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Ernst Nolte (1923-2016)
- Selbstentfremdung und Dialektik im deutschen Idealismus und bei Marx (Dissertation; 1952) -
- Der Faschismus in seiner Epoche. Action française, italienischer Faschismus, Nationalsozialismus (1963) -
- Die faschistischen Bewegungen (1966) -
- Theorien über den Faschismus (Hrsg.; 1967) -
- Sinn und Widersinn der Demokratisierung in der Universität (1968) -
- Die Krise des liberalen Systems und die faschistischen Bewegungen (1968) -
- Deutschland und der Kalte Krieg (1974) -
- Marxismus, Faschismus, Kalter Krieg (1977) -
- Zwischen Geschichslegende und Revisionismus?  (Aufsatz, in: F.A.Z., 24.07.1980) -
- Der Weltkonflikt in Deutschland (1981) -
- Marxismus und Industrielle Revolution (1983) -
- Die Vergangenheit, die nicht vergehen will (Aufsatz, in: F.A.Z., 06.06.1986) -
- Der europäische Bürgerkrieg 1917-1945. Nationalsozialismus und Bolschewismus (1987) -
- Das Vergehen der Vergangenheit. Antwort an meine Kritiker im sogenannten „Historikerstreit“ (1988) -
- Das Vor-Urteil als „strenge Wissenschaft“ (1989) -
- Nietzsche und der Nietzscheanismus (1990) -
- Geschichtsdenken im 20. Jahrhundert (1991) -
- Martin Heidegger. Politik und Geschichte im Leben und Denken (1992) -
- Martin Heidegger und die Konservative Revolution (Aufsatz; 1992) -
- Streitpunkte. Heutige und künftige Kontroversen um den Nationalsozialismus (1993) -
- Die Deutschen und ihre Vergangenheiten (1995) -
- Historische Existenz. Zwischen Anfang und Ende der Geschichte?  (1998) -
- Feindliche Nähe: Kommunismus und Faschismus im 20 Jahrhundert. Ein Briefwechsel (1998) -
- Die Frage nach der historischen Existenz (2001) -
- Der kausale Nexus. Über Revisionen und Revisionismen in der Geschichtswissenschaft (2002) -
- Faschismus. Von Mussolini zu Hitler (2003) -
- Die europäische Philosophie und die Zukunft Europas (Aufsatz, in: Sezession; Juli 2003) -
- Der heutige Islam - im Angriff oder in der Verteidigung? (2004)
- Carl Schmitt und der Marxismus (in: Der Staat, Band 44, Heft 2; 2005) -
- Einblick in ein Gesamtwerk (Gespräch; 2005) -
- Religion vom absoluten Bösen (Gespräch; 2006) -
- Die Weimarer Republik (2006) -
- Geschichte Europas 1848-1918. Von der Märzrevolution bis zum Ende des Ersten Weltkriegs (2007) -
- Die dritte radikale Widerstandsbewegung: der Islamismus (2009)

Nolte-Zitate. Da ich Ernst Nolte für einen großartigen Geschichtsphilosophen halte, möchte ich ihm eine
separate Seite widmen und aus folgenden seiner Werke zitieren:      

 

- Der Faschismus in seiner Epoche (1963) -
- Die faschistischen Bewegungen (1966) -
- Die Vergangenheit, die nicht vergehen will (1986) -
- Der europäische Bürgerkrieg 1917-1945 (1987) -
- Historische Existenz (1998) -
- Die Frage nach der historischen Existenz (2001) -
-Der kausale Nexus (2002) -
- Der heutige Islam (2004) -
- Einblick in ein Gesamtwerk (2005) -
- Religion vom absoluten Bösen (2006) -
- Die Weimarer Republik (2006) -

 

 

 

Die Frage nach der historischen Existenz. Zwischen Universalgeschichte und Geschichtsphilosophie? (2001)

„Zusammenfassung: Um eine Antwort auf die im Titel gestellte Frage möglich zu machen, müssen die Grundlinien des Werkes über »Historische Existenz« herausgestellt werden. Das geschieht zunächst durch den Rückgriff auf den »Faschismus in seiner Epoche« von 1963, als dessen eigentlicher Gegenstand nicht so sehr das zeitgeschichtliche Phänomen des »Faschismus« gelten kann, sondern die viel umfassendere Thematik von »Transzendenz«, »Liberales System« und »Nachgeschichte«. Alle drei Begriffe haben eine positive Bedeutung, aber jedem werden auch »Kehrseiten« zugeschrieben. 35 Jahre später stehen in der »Historischen Existenz« dieselben Hauptthemen im Zentrum, aber in einem weitaus umfassenderen Zusammenhang. Bei aller Aufrechterhaltung der prinzipiellen Position werden die »Kehrseiten« meist stärker akzentuiert als in dem früheren Buch. Zum Schluß ist es leicht einsehbar geworden, iwiefern sich die Kategorialanalyse der »Historischen Existenz« sowohl von der Universalgeschichte wie von der Geschichtsphilosophie unterscheidet.

((1)) Die Frage, ob mein Buch über die »Historische Existenz« zwischen Universalgeschichte und Geschichtsphilosophie einzuordnen ist, läßt sich natürlich nicht adäquat beantworten, ohne daß die Grundlinien des Werkes herausgestellt werden, Aber es ist auch unumgänglich, zunächst um beinahe vier Jahrzehnte zurückzugreifen, da eine andere Frage sich aufdrängt, nämlich die folgende: Was veranlaßte einen Zeitgeschichtler, der nach dem Erscheinen des »Faschismus in seiner Epoche« im Jahre 1963 lange Zeit als »Faschismusexperte« galt, sich dem allgemeinsten oder abstraktesten Fundamentalcharakter der Weltgeschichte im ganzen zuzuwenden und die »historische Existenz« zum Thema zu machen? Wollte er etwa überall in der Geschichte Faschismus oder Vorformen des Faschismus entdecken und dadurch seine Thematik universalisieren?

((2)) Aber handelte es sich überhaupt um eine »zeitgeschichtliche Untersuchung«? Wo sonst wären so viele nicht-zeitgeschichtliche Personen und Gegenstände in die Darstellung einbezogen gewesen: dc Maistre, Comte, der »enthusiastische Liberalismus« Rousseaus und sogar Parmenides? Daß die Philosophie der Ausgangspunkt war, ließ sich schwerlich übersehen, und der fünfte Teil mit dem befremdenden Titel »Der Faschismus als transpolitisches Phänomen«, in welchem Kant, Marx, Nietzsche und Max Weber die Gegenstände waren, stellte offenbar den eigentlichen Ausgangspunkt dar. Und unmittelbar vorher war von der Geschichte im ganzen und dem gegenwärtigen Übergang zu einer andersartigen Gesellschaft die Rede, vom »Todeskampf' der partikularen Gesellschaft, die auf Souveränität, Einstellung auf den Vollzug des Krieges und inneren Antagonismus gerichtet war. Man könnte daher behaupten, es habe sich um eine am Marxismus orientierte, den Marxismus jedoch seines ideologischen Impulses entkleidende Geschichtsphilosophie gehandelt, in welche das neuartigste Phänomen der Epoche, nämlich der Faschismus in seinen Erscheinungsformen als Früh-, Normal- und Radikalfaschismus lediglich hineinkomponiert worden sei, wenngleich so, daß dieses jüngste historische Phänomen einen zuvor noch nicht möglichen Blick auf das Ganze der Geschichte und einen Vorblick auf eine künftige »Nachgeschichte« gestatte oder sogar erzwinge. Wie anders hätte die Gestalt Hitlers als »Abschluß eines Weltalters« charakterisiert werden können? (S. 507-512)

((3)) Die zeitliche und fundierende Reihenfolge der »großen Themen« des Buches ließe sich folgendermaßen umreißen: Transzendenz - Das Liberale System (tendenziell die Linke oder die Revolution) - Geschichte (tendenziell die Nachgeschichte) - der Marxismus - der Faschismus.

((4)) Unter »Transzendenz« ist das Sich-selbst-Überschreiten des Menschen zu verstehen, das in seinem Weltbezug, seiner »Weltoffenheit«, gegründet und schon in den primitivsten Religionen urzeitlicher Sippen faßbar ist. Sie ermöglicht schließlich jene »Weltbemächtigung«, welche seit dem Anfang der Neuzeit zunächst im Okzident aufkommt und später als »Industrialisierung« bzw. heute als »Globalisierung« bezeichnet wird. Daher ist die »praktische Transzendenz« von der »theoretischen Transzendenz« zu unterscheiden.

((5)) Der Durchbruch der praktischen Transzendenz erfolgt in der »bürgerlichen Gesellschaft«, von der gesagt wird, sie solle besser die »Liberale Gesellschaft« genannt werden (S. 542). Deren Hauptmerkmal ist das Mit- und Gegeneinander unterschiedlicher historischer Kräfte: in der mittelalterlichen Vorform dasjenige von Kirche und Staaten, Monarchie, Adel und Bürgertum und seit der Reformation von Konfessionen, aus deren Kämpfen die Aufklärung und eine unabhängige Wissenschaft resultieren. Die Singularität dieser Gesellschaftsform wird nicht zuletzt darin gesehen, daß in ihr »der Schrei des Gequälten nicht erstickt wird, daß sogar der radikale Gegner zu Wort kommt, daß selbst die gesellschaftsfeindliche Utopie als Vehikel eines unvergleichlichen Fortschritts sich erweist« (S. 182). Mit anderen Worten heißt das: Nur in der Gesellschaft des Liberalen Systems findet (zunächst bloß tendenziell) jenes Aufbegehren einen dauerhaften und organisierten Platz, den Platz der radikalen Linken, das ansatzweise und als stets unterdrücktes in allen geschichtlichen Gesellschaften zu verzeichnen ist. Als die bedeutendste der Erscheinungsformen der radikalen Linken wird der Marxismus angesehen, und vom Marxismus her wird die erste, für alle Versionen gültige Definition des Faschismus gewonnen: »Faschismus ist Antimarxismus, der den Gegner durch die Ausbildung einer radikal entgegengesetzten und doch benachbarten Ideologie und die Anwendung von nahezu identischen und doch charakteristisch umgeprägten Methoden zu vernichten trachtet, stets aber im undurchbrechbaren Rahmen nationaler Selbstbehauptung und Autonomie« (S. 51 **).

