Ueber den Willen in der Natur, 1835
Einleitung
Ich breche ein siebenzehnjähriges Schweigen .... Ich hatte
nämlich seit dem Jahre 1818, vor dessen Schluß »Die Welt
als Wille und Vorstellung« erschienen war, nichts veröffentlicht.
(Arthur Schopenhauer, Ueber den Willen in der Natur, 1835, S. 1).
Physiologie und Pathologie
Ich setze also erstlich den Willen, als Ding an sich,
völlig Ursprüngliches; zweitens seine bloße Sichtbarkeit.
Objektivation, den Leib; und drittens die Erkenntnis, akls bloße
Funktion eines Theils dieses Leibes. (Arthur Schopenhauer, Ueber
den Willen in der Natur, 1835, S. 20).
Was ist aber Selbstliebe Anderes, als Wille sein Dasein zu erhalten,
Wille zum Leben? (Arthur Schopenhauer, Ueber den Willen in der
Natur, 1835, S. 29).
Vergleichende Anatomie
So leicht auch der physiotheologisxche Gedanke, daß ein
Intellekt es seyn müsse, der die Natur geordnet hat, dem rohen Verstande
zusagt, so grundverkehrt ist er dennoch. Denn der Intellekt ist uns allein
aus der animalischen Natur bekannt, folglich als ein durchaus sekundäres
und untergeordnetes Princip in der Welt, ein Produkt spätesten Ursprungs:
er kann daher nimmermehr die Bedingung ihres Daseyns gewesen seyn.
(Arthur Schopenhauer, Ueber den Willen in der Natur, 1835, S. 37-38).
Gehen wir nun etwas näher ein auf die ... Angemessenheit
der Organisation jedes Thiers zu seiner Lebensweise und den Mitteln sich
seiner Existenz zu erhalten, so entsteht zunöchst die Frage, ob die
Lebensweise sich nach der Organisation gerichtet habe, oder diese nach
jener. (Arthur Schopenhauer, Ueber den Willen in der Natur,
1835, S. 38).
Wer versteht nicht, daß die Gestalt des Ameisenbären
sich zu den Termiten verhält, wie ein Willensakt zu seinem Motiv?
(Arthur Schopenhauer, Ueber den Willen in der Natur, 1835, S. 39).
Gerade dieses ... beweist, daß die Lebensweise, die das
Thier, um seinen Unterhalt zu finden, führen wollte, die seinen Bau
bbestimmte, - nicht aber umgekehrt .... (Arthur Schopenhauer, Ueber
den Willen in der Natur, 1835, S. 40).
Wir erhalten hierdurch die vollkommene Gewißheit, daß
der Wille nicht als ein Hinzugekommenes, etwan aus der Erkenntnis hervorragendes,
die Werkzeuge benutzt, die er gerade vorfindet, die Theile gebraucht,
weil eben sie und keine andere da sind; sondern daß das Erste und
Ursprüngliche das Streben ist, auf diese Weise zu leben, auf solche
Art zu kämpfen; welches Streben sich darstellt nicht nur im Gebrauch,
sondern schon im Daseyn der Waffe, so sehr, daß jener oft diesem
vorhergeht und dadurch anzeigt, daß weil das Streben da ist, die
Waffe sich einstellt; nicht umgekehrt: und so mit jedem Theil überhaupt.
(Arthur Schopenhauer, Ueber den Willen in der Natur, 1835, S. 40-41).
Diese Wahrheit dringt sich dem denkenden Zoologen und Zootomen
mit solcher Evidenz auf, daß er, wenn nicht zugleich sein Geist
durch eine tiefere Philosophie geläutert ist, dadurch zu seltsamen
Irrthümern verleitet werden kann. (Arthur Schopenhauer, Ueber
den Willen in der Natur, 1835, S. 41).
Aus Deutschland hat Kants tiefe Einwirkung Irrthümer dieser
Art, eben so wie diese krasse, absurde Atomistik der Franzosen und die
erbaulichen physiotheologischen Betrachtungen der Engländer auf immer
verbannt. (Arthur Schopenhauer, Ueber den Willen in der Natur,
1835, S. 42).
