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Spengler Spengler-Zitate Spengler
„DAS HEUTIGE VERHÄLTNIS ZWISCHEN
WELTWIRTSCHAFT UND WELTPOLITIK“, 1926
(in: „Politische Schriften“, 1919-1926)
Zitate
Ein Vortrag (Düsseldorf, 09.11.1926)
Zitate

NACH OBEN Zitate aus dem Vortrag in Düsseldorf (09.11.1926):

„Ich habe es immer wieder ausgesprochen, daß Politik und Wirtschaft verschiedene Gebiete menschlichen Lebens, Denkens und Handelns sind, die aber eben als Seiten desselben Lebens nicht voneinander getrennt werden können, daß die Politik unbedingt die erste ist, und daß jedes wirtschaftliche Leben ohne eine richtige politische Führung des Landes verderben muß. Das ist es, was der Stolz des Wirtschaftsführers nicht hinnehmen will.“ (Oswald Spengler, Das heutige Verhältnis zwischen Weltwirtschaft und Weltpolitik, 1926, in: Politische Schriften, S. 313Spengler).

„Er ist zu sehr geneigt, die Beschäftigung der Politiker mit seinem Tun als übereifrige Anmaßung und Schädigung zurückzuweisen, die Politik aber sofort zu Hilfe zu rufen, wenn und so lange er glaubt, sie für seine Interessen benutzen zu können. Er wünscht ihr eine Gestalt und Richtung zu geben, wie sie ihm im Augenblick gerade zweckmäßig erscheint. Das ist, wenn auch heute in der ganzen Welt die Regel, so doch kleinlich, flach und falsch, und es wird zum Verhängnis, wenn die Politik selbst schwach und krank, ohne eigne Ziele und ohne Stolz ist und damit den regellosen von Fall zu Fall kurzsichtig gedachten Eingriffen der Wirtschaft unterliegt. Das Wirtschaftsleben einer Nation bedarf einer stets übergeordneten, nicht einer willfährig untergeordneten Politik. Daß es heute in der ganzen Welt umgekehrt ist, darin liegt einer der Gründe dafür, daß weder die eine noch die andere richtig und sicher geführt werden kann. Es muß deshalb das enge Verhältnis zwischen den großen Mächten der Politik und der Wirtschaft, das sich mit den geschichtlichen Epochen fortgesetzt und zwangsläufig ändert, so erkannt werden, wie es heute besteht und wie es sich voraussichtlich in den nächsten Jahrzehnten in bestimmter Richtung weiter verändern wird.“ (Oswald Spengler, Das heutige Verhältnis zwischen Weltwirtschaft und Weltpolitik, 1926, in: Politische Schriften, S. 313-314Spengler).

„Die Zeit der großen weltpolitischen Kombinationen mit wirtschaftlichem Hintergrund aus der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts ist nicht zu Ende. Im Gegenteil, sie haben eine Form verlassen, um nach einer neuen und andersgearteten zu streben, und wir sind mitten in dieser Entwicklung begriffen. Ohne Beziehung zur Außenpolitik und ohne Stützung durch diese gibt es keine Wirtschaftsmacht, vielleicht keine Wirtschaftsmöglichkeit mehr. Und ebensowenig ist es möglich, das geringste nationalpolitische Ziel unter Außerachtlassung wirtschaftlicher Notwendigkeiten auch nur zu formulieren.“ (Oswald Spengler, Das heutige Verhältnis zwischen Weltwirtschaft und Weltpolitik, 1926, in: Politische Schriften, S. 314Spengler).

„Wenn ich vom Verhältnis zwischen Weltwirtschaft und Weltpolitik spreche, dann bin ich mir darüber vollkommen klar, daß noch vor wenigen Jahrzehnten deren wechselseitige Abhängigkeit zum Teil unterschätzt, zum Teil gar nicht bemerkt worden ist. Es ist noch nicht allzu lange her, daß die Großwirtschaft führender Industrieländer die Beschäftigung der Politik mit ihr als einen unerwünschten Eingriff von Laien aufgefaßt hat, daß die Beschäftigung eines Wirtschaftlers selbst mit Politik in seinen Kreisen beinahe als Einwand gegen ihn, als Beweis von Eitelkeit und Dilettantismus galt, und daß man jedenfalls glaubte, Wirtschaftstaktik großen Stils betreiben zu können unter Außerachtlassung der rein politischen Faktoren, die eben in derselben Zeit ihr diplomatisches Spiel trieben. Deshalb muß die enge Verbundenheit beider Machtgebiete seit vielen Jahren der Vergangenheit und für viele Jahre der nächsten Zukunft begriffen sein. Es hat sich nicht nur die Wirtschaft selbst in ihrer inneren Form grundlegend geändert, nicht nur die Weltpolitik an sich, ihren Zielen, Formen und Machtmitteln nach, sondern vor allem auch das Verhältnis zwischen beiden, und zwar ist einer der ersten Gründe für die Katastrophen seit 1914 der gewesen, daß dieses Verhältnis sich umgekehrt hat im Vergleich zu der Lage, die etwa zur Zeit der Anfänge Bismarcks bestand.“ (Oswald Spengler, Das heutige Verhältnis zwischen Weltwirtschaft und Weltpolitik, 1926, in: Politische Schriften, S. 314-315Spengler).

„Wenn ich nun von dem heutigen Verhältnis zwischen Politik und Wirtschaft spreche, so meine ich nicht das dieses Jahres oder der nächsten Jahre. Es ist ein schwerer Fehler der Wirtschaft, in dieser Hinsicht nur »bis zur nächsten Bilanz« zu denken. Eine Krise, die im Laufe weniger Jahre »überwunden« werden kann, ist überhaupt keine Krise gewesen, sondern eine unbedeutende Verlegenheit. Und man täuscht sich über die Schwere der Krisis, die jetzt eben beginnt, nicht schon endet. Die großen Probleme, welche die Weltwirtschaft im Gange ihrer Entwicklung aufwirft, sind säkularer Natur. Sie brauchen Jahrzehnte, um sich zu entwickeln, und Jahrzehnte, nicht um zu einer »Lösung« zu kommen, sondern um zu einer organischen Form zu gelangen, von der aus dann neue Probleme entstehen. Alle die großen Fragen, an denen die Weltwirtschaft heute krankt, sind vor dem Kriege dagewesen. Es gibt nichts, was seitdem wirklich neu hervorgetreten wäre. Sie sind durch den Krieg und durch die Auswirkungen des Krieges umgestaltet, verlagert und verschärft worden, aber man wird sie niemals in ihrem tiefsten Wesen verstehen, wenn man nicht weiß, wie alt sie im Grunde genommen schon sind. Es handelt sich, kurz gesagt, darum, daß im Laufe des 19. Jahrhunderts die Völker Westeuropas, die »weiße Rasse«, wie man auch sagen kann, zu einer Gestaltung ihres politisch-wirtschaftlichen Daseins gelangt sind, die sich bereits gegen Ausgang des 19. Jahrhunderts in dieser Form nicht mehr aufrechterhalten ließ. Wir sind die Erben dieses Jahrhunderts und haben dessen Folgen zu tragen und zu überwinden.“ (Oswald Spengler, Das heutige Verhältnis zwischen Weltwirtschaft und Weltpolitik, 1926, in: Politische Schriften, S. 315Spengler).

„Alles, was in der Geschichte geschieht, vollzieht sich nicht zwischen Interessengruppen, auch nicht zwischen einzelnen, sondern zwischen den großen lebenden Organismen, die wir als Staaten, also politisch organisierte Völker bezeichnen. Das gilt auch von der Wirtschaft. Man muß sich darüber klar sein, daß von einem Jahrhundert zum andern die großen Fragen und Entwicklungstendenzen der Wirtschaft das Vorhandensein organisierter Volks- und Staatskörper zur Voraussetzung haben, von denen jeder zugleich einen Wirtschaftskörper darstellt. Weltwirtschaft ist eine Summe dessen, was in diesen Körpern, zunächst in jedem für sich, vor sich geht. Sie ist ein sehr lockeres Gefüge von vielen Wirtschaftseinheiten, und es wird in Zukunft wie von jeher zu den schwersten wirtschaftspsychologischen Mißgriffen führen, wenn jemand glauben sollte, man könne die Weltwirtschaft als ein Individuum behandeln, das ein einheitliches Innen- und Außenleben führt. Wir sind nicht nur sehr weit davon entfernt, sondern wir werden niemals dahin kommen. Die Weltwirtschaft bestand immer und wird immer aus einer Anzahl von Nationalwirtschaften bestehen, und die Geschichte der Weltwirtschaft wird zum großen Teil aus den Stimmungen und Ereignissen bestehen, die sich zwischen diesen Körpern als Folge ihres starken Eigenlebens entwickeln. Diese Körper selbst aber, welche im Laufe der letzten Jahrzehnte das Schicksal der Wirtschaft angeführt oder erlitten haben, sind im wesentlichen in der napoleonischen Zeit geschaffen worden.“ (Oswald Spengler, Das heutige Verhältnis zwischen Weltwirtschaft und Weltpolitik, 1926, in: Politische Schriften, S. 316Spengler).