Dem Marxismus wird jedoch in Gestalt des Werkes von Marx kein geringeres Verdienst zugeschrieben als »die philosophische Entdeckung und Kritik der bürgerlichen Gesellschaft« (S. 521-529), und durch die Ausweitung der Fragestellung auf Nietzsche und Max Weber wird die auf den ersten Blick triviale Kennzeichnung des »Liberalen Systems« erheblich ausgeweitet und vertieft. Eine außerordentliche Paradoxie ist darin zu erkennen, daß der Marxismus, der im Werk von Marx in den Spuren Hegels eine tiefsinnige Deutung der »bürgerlichen Gesellschaft« gibt, als politisches Phänomen gegen ein Grundgesetz dieser Gesellschaft verstößt, indem er »Vernichtung« proklamiert, während die spezifische Möglichkeit die »europäische Synthese« (S. 418) ist, die nur »Zurückdrängung« und »Überwindung« kennt, aber Vernichtung ausschließt. Insofern erwächst unter bestimmten Umständen das Aufkommen einer (faschistischen) Gegenvernichtungspartei mit Notwendigkeit aus dem System selbst, nicht jedoch deren Sieg.

((6)) Es kann indessen kein Zweifel sein, daß dem Marxismus eine höhere Art von »historischem Recht« zugeschrieben wird als dem Faschismus; denn dieser macht sich betontermaßen zum Verteidiger und Vorkämpfer der »souveränen, kriegerischen, in sich antagonistischen Gruppe«, welche in allem Wechsel der Gestalten für die ganze »bisherige« Geschichte bestimmend war. Die weltweite Gesellschaft, von der sie abgelöst wird, ist vom Marxismus als die klassen- und staatlose Gesellschaft charakterisiert worden, und man kann sie die Gesellschaft der »Nachgeschichte« nennen, auch wenn man sie, im Gegensatz zum Marxismus, nicht durch die Aufhebung der Arbeitsteilung und durch ein Verschwinden der Differenzen, sondern gerade durch deren Intensivierung bestimmt sieht.

((7)) Der Vorrang, der dem Marxismus zugeschrieben wird, erstreckt sich auch auf den Bolschewismus, der als ein »notwendiger« Totalitarismus und im letzten Kapitel »Umriß einer transzendentalen Soziologie dieser Zeit« sogar als »die bisher entschiedenste Selbstbejahung der materiellen Produktion und mit ihr der praktischen Transzendenz« bezeichnet wird; daher sei »die Differenz gegenüber dem Faschismus trotz aller strukturellen Ähnlichkeiten fundamental« (S. 470 f., 543 f.). Der Radikalfaschismus Hitlers war dagegen »praktischer und gewalttätiger Widerstand gegen die Transzendenz« (S. 507), und dieser Widerstand hat in der »Endlösung der Judenfrage« seinen radikalsten Ausdruck gefunden, mittels deren Hitler die Fortexistenz der »kriegerischen«, der »geschichtlichen« Gesellschaft durch die Vernichtung ihres angeblich machtvollsten Feindes hatte sichern wollen. Der Nationalsozialismus wird also nicht nur moralisch, sondern auch historisch mit aller Entschiedenheit verurteilt, und die Singularität der »Endlösung« wird mit einer Klarheit herausgestellt, die in der wissenschaftlichen Literatur der frühen sechziger Jahre ohne Beispiel war.

((8)) So steht es außer Zweifel, daß dieses Buch von 1963 sowohl die Transzendenz wie das Liberale System unzweideutig bejaht und von hier aus zu einer ebenso eindeutigen Verurteilung des Faschismus und zumal des radikalfaschistischen Nationalsozialismus gelangt. Wenn man will, mag man sagen (wie es in einzelnen der ganz überwiegend positiven Rezensionen hieß), es habe sich um einen »bürgerlichen« oder entmythologisierten, auf seinen »rationalen Kern« reduzierten Marxismus gehandelt. Wenn ihm daher der Vorwurf des »Utopismus« nicht gemacht werden konnte, so blieb der Einwand des »Spekulativen« bestehen, der gegen jede Art von übergreifender, nicht »fachhistorischer« Geschichtsinterpretation vorgebracht werden kann.

((9)) Aber es ließen sich auch ganz andere Einwände erheben; denn so unzweideutig der positive Akzent war, der auf den Begriffen »Transzendenz«, »Liberales System«, »Linke« bzw. »Revolution« und auch »Marxismus« lag, so handelte es sich nicht um Glorifizierung, und den, »Kehrseiten« wurde nicht wenig an Aufmerksamkeit geschenkt. Von der Transzendenz wird auf der letzten Seite des Buches gesagt, sie sei »unendlich weit entfernt von der Harmlosigkeit eines gesicherten 'Kulturfortschritts'«, denn sie sei »nicht das Ruhebett des endlichen Menschen, sondern in rätselvoller Einheit sein Thronsessel und sein Marterholz« (S. 545). Nach jener positiven Kennzeichnung des Liberalen Systems lauten die nächsten Sätze folgendermaßen: »Dieses Unvergleichbare ist nicht gut und nicht schön: es ist über die Maßen hässlich, indem es das überlieferte Schöne verdrängt, auslaugt und zerstört.« Aber eben dieses Negative gehört als die »Kehrseite« zum Ganzen des Singulären, welches das Liberale System ist. (S. l82) Wenn »die Linke« den Übergang zur »Nachgeschichte« weit mehr vorweggenommen hat als irgendeine Form der »Rechten«, so hatte ihr Recht sehr viel mit dem Unrecht der Orientierung an den einfachen und durchsichtigen Zuständen der Vor- und Frühgeschichte zu tun. Mutatis mutandis gilt dasselbe für den Marxismus.

((10)) Wenn jene »Untat« der Judenvernichtung durch den Radikalfaschismus sogar von dem »Terror Stalins gegen das eigene Volk und die eigene Partei« schroff abgesetzt wird, so wird sie doch nicht in einem »absoluten Bösen« begründet gesehen, sondern in »nur allzu menschlichen Sorgen und Ängsten« (S. 35). Bei Adolf Hitler wird wie bei Charles Maurras »die Angst« als Grundemotion herausgestellt, ja es wird sogar von einer »Sympathie« - freilich von einer besonderen, nicht-emotionalen und nicht-zustimmenden »Sympathie« gesprochen, welche die unabdingbare Voraussetzung allen Bemühens um historische Objektivität sei (ebda). Nirgendwo, wo von der »bisherigen« Geschichte die Rede ist, wird ein empörter Angriff gegen »Herrschaft« oder »Schichtung« geführt; dem jungen Mussolini der ersten Nachkriegszeit wird gegenüber seinen früheren Genossen sogar ausdrücklich Recht gegeben, weil er das marxistische Dogma vom bevorstehenden »Ende des Kapitalismus« kritisiert habe. Andererseits wird der Marxismus des jungen Mussolini deshalb ausführlich dargestellt, weil er als Ursache des bürgerlichen Schreckens die wichtigste Voraussetzung des Faschismus war.« (S. 199). Und wenn die Bedeutung des Bolschewismus für Hitler anscheinend weit hinter diejenige der Rassenlehre Gobineaus und Houston Stewart Chamberlains zurückgestellt wird, so heißt es doch, es müsse zweifelhaft sein, ob Hitler ohne die Erfahrung der bolschewistischen Revolution, die ihm insbesondere durch Dietrich Eckart vermittelt worden sei, zu demjenigen hätte werden können, der er war (S. 490). Und was »Deutschland« angeht, so war die Kennzeichnung der Deutschen als »des letzten Volkes des Mars in Europa« (S.370) zwar weitaus umfassender und »spekulativer« als die üblichen Attacken gegen die »reaktionären führenden Schichten«, aber sie läßt das negative Urteil mit jenem Respekt verbunden sein, der durch die Berufung auf Proudhon unterstrichen wird (S. 511).

((11)) So ist das Buch zwar aus der Vorgeschichte der »Renaissance des Marxismus« in der »1968er Bewegung« nicht wegzudenken, da es einen der für sie wichtigsten Begriffe wieder in die Öffentlichkeit brachte, nämlich den des »Faschismus«, aber zu den eigentlichen »Kindern des Hauses« gehörte es schon deshalb nicht, weil es einen bereits nahezu vergessenen Kampfbegriff für die Wissenschaft gewinnen und nicht den umgekehrten Weg einschlagen wollte. Sein Defizit bestand jedoch darin, daß es von der Action française, dem italienischen Faschismus und dem deutschen Nationalsozialismus ausführlich genug gehandelt hatte, um als »zeitgeschichtliche Untersuchung« anerkannt zu werden, daß es aber das Liberale System, den Marxismus und den Bolschewismus nur in einigen allgemeinen Zügen, d.h. auf bloß philosophische Weise und nicht im historischen Detail, zum Thema gemacht hatte.