Daher bestimmte der Aufebthaltsort der Beute die Gestalt des Verfolgers.
(Arthur Schopenhauer, Ueber den Willen in der Natur, 1835, S. 44).
Wie mit jedem Organ und jeder Waffe, zur Offensive oder Defensive,
hat sich auch, in jeder Thiergestalt, der Wille mit einem Intellekt
ausgerüstet, als einem Mittel zur Erhaltung des Individuums und der
Art. .... Demzufolge ist der Intellekt allein zum Dienste des Willens
bestimmt und diesem überall genau angemessen. (Arthur Schopenhauer,
Ueber den Willen in der Natur, 1835, S. 46).
Aber eben der Organismus ist nur der sichtbar gewordene Wille,
aus welchen, als das absolut Erste, stets Alles zurückweist ....
(Arthur Schopenhauer, Ueber den Willen in der Natur, 1835, S. 48).
Dies ist der Sinn der großen Lehre kants, daß die
Zweckmäßigkeit erst vom Verstande in die Natur gebracht wird,
der demnach ein Wunder anstaunt, daß er erst selbst geschaffen hat.
(Arthur Schopenhauer, Ueber den Willen in der Natur, 1835, S. 54).
Das physiotheologische Argument läßt das Dasein der
Welt in einem Vverstande ihrem realen daseyn vorhergehn und sagt: wenn
die Welt zweckmäßig seyn soll, mußte sie als Vorstellung
vorhanden seyn, ehe * sie ward. Ich aber sage, im Sinne Kants: wenn die
Welt Vorstellung seyn soll; :so muß sie sich als ein Zweckmäßiges
darstellen: und dieses tritt allererst in unserm Intellekt ein (Arthur
Schopenhauer, Ueber den Willen in der Natur, 1835, S. 54).
Pflanzen-Physiologie
Endlich will ich nicht unbemerkt lassen, daß schon Platon
den Pflanzen Begierden, also Willen beilegt. (Tim. p. 403. Bip.) Ich habe
jedoch die Lehren der Alten über diesen Gegenstand bereits erörtert
in meinem Haoutwerk, Bd. 3, Kap. 23 (**|**),
welches Kapitel überhaupt als Ergänzung des gegenwärtigen
zu benutzen ist. (Arthur Schopenhauer, Ueber den Willen in der
Natur, 1835, S. 61-62).
Daher denn auch das einfache Vorstellen (Anschauen) zum eigentlichen
Denken, d.h. dem Erkennen in abstrakten Begriffen, sich verhält wie
das Wollen an sich zum Innewerden dieses Wollens, d.i. dem Bewußtseyn.
Deshalb tritt ganz klares und deutliches Bewußtsein des eigenen
wie des fremden Daseyns erst mit der Vernunft (dem Vermögen der Begriffe)
ein, welche den Menschen über das Thier so hoch erhebt wie das bloß
anschauende Vorstellungsvermögen dieses über die Pflanze. Was
nun, wie diese, keine Vorstellung hat, nennen wir bewußtlos und
denken es als vom Nichtseienden wenig verschieden, indem es sein daseyn
eigentlich nur im fremden Bewußtseyn als dessen Vorstellung habe.
Dennoch fehlt ihm nicht das Primäre des Daseyns, der Wille, sondern
bloß das Sekundäre: aber uns scheint ohne dieses das primäre,
welches doch das Seyn des Dinges an sich ist, ins Nichts überzugehn.
Ein bewußtloses Daseyn wissen wir unmittelbar nicht deutlich vom
Nichtseyn zu unterscheiden; obwohl der tiefe Schalf uns die eigene Erfahrung
darüber giebt. (Arthur Schopenhauer, Ueber den Willen in
der Natur, 1835, S. 63).
