Im Zwange der Welt
Weben die Nornen.
Sie können nichts wenden noch wandeln.
Richard Wagner, Siegfried.
Einleitung (S. VII-XII).
Niemand konnte die nationale Umwälzung dieses Jahres mehr
herbeisehnen als ich. Ich habe die schmutzige Revolution von 1918 vom
ersten Tage an gehaßt, als den Verrat des minderwertigen Teils unseres
Volkes an dem starken, unverbrauchten, der 1914 aufgestanden war, weil
er eine Zukunft haben konnte und haben wollte. Alles, was ich seitdem
über Politik schrieb, war gegen die Mächte gerichtet, die sich
auf dem Berg unseres Elends und Unglücks mit Hilfe unserer Feinde
verschanzt hatten, um diese Zukunft unmöglich zu machen. Jede Zeile
sollte zu ihrem Sturz beitragen, und ich hoffe, daß das der Fall
gewesen ist. Irgend etwas mußte kommen, in irgendeiner Gestalt,
um die tiefsten Instinkte unseres Blutes von diesem Druck zu befreien
.... (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und
die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. VI ).
Was ich vor Jahren als »Preußentum« gezeichnet
hatte, ist wichtig es hat sich gerade eben bewährt ,
nicht irgendeine Art von »Sozialismus«. Wir brauchen eine
Erziehung zu preußischer Haltung, wie sie 1870 und 1914 da war und
wie sie im Grunde unserer Seelen als beständige Möglichkeit
schläft. Nur durch lebendiges Vorbild und sittliche Selbstdisziplin
eines befehlenden Standes ist das erreichbar, nicht durch viel Worte oder
durch Zwang. Sich selbst beherrschen muß man, um einer Idee dienen
zu können, zu innerlichen Opfern aus Überzeugung bereit
sein. Wer das mit dem geistigen Druck eines Programms verwechselt, der
weiß nicht, wovon hier die Rede ist. Damit komme ich auf das Buch
zurück, mit dem ich 1919 den Hinweis auf diese sittliche Notwendigkeit
begonnen habe, ohne die sich nichts von Dauer errichten läßt:
»Preußentum und Sozialismus« ( ).
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. X ).
Dies Buch ist aus einem Vortrag »Deutschland
in Gefahr« entstanden, den ich 1929 in Hamburg gehalten habe, ohne
auf viel Verständnis gestoßen zu sein. Im November 1932 ging
ich an die Ausarbeitung, immer noch der gleichen Lage in Deutschland gegenüber.
Am 30. Januar 1933 war es bis zur Seite 106 gedruckt. Ich habe nichts
daran geändert, denn ich schreibe nicht für Monate oder das
nächste Jahr, sondern für die Zukunft. Was richtig ist, kann
durch ein Ereignis nicht aufgehoben werden. Nur den Titel habe ich anders
gewählt, um nicht Mißverständnisse zu erzeugen: Nicht
die nationale Machtergreifung ist eine Gefahr, sondern die Gefahren waren
da, zum Teil seit 1918, zum Teil sehr viel länger, und sie bestehen
fort, weil sie nicht durch ein Einzelereignis beseitigt werden können,
das erst einer jahrelangen und richtigen Fortentwicklung bedarf, um ihnen
gegenüber wirksam zu sein. Deutschland ist in Gefahr. Meine
Angst um Deutschland ist nicht kleiner geworden. Der Sieg vom März
war zu leicht, um den Siegern über den Umfang der Gefahr, ihren Ursprung
und ihre Dauer die Augen zu öffnen. (Oswald Spengler, Jahre
der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. XI ).
Niemand kann wissen, zu was für Formen, Lagen und Persönlichkeiten
diese Umwälzung führt und was für Gegenwirkungen sie von
außen zur Folge hat. Jede Revolution verschlechtert die außenpolitische
Lage eines Landes, und allein um dem gewachsen zu sein, sind Staatsmänner
vom Range Bismarcks nötig ( ).
Wir stehen vielleicht schon dicht vor dem zweiten Weltkrieg mit unbekannter
Verteilung der Mächte und nicht vorauszusehenden - militärischen,
wirtschaftlichen, revolutionären - Mitteln und Zielen. Wir haben
keine Zeit, uns auf innenpolitische Angelegenheiten zu beschränken.
Wir müssen für jedes denkbare Ereignis »in Form«
sein. Deutschland ist keine Insel. Wenn wir nicht unser Verhältnis
zur Welt als das wichtigste Problem gerade für uns sehen,
geht das Schicksal - und was für ein Schicksal! - erbarmungslos über
uns hinweg. Deutschland ist das entscheidende Land der Welt, nicht
nur seiner Lage wegen, an der Grenze von Asien, weltpolitisch heute dem
wichtigsten Erdteil, sondern auch weil die Deutschen noch jung genug sind,
um die weltgeschichtlichen Probleme in sich zu erleben, zu gestalten,
zu entscheiden, während andere Völker zu alt und starr
geworden sind, um mehr als eine Abwehr aufzubringen. Aber auch großen
Problemen gegenüber enthält der Angriff das größere
Versprechen des Sieges. Das habe ich beschrieben. Wird es die gehoffte
Wirkung tun? (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland
und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. XI-XII ).
Der politische Horizont (S. 1-15):
Deutschland ist keine Insel (S.
1) - Angst vor der Wirklichkeit (S. 3) - Rationalismus und Romantik
(S. 5) - Der täuschende Friede 1871-1914 (S. 10) - Größe
der Zeit (S. 11)
Menschengeschichte ist Kriegsgeschichte. Von den wenigen echten
Historikern von Rang ist keiner populär geworden, und von den Staatsmännern
wurde Bismarck es erst, als es ihm nichts mehr hal (Oswald Spengler,
Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 7 ).
Haben sie je den Namen des großen Friedrich List gehört,
der 1846 Selbstmord beging, weil niemand seine vorausschauenden realpolitischen
Ziele den Aufbau einer deutschen Nationalwirtschaft begriff
und unterstützte? Aber die Namen Arminius und Thusnelda kannten sie
alle. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland
und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 7 ).
Was die augenblickliche Weltlage betrifft, so sind wir alle in
Gefahr, sie falsch zu sehen. Seit dem (us-)
amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1861-1865), dem deutsch-französischen
Krieg (1870) und der viktorianischen Zeit hat sich bis 1914 ein so unwahrscheinlicher
Zustand von Ruhe, Sicherheit, friedlichem und sorglos fortschreitendem
Dasein über die weißen Völker verbreitet, daß man
in allen Jahrhunderten vergebens nach etwas ähnlichem sucht.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 10 ).
Der Mensch ist ein Raubtier. Ich werde
es immer wieder sagen. All die Tugendbolde und Sozialethiker, die darüber
hinaus sein oder gelangen wollen, sind nur Raubtiere mit ausgebrochenen
Zähnen .... Seht sie doch an: sie sind zu schwach, um ein Buch
über Kriege zu lesen, aber sie laufen auf der Straße zusammen,
wenn ein Unglück geschehen ist, um ihre Nerven an dem Blut und Geschrei
zu erregen, und wenn sie auch das nicht mehr wagen können, dann genießen
sie es im Film und in den illustrierten Blättern. ( ).
Wenn ich den Menschen ein Raubtier nenne, wen habe ich damit beleidigt,
den Menschen - oder das Tier? Denn die großen Raubtiere sind edle
Geschöpfe in vollkommenster Art und ohne die Verlogenheit menschlicher
Moral aus Schwäche. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung
- Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 14 ).
Die Weltkriege und Weltmächte (S. 16-57).
Zeitalter der Weltkriege (S. 16) - Zwischen
vergangenen und künftigen Machtformen, Metternich (S. 19) - Der
erste Weltkrieg seit 1878 drohend (S. 20) - 1918 nichts entschieden
(S. 22) - Ende Europas. Verfall der Staatshoheit seit dem
Wiener Kongreß (S. 24) - Demokratischer Nationalismus (S. 25)
- Die Wirtschaft mächtiger als die Politik: Keim der der Wirtschaftskatastrophe
(S. 28) - Wandlung der Heere und strategischen Gedanken (S. 32) - Flotten
und Kolonien (S. 35) - Wirtschaftliche Kriegführung (S. 39) - Neue
Mächte (S. 41) - Rußland wieder asiatisch (S. 43) - Japan
(S. 46) - Die Vereinigten Staaten und die Revolution (S. 47) - England
(S. 51) - Frankreich (S. 54) - Der Verzicht auf Weltpolitik schützt
nicht vor ihren Folgen (S. 56).
Die Grenze der abendländischen
Kultur lag immer dort, wo die deutsche Kolonisation zum Stillstand gekommen
war. Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und
die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 17 ).
Spanien und Frankreich, die sinkenden Kolonialreiche, denen die
Insel England den Vorrang abgewann, den Spaniern endgültig 1713,
den Franzosen seit 1763. England wurde die führende Macht in diesem
System, nicht nur als Staat, sondern auch als Stil. Es wurde sehr reich
im Verhältnis zum »Kontinent« England hat sich
nie ganz als Bestandteil »Europas« aufgefaßt
und setzt diesen Reichtum in Gestalt gemieteter Soldaten, Matrosen und
ganzer Staaten an, die gegen Subsidien für die Interessen der Insel
marschierten. Am Ende des Jahrhunderts hatte Spanien längst aufgehört,
eine Großmacht zu sein, und Frankreich war dazu bestimmt, ihm zu
folgen: beides altgewordene, verbrauchte Völker, stolz aber müde,
der Vergangenheit zugewendet, ohne den wirklichen Ehrgeiz, der von Eitelkeit
streng zu scheiden ist, eine schöpferische Rolle auch in der Zukunft
zu spielen. Wären Mirabeaus Pläne 1789 gelungen, so wäre
eine leidlich beständige konstitutionelle Monarchie entstanden, die
sich im wesentlichen mit der Aufgabe begnügt hätte, den Rentnergeschmack
der Bourgeoisie und der Bauern zu befriedigen. Unter dem Direktorium lag
die Wahrscheinlichkeit vor, daß das Land, resigniert und aller Ideale
satt, sich mit jeder Art von Regierung zufrieden gegeben hätte, welche
die Ruhe nach außen und innen gewährleistete. Da kam Napoleon,
ein Italiener, der Paris zur Basis seiner Machtziele gewählt hatte,
und schuf in seinen Heeren den Typus des letzten Franzosen, der
noch ein volles Jahrhundert lang Frankreich als Großmacht aufrechterhalten
hat: tapfer, elegant, prahlerisch, roh, voller Freude am Töten, Plündern,
Zerstören, mit dem Elan ohne Ziel, nur um seiner selbst willen, so
daß alle Siege trotz unerhörten Blutvergießens Frankreich
nicht den geringsten bleibenden Vorteil gebracht haben. Nur der Ruhm gewann
dabei, nicht einmal die Ehre. Im Grunde war es ein Jakobinerideal, das
gegenüber dem girondistischen der kleinen Rentner und Spießbürger
nie die Mehrheit hinter sich hatte, aber stets die Macht. Mit ihr ziehen
statt der vornehmen Formen des ancien régime ausgesprochen
plebejische in die Politik ein: die Nation als ungegliederte Masse, der
Krieg als Aufgebot von Massen, die Schlacht als Verschwendung von Menschenleben,
die brutalen Friedensschlüsse, die Diplomatie der Advokatenkniffe
ohne Manieren. Aber England hatte ganz Europa und seinen ganzen Reichtum
nötig, um diese Schöpfung eines einzelnen Mannes zu vernichten,
die dennoch als Gedanke weiterlebte. Auf dem Wiener Kongreß siegte
noch einmal das 18. Jahrhundert über die neue Zeit. Das hieß
seitdem »konservativ«. Oswald Spengler, Jahre der
Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 18-19 ).
Auf dem Wiener Kongreß siegte noch einmal
das 18. Jahrhundert über die neue Zeit. Das hieß seitdem »konservativ«.
Es war nur ein scheinbarer Sieg, dessen Erfolge das ganze Jahrhundert
hindurch beständig in Frage gestellt war. Metternich, dessen politischer
Blick - was man auch gegen seine Person sagen mag - tiefer in die Zukunft
drang als der irgendeines Staatsmannes nach Bismarck, sah das mit unerbitterlicher
Klarheit: »Mein geheimster Gedanke ist, daß das alte Europa
am Anfang seines Endes ist. Ich werde, entschlossen mit ihm unterzugehen,
meine Pflicht zu tun wissen. Das neue Europa ist anderseits noch im Werden;
zwischen Ende und Anfang wird es ein Chaos geben.« Nur um dieses
Chaos zu verhindern, entstand das System des Gleichgewichts der großen
Mächte, beginnend mit der Heiligen Allianz zwischen Österreich,
Preußen und Rußland. Verträge wurden geschlossen, Bündnisse
gesucht, Kongresse abgehalten, um nach Möglichkeit jede Erschütterung
des politischen »Europa« zu verhindern .... (Oswald
Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 19 ).
Aber solange Bismarck herrschte ( )
und er hat in Europa geherrscht, mehr als einst Metternich ,
änderte sich nichts in dessen politischem Gesamtbild. Europa war
unter sich; niemand mischte sich in seine Angelegenheiten. Die Weltmächte
waren ohne Ausnahme europäische Mächte. Und die Angst vor dem
Ende dieses Zustandes ... leitete die Diplomatie aller zugehörigen
Staaten. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland
und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 19 ).
Aber trotzdem war die Zeit schon 1878 für den ersten Weltkrieg
reif. Die Russen standen vor Konstantinopel, England wollte eingreifen,
Frankreich und Österreich auch; der Krieg wäre sofort nach Asien
und Afrika und vielleicht Amerika ausgedehnt worden, denn die Bedrohung
Indiens von Turkestan her, die Frage der Herrschaft über Ägypten
und den Suezkanal, chinesische Probleme traten hervor, und dahinter lag
der beginnende Wettstreit Londons und Newyorks, das die englischen Sympathien
für die Südstaaten im Sezessionskrieg nicht vergessen hatte.
Nur die persönliche Überlegenheit Bismarcks schob die Entscheidung
der großen Machtfragen, die auf friedlichem Wege unmöglich
war, der Zukunft zu, aber um den Preis, daß nun an die Stelle von
wirklichen Kriegen ein Wettrüsten für mögliche trat, eine
neue Form des Krieges im gegenseitigen Übertreffen an Zahl der Soldaten,
der Geschütze, der Erfindungen, der zur Verfügung stehenden
Geldsummen, die die Spannung seitdem längst ins Unerträgliche
wachsen ließ. Und eben damals begann, vom Europa der Bismarckzeit
gänzlich unbeachtet, Japan unter Mutsuhito (1869) sich zu einer Großmacht
europäischen Stils zu entwickeln mit Heer, Taktik und Rüstungsindustrie,
und die Vereinigten Staaten zogen die Folgerung aus dem Bürgerkrieg
von 186165, in welchem das Element der Siedler und Plantagenbesitzer
dem der Kohle, der Industrie, der Banken und Börsen erlegen war:
der Dollar begann eine Rolle in der Welt zu spielen. (Oswald Spengler,
Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 20 ).
Seit dem Ende des Jahrhunderts wird der Verfall dieses Staatensystems
sehr deutlich, allerdings nicht für die leitenden Staatsmänner,
unter denen es keinen einzigen von irgendwelcher Bedeutung mehr gibt.
Sie erschöpfen sich alle in den gewohnten Kombinationen, Bündnissen
und Verständigungen, vertrauen alle für die Dauer ihrer Amtszeit
auf die äußere Ruhe, welche durch die stehenden Heere repräsentiert
wurde, und denken alle an die Zukunft wie an eine verlängerte Gegenwart.
Und über alle Städte Europas und Nordamerikas hin hallt das
Triumphgeschrei über den »Fortschritt der Menschheit«,
der sich in der Länge der Eisenbahnen und Leitartikel, der Höhe
der Fabrikschornsteine und radikalen Wahlziffern und der Dicke der Panzerplatten
und der Aktienpakete in den Geldschränken täglich bewies; ein
Triumphgeschrei, das den Donner amerikanischer Kanonen gegen die spanischen
Schiffe in Manila und Havanna und selbst den der neuen japanischen Steilfeuergeschütze
übertönte, mit denen die kleinen, vom dummen Europa verwöhnten
und bewunderten gelben Männer bewiesen, auf wie schwachen Füßen
dessen technische Überlegenheit stand, und mit denen sie das auf
seine Westgrenze starrende Rußland sehr nachdrücklich wieder
an Asien erinnerten. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung
- Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 20-21 ).
Allerdings hatte Rußland gerade jetzt einen Anlaß,
sich mit »Europa« zu beschäftigen: Es stand fest, das
Österreich-Ungarn den Tod des Kaisers Franz Joseph nicht oder kaum
überleben werde, und es fragte sich, in welchen Formen die Neuordnung
dieser weiten Gebiete sich vollziehen und ob das ohne Krieg möglich
sein werde. Es gab außer verschiedenen, einander ausschließenden
Plänen und Tendenzen im Innern des Donaureiches die Gedanken von
hoffenden Nachbarn und darüber hinaus die Erwartungen fernerer Mächte,
die hier einen Konflikt wünschten, um anderswo ihren eigenen Zielen
näherzukommen. Das Staatensystem Europas als Einheit war nun zu Ende,
und der 1878 aufgeschobene Weltkrieg drohte um derselben Probleme willen
an derselben Stelle auszubrechen. Es geschah 1912. (Oswald Spengler,
Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 21 ).