((12)) Die Beseitigung dieses Defizits nahm mehr als drei Jahrzehnte in Anspruch. 1968 erhielt das erste Unterkapitel der »Krise des liberalen Systems und die faschistischen Bewegungen« die Überschrift »Der Mutterboden: das liberale System«, 1974 griff »Deutschland und der Kalte Krieg« auf die zweite Phase der großen ideologischen Auseinandersetzung des 20. Jahrhunderts voraus und mochte den Eindruck unphilosophischer Geschichtsschreibung erwecken; 1983 wurde der Marxismus in »Marxismus und Industrielle Revolution« in eine ungewohnte Perspektive gestellt, in diejenige der fast 100 Jahre, die ihm an politischen und intellektuellen Kämpfen um die Industrielle Revolution vorhergegangen waren. Die in einem Zeitungsartikel vom Juni 1986 enthaltene und thesenhafte Vorwegnahme des »Europäischen Bürgerkriegs 1917-1945« von 1987 löste den sogenannten Historikerstreit aus, weil hier vom Bolschewismus ein viel ausführlicheres, das Neuartige und Umfassende seiner Vernichtungsmaßnahmen quellenmäßig darstellendes Bild gezeichnet wurde, das bei vielen Lesern den Eindruck hervorrief, ich sähe im Nationalsozialismus und sogar in »Auschwitz« nun »weiter nichts« als eine verständliche Reaktion auf den Bolschewismus und dessen »Gulag«. Die »Streitpunkte« von 1993 suchten diesen Eindruck zu korrigieren, wurden aber von vielen Historikern und Publizisten nur als ein weiterer »Tabubruch« betrachtet.

((13)) Da ich nun in der deutschen Öffentlichkeit definitiv zur »Unperson« geworden war, konnte ich mit der Arbeit an dem Buch beginnen, das den Abschluß meines Lebenswerkes bilden sollte, eben mit der »Historischen Existenz«, die 1998, wie einst der »Faschismus in seiner Epoche«, im Piper-Verlag erschien.

Die Kontinuität zu den früheren Büchern wird nicht auf den ersten Blick sichtbar, denn erst nach mehr als 500 Seiten ist wieder vom Marxismus und vom Faschismus die Rede und vom Liberalen System nicht viel früher. Um eine erzählende Weltgeschichte handelt es sich jedoch offenkundig nicht, sondern um eine Analyse grundlegender Kategorien oder »Existenzialien« historischen Daseins, die von einer geringen Zahl erzählender Darstellungen ihren Ausgang nimmt. Ich will kein Geheimnis daraus machen, daß mein Verfahren ein ganz einfaches war.

Ich nahm mir nämlich die Zeit, die ich in dreißig Jahren akademischer Tätigkeit nie gefunden hatte, um in aller Ruhe die vielen Bände der fachhistorischen Darstellungen, von der Propyläen-Weltgeschichte bis zur »Historia Mundi«, ja bis zu »Kindlers Enzyklopädie 'Der Mensch'«, zu lesen, und zwar unter dem Hauptgesichtspunkt, welche Tatbestände immer wieder Erwähnung fanden und daher vermutlich von kategorialer Natur waren. Natürlich waren mir diese Kategorien seit langem bekannt, aber es resultierten doch Verstärkungen oder Abschwächungen des jeweiligen Gewichts. Zwar wurde mir nicht erst dadurch deutlich, wie fragmentarisch meine Kenntnis der Weltgeschichte war. Aber selbst die phänomenale Gelehrsamkeit eines Arnold Toynbee erzeugt nicht selten Zweifel und Kritik, wenn Sinologen, Sumerologen, Judaisten u.s.w. sich den entsprechenden Kapiteln seiner »Study of History« zuwenden. Und eine übergroße Fülle von Detailkenntnissen behindert das Denken eher, als daß sie es fördert. Kein Mensch kann eine Universalgeschichte oder eine Geschichtsphilosophie oder auch eine Studie über »historische Existenz« schreiben, ohne sich eine Menge von »Handbuchwissen« präsent gemacht zu haben. Daß er dieses Wissen an keiner Stelle als Selbstzweck reproduzieren darf, versteht sich ja von selbst.

((14)) So tauchen in der »Historischen Existenz« von Urukagina bis zu Edward Clarendon und zu Erwin Chargaff zahlreiche Namen und Tatbestände auf, von denen in den früheren Büchern nicht die Rede war, aber ich wüßte nur eine einzige Lektüre anzuführen, die meine Kenntnisse nicht bloß erweitert hat, sondern die - wie einst das Studium von Solschenizyn, Kopelew und entlegenen Quellen wie Melgunov und Grigorij Sinovjew im Hinblick auf den Bolschewismus - eine bedeutende Veränderung früherer Auffassungen herbeiführte, wenngleich nicht deren Umsturz. Es handelt sich um die Bibel, welche ich, wie ich gestehen muß, im Alter von über siebzig Jahren erstmals vollständig, sorgfältig und unter Heranziehung der Wissenschaft des Alten Testaments gelesen habe. Wenn sich mir dadurch die Frage aufzwang, ob es sich nicht um eine »unheilige Schrift« handle, so konnte diese Lektüre mich doch in der Überzeugung von dem Rang und der Bedeutung dieses Teils der jüdisch-christlichen und also auch okzidentalen Tradition nicht wankend machen, und sie verstärkte nur das Nachdenken über »Kehrseiten« oder »andere Seiten« der Phänomene, von denen manche der »unbeleuchteten Seite des Mondes« ähneln mochten.

((15)) Trotz aller Erweiterungen und Veränderungen ist der Zusammenhang zwischen dem »Faschismus in seiner Epoche« und der »Historischen Existenz« nicht schwer zu erkennen. Die scheinbar bloß zeitgeschichtlichen Themen: Bolschewismus, Faschismus und Kalter Krieg sind auf drei von insgesamt 61 Kapiteln reduziert, doch sie sind gleichwohl weiterhin zentral, so gewiß es sich nur um Kurzfassungen handelt, in die insbesondere der »Europäische Bürgerkrieg« einbezogen ist. Aber die übergreifenden Themen sind dieselben wie 1963, wenngleich zum Teil erheblich erweitert: Transzendenz - Liberales System (Linke) - Geschichte (Nachgeschichte). Ich skizziere die Thematik und den Gedankengang des Buches zunächst unter dem Gesichtspunkt der Frage, ob sich in dem Urteil über Geschichte und Nachgeschichte wesentliche Veränderungen vollzogen haben.

((16)) Den Anfang des Ersten Teils, der nach methodologischen Vorüberlegungen und einem »kosmologisch-zoologischen« Abschnitt einsetzt, welcher kein Eigengewicht hat und lediglich der Abgrenzung von »Naturgeschehen« und »Geschichte« dient (S. 55-85), bildet der Bibelbericht, in dem die irdische oder historische Existenz der Menschen als Folge der Sünde und der Vertreibung aus dem Paradiese erscheint, und wenn hier die Unterscheidung von zwei grundsätzlich verschiedenen Zuständen des menschlichen Daseins noch keinen Ausblick auf einen dritten eröffnet, so richtet sich der Blick der israelischen Propheten, zumal des Jesaja, schon bald auf einen künftigen Zustand des wiedergewonnenen Paradieses. Die Vorstellung von einem ursprünglichen Zustand der Harmonie, der durch eine lange Phase von Entfremdung und Zerrissenheit abgelöst wird, aber dann auf höherer Stufe in einer dritten und endgültigen Phase wiederhergestellt wird, ist ein Fundamentalkonzept des Deutschen Idealismus von Kant über Schiller und Hegel bis hin zu Marx. Arnold Toynbee und Karl Jaspers entwickeln im 20. Jahrhundert von der positiv vorgestellten Nachgeschichte her die Kategorien der Geschichte, während Oswald Spengler die Idee der Geschichte als Niedergang und Dekadenz, die schon bei Hesiod zu finden ist, auf eigentümliche Weise aufgreift und abwandelt. Wenn Roderick Seidenberg 1950 in einem der frühesten Bücher, die den Begriff »nachgeschichtlich« schon im Titel tragen, »Wissenschaft, Gesetze, Zivilisation, Organisation« als Merkmale des nachgeschichtlichen Daseins denjenigen der Geschichte, nämlich »Instinkt, Religion, Sitten, Kultur«, entgegensetzt, dann stellt er Kategorien nebeneinander, die indessen nicht einer eindringenden Analyse unterzogen werden. Die meisten dieser Denker würden es als negative Aussage betrachtet haben, wenn festgestellt wird: »Der Wille zur historischen Existenz schloß immer Distanz, ja Feindschaft zu anderen Staaten und Völkern in sich.« (S.25)

((17)) Anders als in den früheren Büchern wird die Frage nicht ausgeschlossen, ob Transzendenz im Sinne von »Weltoffenheit« in bestimmten Bereichen des Naturgeschehens angelegt sein könnte, z.B. in der »Vorkultur« des Kartoffelwaschens bei bestimmten Japan-Makaken, das eine zufällige »Entdeckung« voraussetzt und nicht aus genetischer Zwangsläufigkeit hervorgeht. Aber diese erste »Triebentbundenheit« ist doch noch weit vom Menschlichen entfernt.

Auch in der »Historischen Existenz« wird der anthropologische Anfang mit »Transzendenz« gemacht, deren Zusammenhang mit Todesbewußtsein, Religion und Sprache betont wird; im weiteren Verlauf werden »Aspekte« der Transzendenz herausgestellt, und abermals wird zwischen theoretischer und praktischer Transzendenz unterschieden. (S.93 f., 183 ff.).