Weil ... die Pflanze doch überhaupt Bedürfnisse hat,
wenn gleich nicht solche, die den Aufwand eines Sensoriums und Intellekts
erforderten; so muß etwas Analoges an die Stelle treten, um den
Willen in den Stand zu setzen, wenigstens die sich ihm darbietende Befriedigung
zui ergreifen, wenn auch nicht sie aufzusuchen. Dieses nun ist die Empfänglichkeit
für Reiz, deren Unterschied von der Erkenntnis ich so aussprechen
möchte, daß bei der Erkenntnis das als Vorstellung sich darstellende
Motiv und der darauf erfolgende Willensakt deutlich von einander gesondert
bleiben, und zwar um so deutlicher, je vollkommener der Intellekt
ist; - bei der bloßen Empfänglichkeit für Reiz hingegen
das Empfinden des Reizes von dem dadurch veranlaßten Wollen nicht
mehr zu unterscheiden ist und diese in Eins verschmelzen. Endlich in der
unorganischen Natur hört auch die Empfänglichkeit für Reiz
auf, deren Analogie mit der Erkenntnis nicht zu verkennen ist; es bleibt
jedoch verschiedenartige Reaktion jedes Körpers auf verschiedenartige
Einwirkung; diese stellt sich nun, für den von oben herabschreitenden
Gang unsrer Betrachtung, auch hier noch als Surrogat der Erkenntnis dar.
Reagiert der Körper verschieden; so muß auch doie Einwirkung
verschieden seyn und eine verschiedene Affektion in ihm herborrufen, die,
in aller ihrer Dumpfheit, doch noch entfernte Ähnlichkeit mit der
Erkenntnis hat. (Arthur Schopenhauer, Ueber den Willen in der
Natur, 1835, S. 64-65).
Was dem Thier und dem Menschen die Erkenntnis as medium der Motive
leistet, das Selbe leitet den Pflanzen die Empfänglichkeit für
Reiz, den unorganischen Körpern die für Ursachen jeder Art,
und genau genommen ist das Alles bloß dem Grade nach verschieden.
Denn ganz allein in Folge davon, daß beim Thier, nach Maaßgabe
seiner Bedürfnisse, die Empfänglichkeit für äußere
Eindrücke sich gesteigert hat bis dahin, wo zu ihrem Behuf ein Nervensystem
und Gehirn sich entwickeln muß, entsteht, als eine Funktion dieses
Gehirns, das Bewußtsein und in ihm die objektive Welt, deren Formen
(Zeit, Raum, Kausalität) die Art sind, wie diese Funktion vollzogen
wird. Wir finden also die Erkenntnis ursprünglich ganz auf das Subjektive
berechnet, bloß zum Dienste des Willens bestimmt, folglich ganz
sekundärer und untergeordneter Art, ja, gleichsam nur per accidents
eintretend als Bedingung der auf der Stufe der Thierheit notwendig gewordenen
Einwirkung bloßer Motive, statt der Reize. (Arthur Schopenhauer,
Ueber den Willen in der Natur, 1835, S. 65-66).
.... Systeme des Vorkantischen Dogmatismus .... (Arthur
Schopenhauer, Ueber den Willen in der Natur, 1835, S. 66).
.... Kants unsterbliche Leistung .... (Arthur Schopenhauer,
Ueber den Willen in der Natur, 1835, S. 66).
.... Kants große Entdeckung .... (Arthur Schopenhauer,
Ueber den Willen in der Natur, 1835, S. 66).
Wir ... sind jetzt auf unserem realistisch-objektivem Wege, d.h
ausgehend von der objektiven Welt als dem Gegebenen, zu dem selben Resultat
gelangt, wleches Kant auf dem idealistisch-subjektiven Wege, d.h.
durch Betrachtung des Intellekts selbst, wie er das Bewußtsein konstituirt,
erhielt: und da hat sich uns ergeben, daß die Welt als Vorstellung
auf der schmalen Linie schwebt zwischen der äußern Ursache
(Motiv) und der hervorgerufenen Wirkung (Willensakt) bei erkennenden (thierischen)
Wesen, als bei welchen das deutliche Auseinandertreten beider erst anfängt.
