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Prägnant und möglichst knapp formulierte Gedanken

von

Josef H. Reichholf (*1945)

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„Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen Biodiversität und Temperatur. Von den Polrandgebieten über die gemäßigten Breiten bis zum Äquator steigt die Artenzahl exponentiell. Man kann es auf die Formel bringen: Je wärmer ein Lebensraum ist, desto artenreicher ist er auch.“
Josef H. Reichholf, in: Spiegel, 19, 2007, S. 156

Seßhaftigkeit paßte gar nicht zur natürlichen Entwicklung der Art Mensch; sie brachte in der Tat die größten Schwierigkeiten mit sich. Das gilt bis heute. Immer wieder bricht sich der tiefverwurzelte Nomadismus der Menschen Bahn.“
Josef H. Reichholf, Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends, 2007, S. 20

„Die Kirche verstand es, die Bereitschaft zur Buße zu nutzen. Ablaßzahlungen sollten helfen (wie in unserer Zeit die »Klimasteuer«).“
Josef H. Reichholf, Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends, 2007, S. 96

„Wo ... die Ressourcen reichlich zur Verfügung stehen, vereinheitlicht die verstärkte Nutzung. Aus Vielfalt wird Einförmigkeit.“
Josef H. Reichholf, Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends, 2007, S. 144

„Es ist der »Ertrag« der unsere Sicht der Natur bestimmt! Nach wie vor verhält es sich so. Naturschützer werden für »Romantiker« gehalten.“
Josef H. Reichholf, Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends, 2007, S. 146

„Unsere Vorstellungen von Natur formten und prägten im 19. Jahrhundert vier geistesgeschichtliche Hauptströmungen. Sie lassen sich an die Namen von vier Personen binden: Goethe, Brehm, Darwin und Haeckel. Diese Großen Vier vertreten die idealistische, die anthropomorphe, die evolutionäre und die ökologische Sicht der Natur.“
Josef H. Reichholf, Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends, 2007, S. 147

„Idealistisch suchte Goethe nach der »Urpflanze« als dem idealien Bild oder Typ aller Pflanzen. Für eine noch stark wertende, auf den Menschen bezogene (also anthropomorphe) Darstellung der Tiere steht Brehms Tierleben. Es vermittelt neben Kenntnissen zur Lebensweise der Tiere auch viel Moralisches. Charles Darwin entdeckte mit Variation und natürlicher Auslese (Selektion) zwei der Hauptursachen des Wandels in der Natur und begründete damit die biologische Evolution. Mit Darwin kamen Zeit und Veränderung in die Natur. Ernst Haeckel schließlich stellte die Lebewesen in einen großen Naturhaushalt hineien. Auf ihn geht die Wissenschaft der Ökologie zurück.“
Josef H. Reichholf, Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends, 2007, S. 147

„Geschichtlich eingebunden waren sie (Goethe, Brehm, Darwin, Haeckel) in die Hauptzeit des Kolonialismus. Die Europäer versuchten in jenem Jahrhundert, sich die ganze Erde zu unterwerfen. Begründungen hierfür holten sie sich, ganz direkt oder über die Fortschritte ihrer Naturforschung, auch aus der Natur.“
Josef H. Reichholf, Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends, 2007, S. 147

„Darwins berühmtestes Buch über den Ursprung der Arten trug im Titel den Ausdruck der »begünstigten Rassen« (favoured races). Vielleicht ist es nicht allzu überzogen anzunehmen, daß damit auch einem allgemeinen Gefühl jener Zeit Ausdruck verliehen worden war, sich als die Erfolgreichsten durchgesetzt zu haben im Überlebenskampf mit der Natur, die so lange so hart mit den Menschen umgegangen ist.“
Josef H. Reichholf, Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends, 2007, S. 147

„Bereits Carl von Linné (und nicht erst Charles Darwin) ordnete auch den Menschen unter die Tiere ein, und zwar als Gattung Homo zu den »Herrentieren« (Primaten) in nächster Nähe zu Schimpansen, Gorillas und Orang Utans. Denn sein System begründete sich eigentlich schon auf der natürlichen Verwandtschaft nach dem Prinzip von Arten, Fattungen, Familien und noch höheren Einheiten. .... Zudem gab er den Lebewesen eindeutige Namen mit der Gattung als Erstname und der Art als Zweitbezeichnung. Der Mensch wurde so zum Homo (Gattung) sapiens (Art), wie der Hund zu Canis (Gattung: Hunde) familiaris (Art: Haushund), während der Nächstverwandte (und Stammvater aller Hunde, wie wir inzwischen wissen), der Wolf, Canis lupus heißt. Zusammen mit einer ganzen Reihe weiterer Arten, die zum »Typ« der Hunde gehören, bilden sie die Familie der Hundeartigen (Canidae).“
Josef H. Reichholf, Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends, 2007, S. 148

„Je natürlicher die Städter leben, desto verklärter wird ihre Sicht der Natur. Ihre Romantik durchdringt von Anfang an den Naturschutz. Die Landbevölkerung sieht das ganz anders, nämlich nahezu ausschließlich aus dem Blickwinkel der Nützlichkeit. Daran wird sich auch nichts wesentlich mehr ändern.“
Josef H. Reichholf, Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends, 2007, S. 154

„Der Katastrophismus ... bekommt ... immer mehr Zulauf. Längst glauben im (christlichen!) Abendland mehr Menschen an ein katastrophales Ende als an eine bessere Zukunft.“
Josef H. Reichholf, Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends, 2007, S. 170

„Nichts veränderte im ganzen letzten Jahrtausend die Natur in Europa und darüber hinaus weltweit so sehr wie die industrialisierte Landwirtschaft. Der globale »Impakt« der Industrie bleibt weit hinter dem der Landwirtschaft zurück.“
Josef H. Reichholf, Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends, 2007, S. 197

„Die Flußfischbestände erholten sich ... in solchen Flüssen am besten, die wie der Rhein zwar viel Industrie in seinem Lauf, aber keine großflächigen landwirtschaftlichen Intensivgebiete im Einzugsbereich haben.“
Josef H. Reichholf, Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends, 2007, S. 208