„Als mit dem Wiener Kongreß die politische Form der »weißen Staaten« einschließlich Rußlands, im Unterschiede von den Staaten außereuropäischer Kontinente, zu einer gewissen Festigung gekommen war, unterschied sich dies Gefüge vom System des 18. Jahrhunderts dadurch, daß aus den Gebilden dynastischer Formung Nationalstaaten geworden waren – de facto oder in spe. Bekanntlich haben Deutschland und Italien diese Form erst erkämpfen müssen. Angelegt war sie 1815, und wenn auf der anderen Seite eine große Macht wie Österreich im Laufe des 19. Jahrhunderts der Auflösung verfiel,[316] so lag es daran, daß seine Form nicht die eines nationalen Staates gewesen ist und sein konnte. Das ist insofern von unendlicher Wichtigkeit, als ein volles Jahrhundert hindurch die Nationalstaaten, also geographisch umschriebene Volksverbände mit einheitlicher Muttersprache, zugleich die Einheiten gewesen sind, in denen sich die moderne Wirtschaft entwickelt hat. Es würde, um nur einige Beispiele zu nennen, keinen Großhafen Odessa oder Triest geben, wenn es nicht einen russischen und einen österreichisch-ungarischen Staat gegeben hätte. Es würde keinen Vorsprung Hamburgs vor Lübeck und Bremen geben, wenn nicht hinter ihm das Gebiet der Elbe mit der Reichshauptstadt eines 70-Millionen-Landes gelegen hätte. Die Herausbildung großer Handelsstädte, Industriemittelpunkte und Verkehrsbahnen hängt ganz entscheidend davon ab, wo die Grenzen der Staaten laufen, innerhalb deren das Wirtschaftsleben eine geschlossene Einheit bildet. Da diese Staaten vorhanden gewesen sind, so hat sich die Wirtschaft des 19. Jahrhunderts – auch die Industrie, auch der Verkehr – diesen Bedingungen der politischen Geopraphie angepaßt und zwar in einer so organischen Form, daß eine mutwillige Zertrümmerung und Auflösung eines solchen nicht mehr jungen Wirtschaftskörpers eine Katastrophe ist – wie wir sie ja im Osten erlebt haben –, die nicht ernst genug aufgefaßt werden kann. Oberschlesien im Vorkriegsumfange ist eine Einheit gewesen, die durch eine bloße Grenzberichtigung nicht in zwei lebensfähige Teile zerlegt werden kann, so wenig sich »Paneuropa«, um den lächerlichen Begriff zu nennen, durch Aufhebung der Grenzen in ein Wirtschaftsindividuum verwandeln läßt.“ (Oswald Spengler, Das heutige Verhältnis zwischen Weltwirtschaft und Weltpolitik, 1926, in: Politische Schriften, S. 316-317Spengler).

„Die Regierungen dieser Staaten, nach innen sehr stark, überparteilich, und deshalb mehr diplomatisch als ökonomisch denkend, haben von der Tatsache, daß es sich da auch um wirtschaftliche Einheiten handelte, zunächst und fast während des ganzen Verlaufes des 19. Jahrhunderts wenig Notiz genommen. Das, was wir heute »Manchesterlehre« nennen, das »laisser aller«, ist maßgebend gewesen. Auf der einen Seite galt es selbstverständlich für eine Pflicht der Regierung, »die« Wirtschaft, ganz allgemein gesagt, zu fördern, ohne daß damit im einzelnen bestimmte Begriffe, Ziele und Methoden verbunden gewesen wären. Auf der anderen Seite war der Begriff der Privatwirtschaft in einem Grade ausgebildet, wie er heute verlorengegangen ist. Namentlich in England, aber auch in dem Deutschland der ersten Bismarckzeit, ist die Unabhängigkeit der Wirtschaftsentwicklung von jedem politischen Seitenblick so vollkommen gewesen, wie wir es uns heute kaum noch vorstellen können.“ (Oswald Spengler, Das heutige Verhältnis zwischen Weltwirtschaft und Weltpolitik, 1926, in: Politische Schriften, S. 317-318Spengler).

„Das Ergebnis war, daß seit Napoleon und für den Verlauf des ganzen Jahrhunderts eine Reihe politischer Großmächte auf der Welt bestanden, die durchweg weiße Bevölkerung hatten, und die zugleich die allein und ausschließlich maßgebenden wirtschaftlichen Einheiten gewesen sind. Es ist ein ganz wesentlicher Unterschied gegenüber dem 18. Jahrhundert, daß von den »farbigen« Staaten kein einziger im neunzehnten aktiv irgendwie in Betracht gekommen ist, weder die Türkei, noch China und Japan, noch Persien, obwohl die Türkei im 18. Jahrhundert noch eine sehr ernst zu nehmende Großmacht, auch auf Europa bezogen, gewesen ist. Die Großmächte weißer Rasse sind in dieser Zeit vollkommen unter sich gewesen. Sie haben die wirtschaftliche Form der Welt und ihre Aufteilung in gebende und empfangende Kreise bestimmt, ohne daß von irgendeiner Seite auch nur im geringsten ein Gegendruck ausgeübt werden konnte, und sie haben die machtpolitische Durchorganisation der Welt in diesem Jahrhundert bis zu einem gewissen Ende geführt.“ (Oswald Spengler, Das heutige Verhältnis zwischen Weltwirtschaft und Weltpolitik, 1926, in: Politische Schriften, S. 318Spengler).

„Das ist die Erbschaft der Vergangenheit, von der wir heute zehren und unter deren Bedingungen wir gestellt sind. Wenn das 20. Jahrhundert, das, in dem wir leben und für das wir arbeiten, neue Formen hinterlassen wird, so sind sie jedenfalls zunächst nicht da, und was wir an großen Krisen und Katastrophen erleben, sind die Geburtswehen neuer Mächte und Formen, die sich aus den alten entwickeln, mit oder gegen den menschlichen Willen, weil sie für das kommende Zeitalter vorausbestimmt sind.“ (Oswald Spengler, Das heutige Verhältnis zwischen Weltwirtschaft und Weltpolitik, 1926, in: Politische Schriften, S. 318Spengler).

„Hier ist nun in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts eine Umwälzung eingetreten, die in der Weltgeschichte ohne Beispiel ist, und zwar auf einem Sondergebiete der Produktion. Es handelt sich um die Entstehung der Maschinenindustrie großen Stils. Wenn wir mit dem Auge eines Historikers der späten Zukunft einmal zurückblicken könnten auf das, was damals geschehen ist – uns fehlt heute der Abstand, um das Ungeheuerliche dieser Erscheinung zu sehen – so müßte sich das Bild einer Bevölkerung ergeben, die durch fast ein Jahrtausend in einer langsamen Fortbewegung begriffen war, bis plötzlich durch eine Art von Explosion eine steile Aufwärtsbewegung erfolgte, die, wie gesagt, in der Vergangenheit nirgends ihresgleichen gehabt hat. Es ist für die wirtschaftlichen Folgen sehr wesentlich, daß der Anstoß zu dieser radikalen Umwälzung aller Wirtschaftsverhältnisse weder von einer praktischen Notwendigkeit noch überhaupt von der Praxis selbst ausgegangen ist, sondern von einem psychologischen Antrieb, der zunächst ganz außerhalb der Wirtschaft lag.“ (Oswald Spengler, Das heutige Verhältnis zwischen Weltwirtschaft und Weltpolitik, 1926, in: Politische Schriften, S. 319Spengler).