Die frühen Hochkulturen werden nur in geringer Zahl und nicht um ihrer selbst willen zum Thema - an Ägypten interessiert z.B. in erster Linie der Umstand, daß hier die Hinfälligkeit und insofern auch die Geschichte verneint wird. Verneinung der Geschichte und Hinblick auf ein Anderes, »Jenseitiges«, gehört hier also wie bei Jesaja zur Geschichte selbst, und von der Möglichkeit einer »nachhistorischen Existenzweise« ist schon in dem Kapitel über die Handelsstadt Ugarit und die dort greifbar werdenden kanaanäischen Mythen die Rede. (S.140)

Erhellender als Erzählungen von frühen Hochkulturen sind im Rahmen des Buches die »großen Zeugnisse«, von denen das Gilgamesch-Epos, die Ilias und das Alte Testament relativ ausführlich interpretiert werden. Das Gilgamesch-Epos wird als der »Mythos von der historischen Existenz des Menschen« ausgelegt (S. 149 f.), und die Ilias wird als die erste »konzentrierende Abbildung« des historisch Existierenden und nur indirekt der historischen Existenz verstanden. (S. 151) Nichts kennzeichnet sie so sehr wie die Tatsache, daß die Kämpfe der Menschen zugleich Kämpfe der Götter sind, daß aber nicht etwa »gute Götter« gegen »böse Götter« in die Arena treten.

Hier liegt der entscheidende Unterschied gegenüber dem Alten Testament und dessen Monotheismus. Der Anspruch des Volkes Israel auf das Auserwähltsein durch einen Gott, der vor allem »sein« Gott, aber tendenziell der Weltgott ist, führt zu den entsetzlichen Vernichtungskriegen Josuas, die aber letzten Endes - ob sie nun real oder imaginiert waren - nicht der bloßen Eroberung von Land dienen sollten, sondern der Sicherung einer gerechten und gottgefälligen Lebensweise des Volkes in ihrem schroffen Gegensatz zu den orgiastischen Naturkulten der Kanaanäer. So darf Israel als das »Paradigma der historischen Existenz« gelten (S. 177), weil kaum irgendwo sonst die Zusammengehörigkeit von Vernichtungsfurcht und Vernichtung so deutlich wird, aber nirgendwo finden sich zugleich so viele Vorblicke auf eine ganz andere Lebensweise, in der jede einzelne Familie zufrieden »unter ihrem Weinstock und ihrem Feigenbaum« sitzt und die Völker der Welt zum »heiligen Berg Zion« kommen, um zusammen mit Israel den Gott des Himmels und der Erde zu verehren.

((18)) Im »Schema der historischen Existenz« werden die Kategorien des geschichtlichen Lebens - oder die »historischen Existenzialien« - im Ausgang von der kursorischen und selektiven Darstellung einiger Hochkulturen und von der Interpretation der«,großen Zeugnisse«, aber im weiten Hinausgreifen darüber, als einzelne analysiert: Religion Herrschaft, Schichtung, Staat - Adel, Sublimierung, Kunst, Krieg und Frieden - das Aufbegehren und die Anfänge einer 'Linken' - Geschichtsschreibung und Superioritätsbewußtsein - Stadt und Land - Schulbildung und Wissenschaft - die Ordnungen des Alltags (Ökonomie und Sexualität) - Dynamik, Fortschritte und Emanzipation. Das Kapitel über den Polytheismus konstatiert vor allem das Fehlen des Missionarischen, und dasjenige über den Monotheismus knüpft an die Ausführungen über das Alte Testament an, aber es läßt die »messianische« Idee der Einigung der Welt nicht mehr auf Israel beschränkt sein, sondern hebt auch die Gestalt Echnatons hervor. Im Kapitel über »Herrschaft - Schichtung - Staat« wird die Überlagerungstheorie von Alexander Rüstow und Franz Oppenheimer, für welche »Herrschaft« einen universalgeschichtlichen, durch kriegerische Nomadenvölker verursachten »Sündenfall« darstellt, zwar nicht akzeptiert, aber am Ende wird doch ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt, daß »auch Herrschaft, Schichtung und Staat an eine bloße Phase der menschlichen Existenz, an die historische Phase, gebunden sind.« (S. 207)

((19)) Im Kapitel über die »Linke«, d.h. über deren Vorformen als das sporadische und nicht dauerhaft organisierte »Aufbegehren« von Armen und Benachteiligten, wird erneut auf das Alte Testament und insbesondere die prophetisch-rechabitische Bewegung, aber auch auf Beispiele aus Ägypten und Griechenland zurückgegriffen, und wenn mit kritischem Akzent deren Orientierung an einer fernen und einfachen Vergangenheit unterstrichen wird, so ist doch ein affirmativer Ton vernehmbar, wenn gesagt wird, die Utopie, die Sehnsucht nach Geschichtslosigkeit, sei vermutlich als Impuls in aller Geschichte mächtig. (S.234) Dem entspricht es, wenn im Kapitel über die Geschichtsschreibung zu lesen ist, nirgendwo sei die geschichtsfeindliche Utopie in so großartiger Form entwickelt worden wie in dem extrem geschichtlichen Israel. (S.240)

Ein unverkennbar skeptischer Ton klingt indessen an, wenn im Hinblick auf die gesellschaftliche Rolle der Sexualität als ferne Alternative jenseits der »naturmoralischen Gesellschaft« mit ihrem Ineinander von Verbot und Übertretung jene im Kapitel über die »Stufen der 'Geschichtsfähigkeit' bei den Tieren?« erwähnte »Realutopie« der in streitschlichtender Promiskuität dahinlebenden Bonobos (Zwergschimpansen) wieder auftaucht, zu der es in den orgiastischen Naturkulten immerhin Ansätze gab. (S.84, 260)

Im mythologischen Nachdenken waren jedoch schon in den frühen Hochkulturen hier und dort Vorstellungen zu finden, die zwar kein »Fortschrittsbewußtsein« implizierten, wohl aber eine Befreiung des Menschen vom Schicksal seiner Endlichkeit, ja ein »Sein wie Gott« in sich schlossen; doch sowohl im Gilgamesch-Epos wie im Alten Testament werden sie entsetzt und nachdrücklich zurückgewiesen. (S. 275)

((20)) Der »Zweite Teil« des Buches ist ganz ähnlich aufgebaut wie der erste, aber an die Stelle des darstellenden Abschnitts A tritt eine relativ ausführliche Schilderung der Weltreligionen, deren Dasein das Hauptunterscheidungsmerkmal gegenüber den frühen Hochkulturen bildet und die mithin ein Bestandteil des »Schemas der historischen Existenz« sein müßten, wenn nicht bloß eine weitgehende, sondern eine exakte Parallelität angestrebt würde. Auch hier ist die Vorstellung der »Nachgeschichte« ständig präsent, wenngleich teilweise eher in Andeutungen.

Im Buddhismus Indiens wird besonders klar, inwiefern religiöses, weltumfassendes Denken eine konfliktfreie und daher bessere »Nachgeschichte« zur Bedeutungslosigkeit herabsetzen kann: auch ein völlig harmonischer Zustand auf Erden würde noch durch Leid, Tod und den »Schleier der Maja« bestimmt sein, während erst der Eingang in das individualitätslose »Nirwana« Erlösung verheißt. Im konfuzianischen und bilderschriftlichen China dagegen sah schon Leibniz den Umriß einer globalen Kommunikationsgesellschaft, d.h. der Nachgeschichte.

Im klassischen Griechenland zeichnete sich erstmals das Aufkommen einer »Weltreligion der Wissenschaft« ab, die imstande sein würde, die Erde zum Vorteil der Menschen so einzurichten, daß Religion und Metaphysik überflüssig geworden sein würden.

Das Christentum ist ganz von dem Hinblick auf ein künftiges Ende der Geschichte bestimmt, das aber in seiner Einheit mit dem Jüngsten Gericht das Ende des »Diesseits« überhaupt in sich schließt. Als Mysterienreligion vom Gottmenschen Christus enthält das Christentum indessen die Möglichkeit einer »Säkularisierung«, die im Judentum und im Islam mit ihrer unmittelbaren Prägung des alltäglichen Lebens durch die Gesetze der Religion unmöglich wäre.

Das nachexilische Judentum ist die erste größere Menschengruppe, die nach der Zerstörung ihres Staates eine Führungsschicht von »Intellektuellen« besaß und als »Volk des Buches« in der Erwartung des Messias eine nachgeschichtliche Existenzweise insoweit schon praktisch vorwegnahm, als Nachgeschichte wesentlich durch »Intellektualisierung« charakterisiert ist.

Mehr als jede andere Religion hat der Islam die Einheit der Menschheit trotz aller inneren Konflikte als »islamische Nation« jenseits aller Einzelkulturen und Staaten realisiert: im gegenwärtigen Zustand des »Friedensgebietes« (dar al' Islam) und als künftiger Weltstaat nach der Eroberung des »Kampfgebietes« (dar al'harb) ist er das Reich Gottes und damit »aus der historischen Existenz herausgetreten«. (S. 366)

((21)) Es ist nun nicht mehr im einzelnen zu verfolgen, wo und wie in den Analysen des »Schemas der historischen Existenz« auf die »Nachgeschichte« Bezug genommen wird, aber so viel sticht bereits ins Auge: eine grundsätzlich negative Stellungnahme zu Nachgeschichte oder »Weltzivilisation« kann nicht vorliegen, wenn die Vorstellung von der Nachgeschichte so tief in der Geschichte selbst verwurzelt ist und ohne scharfe Kritik oder gar Verzweiflung konstatiert wird. Es kann sich schon deshalb keinesfalls um Gegnerschaft handeln, da das Wesen des Menschen, wie im »Faschismus in seiner Epoche«, weiterhin als »Transzendenz« verstanden wird. Ein durch Transzendenz gekennzeichnetes Wesen muß fähig, ja vielleicht gezwungen sein, einen Zustand, die Geschichte, hinter sich zu lassen, der sich erst vor wenig mehr als 5000 Jahren aus der »Vorgeschichte« herausgebildet hat. So viel Raum die Geschichte und vermutlich auch die Nachgeschichte für Kontingenzen und Zufälle läßt, so scheint doch hier eine schicksalhafte Notwendigkeit vorzuliegen, und der Autor müßte sich, so sollte man meinen, denjenigen anschließen, die auf politische oder intellektuelle Weise für die Durchsetzung dieser Notwendigkeit eintreten, d.h. er müßte sich als »Progressivist« bekennen.