Inzwischen begann dieses System in eine Form überzugehen,
die heute noch fortdauert und die an den Orbis terrarum der späthellenistischen
und römischen Jahrhunderte erinnert: in der Mitte lagen damals die
alten Stadtstaaten der Griechen einschließlich Roms und Karthagos
und ringsumher der »Kreis der Länder«, der für ihre
Entscheidungen die Heere und das Geld lieferte. Aus der Erbschaft Alexanders
des Großen stammten Makedonien, Syrien und Ägypten, aus derjenigen
Karthagos Afrika und Spanien, Rom hatte Nord- und Süditalien erobert
und Cäsar fügte Gallien hinzu. Der Kampf um die Frage, wer das
kommende Imperium organisieren und beherrschen sollte, wurde von Hannibal
und Scipio bis auf Antonius und Oktavian mit den Mitteln der großen
Randgebiete geführt. Und ebenso entwickelten sich die Verhältnisse
in den letzten Jahrzehnten vor 1914. Eine Großmacht europäischen
Stils war ein Staat, der auf europäischem Boden einige hunderttausend
Mann unter Waffen hielt und Geld und Material genug besaß, um sie
im Ernstfall auf absehbare Zeit zu verzehnfachen, und der dahinter in
fremden Erdteilen weite Randgebiete beherrschte, die mit ihren Flottenstützpunkten,
Kolonialtruppen und einer Bevölkerung von Rohstofferzeugern und Produktionsabnehmern
die Unterlage für den Reichtum und damit die militärische Stoßkraft
des Kernlandes bildeten. Es war die gewissermaßen aktuelle Form
des englischen Empire, des französischen Westafrika und des russischen
Asien, während in Deutschland die Beschränktheit der Minister
und Parteien die jahrzehntelange Gelegenheit versäumt hatte, in Mittelafrika
ein großes Kolonialreich zu errichten, das im Kriegsfall auch ohne
Verbindung mit der Heimat eine Macht gewesen wäre und jedenfalls
die völlige Ausschließung von der See verhindert hätte.
Aus dem hastigen Streben, die noch verfügbare Welt in Interessensphären
aufzuteilen, ergaben sich die sehr ernsten Reibungen zwischen Rußland
und England in Persien und im Golf von Tschili, zwischen England und Frankreich
in Faschoda, zwischen Frankreich und Deutschland in Marokko, zwischen
allen diesen Mächten in China. (Oswald Spengler, Jahre der
Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 21-22 ).
Überall lagen die Anlässe zu einem großen Kriege,
der immer wieder mit sehr verschiedener Verteilung der Gegner vor dem
Ausbruch stand im Faschodafalle und im russischjapanischen Konflikt
zwischen Rußland und Frankreich auf der einen, England und Japan
auf der anderen Seite , bis er in einer völlig sinnlosen Form
1914 zur Entwicklung kam. Es war eine Belagerung Deutschlands als des
»Reichs der Mitte« durch die ganze Welt, der letzte Versuch,
in alter Weise die großen fernen Fragen auf deutschem Boden auszukämpfen,
sinnlos dem Ziel und dem Orte nach; er hätte sofort eine ganz andere
Gestalt, andere Ziele und einen anderen Ausgang gewonnen, wenn es gelungen
wäre, Rußland frühzeitig zu einem Sonderfrieden mit Deutschland
zu bringen, was notwendig den Übergang Rußlands auf die Seite
der Mittelmächte zur Folge gehabt haben würde. In dieser Gestalt
war der Krieg ein notwendiger Mißerfolg, denn die großen Probleme
sind heute so ungelöst wie je und konnten durch die Verbindung von
natürlichen Feinden wie England und Rußland, Japan und Amerika
gar nicht gelöst werden. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung
- Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 23 ).
Dieser Krieg bezeichnet das Ende aller Traditionen der großen
Diplomatie, deren letzter Repräsentant Bismarck gewesen war. Keiner
der jämmerlichen Staatsmänner begriff mehr die Aufgaben seines
Amtes und die geschichtliche Stellung seines Landes. Mehr als einer hat
es seitdem zugestanden, daß er ratlos und ohne sich zu wehren in
den Gang der Ereignisse hineingetrieben wurde. So ging die Tatsache »Europa«
dumm und würdelos zu Ende. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung
- Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 22-23 ).
Wer war hier Sieger, wer der Besiegte? .... Hat sich hier die
Geschichte aus Kleists Novelle »Der Zweikampf« in welthistorischem
Ausmaße abgespielt? War »Europa« der Besiegte? Oder
die Mächte der Tradition? In Wirklichkeit ist eine neue Form der
Welt entstanden als Voraussetzung künftiger Entscheidungen, die
mit furchtbarer Wucht hereinbrechen werden. Rußland ist von Asien
seelisch zurückerobert worden, und vom englischen Empire ist es fraglich,
ob sein Schwerpunkt noch in Europa liegt. Der Rest »Europas«
befindet sich zwischen Asien und Amerika zwischen Rußland
und Japan im Osten und Nordamerika und den englischen Dominions im Westen
und besteht heute im Grunde nur noch aus Deutschland, das seinen
alten Rang als Grenzmacht gegen »Asien« wieder einnimmt, aus
Italien, das eine Macht ist, solange Mussolini lebt, und vielleicht im
Mittelmeer die größere Basis einer wirklichen Welt macht gewinnen
wird, und Frankreich, das sich noch einmal als Herrn von Europa betrachtet
und zu dessen politischen Einrichtungen der Genfer Völkerbund und
die Gruppe der Südoststaaten gehören. Aber alles das sind vielleicht
oder wahrscheinlich flüchtige Erscheinungen. Die Verwandlung der
politischen Formen der Welt schreitet rasch vorwärts, und niemand
kann ahnen, wie in einigen Jahrzehnten die Landkarte Asiens, Afrikas und
selbst Amerikas aussehen wird (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung
- Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 23 ).
Was Metternich unter dem Chaos verstand ( ),
das er durch seine entsagungsvolle, unschöpferische, nur auf die
Erhaltung des Bestehenden gerichtete Tätigkeit solange als möglich
von Europa fernhalten wollte, war aber weniger der Verfall dieses Staatensystems
mit seinem Gleichgewicht der Mächte als der daneben hergehende Verfall
der Staatshoheit selbst in den einzelnen Ländern, die uns seitdem
selbst als Begriff so gut wie verlorengegangen ist. Was wir heute als
»Ordnung« anerkennen und in »liberalen« Verfassungen
festlegen, ist nichts als eine zur Gewohnheit gewordene Anarchie. Wir
nennen das Demokratie, Parlamentarismus, Selbstregierung olkes, aber
es ist tatsächlich das bloße Nichtvorhandensein einer ihrer
Verantwortung bewußten Autorität, einer Regierung und damit
eines wirklichen Staates. (Oswald Spengler, Jahre der
Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 23-24 ).
Menschliche Geschichte im Zeitalter der hohen Kulturen ist die
Geschichte politischer Mächte. Die Form dieser Geschichte ist der
Krieg. Auch der Friede gehört dazu. Er ist die Fortsetzung des Krieges
mit andern Mitteln: der Versuch des Besiegten, die Folgen des Krieges
in der Form von Verträgen abzuschütteln, der Versuch des Siegers,
sie festzuhalten. Ein Staat ist das »In Form sein« (im Sinne
des modernen Sports: vgl. Untergang des Abendlandes lI, S. 1004ff.
)
einer durch ihn gebildeten und dargestellten völkischen Einheit für
wirkliche und mögliche Kriege. Ist diese Form sehr stark, so besitzt
sie als solche schon den Wert eines siegreichen Krieges, der ohne Waffen,
nur durch das Gewicht der verfügungsbereiten Macht gewonnen wird.
Ist sie schwach, so kommt sie einer beständigen Niederlage in den
Beziehungen zu anderen Mächten gleich. Staaten sind rein politische
Einheiten, Einheiten der nach außen wirkenden Macht. Sie sind nicht
an Einheiten der Rasse, Sprache oder Religion gebunden, sondern sie stehen
darüber. Wenn sie sich mit solchen Einheiten decken oder kreuzen,
so wird ihre Kraft infolge des inneren Widerspruches in der Regel geringer,
nie größer. Die innere Politik ist nur dazu da, um die Kraft
und Einheit der äußeren zu sichern. Wo sie andere, eigene Ziele
verfolgt, beginnt der Verfall, das Außer-Form-geraten des Staates.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 24 ).
Menschliche Geschichte im Zeitalter der hohen Kulturen ist die
Geschichte politischer Mächte. Die Form dieser Geschichte ist der
Krieg. Auch der Friede gehört dazu. Er ist die Fortsetzung des Krieges
mit andern Mitteln: der Versuch des Besiegten, die Folgen des Krieges
in der Form von Verträgen abzuschütteln, der Versuch des Siegers,
sie festzuhalten. Ein Staat ist das »In Form sein« einer durch
ihn gebildeten und dargestellten völkischen Einheit für wirkliche
und mögliche Kriege. Ist diese Form sehr stark, so besitzt sie als
solche schon den Wert eines siegreichen Krieges, der ohne Waffen, nur
durch das Gewicht der verfügungsbereiten Macht gewonnen wird. Ist
sie schwach, so kommt sie einer beständigen Niederlage in den Beziehungen
zu anderen Mächten gleich. Staaten sind rein politische Einheiten,
Einheiten der nach außen wirkenden Macht. Sie sind nicht an Einheiten
der Rasse, Sprache oder Religion gebunden, sondern sie stehen darüber.
Wenn sie sich mit solchen Einheiten decken oder kreuzen, so wird ihre
Kraft infolge des inneren Widerspruches in der Regel geringer, nie größer.
Die innere Politik ist nur dazu da, um die Kraft und Einheit der äußeren
zu sichern. Wo sie andere, eigene Ziele verfolgt, beginnt der Verfall,
das Außer-Form-Geraten des Staates. (Oswald Spengler, Jahre
der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 24 ).
Zum »In Form sein« einer Macht als Staat unter Staaten
gehört aber vor allem die Stärke und Einheit der Führung,
des Regierens, der Autorität, ohne welche der Staat tatsächlich
nicht vorhanden ist. Staat und Regierung sind dieselbe Form, als Dasein
oder als Tätigkeit gedacht. Die Mächte des 18. Jahrhunderts
waren in Form, die durch die dynastische, höfische, gesellschaftliche
Tradition streng bestimmt und in weitem Maße mit ihr identisch war.
Das Zeremoniell, der Takt der guten Gesellschaft, die vornehmen Manieren
des Handelns und Verhandelns sind nur ein sichtbarer Ausdruck davon. Auch
England war »in Form« : die Insellage ersetzte wesentliche
Züge des Staates und im regierenden Parlament war eine durchaus aristokratische,
sehr wirksame Form, die Geschäfte zu behandeln, durch alten Brauch
festgelegt. Frankreich geriet in eine Revolution, nicht weil »das
Volk« sich gegen den Absolutismus auflehnte, der hier gar nicht
mehr vorhanden war, nicht wegen des Elends und der Verschuldung des Landes,
die anderswo viel größer waren, sondern weil die Autorität
in Auflösung begriffen war. Alle Revolutionen gehen vom Verfall der
Staatshoheit aus. Ein Aufstand der Gasse kann diese Wirkung gar nicht
haben. Er folgt nur daraus. Eine moderne Republik ist nichts als die Ruine
einer Monarchie, die sich selbst aufgegeben hat. (Oswald Spengler,
Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 24-25 ).
Mit dem 19. Jahrhundert gehen die Mächte aus der Form des
dynastischen Staates in den des Nationalstaates über. Aber
was heißt das? Nationen, das heißt Kulturvölker
gab es natürlich längst. Im großen und ganzen deckten
sie sich auch mit den Machtgebieten der großen Dynastien. Diese
Nationen waren Ideen, in dem Sinne wie Goethe von der Idee seines Daseins
spricht: die innere Form eines bedeutenden Lebens, die unbewußt
und unvermerkt sich in jeder Tat, in jedem Wort verwirklicht. »La
nation« im Sinne von 1789 war aber ein rationalistisches
und romantisches Ideal, ein Wunschbild von ausdrücklich politischer,
um nicht zu sagen sozialer Tendenz. Das kann in dieser flachen
Zeit niemand mehr unterscheiden. Ein Ideal ist ein Ergebnis des Nachdenkens,
ein Begriff oder Satz, der formuliert sein muß, um
das Ideal zu »haben«. Infolgedessen wird es nach kurzer Zeit
zum Schlagwort, das man gebraucht, ohne sich noch etwas dabei zu denken.
Ideen dagegen sind wortlos. Sie kommen ihren Trägern selten
oder gar nicht zum Bewußtsein und sind auch von anderen kaum in
Worte zu fassen. Sie müssen im Bilde des Geschehens gefühlt,
in ihren Verwirklichungen beschrieben werden. Definieren lassen
sie sich nicht. MIt Wünschen oder Zwecken haben sie nichts zu tun.
Sie sind der dunkle Drang, der in einem Leben Gestalt gewinnt und über
das einzelne Leben hinaus schicksalhaft in eine Richtung strebt: die Idee
des Römertums, die Idee der Kreuzzüge, die faustische Idee des
Strebens ins Unendliche. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung
- Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 25-26 ).
Die wirklichen Nationen sind Ideen, auch heute noch. Was aber
der Nationalismus seit 1789 meint, wird schon dadurch gekennzeichnet,
daß er die Muttersprache mit der Schriftsprache der großen
Städte verwechselt, in der jeder lesen und schreiben lernt, mit der
Sprache also der Zeitungen und Flugblätter, durch die jeder über
das »Recht« der Nation und ihre notwendige Befreiung von irgend
etwas aufgeklärt wird. Wirkliche Nationen sind, wie jeder lebendige
Körper, von reicher innerer Gliederung; sie sind durch ihr bloßes
Dasein schon eine Art von Ordnung. Der politische Rationalismus versteht
aber unter »Nation« die Freiheit von, den Kampf gegen jede
Ordnung. Nation ist ihm gleich Masse, formlos und ohne Aufbau, herrenlos
und ziellos. Das nennt er Souveränität des Volkes. Er
vergißt, was bezeichnend ist, das gewachsene Denken und Fühlen
des Bauerntums, er verachtet Sitte und Brauch des echten Volkslebens,
zu denen auch, und zwar ganz besonders, die Ehrfurcht vor der Autorität
gehört. Er kennt keine Ehrfurcht. Er kennt nur Prinzipien, die aus
Theorien stammen. Vor allem das plebejische der Gleichheit, das heißt
den Ersatz der verhaßten Qualität durch die Quantität,
der beneideten Begabung durch die Zahl. Der moderne Nationalismus ersetzt
das Volk durch die Masse. Er ist revolutionär und städtisch
durch und durch. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland
und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 26 ).
Am verhängnisvollsten ist das Ideal der Regierung des Volkes
»durch sich selbst«. Aber ein Volk kann sich nicht selbst
regieren, so wenig eine Armee sich selber führen kann. Es muß
regiert werden und es will das auch, solange es gesunde Instinkte besitzt.
Aber es ist etwas ganz anderes gemeint: der Begriff der Volksvertretung
spielt in jeder solchen Bewegung sofort die erste Rolle. Da kommen die
Leute, die sich selbst zu »Vertretern« des Volkes ernennen
und als solche empfehlen. Sie wollen gar nicht »dem Volke dienen«;
sich des Volkes bedienen wollen sie, zu eigenen, mehr oder weniger
schmutzigen Zwecken, unter denen die Befriedigung der Eitelkeit der harmloseste
ist. Sie bekämpfen die Mächte der Tradition, um sich an ihre
Stelle zu setzen. Sie bekämpfen die Staatsordnung, weil sie ihre
Art von Tätigkeit hindert. Sie bekämpfen jede Art von Autorität,
weil sie niemandem verantwortlich sein wollen und selbst jeder Verantwortung
aus dem Wege gehen. Keine Verfassung enthält eine Instanz, vor welcher
die Parteien sich zu rechtfertigen hätten. Sie bekämpfen
vor allem die langsam herangewachsene und gereifte Kulturform des
Staates, weil sie sie nicht in sich haben wie die gute Gesellschaft, die
society des 18. Jahrhunderts, und sie deshalb als Zwang empfinden,
was sie für Kulturmenschen nicht ist. So entsteht die »Demokratie«
des Jahrhunderts, keine Form, sondern die Formlosigkeit in jedem Sinne
als Prinzip, der Parlamentarismus als verfassungsmäßige Anarchie,
die Republik als Verneinung jeder Art von Autorität. (Oswald
Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 26-27 ).
So gerieten die europäischen Staaten außer
Form, je »fortschrittlicher« sie regiert wurden. Das war das
Chaos, das Metternich bewog, die Demokratie ohne Unterschied der Richtung
zu bekämpfen - die romantische der Befreiungskriege wie die rationalistische
der Bastillestürmer, die sich dann 1848 vereinigten - und allen Reformen
gegenüber gleich konservativ zu sein. In allen Ländern bildeten
sich seitdem Parteien, das heißt neben einzelnen Idealisten Gruppen
von Geschäftspolitikern zweifelhafter Herkunft und mehr als zweifelhafter
Moral: Journalisten, Advokaten, Börsianer, Literaten, Parteifunktionäre.
Sie regierten, indem sie ihre Interessen vertraten. Monarchen und Minister
waren stets irgendwem verantwortlich gewesen, zum mindesten der öffentlichen
Meinung. Nur diese Gruppen waren niemand Rechenschaft schuldig. Die Presse,
entstanden als Organ der öffentlichen Meinung, diente längst
dem, der sie bezahlte; die Wahlen, einst Ausdruck dieser Meinung, führten
die Partei zum Siege, hinter der die stärksten Geldgeber standen.
Wenn es trotzdem noch eine Art von staatlicher Ordnung, von gewissenhaftem
Regieren, von Autorität gab, so waren es die Reste der Form des
18. Jahrhunderts, die sich in Gestalt der wenn auch noch so konstitutionellen
Monarchie, des Offizierkorps, der diplomatischen Tradition, in England
in den uralten Bräuchen des Parlaments, vor allem des Oberhauses,
und seiner zwei Parteien erhalten hatten. Ihnen verdankt man alles, was
an staatlichen Leistungen trotz der Parlamente zustande kam. Hätte
Bismarck sich nicht auf seinen König stützen können, so
wäre er sofort der Demokratie erlegen ( ).
Der politische Dilettantismus, dessen Tummelplatz die Parlamente waren,
betrachtete diese Mächte der Tradition denn auch mit Mißtrauen
und Haß. Er bekämpfte sie grundsätzlich und hemmungslos
ohne Rücksicht auf die äußeren Folgen. So wird die Innenpolitik
überall ein Gebiet, das weit über seine eigentliche Bedeutung
hinaus die Tätigkeit aller erfahrenen Staatsmänner notgedrungen
an sich zog, ihre Zeit und Kraft vergeudete, und über dem man den
ursprünglichen Sinn der Staatsleitung, die Führung der
Außenpolitik, vergaß und vergessen wollte. Das ist
der anarchische Zwischenzustand, der heute als Demokratie bezeichnet wird
und der von der Zerstörung der monarchischen Staatshoheit durch den
politischen, plebejischen Rationalismus zum Cäsarismus der Zukunft
hinüberführt, der heute mit diktatorischen Tendenzen sich leise
zu melden beginnt und bestimmt ist, das Trümmerfeld geschichtlicher
Traditionen unumschränkt zu beherrschen. (Oswald Spengler,
Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 27-28 ).
