildet. Echte Wahlfreiheit zwischen Erwerbsberuf und Familienmanagement (siehe dazu Christian Leipert [Hrsg.], Familie als Beruf, 2001) würde auch die Präsenz zu Hause ermöglichen. Diese Präsenz, Zeit mit den eigenen Kindern, ist konstitutiv für die Erziehung. Sie ist aber auch ein Tabuthema. Präsenz zu Hause - da saust sofort das Fallbeil der Ideologie herab. Selbst die Präsenz der Eltern über den Kinderbetten wird kaum noch toleriert. Die fortgesetzte Diskriminierung von Hausfrauen und Müttern, wahre Unternehmertypen, ist abenteuerlich. Denn selbst Wirtschaftswissenschaftler haben den Wert der emotionalen Stabilität entdeckt und sie als eine Quelle ausgemacht, aus der sich das Humankapital speist. Das Humankapital ist mittlerweile zur wichtigsten weil knapper werdenden Ressource der modernen Wirtschaft avanciert. Humankapital - das sind die grundlegenden Fähigkeiten des Menschen: Das Lernenkönnen, das Miteinander-Umgehen-Können, Ausdauer, nach Lösungen suchen statt zu jammern, Gefühle erkennen und einordnen, Vertrauen schenken, ohne naiv zu sein, Alltagsprobleme meistern; es ist die soziale Kompetenz und die Fähigkeit, emotionale Intelligenz zu steuern und viele Eigenschaften mehr. Das ist mehr als Wissen. Der us-amerikanische Nobelpreisträger Gary Becker, ein liberaler Ökonom, der den Begriff des Humankapitals in die Wirtschaft eingeführt hat, sagt es so: »Das grundlegende Humanvermögen wird in der Familie erzeugt. Die Schule kann die Familie nicht ersetzen.« Man könnte das Humankapital auch durch einen anderen Begriff ersetzen oder ergänzen: Das Kindeswohl. Die neuere Hirnforschung belegt, daß emotionale Stabilität und aktive Kommunikation mit dem Kleinstkind grundlegend sind für das Kindeswohl und damit die Bildung von Humankapital. Durch die Kommunikation bildet sich Sprache, durch Sprache und emotionale Stabilität bildet sich Persönlichkeit. Beides setzt Präsenz oder auch Zeit mit dem Kind seitens der Eltern oder von anderen Sorgetragenden voraus. Das kann zuhause sein, das kann aber auch im Kindergarten, besser noch in einer Art Vorschule geschehen. An beiden Orten entscheidet sich das Kindeswohl. An beiden Orten muß dafür erzogen, nicht nur betreut werden. Eltern müssen deshalb gebildet sein und je mehr sie das sind, um so größer sind die Chancen des Kindes für die Ausbildung seiner Persönlichkeit, beziehungsweise für den Aufbau von Humankapital.“ (Ebd., S. 295-296).