„Wer den Unterschied zwischen »physikalisch« und »biologisch« nicht berücksichtigt, kommt nicht nur in Gefahr, mit seinen Beurteilungen falschzuliegen, sondern gerät rasch in die Zone des Unseriösen.“
Josef H. Reichholf, Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends, 2007, S. 213

„Was bedeuten die Befunde von mehr als 200 Jahren Wetterverlauf am nördlichen Alpenrand? Lasen wir extreme Einzelereignisse beiseite, so geht aus ihnen zunächst hervor, daß die weit verbreitete Annahme, das Klima wäre in Mitteleuropa seit dem 19. Jahrhundert kontinuierlich wärmer geworden, schlicht und einfach falsch ist. Der ganze schwache Trend mag sich rein statistisch absichern lassen, aber er ist für die Natur gänzlich bedeutungslos.“
Josef H. Reichholf, Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends, 2007, S. 213

„Das Fazit ist eindeutig: Weit mehr als die Umweltverschmutzung hat die moderne Landwirtschaft den Artenreichtum der europäischen Landschaften beeinträchtigt und zu starken Rückgängen bei vielen Arten sowie zu flächigen Verlusten von besonderen Biotopen geführt.“
Josef H. Reichholf, Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends, 2007, S. 267

„So teilte sich die Welt in der Anfangszeit der Ära des Umweltschutzes global gesehen in zwei Großbereiche. Der fortschrittliche Westen, der dank seiner Wirtschaftskraft zumindest partiell die Belastungen nachhaltig vermindern konnte, und der große Rest, von dem manche geradezu das Recht auf Umweltverschmutzung einforderten, um in der Entwicklung nachziehen zu können. Die Wirkungen auf die Natur, auf die Lebensräume von Tieren und Pflanzen, standen - und stehen - dabei so gut wie nie zur Debatte. Wir stünden sonst ziemlich schlecht da. Denn unsere Erfolge im Umweltschutz schlagen sich bei weitem nicht so in der Umwelt nieder, in der nicht nur wir, sondern auch Pflanzen und Tiere leben, wie sie das sollten und wie es von der Bevölkerung, die für all diese Verbesserungen sehr viel gezahlt hat, erwartet wird.“
Josef H. Reichholf, Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends, 2007, S. 267-268

„Wie bereits ausgeführt, gehen die Hauptbelastungen in den mitteleuropäischen Landschaften von der Landwirtschaft aus. Es sind die von ihr ausgelöste Überdüngung und die Hilfsstoffe, die ins Grundwasser und in die Oberflächengewässer gelangen, an denen der Umweltschutz nicht angreifen kann, weil die Landwirtschaft von den Einschränkungen und Gegenmaßnahmen ausgenommen blieb.“
Josef H. Reichholf, Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends, 2007, S. 268

„Zwei Hinweise sollen dies verdeutlichen. So müssen alle 83 Millionen Menschen in Deutschland ihr persönliches Abwasser einer höchst kostspieligen Reinigung in modernsten Kläranlagen unterziehen lassen, während die drei- bis fünffache Menge, die von den Schweinen, Rindern und anderen Nutztieren erzeugt wird, gänzlich ungeklärt auf die Fluren gelangen darf und dort als »Wertstoff« eingestuft wird. Wenn, wie in den letzten Jahren immer wieder einmal geschehen, von einem chemischen Betrieb ein paar Kubikmeter eines »die Atemorgane reizenden Gases« austreten oder eine chemische Substanz gar in den Rhein gelangt, wird dies in den Hauptnachrichten im Fernsehen der Öffentlichkeit als Umweltkatastrophe kundgetan. Daß Mitteleuropa mehrfach im Jahr mit drei Schwerpunkten im zeitigen Frühjahr, im Hochsommer und im Spätherbst, fürchterlich zum Himmel stinkt, weil die Gülle ausgebracht wird, ist keiner Erwähnung wert. Ein halbes Jahrhundert Umweltschutz ging einher mit einer Entwicklung der Landwirtschaft zu industriebetriebsgleicher Bewirtschaftung. Die traditionell als Industrien eingestuften Betriebe wurden strengen Auflagen unterworfen, die industrialisierte Landwirtschaft jedoch nicht, obgleich sie mit Abstand am stärksten in der Fläche wirkt. Wer immer das für sinnvoll oder unumgänglich halten mag, muß umgekehrt begründen, warum die Einschränkungen für die klassischen Industrien und für die Bevölkerung insgesamt zumutbar gewesen sind.“
Josef H. Reichholf, Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends, 2007, S. 268-269

„Auf welcher Basis wird geurteilt? An dieser Frage drückt sich das Kernproblem des Umweltschutzes aus. Die Standards sind menschengemacht. Sie ergeben sich nicht von selbst aus der Natur. Denn diese ist nicht, wie von der großen Mehrzahl der Natur- und Umweltschützer angenommen wird, ein geschlossenes, wohlgeordnetes Haus der Natur, sondern offen und veränderlich.“
Josef H. Reichholf, Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends, 2007, S. 269

„Umweltschutzmaßnahmen »dienen« nicht automatisch der Natur. Der Naturschutz muß, sofern er die Erhaltung und Förderung freilebender Tiere und Pflanzen als eines seiner Hauptziele betrachtet, auch Umweltschutzmaßnahmen kritisch betrachten und auf ihre »Naturverträglichkeit« hin überprüfen dürfen.“
Josef H. Reichholf, Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends, 2007, S. 270

„Die Zunahme der Zahl der Menschen war weitgehend richtig prognostiziert worden. Daß sich das Anwachsen der Menschheit abschwächt, wird nicht nur nicht verheimlicht oder als zu geringfügig abgetan, sondern der Weltöffentlichkeit möglichst wahrheitsgetreu dargelegt. Inzwischen ist ersichtlich, daß auch der Mensch als biologische Art mit seiner »Bestandsentwicklung« dem allgemeinen biologischen Grundmuster folgt, das mit einem nahezu ungebremst exponentiellen Wachstum beginnt und nach Überschreiten der etwa halben Tragkraft der Umwelt (Umweltkapazität) abflacht und auf einen Grenzwert einschwenkt, der dieser entspricht.“
Josef H. Reichholf, Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends, 2007, S. 274