„Das Zeitalter der großen technischen Erfindungen war schon im 18. Jahrhundert eröffnet worden. Aber damals, wo es sich meist um die Erfindungen von Gelehrten handelte, deren Kenntnis auf gelehrte Kreise und theoretischen Ehrgeiz beschränkt blieb, ist niemals mit der Selbstverständlichkeit eine jede Erfindung sofort und in größtem Ausmaße in die Praxis umgesetzt worden, wie das im 19. Jahrhundert der Fall gewesen ist. Dieser Unterschied ist nicht etwa die Folge einer Not oder des ungestillten Bedarfs einer allgemein verfeinerten Lebenshaltung gewesen, sondern das Ergebnis einer theoretischen Weltanschauung, die wir heute, zurückblickend, als den ebenso blinden wie fanatischen Glauben an den »Fortschritt« der »Menschheit« bezeichnen können. Unter »Fortschritt« verstand man zur Zeit Voltaires eine gegen die Kirche gerichtete Aufklärung, zur Zeit der Romantiker eine sittlich-humane Vertiefung, am Ende des Jahrhunderts durchaus etwas Technisches, den leidenschaftlichen Kampf gegen die »Natur«, ihre Unterwerfung und Beherrschung. Durch die Zeit Napoleons sind napoleonisches Tempo und der napoleonische Machtwille in diese Bewegung hineingetragen worden, ein hoher, oft über materiellen Gewinn erhabener Ehrgeiz, der der Wirtschaft früherer Jahrhunderte in dieser Form gänzlich gefehlt hat. Zum ersten Male wird hier im Verlaufe weniger Jahrzehnte eine Neugestaltung der Wirtschaft von außen her vorgenommen, die das Bild ganzer Erdteile von Grund aus geändert hat, in einem Jahrzehnt mehr als früher in einem Jahrtausend.“ (Oswald Spengler, Das heutige Verhältnis zwischen Weltwirtschaft und Weltpolitik, 1926, in: Politische Schriften, S. 319-320Spengler).

„Ich möchte hier aus schwerwiegenden Gründen einen Unterschied machen zwischen natürlicher und künstlicher Produktion. Es ist heute üblich, von Produktion und von Produktionskrisen überhaupt zu sprechen. Man sollte aber doch fühlen, daß »Produktion« ihrem innersten Wesen nach heute nichts Einheitliches mehr ist. Es gibt eine Art, die ihrem Wesen nach bestanden hat, seitdem es kultivierte Menschen gibt, und es gibt eine zweite, die ein Jahrhundert alt ist und nicht älter. Ohne daß eine scharfe Grenze gezogen werden kann, ist es doch für alles, was uns heute bewegt, von entscheidender Bedeutung, daß die »natürliche«, landwirtschaftliche und handwerkliche Produktion, die Herstellung des unmittelbaren Lebensbedarfs: der Nahrung, der Kleidung, der Wohnung, etwas ist, was sich durch die Zeiten hindurch im selbstverständlichen Ausgleich von Bedarf und Herstellung erhalten hat, wogegen die aus Erfindersehnsucht entstandene industrielle Produktion mittels der Technik des Dampfes, der Elektrizität und der Chemie etwas ist, was die erste voraussetzt, was hinzukommt, was sich seine wirtschaftliche Notwendigkeit erst schaffen muß. Wenn die Großindustrie im allerweitesten Sinne, wie sie erst im Laufe des 19. Jahrhunderts zur alles beherrschenden Tatsache geworden ist, als künstlich bezeichnet werden darf, dann ist damit auch gemeint, daß das Verhältnis zwischen Arbeitsleistung und der Möglichkeit der Ernährung durch deren Ertrag nicht so einfach und unmittelbar gegeben ist wie bei einem Handwerker alten Schlages oder Bauern, der fast im buchstäblichen Sinne von der Hand in den Mund lebte. Hier ist der Kreislauf von der Arbeit über den Absatz zum Arbeitsertrag sehr viel verwickelter und unsicherer und nimmt auch geographisch sehr viel weitere Räume in Anspruch. Es kommt aber für die Entscheidungen der Zukunft vor allen Dingen in Betracht, daß die natürliche Produktion wenigstens davor gesichert ist, eines Tages überflüssig zu werden, schon weil Hersteller und Verbraucher, als geschlossene Bevölkerung betrachtet, wesentlich identisch sind; sie läßt sich aus einem lebendigen Volkstum nicht einmal fortdenken, während wir im Kriege gelernt haben, daß die Bevölkerung ganzer Länder in kurzer Zeit sich von dem Glauben an die Unentbehrlichkeit großer Teile der industriellen Produktion freimachen kann, wenn deren Produkte nicht mehr erreichbar sind, und wieder zum »natürlichen« Bedarf zurückkehrt. Das ist für die Gefahrlage eines Landes mit vorwiegend großer Industrie von außerordentlicher Bedeutung. Man kann nicht von Brot und Kleidung zu etwas Einfacherem zurückgehen. Aber man kann sehr wohl vom Autofahrer wieder zum Fußgänger werden oder zu Hause bleiben, statt eines Telegramms einen Brief schreiben und statt der Bahn wieder einen Boten nehmen. Jedenfalls ist in Augenblicken großer Umwälzungen die künstliche Produktion selbst in ihrem Vorhandensein nicht völlig gesichert, um von ihrer Rentabilität zu schweigen.“ (Oswald Spengler, Das heutige Verhältnis zwischen Weltwirtschaft und Weltpolitik, 1926, in: Politische Schriften, S. 320-321Spengler).

„Nun gehört zur ersten Auswirkung des Aufkommens einer Industrie allergrößten Stiles die Tatsache, daß sie in der Form, welche heute noch maßgebend ist, der Kohle nicht entbehren kann, und zwar in dem Grade, daß die Kohle als das am schwersten transportable Mittel der Produktion die übrigen an sich zieht, daß also die politischen Gebilde von 1815, in denen zufällig die großen Kohlevorkommen liegen, durch diesen geologischen Zufall die führenden Industrieländer der Welt geworden sind. Man muß sich einmal klarmachen, wie Deutschland sich entwickelt hätte, wenn zufällig in Oberschlesien, an der Ruhr und in Sachsen Kohlenlager nicht vorhanden wären. Wenn andrerseits im Mittelmeergebiet Kohle in großer Menge vorkäme, würden Spanien und Italien reiche Industrieländer mit der doppelten Bevölkerung und Deutschland im wesentlichen ein Bauernland sein, wie es heute der Süden ist. Die scheinbar rein wirtschaftliche Tatsache, daß innerhalb der durch die napoleonische Zeit entwickelten Staaten- und Völkergrenzen die Kohlevorkommen verschieden verteilt sind, hat zur Ausbildung des Großmachtsystems geführt, das zwischen 1870 und dem Weltkriege die Schicksale der Welt bestimmt hat und mit diesem Kriege, der auch ein Ergebnis des Widerspruchs zwischen wirtschaftlicher und politischer Lage der Nationen war, zerbrochen ist.“ (Oswald Spengler, Das heutige Verhältnis zwischen Weltwirtschaft und Weltpolitik, 1926, in: Politische Schriften, S. 321-322Spengler).

„Ein Land wie Belgien wurde auf dem Wiener Kongreß als Provinz an Holland gegeben, weil es zu unbedeutend war, um größere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Heute hat sich das Verhältnis vollkommen umgekehrt, und zwar, weil die Kohle auf der belgischen und nicht auf der holländischen Seite liegt. Das Zurücktreten unbestrittener Großmächte des 17./18. Jahrhunderts wie Spanien und Schweden beruht doch auch darauf, daß diese Länder durch den Zufall des Fehlens von Kohle nicht in der Lage gewesen sind, die politische Entwicklung mitzumachen. Und man sollte auch nicht übersehen, daß der steile Aufstieg Deutschlands zu einer Weltmacht in und nach der Zeit Bismarcks erst dann eingesetzt hat, als der Aufbau der deutschen Industrie anfing über die Tatsache der Reichsgründung hinaus das alles beherrschende Ereignis zu werden. Es entwickelt sich in Westeuropa und Nordamerika, und nur hier, seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ein stummes Ringen um die Vormacht zwischen der Erde und der Kohle. Die Ackererde ist noch zur Zeit Napoleons das einzige gewesen, was in Betracht kam, und wenn man von einem reichen und fruchtbaren Lande sprach, so meinte man die Fruchtbarkeit seines Bodens für den Bauern, nicht für den Bergmann. Jetzt aber, wo zum ersten Male in der Wirtschaftsgeschichte der ganzen Welt etwas anderes als diese Urwirtschaft für die politische Geltung des Landes in Betracht kommt, vollzieht sich eine innere Verwandlung im Aufbau der großen Kulturnationen, deren man sich heute noch kaum bewußt geworden ist.“ (Oswald Spengler, Das heutige Verhältnis zwischen Weltwirtschaft und Weltpolitik, 1926, in: Politische Schriften, S. 322Spengler).