„Die Einengung auf Ideologien führt in die Irre. Das kann die Mütterideologie sein nach dem Motto: Nur die Mutter kann wirklich erziehen. Das kann auch die Kollektivideologie sein nach der Devise; Nur der Staat kann's richten. Beiden gemeinsam ist eine gewisse Selbstverwirklichungsidee. Sie geht im ersten Fall davon aus, daß das Mutterglück das eigentliche Glück sei und die Frau sich in ihm allein verwirklicht. Im zweiten Fall wird der außerhäusliche Beruf zum Glücksfall, zum Lebenssinn. Aber beide Selbstverwirklichungsprogramme leben nur von einem künstlichen Gegensatz. Für das allgemeine Kindeswohl dürfte die Ergänzung von Zuhause und Vorschule gesellschaftlich der Idealfall sein, sofern an beiden Orten nicht nur betreut oder aufbewahrt wird. In Deutschland wird dennoch fast ausschließlich und geradezu mit prophetischem Eifer für eine Vereinbarkeit argumentiert, die de facto die Ganztagsbetreuung außer Haus meint. Es lasse sich zeigen, heißt es, daß Länder mit einer höheren Erwerbsquote von Müttern auch höhere Geburtenraten aufwiesen. Diese Behauptung ist wie ein Axiom, aus ihm leitet man die Notwendigkeit einer besseren Vereinbarung von Familienarbeit und außerhäuslicher Erwerbsarbeit ab. Wie eine Monstranz wird das Vereinbarkeitsdogma in jeder Diskussion vor Kameras und Mikrofone getragen und in der Prozession marschieren alle Parteien mit. Es ist das Dogma der Betreuungsideologen. Ihnen stehen die Mütterideologen gegenüber. Derzeit haben die Betreuungsideologen die stärkeren Bataillone im öffentlichen Diskurs. Die Verteidiger der Familien-, Mütter- und Heimthesen erscheinen dagegen wie Volkstribune, ohne Auftrag, ohne Amt, ohne Armee, ohne Waffen. Auf ihrer Seite steht lediglich das Empfinden, daß es ohne Mütter und ohne Familie auch nicht geht. An dieser - falschen - Schlachtordnung im öffentlichen Diskurs wird die allgemeine und ebenfalls falsche Prioritätenordnung sichtbar; Erst der Beruf, dann das Kind. Aber es sollte umgekehrt sein. Es geht um das Kindeswohl. In diesem Sinn sollte sich der Beruf dem Kind und den Bedürfnissen der Familie anpassen. Genau darüber läuft seit ein paar Monaten in den USA, wo es auch flächendeckende, freilich nicht staatlich finanzierte Betreuungseinrichtungen gibt, eine heiße Debatte - das Buch »Creating a life -professional woman and the quest for children« von Sylvia Ann Hewlett hat offenbar einen tiefsitzenden Zentralnerv getroffen.“ (Ebd., S. 296).

„Auch das Zuhause kann zum billigen Aufbewahrungsort werden, zum Beispiel vor dem Fernsehen. Entscheidend sind gebildete Eltern und Erziehungskonzepte für Kinder in der Gruppe. Man kann es nicht oft genug wiederholen; Erziehung ist mehr als Betreuung. Es ist »Beschenkung mit Menschlichkeit« (Johannes Paul II). In einer Gesellschaft, die Familien strukturell behindert, wird das Humankapital zur Mangelware. Hier ist auch die schiefe Ebene zu erkennen, auf dem der deutsche Bildungs- Turm steht. Es geht längst nicht mehr nur um Werte. Wenn Wirtschaft und Politik sich weiterhin weigern, den Zusammenhang zwischen Familie und Humankapital zu sehen, dann laufen auch alle Reformen der Sozial- und Bildungssysteme ins Leere. Dann wird das Abenteuer Familie zum existentiellen Wagnis für alle. Für die Politik bedeutet das: Eltern brauchen die Wahlfreiheit. Die wiederum ist abhängig von einer finanziellen Anerkennung der Erziehungsarbeit. Zeit ist Geld, sagt der Volksmund. Man könnte es auch so formulieren: Geld ist Zeit. Und das ist es, was die Familien brauchen und was Eltern und Kinder wünschen. Nach allen Umfragen in Deutschland, Österreich, aber auch in Frankreich und in skandinavischen Ländern äußern junge Eltern eine starke Präferenz, ihre Kleinstkinder selbst zu betreuen. Eine Befragung deutscher Mütter durch das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ergab, daß nur fünf bis sieben Prozent der westdeutschen Mütter, die in Partnerschaft leben, mit Kindern unter sieben Jahren auf ihre volle Erwerbstätigkeit setzen. In Ostdeutschland wollen nur noch 17 bis 24 Prozent der dort lebenden Mütter für sich und ihren Mann einen Vollzeitjob.“ (Ebd., S. 296-297).

