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Nationalanarchismus

 letzte Aktualisierung: 25. Dez. 2006

AUTO:  Nr. 9
 

Peter Töpfer: Reich & Anarchie
Querfront-Zeitschriftenschau: Etappe. Zeitschrift für Politik, Kultur und Wissenschaft, Heft 16, Dezember 2001 / Januar 2002, und
Kommune. Forum für Politik, Ökonomie und Kultur, Nr. 3/1995

Für Konvergenzinteressierte gibt es in der sechzehnten Etappe1  einiges Lesenswertes, das dabei helfen kann, daß Globalisierungskritiker von links und rechts eine gemeinsame Sprache finden. Bereits 1995 erschien in der Zeitschrift Kommune – Theorieorgan der Grünen – ein Aufsatz „Vaterland Europa? Über eine neue europäische Reichsidee“ von Peter Koslowski2  über das Reich und die hinter diesem Begriff stehende Idee als europäisches Ordnungsmodell: Das „Vaterland Europa“ müsse „an die europäische Reichsidee anschließen“.3  Koslowski: „Das historische Vorbild, das Hinweise geben kann, aber wie alle historischen Vorbilder nicht nachgeahmt oder übernommen werden kann, ist für die Europäische Union das Heilige Römische Reich als übernationaler, aber nicht im modernen Sinne souveräner und zentralistischer Staat. (...) Das Vorbild des Heiligen Römischen Reiches bewahrt uns davor, die Europäische Union nach dem Vorbild des souveränen Nationalstaats als zentralistischen Staat zu organisieren.“4 

Wer soll Europa organisieren?: „Der Auftrag entsteht nicht aus eigener Verleihung oder aus der Ableitung aus einem selbsterdachten Mythos, also wieder aus sich selbst, sondern er stammt von jemand anderem, dem der Beauftragte Rechenschaft schuldig ist und bleibt. Die Idee der translatio imperii als eines begrenzten Auftrags ist nicht wie der Mythos eine Geschichte des Siegers, sondern sie ist die Geschichte einer Kontinuität, die über den Siegern und den Besiegten der Geschichte steht und beide einschließt.“5  Von Bedenken oder gar Deutschfeindlichkeit keine Spur: „Man hat die Deutschen ein Volk ohne Mythos, ohne Anfangsmythos, genannt. Ich möchte dies nicht als Mangel, sondern als Auszeichnung interpretieren. Die Völker und Politiker müssen sich als Beauftragte, nicht als von mythischen Fiktionen Ermächtigte ansehen, weil der Mythos immer partikular ist, ohne sich dessen bewußt zu sein, während die Macht, die auf einem Auftrag gründet, sich ihres Lehenscharakters und ihres Bloß-verliehen-Seins bewußt und auf das Gemeinwohl bezogen bleibt.“6  Für Koslowski scheinen die Deutschen von daher als Auftragsempfänger geeignet zu sein. Koslowski spricht vom „Unrecht“, das die „westeuropäischen Nationalstaaten am Reich“ begangen hätten.7 

Bei der Benutzung einer solchen Begrifflichkeit können Grüne freilich Probleme kriegen: „Bei einem Kongreß über Europa hatte ich Joseph Rovan gebeten, über die Frage ‘Europa der Vaterländer oder Nation Europa?’ zu sprechen. Er hielt einen glänzenden Vortrag, in dem er unter anderem darauf hinwies, daß es während des Nationalsozialismus eine Zeitschrift gegeben habe, in der die Nationalsozialisten den europäischen Nachbarvölkern vermitteln wollten, daß Großdeutschland dabei sei, die ‘Nation Europa’ herzustellen. Als Einladender war ich, wie man sich vorstellen kann, etwas geniert, den Titel so formuliert zu haben. Interessanterweise verwarf Rovan jedoch den Begriff ‘Nation Europa’ nicht vollständig, sondern hielt eine Fortentwicklung Europas zu einer Nation für möglich.“8 

Berührungsängste scheinen nie dagewesen zu sein, wenn Wilfried Meijer begeistert in der Kommune über seine Begegnung mit Herman Wirth spricht. Der „Nestor der deutschen Ursymbolforschung“ (und Gründer des SS-Ahnenerbes) könne „mit Stolz auf sein wissenschaftliches Lebenswerk zurückblicken; man denke nur an die bereits 1928 gelungene Entzifferung der nordatlantischen ‘Urschrift der Menschheit’“.9 

Wilhelm Pauli rechnet bereits 1989 in der Kommune gründlich und fulminant mit der bürgerlichen Multikulti-Heuchelidiotie ab: „Das Zauberwörtchen ‘multikulturell’ soll ja Antwort auf unangenehm im Schoß der Gesellschaft heranschwitzende Fragen geben. Fürchte, daß da in Verbrechensqualität vorbeigeantwortet wird. Wenn auf Kritik an der fahrlässigen Forderung des grünen Parteitags zu Münster nach ‘offenen Grenzen’ für alle von der Warte des besseren und hochmoralischen Menschen aus geantwortet wird, daß wir doch alle Menschen sind, so wird dies der schlechtere vielleicht gar zugeben, dennoch aber einwenden, daß er gerade deswegen nicht einsieht, daß all diese Menschen ausgerechnet hier, in der sackvollen und ökologisch ruinierten BRD sich treffen müssen, um seine Vorgärtlein zu zertrampeln. Und wird ihm geantwortet, daß das Leben durch das Multikulturelle erst richtig schön wird, so wird dieser schlechteste aller Menschen antworten: ‘Für dich, du dicklicher Wirbler und Zwirbler, du hast jetzt ein Amt; und für euch, ihr Lehrer und Erzieher und Sozialarbeiter und -ingenieure! Euch bringt jeder Schock multikultureller Zuzüge neue ABM-Stellen, Halbtagsjobs für die halbausgelastete Gnädigste, Selbstverwirklichungs- und Einbringungs- und Gewissenserleichterungsmöglichkeiten. Uns bringt er aber – und nicht nur subjektiv – Verschärfung von Druck und Konkurrenz, die durch das Europa der Profitinteressen schon genug wachsen werden.’ (...) Multikulturell? Kulturlosigkeit wohin man schaut.“10 

Im Etappe-Aufsatz „Reichsidee und Rätegedanke. Ricarda Huchs ,Erneuerung durch Rückbesinnung’“ von Wolfgang Matthias Schwiedrzik wird eine Annäherung von mittelalterlich-imperialen und anarchistischen Ordnungs- und Lebensweisevorstellungen anhand des Werkes von Ricarda Huch hergestellt.