Zu den ernsthaftesten Zeichen
des Verfalls der Staatshoheit gehört die Tatsache, daß im Lauf
des 19. Jahrhunderts der Eindruck herrschend geworden ist, die Wirtschaft
sei wichtiger als die Politik. Unter den Leuten, die heute irgendwie den
Entscheidungen nahe stehen, gibt es kaum einen, der das entschieden ablehnt.
Man betrachtet die politische Macht nicht etwa nur als ein Element des
öffentlichen Lebens, dessen erste, wenn nicht einzige Aufgabe es
ist, der Wirtschaft zu dienen, sondern es wird erwartet, daß sie
sich den Wünschen und Ansichten der Wirtschaft vollkommen füge,
und zuletzt, daß sie von den Wirtschaftsführern kommandiert
werde. Das ist denn auch in weitem Umfang geschehen, mit welchem Erfolg,
lehrt die Geschichte dieser Zeit. (Oswald Spengler, Jahre der
Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 28 ).
In Wirklichkeit lassen
sich Politik und Wirtschaft im Leben der Völker nicht trennen. Sie
sind, wie ich immer wiederholen muß, zwei Seiten desselben
Lebens, aber sie verhalten sich wie die Führung eines Schiffes und
die Bestimmung seiner Fracht. An Bord ist der Kapitän die erste Person,
nicht der Kaufherr, dem die Ladung gehört. Wenn heute der Eindruck
vorherrscht, daß die Wirtschaftsführung das mächtigere
Element ist, so liegt das daran, daß die politische Führung
der parteimäßigen Anarchie verfallen ist und die Bezeichnung
einer wirklichen Führung kaum noch verdient, und daß deshalb
die wirtschaftliche höher zu ragen scheint. Aber wenn nach einem
Erdbeben ein Haus zwischen Trümmern stehen geblieben ist, so ist
es deshalb nicht das wichtigste gewesen. In der Geschichte, solange sie
»in Form« verläuft und nicht tumultuarisch und revolutionär,
ist der Wirtschaftsführer niemals Herr der Entscheidungen gewesen.
Er fügte sich den politischen Erwägungen ein, er diente ihnen
mit den Mitteln, die er in Händen hatte. Ohne eine starke Politik
hat es niemals und nirgends eine gesunde Wirtschaft gegeben, obwohl die
materialistische Theorie das Gegenteil lehrt. Adam Smith, ihr Begründer,
hatte das wirtschaftliche Leben als das eigentliche menschliche Leben
behandelt, das Geldmachen als den Sinn der Geschichte, und er pflegte
die Staatsmänner als schädliche Tiere zu bezeichnen. Aber gerade
in England waren es nicht Kaufleute und Fabrikbesitzer, sondern echte
Politiker wie die beiden Pitt, die durch eine großartige Außenpolitik,
oft unter leidenschaftlichstem Widerspruch der kurzsichtigen Wirtschaftsleute,
die englische Wirtschaft zur ersten der Welt gemacht haben. Reine Staatsmänner
waren es, welche den Kampf gegen Napoleon bis an die Grenzen des finanziellen
Zusammenbruchs führten, weil sie weiter sahen als bis zur Bilanz
des nächsten Jahres, wie es jetzt üblich ist. Aber heute besteht
die Tatsache, daß infolge der Belanglosigkeit der leitenden Staatsmänner,
die zum großen Teil selbst an Privatgeschäften interessiert
sind, die Wirtschaft maßgebend in die Entscheidungen hineinredet,
aber nun auch die Wirtschaft in ihrem vollen Umfang: nicht nur
die Banken und Konzerne, mit oder ohne parteimäßige Verkleidung,
sondern auch die Konzerne für Lohnsteigerung und Arbeitsverkürzung,
die sich Arbeiterparteien nennen. Das letzte ist die notwendige Folge
des ersten. Darin liegt die Tragik jeder Wirtschaft, die sich selbst politisch
sichern will. Auch das begann 1789, mit den Girondisten, welche die Geschäfte
des wohlhabenden Bürgertums zum Sinn des Vorhandenseins staatlicher
Gewalten machen wollten, was nachher unter Louis Philipp, dem Bürgerkönig,
weitgehend zur Tatsache wurde. Die berüchtigte Parole: »Enrichissez-vous«
wird zur politischen Moral. Sie wurde zu gut verstanden und befolgt, nämlich
nicht nur von Handel und Gewerbe und von den Politikern selbst, sondern
auch von der Klasse der Lohnarbeiter , welche nun - 1848 - die Vorteile
des Verfalls der Staatshoheit auch für sich ausnützte. Damit
gewinnt die schleichende Revolution des ganzen Jahrhunderts, die man Demokratie
nennt und die in Revolten der Masse durch Wahlzettel oder Barrikaden,
der »Volksvertreter« durch parlamentarische Ministerstürze
und Budgetverweigerungen dem Staat gegenüber in periodische Erscheinung
tritt, eine wirtschaftliche Tendenz. Auch in England, wo die Freihandelslehre
des Manchestertums von den Trade Unions auch auf den Handel mit der Ware
»Arbeit« angewendet wurde, was Marx und Engels dann im Kommunistischen
Manifest theoretisch ausgestaltet haben. Damit vollendet sich die Absetzung
der Politik durch die Wirtschaft, des Staates durch das Kontor, des Diplomaten
durch den Gewerkschaftsführer: hier und nicht in den Folgen des Weltkrieges
liegen die Keime für die Wirtschaftskatastrophe der Gegenwart. Sie
ist in ihrer ganzen Schwere nichts als eine Folge des Verfalls der staatlichen
Macht. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland
und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 28-30 ).
Die geschichtliche Erfahrung hätte das Jahrhundert warnen
sollen. Niemals haben wirtschaftliche Unternehmungen ohne Deckung durch
eine machtpolitisch denkende Staatsleitung ihr Ziel wirklich erreicht.
Es ist falsch, wenn man die Raubfahrten der Wikinger, mit denen die Seeherrschaft
der abendländischen Völkerwelt beginnt, so beurteilt. Ihr Ziel
war selbstverständlich das Beutemachen - ob an Land und Leuten oder
an Schätzen, das ist die zweite Frage. Aber das Schiff war ein Staat
für sich, und der Plan der Fahrt, der Oberbefehl, die Taktik waren
echte Politik. Wo aus dem Schiff eine Flotte wurde, kam es sofort zu Staatsgründungen,
und zwar mit sehr ausgesprochenen Hoheitsregierungen wie in der Normandie,
in England und Sizilien. Die deutsche Hansa wäre eine wirtschaftliche
Großmacht geblieben, wenn Deutschland selbst es politisch geworden
wäre. Seit dem Ende dieses mächtigen Städtebundes, den
politisch zu sichern niemand als Aufgabe eines deutschen Staates empfand,
schied Deutschland aus den großen weltwirtschaftlichen Kombinationen
des Abendlandes aus. Es wuchs erst im 19. Jahrhundert wieder in sie hinein,
nicht durch private Bestrebungen, sondern einzig und allein durch die
politische Schöpfung Bismarcks, welche die Voraussetzung für
den imperialistischen Aufstieg der deutschen Wirtschaft gewesen ist.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 30 ).
Vgl. Bismarck  
Der maritime Imperialismus, der Ausdruck für das faustische
Streben ins Unendliche, begann große Formen anzunehmen, als mit
der Eroberung Konstantinopels durch die Türken 1453 die Wirtschaftswege
nach Asien politisch gesperrt wurden. Das ist der tiefere Anlaß
für die Entdeckung des Seewegs nach Ostindien durch die Portugiesen
und die Entdeckung Amerikas durch die Spanier, hinter denen Großmächte
der Zeit standen. Die treibenden Motive im einzelnen waren Ehrgeiz, Abenteurerlust,
Freude an Kampf und Gefahr, Hunger nach Gold und nicht etwa »gute
Geschäfte«. Die entdeckten Länder sollten erobert und
beherrscht werden; sie sollten die Macht der Habsburger in den europäischen
Kombinationen stärken. Das Reich, in dem die Sonne nicht unterging,
war ein politisches Gebilde, das Ergebnis einer überlegenen Staatsleitung
und erst insofern ein Feld für wirtschaftliche Erfolge. Es wurde
nicht anders, als England den Vorrang gewann, nicht durch seine wirtschaftliche
Stärke, die zunächst gar nicht vorhanden war, sondern durch
das kluge Regiment des Adels, seien es nun Tories oder Whigs. Durch Schlachten
ist England reich geworden, nicht durch Buchführung und Spekulation.
Deshalb ist das englische Volk, so »liberal« es dachte und
redete, doch in der Praxis das konservativste von Europa gewesen: konservativ
im Sinne der Erhaltung aller Machtformen der Vergangenheit bis auf die
geringsten zeremoniellen Einzelheiten, mochte man auch darüber lächeln,
sie zuweilen verachten; solange keine stärkere neue Form zu sehen
war, behielt man die alten alle: die beiden Parteien, die Art, wie die
Regierung in ihren Entscheidungen sich vom Parlament unabhängig erhielt,
Oberhaus und Königtum als retardierende Momente in kritischen Lagen.
Dieser Instinkt hat England immer wieder gerettet, und wenn er heute erlischt,
so bedeutet das nicht nur den Verlust der politischen, sondern auch den
der wirtschaftlichen Weltstellung. Mirabeau, Talleyrand, Metternich, Wellington
verstanden nichts von der Wirtschaft. Das war sicherlich ein Einwand.
Aber es wäre schlimmer gewesen, wenn an ihrer Stelle ein wirtschaftlicher
Fachmann versucht hätte, Politik zu machen. Erst als der Imperialismus
in die Hände wirtschaftlicher, materialistischer Geschäftemacher
gerät, als er aufhört, machtpolitisch zu sein, sinkt er von
den Interessen der wirtschaftlichen Führerschicht sehr schnell in
den Bereich des Klassenkampfes der ausführenden Arbeit herab, und
so zersetzen sich die großen Nationalwirtschaften und ziehen die
Großmächte mit sich in den Abgrund. (Oswald Spengler,
Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 31-32 ).
Die großen Heere sind das konservativste Element des 19.
Jahrhunderts gewesen. Sie und nicht die schwachgewordene Monarchie, der
Adel oder gar die Kirche hielten die Form der staatlichen Autorität
aufrecht und lebensfähig gegen die anarchischen Tendenzen des Liberalismus.
»Was aus dem Schutte sich herausbilden wird, dies kann heute niemand
wissen. Ein Element der Kraft hat sich nicht allein in Österreich,
sondern im gesamten so hart bedrängten Europa erhoben, dieses Element
heißt: die stehenden Heere. Leider ist dieses Element nur ein erhaltendes
und kein schaffendes, und auf das Schaffen kommt es eben an«, schrieb
Metternich 1849. (An Hartig, 30. März. Ebenso
Bismarck, Gedanken und Erinnerungen, I, S. 63.) Und zwar
beruhte das ausschließlich auf den strengen Anschauungen des Offizierskorps,
zu welchen die Mannschaft herangebildet worden war. Wo es 1848 und später
zu örtlichen Meutereien und Aufständen kam, lag die Schuld an
der sittlichen Minderwertigkeit der Offiziere. Politisierende Generale,
die aus ihrem militärischen Rang die Befähigung und das Recht
zu staatsmännischen Urteilen ableiteten und danach zu handeln versuchten,
hat es immer gegeben, in Spanien und Frankreich wie in Preußen und
Österreich, aber das Offizierkorps als Ganzes verbot sich überall
eine eigene politische Meinung. Nur die Heere, nicht die Kronen hielten
1830, 1848, 1870 stand. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung
- Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 33 ).
Sie haben seit 1870 auch den Krieg verhindert, weil niemand mehr
diese ungeheure Macht in Bewegung zu setzen wagte aus Furcht vor der unberechenbaren
Wirkung, und damit haben sie den anomalen Friedenszustand von 1870 bis
1914 heraufgeführt, der es uns heute fast unmöglich macht,
die Lage der Dinge richtig zu beurteilen. An die Stelle unmittelbarer
Kriege trat nun der mittelbare in Gestalt einer ständigen Erhöhung
der Kriegsbereitschaft, des Tempos der Rüstungen und technischen
Erfindungen, ein Krieg, in dem es ebenfalls Siege, Niederlagen und kurzlebende
Friedensschlüsse gab. Diese Art von verschleierter Kriegführung
setzt aber einen nationalen Reichtum voraus, wie ihn nur die Länder
mit großer Industrie entwickelt haben er bestand zum großen
Teil aus dieser Industrie selbst, sofern sie ein Kapital darstellte ,
und diese hatte zur Voraussetzung das Vorhandensein von Kohle, auf deren
Vorkommen die Industrien aufgebaut wurden. Zum Kriegführen gehört
Geld, zur Vorbereitung des Krieges gehört noch mehr. So wurde die
industrielle Großwirtschaft selbst zur Waffe; je leistungsfähiger
sie war, desto entschiedener sicherte sie von vornherein den Erfolg. Jeder
Hochofen, jede Maschinenfabrik verstärkte die Kriegsbereitschaft.
Die Aussicht auf erfolgreiche Operationen wurde mehr und mehr abhängig
von der Möglichkeit unumschränkten Materialverbrauchs, vor allem
an Munition. Man wurde sich dieser Tatsache nur sehr langsam bewußt.
Bismarck legte bei den Friedensverhandlungen von 1871 noch allein Wert
auf strategische Punkte wie Metz und Belfort und gar keinen auf das lothringische
Erzrevier. Als man dann aber das ganze Verhältnis zwischen Wirtschaft
und Krieg, zwischen Kohle und Kanonen erkannt hatte, wie es nun bestand,
kehrte es sich um: Die starke Wirtschaft war die entscheidende Voraussetzung
der Kriegführung geworden; sie forderte dafür die erste Beachtung,
und nun begannen in steigendem Maße die Kanonen der Kohle zu dienen.
Der Verfall des Staatsgedankens infolge des um sich greifenden Parlamentarismus
trat hinzu. Die Wirtschaft vom Trust bis zur Gewerkschaft
begann mitzuregieren und durch ihr Nein und Ja die Ziele und Methoden
der Außenpolitik mitzubestimmen. Die Kolonial- und Überseepolitik
wird zum Kampf um Absatzgebiete und Rohstoffquellen der Industrie, darunter
in steigendem Maße um die Ölvorkommen. Denn das Erdöl
begann die Kohle zu bekämpfen, zu verdrängen. Ohne die Ölmotoren
wären Automobile, Flugzeuge und Unterseeboote unmöglich gewesen.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 34-35 ).
In derselben Richtung verwandelte sich die Bereitschaft für
den Seekrieg. Noch zu Beginn des amerikanischen Bürgerkrieges waren
armierte Handelsschiffe den gleichzeitigen Kriegsschiffen nahezu ebenbürtig.
Drei Jahre später waren Panzerschiffe der seebeherrschende Typ. Aus
diesen Schlachtschiffen wurden in rasendem Tempo der Konstruktion immer
größerer und stärkerer Typen, von denen jeder nach ein
paar Jahren veraltet war, die schwimmenden Festungen der Jahrhundertwende,
ungeheure Maschinen, die infolge ihres Kohlebedarfs von Stützpunkten
an der Küste immer abhängiger wurden. Der alte Wettkampf um
den Vorrang von Meer oder Land begann sich in bestimmtem Sinne wieder
dem Lande zuzuneigen: Wer die Flottenstützpunkte mit ihren Docks
und Materialreserven hatte, beherrschte das Meer, ohne Rücksicht
auf die Stärke der Flotte. Das Rule Britannia beruhte zuletzt auf
dem Reichtum Englands an Kolonien, die um der Schiffe willen da waren,
nicht umgekehrt. Das war nunmehr die Bedeutung von Gibraltar, Malta, Aden,
Singapore, den Bermudas und zahlreichen ähnlichen strategischen Stützpunkten.
Man verlor den Sinn des Krieges, die Entscheidungsschlacht zur See, aus
den Augen. Man suchte die feindliche Flotte wirkungslos zu machen, indem
man sie von den Küsten ausschloß. Es hat zur See nie etwas
gegeben, das den Operationsplänen der Generalstäbe entsprach,
und es ist nie eine Entscheidung mit diesen Schlachtschiffgeschwadern
wirklich durchgekämpft worden. Der theoretische Streit über
den Wert der Dreadnoughts nach dem Russisch-Japanischen Kriege beruhte
gerade darauf, daß Japan den Typ gebaut, aber nicht erprobt hatte.
Auch im Weltkrieg lagen die Schlachtschiffe still in den Häfen. Sie
hätten gar nicht zu existieren brauchen. Auch die Schlacht am Skagerrak
war nur ein Überfall, das Angebot einer Schlacht, der sich die englische
Flotte so gut wie möglich entzog. Fast alle großen Schiffe,
die in den letzten fünfzig Jahren als veraltet außer Dienst
gestellt worden sind, haben nie einen Schuß auf einen ebenbürtigen
Gegner abgegeben. Und heute macht die Entwicklung der Luftwaffe es fraglich,
ob die Zeit der Panzerschiffe nicht überhaupt zu Ende ist. Vielleicht
bleibt nur der Kaperkrieg übrig. (Oswald Spengler, Jahre
der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 35-36 ).
Im Verlauf des Weltkrieges tritt auf dem festen Lande eine vollkommene
Wandlung ein. Die nationalen Massenheere, bis an die äußerste
Grenze ihrer Möglichkeiten entwickelt, eine Waffe, die im Gegensatz
zur Schlachtflotte wirklich »erschöpft« wurde, endeten
im Schützengraben, in dem die Belagerung Deutschlands mit Stürmen
und Ausfällen bis zur Kapitulation durchgeführt wurde. Die Quantität
siegte über die Qualität, die Mechanik über das Leben.