„Es gehört zu den besonders spannenden Aspekten der Evolution des Menschen und seiner Ausbreitung in die von den Tsetsefliegen bewohnten Feuchtsavannen und Regenwälder Afrikas, die Wirkung der Tsetsefliegen entsprechend zu berücksichtigen. In historischen Zeiten konnten nomadische Viehzüchter jedenfalls nicht, zumindest nicht für längere Zeit oder gar dauerhaft, den Tsetsegürtel Afrikas mit ihrem Vieh besiedeln.“
Josef H. Reichholf, Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends, 2007, S. 295-296

„Tsetsefliegen sind daher die besten Naturschützer Afrikas, ... vielleicht der Grund dafür, daß dort mit weitem Abstand auch das global nachhaltigste Großtierleben (an Land) erhaltenn geblieben ist. Ohne die Tsetsefliege hätten die Menschen vielleicht schon vor Jahrtausenden die großen Säugetiere ausgerottet, für die Afrika bewundert und um die es beneidet wird.“
Josef H. Reichholf, Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends, 2007, S. 296

„Auf rund 40 Prozent der Landfläche nimmt die Menschheit gegenwärtig starken Einfluß. Doch auch die übrigen drei Fünftel bleiben nicht frei von Auswirkungen menschlicher Tätigkeiten. .... Unberührte Natur im strengen Sinn der Bezeichnung gibt es nicht mehr. An kaum einem noch so entlegenen Ort wird ein Mensch, der dorthin gelangt, annehmen dürfen, noch nie vor ihm hätte ein Mensch seinen Fuß darauf gesetzt und seinen »ökologischen Fußabdruck« direkt oder indirekt hinterlassen.“
Josef H. Reichholf, Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends, 2007, S. 298-299

„Auf rund 40 Prozent der Landfläche nimmt die Menschheit gegenwärtig starken Einfluß. Doch auch die übrigen drei Fünftel bleiben nicht frei von Auswirkungen menschlicher Tätigkeiten. .... Unberührte Natur im strengen Sinn der Bezeichnung gibt es nicht mehr. An kaum einem noch so entlegenen Ort wird ein Mensch, der dorthin gelangt, annehmen dürfen, noch nie vor ihm hätte ein Mensch seinen Fuß darauf gesetzt und seinen »ökologischen Fußabdruck« direkt oder indirekt hinterlassen.“
Josef H. Reichholf, Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends, 2007, S. 299

„Die Natur verliert nichts, weil sie keine Person im Sinne des Menschen ist.“
Josef H. Reichholf, Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends, 2007, S. 300

„Wir Menschen sind das höchstentwickelte Lebewesen!“
Josef H. Reichholf, Evolution, 2007, S. 22

„Unter der Bezeichnung »Evolution« fassen die Biologie und Paläontologie alle Entwicklungen vom Ursprung des Lebens bis zu seiner heutigen Vielfalt zusammen. Die Erdgeschichte, die Geologie, kennt ähnliche Veränderungen, die mit der Entstehung der Erde und der Verschiebung der Kontinente auf ihrer Oberfläche zusammenhängen, verwendet aber den Ausdruck Evolution dafür kaum. Hingegen ist es in der Astronomie und insbesondere in der Kosmologie gebräuchlich, von der Evolution des Kosmos, der Galaxien, Sterne und Planeten zu sprechen. Begründet wird dies mit dem Hinweis auf die Erfahrung, daß die Zeit eine »Richtung« hat; also nur fortschreitet und nicht in sich wieder zurückkehrt oder Kreisläufe macht. Jedes Jahr auf der Erde, das wir selbst erleben, trägt diese Richtung in sich. Das letzte ist vorbei und kommt nicht wieder. Das neue Jahr, das kommt, wird anders sein als das gegenwärtig laufende. Aus guten Gründen unterscheiden wir zwischen Vergangenheit und Zukunft. Jahreskreise werden so zu Spiralen, die dem »Zeitpfeil« folgen. Für das Leben bedeutet dies die unablässige Aufeinanderfolge von Werden und Vergehen, von neuern Leben und Tod.“
Josef H. Reichholf, Evolution, 2007, S. 23-24

„Auch das ist uns nur allzu geläufig, selbst wenn wir uns noch so sehr gegen das Vergehen stemmen möchten. Die Zeit erscheint uns unerbittlich. In ihrem Verlauf altern wir. Altert das Leben insgesamt? Eigentlich nicht. Denn das Altern gehört zum einzelnen Lebewesen, die Bakterien und andere ganz kleine Organismen ausgenommen, die sich durch Teilung vermehren. Der Organismus durchläuft von der Entstehung in der befruchteten Eizelle über sein Wachstum bis hin zum Tod jene Entwicklung, die wir Altern nennen. Mit der Fortpflanzung erzeugen die Lebewesen jedoch immer wieder »neues«, d.h. junges Leben, so daß das Sterben des Individuums im Lebensprozess so lange nicht wirklich etwas ausmacht, wie sich die betreffende Lebensform erfolgreich fortpflanzt. Damit erneuert sie sich ununterbrochen. Gealtert und zum Aussterben verurteilt sind all jene Lebewesen, die sich nicht mehr oder nicht genügend fortpflanzen. Auch das kennen wir: Ganze Familien »sterben aus«, weil sie keine Nachkommen mehr hinterlassen haben. Mitunter trifft dies auch für kleine Völker zu. Weiter kommt nur, wer sich erfolgreich genug fortgepflanzt hat. Darin steckt das Kernstück der Evolution: Überleben heißt sich mit nachhaltigem Erfolg fortpflanzen.“
Josef H. Reichholf, Evolution, 2007, S. 24

„Fit fürs Überleben zu sein heißt nicht automatisch, über die größte Kraft zu verfügen. Fit sein bedeutet Lebensgestaltung. Was »tauglich fürs Überleben« ist, ergibt sich erst aus der Rückschau. Die Gegenwart lebt für die Zukunft, und diese ist offen. Der momentane Erfolg muß nicht von Dauer sein. Die Geschichte lehrt eher das Gegenteil. Evolution sei zukunftsblind, meinen die meisten Evolutionsbiologen. Das Wechselspiel zwischen Varation und Auslese (Selektion) findet in der Gegenwart unter den gegenwärtigen Bedingungen statt. Auf die Zukunft sei dieses »Spiel« nicht ausgerichtet. Die Evolution hat kein Ziel; kann und darf der Mensch als Teil dieser Evolution folglich auch kein Ziel haben?“
Josef H. Reichholf, Evolution, 2007, S. 30