Ita res accedent lumina rebus. Erst durch dieses Erreichen auf zwei ganz
entgegengesetzten Wegen erhält das große von Kant erlangte
Resultat seine volle Deutlichkeit, und ein ganzer Sinn wird klar, indem
es so von zwei Seiten beleuchtet erscheint. Unser objektiver Standpunkt
ist ein realistischer und daher bedingter, sofern er, die Naturwesen als
gegeben nehmend, davon absieht, daß ihre objektive Existenz einen
Intellekt voraussetzt, in welchem zunächst sie als dessen Vorstellung
sich finden: aber Kants subjektiver und idealistischer Standpunkt
ist ebenfalls bedingt, sofern er von der Intelligenz ausgeht, welche doch
selbst die Natur zur Voraussetzung hat, in Folge von deren Entwickelung
bis zu thierischen Wesen sie allererst eintreten kann. (Arthur Schopenhauer,
Ueber den Willen in der Natur, 1835, S. 67-68).
Diesen unsern realistisch-objektiven Standpunkt festhaltend kann
man Kants Lere auch so bezeichnen, daß nachdem Locke,
um die Dinge an sich zu erkennen, von den Dingen, wie sie erscheinen,
den Antheil der Sinnefunktionen, unter dem Namen der sekundären Eigenschaften,
abgezogen hatte, Kant, mit unendlich größerm Tiefsinn,
den ungleich beträchtlichern Antheil der Gehirnfunktionen abzog,
welcher eben die primären Eigenschaften Locke's befaßt. Ich
aber habe hier nur noch gezeigt,, warum das Alles sich so verhalten muß,
indem ich die Stelle nachwies, die der Intellekt im Zusammenhange der
Natur einnimmt, wenn man, realistisch, vom Objektiven als dem Gegebenen
ausgeht, dabei aber den allein ganz unmittelbar bewußten Willen,
dieses wahre pou stw der Metaphysik,
zum Stützpunkte nimmt als das ursprünglich Reale, von welchem
alles Andere nur die Erscheinung ist. (Arthur Schopenhauer, Ueber
den Willen in der Natur, 1835, S. 68).
Aber eine anderweriige Folge der erst im Menschen eintretenden
Sonderung des Intellekts vom Willen, und folglich des Motivs von der Handlung,
ist der täuschende Schein einer Freiheit in den einzelnen Handlungen.
Wo im Unorganischen Ursachen Ursachen, im vegetabilischen Reize die Wirkung
hervorrufen, ist, wegen der Einfachheit der Kausalverbindung, nicht der
mindeste Schein von Freiheit. Aber schon beim animalischen Leben, wo was
bis dahin Ursach oder Reiz war als Motiv auftritt, folglich jetzt eine
zweite Welt, die der Vorstellung, dasteht, und die Ursach im einen, die
Wirkung im andern Gebiete liegt, ist der kausale Zusammenhang zwischen
beiden, und mit ihm die Nothwendigkeit, nicht mehr so augenfällig,
wie sie es dort waren. (Arthur Schopenhauer, Ueber den Willen
in der Natur, 1835, S. 72).
Aber beim Menschen, wo sich die Vorstellung sogar zum Begriffe
gesteigert hat und nun eine ganze unsichtbare Gedankenwelt, die der Kopf
herumträgt, Motive und Gegenmotive für sein Thun liefert und
ihn von der Gegenwart und anschaulichen Umgebung unabhängig macht,
da ist jener Zusammenhang für die Beobachtung von Außen gar
nicht mehr, und selbst für die innere nur durch abstraktes und reifes
Nachdenken erkennbar. Denn für die Beobachtung von außen drückt
jene Motivation durch Begriffe allen seinen Bewegungebn das Gepräge
des Vorsätzlichen auf, wodurch sie einen Anschein von Unabhängigkeit
gewinnen, welcher sie von denen des Thieres augenfällug unterscheidet,
jedoch im Grunde nur davon Zeugnis ablegt, daß der Mensch durch
eine Gattung von Vorstellungen aktuirt wird, deren das Thier nicht theilhaftig
ist; und im Selbstbewußtseyn wiederum wird der Willensakt auf die
unmittelbarste Weise, das Motiv aber meistens sehr mittelbar erkannt und
sogar oft absichtlich, gegen die Selbsterkenntnis, schonend verschleiert.