Schwiedrzik kommt immer wieder auf einen gewissen Walter Wolf zurück, einem kommunistischen Besatzer(knecht), der als oberster Thüringer Volksbildungsfunktionär gegen Ricarda Huch, insbesondere gegen deren Teilnahme an der Festschrift zur Wiedereröffnung der Friedrich-Schiller-Universität Jena im Herbst 1945, vorging. Huch sei, so Wolf, eine „mittelalterliche Mystikerin“, wolle nur „Mist“ verbreiten und sei bei der Errichtung einer „Volksuniversität“ gänzlich ungeeignet. Es ist gerade dieser gehärtete ideologische Brei, durch die Macht der Wolfs tief in die Köpfe großer Teile der Linken hineingepreßt, der bis heute eine Kommunikation und das Finden einer gemeinsamen Sprache verhindert. Ricarda Huch und andere freiheitliche Hitler-Gegner, die am Eigenen festhielten und sich nicht den Fremden unterwerfen wollten, sollten keine Rolle mehr spielen. Faszinierende Ideen für ein neues Deutschland sollten unter den Deutschen nicht kursieren.

Ricarda Huch ging es nach der Katastrophe um eine „wirkliche Erneuerung“11  aus der Tiefe heraus. Sie glaubte, einen „Grundwillen des deutschen Volkes“ zu erkennen; dieser sei die eng mit der mittelalterlichen „Reichsidee“ verbundene „Freiheitsidee“, die allerdings von obrigkeitsstaatlichen Traditionen überlagert sei. Schwiedrzik zitiert Huch: „Man hat die Freiheitsliebe als für den Charakter des Germanen wesentlich bezeichnet, und ich glaube, daß das auch in bezug auf die Deutschen richtig ist, wie widersinnig es klingen mag, wenn man den von der Regierung geschobenen, im Winkel zufrieden privatisierenden, gehorsamen Untertanen betrachtet, wie der Druck des Absolutismus ihn herangezüchtet hat. Noch jetzt ist der Deutsche geneigt, sich jedem starken Willen zu unterwerfen, der ihm die Verantwortlichkeit abnimmt, jedem, der sich zu seinem Vormund aufwirft, als Landesvater zu huldigen. Aber anfangs war er nicht so, und zu seinen Anfängen muß man doch wohl zurückkehren, wenn man das Grundwesen eines Volkes kennenlernen will. (...) Die deutsche Freiheit, die im Mittelalter einen staatlichen Körper ausbildete, bestand darin, daß aus dem Volke eine Fülle sich selbst verwaltender Glieder hervorging, die sich nach innewohnendem Gesetz und jeweiligen Bedürfnissen entfalteten und nebeneinander verbreiteten, nicht ohne sich gegenseitig zu stören und zu bekämpfen, aber doch ein bedeutendes, wirkungsfähiges Ganzes bildend.“12  Die entsprechenden heutigen linken Begriffe dazu lauten Autonomie und Selbstregulierung. Schwiedrzik: „Freiheit in diesem Sinne sei der Gegensatz von Zentralisation“, sei „Selbstverwaltung“ und „genossenschaftliche Einung“. Die Huch’schen Vorstellungen ähnelten, so Schwiedrzik, denen der meisten anderen Widerstandskämpfer, die das Mittelalter neu bewerteten und sich auch an den Selbstverwaltungsplänen des Freiherrn von Stein ausrichteten.

Die Nähe zu anarchistischen Vorstellungen liegt auf der Hand, und Ricarda Huch – die „aufsässige Konservative“, die aber nur wenig mit der „konservativen Revolution“ zu tun hatte – war sich dessen sehr bewußt. „Alles Spontane war mir sympathisch, alles Offizielle zuwider.“13  Über Bakunin schreibt sie: „Soll ich einmal zusammenfassen, was Michael wollte, so war es Dezentralisation zugunsten von selbständigen Gemeinschaften und verantwortlicher Persönlichkeit innerhalb der Gemeinschaft im Gegensatz zu der in unverantwortliche Individuen zersplitterten Masse. Dieses Ziel konnte natürlich nicht erreicht werden, indem man darauf hinarbeitete, die Macht des Staates zu verstärken, was Marx und schließlich auch Lasalle taten.“14  

„Daß Bakunin das Mittelalter ,mit den härtesten Worten’ angriff, störte Ricarda Huch nicht“, schreibt Schwiedrzik. Schade, daß er nicht auf Kropotkin kommt und uns nichts darüber sagt, ob Huch mit Kropotkin ebenso vertraut war. Wahrscheinlich war sie es seltsamerweise – denn für Kropotkin gab es gerade im Mittelalter sehr viele Ansätze anarchischer Ordnung – nicht.