„Der Mensch konnte nur überleben durch Zusammenhalt, durch Kooperation. Im Kern seiner Lebensweise steht die Familie.“
Josef H. Reichholf, Evolution, 2007, S. 64

„Für das Überleben zählt in der Evolution nur eines. Das sind die Nachkommen. Wer keine Nachkommen hinterläßt oder zu wenige im Vergleich zu anderen, stirbt mit seiner Linie aus.“
Josef H. Reichholf, Evolution, 2007, S. 64

„Die Egoisten hatten auf Dauer keine Chance. Sie vereinzelten und waren letztlich zum Aussterben verdammt.“
Josef H. Reichholf, Evolution, 2007, S. 66

„Ein totalitärer Staat ist genauso unmenschlich wie ein extremer Individualismus unverantwortlich ist. Der Mensch gehört als soziales Wesen in eine menschliche Gesellschaftsform. Nur dann wird er zu jener Kooperation bereit sein, die allen daran Beteiligten zugute kommt.“
Josef H. Reichholf, Evolution, 2007, S. 68

„Der extreme Rückgang der Geburtenrate in den modernen westlichen Gesellschaften ergab sich aus der weitgehenden Auflösung der Großfamilien. An ihre Stelle trat auf höchst zweifelhafte und gänzlich unzureichende Weise »der Staat« als anonyme Auffangorganisation. Die Folgen sehen wir im gesamten Sozialbereich. Sie stehen in Zusammenhang mit der hohen Arbeitslosigkeit und belasten die Zukunftssicherung durch die Renten. In der Natur würden solche Sozietäten als »sterbend « eingestuft werden. Politische Maßnahmen werden kaum etwas dagegen ausrichten können, so lange sie nicht an den Ursachen ansetzen.“
Josef H. Reichholf, Evolution, 2007, S. 77

„Evolution ... baut ausnahmslos auf dem Vorhandenen auf. Nichts kommt plötzlich ganz neu hinzu. Das gilt auch für die so genannten geistigen Prozesse.“
Josef H. Reichholf, Evolution, 2007, S. 89

„Die Gesamtheit der Lebewesen ist nicht einfach und umfassend »gut«. Die Welt des Lebendigen enthält außerordentlich viel Zerstörerisches.“
Josef H. Reichholf, Evolution, 2007, S. 90

„Freiheit und Notwendigkeit greifen so sehr und so untrennbar ineinander, daß sie eine Einheit bilden.“
Josef H. Reichholf, Evolution, 2007, S. 94

„Wir können nur im Rahmen dessen frei entscheiden, was wir wollen können. Der »freie Wille« wird daher von manchen Forschern, etwa aus dem Bereich der Hirnforschung, als Wunschbild abgetan.“
Josef H. Reichholf, Evolution, 2007, S. 95

„Wir Menschen ... fügen uns ... ein in den großartigen Vorgang der Evolution und heben uns gleichzeitig daraus hervor mit dem Hinausgreifen in die Welt des Geistes. Mag sein, daß dieser noch nicht weit genug entwickelt und gediehen ist, um sich seiner selbst in umfassender Weise bewußt zu werden.“
Josef H. Reichholf, Evolution, 2007, S. 98-99

„Das Geistige existiert dennoch, auch wenn es stofflich nicht faßbar ist. Zur Evolution wäre dies nicht nur kein Widerspruch, sondern vielmehr Fortsetzung der grundlegenden Vorgänge in eine weitere Sphäre hinein. “
Josef H. Reichholf, Evolution, 2007, S. 99

„Das Auftauchen des Geistigen, die »Emergenz« von materielosem Geschehen, das gleichwohl an Materie in bestimmter Organisationsform gebunden ist (Nervensysteme und Gehirne), fügt sich nahtlos in das Evolutionsgeschehen und macht dieses noch großartiger ....“
Josef H. Reichholf, Evolution, 2007, S. 99

„Charles Darwin hatte die Evolution nicht erfunden. Der Entwicklungsgedanke war lange vor ihm schon vorhanden. Darwins Leistung bestand darin, mit der »natürlichen Auslese« (natural selection) einen nachvollziehbaren Mechanismus vorgeschlagen zu haben, dessen Wirken überprüft werden konnte. Sein Vorbild waren die Tier- und Pflanzenzüchter.“
Josef H. Reichholf, Evolution, 2007, S. 100

„Es rührt uns nicht, daß über 90 Prozent aller Lebewesen, die jemals auf der Erde existierten, wieder ausgestorben sind; vielleicht auch mehr als 99 Prozent. Ob die Menschheit irgendwann auch zu diesen Ausgestorbenen zählen wird, bekümmert uns Gegenwärtige nicht. Wir gehen mit der Erde und ihrem Leben um, als ob alles uns allein gehörte und wir auf keine Zukunft Rücksicht nehmen müßten. Der allergrößte Teil der Menschheit, mindestens sechs Milliarden Menschen, lebt so völlig zukunftsblind in der Gegenwart, wie es alle Organismen zu allen Zeiten getan haben. Wer das Wirken der Menschheit auf der Erde in seiner Gesamtheit betrachtet, wird schwerlich daran zweifeln können, daß der Mensch genauso weitermacht, wie alle anderen Lebewesen in der Evolution auch.“
Josef H. Reichholf, Evolution, 2007, S. 109

„Am Anfang steht die Energie, aus der Materie entsteht, die gesondert werden kann, weil sie aus verscheidenen Formen (Elementen) besteht.“
Josef H. Reichholf, Evolution, 2007, S. 120