„Motivation zur Arbeit und Identifikation mit dem Unternehmen sind emotionale Faktoren. Mütter im emotionalen Streß aber begreifen sowohl den Job außer Haus als auch die Arbeit zuhause eher als Gegensatz denn als Ergänzung oder Teile eines Ganzen. Dieser emotionale Faktor wird in Deutschland gerade erst entdeckt, offenbar leider nur für die Leistungsbereitschaft in der Schule. Die Beispiele anderer Länder in Europa (Dänemark, Norwegen, Schweden, Finnland, Frankreich, Österreich) zeigen, daß die Vereinbarkeit machbar ist und auch nicht immer auf Kosten des Kindes geht. Sie zeigen allerdings auch, daß die Vereinbarkeit keine Garantie für eine höhere Geburtenrate ist. In Schweden stieg die Quote und sackte dann innerhalb von 10 Jahren von 2,14 auf 1,5 Kinder pro Frau, also um knapp 113, ab -trotz der flächendeckenden Ganztageseinrichtungen. (Danach ist sie aber wieder gestiegen! Anm. HB). Und sie zeigen, daß die Geburtenrate auch nicht das Ergebnis einer hohen Erwerbsquote von Frauen ist. In Frankreich liegt die Erwerbsquote von Frauen unter der in Deutschland, aber die Geburtenzahlen weit über den deutschen Zahlen. Schaut man sich das skandinavische Panorama genauer an, ergibt sich außerdem ein sehr differenziertes Bild der Betreuungssituation. Erstes Faktum: Der Eigenbeitrag der Eltern zur Betreuung ihrer Kinder spielt eine viel größere Rolle, als unsere Luftraum erobernden Familienpolitiker offenbar wissen oder zur Kenntnis nehmen wollen. Zunächst ist festzustellen, daß Familienpolitik und vor allem die staatlichen Leistungen zur finanziellen Absicherung von häuslicher und außerhäuslicher Betreuungszeit in Skandinavien einen sehr viel höheren Stellenwert - gemessen an den zur Verfügung gestellten staatlichen Finanzmitteln - haben als in Deutschland. Mit anderen Worten: Es wird gerade für die sensible Zeit der Betreuung von Kleinkindern bis zur Erreichung des Kindergartenalters sehr viel mehr staatliches Geld ausgegeben. So gibt es eine Lohnersatzleistung, Elterngeld genannt, in praktisch allen nordischen Staaten. Es liegt bei circa 80 Prozent des letzten Einkommens (bei einer Höchstgrenze von 2650 Euro, z.B. in Schweden). Dieses Elterngeld wird in Schweden und Norwegen ein Jahr, in Finnland neun Monate und in Dänemark mindestens sechs Monate mit verschiedenen Verlängerungsoptionen gezahlt. Diese hohe Lohnersatzleistung ist auch die Haupterklärung für die höhere Beteiligung von Vätern am Elternurlaub in Skandinavien. Ein zusätzlicher Anreiz für Väter ist ferner, daß der sogenannte Vätermonat, wenn er vom Vater nicht in Anspruch genommen wird, in Schweden und in Norwegen seit einigen Jahren ersatzlos entfällt. Es gab einmal eine Zeit, da hatte auch die SPD die Lohnersatzleistung in ihrem Programm. Aber das war zu einer Zeit, als das Aschenputtel Familie noch Prinzessin war.“ (Ebd., S. 297-298).