((22)) Aber gerade im Kapitel über »die Linke« wird ein abstandnehmender, kritischer Ton vernehmbar, der dem Verdacht Nahrung geben kann, das Buch sei aus »reaktionärem Geist« heraus geschrieben. Keine Sympathie wird spürbar, wenn von der Forderung des Wiedertäufers Jan Mathys berichtet wird, »alle Papisten, Lutheraner, Sakramentarier und überhaupt alle Nicht-Täufer zu töten« (S. 419), und am Beispiel des Dom Deschamps wird der radikalen Linken Kulturfeindlichkeit und Primitivismus attestiert.

Und im Rückblick läßt sich leicht zeigen, daß der Geschichte keineswegs mit der harten Kritik begegnet wird, die Voltaire in ihr einen »ramas de crimes, de folies et de malheurs« sehen ließ (S. 446) und die heute für die zahllosen Attacken gegen »Herrschaft« und »Staatlichkeit« kennzeichnend ist. Mit tiefer Teilnahme wird der Abschied des Kriegshelden Hektor von seiner Frau Andromache nacherzählt, und es wird sogar als möglich hingestellt, »daß mit der Erfahrung des Krieges auch die Erfahrung des Friedens hinfällig wird.« (S. 223) Bedeutet es nicht den Eintritt in die Spur Arnold Gehlens, wenn gefragt wird: »Was wäre Europa ohne die Dome und Kirchen seiner Bischofsstädte, ohne die Schlösser seiner Könige, die Burgen seines Adels und die Stadtpaläste seiner PatriZitate? Es wäre bestenfalls ein älteres Nordamerika, und alle seine Einwohner hätten seit Generationen am Sonntag ein Huhn im Topf verspeisen können.« (S. 393)? Muß es nicht sogar Empörung auslösen, wenn an einer späteren Stelle behauptet wird, im Vergleich zum besten Typus des Adligen der Vergangenheit stellten die besten unter den demokratischen Politikern der Gegenwart »sehr dürftige Figuren« dar? (S. 675) Bloß noch konstatierend kann das negative Urteil wohl sein, wenn das völlig von der Religion bestimmte Dasein der Menschen in den orthodoxen Neubauvierteln Jerusalems in seiner ganzen Nichtmodernität mit ausgesprochener Sympathie beschrieben wird. (S.677)

Die anteilnehmende Beschreibung bedeutet indessen keine Selbstidentifizierung und keine Zustimmung zu dem Kampfwillen, von dem die Bewohner der orthodoxen Stadtviertel erfüllt sind. Diese liebenswerte, unaufgeregte, nicht-hektische Welt wird als etwas unwiderruflich Dahinschwindendes betrachtet, und Trauer, nicht aktive Sympathie ist das bestimmende Empfinden.

((23)) Es sollte nun evident sein, was in dem Kapitel über die Linke an Stellungnahme zum Vorschein kommt: im Liberalen System, dessen Struktur sich schon in der Reformationszeit deutlich abzeichnet, hat die Linke nicht nur einen legitimen, sondern einen besonders wichtigen Platz, weil sie enger mit »Transzendenz« verbunden ist als die Rechte, welche als organisierte Gruppierung erst in den Jahrzehnten vor der französischen Revolution erkennbar wird und deren abwehrende Rolle zuvor immer vom »Staat«, d.h. den herrschenden Aristokratien ausgefüllt wurde. Aber die Linke verstößt gegen den Grundcharakter dieses Systems, dem sie ihre freie Existenz verdankt, wenn sie sich von »Egalitätsideologen« führen läßt, die einen Feind vernichten und nicht bloß einen Gegner zurückdrängen wollen, indem sie nicht nur die jeweils existierende soziale Ungleichheit bekämpfen, sondern den durch die Geschichte hindurchgehenden Differenzierungsprozeß als widergöttlich oder widermenschlich beseitigen wollen. Diese Protagonisten sind in ihrer zeitüberlegenen Ähnlichkeit tragische Figuren; denn sie streiten grundsätzlich gegen »die Verhältnisse«, d.h. gegen Verhältnishaftigkeit als solche, aber sie haben von den Wiedertäufern an immer nur Gegenbewegungen hervorgerufen und im besten Falle zur Schaffung neuer Zustände beigetragen, die mehr Gleichheit und Freiheit der Individuen in sich schließen mochten, jedoch von der erstrebten Entfremdungslosigkeit und Durchsichtigkeit der Anarchie noch weiter entfernt waren als die eben überwundenen Verhältnisse.

Von den Gegenständen der früheren Bücher werden Marxismus und Bolschewismus am meisten in eine neue Perspektive gerückt, weil sie mit der mehrtausendjährigen Geschichte der Linken bzw. des »Aufbegehrens« verknüpft werden. Sie werden jedoch deshalb nicht ihrer Individualität beraubt: durch die Einbeziehung »bürgerlicher« Konzeptionen wie derjenigen der Klassischen Nationalökonomie machte der Marxismus den Sozialismus »weltgeschichtsfähig« (S. 531), und am Bolschewismus wird die durchaus unmarxistische, gegen eine Mehrheit der Bevölkerung gerichtete Vernichtungsintention hervorgehoben. Daß sowohl Marxismus wie Bolschewismus »der Linken« zuzuzählen sind, wird indessen als selbstverständlich angesehen.

((24)) Der radikalfaschistische Nationalsozialismus Hitlers wird, wie im »Faschismus in seiner Epoche«, als Erscheinungsform der »Gegenrevolution« betrachtet. Aber es werden ihm keine so tiefreichenden historischen Wurzeln zuerkannt wie dem Marxismus und dem Bolschewismus. Zwar mag man in Sulla den Führer einer Gegenbewegung gegen eine Linke erblicken, aber alle Gegenbewegungen dieser Art waren so eng an die jeweiligen sozialen Zustände gebunden, daß von einer Ähnlichkeit der führenden Figuren nach dem Muster der Egalitätsideologen keine Rede sein kann. Der italienische Faschismus war die erste abwehrende, »antikommunistische« Volksbewegung, die ihren Führer in das höchste Staatsamt brachte, und eben deshalb wies er, nicht anders als der Nationalsozialismus, auch »linke Züge« auf. Aber trotz der stärkeren Herausstellung des antibolschewistischen Impulses wird das negative Urteil über die historische Rolle nicht zurückgenommen: sie besteht im Widerstand gegen Transzendenz, d.h. den Übergang in die Nachgeschichte. Deutlicher als in den früheren Werken wird der Zweite Weltkrieg als Kampf um die »Nachgeschichte« zwischen zwei historischen Kräften gekennzeichnet, die zugleich das Gegenteil ihrer selbst an sich tragen, denn der radikale Partikularismus des nationalsozialistischen Staates mußte in seiner Tendenz zum »Rassenstaat« so viele universalistische Züge in sich aufnehmen, daß er seine ursprüngliche Sache, die deutsche Nation, sogar im Falle eines Sieges zerstört hätte, und der Universalismus des Bolschewismus war so sehr durch die russische Partikularität geprägt, daß er kein glaubwürdiges Gesicht der planetarischen Einheit darzubieten vermochte. Ähnliches läßt sich vermutlich auch über die Auseinandersetzungen des Kalten Krieges sagen, und die Frage, ob die nach 1991 als »einzige Weltmacht« geltenden USA nicht eher »imperialistisch« als universalistisch sind, kann noch nicht als beantwortet gelten. Für den Nationalsozialismus bedeutet das, daß er mit seinem Versuch der »Verteidigung der Geschichte« vollständig scheiterte, da er sich letzten Endes ebenfalls von einem »archaischen« Ideal leiten ließ, nämlich der Vorstellung einer ganz und gar gesunden, durch keine »Ideologie« geschwächten Kriegergesellschaft, aber daß auf ihn wie auf den Bolschewismus bei aller grundsätzlichen Feindschaft der Begriff der »Tragödie« Anwendung finden darf: das nicht grundlos Großgewollte entfaltet sich rasch zum Schrecklichen und scheitert nicht bloß an den Feinden, sondern auch an sich selbst.