„Nichts ist bekanntlich von Dauer; auch das härteste Gestein unterliegt der Erosion und dem Zerfall mit der Zeit. Das Leben muß dieser Gesetzmäßigkeit allein schon deswegen massiv entgegenwirken, um sich überhaupt erhalten zu können. Die Physik bezeichnt dieses Naturphänomen als Entropie und betont ihre unvermeidbare Zunahme mit der Zeit. Das Leben muß sich gegen diese Entropie stemmen. Wie es das schafft, ist im Grundsatz bekannt, aber in vielen Details noch immer reichlich unverstanden. Der Grundsatz besagt, daß Leben Energie aufnehmen muß, um beständig gegen den Zerfall, gegen die Entropie, sich selbst immer wieder aufzubauen. .... Der Physiknobelpreisträger Ilya Prigogine bezeichnete die Organismen daher als »dissipative Strukturen«, weil sie schneller, als es dem physikalischen Zerfall entspricht, Energie in Entropie umwandeln und davon selbst leben. Sie halten sich - solange sie leben - »fern vom Gleichgewicht«. Nähern sie sich dem physikalischen Gleichgewicht an, gehen sie zugrunde. Der Tod ist das Erreichen des (thermodymischen) Gleichgewichts. In einer solcherart physikalischen Beschreibung erscheint Leben als ein Prozeß, der sich von der unbelebten Welt abgelöst, also emanzipiert hat.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 39

„Der aus der romantischen Naturschwärmerei und dem Heimatschutz hevorgegangene Naturschutz erhielt mit dieser auf Harmonie abgestimmten Ökologie eine wissenschaftliche Grundlage. Von diser aus ließen sich Ziele entwickeln, wie »die Natur« sein oder bleiben soll und warum Arten geschützt werden müssen. Der Naturhaushalt braucht sie, sonst gerät er aus dem Gleichgewicht. Eine Verherrlichung der Natur griff um sich. Die Natur war gut .... Die Natur war gut, weil sie den Kontrast zu den schrecklichen Zuständen in den durch die Industrialisierung enorm wachsenden Städten bildete.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 43

„Im Mutterland der Ökolgie, in Deutschland.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 49

„3 grundlegende Eigenschaften eines Organismus ...: Abgrenzung des Innenlebens nach außen, zentrale Funktionssteuerung und Fähigkeit zur Fortpflanzung.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 51

„Wärme begünstigt das Leben, wenn es genug Wasser gibt. Doch selbst in den trockenen Hitzewüsten exitieren noch weit mehr verscheidenartige Lebewesen als in den Kälteregionen, wo zumindest zeitweise reichlich Wasser zur Verfügung steht. Warum ist das so - und warum macht der Mensch eine auffällige Ausnahme? Leben doch die weitaus meisten Menschen in den gemäßigten Klimazonen und erheblich mehr in den kalten Regionen als in tropischen Regenwäldern.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 57

„So finden wir auch in der globalen Nutzung der Landschaften einen höchst bedeutsamen Zusammenhang: Je instabiler, desto attraktiver und einträglicher. Wo langfristig, über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg, Stabilität herrscht, tut sich der Mensch schwer. Und nicht nur die Menschen, sondern auch die Tiere. Ihre Häufigkeit geht zurück, wenn Mangel eintritt, aber ihre Artenvielfalt nimmt dabei zu.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 70

„Daß es die Vielfalt an Arten überhaupt gibt, hängt wahrschienlich mit der Bewältigung des Mangels zusammen. Wo Ressourcen knapp sind, überleben die Spezialisten besser, die mit dem wenigen auskommen können, das es gibt. Die Stabilität solcher Systeme wäre demnach nur der Eindruck, der entsteht, wenn sich wenig ändert, weil sich nicht mehr ändern kann. Wo es higegen viel zu holen gibt, wird sich auch viel ändern.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 72

„Wir können in den höchst bedeutsamen, weil das ganze Leben auf der Erde grundsätzlich charakterisierenden Vorgängen zwei Richtungen erkennen. Die eine, die alte und und ursprüngliche geht von der schnellstmöglichen Vermehrung aus. Die Organismen selbst bleien (winzig) klein, und es sind die Produkte ihres Stoffwechsels, die sich anhäufen und die zu neuen Ressourcen mit der Zeit werden. Die andere sammelt gleichsam Kapital an. Ihr Anwachsen ist mit starker Größenzunahme verbunden. Die Ressourcen, die Bäume in ihren Stämmen ansammeln, sind den anderen, den Konkurrenten, weggenommen. Man kann diese Verfahrensweise auch »Monopolisierung« nennen. Bäume, die schneller als ihre Nachbarn wachsen, übergipfeln diese und unterdrücken sie. Von Zehntausenden, die als Sämlinge angefangen haben, bleibt vielleicht einer übrig. Die anderen sind durch die zunehmende Konkurrenzkraft dieses einen Baumes erdrückt und verdrängt worden. Der »Gewinn« liegt in der Langlebigkeit und in der damit verbundenen Dauerhaftigkeit. Der Nachteil, am Ort festgesetzt zu sein, muß dadurch ausgeglichen werden, ansonsten würde sich diese Lebensweise nicht lohnen und keinen Bestand auf Dauer haben können. Je nach Art der örtlichen Lebensbedingungen, ob stark flukturierend oder länger andauernd gleichbleibend, hat die eine oder die andere Form Vor- und Nachteile. Eine absolut überlegene Strategie gibt es nicht. Die »Mitte« zwischen den Extremen, zwischen mikroskopisch kleinen Organismen und den gewaltigen Bäumen, bilden unter den Pflanzen vor allem die langlebigen Gräser.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 76

„Wird das Holz der Wälder genutzt, dauert der Wiederaufbau mindestens Jahrzehnte, bei »Harthölzern« Jahrhunderte. Nachhaltige Nutzung ist daher nur mit langfristiger Vorausplanung möglich. Das erkannten die Forstleute im 17. und 18. Jahrhundert und schufen mit ihrem Grundsatz der forstlichen Nachhaltigkeit die heutige Forstwirtschaft. Auch wenn sie ganze Bäume oder größere »Schläge« nutzt, bleibt sie im Rahmen des auf der Gesamtfläche zu erzielenden Zuwachses undd amit in der Nachhaltigkeit. Einzig die Gräser im weiteren Sinne vertragen kurzfristige Totalnutzungen.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 77-78