„Der Schlüsselbegriff ist die Zeit. An ihrer Teilung kommt man nicht vorbei. Ihre Teilung ist auch nicht nur formal und numerisch zu sehen. Persönlich mehr Zeit für die Kinder zu haben und sie mit ihnen zu verbringen, bringt auch mehr Zufriedenheit, mithin mehr Motivation und Freude an der Arbeit außer Haus. Abgesehen davon, daß die Zeit mit Kindern mehr Erfüllung als Erfolg mit sich bringt, handelt es sich um eine Lebensphase von einigen Jahren, die je nach der Zahl der Kinder variieren kann. Diese Zeitdauer ist in das Belieben der Frau oder des Paares gestellt. Auch hier spielen Emotionen eine große, vermutlich sogar die entscheidende Rolle. Es existiert natürlich ein Zusammenhang zwischen den persönlichen Faktoren und den Folgen für die Gesellschaft. Das generative Verhalten ist eine private Entscheidung, aber sie ist »eingebettet« in gesellschaftliche Strukturen. Die Gesamtgleichungen sehen so aus: Mehr Streß und weniger Zeit bedeuten auch weniger Kinder. Ferner gilt: Kinder kosten Geld. Mehr Streß und weniger Geld bedeuten auch weniger Kinder. Beide Gleichungen sind heute in Deutschland Wirklichkeit. Wer sie addiert und weiterdenkt, kommt nach den Gesetzen der Logik auf dieses Ergebnis: Ohne Kinder keine Zukunft. Genau dieses Programm wird zur Zeit in Deutschland und manch anderen Ländern Europas fast mit mathematischer Stringenz umgesetzt. Es ist eine zukunftsausblendende Logik. Aber die Spieldauer für solch gesellschaftlichen Luxus ist begrenzt. Das Publikum wird älter und bleibt aus. In der deutschen Diskussion ist bei familienpolitischen Vergleichen immer von Dänemark und Schweden die Rede. Auch Norwegen wird mit seiner hohen Frauenerwerbsquote und der relativ hohen Geburtenrate gerne zitiert. Die hochinteressante Betreuungsgeldregelung Norwegens, von der wir in Deutschland vorläufig nur »träumen« können, scheint in den Medien und in der Politik noch weitgehend unbekannt zu sein oder wird schlicht ignoriert, sie paßt nicht in das aktuelle Konzept (siehe jedoch den Beitrag von Dåvøy in diesem Band). Auch Frankreich wird gern als Beispiel herangezogen. Dort ist das Ganztagsangebot dank der »Ecoles Maternelles« seit Jahrzehnten flächendeckend, wenigstens für die Altersgruppe ab zwei, drei Jahren. Und auch Horte und Krippen gibt es in weit größerer Zahl als in Deutschland. Aber die höhere Geburtenrate, mit Irland die höchste in der EU, hat mit der Subjektförderung zu tun. In Deutschland frönt man dem vereinheitlichenden Prinzip der Objektförderung. Man investiert in Gebäude, Institute - der Staat soll's richten. In Frankreich tut man beides. Man fördert die Einrichtungen und gibt den Eltern Geld in die Hand - Stichwort: Leistungsgerechtigkeit -, man fördert auch Subjekte. Das geschieht auf vielerlei Weise, direkt und indirekt. Die familienpolitischen Maßnahmen enthalten das klassische Repertoire, also Kindergeld, Wohngeld, Mutterschaftsurlaub, Baby-Rentenjahre, bis hin zu spezifisch französischen Maßnahmen wie Familiensplitting, Familienzulagen, Geburtsbeihilfen, Geburts- und Adoptionsurlaub, Schulbeginnhilfe, Alleinerziehendenhilfe, Haushaltsgründungsdarlehen, Umzugsprämie oder Renovierungsprämie. Insgesamt sind es rund drei Dutzend einzelne Posten, plus Sondermaßnahmen. Die direkten Maßnahmen machen etwa 40 Milliarden Euro pro Jahr aus, die indirekten wie Familiensplitting kommen hinzu. Frankreich verfolgt eine klar natalistische Politik, deren Wurzeln bis in das vergangene Jahrhundert hinein zurückzuverfolgen