NACH OBENDie menschenzüchtende Wirkung der Kohle ist der Faktor, der von der Wirtschaft ausgehend allmählich die ganze Politik großen Stils in seinen Bann gezogen hat. Da die Kohle die notwendige Unterlage für die Entwicklung der Massenindustrie war, da sie Hände in phantastischer Anzahl brauchte, so zog sie in immer höherem Maße Menschen aus den übrigen Gebieten heraus, saugte das Land leer, und es begann eine innere Völkerwanderung in allen Ländern mit weißer Bevölkerung, über deren Ausmaß man sich ebenfalls heute noch nicht recht klar geworden ist. Wenn die »weiße« Bevölkerung der Welt, denn trotz des »Fortschritts der Menschheit« kommt es nur auf die weißen Nationen an, um 1800 nicht viel über 100 Millionen Köpfe betragen hat – ich lasse Rußland beiseite, weil es eine Sonderstellung einnimmt – und wenn diese Zahl 1914 auf über eine halbe Milliarde angewachsen war, ein Wachstum, das in der Geschichte ebenfalls ohne Beispiel dasteht, so handelt es sich um ein Wachstum ausschließlich der Kohlengebiete, Industriestädte und Verkehrsknotenpunkte, die zwischen jenen die Verbindung herstellen. Die »farbige« Bevölkerung der Welt ist in diesem Jahrhundert ungefähr auf der gleichen Höhe geblieben. Das Überquellen der weißen Rasse ist die Folge der unvorhergesehenen wirtschaftlichen Tatsache, daß die Kohle und ihre Verwertung in einem Grade züchtend gewirkt hat, der beispiellos ist. Wenn die öffentliche Gesundheitspflege zu einer selbstverständlichen Aufgabe aller Staaten geworden ist, wenn jedes einzelne Menschenleben, ob wertvoll oder minderwertig, erhalten und nach Möglichkeit verlängert werden mußte, dann liegt dem ganz unbewußt das Gefühl zugrunde, daß ein heutiges Volk im Ringen der politisch organisierten Großmächte Europas jedes einzelne Menschenleben ohne Rücksicht auf seine Qualität nötig hat, nur als Zahl, und diese planmäßige Vergrößerung der Volkskörper um jeden Preis hatte zum Ergebnis eine Anhäufung von Menschen, die Herausarbeitung des Typus eines Massenvolkes, von dem die Zeit Napoleons noch keine Vorstellung besaß. Wenn 1914 von modernen Großmächten geredet wurde, dann schwebte jedem ein Volk vor, dessen Umfang nach Dutzenden von Millionen veranschlagt werden mußte, wenn es überhaupt mitzählen wollte. Das war eine Größenordnung, die sich nur auf dem Wege der wirtschaftlichen Revolution durch die Maschinenindustrie entwickeln konnte. Aber auf der anderen Seite ist damit – und das ist für die Politik von ungeheurer Bedeutung gewesen – der Sinn und Aufbau dieser Völker wesentlich verändert worden; die innere Einheit ist verlorengegangen. Noch in der Zeit der Revolution von 1848 konnte man sagen, daß die maßgebenden europäischen Nationen im wesentlichen eine harmonische soziale, eine gesellschaftliche Gliederung nach Ständen aufwiesen. Ob man das Bürgertum und Bauerntum oder Stadt und Land nennt, ist verhältnismäßig gleichgültig. Jedenfalls waren die Länder im allgemeinen so bevölkert, daß diese Bevölkerung in natürlichen Provinzen durch diese selbst ernährt werden konnte und eine organische Einheit von Landschaft zu Landschaft bildete. Jetzt ist ein Typus von Nationen entstanden, der sich von diesem wesentlich unterscheidet. Man darf sagen, daß jedes Volk, in dessen Wohnbereich große Industriereviere entstanden sind, seitdem ein durchaus einseitiges Wachstum durchgemacht hat und im Grunde genommen heute aus zwei Völkern besteht, die zusammengefaßt sind durch Sprache und Staat, nicht aber, wie früher, durch eine einheitliche Lebensauffassung. Denn die ungeheuren Massen weißer entwurzelter Menschen, die sich in den Industriegebieten Europas und später auch Nordamerikas angesammelt haben, leben anders, fühlen anders und denken anders als der Rest in den unberührt gebliebenen Schichten und Gebieten. Es entsteht der Gegensatz, der zum erstenmal von Marx sehr deutlich aber falsch formuliert worden ist: »Bourgeoisie und Proletariat«, und der seitdem in allen Ländern, die hier in Betracht kommen, die Parteipolitik in steigendem Grade bestimmt hat, mit der Parteipolitik auch die Außenpolitik und damit heute in einem nicht ausdenkbaren Grade den Gang der Weltpolitik. Der Ausgangspunkt dieser erstaunlichen Entwicklung ist, wie gesagt, die Ansammlung nicht herangewachsener, sondern zusammengeströmter, unorganischer Massen auf der Kohle; das Endprodukt ist die Zerklüftung der betreffenden Nationen in zwei große Mengen, die aus einem inneren Widerspruch der Lebenshaltung und -auffassung einander schwer verstehen können.“ (Oswald Spengler, Das heutige Verhältnis zwischen Weltwirtschaft und Weltpolitik, 1926, in: Politische Schriften, S. 323-325Spengler).

„Es kommt noch etwas anderes dazu: Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beginnt man die Einschätzung eines Landes als Großmacht, als fortgeschritten oder zurückgeblieben, als reich oder arm, sogar als kultiviert oder unkultiviert, mehr und mehr davon abhängig zu machen, ob sich in seinen Grenzen derartige Industriegebiete befinden oder nicht. Auch das ist uns heute kaum zum Bewußtsein gekommen und wurde doch entscheidend für die geschichtliche Entwicklung der folgenden Zeit. Wenn man 1800 vom Reichtum eines Volkes sprach, so meinte man damit etwas wesentlich anderes als 1900. Der »Nationalreichtum« eines Landes nach heutiger Vorstellung würde nicht vorhanden sein, wenn wir einmal die Industrie ausscheiden wollten. »Kapital« ist etwas, das eine andere Größenordnung einnimmt und eine andere Größe darstellt als fünfzig Jahre vorher, weil die ganze Struktur der Wirtschaftsproduktion mit anderen Wertarten und Wertmaßen rechnet. Ebenso aber wie reiche und arme Völker einen neuen Unterschied darstellen, zerfallen allmählich die Weltvölker immer entschiedener in Produktions- und Verbrauchervölker, und zwar im Hinblick auf die Industrie. Und da mit der Produktion im engeren Sinne, wie ich sie hier meine, der »künstlichen«, auch jedesmal die stärkere Kapitalkraft und damit auch die stärkere politische Kraft verbunden ist, so ist in der Welt etwa seit Bismarck die Verbrauchernation zugleich die politisch schwächere Nation geworden, also im Getriebe der internationalen Verwicklungen, der Verträge und Kriege die Nation, die aus Mangel an finanzieller und militärischer Widerstandskraft zum Nachgeben verurteilt ist. Es gibt kaum eine Reihe von Handelsverträgen, in der nicht diese Tatsache ganz deutlich hervortritt, das Vorhandensein industrieller und also politischer Überlegenheit auf der einen, der Mangel daran auf der andern Seite. Ich wiederhole noch einmal: Wenn alle farbigen und die meisten weißen Länder von einstiger Bedeutung als Großmächte im Laufe des 19. Jahrhunderts ausscheiden, wenn die Vereinigten Staaten, im Gegensatz zu dem einst viel wichtigeren Lateinamerika, in steigendem Grade in den Kreis eingetreten sind, wenn Deutschland den mächtigen Aufstieg genommen hat, der auf allen Seiten Bestürzung erregte und zu Abwehrstimmungen trieb, dann beruht das immer und immer wieder darauf, daß diese Art von Produktionswirtschaft mit Massenabsatz in der Ferne nur in wenigen Ländern die notwendige Unterlage, nämlich das Vorkommen von Kohle, fand. Das ist die eine, die positive Seite dieser Entwicklung. Das Gefahrvolle daran ist ursprünglich nicht in dem Maße gefühlt worden, auch heute noch nicht, wie es notwendig gewesen wäre. Denn eine grundlegende Tatsache der Produktionsart, die ich vorhin die künstliche nannte, beruht in der Umkehrung von Angebot und Nachfrage. Es beginnt damit, daß aus theoretischem Interesse eine große technische Erfindung gemacht wird, die bis dahin niemand entbehren konnte, weil sie niemand ahnte; daß diese Erfindung zur Unterlage eines gewinnbringenden praktischen Verfahrens gemacht wird; daß nun erst für das Produkt ein Abnehmerkreis gesucht wird; daß die Herstellung in Menge selbst wieder eine Vermehrung der Menschenzahl im Herstellungsgebiet bedingt, daß daraufhin aber die Notwendigkeit, den Absatz zu sichern, um diese Menschen zu ernähren, zu einer immer weitergehenden Verfeinerung des Verfahrens, zu überlegenen Methoden, zur Überwindung der Konkurrenz durch größere Leistungen führt, und damit ist der Anfang wieder erreicht: die neue technische Erfindung, die nun wieder den alten Weg geht über die Häufung der Menschenzahl, das Suchen nach Absatz und das Erzwingen des Absatzes: Es hat sich infolgedessen im Laufe des 19. Jahrhunderts eine Art von Fieberkreislauf in allen großwirtschaftlich organisierten Nationen entwickelt, dessen Tempo und Spannung von einem Jahrzehnt zum andern zugenommen hat. Dieser Zustand griff allmählich von den unmittelbar industriellen Kreisen über auf die ganze Bevölkerung. Ich erinnere Sie an die Mittel der Reklame, an die großen Ausstellungen, an das geradezu sportliche Interesse der gesamten öffentlichen Meinung in Zeitungen und Vorführungen an jeder neuen Erfindung, die gemacht worden ist, an die Begeisterung und den nationalen Stolz, den jeder neue Höhen- und Geschwindigkeitsrekord entfesselte: etwas, was das 18. Jahrhundert in dem Grade niemals gekannt hat. Es ist eine ernste geschichtliche Tatsache, daß der Begriff »Fortschritt der Menschheit« ein Schlagwort geworden war, unter dem man schließlich nur noch eine Summe technischer Errungenschaften verstand, über deren Verwertbarkeit kein Zweifel bestand, weil sie eben alle und unter allen Umständen verwertet werden sollten und mußten. Es entstand neben diesem Fieber der Rekorde, neben dem Rausch der Statistik die Genugtuung, mit der in jedem Lande jede Zahl irgendwelcher Art begrüßt wurde, die von andern Ländern noch nicht erreicht war, die Zahl der Großstädte, Hochöfen, Flugzeuge, die Länge der Eisenbahnen und Telegraphendrähte, die Menge der geförderten Kohle und Erze. Dieser Erscheinung entspricht auf der anderen Seite eine psychologische Reizung zum Verbrauch, die unumgänglich war und die ebenfalls allmählich zu einer Überspannung der wirtschaftlichen Weltlage geführt hat. Es ist eine Auswirkung dieser Überreizung des Bedarfes, des zum großen Teil eingebildeten Bedarfs, der Hervorbringung eines nicht durch seelische Verfeinerung entwickelten, sondern aufgeredeten, äußerlichen Luxus der Kulturvölker und gerade ihrer unteren städtischen Schichten, daß zuletzt eine durchschnittliche Lebenshaltung als selbstverständlich angenommen worden ist, die auf die Dauer, auch ohne den Krieg, nicht zu tragen gewesen wäre. Wir dürfen uns gar keinem Zweifel darüber hingeben, daß der Lebensstandard,[327] wie er beispielsweise die letzten zwanzig Jahre vor dem Kriege in Deutschland als normal galt, nie wieder erreicht werden wird; er war unnatürlich und hätte als Gegenwert von dem Einzelnen eine Arbeitsleistung gefordert, die er dauernd zu übernehmen weder gewillt noch fähig war. Dasselbe gilt selbstverständlich auch von England und Amerika ....“ (Oswald Spengler, Das heutige Verhältnis zwischen Weltwirtschaft und Weltpolitik, 1926, in: Politische Schriften, S. 325-327Spengler).