Der Kropotkin-Fachmann Heinz Hug: „Betrachtet man die historische Entwicklung im Überblick, so können in der abendländischen Geschichte die frühgeschichtliche Horde, die später entstandene Dorfgemeinschaft, die mittelalterlichen Städte sowie die neben- und außerstaatlichen Vereinigungen der Neuzeit als Lebensformen betrachtet werden, in denen sich freiheitliche Strömungen am stärksten durchsetzten. Eine weitgehende Realisierung autoritärer Tendenzen dagegen findet sich in der patriarchalischen Familie, welche die Horde und den Stamm ablöste, im römischen Staatswesen und dessen Gesetzgebung, vor allem aber im (National-)Staat der Neuzeit. Es muß betont werden, daß Kropotkin keine historische Periode erwähnt, in der die volkstümlichen Strömungen völlig verschwunden wären. Gerade diese gewährleisten das gemeinschaftliche (Alltags-)Leben.“15 

„Kropotkin sagte weiter, Rußland benötige autonome Gemeinderäte, freie Kommunalsowjets, die sich in ihren Kreisen und Gauen zum gegenseitigen Nutzen frei zusammenschließen. Freie Vereinigungen selbständiger lokaler Einheiten (Gemeinden) seien viel besser imstande, die gemeinsam interessierenden Probleme zu lösen, als ein staatlich zentralisierter Verwaltungsapparat.“16 

Der soziale Organismus müsse sich, so Huch, „vom Unbewußten ausgehend regeln“. Der moderne Staat sei aber kein „gewachsener Organismus“, sondern eine „zusammengesetzte Maschine“. Auf das Mittelalter als mögliches Vorbild für die Gegenwart ist Ricarda Huch durch das Buch „Romantischer Sozialismus“ von Siegmund Rubinstein17  gekommen, in dem die Räte der Novemberrevolution mit der mittelalterlichen Zunftverfassung in Beziehung gesetzt werden. Huch: „Ich sah [in den Räten] das Heilige Römische Reich, das ich für mich immer das Reich der persönlichen Beziehungen nannte, wieder aufsteigen.“

„Dieses antagonistische Geschichtsbild [zwischen autoritären und freiheitlichen Kräften] beruht nicht in erster Linie auf ökonomisch bedingten Klassengegensätzen oder gar unterschiedlichen Machtpotentialen verschiedener Eliten; die von Kropotkin angenommene Triebkraft der Geschichte ist weder der Klassenkampf noch ein Machtgerangel der Eliten. Kropotkin beschreibt den Geschichtsverlauf als eine Entwicklung entlang einer Konfliktlinie zwischen Freiheit und Herrschaft, die neben sozioökonomischen Elementen auch kulturelle und vor allem mentale und psychische enthält.“ (Heinz Hug18)

Wenn Ricarda Huch vom Reich spricht, so ist dies immer das Erste bzw. das mittelalterliche. Das Bismarck’sche Zweite lehnt sie genau so ab wie das Dritte Reich; beide waren absolutistische Machtstaaten und standen in krassem Gegensatz zum Ersten Reich. Huch unterschied zwei Lebens- und Organisationsformen (zwei Arten der Reichsbildung): die rationalistische oder individualistische und die romantische oder genossenschaftliche.19  „Jene betrachtet den Menschen als ein Einzelwesen, der von außen durch Herrschaft zur Einheit zusammengefaßt werden muß, diese als ein Kollektivwesen, das sich freiwillig zu Organen gliedert, die sich wiederum freiwillig zu einem beweglichen Ganzen zusammenschließen; jene führt zu Zentralisation und Beamtenherrschaft, diese zu Selbstverwaltung und Führung durch Vertrauensmänner innerhalb der Genossenschaften.“ Die germanische Gemeinschaft habe sich auf genossenschaftliche Gliederung und persönliche Beziehungen gegründet. Im mittelalterlichen Reich seien der Einzelwille und der Wille zum Ganzen nicht grundsätzlich voneinander getrennt gewesen. Modernisierung sei „Entpersönlichung“; dieser widmete sie ein ganzes Buch.20  

Das Persönliche und das Sinnliche sind für Huch von größter Bedeutung. Sie empfindet Schmerz über das Verlorene, die „kleinen ländlichen Häuser, deren Türen nachts zutraulich offenstanden“; „das nachbarlich-gemütliche, gartenumblühte Zürich ist versunken“; ihr „Herz erzittert“, wenn sie sich „wehmütig“ an die „Stätten mit altfränkischen seltsamen Giebeln und Toren“ erinnert, „deren Bewohner uns süß vertraut und zärtlich ansehen“. Doch das sei alles auf immer verloren. An dieser Stelle überkommt einen Enttäuschung und Wut: Wo ist denn hier ihr rebellischer Geist geblieben, daß sie die Modernisierung als Schicksal hinnimmt?

Das Reich und auch Deutschland aber müssen für Huch Utopien bleiben. Deutschland habe als „Gesamtheit keine allen faßliche, alle beherrschende Tradition“. Heute wissen wir, daß Deutschland keine Nation sein und es kein „deutsches Volk“ geben kann, sondern daß germanische und europäische Nationen, die jeweils ihre eigenen „faßlichen“ Traditionen haben, höchstens ein Räte-Reich bilden können.

Schwiedrzik weist darauf hin, daß führende Aufklärer und Gegner des Absolutismus – Rousseau, Voltaire und Abbé Gabriel Bonnot de Mably – die Verfassung des alten deutschen Reiches als unentbehrliches Kernstück einer europäischen Friedensordnung bezeichneten, und gibt zu denken, ob „es vielleicht angebracht [sei], die Frage aufzuwerfen, ob es nicht jenseits des auf preußisch-deutsche Machtpolitik verengten und 1933 zu großdeutschem Imperialismus pervertierten Begriffs des ,Deutschen Reiches’ eine historische Dimension der Reichsidee gibt, aus der ein konstruktiver Beitrag zu einer zukünftigen Friedensordnung in Europa geschöpft werden kann“, womit die Anknüpfung an den eingangs erwähnten Kommune-Artikel hergestellt ist.