sind. Lange Zeit wurden Familien besonders für das dritte Kind finanziell »belohnt«, für das erste bekamen und bekommen die Eltern nichts, eine Unikum in Europa. Aber insgesamt wurden Familien gerechter behandelt als in anderen Ländern Europas, vor allem in Deutschland. So war während der 1980er Jahre der Gesamtaufwand für direkte finanzielle Leistungen des Staates an die Familien durchweg doppelt so hoch wie in Deutschland oder in Großbritannien. Auch heute geht es den Familien in Frankreich immer noch erheblich besser. Kinderreiche Familien zahlen in Frankreich kaum oder wenig Steuern, hierzulande immer noch zuviel, weil die offiziell bei uns anerkannten Steuerfreibeträge für Kinder viel zu niedrig sind. Hinzu kommt das Engagement oder Familienbewußtsein: Die Linksregierung Jospin wollte 1998 das Kindergeld einkommensabhängig gestalten und damit den Familien den finanziel1en Hahn abdrehen. Es gab Massenproteste, auf der Straße und in den Medien. Es war der Auftakt zu einer bürgerlichen Protestbewegung, seither findet jedes Jahr eine nationale Familienkonferenz der Regierung mit den Verbänden statt. Der familienpolitische Diskurs ist geprägt von staatlichem und privatem Interesse. De Gaulle schrieb in seinen Memoiren: »Von allen Investitionen ist die Erhöhung der Bevölkerungszahl in Frankreich zweifellos die wichtigste.« Er schrieb diesen Satz und handelte danach, als Frankreich in Trümmern lag und sich nach hiesigem Denken familienpolitische Maßnahmen eigentlich nicht leisten konnte. Aber das ist eine Frage der politischen Prioritätensetzung. Der Diskurs ist übrigens älter als de Gaulle und hat Tradition. Schon vor mehr als hundert Jahren, am 28. Oktober 1898 forderte der Abgeordnete Lemire in der Nationalversammlung die Einführung eines Familiengeldes mit dem Argument der Leistungsgerechtigkeit. Er sagte: »Das, was ich von der Kammer fordere, nenne ich weder Hilfe noch Entschädigung. Denn eine Hilfe wird bei einem drängenden oder vortibergehenden Bedarf gewährt, und eine Entschädigung erhält man für einen Verlust. Eine Familie zu haben, bedeutet jedoch, weder einen Unfall noch einen Schaden erlitten zu haben. Eine Zuwendung wie das Familiengeld ist eine Gegenleistung für einen Dienst. Die Familie leistet einen sozialen Dienst.« Solche Gedanken sind in Deutschland derzeit unpopulär. Sie scheitern schon an der Frage: Wer soll das bezahlen?“  (Ebd., S. 298-299).

„Der bekannte Professor für Volkswirtschaft Jean Didier Lecaillon meinte auf dem 2. Europäischen Kongreß zur Aufwertung der Erziehungsarbeit in Straßburg (2000, »Familie als Beruf«): »Ökonomie wird aIlzu oft mit Rechnungswesen verwechselt. Man betrachtet nur die Höhe einer Ausgabe, ohne zu unterscheiden, ob es sich bei ihr um Konsum oder um Investition handelt. Die wichtigste Frage ist nicht: Wie viel kostet es?  Sondern: Wieviel bringt es ein?  Wenn es um die Familie geht, muß man sich darauf einigen können, daß man es im allgemeinen mit Investitionen zu tun hat.