NACH OBEN „Es war weiter eine Folge der Notwendigkeit, unter allen Umständen für das geschaffene Produkt einen Absatz außerhalb der Industriegebiete zu suchen, daß man nun an die außereuropäischen Völkermassen mit der immer dringenderen Forderung herantrat, die Produktion aufzunehmen. Man ging von der bloßen Werbung, vom Angebot, von der Reklame zum politischen Druck, zur Niederhaltung der farbigen Konkur- renz, unter Umständen zum Krieg über. Das ist bis zu Verbrechen getrieben worden. In Indien ist es vorgekommen, daß, um die Selbstversorgung der Inder mit eigenen Webwaren zu verhindern, den Männern ganzer Dörfer der Daumen abgeschnitten wurde. In derselben Richtung liegt die »Erschließung« Chinas und die Aufteilung von Afrika mit ihren zahlreichen kriegerischen Expeditionen. Die farbige Welt konnte Jahrzehnte hindurch diesen verstärkten Strom des Angebots aufnehmen. Aber auch da mußte einmal der Punkt eintreten, wo die Sättigung erreicht war. Und nun tritt das Gefährliche dieser künstlichen Produktion hervor: Jedes Land, das wesentlich in den Formen natürlicher Produktion geblieben ist, etwa Skandinavien oder Italien, wird in der Lage sein, eine Absatzkrise dadurch zu ertragen, daß im Grunde genommen sich jeder Einzelne trotz ihrer ernähren kann. Die Menschenmassen aber, die sich auf dem Rücken der Kohle angesammelt haben, hängen auf Tod und Leben von der Möglichkeit ab, für fast das gesamte Produkt ihrer Hände einen Gegenwert aus der Ferne zu bekommen, von dem sie sich ernähren können. So wie der Absatz im Laufe der Jahrzehnte allmählich ein Fernabsatz wurde, so wurde die Nahrungsbeschaffung allmählich eine Fernernährung, und so entwickelte sich die Bahnung eines dichten Verkehrs auf der einen Seite für den Absatz, auf der andern für die Zufuhr von Rohstoffen und Nahrungsmitteln zu einer conditio sine qua non, um diese Millionenmassen in vollgestopften Gebieten am Leben zu erhalten. Aus den natürlichen Völkern waren künstliche geworden. Das ist die wirtschaftliche Seite dieser Entwicklung. Es konnte nicht ausbleiben, daß dieser Kreislauf von Tatsachen einen wachsenden Druck auf Stil, Wege und Absichten der großen Politik ausübte. Das ist im Lauf der Jahrzehnte auch geschehen. Aber es ist erstaunlich, wie langsam das kam und in wie geringem Maße die Staatsmänner der führenden Völker die letzten Resultate dieser Entwicklung vorausgesehen haben. Das erste ist die Tatsache, daß die Politik anfangen mußte, die übrigen Erdteile als etwas außerordentlich Wichtiges zu behandeln. Noch zur Zeit Napoleons ist das kaum geschehen. Da war Afrika ein höchst gleichgültiger Erdteil und China ein Vorbild für Kostümfeste. Jetzt aber setzt ein Wettlauf der Industriestaaten um die politische Macht über Gebiete ein, die man als Rohstofflieferanten und Abnehmer von Industrieerzeugnissen nicht mehr entbehren konnte. Der rein politische Staatsgedanke der Mitte des 19. Jahrhunderts ist zunächst nur unterstützt worden durch die Tatsache, daß in einem Lande die Großindustrie den Reichtum, die Volkszahl und damit auch die Möglichkeit der Aufbringung militärischer und finanzieller Machtmittel gefördert hat. Die Kohle dient den Kanonen, die Kanonen der geschichtlichen Tradition. Die Millionenzahl der Heere, die gegenüber den Hunderttausenden von 1815 erscheint, ist nur möglich durch die neue Größenordnung alles dessen, was man Nationalreichtum, Wehrkraft und Rüstungsbedarf nannte. Aber auch hier ist die Umkehrung eingetreten wie im Verhältnis von Angebot und Nachfrage: Gegen Ende des Jahrhunderts verliert im Verhältnis von Wirtschaft und Politik die Politik die Führung. Ursprünglich war es die Kohle, die Industrie und ihr Produkt, die den Heeren und damit der Politik der großen Staaten die Machtmittel gaben. Jetzt, wo das dunkle Gefühl sich geltend macht, daß diese Unterlagen nicht unter allen Umständen unerschütterlich sind, fängt die Politik ganz langsam und unmerklich an, von der Wirtschaftsgebarung gemeistert zu werden. Die Kanonen dienen nun der Kohle. Die vollkommene Abhängigkeit von wirtschaftlichen Notwendigkeiten ist um 1910 vorhanden. Bemerkt worden ist sie in ihrer ganzen Tragweite erst im Verlauf des Weltkrieges. Der wirtschaftliche und erst in seinem Dienst der politische Imperialismus - das ist das Wort für diese neue Art von Politik - hat die Aufgabe, die Existenz eines Massenvolkes nach außen hin sicherzustellen, eines Volkes, das sich innerhalb seiner eigenen Grenzen nicht ernähren kann, nachdem seine Zahl infolge der Industrialisierung weit über diese Möglichkeiten hinaus angeschwollen ist. Dem dient die Politik der Kolonien, Protektorate und Einßußsphären, die Erschließung Chinas, die Durchdringung des tropischen Amerika, der berühmte »Platz an der Sonne«, die Aufteilung Afrikas in Ausbeutungsgebiete, die Führung einer ganzen Reihe von Kriegen, gegen die Buren, in Ägypten und Marokko, in China, Birma und Madagaskar, an den Grenzen von Indien und Turkestan, um wirtschaftliche Möglichkeiten für eine einzelne Macht allein zu reservieren. Das Ergebnis dieser Frühzeit des Imperialismus ist es gewesen, daß einzelne Großmächte, » Weltmächte«, sich aus der Zahl mittlerer Mächte herauskristallisierten, weil sie in irgendeiner Form imperialistische Politik treiben mußten, weil der Verzicht darauf den wirtschaftlichen Untergang von Millionen der eigenen Staatsangehörigen bedeutet hätte. Der Imperialismus, der in einer wachsenden Kriegsrüstung und Kriegsbereitschaft der Weltmächte bestand, um in der Reihe dieser Nationen ersten Ranges bleiben und bei allen, auch rein wirtschaftlichen Verhandlungen einen Druck auf die militärisch Schwächeren ausüben zu können, ist endlich zu der Katastrophe vorgetrieben worden, welche der Ausbruch des Weltkrieges darstellt. Die Hochspannung war längst erreicht. Sieht man die Dinge vom wirtschaftlichen Standpunkt an, so ist der Punkt, in welchem die Sättigung des gesamten Weltmarktes mit Produkten in bedrohliche Nähe gerückt war, zwischen 1900 und 1910 erreicht worden. Es haben sich schon damals warnende Stimmen erhoben, die dazu rieten, rechtzeitig Verhandlungen über Kontingentierung und gemeinsame Hemmung der Produktionssteigerung einzuleiten. Es versteht sich bei geschichtlichen Tatsachen, die stärker sind als die Menschen, ganz von selbst, daß derartige Erwägungen erfolglos bleiben mußten; niemand in einer verantwortlichen Stellung wird in der Lage sein, auf eine seinem Lande verliehene Macht und den damit verbundenen Vorteil freiwillig zu verzichten, um einem anderen Lande einen Vorteil einzuräumen. Jedenfalls ist die Konkurrenznot der führenden Länder, die durchweg Industrie- und also auch Kolonial- und imperialistische Länder gewesen sind, schon zur Zeit des russisch-japanischen Krieges dicht vor einer Entladung gewesen. Wenn sie damals noch vermieden wurde, und wenn die Übersättigung des Marktes mit Produktionsmitteln noch nicht so grell in die Erscheinung trat, so verdanken wir das ausschließlich dem Umstande, daß seit dem Ausgang dieses Krieges bis zum Ausbruch des Weltkrieges ein derartiges Rüsten für die letzte Entscheidung erfolgte, daß allein die Bereitstellung des Kriegsbedarfs für Heere von einem ungeahnten Ausmaß genügte, um noch für ein volles Jahrzehnt die Industrie vor Absatzsorgen im wesentlichen zu bewahren und - leider - sie für die Tatsachen blind zu machen. Es ist das selbstverständlich eine Steigerung des künstlichen Charakters der Produktion bis an die äußerste Grenze. Nun kommt der große Krieg oder, vorsichtiger gesagt, der erste der großen Entscheidungskriege. Hier ist der Grad der politischen Weitsicht der einzelnen Regierungen für wirtschaftliche Dinge sehr verschieden gewesen. Das einzige Land, das von vornherein wußte, daß dieser Krieg auch die weltwirtschaftlichen Fragen bis zu einer gewissen Lösung treiben mußte, ist England gewesen (kein Wunder, denn England, sein Finanzadel und die ihm hörigen Politiker haben ihn doch gewollt, geplant und in die Wege geleitet, also verursacht; HB). Das bekannte Wort Eduards VII., daß Deutschland zu spät in den Kreis der großen Völker eingetreten sei, und das andere, oft gehörte, daß eines Tages England um des Weekend willen diesen Krieg führen müsse, bedeuten eine sehr klare Einsicht in Tatsachen, die sich seit fünf Jahrzehnten bis zu einem Punkt entwickelt hatten, wo, wie immer in der Welt, die Gewalt in die Schranken trat. “ (Oswald Spengler, Das heutige Verhältnis zwischen Weltwirtschaft und Weltpolitik, 1926, in: Politische Schriften, S. 328-331Spengler).