Die große Zahl machte der Geschwindigkeit derjenigen Art ein Ende,
die Napoleon in die Taktik eingeführt hatte, am deutlichsten im Feldzug
von 1805, der in ein paar Wochen über Ulm nach Austerlitz führte,
und die von den Amerikanern 186165 durch die Verwendung der Eisenbahnen
noch weiter gesteigert wurde. Ohne die Bahnen, welche Deutschland die
Verschiebung ganzer Heere zwischen Ost und West möglich machten,
wäre auch dieser Krieg seiner Form und Dauer nach unmöglich
gewesen. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland
und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 36 ).
Es gibt in der Weltgeschichte zwei ganz große Umwälzungen
in der Kriegführung durch plötzliche Steigerung der Beweglichkeit.
Die eine fand in den ersten Jahrhunderten seit 1000 v. Chr. statt, als
irgendwo in den weiten Ebenen zwischen Donau und Amur das Reitpferd aufkam.
Die berittenen Heere waren dem Fußvolk (*)
weit überlegen. (* Einschließlich der
Streitwagen, die nur in der Schlacht und nicht auf dem Marsche Verwendung
fanden. Sie sind etwa ein Jahrtausend älter, in demselben Gebiet
entstanden und haben überall, wo sie auftauchten, eine ungeheuere
Überlegenheit über die damalige Kampfweise im Felde bewiesen,
in China und Indien etwa seit 1500, in Vorderasien schon etwas früher,
in der hellenischen Welt etwa seit 1600. Sie wurden bald allgemein verwendet
und verschwanden, als die Reiterei, wenn auch nur als Spezialwaffe neben
dem Fußvolk, zur dauernden Einrichtung wurde.) Sie konnten
auftauchen und verschwinden, ohne daß ein Angriff auf sie und eine
Verfolgung möglich waren. Vergebens stellten die Völker vom
Atlantischen bis zum Stillen Ozean neben ihrem Fußvolk eine Reiterei
auf: sie war durch jenes an der freien Bewegung verhindert. Und ebenso
vergebens wird das römische wie das chinesische Imperium mit Wall
und Graben umgeben, von denen die Chinesische Mauer heute noch halb Asien
durchquert und der Römische Limes in der syrisch-arabischen Wüste
eben jetzt wieder aufgefunden worden ist. Es war nicht möglich, hinter
diesen Wällen die Sammlung der Heere so schnell durchzuführen,
wie es die überraschenden Angriffe forderten: den Parthern, Hunnen,
Skythen, Mongolen, Türken sind die chinesische, indische, römische,
arabische und abendländische Welt mit ihrer seßhaften Bauernbevölkerung
immer wieder in ratlosem Entsetzen erlegen. Es scheint, daß Bauerntum
und Reiterleben sich seelisch nicht vertragen. Noch die Scharen Dschingiskhans
verdanken ihre Siege der überlegenen Geschwindigkeit. (Oswald
Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 36-37 ).
Die zweite Wandlung erleben wir heute selbst: den Ersatz des Pferdes
durch die »Pferdekraft« der faustischen Technik. Bis in den
ersten Weltkrieg hinein waren gerade die alten berühmten Kavallerieregimenter
Westeuropas von ritterlichem Stolz, Abenteurerlust und Heldentum umwittert,
mehr als jede andere Waffe. Sie waren Jahrhunderte hindurch die eigentlichen
Wikinger des Landes. Sie stellten mehr und mehr den echten innerlichen
Soldatenberuf, das Soldatenleben dar, weit mehr als die Infanterie der
allgemeinen Wehrpflicht. In Zukunft wird das anders sein. Die Flugzeuge
und Tankgeschwader lösen sie ab. Die Beweglichkeit wird damit über
die Grenzen organischer Möglichkeiten hinaus zu den anorganischen
der Maschine gesteigert, aber sozusagen der individuellen Maschine, die
im Gegensatz zum unpersönlichen Trommelfeuer der Schützengräben
dem persönlichen Heldentum wieder große Aufgaben stellt.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 37 ).
Aber viel tiefer als diese Entscheidung zwischen Masse und Beweglichkeit
greift eine andere Tatsache in das Schicksal der stehenden Heere ein,
und sie wird dem Grundsatz der allgemeinen nationalen Wehrpflicht des
vorigen Jahrhunderts notwendig ein Ende bereiten. Der Verfall der Autorität,
der Ersatz des Staates durch die Partei, die fortschreitende Anarchie
also hatte bis 1914 vor dem Heere haltgemacht. Solange ein bleibendes
Offizierskorps eine rasch wechselnde Mannschaft erzog, blieben die ethischen
Werte der Waffenehre, Treue und des schweigenden Gehorsams, der Geist
Friedrichs des Großen, Napoleons, Wellingtons, also des 18. Jahrhunderts,
der ritterlichen Lebenshaltung gewahrt, ein großes Element der Stabilität.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 37-38 ).
Es ist mir sehr zweifelhaft, ob zum Beispiel in Frankreich eine
allgemeine Mobilmachung gegen einen gefährlichen Feind überhaupt
durchzuführen ist. Was soll geschehen, wenn sich die Massen der Gestellungspflicht
entziehen? Und wie groß ist der Wert einer solchen Truppe, wenn
man nicht weiß, wie weit in ihr die moralische Zersetzung fortgeschritten
ist und auf welchen Bruchteil von Leuten man wirklich zählen darf?
Das ist das Ende der allgemeinen Wehrpflicht, welche 1792 die nationale
Begeisterung für den Krieg zum Ausgangspunkt hatte, und der Anfang
freiwilliger Heere von Berufssoldaten, die sich um einen volkstümlichen
Führer oder ein großes Ziel scharen. Das ist in allen
Kulturen; man denke an den Ersatz des ausgehobenen römischen Bauernheeres
durch besoldete Berufsheere seit Marius und an die Folgen der Weg
zum Cäsarismus und in der Tiefe der instinktive Aufstand des Blutes,
der unverbrauchten Rasse, des primitiven Willens zur Macht gegen die materialistischen
Mächte des Geldes und Geistes, der anarchistischen Theorien und der
sie ausnützenden Spekulation, von der Demokratie bis zur Plutokratie.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 38-39 ).
Diese materialistischen und plebejischen Mächte haben seit
dem Ende des 18. Jahrhunderts folgerichtig zu ganz anderen Kriegsmitteln
gegriffen, die ihrem Denken und ihrer Erfahrung näher lagen. Neben
den Heeren und Flotten, die in steigendem Maße für Zwecke angesetzt
wurden, welche den Nationen selbst ganz fernlagen und lediglich den geschäftlichen
Interessen einzelner Gruppen entsprachen der Name Opiumkrieg illustriert
das in drastischer Weise , entwickelten sich Methoden der wirtschaftlichen
Kriegführung, die oft genug »mitten im Frieden« zu rein
wirtschaftlichen Schlachten, Siegen und Friedensschlüssen führten.
Sie wurden von dem echten Soldaten, Moltke etwa, verachtet und in ihrer
Wirksamkeit sicherlich unterschätzt. Um so besser wußten die
»modernen« Staatsmänner sie zu schätzen, die ihrer
Herkunft und Veranlagung nach zuerst wirtschaftlich und dann vielleicht
politisch dachten. Die fortschreitende Auflösung der Staatshoheit
durch den Parlamentarismus bot die Möglichkeit, die Organe der staatlichen
Macht in dieser Richtung auszunützen. Vor allem geschah das in England,
das in der Mitte des 19. Jahrhunderts durchaus eine »Nation von
shopkeepers« geworden war: die feindliche Macht sollte nicht militärisch
unterworfen, sondern wirtschaftlich als Konkurrenz ruiniert, als Abnehmerin
englischer Waren aber erhalten werden. Das war das Ziel des freihändlerischen
»liberalen« Imperialismus seit Robert Peel. Napoleon hatte
die Kontinentalsperre als rein militärisches Mittel gedacht, weil
ihm England gegenüber kein anderes zur Verfügung stand. Auf
dem Kontinent schuf er nur neue Dynastien, während Pitt in der Ferne
Handels- und Plantagenkolonien gründete. Der Krieg von 1914 aber
wurde von England nicht Frankreichs oder gar Belgiens wegen, sondern »um
des weekend willen« geführt, um Deutschland als Wirtschaftskonkurrenz
wenn möglich für immer auszuschalten. 1916 begann neben dem
militärischen der planmäßige Wirtschaftskrieg, der fortgesetzt
werden sollte, wenn der andere notwendig zum Ende kam. Die Kriegsziele
wurden seitdem immer entschiedener in dieser Richtung gesucht. Der Vertrag
von Versailles sollte gar keinen Friedenszustand begründen, sondern
die Machtverhältnisse derart regeln, daß das Ziel jederzeit
mit neuen Forderungen und Maßnahmen gesichert werden konnte. Daher
die Auslieferung der Kolonien, der Handelsflotte, die Beschlagnahme der
Bankguthaben, Besitzungen, Patente in allen Ländern, die Abtrennung
von Industriegebieten wie Oberschlesien und das Saarland, die Einführung
der Republik, von der man mit Recht eine Untergrabung der Industrie durch
die allmächtig gewordenen Gewerkschaften erwartete, und endlich die
Reparationen, die wenigstens im Sinne Englands keine Kriegsentschädigung
sein sollten, sondern eine dauernde Belastung der deutschen Wirtschaft
bis zu deren Erliegen. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung
- Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 39-40 ).
Aber damit begann, sehr gegen die Erwartung der Mächte, die
den Vertrag diktiert hatten, ein neuer Wirtschaftskrieg, in dem wir uns
heute befinden und der einen sehr erheblichen Teil der gegenwärtigen
»Weltwirtschaftskrise« bildet. Die Machtverteilung der Welt
war durch die Stärkung der Vereinigten Staaten und deren Hochfinanz
und die neue Gestalt des russischen Reiches völlig verlagert, die
Gegner und Methoden waren andere geworden. Der augenblickliche Krieg mit
wirtschaftlichen Mitteln, den man in einer späteren Zeit vielleicht
als den zweiten Weltkrieg bezeichnen wird, brachte ganz neue Formen der
bolschewistischen Wirtschaftsoffensive in Gestalt des Fünfjahrsplanes,
den Angriff des Dollars und Franken auf das Pfund, die von fremden Börsen
aus geleiteten Inflationen als Zerstörung ganzer Nationalvermögen
und die Autarkie der Nationalwirtschaften, die vielleicht bis zur Vernichtung
des gegnerischen Exports, also der Wirtschaft und damit der Existenzbedingungen
großer Völker durchgeführt werden wird, den Dawes- und
Youngplan als Versuche von Finanzgruppen, ganze Staaten zur Zwangsarbeit
für Banken herabzudrücken. Es handelt sich in der Tiefe darum,
die Lebensfähigkeit der eigenen Nation durch Vernichtung derjenigen
fremder zu retten. Es ist der Kampf auf dem Bootskiel. Und hier werden,
wenn alle anderen Mittel erschöpft sind, doch wieder die ältesten
und ursprünglichsten, die militärischen, in ihre Rechte treten:
die stärker gerüstete Macht wird die schwächere zwingen,
ihre Wirtschaftsdefensive aufzugeben, zu kapitulieren, zu verschwinden.
Die Kanonen sind letzten Endes doch stärker als die Kohle. Es läßt
sich nicht absehen, wie dieser Wirtschaftskrieg ausgehen wird, aber sicher
ist, daß er zuletzt den Staat als Autorität, gestützt
auf freiwillige und deshalb zuverlässige, gut durchgebildete und
sehr bewegliche Berufsheere, in seine geschichtlichen Rechte wieder einsetzen
und die Wirtschaft in die zweite Linie verweisen wird, wohin sie gehört.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 40-41 ).
Es scheint, daß Westeuropa seine maßgebende Bedeutung
verloren hat, aber von der Politik abgesehen scheint es nur so. Die Idee
der faustischen Kultur ist hier erwachsen. Hier hat sie ihre Wurzeln und
hier wird sie den letzten Sieg ihrer Geschichte erfechten oder rasch dahinsterben.
Die Entscheidungen, wo sie auch fallen mögen, geschehen um des Abendlandes
willen, seiner Seele freilich, nicht seines Geldes oder Glückes wegen.
Aber einstweilen ist die Macht in die Randgebiete verlegt, nach Asien
und Amerika. Dort ist es die Macht über die größte Binnenlandmasse
des Erdballs, hier in den Vereinigten Staaten und den englischen
Dominions die über die beiden durch den Panamakanal verbundenen
weltgeschichtlichen Ozeane. Indessen, von den Weltmächten dieser
Tage steht keine so fest, daß man mit Sicherheit sagen kann, sie
werde in hundert, in fünfzig Jahren noch eine Macht, ja überhaupt
noch vorhanden sein. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung
- Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 42 ).
Was ist heute eine Macht großen Stils? Ein staatliches oder
staatähnliches Gebilde, mit einer Leitung, die weltpolitische Ziele
hat und der Wahrscheinlichkeit nach auch die Kraft, sie durchzusetzen,
gleichviel auf was für Mittel sie sich stützt: Heere, Flotten,
politische Organisationen, Kredite, mächtige Bank- oder Industriegruppen
von gleichem Interesse, endlich und vor allem eine starke strategische
Position auf dem Erdball. Man kann sie alle durch die Namen von Millionenstädten
bezeichnen, in denen die Macht und der Geist dieser Macht gesammelt sind.
Ihnen gegenüber sind ganze Länder und Völker nichts als
»Provinz« (Untergang des Abendlandes,
II, S. 116 f.). (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung
- Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 42-43 ).
Da ist vor allem »Moskau«, geheimnisvoll und für
abendländisches Denken und Fühlen völlig unberechenbar,
der entscheidende Faktor für Europa seit 1812, als es staatlich noch
zu diesem gehörte, seit 1917 für die ganze Welt. Der Sieg der
Bolschewisten bedeutet geschichtlich etwas ganz anderes als sozialpolitisch
oder wirtschaftstheoretisch. Asien erobert Rußland zurück,
nachdem »Europa« es durch Peter den Großen annektiert
hatte. Der Begriff Europa verschwindet damit wieder aus dem praktischen
Denken der Politiker oder sollte es tun, wenn wir Politiker von Rang hätten.
Dies »Asien« aber ist eine Idee, und zwar eine Idee, die Zukunft
hat. Rasse, Sprache, Volkstum, Religion in den heutigen Formen sind daneben
gleichgültig. Das alles kann und wird sich grundlegend umgestalten.
Was heute da ist, ist lediglich die durch Worte nicht zu bestimmende,
ihrer selbst unbewußte neue Art von Leben, mit dem eine große
Landschaft schwanger ist und das sich auf dem Wege der Geburt befindet.
Die Zukunft definieren, festlegen, in ein Programm bringen wollen heißt
das Leben mit einer Phrase darüber verwechseln, wie es der herrschende
Bolschewismus tut, der sich seiner westeuropäischen, rationalistischen
und großstädtischen Herkunft nicht hinreichend bewußt
ist. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und
die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 43 ).
Die Bevölkerung dieses gewaltigsten Binnenlandes der Erde
ist von außen unangreifbar. Die Weite ist eine Macht, politisch
und militärisch, die noch nie überwunden worden ist; das hat
schon Napoleon erfahren. Was sollte es einem Feinde nützen, wenn
er noch so große Gebiete besetzt? Um auch den Versuch dazu wirkungslos
zu machen, haben die Bolschewisten den Schwerpunkt ihres Systems immer
weiter nach Osten verlegt. Die machtpolitisch wichtigen Industriegebiete
sind sämtlich östlich von Moskau, zum großen Teil östlich
vom Ural bis zum Altai hin, und südlich bis zum Kaukasus aufgebaut
worden. Das ganze Gebiet westlich Moskaus, Weißrußland, die
Ukraine, einst von Riga bis Odessa das lebenswichtigste des Zarenreiches,
bildet heute ein phantastisches Glacis gegen »Europa« und
könnte preisgegeben werden, ohne daß das System zusammenbricht.
Aber damit ist jeder Gedanke an eine Offensive von Westen her sinnlos
geworden. Sie würde in einen leeren Raum stoßen. (Oswald
Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 44 ).
Der Dollarimperialismus, der ganz Amerika bis nach Santiago und
Buenos Aires hin durchdringt und überall die westeuropäische,
vor allem die englische Wirtschaft zu untergraben und auszuschalten sucht,
gleicht mit seiner Einordnung der politischen Macht in wirtschaftliche
Tendenzen genau dem bolschewistischen, und dessen Losung: »Asien
den Asiaten« entspricht im wesentlichen durchaus der heutigen Auffassung
der Monroedoktrin für Lateinamerika: Ganz Amerika für die Wirtschaftsmacht
der Vereinigten Staaten. Das ist der letzte Sinn der Gründung »unabhängiger«
Republiken wie Kuba und Panama, des Eingreifens in Nikaragua und des Sturzes
unbequemer Präsidenten durch die Macht des Dollars bis nach dem äußersten
Süden hin. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland
und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 49 ).
Aber diese staat- und gesetzlose »Freiheit« des rein
wirtschaftlich gerichteten Lebens hat eine Kehrseite. Es ist aus ihm heraus
eine Seemacht entstanden, die stärker zu werden beginnt als die Englands,
und die zwei Ozeane beherrscht. Es sind Kolonialbesitzungen entstanden:
die Philippinen, Hawaii, die Westindischen Inseln. Und man ist von geschäftlichen
Interessen und durch die englische Propaganda immer tiefer in den ersten
Weltkrieg bis zur militärischen Beteiligung hineingezogen worden.
Damit aber sind die Vereinigten Staaten ein führendes Element der
Weltpolitik geworden, ob sie es wissen und wollen oder nicht, und sie
müssen nun nach innen und außen staatspolitisch denken und
handeln lernen oder in ihrer heutigen Gestalt verschwinden. Ein Zurück
gibt es nicht mehr. Ist der »Yankee« dieser schweren Aufgabe
gewachsen? Stellt er eine unzerstörbare Art des Lebens dar oder ist
er nur eine Mode der leiblichen, geistigen und seelischen Kleidung? Aber
wieviel Einwohner des Landes gehören diesem herrschenden angelsächsischen
Typus innerlich überhaupt nicht an? Von den Negern ganz abgesehen
sind in den zwanzig Jahren vor dem Kriege nur noch wenige Deutsche, Engländer
und Skandinavier eingewandert, aber 15 Millionen Polen, Russen, Tschechen,
Balkanslaven, Ostjuden, Griechen, Vorderasiaten, Spanier und Italiener.