« Es handelt sich in der Tat um eine Investition und zwar in die wichtigste und immer knapper werdende Ressource in Deutschland, das Humankapital. Es ist eine Frage des Denkens und der Begriffe. Auch die Frauen investieren selbst und zwar Zeit. Selbst die Frauen, die neben der Familienarbeit oder dem Familienmanagement einer außerhäuslichen Erwerbsarbeit nachgehen, tun dies meist teilzeitig. Und selbst bei den Frauen, die voIlzeitig außer Haus beschäftigt sind, gibt es in Frankreich einen markanten Unterschied zu Deutschland. Der Lebensrhythmus in Frankreich geht von acht bis zwölf und von zwei bis fünf. Zwischen zwölf und vierzehn Uhr gibt es eine Mittagspause. In dieser Pause holen die meisten Mütter ihre Kinder aus den Krippen, Horten und Vorschulen ab. Sie essen zusammen. Sie verbringen Zeit zusammen. Sie kommunizieren bei einer grundlegenden, ja vitalen Tätigkeit. Natürlich geschieht das manchmal unter erheblichem Streß, aber es geschieht. Der gedankliche und emotionale Austausch findet statt, die Beziehung lebt und damit auch die Erziehung. Erlebnisse in den Betreuungsanstalten werden verarbeitet. Die Eltern schenken das, was die Kinder sich am meisten wünschen: Zeit. Der Wunsch nach Familie und nach Kindern ist ungebrochen, auch in Deutschland. Staat und Wirtschaft können ihn erfüIlen helfen. Der Staat, indem er mit Ganztagsangeboten und der Subjektförderung die Wahlfreiheit ermöglicht, die Wirtschaft, indem sie mit mehr Flexibilität die Zeitorganisation der Familien erleichtert. Jede Familie sollte sich ihr eigenes Lebensprogramm erfüIlen können.“ (Ebd., S. 299-300).

„Der große Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827) hat einmal seine Forschungsergebnisse und Erfahrungen in einer Art summa paedagogica zusammengefasst und nannte sie die drei großen »Z«: Zuwendung, Zärtlichkeit, Zeit. Die Zeit ist das wichtigste, ohne sie gibt es keine Zuwendung und keine Zärtlichkeit. Hier liegt der große Unterschied zwischen Erziehung und Betreuung. Betreuung ist satt, sauber, beschäftigt. Erziehung sind die drei Z, das heißt Investition in das Humankapital. Das kann außerhalb der Familie in der Regel nur begrenzt geschehen. Die Ergebnisse der Hirnforschung, die vor allem in den USA auch mit Blick auf die Erziehung und Bedürfnisse des Kindes vorangetrieben wird, machen immer deutlicher, daß emotionale Stabilität, mithin klare Bezugsrahmen und gleichbleibende Bezugspersonen, für die gesunde Entwicklung des Kindes grundlegend und vital sind. Sie schaffen das Urvertrauen oder die Vitalbindung, die die Ausbildung der Daseinskompetenzen ermöglichen. Man soIlte das nicht unterschätzen. In einer Studie im Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands ist schon vor Jahren festgesteIlt worden, daß rund 40 Prozent aIler Krankheiten psychosomatisch sind, also eine mitverursachende psychische Komponente haben und daß von dieser psychischen Komponente rund fünfzig Prozent in Zusammenhang mit familiären Zerwürfnissen steht. Mit anderen Worten: Ein Fünftel aller Krankheitsfalle wäre vermeidbar, wenn das Familienleben der Betreffenden intakt wäre oder gewesen wäre. Natürlich machen Eltern Fehler - übrigens auch Ärzte, Handwerker, Politiker und überhaupt alle beruflich Tätigen - und geschehen in Familien auch Vergehen bis hin zum Verbrechen. Aber das sind Ausnahmen. Sie rechtfertigen keineswegs ein gesellschaftliches Dogma der Ganztagsbetreuung. Die Investition in die Beständigkeit familiärer Beziehungen ist gesellschaftlich immer noch rentabler als die Auflösung oder Instrumentalisierung der Institution Familie. Um es menschlicher zu formulieren: Wer Zeit, Zuwendung und Zärtlichkeit schenkt, der schenkt Liebe und das ist die beste Medizin für die Seele. Das muß nicht, wie gesagt, immer zuhause sein. Aber dort kommt das Kind dem Paradies wohl immer noch am nächsten.“ (Ebd., S. 300-301).

 

 

Zitate: Hubert Brune, 2003 (zuletzt aktualisiert: 2009).

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- Literaturverzeichnis -