„Die Ressourcennutzung gliedert sich ... in zwei einander entgegengesetzte Enden eines Spektrums von Möglichkeiten, in die freie Ausbeutung und in die soziale Unterdrückung. Die nach menschlicher Wertung mittleren, »vernünftigeren« Bereiche sind nicht besetzt. Daraus folgt der Schluß, daß sie unter Naturbedingungen auch nicht wirklich überlebensfähig sind. Sie stelle, so der Fachausdruck, keine »evolutionär stabile Strategie« dar. Gemeint ist mit dieser Bezeichnung, daß ihr Auftreten, sollte es aus irgendwelchen Umständen heraus tatsächlich zu einer »moderat-vernünftigen« Nutzung und dazu passenden »gerechten« Vermehrung für alle Beteiligten kommen, nur von kurzer Dauer sein wird.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 83

„Die Ausbeuter leben mit hohem Risiko aus hohen Gewinnen, die »Nachhaltigen« erkaufen sich ihre Beständigkeit mit massiven Zwängen und Einbußen an Freiheit.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 84

„Vögel dürfte es gar nicht geben, wenn das Prinzip vom sparsamen Umgang mit der Energie allgemeine Gültigkeit in der Natur hätte.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 84

„Leben bedient sich der Ungleichgewichte. Sie sind auch da vorhanden, wo wir Gleichgewichte zu erkennen vermeinen. Auch in der nichtlebendigen Natur herrschen sie vor.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 92

„Entscheidend ist jedoch das Verhältnis des Sauerstoffs zum Kohlendioxid. Dieses ist mit rund 0,3 Promille im Minimum; ein paar weitere Prozent Sauerstoff mehr spielen demgegenüber nur eine nachrangige Rolle. In diesem so ausgeprägten Spannungsverhältnis von 209 Promille Sauerstoff zu 0,3 Promille Kohlendioxid läuft der bei weitem größte Teil allen lebens auf der Erde ab. Dieses Ungleichgewicht hält die »tragende Spannung« aufrecht.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 93-94

„Das Fließgleichgewicht bleibt, dem Bild des strömenden Flusses durchaus entsprechend, fernab vom Gleichgewicht.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 96

„Die Lebewesen bauen die Ungleichgewichte über die aktive Aufnahme von Energie auf .... Organismen können daher die Intensität ihrer Fließgleichgewichte verändern. .... Aktives Leben bedeutet in jedem Fall die Aufnahme von Energie, die das lebende System fern vom Gleichgewicht hält. Wie schon ausgeführt, muß die aufgenommene Energie schneller umgesetzt werden, als es dem natürlichen Zerfall in Wärme entspräche. Nur dann kann die lebendige Materie Aktivität entfalten.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 98, 99

„Nur die klare Trennung von innen und außen hält die Spannung aufrecht, unter der sich die Lebensprozesse entwickeln können. Organismen sind, ihrem Namen gemäß, Organisationsformen von Materie, die durch ein inneres Fließgleichgewicht fern vom Gleichgewicht mit der Umwelt gehalten werden. Bricht diese Trennung zusammen, ... erlischt das Leben, und der Körper ist, wenngleich noch vorhanden, tot.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 99-100

„Die Ökosysteme sind offen. Lebewesen sind das nur eingeschränkt. Die Ökosysteme haben keine feste Struktur. Die Lebewesen entwickeln sich über flexible Strukturen.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 101

„Eingriffe in den Naturhaushalt, Störung des Gleichgewichts der Natur, Gefährdung ganzer Ökosysteme oder gar ihr Zusammenbruch: solche Begriffiichkeiten bilden längst nicht nur Schlagworte im besonderen Wortschatz von Natur- und Umweltschützern. Sie haben auch Eingang in Gesetze und Verordnungen gefunden. Neue Versionen davon sind Bezeichnungen wie unsere »ökologischen Fußabdrücke«, die wir hinterlassen, weil wir einen viel zu voll geladenen »ökologischen Rucksack« tragen. Das klingt fast wie Erbsünde; zumindest für all jene Menschen, die in der Ersten Welt geboren wurden und hier aufgewachsen sind. Von Geburt an tragen sie nun den Makel, das Kainsmal der hochentwickelten Zivilisation. Viel besser sind die in der Dritten Welt geborenen, weil es ihnen schlechter geht. Daraus folgt die Forderung, allen Menschen sollte die gleiche Menge an Energie zugemessen werden, die sie verbrauchen und als Kohlendioxid freisetzen.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 105

„Am ehesten entsprechen die naturfernsten Betätigungsbereiche den Idealen von Ausgewogenheit. So die regeln, die für den Straßenverkehr gelten, und die Bestimmungen in der Luftfahrt, die wirklich fast alle gleichermaßen treffen. Aber mit natürlichen Gleichgewichten haben ausgerechnet diese Gleichbehandlungen von vornherein nichts zu tun.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 115

„Seit dem »Umweltgipfel von Rio de Janeiro« 1992 gilt das Konzept der Nachhaltigkeit als eines der Leitmotive für die Entwicklung. »Nachhaltige Entwicklung« ... hatte der maßgeblich vom damaligen deutschen Umweltminister Klaus Töpfer gestaltete Umweltgipfel der Vereinten Nationen gefordert, ohne dem Ausdruck konkreten Inhalt gegeben zu haben. Allenfalls die in der Forstwirtschaft praktizierte Nachhaltigkeit der Nutzung von Wald läßt sich einigermaßen konkret mit diesem Konzept zur Deckung bringen. Die forstliche Nachhaltigkeit ist so einfach wie problematisch: Dem Wald soll/darf nicht mehr Holz entnommen werden, als nachgewachsen ist, um die Substanz langfristig zu erhalten.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 115

„Gibt es ... überhaupt ein natürliches und von Menschen nutzbares System, das nachhaltig produziert? Genaugenommen nicht, denn es müssen immer wieder von woanders die Stoffe und die Energien kommen, um einen bestimmten Landschaftsausschnitt langfristig produktiv zu erhalten.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 116