NACH OBEN „Auch die sich beständig verändernden Methoden und Ziele des Krieges sprechen für die erst langsam wachsende Einsicht in den Sinn der Ereignisse. Wenn ein Historiker in später Zukunft einmal die Untersuchung vornimmt, warum sich im Lauf dieses Krieges die unmittelbaren und mittelbaren Kriegsziele geändert haben, so wird er mit Erstaunen feststellen, daß von einem Jahr zum andern das Problem der gewaltsamen Produktionseinschränkungen des militärisch Schwächeren immer klarer wurde. Von der bloßen Schädigung des Feindes, um ihn politisch und militärisch schwächer zu machen, geht es immer bewußter auf das Ziel hinaus, die unterliegende Nation wirtschaftlich, und zwar auf so lange Zeit als möglich, konkurrenzunfähig zu machen, sie nach Möglichkeit industriell zu vernichten, und nichts andres erstrebt der »Friede« von Versailles, die Abtretung von Industriegebieten, die Reparationen, die Auslieferung der Handelsflotte, die Entwaffnung. Erst im Verlaufe des Weltkrieges ist das große Problem nicht dieser Jahre, sondern das von zwei Jahrhunderten in aller Schroffheit zum Vorschein gekommen: die Tatsache, daß es zuviel weiße Menschen auf der Welt gibt, daß diese Menschen in Europa viel zu stark angehäuft sind, daß die Produktion, die diese Menschenmassen ernähren muß, nicht unbedingt auf Absatz rechnen kann, und daß infolgedessen eines Tages eine Entscheidung getroffen werden muß, entweder über gewaltsame Herabsetzung der Bevölkerungszahl durch Verpflanzung oder über die Regelung der Weltproduktion oder, als ultima ratio, über Herabsetzung der Produktion dessen, der sich im politischen Wettstreit als der Schwächere erwiesen und sich mit dieser Tatsache abgefunden hat. Es hat keinen Zweck, vor dieser Tatsache die Augen schließen zu wollen. Kein guter Wille zur Verständigung schafft sie aus der Welt. Das große Problem der nächsten Jahrzehnte ist dieses, daß tatsächlich, nachdem die Produktionserweiterung in ungehemmtem Maßstabe das Ideal aller Länder gewesen ist, die große nüchterne und ernste Frage einer gewissen Mäßigung oder Regelung oder wie man es sonst nennen will, an der Tagesordnung ist. Wenn augenblicklich die Frage nicht so dringend zu sein scheint, dann muß man sich doch darüber klar sein, daß in dem Europa, in dem augenblicklich sechs Millionen Arbeitslose vorhanden sind, nur von einem Intermezzo der Erholung gesprochen werden darf. Es ist noch so viel nachzuholen an Dingen, die Jahre hindurch nicht oder schlecht hergestellt, die zerstört worden sind, daß im Augenblick wenigstens eine Täuschung über die Härte dieser Krise möglich ist; eine Täuschung; auf die Länge wird das nicht der Fall sein. Zunächst ist schon vor dem Kriege das Monopol der weißen Völker auf diesem Gebiet gebrochen worden. Das erste nichteuropäische Volk, das in allergrößtem Maßstab, gedeckt durch eine starke militärische Rüstung, als selbständiger Konkurrent auf dem Weltmarkte erschien, statt ein Abnehmervolk zu bleiben, ist Japan gewesen. Ich sehe von den Vereinigten Staaten ab, weil sie eine Sonderstellung einnehmen, obwohl ihr Übergang von vorwiegendem Verbrauch europäischer zu vorwiegendem Export eigener Industrieware die Lage wesentlich verschärft hat. Es stellt sich aber weiter heraus, daß während des Krieges und auch schon vor ihm die unerwartet großen Kohlevorkommen in der ganzen Welt in steigendem Grade benützt worden sind, um Industrien anzulegen, die dem Abnehmer näher sind als die europäischen. Wir haben heute Industriegebiete in Indien, in Ägypten, in Turkestan, in Südafrika, in Kanada, in Australien. Es ist gar nicht abzusehen, wie lange es noch dauern wird, bis Südamerika, China und Persien in die Reihe der Großindustrieländer getreten sind. Wie überall haben auch hier die neuerschlossenen vor halb erschöpften Lagen einen Vorsprung. Es ist weiter die Frage, ob angesichts dieses Überflusses das bloße Kohlevorkommen ausreicht, um einem Staat die Ernährungsmöglichkeiten seiner Bewohnerschaft zu sichern. Wir gehen einer energischen Ausnützung der Kohle auf dem Wege der Aufschließung, der Verflüssigung u.s.w. entgegen, die mit der Steigerung des Nutzeffekts auch einen verminderten Bedarf an Material bedeutet. Es kommt hinzu, daß Öl und Wasserkraft ebenfalls als selbständige Wettbewerber auf dem Markt der natürlichen Kräfte erschienen sind.“ (Oswald Spengler, Das heutige Verhältnis zwischen Weltwirtschaft und Weltpolitik, 1926, in: Politische Schriften, S. 331-334Spengler).