((25)) Das scheinbare Schwanken des Autors zwischen grundsätzlicher Bejahung der »Linken« sowie des »Fortschritts« und der Sympathie für das »Reaktionäre« und das Hinschwindende - ein Schwanken, das sogar dem Urteil über den Bolschewismus und den Nationalsozialismus die Eindeutigkeit nimmt - hat seine Ursache darin, daß die »Kehrseiten« noch nachdrücklicher als im »Faschismus in seiner Epoche« in die Betrachtung einbezogen werden. Zwar ist es eine unumstrittene, ja triviale Forderung, daß der Historiker die »Komplexitäten« der Dinge und Verhältnisse herauszuarbeiten und sich einer »multikausalen« oder »multifaktoriellen« Betrachtungsweise zu befleißigen hat, aber gerade bei den fundamentalen Gegebenheiten wird oft genug das Vorliegen einfacher Kehrseiten nicht akzeptiert. Der »fortschrittlich Gesinnte« muß, so scheint es, den Übergang in die Nachgeschichte oder die Weltzivilisation rückhaltlos bejahen und fördern; der »Liebhaber der Geschichte« darf dagegen aus seiner Ablehnung keinen Hehl machen. Ich habe in diesem Buch einen anderen Weg eingeschlagen, den man als Zurückweisung der Verführung durch die wohltuenden Konzeptionen der »Kehrseitenlosigkeit« bezeichnen mag, als Widerstand gegen die Glorifizierung, aber auch gegen die schlichte Verdammung geschichtlicher oder nachgeschichtlicher Realitäten. Man mag ebenso von der Hochhaltung des Prinzips des geschichtswissenschaftlichen »Verstehens« sprechen, und wie wenig selbstverständlich dieses Prinzip ist, zeigt ja schon die verbreitete Empörung, die sich gegen den Versuch der Anwendung auf den Nationalsozialismus und gegen die Verneinung der These richtet, in diesem habe das »absolute Böse« Gestalt gewonnen, obwohl doch jeder Historiker weiß oder wissen sollte, daß die Nationalsozialisten ebenfalls ein »absolutes Böses« entdeckt zu haben glaubten.

((26)) Und jener Teil »D« über die Gegenwart, der die aktuelle Diskussion zu den im »Schema der historischen Existenz« entwickelten Existenzialien verfolgt (S. 597-668), macht ja überaus deutlich, wie sehr die ehemals so klaren Linien zu verschwimmen beginnen, d.h. mit welcher Entschiedenheit radikale Linke sich gegen »den Fortschritt« stellen und wie sehr ausgesprochene »Rechte« oder »Konservative« das Konzept der ökonomischen Globalisierung und der technokratischen Effizienz sich zu eigen machen. Es ist daher von vornherein wahrscheinlich, daß man aus den weitreichenden Übersichten über die gegenwärtigen Auseinandersetzungen zu Problemen der Nachgeschichte - zur »wissenschaftlich-technischen Konkurrenzökonomie«, zur Ökologie, zu Bevölkerungsexplosion und Bevölkerungsschwund, zur Vielfalt der Linken, zum Machtverlust der Staaten und zur Schwächung oder Bewahrung des Geschichtsbewußtseins - beliebige Stücke für Auffassungen des Autors erklären und mit großer Entschiedenheit ablehnen kann. So mag es als »Antifeminismus« gelten, wenn im Kapitel über die Linke die »Vernichtung der Männer« für ein tendenzielles Ziel des radikalen Feminismus erklärt wird, aber die Bemerkung will nur die extremste Erscheinungsform der Vernichtungsintention der Linken überhaupt kenntlich machen, während das auch heute noch utopisch scheinende Streben nach einem Frauenanteil von 50% an allen führenden Positionen als grundsätzlich legitim und im Rahmen des Liberalen Systems erreichbar verstanden wird. (S. 630 ff.)

((27)) Die Berücksichtigung der »Kehrseiten« wurde, wie gezeigt worden ist, auch im »Faschismus in seiner Epoche« schon verlangt und praktiziert, aber ich kann nicht leugnen, daß sich eine gewisse Akzentverschiebung wahrnehmen läßt und daß hier und da die Kehrseiten des grundsätzlich Bejahten stärker hervortreten als in dem früheren Buch. Dazu gehört nicht nur der Terminus »Liberismus« zwecks Kennzeichnung der durch Individualismus und Hedonismus charakterisierten Gegenwart des »Liberalen Systems«, sondern vor allem die freilich hypothetische Bildung des Begriffs »Transzendenz zum Untergang« (S. 621 **), der vierzig Jahre zuvor allenfalls in der Metapher des »Marterholzes« angedeutet war (s. oben ((9))), der aber doch heute in den Reden über die »Selbstabschaffung des Menschen« mittels der Entwicklung intelligenter Computer beinahe schon populär und modisch geworden ist.

((28)) Die eigentliche Problematik der Hervorhebung der »Kehrseiten« und damit auch der Verkehrungen und Paradoxien im bisherigen Geschichtsverlauf wird jedoch erst angesichts desjenigen Themas offenbar, dessen Umfang den klarsten Unterschied zu den früheren Büchern ausmacht, nämlich des Themas »Israel und das Judentum«. Die Berührung dieser Thematik, welche sich nicht auf die üblichen Klagen und Anklagen beschränkt, gilt zumal in Deutschland als der Tabubruch schlechthin, und dafür gibt es in dem Tatbestand des »Holocaust« oder der »Shoah« nur allzu gute und einleuchtende Gründe. Das Nachdenken beginnt indessen erst mit den folgenden Überlegungen:

Wenn der Nationalsozialismus der Hauptgegenstand ist, können und müssen die Juden vor allem als »Opfer« erscheinen - allerdings könnte schon hier die Frage gestellt werden, ob bloße, passive Opfer mit Recht als »Stellvertreter bei dem verzweifeltsten Angriff, der je gegen das menschliche Wesen und die Transzendenz in ihm geführt wurde« (**) bezeichnet werden dürften. Wenn aber »die Nachgeschichte« im Vordergrund steht, dann müssen die Juden als Vorkämpfer und Engagierte einen großen Raum einnehmen. Zwar ist es nicht richtig, daß nur die Juden von altersher durch ihren »Messianismus« geprägt gewesen seien, aber aus unterschiedlichen Gründen dürfen Perser, Chaldäer, Russen und Polen mit ihnen nicht auf eine Stufe gestellt werden. Man darf die Juden das »Volk der Nachgeschichte« nennen; denn kein Volk hat je so lange und so hartnäckig einem »ganz anderen«, aber diesseitigen Zustand entgegengeharrt. Es bedeutet eine unfaßbare Mißachtung und Geringschätzung der Juden, wenn angenommen wird, sie hätten in einer Epoche, in der es um ihre eigenste Sache ging, keinen Anteil an den Kämpfen genommen und in völliger Harmlosigkeit und Angepaßtheit dahingelebt. Zwar trifft eine solche Kennzeichnung auf einen Großteil der deutschen und der europäischen Juden zu, ohne daß damit eine individuelle Herabsetzung verknüpft sein könnte, aber die Wortführer und Protagonisten lebten aus der uralten Tradition heraus, und Chaim Weizmann stellte in seiner Autobiographie mit Nachdruck fest, im Kampf gegen das »Nazi-Monster« sei niemand fanatischer bestrebt gewesen, einen Beitrag zu der gemeinsamen Sache zu leisten, als »die Juden« '. Und einer der geistreichsten Juden der Gegenwart, nämlich George Steiner; nannte den Marxismus »diesen ganz und gar jüdischen ((Judaic)) säkularen Messianismus«.

Aus diesem Ansatz heraus läßt sich im Hinblick auf die »Epoche des Faschismus« nur eine einzige wirklich konsequente Folgerung ableiten: »Die Juden kämpften als das Volk der Nachgeschichte in engstem Bündnis mit den nachgeschichtlichen Mächten, der bolschewistischen Sowjetunion und den USA, mit allen Mitteln gegen das 'Monster', das sie als das 'absolute Böse' auffassen mußten. Sie waren an allen Fronten das eigentliche 'Feindvolk' des Nationalsozialismus.«

((29)) So zwingend sich diese Konsequenz gerade aus den Aussagen führender Juden ergibt, so sehr wird sie in Deutschland von dem mächtigsten aller Tabus getroffen; denn daraus scheint sich die untragbarste aller Folgerungen zu ergeben: daß Hitlers Antisemitismus kein bloßer Wahn war und daß man sehr wohl, ähnlich wie von dem »jüdischen Marxismus«, von dem »jüdischen Bolschewismus« sprechen darf, wenngleich keineswegs ganz zu recht. Die immerhin mögliche Auffassung jedoch, daß der Kampf so vieler Juden auf seiten des Bolschewismus »das absolute Gute« gewesen sei, vertritt niemand, und sie wird nicht einmal in Erwägung gezogen; denn allzuviel spricht dagegen. Schon im September 1918 schrieb der berühmte jüdische Historiker Simon Dubnov nach den Attentaten von Fannija Kaplan und Leonid Kannegiesser gegen Lenin und Uritzki folgendes: »Es ist gut, daß gerade Juden diese Tat vollbracht haben. So haben sie die furchtbare Schuld gesühnt, mit der sich Juden durch die Beteiligung am Bolschewismus beladen haben.«

Wenn ein Satz wie dieser in Deutschland auch nur zitiert wird, ist gleich der Verdacht übermächtig, der Zitierende wolle Hitler und den Holocaust rechtfertigen. Aber Dubnov, der im Kriege selbst ein Opfer des Holocaust wurde, schreibt »Juden« und nicht »die Juden«, und in dem Gebrauch des bestimmten Artikels, in der »kollektivistischen Schuldzuschreibung«, liegt Hitlers eigentliches Unrecht, nicht in konkreten Behauptungen, die falsch oder richtig sein mochten. Doch selbst wenn er mit seiner extremsten These Recht gehabt hätte und wenn tatsächlich »die Juden« ebenso für das Unheil der Gegenwart verantwortlich gewesen wären, wie nach der komplementären - und ursprünglicheren - Auffassung der Marxisten der Kapitalismus und die Kapitalisten, wäre eine Massentötung von Wehrlosen moralisch auf das schärfste zu verurteilen und ginge die Rede von der »Rechtfertigung« ins Leere. Das heute greifbarste Unrecht ist auf der Seite derjenigen zu finden, welche eine ernsthafte Einbeziehung des Nationalsozialismus in den Zusammenhang der Epoche nicht zulassen wollen, einfache Einsichten mit dem Stigma des Verbotenen belegen und sich weigern, einleuchtende Unterscheidungen wie etwa diejenige von »sozialer« und »biologischer« Vernichtung vorzunehmen, welche mithin das wichtigste aller Postulate der Geschichtswissenschaft, nämlich das Verstehenwollen, das die Voraussetzung auch ganz negativer Urteile sein sollte, in bezug auf Hitler und den Nationalsozialismus in einer eigenartigen Mischung von Moralismus und Opportunismus ablehnen. So wollen sie nicht wahrhaben, daß jene angebliche Rechtfertigung Hitlers in Wahrheit zu der These führt, im Zeitalter der Weltkriege habe die »jüdische Idee«, nämlich der uralte Menschheitstraum von einem ganz anderen, nicht mehr »geschichtlichen« Zustand, den Sieg errungen.