Die Spannung der Rezension des Buches „Historische Existenz“ von Ernst Nolte21 von Peter D. Krause in der Etappe Nr. 16 liegt darin, daß Krause die Noltesche „Nachgeschichte“ als den „Weltstaat“ und die „Weltzivilisation“ interpretieren zu müssen scheint, gleichzeitig aber offen läßt, ob für Nolte nicht doch ein anderer Ausgang, ein anderes Ende der Geschichte, eine andere Art „Nachgeschichte“ in Betracht kommt, nämlich die Rückkehr zur „Vorgeschichte“, deren eine Etappe etwa ein Räte-Reich im Huch’schen Sinne sein könnte. Die „Möglichkeit eines geschichtslos-paradiesischen Endzustandes“, die „seit alters ein spekulatives Faszinosum“ sei, läßt sich nämlich auch topisch denken, und nicht nur utopisch-globalistisch. Ein solches Ergebnis von Geschichte wäre gleichwohl vom Willen der Menschen unabhängig und nichts Konstruiertes, keine „zivilisatorische Leistung“ mehr, sondern „bloßer Verfall“, unfreiwilliger Rückzug, Überleben in Nischen, aber auch bewußtes Abkoppeln und Aussteigen. Denn wenn die Geschichte nichts als Verfall ist, kann die „Nachgeschichte“ als „Endpunkt“ dieses Verfalls aber auch keine „historischen Existenzialien“ wie Staat, Urbanisierung, Kultivierung, Krieg, Herrschaft, Intellektualität u.s.w. mehr aufweisen. Und ein Weltstaat ist ohne diese nicht vorstellbar, womit Weltstaat eben doch auch Staat wäre, somit aber Geschichte.

Neben den Freiwilligen und denen, die Lust am Ausstieg haben, weil sie zu selbstisch und unangepaßt für kapitalistische Verwertungen sind, wird es immer mehr Modernisierungsverlierer geben, unter denen die Zentralisierung weniger rekrutieren kann. Kropotkin: „Und noch notwendiger wird er [der Schritt zu einer Vereinigung landwirtschaftlicher und industrieller Arbeit] werden, wenn die großen sozialen Bewegungen, die unvermeidlich geworden sind, den internationalen Handel gestört und jedes Volk auf seine eigenen Quellen zur Lebenserhaltung verwiesen haben werden.“22  

„Wird die Posthistorie die Wirklichkeit des uralten utopischen Traumes sein – oder am Ende dessen Gegenteil?“, fragt Krause. Genau so gut kann sie aber auch eine Topisierung, Reloziierung, Dezentralisierung, anthropologische Rückorientierung, eine „wirkliche Erneuerung“ und eine Rückkehr zum „Grundwillen des Volkes“ (Ricarda Huch) sein bzw. eine „Balkanisierung und Rückverdummung“, wie es die Pogo-Anarchisten sagen23 , die in ihrem 100-Tage-Programm ein „Deutschland in den Grenzen des Heiligen Römischen Reiches von 1237“ fordern.24  

Freilich – und hier ist Ricarda Huchs Pessimismus zuzustimmen – wird letztlich in Deckung gegangen und das Ende der interkontinentalen Kriege abgewartet werden müssen. Joscha Schmierer verschließt ja davor nur seine Augen, wenn er – wie Helmut Kohl – den „Sinn der europäischen Einigung“ lediglich in der „Schaffung einer europäischen Friedensordnung“25a  sieht. Wie sehr dies auch angesichts der unbeschreiblichen Katastrophen nachvollziehbar ist und unbedingt die Sinnfrage als die zentrale Frage gestellt werden muß – was aber nützt ein befriedetes Europa, wenn sich die Europäer nicht mehr untereinander abmetzeln, statt dessen aber mit Nordamerikanern u.s.w. aufs Schlachtfeld müssen?

Utopische Träume und ihr praktisches Gegenteil sind identisch. Aber die Linke – die „Gegengeschichte“, der Protest gegen die Geschichte – kann auch topisch denken; das ist die Linke der Urbanisierungsflüchtlinge. Es gibt auch einen Protest oder vielmehr ein Verhalten jenseits der Protestes, eine Übernahme von Freiheit und Verantwortung, der oder das nicht die Formen annimmt, die man als unmenschlich empfindet: Es ist die Abkehr von Politik und all dem, was „Geschichte“ ausmacht.

Nachgeschichte oder Ausstieg aus der Geschichte heißt nicht – wie es Rechte glauben mögen – Aufgabe der eigenen Interessen, sondern im Gegenteil radikalisierte Wahrnehmung derselben.

Krause weist auf Noltes Ambivalenz hin. Geschichte heiße zwar „Schriftlichkeit, Kultivierung, Ethisierung u.s.w.“, „maßgeblich“ seien für Nolte aber „eigentlich Herrschaft, Krieg, Staatenbildung“. Beides sind zwei Seiten einer Medaille, und Nolte scheint wenig Sympathien für den Krieg zu haben. Nolte – als Linker von den utopistischen Machtlinken desillusioniert, doch deshalb längst kein Rechter – vereint in sich Linkes und Rechtes.

Viel zu emphatisch schreibt Nolte von der Vorgeschichte (und auch vom antigeschichtlichem Protest). „Die Geschichte (…) handelt von deren harmonischen Anfängen, von der traurigen, hoffnungslosen Gegenwart und von der noch schlimmeren Zukunft…“25b Man fragt sich, wieso sich Nolte überhaupt noch die Mühe macht, die 500 Seiten zwischen der „Einführung“ bzw. der „Vorgeschichte“ und der „Schlußbetrachtung“ zu füllen, in denen ja doch nur vom Ekelhaften der Geschichte berichtet werden kann – freilich auch vom Protest gegen diese.

Noch „im 19. Jahrhundert [gab es] an ziemlich vielen Stellen der Erde und gibt es heute noch in ganz versteckten Winkeln Analogien unter ,Naturvölkern’, die durchweg durch einen fundamentalen Konservativismus und durch die Ablehnung von ,Neuerungen’, zugleich aber durch ein in zivilisierten oder entwickelten Zuständen längst verschwundenes Höchstmaß an ,Sozialintegration’, an Gemeinschaftlichkeit, gekennzeichnet sind“, schreibt Nolte.26  Und: „Der Mythos vom ,Goldenen Zeitalter’ vor der Geschichte scheint also einen rationalen Kern zu enthalten.“27  Und ob!