„Gäbe es tatsächlich vollständige Kreislaufwirtschaften (ein perfektes Recycling), würde dies den Grundgesetzen der Natur widersprechen, genauer: dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik. Die perfekte Nachhaltigkeit wäre ein »Perpetuum mobile«. Sie ist eine Unmöglichkeit. Somit kann Nachhaltigkeit ohne steuernde und ergänzende Eingriffe durch den Menschen nur bedeuten, vorhandene Ressourcen so schonend zu nutzen, daß sie möglichtst lange vorhalten. Das bedeutet Verzicht in der Gegenwart zugunsten späterer Nutzungen. ... Das gelingt bekanntlich selbst innerhalb eines Staates zumeist nur unbefriedigend. Zwischen den Staaten und insbesondere zwischen verschiedenen Wirtschaftssystemen funktioniert die Zurückhaltung zugunsten der Zukunft noch weniger. Wer nur ein wenig abweicht, gewinnt gleich viel, solange sich die anderen beschränken. Der Verbrauch an Ressourcen wird dadurch kaum gebremst.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 117, 118

„Das hat die jüngste Vergangenheit seit den weltweit verbreiteten Warnungen von der Endlichkeit der Ressourcen durch den »Club of Rome« und die »Grenzen des Wachstums« von Dennis Meadows klar gezeigt. Sicher hätten Meadows und der »Club of Rome« recht bekommen mit ihren Hochrechnungen, wenn seit den 1970er Jahren nicht neue Funde von Ressourcen und veränderte Technologien die Grenze(n) hinausgeschoben hätten. Daß es um die Jahrtausendwende nicht zum prognostizierten globalen Crash gekommen ist, verdanken wir auf keinen Fall einsichtigem Handeln nach dem Prinzip der Nachhaltigkeit, sondern neuen Funden von Vorräten und verbesserten Technologien.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 118

„Es darf eben nicht der Kardinalfehler gemacht werden, der sich aus unangebrachten Anwendung des wissenschaftlichen Ökosystembegriffs eingebürgert hat, nämlich abgegrenztes Systeme zu betrachten. Weder der Acker, auf dem Energiepflanzen angebaut werde, noch Deutschland oder Europa stellen solcherart weitgehend geschlossene Systeme dar, die nur im Inneren bewertet werden dürfen. Die Energiepflanzung in Europa hat Folgen in Südamerika und auf den Weltmeeren sowie in der globalen Atmosphäre. Für jegliche Form von Nachhaltigkeit gilt, daß letztlich die weltweite Wirkung das Maß abgibt, und nicht die lokale. Die Zeit kommt hinzu. Was gegenwärtig verzögert wird, um »nachhaltiger« zu werden, baut sich mit der Zeit um so mehr auf. Kurzfristige Zeitgewinne können mittel- und langfristig verheerende Folgen zwitigen. Oder auch sehr »gute«, weil sich in der Zwischenzeit Neues, anderes hat aufbauen lassen. Ohne die umfängliche Nutzung fossiler Brennstoffe seit dem späten 18. Jahrhundert anstelle von Holz trüge die Erde praktisch keinen Wald mehr. .... Ohne die so massive Steigerung des Energieeinsatzes hätten wir weder die moderne Medizin noch all die technischen Hilfsmittel, deren wir uns längst ganz selbstverständlich bedienen ....“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 118-119

„Die hochentwicklte westliche Kultur will doch ihren Zusammenbruch nur noch hinauszögern.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 120

„Oswald Spengler hatte den »Untergang des Abendlandes« bereits vor einem Menschenalter vorhergesagt. Neue Kulturen werden die aufgebrauchte, zu keiner Erneuerung mehr fähige alte ersetzen. Dafür spricht, daß die jungen, wachsenden Völker ungleich hoffnungsvoller als wir im »Abendland« in die Zukunft blicken. Die Ökokrise unserer Zeit drückt nur mit anderen Worten aus, was der »Untergang des Abendlandes« meinte.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 120-121

„Nur die Schuld am Untergang hat sich verlagert - von der kulturellen Unfähigkeit zur landeskulturell-ökologischen Fehlentwicklung. Die »Guten« sind die jungen Völker der Dritten Welt, die unschuldig im Schlepptau des Niedergangs gerieten, weil sie von den Kolonialmächten abhängig gemacht worden waren. Die »Bösen«, das sind wir, weil wir der Menschheit den »Fortschritt« aufgezwungen haben.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 121

„Paul Watzlawick hat schon vor zwanzige Jahren gezeigt, wie schnell das geht, vom anfänglich Guten ins Schlechte hineinzugeraten. Der Übergang verläuft in bezeichnender Ähnlichkeit mit Naturvorgängen als schneller Phasenübergang. So wie ein sehr gedüngter See in kurzer Zeit »kippt« oder ein Wirtschaftsaufschwung in eine Rezession übergeht. Gegensteuerungen und Sanierungen dauern lange und kosten sehr viel. Wenn sie überhaupt gelingen.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 121

„Abgesehen von den Vögeln, die noch feiner ihre inneren Zustände abstimmen und ihre Körpertemperatur knapp unter der Todesgrenze von 42 bis 43 Grad Celsius regulieren, halten wir, solange wir gesund sind, unser Innenleben präzise eingestellt im Gleichgewicht auf dem richtigen Sollwert. Ohne genauere Erklärungen zu brauchen, empfinden wir intuitiv, daß Abweichungen von diesem sollwert gefährlich oder tödlich sein können. Unser inneres Gleichgewicht zu erhalten gehört daher für uns zu den wichtigsten Lebenstätigkeiten. Die Vorstellung, daß es draußen in der uns umgebenden Natur so sein müsse, liegt auf der Hand. Dennoch halten wir uns nicht daran, sondern verändern diese Natur so, daß sie möglichst viel abgibt. Wir schaffen Ungleichgewichte, um unser Gleichgewicht zu stabilisieren.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 122

