Vorbemerkung:
Der große us-amerikanische Konservative Russell Kirk hat einmal geäußert,
daß Konservative kein Regelwerk brauchten es genügten die Zehn
Gebote. Das war vor beinahe sechzig Jahren, und Kirk hat seine eigene Maßgabe
wohlweislich nicht befolgt, weil er wußte, daß sich das Konservative
in der Gegenwart nicht mehr so von selbst verstehen kann wie in der Vergangenheit,
nicht einmal für die Konservativen selbst. Zeit also für einen konservativen
Katechismus in zwölf Sätzen.1.Erschrick nicht, wenn
Du feststellst, daß Du konservativ bist. Es besteht kein Grund zur Sorge.
Manche waren es vor Dir und manche werden es nach Dir sein, große Männer
und große Frauen gehörten dem konservativen Lager an: von Cato dem
Älteren bis Bismarck, von Thukydides bis Leopold von Ranke, von Antigone
bis Margaret Thatcher, von Platon bis Arnold Gehlen, vom Heiligen Benedikt bis
Konrad Lorenz, vom Verfasser des Buches Prediger bis Goethe, von Leonidas bis
Stauffenberg.Was heißt das? Es wird oft vergessen,
daß die konservative eine große Tradition ist und die Konservativen
nicht die »Partei der Dummheit« (John Stuart Mill) bilden, sondern
ihre geistige Tradition in vieler Hinsicht identisch ist mit der geistigen Tradition
Europas. Es mangelt ihnen nicht an Intelligenz, eher wird man von einem Begabungsüberschuß
sprechen müssen, weniger in den systematischen Fächern, eher in den
literarischen, überall da, wo es um die Phänomene selbst geht, nicht
um deren Abstraktion. Deutlicher tritt das konservative Genie nur in der Praxis
hervor, in Staatsführung, Militär und Verwaltung. Faßt man die
Konservativen so als Partei des Geistes und als Partei der Ordnung auf, kommt
noch ein drittes hinzu. Die Konservativen sind die Partei des Widerstandes: deshalb
Cato, Thukydides, Antigone, Leonidas und Stauffenberg.2.Prüfe
kritisch, ob es sich nicht nur um typbedingtes Phlegma oder altersbedingte Resignation
handelt. Es gibt auch eine verbreitete Neigung, Faulheit und Konservatismus zu
verwechseln, oder fehlende Anstrengungsbereitschaft weltanschaulich aufzuhübschen.Was
heißt das? Jede Annahme, daß es einen bestimmten anthropologischen
Typus des Konservativen gibt, entweder (als Ausnahme) unter Jung-Verspießerten
oder (als Regel) unter gereiften Persönlichkeiten, geht an der Sache vorbei.
Auch der oft zitierte Satz »Wer mit zwanzig kein Sozialist ist, hat kein
Herz, wer es mit dreißig noch ist, hat keinen Verstand«, führt
in die Irre. Es ist zwar richtig, daß das Ruhebedürfnis mit dem Alter
zunimmt, auch der Realitätssinn, aber Garantien gibt es dafür nicht.
Die Achtundsechziger sind heute zwar betagt, aber nicht weise, und Konservatismus
ist selbstverständlich etwas anderes als Routine oder der Verfall von Lebenskraft.
Insofern es dem Konservativen darum geht, etwas Lebendiges seine Kultur,
seine Nation, seine Religion, seine Familie zu erhalten, kann er sich das
Nachlassen nicht erlauben.3.Glaube nicht, daß man Konservative
am äußeren Habitus erkennt. Anzug und Kostüm, das Abonnement der
FAZ und der Festspielbesuch in Bayreuth sprechen dafür, daß man es
mit Konservativen zu tun hat. Aber die schicke Linke weiß sich auch zu tragen,
und der bürgerliche Opportunismus kennt jedes Dekor.Was heißt
das? Konservative Camouflage ist kein ganz neues Phänomen; Nietzsche
meinte schon, es gebe einen Konservatismus, den kennzeichne, daß immer etwas
»dazugelogen« werde. Das gilt auch für die Gegenwart mit der
Inflation von Benimm- und Tanzkursen für junge Leute, deren Karrierefixierung
und Leistungswille vom Kindergarten an trainiert wird, mit der allfälligen
Konformität, dem »Elite«-Geschwätz und der ganzen »neuen
Bürgerlichkeit«. Deren Ideologen, von Wolfram Weimer bis Paul Nolte,
lassen sich fallweise »konservativ« nennen. Aber das ist doch nur
Tarnung der Arrivierten, derer, die intelligent genug sind, um zu wissen, wie
weit der Substanzverlust geht, und die in der sicheren Annahme handeln, daß