Sie sind zum großen Teil nicht mehr im Amerikanertum aufgegangen
und bilden ein fremdartiges, andersdenkendes und sehr fruchtbares Proletariat
mit dem geistigen Schwerpunkt in Chikago. Sie wollen ebenfalls den gesetzlos
freien Wirtschaftskampf, aber sie fassen ihn anders auf. (Oswald
Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 49-50 ).
Gewiß, es gibt keine kommunistische Partei. Die hat es als
Organisation für Wahlzwecke auch im Zarenreich nicht gegeben. Aber
es gibt hier wie dort eine mächtige Unterwelt fast Dostojewskischer
Prägung mit eigenen Machtzielen, Zersetzungs- und Geschäftsmethoden,
die infolge der üblichen Korruption der Verwaltungs- und Sicherheitsorgane,
vor allem durch den Alkoholschmuggel, der die politische und soziale Demoralisation
bis zum äußersten gesteigert hat, bis in sehr wohlhabende Schichten
der Gesellschaft hinaufreicht. Sie schließt das Berufsverbrechertum
ebenso ein wie die geheimen Gesellschaften von der Art des Ku-Klux-Klan.
Sie umfaßt Neger und Chinesen so gut wie die entwurzelten Elemente
aller europäischen Stämme und Rassen, und sie besitzt sehr wirksame,
zum Teil schon alte Organisationen nach Art der italienischen Camorra,
der spanischen Guerillas und der russischen Nihilisten vor und Tschekisten
nach 1917. Das Lynchen, die Entführungen und Attentate, Mord, Raub
und Brand sind längst erprobte Mittel der politisch-wirtschaftlichen
Propaganda. Ihre Anführer nach Art der Jack Diamond und Al Capone
besitzen Villen, Autos und verfügen über Bankguthaben, welche
die vieler Trusts und selbst mittlerer Staaten übertreffen. In weiten,
dünnbevölkerten Gebieten haben Revolutionen notwendig eine andere
Form als in den Hauptstädten Westeuropas. Die lateinamerikanischen
Republiken beweisen das unaufhörlich. Hier gibt es keinen starken
Staat, der durch den Kampf gegen ein Heer mit alten Traditionen gestürzt
werden müßte, aber auch keinen, der die bestehende Ordnung
schon durch die Ehrfurcht vor seinem Dasein verbürgt. Was hier government
heißt, kann sich sehr plötzlich in nichts auflösen. Schon
vor dem Kriege haben die Trusts bei einem Streik oft genug ihre Werke
durch eigene Befestigungen und Maschinengewehrschützen verteidigt.
Es gibt im »Lande der Freiheit« nur den Entschluß freier
Männer, sich selbst zu helfen der Revolver in der Hosentasche
ist eine amerikanische Erfindung , aber er steht den Besitzenden
ebenso frei wie den andern. Erst kürzlich haben die Farmer in Iowa
ein paar Städte belagert und mit Aushungern bedroht, wenn ihnen ihre
Produkte nicht zu einem menschenwürdigen Preis abgenommen würden.
Vor wenig Jahren hätte man jeden für irrsinnig erklärt,
der das Wort Revolution in Beziehung auf dies Land ausgesprochen hätte.
Heute sind derartige Gedanken längst an der Tagesordnung. Was werden
die Massen von Arbeitslosen tun ich wiederhole: zum überwiegenden
Teil nicht »hundertprozentige Amerikaner« , wenn ihre
Hilfsquellen vollständig erschöpft sind und es keine staatliche
Unterstützung gibt, weil es keinen organisierten Staat mit genauer
und ehrlicher Statistik und Kontrolle der Bedürftigen gibt? Werden
sie sich der Kraft ihrer Fäuste und ihrer wirtschaftlichen Interessengemeinschaft
mit der Unterwelt erinnern? Und wird die geistig primitive, nur an Geld
denkende Oberschicht im Kampf mit dieser ungeheuren Gefahr auf einmal
schlummernde moralische Kräfte offenbaren, die zum wirklichen Aufbau
eines Staates führen und zur seelischen Bereitschaft, Gut und Blut
für ihn zu opfern, statt wie bisher den Krieg als Mittel zum Geldverdienen
aufzufassen? Oder werden die wirtschaftlichen Sonderinteressen einzelner
Gebiete doch stärker bleiben und, wie 1861 schon einmal, zum Zerfall
des Landes in einzelne Staaten führen etwa den industriellen
Nordosten, die Farmergebiete des Mittleren Westens, die Negerstaaten des
Südens und das Gebiet jenseits der Rocky Mountains? (Oswald
Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 50-51 ).
Es gibt, wenn man von Japan absieht, das lediglich den Wunsch
hat, seine imperialistischen Pläne in Ostasien und nach Australien
hin ungestört durchzuführen, nur eine Macht, welche alles tun
und jedes Opfer bringen würde, um einen solchen Zerfall zu fördern:
England. Es hat das schon einmal getan, bis dicht an eine Kriegserklärung
heran: 186264 während des Sezessionskrieges, als für die
Südstaaten in britischen Häfen Kriegs- und Kaperschiffe gebaut
oder gekauft wurden, die, in europäischen Gewässern ausgerüstet
und bemannt die »Alabama« sogar mit britischen Seesoldaten
, die Handelsschiffe der Nordstaaten überall verbrannten und
versenkten, wo sie sich auch trafen. Damals war England noch unbestrittene
Herrin der Meere. Es war der einzige Grund, weshalb die Regierung von
Washington den Krieg nicht wagte. Die »Freiheit der Meere«
war die englische Freiheit des Handelns, nichts anderes. Das ist seit
1918 zu Ende. England, im 19. Jahrhundert das Kontor der Welt, ist heute
nicht mehr reich genug, um im Tempo des Flottenbaues die Spitze zu halten,
und seine Macht reicht nicht mehr aus, um andere mit Gewalt an der Überflügelung
zu hindern. Das Vorgefühl dieser historischen Grenze war einer der
Gründe für den Krieg gegen Deutschland, und der November 1918
wahrscheinlich die letzte, allzu kurze Zeit, in der sich diese Macht von
gestern die Illusion eines großen Sieges gönnen durfte. Aber
abgesehen von der wachsenden Unterlegenheit im Bau von Schlachtschiffen
hat sich, wie eben gezeigt wurde, der Begriff der Seebeherrschung grundlegend
verändert. Neben den Unterseebooten sind die Flugzeuge eine überlegene
Waffe geworden und damit das Hinterland wichtiger als Küste und Häfen.
Gegenüber französischen Bombengeschwadern hat England aufgehört,
strategisch eine Insel zu sein. Mit dem schweren Schlachtschiff sinkt
das seebeherrschende England in die Vergangenheit. (Oswald Spengler,
Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 51-52 ).
Aber auch die englische Nation ist der Seele und Rasse nach nicht
mehr stark, nicht mehr jung und gesund genug, um diese furchtbare Krise
mit Zuversicht durchzukämpfen. England ist müde geworden. Es
hat noch im 19. Jahrhundert zuviel wertvolles Blut für seine Besitzungen
hingegeben, durch Auswanderung an die weißen Dominions, durch klimatische
Verheerungen in den farbigen Kolonien. Und vor allem fehlt ihm die rassenmäßige
Grundlage eines starken Bauerntums. (Oswald Spengler, Jahre der
Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 52 ).
Das französische Volk aber hat von jeher immer nur mächtig
gewordene Nachbarn gehaßt, weil deren Erfolge seine Eitelkeit verletzten,
die Spanier, die Engländer, vor allem die Deutschen im habsburgischen
wie im Hohenzollernstaat , gegen die der uralte Haß seit der
mißglückten »Rache für Sadowa« ins Irrsinnige
wuchs. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland
und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 54 ).
Aber der Verzicht auf Weltpolitik schützt nicht vor ihren
Folgen. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland
und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 57 ).
Die weiße Weltrevolution (S. 58-146).
Die Revolution von unten. Zeitalter
der Gracchen in Rom (S. 58) - Nicht wirtschaftlich, sondern städtisch:
Zerfall der Gesellschaft (S. 62) - Die Gesellschaft als Rangordnung
(S. 64) - Unterschiede, nicht Gegensätze (S. 66) - Unterwelt der
Großstadt: vornehm und gemein (S. 67)
- Ziel der Revolution: Einebnung der Gesellschaft. Demokratie = Bolschewismus
(S. 69) - Besitz, Luxus, Reichtum (S. 70) - Der KLassenkampf beginnt
um 1770 (S. 75) - In England (S. 77) - Einheit der Bewegung von Liberalismus
zum Bolschewismus (S. 78) - Seit 1840 Mobilmachung der Arbeiterklasse.
Diktatur des Proletariats (S. 79) - Berufsagitation (S.
80) - Der Bolschewismus nicht russisch (S. 82) - Duldung durch die liberale
Gesellschaft (S. 84) - Kultus des Arbeiters (S. 87) - Typus
des Demagogen (S. 88) - Kirche und Klassenkampf, Kommunismus und Religion
(S. 89) - Wirtschaftlicher Egoismus als Moral des Klassenkampfes (S.
94) - Zeitalter der revolutionären Theorie 1750-1850. Die Nationalökonomie
seit 1770 gehört dazu (S. 97) - Negatives Ideal des Klassenkampfes:
Zerstörung der Rangordnung seit 1770, der Wirtschaftsordnung seit
1840 (S. 99) - Kapitalismus und Sozialismus
als Moralbegriffe (S. 100) - Sozialismus als Kapitalismus von unten
(S. 102) - Die weiße Revolution heute am Ziel: Die Wirtschaftskrise
seit 1840 von den Führern des Proletariats gewollt (S. 104) - Der
Arbeiterführer als Sieger von 1918 (S. 106) - Klassenkampf durch
Arbeitszeitverkürzung und Lohnerhöhung (S. 108) - Eratz der
Mehrwerttheorie als Waffe durch die Praxis der politischen Löhne
(S. 110) - Umfang und Wirkung des poltischen Lohnes (S. 112) - Sieg
der niederen Massenarbeit über die Führerarbeit (S. 114) -
Bauerntum und städtische Luxuslöhne (S. 116) - Das krankhafte
Tempo der Wirtschaftsentwicklung eine Folge des Lohndruckes (S. 117)
- Ausdehnung de Finanzkapitals eine zweite Folge (S. 119) - Ende des
Industriemonopols der weißen Arbeiterschaft (S. 120) - Die farbigen
Löhne treten in den Kampf ein (S. 121) - Um 1900 die weiße
Wirtschaft schon untergraben (S. 122) - Der Zusammenbruch vom Weltkrieg
nicht bewirkt, sondern nur nicht länger aufgehalten (S. 123) -
Seit 1916 Diktatur der Arbeiterparteien über Staat und Wirtschaft.
Die Arbeitslosigkeit (S. 124) - Ausraubung der Gesellschaft (S. 125)
- Mangel an Einsicht. Inflation, Autarkie, Arbeitsbeschaffung (S 128)
- Der Klassenkampf noch nicht zu Ende (S. 129) - Zwei Fronten (S. 130)
- Was ist links? (S. 132) - Sinn des Faschismus (S. 134)
- Preußentum und Sozialismus (S. 136) - Ausgang der
Revolution von unten. Cäsarismus (S. 141) - Individualismus
als nordische Lebensform (S. 143).
So sieht das Zeitalter der Weltkriege aus, in dessen Anfängen
wir uns erst befinden. Aber dahinter erscheint das zweite Element der
ungeheuren Umwälzung, die Weltrevolution. Was will sie? Worin besteht
sie? Was hat das Wort im tiefsten Grunde zu bedeuten? Man versteht seinen
vollen Inhalt heute so wenig wie den geschichtlichen Sinn des ersten Weltkrieges,
der eben hinter uns liegt. Es handelt sich nicht um die Bedrohung der
Weltwirtschaft durch den Bolschewismus von Moskau, wie es die einen, und
nicht um die »Befreiung« der Arbeiterklasse, wie es die andern
meinen. Das sind nur Fragen der Oberfläche. Vor allem: diese Revolution
droht nicht erst, sondern wir stehen mitten darin, und nicht erst seit
gestern und heute, sondern seit mehr als einem Jahrhundert. Sie durchkreuzt
den »horizontalen« Kampf zwischen den Staaten und Nationen
durch den vertikalen zwischen den führenden Schichten der weißen
Völker und den andern, und im Hintergrund hat schon der weit
gefährlichere zweite Teil dieser Revolution begonnen: der Angriff
auf die Weißen überhaupt von seiten der gesamten Masse der
farbigen Erdbevölkerung ( ),
die sich ihrer Gemeinschaft langsam bewußt wird. (Oswald
Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 58 ).
Dieser Kampf herrscht nicht nur zwischen den Schichten von Menschen,
sondern darüber hinaus zwischen den Schichten des Seelenlebens bis
in den einzelnen Menschen hinein. Fast jeder von uns hat diesen Zwiespalt
des Fühlens und Meinens in sich, obwohl er das gar nicht weiß.
Deshalb kommen so wenige zu der klaren Einsicht, auf welcher Seite sie
wirklich stehen. Aber gerade das zeigt die innere Notwendigkeit dieser
Entscheidung, die weit über das persönliche Wünschen und
Wirken hinausgeht. Mit den Schlagworten, welche der herrschenden Mode
des Denkens entstammen, Bolschewismus, Kommunismus, Klassenkampf, Kapitalismus
und Sozialismus, mit denen jeder die Frage genau umschrieben glaubt, weil
er nicht in die Tiefe der Tatsachen zu sehen vermag, ist da sehr wenig
gewonnen. Das gleiche hat sich in allen vergangenen Kulturen auf der gleichen
Stufe zugetragen, so wenig wir im einzelnen davon wissen (Untergang
des Abendlandes, II, S. 522 ff., 560 ff.). (Oswald Spengler,
Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 58-59 ).
Aber von der Antike wissen wir genug. Der Höhepunkt der revolutionären
Bewegung liegt in der Zeit von Tib. und C. Gracchus bis auf Sulla, aber
der Kampf gegen die führende Schicht und deren gesamte Tradition
begann schon ein volles Jahrhundert früher durch C. Flaminius, dessen
Ackergesetz von 232 Polybius (II, 2 I )
mit Recht als den Anfang der Demoralisation der Volksmasse bezeichnet
hat. Diese Entwicklung wurde nur vorübergehend durch den Krieg gegen
Hannibal unterbrochen und abgelenkt, gegen dessen Ende bereits Sklaven
in das »Bürgerheer« eingestellt worden sind. Seit der
Ermordung der beiden Gracchen - und ihres großen Gegners, des jüngeren
Scipio Afrikanus - schwinden die staatserhaltenden Mächte altrömischer
Tradition schnell dahin. Marius, aus dem niederen Volk und nicht einmal
aus Rom stammend, stellte das erste Heer auf, das nicht mehr auf Grund
der allgemeinen Wehrpflicht, sondern aus besoldeten, ihm persönlich
anhängenden Freiwilligen gebildet war, und griff mit ihm rücksichtslos
und blutig in die inneren Verhältnisse Roms ein. Die alten Geschlechter,
in denen seit Jahrhunderten staatsmännische Begabung und sittliches
Pflichtbewußtsein herangezüchtet worden waren und denen Rom
seine Stellung als Weltmacht verdankte, wurden zum guten Teil ausgerottet.
Der Römer Sertorius versuchte mit den barbarischen Stämmen Spaniens
dort einen Gegenstaat zu gründen, und Spartakus rief die Sklaven
Italiens zur Vernichtung des Römertums auf. Der Krieg gegen Jugurtha
und die Verschwörung Catilinas zeigten den Verfall der herrschenden
Schichten selbst, deren entwurzelte Elemente jeden Augenblick bereit waren,
den Landesfeind und den Pöbel des Forums für ihre schmutzigen
Geldinteressen zu Hilfe zu rufen. Sallust hatte vollkommen recht: Am baren
Gelde, nach dem der Pöbel und die reichen Spekulanten gleich gierig
waren, sind die Ehre und Größe Roms, seine Rasse, seine Idee
zugrunde gegangen. Aber diese großstädtische, von allen Seiten
her zusammengelaufene Masse wurde - wie heute - nicht von innen heraus
mobilisiert und organisiert, um ihr »Recht« auf Selbstregierung,
ihre »Freiheit« vom Druck der herrschenden Schichten zu erkämpfen,
sondern als Mittel für die Zwecke von Geschäftspolitikern und
Berufsrevolutionären. Aus diesen Kreisen hat sich die »Diktatur
von unten« als die notwendige letzte Folge der radikalen demokratischen
Anarchie entwickelt, damals wie heute. Polybius, der staatsmännische
Erfahrung und einen scharfen Blick für den Gang der Ereignisse besaß,
sah das schon dreißig Jahre vor C. Gracchus mit Sicherheit voraus:
»Wenn sie hinter hohen Staatsämtern her sind und sie nicht
auf Grund persönlicher Vorzüge und Fähigkeiten erhalten
können, dann verschwenden sie Geld, indem sie die Masse auf jede
Art ködern und verführen. Die Folge ist, daß das Volk
durch dies politische Strebertum ans Geschenknehmen gewöhnt und begehrlich
nach Geld ohne Arbeit wird: Damit geht die Demokratie zu Ende, und es
tritt die Gewalt und das Recht der Fäuste an ihre Stelle. Denn sobald
die Menge, die von fremdem Eigentum zu leben und die Hoffnung für
ihren Unterhalt auf den Besitz anderer zu gründen sich gewöhnt
hat, einen ehrgeizigen und entschlossenen Führer findet, geht sie
zur Anwendung der Macht ihrer Fäuste über. Und jetzt, sich zusammenrottend,
wütet sie mit Mord und Vertreibung und eignet sich den Besitz der
anderen an, bis sie völlig verwildert in die Gewalt eines unumschränkten
Diktators gerät.« (VI, 9 ).
.... »Die eigentliche Katastrophe wird jedoch durch die Schuld der
Masse herbeigeführt werden, wenn sie durch die Geldgier der einen
sich geschädigt glaubt, während der Ehrgeiz der andern, ihrer
Eitelkeit schmeichelnd, sie zur Selbstüberschätzung verführt.