„Kapitalismus. Seine Wurzeln stecken in jedem von uns. Die Notwendigkeit, unseren inneren Zustand auf hohem Niveau aufrechtzuerhalten und mit dem Älterwerden weiterzuentwickeln, erzeugt automatisch den Drang, Ressourcen für sich zu beanspruchen, zu monopolisieren. Es gilt als normal und richtig (und als rechtmäßig in den Erbgesetzen festgelegt), die eigenen Nachkommen mit dem vorhandenen Besitz zu beglücken, zumindest zu begünstigen. Für edler wird es gehalten, einen Grund sozialen oder kirchlichen Einrichtungen zugute kommen zu lassen. Von einem für alle gleichen Zugang zu den Ressourcen haben hingegen so gut wie alle menschlichen Gesellschaften nichts gehalten. Der Kommunismus ist nicht zuletzt auch an diesem Prinzip der Gleichmacherei gescheitert, weil es sich im wirklichen Leben als nicht praktikabel herausgestellt hat. Wir müssen also feststellen, daß das Leben selbst ausgeprägter egoistisch lebt als sozial. Wo es besonders auf die Gemeinschaft ausgerichtet erscheint, zeigt sich bei näherer Betrachtung, daß mehr Vor- als Nachteile für die Beteiligten gegeben sind. Sie handeln also, dem Anschein zum Trotz, weiterhin egoistisch. Persönliche Erhaltung des inneren Gleichgewichts und Egoismus bestimmen somit weitestgehend das Verhalten der Menschen (und aller anderen Lebewesen auch!). Das erzeugt Ungleichgewichte nach außen. Genau in der Art und Weise, wie wir es überall in »der Natur« vorfinden.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 123-124

„Einen stabilen Zustand zu erwarten ist irreal; einen solchen künstlich einstellen zu wollen absurd oder schlichte Überheblichkeit.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 125

„Menschen haben immer in die Natur »eingegriffen«. Seit Urzeiten war das so, als sie als Jäger und Sammler unterwegs waren, und nicht erst in unserer Zeit. Mit Feuer und Waffen veränderten sie ihre Umgebung, bekämpften einander, vermehrten sich, gerieten an den Rand des Untergangs, kamen da und dort wieder hoch und machten weiter wie gehabt bis in unsere Zeit. Sie werden weitermachen, weil sie alle Menschen sind. Nie lebten sie »im Einklang mit der Natur«. Wo uns das so scheint, liegen entweder romantische Mythen zugrunde, die wenig mit der harten Wirklichkeit zu tun hatten, oder man übersah, daß die Natur einfach nicht mehr zugelassen hatte. Jeder technische Fortschritt, ob Pfeil und Bogen oder Gewehr, Feldbau oder Motorenkraft, verstärkte die Eingriffe in die Natur. Vernichtet wurde sie dennoch nicht. Vielmehr erzeugten die Veränderungen neue, bislang nicht dagewesene Ungleichgewichte.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 126

„Staatslenker und Wirtschaftsbosse machen Fehler; häufig ganz ähnliche, wie sie immer wieder gemacht worden sind. Offenbar sind sie unfähig, aus den Fehlern anderer und aus der Geschichte zu lernen.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 126-127

„Ist es da nicht besser, den Dingen und vor allem den Menschen einfach ihren Lauf zu lassen? Nach den Prinzipien der Evolution werden sich die erfolgreichen Strategien ganz von selbst zeigen. Untaugliches wird der Unerbitterlichkeit der Selektion zum Opfer fallen. Anderes überdauert in der Grauzone zwischen beiden eine Zeitlang. Daraus könnte wie der berühmte Phoenix aus der Asche Neues entsteigen, das weder in der einen noch in der anderen Richtung zu extrem (angepaßt) war. Wer eine solche Einstellung vertritt, wird als Fatalist eingestuft. Der Lebensprozeß selbst, die Evolution, wäre demzufolge fatalistisch.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 127

„Die Gleichheit aller Kulturen würde jegliches Kulturschaffen zum Erliegen bringen. Sie kann nicht Ziel der Entwicklungen in die Zukunft sein. Ganz von selbst werden in jeder zu gleichartig gewordenen Kultur von der Basis her neue Formen entstehen, die sich von der Vorgabe unterscheiden wollen.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 131

„Sicher scheint mir allerdings, daß die Lösungen nicht im Streben nach Gleichgewichten liegen, sondern in jenem schwer zu begreifenden Fließgleichgewichten fern vom Gleichgewicht, die in der Physik, in der Thermodynamik zumal, spätestens seit Erwin Schrödingers Essay Was ist Leben?  von 1948 bekannt sind. In der wissenschaftlichen Ökologie sind diese Fließgleichgewichte viel zu wenig beachtet worden. Die populäre Vereinfachung zum »Gleichgewicht des Naturhaushalts« hat weiterhin Erwartungen geweckt, die weder erfüllt werden können noch erfüllt werden sollten. Denn das erhoffte Gleichgewicht wäre günstigstenfalls gleichbedeutend mit Stillstand, schlimmstenfalls das Ende.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 132

„Wir brauchen deshalb ein neues Denken in und mit Ungleichgewichten: in der Ökologie wie in der Gesellschaft. Überlebensfähige Ungleichgewichte werden aus der Gegenwart wie in der Vergangenheit in die Zukunft führen. Wir werden sie auch in der Wirtschaft, in den Gesellschaften und allen voran auch in der Politik brauchen - als menschenwürdige Ungleichgewichte in einer zwar globalisierten, aber unterschiedlich beschaffenen Welt.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 132

„Auf »Harmonie« und schöne Gleichgewichte waren Tiere und Pflanzen oder Mikroben nie aus. Der sich zumeist rasch einstellende Mangel hat sie in solch scheinbare Gleichgewichte hineingezwungen. Gerade deshalb sind die »stabilsten« natürlichen Lebensgemeinschaften der Erde kein praktikables Vorbild für die Zukunft der Menschheit und ihre Bedürfnisse. Wir müssen diese selbst gestalten.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 136

„Dazu brauchen wir ungleich bessere Kenntnisse über die Grenzen von produzierenden Ungleichgewichten, als die uns bislang zur Verfügung stehen. Wir müssen wissen, wie groß die Energieflüsse und Matreialumsetzungen werden dürfen, um den Rahmen nicht zu sprengen und andere Menschen und die örtliche, regionale oder globale Natur nicht zu schädigen.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 136

„Die Schwankungen und ihr Ausmaß sind viel wichtiger für die Natur und für die menschlichen Nutzungsansprüche als statistische Mittel.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 137

„Nur funktionierende Ungleichgewichte können »nachhaltige Entwicklungen« ermöglichen.“
Josef H. Reichholf, Stabile Ungleichgewichte, 2008, S. 137

„Skepsis ist die Mutter der Wissenschaft.“
Josef H. Reichholf, Warum die Menschen seßhaft wurden, 2008, S. 42

 

 

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- Literaturverzeichnis -