man sowieso nichts mehr machen kann und deshalb ein gediegenes Dasein für
sich und die Ihren gerettet sehen möchten. Die authentisch Konservativen
sind dagegen ein buntes Völkchen: katholische Integristen und Junghegelianer,
Dandys und Neo-Folk-Jünger, Computerfachleute in Jeans und eine Müslifraktion,
Eurasier und Atlantiker und Nationale.4.Kultiviere Deine Leidenschaft
für die Vielfalt! Vielfalt ist das Gegenteil von Einfalt. Schütze
das Konkrete, das immer ein Besonderes ist, gegen Simplifizierung und Gleichmacherei,
die Unfähigkeit, im Mannigfaltigen das Schöne zu erkennen. Vive la
différence!Was heißt das? Konrad Lorenz
hat einmal gesagt, daß heute dem Gleichheitswahn entgegenzutreten so gefährlich
sei, wie im Mittelalter zu bestreiten, daß die Erde fest stehe und sich
im Mittelpunkt des Universums befinde. Der Egalitarismus ist der zäheste
Teil unter den konventionellen Lügen, die alle wiederholen und die niemand
glaubt. Deshalb muß der Konservative die elementaren wie die kulturellen
Unterschiede verteidigen: zwischen Mann und Frau, zwischen Deutschen und Franzosen,
zwischen Christen und Juden, zwischen Gott und Mensch, zwischen Kolbe und Hrdlicka,
schön und häßlich, gut und böse, dumm und klug, rechts und
links. Das Konkrete ist das Wirkliche.5.Bleibe skeptisch gegenüber
»Pendelgesetzen«! Es schlägt nicht einfach eine Phase
der Geschichte in eine andere um, auf die Dominanz der Linken folgt nicht zwangsläufig
die der Rechten, auf Chaos nicht Ordnung.Was heißt das?
Es mag sein, daß der Mensch Abwechslung braucht und in der Geschichte manches
von einem Extrem ins andere überging, aber eine Regelmäßigkeit
ist das nicht. Es gibt jedenfalls keinen Anlaß, sich zurückzulehnen
und auf den Lauf der Dinge zu setzen. Wille und Entschlossenheit vermögen
nicht alles, aber sie vermögen viel, und ohne sie gibt es jedenfalls keinen
grundsätzlichen Wandel der Misere. Das ist nicht als Plädoyer für
Voluntarismus mißzuverstehen oder dafür, sich besinnungslos an jeder
Wand den Kopf blutig zu stoßen. Dem Einsatz geht immer der entscheidende
analytische Schritt voraus: »Erstes Gebot: erkenne die Lage!«
(Carl Schmitt).6.Zeige Mut zur Reaktion! Beharre
auf dem, was die anderen längst »überwunden« haben, verteidige
Grundsätze von gestern auch gegen den mehrheitlich akzeptierten Unsinn von
heute.Die Stärke des Konservativen ist sein Realitätssinn,
die Ablehnung von ideologischen Wunschbildern und Träumereien, für den
Konservativen ist die Wirklichkeit der Maßstab, und wenn sich die Gegenwart
so weit von der Wirklichkeit entfernt hat, muß man darauf reagieren. Also
wende man sich dem »Essentialismus« zu, der nicht nur Konstruktion
und Erfindung sieht, sondern die Substanz der Dinge; vollziehe den Schluß
vom Sein auf das Sollen, weil das Natürliche und die Normalität tatsächlich
Hinweise für das Richtige geben und plädiere für den gesunden Menschenverstand,
der nicht nur die eigene Erfahrung auf seiner Seite hat, sondern auch die Tradition.
Konservativ ist seit der Aufklärung die Gegen-Aufklärung, die den Menschen
eben nicht als autonomes Subjekt versteht, das mit Hilfe der Vernunft die Welt
versteht, in der Analyse zerlegt und neu zusammensetzt, das heißt »konstruiert«.7.Halt
Dich nicht damit auf, alles Alte zu bewahren! Der Konservative ist
kein Trödler und kein Nostalgiker. Er will keine Konserven, in denen nur
noch ein Schein des Lebens vorgewiesen werden kann.Was heißt das?
Selbstverständlich gibt es die Liebe zu den alten Dingen, zu Ruinen und Antiquitäten
und unter Konservativen eine besondere Fähigkeit zur Wahrnehmung des Zaubers,
der den Relikten anhaftet. Das ist aber nicht die Sache selbst. Man muß
auch Schnitte machen, sich von Überkommenem trennen, und soll nicht glauben,
daß in jeder alten Hülle noch der alte Geist steckt. Es geht auch nicht
um das Alte, sondern um das Erbe, nicht ums Archivieren, sondern ums Tradieren.