((30)) Es läßt sich indessen nicht leugnen, daß die Dinge sehr viel komplizierter werden, wenn die »kehrseitenlose Glorifizierung« auch im Hinblick auf die Nachgeschichte verneint wird, da ihr von vielen Seiten so viel an verständlicher Kritik gilt, und das muß sich auch auf das Urteil über den »Sieg der jüdischen Idee« auswirken. Tatsächlich ist der »Antisemitismus« in der Gegenwart ja keineswegs auf einen winzigen »lunatic fringe« zurückgedrängt, sondern er ist in der »post-modernen« Kritik am okzidentalen Logozentrismus und in der feministischen Anklage gegen den fanatischen Patriarchalismus der Priester und Propheten des Alten Testaments höchst lebendig, obwohl immer sorgfältige Kautelen vorgebracht werden, die gegen den verheerendsten aller Vorwürfe schützen sollen, so offen man sich in der Regel zum »Antiamerikanismus« und zum »Antigermanismus« bekennt. Ich bin mir darüber im klaren, daß die These vom »Sieg der jüdischen Idee« mit einem negativen Akzent versehen werden und möglicherweise eines Tages zu politischen Zwecken instrumentalisiert werden kann. Aber das ist nicht Grund genug, Einsichten zu verleugnen, die in einem langen Denkprozeß errungen wurden, und ich bin einigermaßen zuversichtlich, daß meine Auseinandersetzung mit der Rede, die der israelische Präsident Escher Weizman 1996 im Deutschen Bundestag gehalten hat (S. 658 ff.), eines Tages einen historischen Punkt markieren wird, nämlich den Punkt, wo zwischen Deutschen und Juden das Nachdenken an die Stelle des bloßen Ausdrucks von verständlichen, ja gerechtfertigten Emotionen getreten ist.

((31)) Ich habe allerdings wenig Hoffnung, daß deutsche Rezensenten in absehbarer Zeit anerkennen könnten, ein wissenschaftliches Motiv, nämlich der Wunsch nach der Herstellung einer mehrseitigen Betrachtungsweise auch in bezug auf »heikle« Themen, sei für die Niederschrift eines Buches wie der »Historischen Existenz« maßgebend gewesen. (**). Deshalb brauche ich jedoch nicht in Abrede zu stellen, daß eine Bezugnahme auf aktuelle Probleme nicht ganz selten leicht zu erkennen ist. Wenn vermerkt wird, daß Polybios die größere Kraft Roms im Kampf gegen Karthago gerade dadurch erklärt, daß Rom noch nicht so »fortgeschritten« war wie Karthago (S. 389), so könnte darin ein affirmativer Hinweis auf das Deutschland Bismarcks (das mit weitem Abstand fortschrittlichste Land der Welt! Anm. HB **) enthalten sein, und wenn der Terminus »kumulative Radikalisierung« verwendet wird, um die Entstehung eines zunächst von niemandem gewollten Resultats während der ersten Jahre der französischen Revolution zu erklären (S. 506), so ist darin sicherlich eine Kritik an einem innerhalb der gegenwärtigen »Sozialgeschichte« zwecks Herleitung des »Holocausts« vielgebrauchten Begriff enthalten. Aber solcher »Demaskierungen« bedarf es gar nicht; denn schon im ersten Teil des Buches wird gesagt, wer sich mit ägyptischen Pyramiden oder kanaanäischen Mythen beschäftige, der weiche nicht notwendigerweise vor der Gegenwart aus, sondern deren Fragen träten ihm nur in neuer Form gegenüber. (S. l40)

((32)) Nun dürfte deutlich geworden sein, daß die erste Frage am Anfang dieser Abhandlung unrichtig gestellt war: nicht ein »Zeithistoriker« wandte sich in einem späten Zeitpunkt der »Weltgeschichte« zu, sondern ein Philosoph, der mit Platon und dem Denken des »Deutschen Idealismus« weit vertrauter war als mit irgendeinem Gebiet der Geschichtswissenschaft, erarbeitete sich auf der Grundlage von weit zurückreichenden Motiven ein nahezu unerschlossenes zeitgeschichtliches Thema, nämlich dasjenige des »Faschismus in seiner Epoche«, aber er gab deshalb die philosophische Fragestellung nicht auf, und das wurde von seiten fast aller zeitgenössischer Verfasser von Rezensionen oder Artikeln wahrgenommen und nahezu durchweg gebilligt.

((33)) Die eigentliche Ausgangsfrage aber, wo das letzte Resultat dieses Ansatzes, nämlich das Buch über die »Historische Existenz«, zwischen Universalgeschichte und Geschichtsphilosophie einzuordnen sei, kann jetzt in wenigen Sätzen beantwortet werden: Es gibt keinen klar abgegrenzten Bedeutungsgehalt von »Universalgeschichte«, und sogar die Grenze zur »Weltgeschichte« ist undeutlich oder gar nicht vorhanden. Schon Bossuet verwendet den Begriff in dem Titel seines Werkes von 1681, aber bei ihm handelt es sich um eine Geschichtstheologie. Man kann National-, ja Regionalgeschichten unter universalgeschichtlichen Perspektiven schreiben, etwa denjenigen von zunehmender »Rationalisierung« oder,Individualisierung«. Man darf jedoch auch von Universalgeschichten sprechen, wenn man die vielen Bände der »Cambridge (New) History« oder der »Peuples et Civilisations« im Auge hat. Aber in welcher konkreten Bedeutung auch immer von »Universalgeschichte« die Rede sein mag, so ist sie weitaus reicher an Details und zusammenhängender Erzählung als die »Historische Existenz«. In jeder Universalgeschichte muß sich die unermeßliche Fülle der geschichtlichen Ereignisse, wie »konstruiert« oder gar »erfunden« der Zusammenhang sein mag, in etwa spiegeln, wenngleich, wie sich versteht, nur höchst approximativ.

Aber auch eine Geschichtsphilosophie, die notwendigerweise einen unvergleichlich selektiveren Charakter hat, ist von ganz anderer Art als die »Historische Existenz«. Die Geschichtsphilosophen verfolgen nach dem großen Muster Hegels einschließlich Spenglers und Toynbees in der Geschichte einen »roten Faden«, wie etwa den »Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit« oder den unaufhaltsamen Übergang der Kultur in bloße Zivilisation oder die allmähliche Herausbildung des »Weltstaats«, mit großer Bestimmtheit und Zuversicht; ernste Zweifel und das Offenhalten von Alternativen spielen keine nennenswerte Rolle. Das Resultat des Nachdenkens in der »Historischen Existenz« könnte man dagegen folgendermaßen formulieren: die Geschichte geht notwendigerweise in die »Nachgeschichte« über, aber es könnte weit mehr an »Geschichte« in der Nachgeschichte erhalten bleiben, als die Lobredner einer harmonischen und konfliktfreien »Weltzivilisation« sich vorstellen, und eben diese Weitzivilisation könnte den Menschen noch viel weiter über sich selbst hinausführen, als die kühnste Vorstellungskraft noch in der Mitte des 20. Jahrhunderts annahm. (**). Ein hoher Grad von Zufälligkeit und Kontingenz wird auch in der Nachgeschichte vorhanden sein, und diese Unsicherheit muß in dem Nachdenken ihre Entsprechung haben, welches »das Ganze« in den Blick nimmt und eben diesem Ganzen nie auch nur annähernd adäquat sein kann. Daher ist die Reflexion über die »historische Existenz« weder als Universalgeschichte noch als Geschichtsphilosophie zu bezeichnen, sondern als Geschichtsdenken, das die überwältigende Masse der historischen Details weit stärker als die Universalgeschichte unter leitende Gesichtspunkte bringen muß und doch nicht zum Diener einer geschichtsphilosophischen Fundamentalkonzeption werden darf. (**).“ (Zitat-Ende).

 

Zitate: Hubert Brune, 2001 (zuletzt aktualisiert: 2009).