Ernst Jünger geht noch weiter: „Das Goldene Zeitalter ist realer, ist wirklicher als die Pläne des historischen Menschen und seine Anstrengungen.“ Für ihn „reicht es [das Goldene Zeitalter]“, dessen „vornehmstes Kennzeichen ewiger Friede, ewiges Glück [ist]“, nicht nur „unter die Geschichtswelt“, sondern „auch unter den Mythos, dessen Thema der Kampf ist,“ (und in dem ein Nietzsche verortet werden muß) „hinab“.28  Das heißt, daß wir uns nicht an Germanen- und Heidentum, sondern an alteuropäischen bzw. prä-indogermanischen Zuständen orientieren, die herrschafts- und mythenfrei waren. Dabei ist klar, daß Jünger diese zeitlichen Bezüge nur symbolisch meint: „[Die Urgeschichte] ist nicht Vorgeschichte, kein Fach der Völkerkunde, nichts zeitlich Früheres oder Erstes, sondern ist eine Tiefenschicht des Menschen, ist seelisch ungeteilte Kraft.“29  „Urgeschichte“ ist also Symbol für eine Lebensweise im Hier & Jetzt; in der es keine Archäologie und Museologie gibt. Jünger: „Steinzeit: das ist nicht nur ein zeitlicher, sondern auch ein morphologischer Begriff. Steinzeit ist gegenwärtig, und zwar nicht nur ethnographisch, sondern auch individuell.“30  Nun fällt freilich auch noch Symbolismus und Jüngerismus weg: nix da „Geschichte“, „Steinzeit“, „goldenes Zeitalter“ u.s.w. – einfach vergessen.

Wir als zivilisationsungläubige Zivilisations-
zwangsteilnehmer verlassen zugunsten einer Kommunikation mit den Zivilisierten und Gebildeten unser Hier & Jetzt und gehen als Paläo- und „Urkonservative“ (Ernst Jünger31) in unserer Beschreibung von Anarchie sowohl zurück in die „Vorgeschichte“32 , als auch als Erzprogressive nach vorn in eine Welt, die sich immer weiter aufklärt bzw. sich wieder- und rückaufklärt.33  Wir orientieren uns – geschichtlich ausgedrückt – an beiden Extremen: Die „Vorgeschichte“ war die aufgeklärte Zeit schlechthin, weil ihre Bewohner, die Menschentiere, noch keine Lüge, kein Tabu, keine Verdrängung, kein Heiligtum, kein „Über-Ich“, also auch kein dunkles „Es“, kein Unbewußtes in ihren Seelen hatten; sie waren ganz „Ich“, sie waren im Stirner’schen Sinne Eigner. Und das andere Extrem, die „Nachgeschichte“, wird wiederum die Zeit sein, wo wir uns über uns vollständig im klaren sein werden, wo wir „nichts mehr kennen“, was uns von der Kenntnis des Eigentlichen abhält, wo keine Geheimnisse mehr in uns schlummern werden, keine geheimen Sehnsüchte, die im Widerspruch zu unserem realen Leben stünden.

Warum nur „entwirft [Nolte] auf 750 Seiten ein Schema, das weniger und doch mehr sein will als das Gerüst einer Universalgeschichte“ (Krause)? Warum untersucht Nolte „systematisch die Grundzüge menschlichen Daseins zwischen Anfang und Ende der Geschichte“ (Krause), wo diese doch nur aus Leid und zweifelhaften Genüssen besteht und den in der Vorgeschichte verbliebenen Menschen, also jeder Generation in der zivilisierten Welt aufs Neue, als reinster Sadismus entgegentritt? Weil er protestskeptisch, eben auch Rechter ist, weil er viel zu sehr an Zivilisation glaubt, an Bildung, weil er Teil von ihr ist und von und in ihr lebt. Ein Historiker (oder ein Philosoph, der Nolte schon immer mehr gewesen sei, so Krause), der aus der Historie aussteigt..., so wie der „Paraphilosoph“ Bernd A. Laska aus der Philosophie aussteigt?34 

Protestskepsis ist zwar angebracht, denn der Protest ist fast ausschließlich system- bzw. geschichtsimmanent und mündet als solcher immer in noch viel größeres Elend; das hat der Alptraum des Kommunismus gezeigt. Wenn der Protest Macht bringt, muß diese sofort in dezentrale, sich selbst verantwortende Strukturen abgegeben werden. Doch die Einsicht in das klägliche Scheitern der Linken kann doch nicht Überlaufen und Rückfall zur Rechten bedeuten.

Nolte, der, so Krause, offenbar in der Linken nur die „politische Form der Eschatologie“, „die Verwirklichung des Utopischen“ sieht, kann folglich seine linken Anteile nie verbergen, und ist nicht Noltes Handeln ein einziger Protest? (Ist er nicht immer Linker geblieben, er, der so mutig seine Thesen vertritt, die ihn in die Isolierung und in die Ächtung führen, wegen derer er auf der Straße zusammengeschlagen wird?) „Zivilisierung“ sei „schmerzhaft“, schreibt Nolte.35  Es gilt aber, den Schmerz so weit es geht auszuschließen, weil er weh tut und uns bei Überdosis verrückt macht und in Krankheiten treibt. Links sein ist der Wille zur Ausschaltung des Schmerzes.