In der Wut wird sie sich erheben, wird bei allen Verhandlungen nur der
Leidenschaft Gehör geben, wird denen, welche den Staat leiten, keinen
Gehorsam mehr leisten, ja ihnen nicht einmal Gleichberechtigung zugestehen,
sondern in allem das Recht der Entscheidung für sich fordern. Wenn
es dahin kommt, wird der Staat sich mit den schönsten Namen schmücken,
denen der Freiheit und Regierung des Volkes durch sich selbst, aber in
Wirklichkeit wird er die schlimmste Form erhalten haben, die Ochlokratie,
die Diktatur des Pöbels.« (VI, 57 ).
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 59-60 ).
Diese Diktatur droht heute den weißen Völkern nicht
etwa, sondern wir befinden uns unter ihrer vollen Herrschaft, und zwar
so tief und so selbstverständlich, daß wir es gar nicht mehr
bemerken. Die »Diktatur des Proletariats«, das heißt
seiner Nutznießer, der Gewerkschaften und der Parteifunktionäre
aller Richtungen, ist eine vollzogene Tatsache, ob die Regierungen nun
von ihnen gebildet oder infolge der Angst des »Bürgertums«
von ihnen beherrscht werden. Das hatte Marius gewollt, aber er scheiterte
an seinem völligen Mangel staatsmännischer Begabung. Davon besaß
sein Neffe Cäsar um so mehr, und er hat die furchtbare Revolutionszeit
durch seine Form der »Diktatur von oben« beendet, die an die
Stelle der parteimäßigen Anarchie die unumschränkte Autorität
einer überlegenen Persönlichkeit setzte, eine Form, der er für
immer den Namen gegeben hat. Seine Ermordung und deren Folgen konnten
nichts mehr daran ändern. Von ihm an gehen die Kämpfe nicht
mehr um Geld oder Befriedigung des sozialen Hasses, sondern nur noch
um den Besitz der absoluten Macht. (Oswald Spengler, Jahre der
Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 60-61 ).
Mit dem Kampf zwischen »Kapitalismus« und »Sozialismus«
hat das gar nichts zu tun. Im Gegenteil: die Klasse der großen Finanzleute
und Spekulanten, die römischen equites, was seit Mommsen ganz
irreführend mit Ritterschaft übersetzt wird, haben sich mit
dem Pöbel und seinen Organisationen, den Wahlklubs (sodalicia)
und bewaffneten Banden wie denjenigen des Milo und Clodius, immer sehr
gut verstanden. Sie gaben das Geld her für Wahlen, Aufstände
und Bestechungen, und C. Gracchus hat ihnen dafür die Provinzen zur
unumschränkten Ausbeutung unter staatlicher Deckung preisgegeben,
in denen sie namenloses Elend durch Plünderung, Wucher und den Verkauf
der Bevölkerung ganzer Städte in die Sklaverei verbreiteten,
und darüber hinaus die Besetzung der Gerichte, in denen sie nun über
ihre eigenen Verbrechen urteilen und sich gegenseitig freisprechen konnten.
Dafür versprachen sie ihm alles und sie ließen ihn und seine
ernstgemeinten Reformen fallen, als sie ihren eigenen Vorteil in Sicherheit
gebracht hatten. Dieses Bündnis zwischen Börse und Gewerkschaft
besteht heute wie damals. Es liegt in der natürlichen Entwicklung
solcher Zeiten begründet, weil es dem gemeinsamen Haß gegen
staatliche Autorität und gegen die Führer der produktiven Wirtschaft
entspringt, welche der anarchischen Tendenz auf Gelderwerb ohne Anstrengung
im Wege stehen. Marius, ein politischer Tropf wie viele volkstümliche
Parteiführer, und seine Hintermänner Saturninus und Cinna dachten
nicht anders als Gracchus; und Sulla, der Diktator der nationalen Seite,
richtete deshalb nach der Erstürmung Roms unter den Finanzleuten
ein furchtbares Gemetzel an, von dem sich diese Klasse nie wieder erholt
hat. Seit Cäsar verschwindet sie als politisches Element vollständig
aus der Geschichte. Ihr Dasein als politische Macht war mit dem Zeitalter
der demokratischen Parteianarchie aufs engste verbunden und hat es mithin
nicht überlebt. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung
- Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 61-62 ).
Diese Revolution von der Dauer mehr als eines Jahrhunderts hat
im tiefsten Grunde mit »Wirtschaft« überhaupt nichts
zu tun. Sie ist eine lange Zeit der Zersetzung des gesamten Lebens einer
Kultur, die Kultur selbst als lebendiger Leib begriffen. Die innere Form
des Lebens zerfällt und damit die Kraft, ihr durch schöpferische
Werke, deren Gesamtheit die Geschichte der Staaten, Religionen, Künste
bildet, nach außen hin Ausdruck zu geben, nachdem sie bis zur äußersten
Höhe ihrer Möglichkeiten gereift war. Der einzelne Mensch mit
seinem privaten Dasein folgt dem Zuge des Ganzen. Sein Tun, Sichverhalten,
Wollen, Denken, Erleben bilden mit Notwendigkeit ein wenn auch noch so
geringes Element in dieser Entwicklung. Wenn er das mit bloßen Wirtschaftsfragen
verwechselt, so ist das schon ein Zeichen des Verfalls, der auch in ihm
vor sich geht, ob er das nun fühlt und erkennt oder nicht. Es versteht
sich von selbst, daß Wirtschaftsformen in demselben Grade Kultur
sind wie Staaten, Religionen, Gedanken und Künste. Was man aber meint,
sind nicht die Formen des Wirtschaftslebens, die unabhängig vom menschlichen
Willen heranwachsen und vergehen, sondern der materielle Ertrag der wirtschaftlichen
Tätigkeit, den man heute mit dem Sinn von Kultur und Geschichte schlechtweg
gleichsetzt und dessen Sinken man ganz materialistisch und mechanistisch
als »Ursache« und Inhalt der Weltkatastrophe betrachtet.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 62 ).
Der Schauplatz dieser Revolution des Lebens, ihr »Grund«
zugleich und ihr Ausdruck ist die Großstadt, wie sie in der Spätzeit
aller Kulturen sich zu bilden beginnt ( ).
In dieser steinernen und versteinernden Welt sammelt sich in immer steigendem
Maße entwurzeltes Volkstum an, das dem bäuerlichen Lande entzogen
wird, »Masse« in erschreckendem Sinne, formloser menschlicher
Sand, aus dem man zwar künstliche und deshalb flüchtige Gebilde
kneten kann, Parteien, nach Programmen und Idealen entworfene Organsisationen,
in dem aber die Kräfte natürlichen, durch die Folge der Generationen
mit Tradition gesättigten Wachstums abgestorben sind, vor allem die
natürliche Fruchtbarkeit allen Lebens, der Instinkt für die
Dauer der Familien und Geschlechter. Der Kinderreichtum, das erste Zeichen
einer gesunden Rasse, wird lästig und lächerlich ( ).
Es ist das ernsteste Zeichen des »Egoismus« großstädtischer
Menschen, selbständig gewordener Atome, des Egoismus, der nicht das
Gegenteil des heutigen Kollektivismus ist - dazwischen besteht überhaupt
kein Unterschied; ein Haufen Atome ist nicht lebendiger als ein einzelnes
-, sondern das Gegenteil des Triebes, im Blute von Nachkommen, in der
schöpferischen Sorge für sie, in der Dauer seines Namens fortzuleben.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 62-63 ).
Dafür schießt die kahle Intelligenz, diese einzige
Blüte, das Unkraut des städtischen Pflasters, in unwahrscheinlichen
Mengen auf. Das ist nicht mehr die sparsame, tiefe Weisheit alter Bauerngeschlechter,
die so lange wahr bleibt, als die Geschlechter dauern, zu denen sie gehört,
sondern der bloße Geist des Tages, der Tageszeitungen, Tagesliteratur
und Volksversammlungen, der Geist ohne Blut, der alles kritisch zernagt,
was von echter, also gewachsener Kultur noch lebendig aufrecht steht.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 63 ).
Denn Kultur ist ein Gewächs. Je vollkommener eine Nation
die Kultur repräsentiert, zu deren vornehmsten Schöpfungen immer
die Kulturvölker selbst gehören, je entschiedener sie im Stile
echter Kultur geprägt und gestaltet ist, desto reicher ist ihr Wuchs
gegliedert nach Stand und Rang, mit ehrfurchtgebietenden Distanzen vom
wurzelhaften Bauerntum bis hinauf in die führenden Schichten der
städtischen Gesellschaft. Hier bedeuten Höhe der Form, der Tradition,
Zucht und Sitte, angeborene Überlegenheit der leitenden Geschlechter,
Kreise, Persönlichkeiten das Leben, das Schicksal des Ganzen. Eine
Gesellschaft in diesem Sinne bleibt von verstandesmäßigen Einteilungen
und Wunschbildern unberührt oder sie hat aufgehört zu sein.
Vor allem besteht sie aus Rangordnungen und nicht aus »Wirtschaftsklassen«.
Diese englisch-materialistische Ansicht, die sich seit Adam Smith mit
und aus dem zunehmenden Rationalismus entwickelt hat und vor fast hundert
Jahren von Marx in ein flaches und zynisches System gebracht worden ist,
wird dadurch nicht richtiger, daß sie sich durchgesetzt hat und
in diesem Augenblick das gesamte Denken, Sehen und Wollen der weißen
Völker beherrscht. Sie ist ein Zeichen des Verfalls der Gesellschaft
und weiter nichts. Schon vor dem Ende dieses Jahrhunderts wird man sich
mit Erstaunen fragen, wie diese Wertung gesellschaftlicher Formen und
Stufen nach »Arbeitgebern« und »Arbeitnehmern«,
nach der Menge von Geld also, die der einzelne als Vermögen, Rente
oder Lohn hat oder haben will, überhaupt ernst genommen werden konnte,
nach der Geldmenge, nicht nach der standesgebundenen Art, wie es erworben
und zu echtem Besitz gestaltet wird. Es ist der Standpunkt von Proleten
und Parvenüs, die im tiefsten Grunde derselbe Typus sind, dieselbe
Pflanze des großstädtischen Pflasters, vom Dieb und Agitator
der Gasse bis zum Spekulanten der Börse und der Parteipolitik.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 63-64 ).
»Gesellschaft« aber bedeutet Kultur haben, Form haben
bis in den kleinsten Zug der Haltung und des Denkens hinein, Form, die
durch eine lange Zucht von ganzen Geschlechtern herangebildet worden ist,
strenge Sitte und Lebensauffassung, welche das gesamte Sein mit tausend
nie ausgesprochenen und nur selten ins Bewußtsein tretenden Pflichten
und Bindungen durchdringt, damit aber alle Menschen, die dazugehören,
zu einer lebendigen Einheit macht, oft weit über die Grenzen einzelner
Nationen hinaus wie den Adel der Kreuzzüge und des 18. Jahrhunderts,
Das bestimmt den Rang; das heißt »Welt haben«. Das wird
schon unter den germanischen Stämmen beinahe mystisch mit Ehre bezeichnet.
Diese Ehre war eine Kraft, welche das ganze Leben der Geschlechter durchdrang.
Die persönliche Ehre war nur das Gefühl der unbedingten Verantwortung
des einzelnen für die Standesehre, die Berufsehre, die nationale
Ehre. Der einzelne lebte das Dasein der Gemeinschaft mit, und das Dasein
der andern war zugleich das seine. Was er tat, zog die Verantwortung aller
nach sich, und damals starb ein Mensch nicht nur seelisch dahin, wenn
er ehrlos geworden, wenn sein oder der Seinen Ehrgefühl durch eigene
oder fremde Schuld tödlich verletzt worden war. Alles was man Pflicht
nennt, die Voraussetzung jedes echten Rechts, die Grundsubstanz jeder
vornehmen Sitte, geht auf Ehre zurück. Seine Ehre hat das Bauerntum
wie jedes Handwerk, der Kaufmann und der Offizier, der Beamte und die
alten Fürstengeschlechter. Wer sie nicht hat, wer »keinen Wert
darauf legt«, vor sich selbst wie vor seinesgleichen anständig
dazustehen, ist »gemein«. Das ist der Gegensatz zur Vornehmheit
im Sinne jeder echten Gesellschaft, nicht die Armut, der Mangel an Geld,
wie es der Neid heutiger Menschen meint, nachdem man jeden Instinkt für
vornehmes Leben und Empfinden verloren hat und die öffentlichen Manieren
aller »Klassen« und »Parteien« gleich pöbelhaft
geworden sind. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland
und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 64-65 ).
In die alte vornehme Gesellschaft Westeuropas, die am Ende des
18. Jahrhunderts an Höhe des Lebens und Feinheit der Formen etwas
erreicht hatte, das nicht mehr übertroffen werden konnte und in manchen
Zügen schon zerbrechlich und krank zu werden begann, wuchs noch in
den vierziger Jahren das erfolgreiche englisch-puritanische Bürgertum
hinein, das den Ehrgeiz hatte, dem Hochadel in seiner Lebensführung
gleich zu werden und wenn möglich mit ihm zu verschmelzen. Darin,
in der Einverleibung immer neuer Ströme menschlichen Lebens, zeigt
sich die Kraft alter gewachsener Formen. Aus den Plantagenbesitzern im
spanischen Süd- und im englischen Nordamerika war längst eine
echte Aristokratie nach dem Vorbild spanischer Granden und englischer
Lords geworden. Die letztere wurde im Bürgerkrieg von 186165
vernichtet und durch die Parvenüs von New York und Chikago mit dem
Protzentum ihrer Milliarden ersetzt. Noch nach 1870 wuchs das neue deutsche
Bürgertum in die strenge Lebensauffassung des preußischen Offizier-
und Beamtenstandes hinein. Aber das ist die Voraussetzung gesellschaftlichen
Daseins: was durch Fähigkeiten und durch innere Kraft in höhere
Schichten aufsteigt, muß durch die Strenge der Form und die Unbedingtheit
der Sitte erzogen und geadelt werden, um in den Söhnen und Enkeln
diese Form nunmehr selbst zu repräsentieren und weiterzugeben. Eine
lebendige Gesellschaft erneuert sich unaufhörlich durch wertvolles
Blut, das von unten, von außen einströmt. Es beweist die innere
Kraft der lebendigen Form, wieviel sie aufnehmen, verfeinern und angleichen
kann, ohne unsicher zu werden. Sobald aber diese Form des Lebens nicht
mehr selbstverständlich ist, sobald sie der Kritik in bezug auf ihre
Notwendigkeit auch nur Gehör verstattet, ist es mit ihr zu Ende.
Man verliert den Blick für die Notwendigkeit der Gliederung, die
jeder Art Mensch und menschlicher Tätigkeit ihren Rang im Leben des
Ganzen anweist, den Sinn für die notwendige Ungleichheit der Teile
also, die mit organischer Gestaltung identisch ist. Man verliert das gute
Gewissen des eigenen Ranges und verlernt es, Unterordnung als selbstverständlich
entgegenzunehmen, aber in demselben Grade verlernen es, erst in Folge
davon, die unteren Schichten, diese Unterordnung zu leisten und als notwendig
und berechtigt anzuerkennen. Auch hier beginnt, wie jedesmal, die Revolution
von oben, um dann Revolten von unten Platz zu machen. »Allgemeine«
Rechte wurden von jeher denen gegeben, die gar nicht daran gedacht hatten
sie zu verlangen. Aber die Gesellschaft beruht auf der Ungleichheit der
Menschen. Das ist eine naturhafte Tatsache. Es gibt starke, schwache,
zur Führung berufene und ungeeignete, schöpferische und unbegabte,
ehrenhafte, faule, ehrgeizige und stille Naturen. Jede hat ihren Platz
in der Ordnung des Ganzen. Je bedeutender eine Kultur ist, je mehr sie
der Gestaltung eines edlen tierischen oder pflanzlichen Leibes gleicht,
desto größer sind die Unterschiede der aufbauenden Elemente,
die Unterschiede, nicht die Gegensätze, denn diese werden erst verstandesmäßig
hineingetragen. Kein tüchtiger Knecht denkt daran, den Bauern als
seinesgleichen zu betrachten, und jeder Vorarbeiter, der etwas leistet,
verbittet sich den Ton der Gleichheit von seiten ungelernter Arbeiter.
Das ist das natürliche Empfinden menschlicher Verhältnisse.
»Gleiche Rechte« sind wider die Natur, sind die Zeichen der
Entartung altgewordener Gesellschaften, sind der Beginn ihres unaufhaltsamen
Zerfalls. Es ist intellektuelle Dummheit, den durch Jahrhunderte herangewachsenen
und durch Tradition gefestigten Bau der Gesellschaft durch etwas anderes
ersetzen zu wollen. Man ersetzt das Leben nicht durch etwas anderes. Auf
das Leben folgt nur der Tod. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung
- Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 65-66 ).
Und so ist es im tiefsten Grunde auch gemeint. Man will nicht
verändern und verbessern, sondern zerstören. Aus jeder Gesellschaft
sinken beständig entartete Elemente nach unten, verbrauchte Familien,
heruntergekommene Glieder hochgezüchteter Geschlechter, Mißratene
und Minderwertige an Seele und Leib man sehe sich nur einmal die
Gestalten in diesen Versammlungen, Kneipen, Umzügen und Krawallen
an; irgendwie sind sie alle Mißgeburten, Leute, die statt tüchtiger
Rasse im Leib nur noch Rechthabereien und Rache für ihr verfehltes
Leben im Kopfe haben, und an denen der Mund der wichtigste Körperteil
ist. Es ist die Hefe der großen Städte, der eigentliche Pöbel,
die Unterwelt in jedem Sinne, die sich überall im bewußten
Gegensatz zur großen und vornehmen Welt bildet und im Haß
gegen sie vereinigt: politische und literarische Boheme, verkommener Adel
wie Catilina und Philipp Egalité, der Herzog von Orleans, gescheiterte
Akademiker, Abenteurer und Spekulanten, Verbrecher und Dirnen, Tagediebe,
Schwachsinnige, untermischt mit ein paar traurigen Schwärmern für
irgendwelche abstrakten Ideale. Ein verschwommenes Rachegefühl für
irgendein Pech, das ihnen das Leben verdarb, die Abwesenheit aller Instinkte
für Ehre und Pflicht und ein hemmungsloser Durst nach Geld ohne Arbeit
und Rechten ohne Pflichten führen sie zusammen. Aus diesem Dunstkreis
gehen die Tageshelden aller Pöbelbewegungen und radikalen Parteien
hervor. Hier erhält das Wort Freiheit den blutigen Sinn sinkender
Zeiten. Die Freiheit von allen Bindungen der Kultur ist gemeint, von jeder
Art von Sitte und Form, von allen Menschen, deren Lebenshaltung sie in
dumpfer Wut als überlegen empfinden. Stolz und still getragene Armut,
schweigende Pflichterfüllung, Entsagung im Dienst einer Aufgabe oder
Überzeugung, Größe im Tragen eines Schicksals, Treue,
Ehre, Verantwortung, Leistung, alles das ist ein steter Vorwurf für
die »Erniedrigten und Beleidigten«. (Oswald Spengler,
Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 66-67 ).