 

Anmerkungen:


Das „Liberale System“ ist laut Ernst Nolte u.a. dadurch charakterisiert, daß zu ihm wie selbstverständlich auch der Links-Sozialismus (z.B. Kommunismus, Marximus u.ä.) und der Rechts-Sozialismus (z.B. Faschismus, Nationalsozialismus [„Radikalfaschismus“, so Nolte] u.ä.) gehören. „Erst viel später wurde mir der Begriff des »Liberalen Systems« geläufíg, welches in seinem Ursprung das »europäische System« des Neben- und Miteinanders geschichtlicher Kräfte ist, die zunächst den Gegner vernichten wollen und sich doch damit begnügen müssen, ihn zu schwächen und zurückzudrängen, um dann an seiner Seite einen Platz einzunehmen, der den eigenen Erwartungen nicht entsprach, der aber das Ganze reicher und vielfältiger sein läßt, als der Teil es mit seinem Abolutheitsanspruch je hätte sein können. So erging es dem Protestantismus, der Aufklärung, dem Positivismus und der Lebensphilosophie, und schon in der Einheit des »mittelalterlichen« Katholizismus gab es eine Spaltung oder - besser - eine Differenzierung zwischen Staat und Kirche, zwischen Monarchie und Adel, zwischen Bürgerstädten und Landbevölkerung. Bis in die jüngste Zeit ist keiner dieser Faktoren völlig untergegangen ....“ (Ernst Nolte, Der kausale Nexus, 2002, S. 340-341 **). Vgl. auch die im „Liberalen System“ enthaltenen „Liberalismus“ und „Liberismus“.

Der Begriff „Liberismus“ „sucht ein bestimmtes Entwicklungsstadium dessen zu fassen, was ich das »Liberale System« genannte habe. »Liberismus« ist ein Entwicklungsmoment dieser vielpoligen Gesellschaft, mit dem der Liberalismus in gewisser Weise totalitär wird. Aber der totalitäre Liberalismus weist grundsätzlich andere Merkmale auf als andere Totalitarismen: er ist hedonistischer Individualismus und damit die Verneinung des Begriffs der Pflicht. Insofern ist der liberale Totalitarismus von präzendenzloser Art.“ (Ernst Nolte, in: JF, 03.07.1998 **). Der Liberalismus ist ja schon von seinem Anfang an verknüpft mit dem Glauben an den Individualismus und tendiert zum Anarchismus; darum verwundert es nicht, daß er, indem er immer totalitärer wird - als „Liberismus“, so Nolte -, den endgültigen Untergang der Gemeinschaft bedeutet. Darüber hinaus ist der Liberalismus der Grund für sein eigenes Verschwinden, denn er muß ja gemäß seines Selbstverständnisses auch tolerant gegenüber denjenigen sein, die ihn abschaffen.

„Eine gewisse Kehrseite wird auch im »Faschismus in seiner Epoche« herausgestellt und zwar in der Anmerkung zum Zionismus auf S.607 f., wo es heißt, kein Phänomen sei besser geeignet als der Zionismus, Licht auf die Natur des Nationalsozialismus zu werfen. Man werde dem Nationalsozialismus Denkweisen und Begriffe nicht von vornherein negativ anrechnen dürfen, die auch im Judentum so weite Verbreitung gefunden hätten (etwa Rasse, Entartung, Volksverrat, Kolonisierung, Irrlicht der allgemeinen Völkerverbrüderung u.ä.). Aber dann heißt es, für das Judentum sei dasjenige eine Realität gewesen, was im Nationalsozialismus eine pathologische Angst sich bloß vorgeträumt habe, nämlich der drohende Untergang des Volkes. Eben dadurch erweise sich der Widersinn der zentralen These des Nationalsozialismus, nämlich daß die Juden, die doch so sehr unter den Folgen der Emanzipation litten, deren Ursache seien.“ (Ebd.).

„Bislang sind meines Wissens der »Historischen Existenz« nur ein gutes Dutzend Rezensionen in Tageszeitungen zuteil geworden. Sie sind fast durchweg dadurch gekennzeichnet, daß sie die Kritik an der »Kehrseitenlosigkeit« nicht ernst nehmen und so gut wie ausschließlich die in den Augen der Rezensenten »anstößigen« Wendungen hervorheben.“ (Ebd.).

„Mit einer volkstümlichen Wendung ließe sich das so ausdrücken: die Geschichte war das Sich-Herauskämpfen der Menschheit aus der Enge, aber in der reinen Weite der Nachgeschichte könnte es für den Menschen kälter werden als je zuvor.“ (Ebd.).

„In Parallele dazu kann hinsichtlich der konkreten Gesellschaften, Nationen und Kulturen gesagt werden, daß sie in der Vorbereitung auf die Nachgeschichte jeweils eine neue Zusammengehörigkeit von Selbstkritik und Selbstbehauptung sich erarbeiten müssen, welche auf je verschiedenartige Weise zwischen den Polen von Selbstglorifizierung und Selbstverdammung zu lokalisieren wäre. In bezug auf den Okzident wird die Maxime ausdrücklich artikuliert: »Wenn ein in die Defensive geratener Okzident - und Israel und Deutschland gehören ebensosehr dazu wie die USA - nicht bloß materiell, sondern auch mental oder spirituell überleben will, dürfen diese Extreme nicht zustande kommen oder erhalten bleiben.« (S. 660 **). Das ist nicht eine politische Aussage, sondern sie geht aus dem Ansatz des »Geschichtsdenkens« mit großer Konsequenz hervor.“ (Ebd.).

Der „Historikerstreit“wurde ausgelöst durch einen von Ernst Nolte (1923-2016) für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 06.06.1986 geschriebenen Artikel. Dem Text lagen Gedanken zu Grunde, die er bereits am 24. Juli 1980 in einem Artikel der FAZ geäußert hatte. Wer die „Hitlersche Judenvernichtung“ nicht in einem bestimmten Zusammenhang sehe, so schrieb Nolte, „verfälscht die Geschichte“, denn „Auschwitz resultiert nicht in erster Linie aus dem überlieferten Antisemitismus und war im Kern nicht ein bloßer »Völkermord«, sondern es handelte sich vor allem um die aus Angst geborene Reaktion auf die Vernichtungsvorgänge der Russischen Revolution.“ Außerdem meinte Nolte: „Es wird sich kaum leugnen lassen, daß Hitler gute Gründe hatte, von dem Vernichtungswillen seiner Gegner sehr viel früher überzeugt zu sein als zu dem Zeitpunkt, wo die ersten Nachrichten über die Vorgänge in Auschwitz zur Kenntnis der Welt gelangt waren.“ Denn bereits vor dem 1. September 1939 - also: vor Kriegsausbruch - hat Chaim Weizmann als Präsident des jüdischen Weltkongresses und der Jewish Agency for Palestine offiziell geäußert, daß: „die Juden in aller Welt in diesem Krieg auf der Seite Englands kämpfen würden.“ Dies begründe nach Noltes Meinung die These, „daß Hitler die Juden als Kriegsgefangene … behandeln und internieren durfte.“ (Rudolf Augstein u.a.: Historikerstreit, 1987, S. 24). Einen weiteren Anstoß der Debatte bedeutete für die Kritiker das Buch „Zweierlei Untergang“ des Historikers Andreas Hillgruber (1925-1989). In dem Buch parallelisierte Hillgruber den „Holocaust“ mit dem Zusammenbruch der Ostfront und der danach erfolgten Flucht und Vertreibung. – Der Historikerstreit wurde also zweimal, d.h. durch zwei Artikel von Nolte in der FAZ (24.07.1980, 06.06.1986) ausgelöst, obwohl ihm ja Gedanken aus dem Artikel vom 06.06.1986 zugrunde liegen. Der Wissenschaftler behauptet darin, der Archipel Gulag habe „das logische und faktische Prius“ vor Auschwitz, das heißt, der „Rassenmord“ der Nationalsozialisten sei nur aus Furcht vor dem älteren „Klassenmord“ der Bolschewisten entstanden. Der Mord an den Juden, der schon in seinen älteren Thesen nicht zum Wesenskern des Faschismus gerechnet wurde, sei nur eine „überschießende Reaktion“ auf die Gräuel der Oktoberrevolution und habe damit einen „rationalen Kern“. Diese These erweiterte er zur Behauptung eines „europäischen Bürgerkriegs“ von 1917 bis 1945. Nolte rückt hier Kommunismus, Faschismus und Nationalsozialismus recht eng aneinander, weshalb seine Thesen nach Meinung der Kritiker auf eine nivellierende Variante der Totalitarismusthese oder gar Geschichtsrevisionismus hinauslaufen. Auch stilisiert er den von jüdischer Seite als Reaktion auf antisemitische Ausschreitungen gestarteten Boykott deutscher Waren im Ausland und die Bekanntgabe einer „Kriegserklärung“ für einen Finanz- und Wirtschaftskrieg im Daily Express vom 24.03.1933 sowie die Loyalitätsbekundung Chaim Weizmanns von 1939 für England zur Kriegserklärung der Juden an das Deutsche Reich und erklärt so die mit Kriegsbeginn eskalierende Judenverfolgung des NS-Regimes als eine „Gegenmaßnahme“. - „Gerade diejenigen, die am meisten und mit dem negativsten Akzent von »Interessen« sprechen, lassen die Frage nicht zu, ob bei jenem Nichtvergehen der Vergangenheit auch Interessen im Spiel waren oder sind. Etwa die Interessen der Verfolgten und ihrer Nachfahren an einem permanenten Status des Herausgehoben- und Privilegiertseins. Die Rede von der »Schuld der Deutschen« übersieht allzu geflissen die Ähnlichkeit mit der Rede von der »Schuld der Juden«, die ein Hauptargument der Nationalsozialisten war. Alle Schuldvorwürfe gegen »die Deutschen«, die von Deutschen kommen, sind unaufrichtig, da die Ankläger sich selbst oder die Gruppe, die sie vertreten, nicht einbeziehen und im Grunde bloß den alten Gegnern einen entscheidenden Schlag versetzen wollen.“ (Ernst Nolte, Die Vergangenheit, die nicht vergehen will, in: F.A.Z., 06.06.1986 **).

 

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- Literaturverzeichnis -