„Vor allen Dingen aber tritt die Tatsache ganz entscheidend hervor, daß Europa militärisch nicht mehr das einstige Monopol besitzt, um die übrigen Erdteile zu zwingen, in der Lage des Abnehmers zu verbleiben und auf die Rolle des Produzenten zu verzichten. Darin sehe ich die geschichtlich wichtigste Umwälzung, die der russisch-japanische Krieg eingeleitet und der Weltkrieg auf die Höhe gebracht hat: Im Gegensatz zum vorigen Jahrhundert sind die Großmächte Europas bei ihren Entscheidungen nicht mehr unter sich. Die farbige Welt ist selbst eine Großmacht geworden, in Afrika, in Ostasien, im Islam, in Mittelamerika. Das entspricht der Wendung in der römischen Geschichte, als die Provinzen wichtiger werden als Rom.“ (Oswald Spengler, Das heutige Verhältnis zwischen Weltwirtschaft und Weltpolitik, 1926, in: Politische Schriften, S. 334Spengler).

„Rußland, einst die östlichste Macht der westlichen, ist heute die westliche unter den östlichen Mächten bis Japan hin, ist durch seine ideelle Vereinigung mit Asien in eine enge Verbindung von unabsehbaren Folgen getreten. Die englischen Dominions bilden einen Verband, von dem man nicht recht weiß, ob sein Schwerpunkt noch in Europa liegt oder nicht. Der Islam setzt seine Durchdringung ganz Afrikas fort. Die Vereinigten Staaten haben eine Stellung erworben, die mehr und mehr geeignet ist, den amerikanischen Kontinent zu einer Welt für sich zu gestalten. Das sind Erscheinungen, die ein halbes Jahrhundert vorher undenkbar gewesen wären.“ (Oswald Spengler, Das heutige Verhältnis zwischen Weltwirtschaft und Weltpolitik, 1926, in: Politische Schriften, S. 334Spengler).

NACH OBEN „Das sind Erscheinungen, die ein halbes Jahrhundert vorher undenkbar gewesen wären. Also auf der einen Seite die Tatsache, daß die Wirtschaftsverfassung und damit die Erhaltung der nun einmal zur heutigen Höhe angeschwollenen weißen Völker in Gefahr ist, auf der anderen die zweite, nicht minder schwere, daß bei der wirtschaftspolitischen Regelung der Frage Völker außerhalb Europas mitzureden haben. Es kommt noch ein Drittes hinzu; in wenigen Worten muß es angedeutet werden: auch die geschäftsführenden Regierungen der gefährdeten Nationen sind ihrer Form nach im Lauf der letzten J ahrzehnte anders geworden. Feste Hoheitsregierungen in dem Sinne, wie es diejenige Bismarcks, anfangs auch diejenige Napoleons III. und auch die englische noch zur Zeit Gladstones waren, sind heute nicht mehr vorhanden, wenn man von einigen Diktaturen absieht, und in allen Ländern ist die Möglichkeit, das ganze Gewicht an politischem Einfluß, an Kapital und zuletzt an Waffen in die Wagschale zu werfen, um die Existenz der Nation in ihrer schlechthin vorhandenen Zahl und Lage zu sichern oder zu verbessern, ganz wesentlich abhängig davon, ob die jeweilige Regierung von innen heraus eine Stützung oder Hinderung erfährt. So grotesk das einem künftigen Betrachter erscheinen wird: das erste ist nichts weniger als selbstverständlich. Ich brauche hier nicht auf Einzelheiten einzugehen. Es wird durchaus natürlich erscheinen, daß das englische Volk auf Grund seiner Erziehung zu weltpolitischem Tatsachendenken, obwohl es, wie ich angedeutet hatte, ebenfalls in eine Doppelnation zerfallen ist: eine industrielle Bevölkerungsmasse und den Rest, doch in allen national entscheidenden Fragen einheitlich dastehen würde. Was wir heute national nennen, ist im Grunde genommen nur der praktische Egoismus eines Gebiets, das durch seine ganze wirtschaftlich-politische Entwicklung dazu verurteilt ist, als Ganzes zu stehen oder zu fallen und das deshalb auf jeden Einzelnen und jede Klasse rechnen muß. Wenn man statt Nationalismus gesunder Wirtschaftsegoismus sagen wollte, dann würde der Unterschied nicht sehr groß sein. Und zu dieser Art von Egoismus hätte sicherlich der mit seinem Dasein an die Kohle gebundene Teil eines Volkes zuerst Veranlassung, weil ihn zuerst die Folgen des verlornen oder verscherzten Schutzes durch die Machtmittel eines Großstaates treffen. Wie dem auch sei, wenn wir die führenden Länder der Welt daraufhin mustern, bis zu welchem Grade jedes einzelne im Falle einer Auseinandersetzung über diese Lebensfrage auf eine Stützung von den Beteiligten rechnen könnte, würde die Rechnung für mehr als eines sehr traurig ausfallen. Solange es sich um Nationen im Gewand gewachsener, durch die Macht der Tradition geheiligter Formen handelte, um Staaten, wie sie aus der Zeit Napoleons hervorgingen und zur Zeit Bismarcks noch unerschüttert aufrecht standen, ist die Macht eines einzelnen Menschen von noch so unbestrittener Größe begrenzt durch die gewaltige Macht der ihm entgegenstehenden überlieferten Formen. Das gilt auch, wie die englische Industrie beweist, von den traditionellen Bräuchen und Methoden in der Wirtschaft. Infolgedessen konnte ein Führer, sei er nun Wirtschaftsführer, Volksführer, Diplomat oder Finanzmann, doch nur innerhalb gewisser Grenzen seine persönliche Überlegenheit zur Geltung bringen. Der alte Staat, die alte Wirtschaft, die alte Firma waren eine Macht für sich. Was in der großen Auseinandersetzung, die uns in Zukunft bevorsteht, neu und für Deutschland fast allein hoffnungsvoll sein wird, sind die eigentlich unbegrenzten schöpferischen Möglichkeiten für Menschen, die über das Maß der übrigen hinausgewachsen sind. Es ist in Zukunft auf dem ganzen Gebiete der Wirtschaft, der Technik, der Finanzen genau so wie auf dem der Politik, der Diplomatie wie des Krieges wahrscheinlich, daß immer wieder ein Einzelner durch die Macht seiner Persönlichkeit und also durch die Größe seiner Stellung alles aufwiegt, was an ungünstigen Faktoren eben von mir hier aufgeführt worden ist.“ (Oswald Spengler, Das heutige Verhältnis zwischen Weltwirtschaft und Weltpolitik, 1926, in: Politische Schriften, S. 334-336Spengler).

„Ich sehe im Laufe des 20. Jahrhunderts eine geschichtliche Epoche, und zwar eine wirtschafts- geschichtliche und politisch-geschichtliche, voraus, in der es sich weniger um Staaten und Verfassungen, noch weniger um Diktate und Verträge, sondern mehr und mehr und immer entschiedener um große Namen handeln wird, deren Klang Mächte aufrichtet und geistige Schlachten gewinnt. Das Volk, das die stärksten Individuen zu stellen hat, das unverbrauchteste, an aufrechtstehende Traditionen am wenigsten gebundene, wird endlich und letzten Endes der Sieger sein.“ (Oswald Spengler, Das heutige Verhältnis zwischen Weltwirtschaft und Weltpolitik, 1926, in: Politische Schriften, S. 336-337Spengler).