Dieser Hergang also, im Zusammentreffen mit dem Bewußtseyn jener
ächten Freiheit, die dem Willen als Ding an sich und außer
der Erscheinung zukommt, bringt den täuschenden Schein hervor, das
selbst der einzelen Willensakt von gar nichts abhinge und frei, d.h. grundlos
wäre; während er doch in Wahrheit, bei gegebenem Charakter und
erkanntem Motiv, mit eben so strenger Nothwendigkeit als die Veränderungen,
deren Gesetz die Mechanik lehrt, erfolgt und sich, Kants Ausdruck
zu gebrauchen, wenn Charakter und Motiv genau bekannt wären, so sicher
wie eine Mondfinsternis würde berechnen lassen, oder, um eine recht
heterogene Autorität daneben zu stellen, wie es Dante giebt,
der älter ist als Buridan: Intra duo cibi distanti e moventi // D'un
modo, prima si morrìa di fame, // Che liber' uomo L'un recasse
a' denti (Zwischen zwei gleich entfernte und gleichmäßig bewegte
Speisen gestellt, würde der Mensch eher Hungers sterben, als daß
er, aus freiem Willen, eine derselben zum Munde führte.). (Arthur
Schopenhauer, Ueber den Willen in der Natur, 1835, S. 72-73).
Physische Astronomie
Die gegenwärtige Ansicht der Natur nimmt an, daß es
zwei grundverschiedene Principien der Bewegung gebe, daß
also die Bewegung eines Körpers zweierlei Ursprung haben könne,
daß sie nämlich entweder von Innen ausgehe, wo man sie dem
Willen zuschreibt, oder von Außen, wo sie durch Ursachen
entsteht. .... Ich nun aber muß hier, wie einst Abälard, sagen:
si omnes patres sic, at ego non sic: denn, im Gegensatz zu dieser Grundansicht,
so alt und allgemein sie auch seyn mag, geht meine Lehre dahin, daß
es nicht zwie grundverschiedene Ursprünge der Bewegung giebt, daß
sie nicht entweder von Innen ausgeht, wo man sie dem Willen zuschreibt,
oder von Außen, wo sie aus Ursachen entspringt; sondern daß
Beides unzertrennlich ist und bei jeder Bewegung eines Körpers zugkleich
Statt findet. Denn die eingeständlich aus dem Willen entspringende
Bewegung setzt immer auch eine Ursache voraus: diese ist bei erkennenden
Wesen ein Motiv; ohne sie ist jedoch auch bei diesen die Bewegung unmöglich.