Es geht um den lebendigen Zusammenhang. Wenn der zerstört ist, bleibt Pietät
vielleicht oder Trauer, aber nicht das, was die Anstrengungsbereitschaft des Konservativen
wert ist.8.Erwäge gründlich, wofür Du
Dich einsetzen willst! Mißtraue den attraktiven Angeboten, die
man Dir mit scheinheiliger Miene macht, nimm zur Kenntnis, daß die Institutionen,
für die wir immer eingetreten sind Staat, Nation, Kirche schwere
Beschädigungen erlitten haben.Was heißt das? Der
Konservative muß heute seine Kräfte schonen, weil er sich auf den wirklichen
Fall, den Ernstfall, vorbereitet. Deshalb seine désinvolture, sein
Mißtrauen gegenüber der Stabilität der Verhältnisse, seine
Skepsis angesichts von öffentlichen Einrichtungen, die neuerdings mit der
Notwendigkeit des Dienstes, der Einsatzbereitschaft und des Gemeinsinns werben,
denen aber Entscheidendes abhanden gekommen ist: die Fähigkeit, jene »Treuepflicht
zu außerrationalen Werten« (Arnold Gehlen) zu stiften, die überhaupt
erst den Bestand einer Institution verbürgt. Hier zeigt sich die tiefe Wirkung
der Dekadenz, der Beschwichtigung, des Geredes, der Weichheit.9.Lies!Was
heißt das? Es genügt schon lange nicht mehr, sich auf das
Erbe der Väter zu berufen und die Lektüre auf die Klassiker zu beschränken.
Um ein Wort Joseph de Maistres abzuwandeln: Gestern war Konservativ-Sein eine
Haltung, heute ist es eine Lehre. Der Konservative bedarf der Argumente und er
findet sie oft an unerwarteter Stelle. Sicher haben uns Peter Sloterdijk, Hans
Peter Duerr und Wolfgang Sofsky mehr zu bieten als Hans-Joachim von Merkatz, William
S. Schlamm oder das Spruchgut eines Franz Josef Strauß. Der Konservative
muß Informationsvorsprung gewinnen.10.Mach Dich unbeliebt!
Verblüffe Deine Feinde, verstöre die Spießer!Was
heißt das? Der Konservative hat sehr viel über für
gute Kinderstube und gute Manieren, aber das darf ihn doch nicht an der notwendigen
Grobheit hindern; nur sei die Grobheit kalkuliert, ein Mittel, keine Leidenschaft,
die Dich beherrscht. Also fall Deinem Gegner ins Wort, wenn Du Dich sonst nicht
bemerkbar machen kannst, störe die Selbstgefälligen mit Zwischenrufen
und besorg Dir im Zweifel die Utensilien für ein Protestplakat. Wir leben
in lauten Zeiten, wer nur leise ist, verzichtet von vornherein auf Einflußnahme.
Es besteht kein Bedarf an mehr Behäbigkeit. Was wir brauchen, sind rechte
Spontis und eine konservative Spaßguerilla, also: Die Phantasie an die Macht!11.Sei
politisch in unpolitischer Zeit!Was heißt das?
Hüte Dich vor jeder Ablenkung ins »Liberalkonservative«, »Freiheitlich-Konservative«,
»Kulturkonservative«, »Wertkonservative«. Das sind Fallen,
mit denen man Dich von der eigentlichen Auseinandersetzung fernhält, denn
die ist politischer Natur und fordert klare Entscheidungen. Wenn Du glaubst, daß
das hilft, schieb Deine Position eher vor, als daß Du sie zurücknimmst,
sei klug, aber hüte Dich vor Leisetreterei: Was spricht eigentlich dagegen,
sich »rechts« zu nennen, da wo das Rechte, das Richtige gedacht, gewollt,
getan wird? Die Linke genießt gegenüber der Rechten keinen
moralischen Vorzug, die Mitte kommt gar nicht in Betracht, das juste milieu
ist immer unselbständig, zu feige, eine Richtung einzuschlagen, es folgt
dem, was links oder rechts vorgegeben wird.12.Zieh Konsequenzen!Was
heißt das? Bring Deine Weltanschauung mit Deinem Lebensstil
in Übereinstimmung, soweit das in des Menschen Macht liegt. Das ist kein
Aufruf, antiquarische Neigungen zu pflegen oder sich ein Reservat zu suchen. Aber:
Keine Zugeständnisse an den Entwurf »rechts denken, links leben«.
Die Konservativen sind eine Minderheit, deshalb wird ihre Anziehungskraft ganz
wesentlich davon abhängen, ob man ihnen abnimmt, was sie reden. Übrigens:
Geschichte wird immer von entschlossenen Minderheiten gemacht! (Ebd.,
April 2009). |