NACH OBEN „Die Situation selbst ist, wie gesagt, die, daß der unbedingte Vorrang Europas verlorengegangen ist, daß damit Nationen von der Form und Kopfzahl, wie sie im Laufe der Industrialisierung sich in Europa entwickelt haben, in eine neue Form ihres Daseins inmitten der übrigen Welt überführt werden müssen, um fortleben zu können, daß also eine neue Art von Verbindung zwischen einem europäischen Lande als Schwerpunkt und irgendwelchen Beziehungen zu andern Erdteilen als Unterlage erreicht werden muß, die heute im englischen Empire oder in dem Versuche Rußlands, sich in Asien einem Kreis von Staaten anzugliedern, noch kaum angedeutet ist. Wenn es einem Lande nicht gelingt, auf dieser Grundlage ein verzweigtes System seiner Wirtschaftshaltung, und zwar - darüber wollen wir uns nicht im unklaren sein - gegen andere, die dasselbe wollen, relativ günstig auszubilden, wird nur das übrig bleiben, was in England kürzlich in vollem Ernste vorgeschlagen worden ist, nämlich die Massenübersiedelung dauernd Erwerbsloser in andere Erdteile, in diesem Falle nach den Dominions, die sich das sofort verbeten haben. Das würde selbstverständlich ein Mittel sein, dessen Erfolg nicht etwa eine Entlastung des Landes, eine Lösung des Problems ist, sondern eine Verschärfung, denn - ich glaube das gezeigt zu haben - wie die Dinge sich seit einem Jahrhundert entwickelt haben, bedeutet eine Million arbeitsfähiger und wehrfähiger Menschen nicht nur Produktionskraft, sondern auch Nationalreichtum, wirtschaftliche Macht, politische und militärische Macht und damit letzten Endes doch wieder etwas, was in die Wagschale geworfen werden kann, wenn es sich darum handelt, wirtschaftliche Abmachungen auf vorteilhafter Grundlage zu schließen und ihre Einhaltung durch den Gegner zu erzwingen. Denn heute wie immer ist bei Verträgen, auch wirtschaftlichen, nur der politisch Stärkere gesichert.“ (Oswald Spengler, Das heutige Verhältnis zwischen Weltwirtschaft und Weltpolitik, 1926, in: Politische Schriften, S. 337Spengler).

„Ich komme zum Schluß. Mag die große Politik durch die Entwicklung des vorigen Jahrhunderts zuletzt noch so sehr unter den Druck der Wirtschaftsführung geraten, von ihr abhängig geworden und von ihren Zielen beherrscht worden sein, so ist doch heute ein wirtschaftlicher Erfolg großen Ausmaßes, das heißt die wirtschaftliche Sicherstellung des Daseins eines großen Volkes nur möglich, wenn auch politische Macht in die Wagschale gelegt werden kann gegenüber der, die auf der andern Seite vorhanden ist: Macht, die nicht in Masse, sondern Überlegenheit besteht. Der Weg der Verfeinerung beschränkt sich nicht auf technische Verfahren und Methoden. Die gesamte Kultur geht ihn. Ich wiederhole deshalb zum Schluß: Politische Macht, ohne die es wirtschaftliche Erfolge auf weite Sicht nicht gibt, besteht heute nicht mehr nur in Geld, in Kanonen und Verträgen, sondern in wachsendem Maße in dem Vorhandensein von Persönlichkeiten, die durch ihre Überlegenheit reale Macht darstellen und die anonyme Macht großer Quantitäten ersetzen können. Meine Hoffnung für Deutschland beruht darauf, daß wir dasjenige Volk sind, das die stärksten Individualitäten der Technik, Wissenschaft und Organisation in Wirtschaft, Heer und Verwaltung seit einem Jahrhundert hervorgebracht und offenbar diese Kraft der Produktion bei weitem noch nicht erschöpft hat.“ (Oswald Spengler, Das heutige Verhältnis zwischen Weltwirtschaft und Weltpolitik, 1926, in: Politische Schriften, S. 338Spengler).

 

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Anmerkungen:


Polybios (um 200 - um 120 Polybios) unterschied 3 Gattungen der Geschichtsschreibung. Die von ihm gepflegte Gattung nannte er pragmatikh istoria, die Tatsachen-Geschichte für ernste Leser, die lesen, um zu lernen. Wichtig waren ihm 3 Teile bzw. Forderungen, die der pragmatische Historiker zu erfüllen hat: Studium der Quellen, der Schauplätze der Geschichte und politisch-militärische Erfahrung. Timaios und andere Schreibtischhistoriker wurden von Polybios abgekanzelt. Neben den in den Zielsetzungen der führenden Männer liegenden aitai (Ursache, Grund) des historischen Geschehens gibt es noch eine andere gewaltige verursachende Macht, das Unberechenbare, das Irrationale, von Polybios gelegentlich mit Ausdrücken um automaton umschrieben, meist aber Tyche (Schicksal, Zufall) genannt. Außer den politisch-militärischen Betrachtungen streute der leidgeprüfte, philosophisch veranlagte Historiker auch häufig allgemein-moralische Reflexionen in sein Werk ein, darunter manche sehr feine Bemerkung. Polybios wurde nicht nur bedeutend als der Historiker, der eine Fülle geschichtlichen Stoffes übermittelte, sondern auch und vielleicht noch mehr als Geschichtsphilosoph. Er vertrat die Vorstellung von einem Kreislauf der Verfassungen und betrachtete die römische Mischverfassung als die beste. Polybios hatte stärkste Wirkung auf die gesamte spätere Geschichtsschreibung - griechische und römische. Besonders stark beeinflußte er Poseidonios (um 135 - 51 ), der zum einflußreichsten Denker der mittleren Stoa wurde (Stoa), und Strabon (um 63 v. Chr. - um 19 n. Chr. Strabon) sowie Titus Livius (59 v. Chr. - 19 n. Chr. Livius). Polybios' Hauptwerk Historien (40 Bücher zur [römischen] „Weltgeschichte“ von 264 bis 144) wurde von Poseidonios und von Strabon fortgesetzt. Auch Oswald Spengler (1880-1936 Oswald Spengler) war von Polybios beeindruckt.

Ferdinand von Schill (1776-1809), preußischer Offizier, der sich in den Koalitionskriegen vor allem bei der Verteidigung von Kolberg (1807) auszeichnete. 1809 versuchte er vergeblich mit seinem Husarenregiment eine allgemeine Erhebung gegen Napoleon I. auszulösen und fiel in Stralsund im Straßenkampf; 11 Offiziere seines Korps wurden in Wesel standrechtlich erschossen, mehr als 500 Soldaten auf französische Galeeren geschickt.

„Ich verstehe unter »Farbigen« auch die Bewohner Rußlands und eines Teils von Süd- und Südosteuropa.“ (Oswald Spengler, Der Mensch und die Technik - Beitrag zu einer Philosophie des Lebens, 1931, S. 85Spengler).

„Abgesehen davon, daß in einem südlichen Lande mit halbtropischem Lebensstil und entsprechender »Rasse«, und außerdem mit schwacher Industrie, also unentwickeltem Proletariat, die nordische Schärfe des Gegensatzes nicht vorhanden ist. In England etwa hätte diese Art von Faschismus nicht entstehen und sich nicht behaupten können.“ (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung, 1933, S. 134Spengler).

Vgl. Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung, 1933, S. 77ff. und ders., Politische Schriften (Preußentum und Sozialismus), 1919, S. 75ff..Spengler

Vgl. Oswald Spengler, Politische Schriften (Politische Pflichten der deutschen Jugend), 1924, S. 139ff. und ders., Politische Schriften (Neubau des Deutschen Reiches), 1924, S. 269.Spengler

Vgl. Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1918-1922, S. 566.Spengler

„Das altgermanische Wort eigan bedeutet herrschen: nicht nur etwas »haben«, sondern unumschränkt darüber verfügen.“ (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung, 1933, S. 138Spengler).

„Von dem ererbten Bauernhof, der Werkstatt, der Firma mit alten Namen bis zur Erbmonarchie. Die Republik ist seit 1789 eine Form der Opposition gegen den Erbgedanken, nicht anderes.“ (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung, 1933, S. 140Spengler).

„Das Urteil Jugurthas über Rom.“ (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung, 1933, S. 147Spengler).

„Die Libyer und »Seevölker« durch die Ägypter des Neuen Reiches, die Germanen durch Rom, die Türken durch die Araber, die Neger durch Frankreich.“ (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung, 1933, S. 147Spengler).

Vgl. Eduard Meyer (1855-1930 Eduard Meyer), Blüte und Niedergang des Helleninsmus in Asien (1925), Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung, 1933, S. 148.Spengler

Vgl. Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1918-1922, S. 680ff..Spengler

„Ich wiederhole: Rasse, die man hat, nicht eine Rasse, zu der man gehört. Das eine ist Ethos, das andere - Zoologie.“ (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung, 1933, S. 161 Spengler).

NACH OBEN Quos Jupiter vult perdere dementat: „Wen Jupiter verderben will, dem raubt er den Verstand“.

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