Warum ein solch gewaltiges Buch über Tausende von Jahren menschlicher Tragödie und Dekadenz, wo es doch „so aussehen [könnte], als schrumpfe die Geschichte zu einer winzigen Zwischenphase zwischen den Jahrtausenden der Vorgeschichte und jenen unabsehbaren Zeiträumen der Nachgeschichte zusammen“? (Nolte36)

Warum nicht die Geschichte einfach verlassen, wie es die topischen Linken, die Anarchisten, tun? Wir Anarchisten knüpfen direkt an die „Vorgeschichte“ an, ohne von ihr überhaupt etwas zu wissen. Wir sind ungeschichtlich und lassen folglich auch irgendeine „Nachgeschichte“ ausfallen. „So ist zu hoffen, daß das alte Mantra: ‚Erkenne Dich selbst’ hier [im Wiederaufleben der Vorgeschichte] eine neue Werkstatt und Meisterschule finden wird.“ (Jünger37) Wobei dem „Erkennen“ unbedingt eine transkognitive Bedeutung beigemessen werden muß. Und Nolte weiß: „Eine extreme Form des Selbstbewußtseins [kann] gerade den Ausstieg aus der Geschichte implizieren.“38  Wir sind diese extreme Form und betreiben diesen Ausstieg. Die Geschichte ist eine wirre und eklige Sekunde, ein kurzer sozialer Orkan in der ewigen Zeit, die so schnell und so gründlich wie möglich vergessen sein soll. Ein bißchen „Mut zur Übernahme einer nachgeschichtlichen Existenz“!, wie Nolte Oswald Spengler wiedergibt, der Nolte zufolge „sehr mißverstanden“ worden sei. „’Untergang’ bedeutete für Spengler eben keineswegs Niederlage oder Zusammenbruch, sondern den Übergang in die Nachgeschichte (…)“.39  

Was soll überhaupt noch das Gerede von „Geschichte“ und „historischen Existenzialien“? Nennen wir die Dinge doch beim Namen. Die kommen zwar bei den Historikern vor, aber wozu ihre historistische Metasprache? Der Begriff „Geschichte“ ist völlig unnötig. Denn natürlich steigen wir nicht aus dem Gespinst „Geschichte“ aus, sondern aus den materiellen Gegebenheiten, die diese ausmachen mögen und anhand derer die Historiker ihre „Geschichte“ schreiben: Herrschaft, Unterdrückung, Ausbeutung, Vergewaltigung, Schmerz, Abrichtung und Abweidung, Zivilisiertheit, Störung der Biorhythmen, Vernichtung der Eigenheit u.s.w..

Nolte: „Das ,dialektische’ Denken legte es dann allen Vertretern des ,Deutschen Idealismus’, nicht zuletzt Schiller, nahe, eine Nachgeschichte vorherzusehen, die ,auf höherer Stufe’ die Wiederherstellung eines ursprünglichen Zustands der Harmonie sein würde (...).“40  Dies war auch das Schlechte an Marx und den Marxisten, die in der Nachfolge der Idealisten den Urkommunismus auf einer „höheren Stufe“ wiederaufbauen wollten. Es gilt aber – freilich nur in der Historiker-Sprache – „direkt zum Ursprung zurückzukehren“. Schiller, die Idealisten und die Marxisten stehen für das Utopische. Das Topische ist das Hier & Jetzt, in das man nicht „zurückkehrt“, sondern in dem man bereits ist.

Nolte schreibt: „Im Hinblick auf (...) die ,Vorgeschichte’ ist Hegel in jüngster Zeit häufig widersprochen worden, und an seiner eindeutigen Wertsetzung hat nicht nur Nietzsche gerüttelt, als er in seinen Vorlesungen ,Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben’ auf seine Weise die Befürchtungen von Shakespeares Hamlet variierte, daß das Bewußtsein ,Feige aus uns allen’ mache und daß ,die angeborene Farbe der Entschließung von des Gedankens Blässe’ angekränkelt werde.“41 

Bewußtsein meint hier Intellektualität und Grübelei, nicht die einfache und direkte Wahrheit, deren Gedanken nicht blaß, sondern lebendig sind.

Wir kehren nicht wie Nietzsche – im Gegensatz zu Stirner, den er verheimlichte42  – in den Schoß der Geschichte zurück, von dem der ambivalente Nolte schreibt: „Dennoch hat Nietzsche mit seinem Begriff der ,monumentalen Geschichtsschreibung’, die offenbar zur ,eigentlichen Geschichte’ notwendig hinzugehört, Hegel auch wieder bestätigt.“43  

Topische Anarchisten haben keine solchen „Gedanken“; sie bestätigen Hegel partout nicht und schreiben überhaupt keine Geschichte.

Nolte weiter dazu: „So sind auch Marx und Engels weit überholt (...) Dieser Übergang [zur Nachgeschichte] bedeutet nichts anderes als den Gewinn der definitiven Herrschaft über die Natur (...) und damit das endgültige Ausscheiden –, in gewissem Sinne’ [Marx/Engels] – aus dem Tierreich: mithin ,den Sprung der Menschheit aus dem Reich der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit’.“44  Topische Anarchisten springen nirgendwohin; manchmal müssen sie die Not wenden, manchmal sind sie einfach frei. Und erst recht springen sie aus keinem Tierreich: Sie sind Menschentiere. Ihre „Nachgeschichte“ ist nichts anderes als die „Vorgeschichte“, zu der sie kein „Übergang“, sondern ein „Rückgang“ bringt. Wir „sinken in die ,Geschichtslosigkeit’ zurück“, wie es bei Nolte von bestimmten Völkern heißt.45  Alles, was unten ist, was Boden ist, ist gut für topische Anarchisten, die am und auf dem Boden, am und vor Ort und mitnichten so sind, wie der Philosophie-Professor Friedrich Heman von Nietzsche schrieb: Dieser sei „ein viel feinfühligerer, vornehmerer, geistvollerer, weiter und höher blickender Denker [als Stirner], dessen letzte Zwecke und Ziele turmhoch die auf dem Bodensatz des Lebens sich bewegenden Gedanken Stirners überragten“46 .