Und andrerseits, die eingeständlich durch eine äußere
Ursache bewirkte Bewegung eines Körpers ist an sich doch Aeußerung
seines Willens, welche durch die Ursache bloß hervorgerufeb
wird. Es giebt demnach nur ein einziges, einförmiges, durchgängiges
und ausnahmsloses Princip aller Bewegung: ihre innere Bedingung ist Wille,
ihr äußerer Anlaß Ursach, welche, nach Beschaffenheit
des Bewegten, auch in Gestalt des Reizes oder des Motivs auftreten kann,
(Arthur Schopenhauer, Ueber den Willen in der Natur, 1835,
S. 77-79).
Alles dasjenige an den Dingen, was nur empirisch, nur a posteriori
erkannt wird, ist an sich Wille: hingegen so weit die Dinge a priori
bestimmbar sind, gehören sie allein der Vorstellung an, der
bloßen Erscheinung. Daher nimmt die Verständlichkeit der Naturerscheinungen
in dem Maaße ab, als in ihnen der Wille sich immer deutlicher manifestiert,
d.h. als sie immer höher auf der Wesenleiter stehen: hingegen ist
ihre Verständlichkeit um so größer, je geringer ihr empirischer
Gehalt ist; weil sie um so mehr auf dem Gebiet der bloßen Vorstellung
bleiben, deren uns a priori bewußte Formen das Princip der Verständlichkeit
sind. Demgemäß hat man völlige, durchgängige Begreiflichkeit
nur so lange, als man sich ganz auf diesem Gebiete hält, mithin bloße
Vorstellung, ohne empirischen Gehalt, vor sich hat, bloße Form;
also in den Wissenschaften a priori, in der Arithmetik. Geometrie, Phoronomie
und in det Logik: hier ist Alles im höchsten Grade faßlich,
die Einsichten sind völlig klar und genügend und lassen nichts
zu wünschen übrig; indem es uns sogar zu denken unmöglich
ist, daß irgend etwas sich anders verhalten könne: welches
Alles daher kommt, daß wir es hier ganz allein mit den Formen unseres
eignen Intellekts zu thun haben. Also je mehr Verständlichkeit an
einem Verhältnisse ist, desto mehr besteht es in der bloßen
Erscheinung und betrifft nicht das Wesen an sich selbst. Die angewandte
Mathematik, also Mechanik, Hydraulik u. s. w., betrachtet die niedrigsten
Stufen der Objektivation des Willens, wo noch das Meist auf dem Gebiete
der bloßen Vorstellung liegt, hat aber doch schon ein empirisches
Element, an welchem die ganze Faßlichkeit, Durchsichtigkeit, sich
trübt und mit welchem das Unerklärliche eintritt. Nur einige
Theile der Physik und Chemie vertragen, aus demselben Grunde, noch eine
mathematische Behandlung: höher hinauf in der Wesenleiter fällt
sie ganz weg; gerade weil der Gehalt der Erscheinung die Form überwiegt.
Dieser Gehalt ist Wille, das Aposteriori, das Ding an sich, das Freie,
das Grundlose. (Arthur Schopenhauer, Ueber den Willen in der
Natur, 1835, S. 79-80).
Auf der niedrigsten Stufe der Natur sind Ursach und Wirkung ganz
gleichartig und ganz gleichmäßig; weshalb wir hier die Kausalverknüpfung
am vollkommensten verstehn: z.B. die Ursach der Bewegung einer gestoßenen
Kugel ist die einer andern, welche eben soviel Bewegung verliert, als
jene erhält. (Arthur Schopenhauer, Ueber den Willen in
der Natur, 1835, S. 80).
Wie wir also einerseits das Wesen der Kausalität, welches
seine größte Deutlichkeit nur auf den niedrigsten Stufen der
Objektivation des Willens (d.i. der Natur) hat, wiedererkennen auf alle
Stufen, auch den höchsten; so erkennen wir auch andrerseits das Wesen
des Willens auf allen Stufen wieder, auch den tiefsten, obgleich wir nur
auf der allerhöchsten diese Erkenntnis unmittelbar erhalten.
(Arthur Schopenhauer, Ueber den Willen in der Natur, 1835, S. 86).
Linguistik
Im Englischen ist das Verbum Wollen sogar das Auxiliar des Futurums
aller übrigen Verben geworden, wodurch ausgedrückt wird, daß
jedem Wirken ein Wollen zum Grunde liegt. (Arthur Schopenhauer,
Ueber den Willen in der Natur, 1835, S. 89).
Animalischer Magnetismus
Da, nach meiner Lehre, der Organismus die bloße Erscheinung,
Sichtbarkeit, Objektivität, des Willens, ja, eigentlich nur der im
Gehirn als Vorstellung angeschaute Wille selbst ist; so fällt der
äußere Akt der manipulation auch mit dem innern Willensakt
zusammen. (Arthur Schopenhauer, Ueber den Willen in der Natur,
1835, S. 92).
Weil ferner im animalischen Magnetismus der
Wille als Ding an sich hervortritt, sehn wir das der bloßen
Erscheinung angehörige principium individuationis (Raum und
Zeit) alsbald vereitelt: seine die Individuen sondernden Schranken werden
durchbrochen: zwischen Magnetiseur und Somnambule sind Räume keine
Trennung, Gemeinschaft der Gedanken und Willensbewegungen tritt ein ....