Denn, es sei noch einmal gesagt, der Gegensatz von vornehm ist
nicht arm, sondern gemein. Das niedrige Denken und Empfinden dieser Unterwelt
bedient sich der entwurzelten, in all ihren Instinkten unsicher gewordenen
Masse der großen Städte, um seine eigenen Ziele und Genüsse
der Rache und Zerstörung zu erreichen. Deshalb wird dieser ratlosen
Menge ein »Klassenbewußtsein« und »Klassenhaß«
durch ununterbrochenes Reden und Schreiben eingeimpft, deshalb werden
ihr die führenden Schichten, die »Reichen«, die »Mächtigen«,
in gerader Umkehrung ihrer wirklichen Bedeutung als Verbrecher und Ausbeuter
gezeichnet, und endlich bietet man sich ihr als Retter und Führer
an. Alle »Volksrechte«, die oben aus krankem Gewissen und
haltlosem Denken rationalistisch beschwatzt wurden, werden nun als selbstverständlich
von unten, von den »Enterbten« gefordert, niemals für
das Volk, denn sie sind immer denen gegeben worden, die gar nicht daran
gedacht hatten sie zu verlangen und die damit nichts anzufangen wußten.
Sie sollten das auch gar nicht, denn diese Rechte waren nicht für
das »Volk« bestimmt, sondern für die Hefe der sich selbst
ernennenden »Volksvertreter«, aus der sich nun ein radikaler
Parteiklüngel bildet, der den Kampf gegen die gestaltenden Mächte
der Kultur als Gewerbe betreibt und die Masse durch das Wahlrecht,
die Pressefreiheit und den Terror entmündigt. (Oswald
Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 67-68 ).
So entsteht der Nihilismus, der abgründige Haß
des Proleten gegen die überlegene Form jeder Art, gegen die Kultur
als deren Inbegriff, gegen die Gesellschaft als deren Träger und
geschichtliches Ergebnis. Daß jemand Form hat, sie beherrscht, sich
in ihr wohl fühlt, während der gemeine Mensch sie als Fessel
empfindet, in der er sich nie frei bewegen wird, daß Takt, Geschmack,
Sinn für Tradition Dinge sind, die zum Erbgut hoher Kultur gehören
und Erziehung voraussetzen, daß es Kreise gibt, in denen Pflichtgefühl
und Entsagung nicht lächerlich sind, sondern auszeichnen, das erfüllt
ihn mit einer dumpfen Wut, die in früheren Zeiten sich in die Winkel
verkroch und dort nach Art des Thersites geiferte, heute aber breit und
gemein als Weltanschauung über allen weißen Völkern liegt.
Denn die Zeit selbst ist gemein geworden und die meisten wissen gar nicht,
in welchem Grade sie selbst es sind. Die schlechten Manieren aller Parlamente,
die allgemeine Neigung, ein nicht sehr sauberes Geschäft mitzumachen,
wenn es Geld ohne Arbeit verspricht, Jazz und Niggertänze als seelischer
Ausdruck aller Kreise, die Dirnenbemalung der Frauen, die Sucht von Literaten,
in Romanen und Theaterstücken die strengen Anschauungen der vornehmen
Gesellschaft unter allgemeinem Beifall lächerlich zu machen, und
der schlechte Geschmack bis in den hohen Adel und alte Fürstenhäuser
hinein, sich jedes gesellschaftlichen Zwanges und jeder alten Sitte zu
entledigen, beweisen, daß der Pöbel tonangebend geworden ist.
Aber während man hier über die vornehme Form und die alte Sitte
lächelt, weil man sie nicht mehr als Imperativ in sich trägt,
und ohne zu ahnen, daß es sich hier um Sein oder Nichtsein handelt,
entfesseln sie dort den Haß, der Vernichtung will, den Neid auf
alles, was nicht jedem zugänglich ist, was emporragt und endlich
hinunter soll. Nicht nur Tradition und Sitte, sondern jede Art von verfeinerter
Kultur, Schönheit, Grazie, der Geschmack sich zu kleiden, die Sicherheit
der Umgangsformen, die gewählte Sprache, die beherrschte Haltung
des Körpers, die Erziehung und Selbstzucht verrät, reizen das
gemeine Empfinden bis aufs Blut. Ein vornehm gebildetes Gesicht, ein schmaler
Fuß, der sich leicht und zierlich vom Pflaster hebt, widersprechen
aller Demokratie. Das otium cum dignitate statt des Spektakels von Boxkämpfen
und Sechstagerennen, die Kennerschaft für edle Kunst und alte Dichtung,
selbst die Freude an einem gepflegten Garten mit schönen Blumen und
seltenen Obstarten ruft zum Verbrennen, Zerschlagen, Zertrampeln auf.
Die Kultur ist in ihrer Überlegenheit der Feind. Weil man ihre Schöpfungen
nicht verstehen, sie sich innerlich nicht aneignen kann, weil sie nicht
»für alle« da sind, müssen sie vernichtet werden.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 68-69 ).
Und das ist die Tendenz des Nihilismus: Man denkt nicht daran,
die Masse zur Höhe echter Kultur zu erziehen; das ist anstrengend
und unbequem und vielleicht fehlt es auch an gewissen Voraussetzungen.
Im Gegenteil: Der Bau der Gesellschaft soll eingeebnet werden bis herab
auf das Niveau des Pöbels. Die allgemeine Gleichheit soll herrschen:
alles soll gleich gemein sein. Die gleiche Art, sich Geld zu verschaffen
und es für die gleiche Art von Vergnügen auszugeben: panem et
circenses mehr braucht man nicht und mehr versteht man nicht. Überlegenheit,
Manieren, Geschmack, jede Art von innerem Rang sind Verbrechen. Ethische,
religiöse, nationale Ideen, die Ehe um der Kinder willen, die Familie,
die Staatshoheit sind altmodisch und reaktionär. Das Straßenbild
von Moskau zeigt das Ziel, aber man täusche sich nicht: Es ist nicht
der Geist von Moskau, der hier gesiegt hat. Der Bolschewismus ist in Westeuropa
zu Hause, und zwar, seit die englisch-materialistische Weltauffassung
der Kreise, in denen Voltaire und Rousseau als gelehrige Schüler
verkehrten, im Jakobinismus des Kontinents einen wirksamen Ausdruck gefunden
hatte. Die Demokratie des 19. Jahrhunderts ist bereits Bolschewismus;
sie besaß nur noch nicht den Mut zu ihren letzten Folgerungen. Es
ist nur ein Schritt vom Bastillesturm und der die allgemeine Gleichheit
fördernden Guillotine zu den Idealen und Straßenkämpfen
von 1848, dem Jahr des kommunistischen Manifests, und ein zweiter von
dort bis zum Sturz des westlich gestalteten Zarentums. Der Bolschewismus
droht uns nicht, sondern er beherrscht uns. Seine Gleichheit ist die Gleichsetzung
des Volkes mit dem Pöbel, seine Freiheit ist die Befreiung von der
Kultur und ihrer Gesellschaft (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung
- Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 69-70 ).
Zu einer hohen Kultur gehört endlich noch etwas, und zwar
mit Notwendigkeit, was gemeine Naturen in Delirien von Neid und Haß
ausbrechen läßt: Der Besitz im ursprünglichen Sinne, der
alte und dauerhafte Besitz, der von den Vätern her ererbt oder in
Jahrzehnten strenger und entsagungsvoller eigener Arbeit herangewachsen
ist und für Söhne und Enkel gepflegt und vermehrt wird. Reichtum
ist nicht nur eine Voraussetzung, sondern vor allem die Folge und der
Ausdruck von Überlegenheit, und nicht nur durch die Art, wie er erworben
wurde, sondern auch durch die Fähigkeit, ihn als Element echter Kultur
zu gestalten und zu verwenden. Es muß endlich einmal offen gesagt
werden, obwohl es der Gemeinheit dieser Zeit ins Gesicht schlägt:
Besitzen ist kein Laster, sondern eine Begabung, deren die wenigsten fähig
sind. Auch sie ist das Ergebnis einer langen Zucht durch gehobene Geschlechter
hin, zuweilen, bei den Gründern aufsteigender Familien, durch Selbsterziehung
auf der Grundlage starker Rasseeigenschaften erworben, beinahe nie durch
urwüchsige Genialität allein vorhanden, ohne alle Voraussetzungen
von erziehender Umgebung und vorbildlicher Vergangenheit. Es kommt nicht
darauf an, wieviel, sondern was und in welcher Weise man es hat. Bloße
Quantität als Selbstzweck ist gemein. Man kann Besitz als Mittel
zur Macht wollen und haben. Das ist die Unterordnung von wirtschaftlichen
Erfolgen unter politische Ziele und bestätigt die alte Erfahrung,
daß zum Kriegführen und zum Lenken von Staaten Geld gehört.
So hat es Cäsar aufgefaßt, als er Gallien eroberte und plünderte,
und in unseren Tagen Cecil Rhodes, als er die südafrikanischen Minen
in seine Hand brachte, um hier ein Reich nach seinem persönlichen
Geschmack zu gründen. Kein armes Volk kann große politische
Erfolge haben, und wenn es Armut für Tugend und Reichtum für
Sünde hält, so verdient es auch keine. Besitz ist eine Waffe.
Das war auch der letzte, kaum ganz bewußte Sinn germanischer See-
und Landfahrten: Mit den erbeuteten Schätzen baute man Schiffe und
warb ein Gefolge. Eine königliche Freigebigkeit kennzeichnet diese
Art des Willens zur Macht. Sie ist das Gegenteil von Habgier und Geiz
wie von parvenühafter Verschwendung und von weibischer Nächstenliebe.
Aber davon ist hier nicht die Rede. Ich spreche vom Besitzen, insofern
es die Tradition einer Kultur in sich hat. Es bedeutet innere Überlegenheit;
es zeichnet vor ganzen Klassen von Menschen aus. Es gehört nicht
viel dazu: Ein kleiner gut gehaltener Bauernhof, ein tüchtiges Handwerk
von gutem Ruf, ein winziger Garten, dem man die Liebe ansieht, mit der
er gepflegt wird, das saubere Haus eines Bergmannes, ein paar Bücher
oder Nachbildungen alter Kunst. Worauf es ankommt ist, daß man diese
Dinge in eine persönliche Welt verwandelt, mit seiner Persönlichkeit
durchdringt. Echter Besitz ist Seele und erst insofern echte Kultur. Ihn
auf seinen Geldwert hin abzuschätzen ist irgendwie ein Mißverständnis
oder eine Entweihung. Ihn nach dem Tode des Besitzers zu teilen ist eine
Art Mord. Das war die germanische Auffassung vom Erbe: Es war der Idee
nach eine unauflösliche Einheit, von der Seele des Verstorbenen durchdrungen,
der es verwaltet hatte; es war keine teilbare Summe. Aber wer versteht
das? Wer hat heute noch Augen und Gefühl für den innerlichen,
beinahe metaphysischen Unterschied von Gut und Geld? Echte Güter
sind etwas, mit dem man innerlich verwachsen ist, wie ein germanischer
Krieger mit seinen Waffen, die er als Eigentum mit ins Grab nimmt, wie
ein Bauer mit seinem Hof, auf dem schon die Väter gearbeitet haben,
ein Kaufmann alten Schlages mit der Firma, die den Namen der Familie trägt,
ein echter Handwerker mit seiner Werkstatt und seinem Beruf: etwas, dessen
Wert für den Besitzer nicht in Geld auszudrücken ist, sondern
in einer Verbundenheit besteht, deren Zerstörung ans Leben greift.
Deshalb ist wirklicher »Besitz« im tieferen Sinne immer unbeweglich.
Er haftet am Besitzer. Er besteht aus Dingen und ist nicht in ihnen »angelegt«
wie die bloßen Vermögen, die nur quantitativ zu bestimmen und
ganz eigentlich heimatlos sind. Deshalb streben aufsteigende Familien
immer nach Grundbesitz als der Urform des unbeweglichen Gutes, und sinkende
suchen ihn in Bargeld zu verwandeln. Auch darin liegt der Unterschied
von Kultur und Zivilisation. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung
- Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 70-72 ).
»Geld« aber ist ein Abstraktum, eine reine Wertmenge
im Sinne des Marktes, die nur mathematisch an irgendeiner Währung
gemessen werden kann. Die Möglichkeit, über Nacht dazu zu kommen,
vom Glücksspiel und Einbruchsdiebstahl bis zu Geschäften mit
Politik und zur Börsenspekulation mit Summen, die man gar nicht hat,
und andererseits es jederzeit hinauswerfen zu können, ist sein einziger
Reiz. Darin sind Proleten und Parvenüs einig, und auch darin besteht
eine innere Verwandtschaft zwischen Bolschewismus und Amerikanismus. Was
ein zu Geld gekommener radikaler Parteiführer oder Spekulant »hat«,
soll gezeigt werden. Die Schlösser reichgewordener Jakobiner, geriebener
Finanzleute seit den französischen Steuerpächtern des 18. Jahrhunderts
und nordamerikanischer Millionäre reden eine deutliche Sprache, und
ebenso war es im alten Rom, wo Martial, Juvenal, Petronius über diese
Zurschaustellung zu schnell erworbener Geldmassen spotteten. Natürlich
gibt man alles für sich selbst aus, auch wenn man etwas stiftet,
vergeudet oder andern gönnerhaft in die Tasche steckt: aber der Zuschauer
ist das Wesentliche. Die ganze Welt soll es wissen, sonst hat es keinen
Sinn. Man genießt das Geldausgeben als solches. Man will den Mäzen
spielen, weil man davon gehört hat, aber man bringt es nur zu dem,
was man in München eine Würzen nennt, zum gönnerhaften
Protzen, zu einer Kopie des römischen Trimalchio. Man füllt
sein Haus mit Dingen, von denen man nichts versteht und an denen nur der
Preis wichtig ist. Der gesamte Kunsthandel lebt heute wie zur Zeit Cäsars
davon. Aber die sinnlosesten »Verschwender« und »Prasser«
sind trotzdem in den Kaschemmen zu finden, wo unsaubere Gewinne und Parteigehälter
vertrunken und verspielt werden, nicht in den Bürgerhäusern
alter Patriziate und auf den Landgütern alter Familien. Aber weil
man die Kultur, die Tradition des Genießens, die aus wenigem viel
zu machen versteht, nicht hat und nicht mit Geld erwerben kann, so frißt
trotz alledem der Neid auf diese Art von Überlegenheit an allen Menschen
von gemeiner Natur. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung
- Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 72 ).
Hohe Kultur ist mit Luxus und Reichtum untrennbar verbunden.
Luxus, das selbstverständliche Sichbewegen unter Dingen von
Kultur, die seelisch zur Persönlichkeit gehören, ist die Voraussetzung
aller schöpferischen Zeiten zum Beispiel für das Entstehen einer
großen Kunst, die es heute auch darum nicht mehr gibt, weil seit
dem vorigen Jahrhundert das wirkliche Kunstleben erloschen ist, das sich
stets in der Gesellschaft abgespielt hat, zwischen Kennern und Schöpfern
bedeutender Werke und nicht zwischen Kunsthändlern, Kunstkritikern
und Snobs, dem »Volk« oder gar dem »Publikum«.
Und Reichtum, der sich in wenigen Händen und in führenden Schichten
sammelt, ist unter anderem die Voraussetzung für die Erziehung von
Generationen führender Köpfe durch das Vorbild einer hochentwickelten
Umgebung, ohne die es kein gesundes Wirtschaftsleben und keine Entwicklung
politischer Fähigkeiten gibt. Ein Erfinder kann arm sein, aber in
einem bettelhaften Volk kommt seine Begabung nicht durch große Aufgaben
zur Reife und oft nicht einmal zum Bewußtsein ihrer selbst. Und
nicht anders steht es mit staatsmännischen und künstlerischen
Anlagen. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland
und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 73 ).
Im Nürnberg Albrecht Dürers etwa freute sich der einfache
Mann ohne Neid über die Pracht der höheren Stände. Etwas
von dem Glanz der Vaterstadt fiel auch auf ihn und er bedachte, daß
seine Lebenshaltung davon abhing und daß er sich in der der anderen
niemals glücklich fühlen würde. Gerade der unverbildete
Verstand von Bauernknechten und Handwerkern ist sich bewußt, daß
Besitz vor allem Verantwortung, Sorge und Arbeit bedeutet. Aber seit dem
18. Jahrhundert, seit der Heraufkunft des rationalistischen Denkens über
Leben, Geschichte und Menschenschicksal ist der Neid planmäßig
gezüchtet worden, der dem fleißigen und tüchtigen Arbeiter
von Natur ganz fernliegt, und zwar von der Unterwelt der demokratischen
Berufspolitiker und Schreiber des Tages wie Rousseau, die daran verdienten
oder ihren kranken Gefühlen Genüge taten. Die Gier nach dem
Eigentum der andern, das als Diebstahl gezeichnet wird, ohne daß
man die damit verbundene Arbeit und Begabung achtet oder beachtet, wird
zur Weltanschauung ausgebildet und hat eine entsprechende Politik von
unten zur Folge. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland
und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 74 ).
Und erst damit beginnt die Revolution der Gesellschaft eine wirtschaftliche
Tendenz zu erhalten, die in agitatorischen Theorien zum Ausdruck kommt,
nicht in bezug auf Organisation und Ziele der Wirtschaft, sondern im Hinblick
auf den Geldwert ihrer Anlagen und Erträge. Es werden Gegensätze
zwischen reich und arm geschaffen, um zwischen ihnen den Kampf zu eröffnen.