Das Gemeinwesen (das „in zivilisierten oder entwickelten Zuständen längst verschwundene Höchstmaß an ,Sozialintegration’“ – Nolte) hat es gegeben („Urkommunismus“)? Und jetzt soll es wieder – auf „höherer Ebene“ – entstehen („Kommunismus“, „Volksgemeinschaft“)? Wir bezweifeln ganz einfach, daß es außerhalb der „Vorgeschichte“ überhaupt eine Art Gemeinwesen geben kann. Danach ist doch nur noch Hauen & Stechen angesagt. Auch die Oberlercher’sche Vorstellung vom Gemeinwesen unterscheidet sich nicht prinzipiell von der nationalsozialistischen („Volksgemeinschaft“). Es ist ein Trick, reine Theorie oder Religion, die Gesellschaft und die Gemeinschaft versöhnen oder unter einen Hut bringen zu wollen. Gesellschaft zerstört Gemeinschaft; erst ohne Sozietät wird es wieder Kommune geben können: der Verein der Eigner.

Es gibt innerhalb der Geschichte keine Rettung für die Menschheit. Und die Rettung ist uns auch egal; wir sind nicht „die Menschheit“. Mögen sich andere um die „Erhaltung der Art“ und ähnlichen teleologisch-finalistischen Unsinn bemühen.

Der topische Anarchismus will die „Auflösung aller Dinge“ (H.-D. Sander47). Denn all diese „Dinge“ sind bereits die Moderne, sind die „historischen Existenzialien“, die uns stören, Streß bedeuten, uns anekeln, die wir hassen. Es sind die Dinge der Zivilisation, des Patriarchats, des Elends, der Zerstörung, Verwüstung, Entfremdung u.s.w..

„Gibt es ein ,objektives’ Kriterium für das Ende der Geschichte?“, fragt Krause. Dieses Kriterium ist, wenn es keinen Historiker mehr gibt, wenn „ganz und gar im Gegenwärtigen“ gelebt wird, wie Ricarda Huch laut Schwiedrzik von sich sagte.

Ausstieg aus der Geschichte ist Dezentralisierung. In der Geschichte bleiben ist „Vergessenheit des Seins“ (Heidegger), am eigentlichen vorbeileben und statt dessen Machtzentren bilden bis hin zur globalen Zentralisierung der „Welthirtschaft“ (Oberlercher). Rückbesinnung auf den „Grundwillen“, Selbst sein und Personifizierung ist Geschichtsausstieg. Politische Konstruktionen sind Geschichte u.s.w..

Peter Kropotkin: „Durch die gesamte Geschichte unserer Kultur ziehen sich zwei Traditionen, zwei entgegengesetzte Strömungen: die römische Tradition und die volkstümliche, die kaiserliche Tradition und die eidgenössische, die autoritäre Tradition und die freiheitliche.“48  Ricarda Huch: „Hier in der Schweiz schien mir das wahre, das unentstellte Deutschland zu sein.“49  Deutschland sei „von den Ideen und Formen des alten Reiches der Deutschen mehr abgewichen“ als die Schweiz.50  Das Germanisch-basisdemokratische hat rudimentär in den Bergen überleben können; in den Ebenen tobten die Mongolifizierten. In uns allen stecken beide Tendenzen: einmal als Eingeschüchterte und Korrumpierte von uns weg hin zu Teilen einer zentral gesteuerten Maschine und einmal die zu uns hin als Teil einer selbstverwalteten Gemeinschaft freier Menschen ohne Hirten. Auch bei denjenigen, die heute einer Reichsidee verpflichtet sind wie Reinhold Oberlercher, spiegeln sich beide Reichstraditionen wider. In Oberlerchers 100-Tage-Programm der Regierung des Vierten Reiches gibt es neben Präskriptiv-Normativem, das sich nicht von dem unterscheidet, was die Menschheit seit einigen Jahrtausenden der Katastrophen treibt, auch den Punkt G.9: „Gestattung autark-autonomer und subsistenzwirtschaftlicher Siedlungsformen ohne gemeindliche Anschlußpflichten“51, was wohl in der Geschichte von Regierungsprogrammen einmalig sein dürfte.

Die Überlebenschance von uns Primitiven liegt in der Ahnung der Zivilisierten, daß „sie“ in unserer „evolutionsbiologischen Nische überleben“ könnten. Deshalb werden sie neben ihren Weltraumprogrammen auch dafür sorgen, daß wir uns auswildern können. Ernst Jünger: „Es ist sehr wichtig, daß wir Herde besitzen, in denen das Feuer der Anarchie sich erhält. Eine latente und anonyme Anarchie ist unter den gegebenen Verhältnissen wertvoller als die offenen Ausbrüche, die schneller gelöscht werden können.“52  

Besser gestattet als kein Ort nirgends.  

 

Anmerkungen

 1 Etappe. Zeitschrift für Politik, Kultur und Wissenschaft , herausgegeben von Günter Maschke und Heinz-Theo Homann, Pf. 300424, 53184 Bonn, Einzelheft 15,- DM, Abo (drei Ausgaben pro Jahr) 40,- DM, ISSN: 0934-7739

 2 Peter Koslowski, „Vaterland Europa? Über eine neue europäische Reichsidee“, Ansprache auf der Eröffnungssitzung der Tagung „Vaterland Europa? Die Zukunft der Europäischen Union“ des Instituits für Europäische Politik Bonn, des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen und der Staatskanzlei NRW in Duisburg am 18.11.1994, Kommune, Forum für Politik, Ökonomie und Kultur, Nr. 3/95. Bestelladresse: Pf. 900609, 60446 Frankfurt/Main, Fax 069/792097-83; der Autor ist Direktor des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover. In diesem Zusammenhang auch interessant: „Der neue Regionalismus. Von einem demokratischen Europa der Regionen zum ethnonationalen Föderalismus“ in Kommune 6-96 und „Staatsgrenzen können historische Regionen zerschneiden, aber ihre Verbindungslinien selten auf Dauer zerstören. Nordosteuropa. Begriff – Traditionen – Strukturen“, S. Troebst, Kommune 5/97.