(Arthur Schopenhauer, Ueber den Willen in der Natur, 1835, S. 95).
Also diese zwei Thatsachen, animalischer Magnetismus und sympathetische
Kuren, beglaubigen empirisch die Möglichkeit einer, der physischen
entgegengesetzten, magischen Wirkung, welche das verflossene Jahrhundert
so peremtorisch verworfen hatte, indem es durchaus keine andere als die
physische, nach dem begreiflichen Kausalnexus herbeigeführte Wirkung
als möglich gelten lassen wollte. (Arthur Schopenhauer, Ueber
den Willen in der Natur, 1835, S. 97).
»Der Gott, der mir im Busen wohnt, // Kann tief mein Innerstes
erregen, // Der über allen meinen Kräften thront, // Er kann
nach Außen nichts bewegen.« (Arthur Schopenhauer, Ueber
den Willen in der Natur, 1835, S. 102).
Sinologie
Auch der Deutsche Sinologe Neumann sagt ...: »Die Wörter
Gott, Seele, geist, als etwas von der materie Unabhängiges und sie
willkührlich Beherrschendes, kennt die Chinesische Sprache gar nicht.«
(Arthur Schopenhauer, Ueber den Willen in der Natur, 1835, S. 124).
Hinweisung auf die Ethik
Denn ich will je nachdem ich bin: daher muß
ich seyn je nachdem ich will. Also ist die Aseität
des Willens die erste Bedingung einer ernstlich gedachten Ethik ....
(Arthur Schopenhauer, Ueber den Willen in der Natur, 1835, S. 130).
Abhängigkeit des Seyn und Wesen
nach, verbunden mit Freiheit dem Thun nach, ist ein Widerspruch.
(Arthur Schopenhauer, Ueber den Willen in der Natur, 1835, S. 130).
Nicht anders steht es mit der Unzerstörbarkeit unsers wahren
Wesens durch den Tod; welche ohne Aseität desselben nicht ernstlich
gedacht werden kann, wie auch schwerlich ohne fundamentale Sonderung des
Willens vom Intellekt. Der letztere Punkt gehört meiner Philosophie
an; den ersteren aber hat schon Aristoteles (de coelo I, 12) gründlich
dargethan, indem er ausdrücklich zeigt, daß nur das Unentstandene
unvergänglich seyn kann, und daß beide Begriffe einander bedingen.
(Arthur Schopenhauer, Ueber den Willen in der Natur, 1835, S. 130).
Im ganzen weiten Asien, überall wo noch nicht der absceuliche
Islam mit Feuer und Schwerdt die alten tiefsinnigen Religionen der Menschheit
verdrängt hat .... (Arthur Schopenhauer, Ueber den Willen
in der Natur, 1835, S. 132).
Ich getröste mich damit, daß meine Ethik, in Beziehung
auf den Upanischad der heiliegn Veden, wie auch auf die Weltreligion Buddha's,
völlig orthodox ist, ja, selbst mit dem alten, ächten Christenthum
nicht im Widerspruch steht. (Arthur Schopenhauer, Ueber den Willen
in der Natur, 1835, S. 132).
Schluß
Aber auch schon das hier Mitgetheilte giebt mir die Zuversicht,
daß die Zeit meiner Philosophie entgegenreift, und mit herzstärkender
Freud sehe ich, wie im Laufe der Jahre allmälig die empirischen Wissenschaften
auftreten als unverdächtige Zeugen fpr eine Lehre, über welche
die »Philosophen von Profession« (diese charakteristische
Benennung, sogar auch die des »philosophischen Gewerbes«,
geben einige naiv sich selbst) siebenzehn Jahre hindurch ein staatskluges,
unverbrüchliches Schweigen beobachtet und von ihr zu redn dem in
ihre Politik uneingeweihten Jean Paul * überlassen haben. * Nachschule
zur ästethischen Vorschule. - Das Vorhergehnde bezieht sich auf 1835,
die Zeit der ersten Auflage dieser Abhandlung. (Arthur Schopenhauer,
Ueber den Willen in der Natur, 1835, S. 133).
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