 3 ebenda S. 50

 4 ebenda S. 47

 5 ebenda S. 49

 6 ebenda S. 50 (Siehe zur Thematik insbesondere auch die Aufsatzserie „Mythos und Politik“ von Roger Garaudy in verschiedenen Sleipnir -Ausgaben.) 

 7 ebenda

 8 ebenda S. 47

 9 W. Meijer, „Tulpen aus Amsterdam“, ebenda S. 58 (Zu Herman Wirth als Widersacher des faschistischen Flügels innerhalb der NSDAP siehe auch Peter Töpfer, „Sucht und Gewalt“, insb. „2.2  matristischer Nationalsozialismus“

 10 Wilhelm Pauli, „Hinterfotzigkeit, multikulturelle“, Kommune 7/89, S. 51

 11 Siehe dazu Peter Töpfer, „‘Neue Kultur’? Eine nihilistische Tabula rasa als Grundlage einer Neugeburt“, Rezension der Zeitschrift Elemente der Metapolitik zur europäischen Neugeburt 6/98, in Sleipnir 31 und Auto: -chthon & -nom. Nationalanarchistische Stromzeitschrift Nr. 3

 12 Ricarda Huch, Gesammelte Werke, Köln 1966-1974, S. 247

 13 Ricarda Huch, Mein erstes Jahrzehnt, in: GW, Bd. 11, S. 127

 14 Ricarda Huch, Michael Bakunin und die Anarchie, Leipzig 1923, S. 173

 15 Heinz Hug, Kropotkin zur Einführung, Hamburg 1989, S. 102

 16 Augustin Souchy, Unterredung mit Lenin sowie andere Schriften zur russischen Revolution, Hannover 1980, S. 41

 17 Siegmund Rubinstein, Romantischer Sozialismus. Ein Versuch über die Idee der deutschen Revolution, München 1921

 18 Heinz Hug a.a.O. S. 92/93

 19 vgl. auch Hans-Dietrich Sander, „Der ghibellinische und der guelfische Typus in der deutschen Geschichte“,  („Aktuell“)

 20 Ricarda Huch, Entpersönlichung, Leipzig 1921

 21 Ernst Nolte, Historische Existenz. Zwischen Anfang und Ende der Geschichte?, München 1998

 22 Peter Kropotkin, Fields, Factories and Workshops, Boston 1899, S. 162

 23 Klaus Farin für das Archiv der Jugendkulturen (Hrsg.), Die Partei hat immer recht! Die gesammelten Schriften der Anarchistischen Pogo-Partei Deutschlands APPD, Berlin 1998

 24 Gebt uns 100 Tage Zeit! Das APPD-Kampfprogramm, S. 26/27

 25a Joscha Schmierer, „Europäische Identität“, Kommune, 3/95, S. 7

25b Nolte, Die europäische Philosophie und die Zukunft Europas, Sezession, Heft 2, Juli 2003, S. 21

 26 Nolte, Historische Existenz, S. 18

 27 ebenda 

 28 Ernst Jünger, An der Zeitmauer, Gesammelte Werke, Stuttgart 1963, S. 493

 29 ebenda, S. 494

 30 ebenda, S. 497

 31 Siehe Karlheinz Weißmann, „Anarchie von rechts“, Criticón 158 – April/Mai/Juni 1998, S. 39

 32 vgl. Harold Barclay, Völker ohne Regierung. Eine Anthropologie der Anarchie, Libertad-Verlag, Berlin 1985

 33 vgl. www.lsr-projekt.de

 34 ebenda

 35 Nolte, a.a.O, S. 33

 36 Ernst Nolte, Historische Existenz. Zwischen Anfang und Ende der Geschichte? München Zürich 1998, S. 25 Zitatende siehe Anm. 25

 37 Ernst Jünger, An der Zeitmauer, Gesammelte Werke, Stuttgart 1963, S. 495

 38 ebenda S. 30. Vgl. „Bewußtsein als Verhängnis“ von Jürgen Frese im besprochenen Etappe-Heft

 39 ebenda, S. 44 – 45

 40 ebenda S. 22; siehe auch Ernst Nolte, Die europäische Philosophie und die Zukunft Europas, in: Sezession, Heft 2, Juli 2003, S. 23

 41 ebenda, S. 29

 42 Bernd A. Laska, Nietzsches initiale Krise. Die Stirner-Nietzsche-Frage in neuem Licht, in: Germanic Notes and Reviews, vol. 33, n. 2, fall/Herbst 2002, S. 109-133

 43 ebenda

 44 ebenda S. 23

 45 Nolte, a.a.O, S. 19

 46 Friedrich Heman, Der Philosoph des Anarchismus und Nihilismus. In: Der Türmer, 9. Jg., Band I, Okt. 1906, S. 67-74, zit. nach siehe Anm. 40.

 47 Vgl. Hans-Dietrich Sander, „Die Auflösung aller Dinge. Zur geschichtlichen Lage des Judentums in den Metamorphosen der Moderne“, München o.J.

 48 Peter Kropotkin, „L’état: son rôle historique“, in: Les Temps nouveaux, 2. Jg., Nr. 34, Dezember 1896

 49 Ricarda Huch, „Frühling in der Schweiz. Jugenderinnerungen“, Zürich 1938, zit. von Schwiedrzik aus Gesammelte Werke, Bd. 11, S. 198

 50 zit. von Schwiedrzik aus a.a.O, S. 226

 51 R. Oberlercher, „Entwurf eines 100-Tage-Programms der nationalen Notstandregierung in Deutschland“, Staatsbriefe 1/93, S. 7

 52 Brief E. Jüngers an Bruno von Salomon (ca. 1930), zitiert nach S. Meinl, „Nationalsozialisten gegen Hitler“, Berlin 2000, S. 137

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