Man will »alles« haben, was da ist, was sich zu Geld machen
läßt, durch Verteilung oder Gemeinbesitz, und zerstören,
was man nicht haben kann, damit es die anderen nicht weiterbesitzen. Aus
diesem Fühlen und Denken nicht der unteren Gesellschaftsschichten,
sondern von deren sich selbst ernennenden Wortführern ist alles entstanden,
was in der Antike gleiche Verteilung der Güter und was heute Klassenkampf
und Sozialismus heißt. Es ist der Kampf zwischen unten und oben
in der Gesellschaft, der geführt wird zwischen den Führern der
Nationen und den Führern aus der Unterwelt, denen die Klassen der
Handarbeiter nur Objekte und Mittel zu eigenen Zwecken sind, und in welchem
die altgewordene Gesellschaft nur eine schwächliche Verteidigung,
ihre geborenen Feinde aber einen schonungslosen Angriff führen, bis
der heraufkommende Cäsarismus der Diktatur des Proletariats, den
gracchischen und catilinarischen Tendenzen ein Ende bereitet. (Oswald
Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 74-75 ).
Damit sind die Voraussetzungen gewonnen, um die »weiße«
Revolution in ihrem vollen Umfang, ihren Zielen, ihrer Dauer und ihrer
logischen Entwicklung zu zeichnen, was bisher niemand gewagt hat und was
vielleicht auch nicht möglich war, bevor sie mit den Folgen des ersten
Weltkrieges in die entscheidenden Jahrzehnte trat. Die Skepsis, die Voraussetzung
des historischen Blicks, des Untersichsehens der Geschichte wie
die Menschenverachtung die notwendige Voraussetzung tiefer Menschenkenntnis
ist steht nicht am Anfang der Dinge. (Oswald Spengler, Jahre
der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 75 ).
Diese Revolution beginnt nicht mit dem materialistischen Sozialismus
des 19. Jahrhunderts und noch viel weniger mit dem Bolschewismus von 1917.
Sie ist seit der Mitte des 18. Jahrhunderts »in Permanenz«,
um eine ihrer geläufigen Phrasen zu gebrauchen. Damals begann die
rationalistische Kritik, die sich stolz Philosophie der Aufklärung
nannte, ihre zerstörende Tätigkeit von den theologischen Systemen
des Christentums und der überlieferten Weltanschauung der Gebildeten,
die nichts war als Theologie ohne den Willen zum System, den Tatsachen
der Wirklichkeit, dem Staat, der Gesellschaft, zuletzt den gewachsenen
Formen der Wirtschaft zuzuwenden. Sie begann die Begriffe Volk, Recht
und Regierung ihres geschichtlichen Gehaltes zu entleeren und gestaltete
den Unterschied von Reich und Arm ganz materialistisch zu einem moralischen
Gegensatz, der mehr agitatorisch behauptet als ehrlich geglaubt wurde.
Hierher gehört die Nationalökonomie, die als materialistische
Wissenschaft um 1770 von A. Smith im Kreise von Hartley, Priestley, Mandeville
und Bentham begründet wurde und die sich anmaßte, die Menschen
als Zubehör zur wirtschaftlichen Lage zu betrachten und die Geschichte
von den Begriffen Preis, Markt und Ware aus zu »erklären«.
Von ihm stammt die Auffassung der Arbeit nicht als Lebensinhalt und
Beruf, sondern als Ware, mit welcher der Arbeitende Handel treibt. Alle
die Geschichte gestaltenden Leidenschaften und schöpferischen Züge
starker Persönlichkeiten und Rassen sind vergessen, der auf Befehlen
und Herrschen, auf Macht und Beute gerichtete Wille, der Erfinderdrang,
der Haß, die Rache, der Stolz auf eigene Kraft und deren Erfolge
und auf der anderen Seite der Neid, die Faulheit, die giftigen Gefühle
der Minderwertigen. Es bleiben nur die »Gesetze« des Geldes
und Preises, die in Statistiken und graphischen Kurven ihren Ausdruck
finden. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland
und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 75-76 ).
Daneben beginnt der Flagellantismus der sinkenden, allzu geistreich
gewordenen Gesellschaft, die zu ihrer eigenen Verhöhnung Beifall
klatscht: »Figaros Hochzeit« des Herrn »de« Beaumarchais,
die dem königlichen Verbot zum Trotz im Schlosse Gennevilliers vor
dem grinsenden Hofadel aufgeführt wurde, die Romane des Herrn »de«*
Voltaire, die von London bis Petersburg in den höchsten Kreisen verschlungen
worden sind, die Zeichnungen Hogarths, Gullivers Reisen und Schillers
»Räuber« und »Kabale und Liebe«, die einzigen
genialen Werke revolutionärer Dichtung, die es gibt, beweisen
das durch ihr Publikum, das durchaus nicht den unteren Schichten angehörte.**
(* Nicht nur diese kleinbürgerlichen Hochstapler
und Literaten, die Söhne des Uhrmachers Caron und des Steuerbeamten
Arouet, sondern auch »de« Robespierre hat, noch zur Zeit der
Nationalversammlung, widerrechtlich den Adelstitel geführt. Sie wollten
zur Gesellschaft gerechnet werden, die sie zerstörten: ein charakteristischer
Zug aller Revolutionen dieser Art.) (** Ebenso
die sozialistischen Stücke und Romane der achtziger Jahre und die
bolschewistischen nach 1918, die in allen Großstädten Westeuropas
sich bei denen bezahlt machten, gegen die ihr Angriff gerichtet war.)
Was in den »durchgeistigten« Kreisen der hohen Gesellschaft
selbst geschrieben wurde, die Briefe des Lord Chesterfield, die Maximen
des Herzogs von Larochefoucauld, das Systeme de la nature des Barons
Holbach, war außerhalb derselben schon infolge der geistreichen
Diktion unverständlich, ganz abgesehen davon, daß Lesen und
Schreiben nicht einmal in den mittleren Schichten allgemein verbreitet
waren. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland
und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 76 ).
Um so besser verstanden die Berufsdemagogen der städtischen
Unterwelt, die nichts gelernt hatten als Reden halten und Pamphlete schreiben,
daß sich aus diesen Schriften vortreffliche Schlagworte für
die Agitation unter der Masse gewinnen ließen. In England begannen
die Unruhen 1762 mit dem Fall Wilkes', der wegen Beleidigung der Regierung
durch die Presse verurteilt und daraufhin immer wieder ins Unterhaus gewählt
wurde. In Versammlungen und bei planmäßigen Krawallen (riots)
war »Wilkes und Freiheit« der Ruf, mit dem Preßfreiheit,
allgemeines Wahlrecht, sogar die Republik gefordert wurden. Damals hat
Marat sein erstes Pamphlet: »The chains of slavery« in England
und für Engländer geschrieben (1774). Der Abfall der amerikanischen
Kolonien (1776), ihre Erklärung der allgemeinen Menschenrechte und
der Republik, ihre Freiheitsbäume und Tugendbündler sind letzten
Endes von englischen Bewegungen dieser Jahre ausgegangen. (Die
Loyalisten, die nicht republikanisch gesinnten Amerikaner, wanderten daraufhin
mehr oder weniger freiwillig nach Kanada aus.) Von 1779 an entstehen
die Klubs und geheimen Gesellschaften, die das ganze Land durchsetzten,
eine Revolution anstrebten und seit 1790, die Minister Fox und Sheridan
an der Spitze, dem Konvent und den Jakobinern Glückwunschadressen,
Briefe und Ratschläge sandten. Wäre die herrschende englische
Plutokratie nicht sehr viel energischer gewesen als der feige Hof von
Versailles, so wäre die Revolution in London noch früher ausgebrochen
als in Paris. Die Pariser Klubs, vor allem die Feuillants und Jakobiner,
sind einschließlich ihrer Programme, ihrer Verzweigung über
ganz Frankreich und der Form ihrer Agitation nichts als Kopien der englischen,
und diese wieder haben das französische citoyen als Anrede ihrer
Mitglieder durch citizen und das neugebildete citizeness übersetzt
und die Phrase Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit wie die Bezeichnung
der Könige als Tyrannen übernommen. Seitdem und heute noch ist
das die Form der Vorbereitung von Revolutionen geblieben. Damals entstand
das »allgemeine« Verlangen nach Preß- und Versammlungsfreiheit
als Mittel dafür, die Kernforderung des politischen Liberalismus,
des Freiseinwollens von den ethischen Bindungen alter Kultur, ein Verlangen,
das nichts weniger als allgemein war, sondern von den Schreiern und Schreibern
so bezeichnet wurde, die davon leben und die privaten Zwecke dieser Freiheit
erreichen wollten. Die alte Gesellschaft aber, vom esprit besessen, die
»Gebildeten«, die Spießbürger des 19. Jahrhunderts,
die Opfer dieser Freiheit also, erhoben sie zu einem Ideal, das jeder
Kritik seiner Hintergründe entzogen blieb. Heute, wo wir nicht nur
die Hoffnungen des 18., sondern auch die Folgen des 20. Jahrhunderts vor
uns sehen, läßt sich endlich darüber reden. Freiheit wovon,
wofür? Wer bezahlte die Presse und die Agitation? Wer verdiente daran?
Diese Freiheiten haben sich überall als das herausgestellt, was sie
sind: Mittel des Nihilismus zur Einebnung der Gesellschaft, Mittel der
Unterwelt, um der Masse der großen Städte diejenige Meinung
einzuimpfen eine eigene hat sie nicht , die für diesen
Zweck die erfolgversprechendste ist. (»Nach
Preßfreiheit schreit nieman, als der sie mißbrauchen will«
[Goethe].) Deshalb werden diese Freiheiten auch das allgemeine
Wahlrecht gehört dazu in dem Augenblick wieder bekämpft,
beseitigt und in ihr Gegenteil verkehrt, wo sie ihren Zweck erfüllt
und ihren Nutznießern die Gewalt in die Hände gegeben haben,
im jakobinischen Frankreich von 1793, im bolschewistischen Rußland
und in der Gewerkschaftsrepublik Deutschland seit 1918. Wann gab es hier
mehr Zeitungsverbote, 1820 oder 1920? Freiheit war immer die Freiheit
derjenigen, welche die Macht erobern, nicht beseitigen wollten.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 77-78 ).
Dieser aktive Liberalismus schreitet folgerichtig vom Jakobinismus
zum Bolschewismus fort. Das ist kein Gegensatz des Denkens und Wollens.
Es ist die Früh- und die Spätform, Anfang und Ende einer einheitlichen
Bewegung. Und zwar beginnt sie um 1770 mit sentimentalen »sozialpolitischen«
Tendenzen: der Bau der Gesellschaft nach Stand und Rang soll zerstört
werden; man will zur »Natur«, zur gleichförmigen Horde
zurück. An Stelle des Standes soll das treten, was nicht von Stand
ist, Geld und Geist, Kontor und Katheder, die Rechner und Schreiber, an
Stelle des formvollen Lebens das Leben ohne Form, ohne Manieren, ohne
Pflichten, ohne Distanz. Erst um 1840 geht diese sozialpolitische Tendenz
in eine »wirtschaftspolitische« über. Statt gegen den
Vornehmen wendet man sich gegen den Besitzenden, vom Bauern bis zum Unternehmer.
Nicht mehr Gleichheit der Rechte wird den Anhängern der Bewegung
versprochen, sondern das Vorrecht der Besitzlosen, nicht mehr Freiheit
für alle, sondern die Diktatur des großstädtischen
Proletariats, der »Arbeiterschaft«. Aber das ist kein
Unterschied der Weltanschauung die war und blieb materialistisch
und utilitaristisch , sondern einzig und allein der revolutionären
Methode: Die berufsmäßige Demagogie mobilisiert einen anderen
Teil der Völker für den Klassenkampf. Zuerst, um 1770, hatte
man sich zögernd an die Bauern und Handwerker gewandt, in England
wie in Frankreich. Die Cahiers der ländlichen und kleinstädtischen
Abgeordneten von 1789, welche den »Aufschrei der Nation« darstellen
sollten, waren von berufsmäßigen Schreiern verfaßt und
von den Wählern zum großen Teil gar nicht begriffen worden.
Diese Schichten hatten zuviel wurzelhafte Tradition, um als Mittel und
Waffe unbedingt brauchbar zu sein. Ohne den Pöbel der östlichen
Vororte wäre die Herrschaft des Terrors in Paris nicht möglich
gewesen. Man brauchte die stets gegenwärtigen Fäuste der großen
Stadt. Es ist nicht wahr, daß es sich damals um »wirtschaftliche«
Nöte gehandelt hätte. Steuern und Zölle waren Hoheitsrechte.
Das allgemeine Wahlrecht sollte ein Schlag gegen die Gesellschaftsordnung
sein. Daher der Mißerfolg des Konvents: Bauerntum und Handwerk waren
für Berufsdemagogen keine zuverlässige Gefolgschaft. Sie besaßen
angeborenes Distanzgefühl. Sie hatten zuviel Instinkt und zuwenig
städtische Intelligenz. Sie waren fleißig und hatten etwas
gelernt; außerdem wollten sie den Hof oder die Werkstatt den Söhnen
hinterlassen: Programme und Schlagworte wirkten hier nicht auf die Dauer.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 78-79 ).
Erst um 1840 fand die sich gleichförmig fortentwickelnde
schreibende und redende Demagogie Westeuropas (unter
den bekannten Führern war kein einziger Arbeiter!)
ein besseres Mittel für ihre Zwecke: die entwurzelte Masse, die sich
auf der nordeuropäischen Kohle ansammelte (vgl.
Politische Schriften, S. 331 ff.), den Typus des Industriearbeiters.
Man muß sich endlich über eine Tatsache klar werden, die im
Nebel der parteipolitischen Kämpfe gründlich verborgen geblieben
ist: Nicht das »wirtschaftliche Elend«, das der »Kapitalismus«
über das »Proletariat« gebracht hat, führte zur
Entstehung des Sozialismus, sondern die Berufsagitation hat diese
»zielbewußte« Anschauung der Dinge geschaffen, wie sie
vor 1789 das vollkommen falsche Bild des verelendeten Bauernstandes zeichnete
(das bald darauf aufgegeben wurde, weil es nicht
die erhoffte Wirkung hatte), und zwar lediglich deshalb, weil sie
hier eine bedingungslose Gefolgschaft zu werben hoffte. Und das gebildete
und halbgebildete Bürgertum hat daran geglaubt und tut es heute noch.
Das Wort »Arbeiter« wurde seit 1848 mit einem Heiligenschein
umgeben, ohne daß man über seinen Sinn und die Grenzen seiner
Anwendung nachdachte. Und die »Arbeiterklasse«, die es in
der wirtschaftlichen Struktur keines einzigen Volkes gibt (vgl.
Der Untergang des Abendlandes, S. 1159 f.) denn was
haben der Bergmann, der Matrose, der Schneidergeselle, der Metallarbeiter,
Kellner, Bankbeamte, Ackerknecht und Straßenkehrer miteinander zu
tun? , wird zu einer politischen Wirklichkeit, zu einer angreifenden
Partei, die alle weißen Völker in zwei Fronten gespalten
hat, von denen die eine ein Heer von Parteifunktionären, Massenrednern,
Zeitungsschreibern und »Volksvertretern« ernähren und
mit ihrem Blut für deren private Ziele einstehen muß. Das ist
der Zweck ihres Daseins. Der Gegensatz von Kapitalismus und Sozialismus
Worte, um deren Definition sich seitdem eine ungeheure Literatur
vergebens bemüht hat, denn man definiert Schlagworte nicht
ist nicht aus irgendeiner Wirklichkeit abgeleitet, sondern lediglich eine
aufreizende Konstruktion. Marx hat sie in die Verhältnisse der englischen
Maschinenindustrie hineingetragen, nicht herausgelesen, und selbst das
war nur möglich, wenn er vom Vorhandensein aller Menschen absah,
die mit Landwirtschaft, Handel, Verkehr und Verwaltung beschäftigt
waren. Dies Bild der Zeit hat so wenig mit der Wirklichkeit und deren
Menschen zu tun, daß sich sogar theoretisch der Süden vom Norden
getrennt hat: die Grenze liegt etwa auf der Linie Lyon-Mailand. Im romanischen
Süden, wo man wenig zum Leben braucht und wenig arbeitet, wo es keine
Kohle und deshalb keine Großindustrie gibt, wo man rassemäßig
anders denkt und fühlt, entwickelten sich die anarchistischen und
syndikalistischen Tendenzen, deren Wunschbild die Auflösung der großen
Volksorganismen in staatlose, kleine, sich selbst genügende Gruppen,
Beduinenschwärme des Nichtstuns ist. Im Norden aber, wo der strenge
Winter die strengere Arbeit fordert und sie ebenso möglich wie notwendig
macht, wo zum Kampf gegen den Hunger seit Urzeiten der gegen die Kälte
tritt, entstehen aus dem germanischen, auf Organisation im Großen
gerichteten Willen zur Macht die Systeme des autoritären Kommunismus
mit dem Endziel einer proletarischen Diktatur über die ganze Welt.
Und erst weil im Laufe des 19. Jahrhunderts die Kohlenfelder dieser nördlichen
Länder eine Ansammlung von Menschen und von nationalem Reichtum von
einer bis dahin unerhörten Größenordnung veranlaßt
haben, hat auch die Demagogie in ihnen und über ihre Grenzen hinaus
eine ganz andere Stoßkraft erhalten. Die hohen Löhne des englischen,
deutschen und amerikanischen Fabrikarbeiters siegten, gerade weil sie
nichts weniger als »Hungerlöhne« waren, über die
niedrigen der Landarbeiter im Süden, und erst infolge dieser »kapitalistischen«
Überlegenheit der Parteimittel hat der Marxismus über die Theorien
von Fourier und Proudhon gesiegt. Das Bauerntum wird von ihnen allen nicht
mehr beachtet. Es hat als Waffe für den Klassenkampf wenig Wert,
schon weil es auf dem Straßenpflaster nicht jederzeit zur Verfügung
steht und weil seine Traditionen von Besitz und Arbeit den Absichten der
Theorie widersprechen, und es wird deshalb von den Schlagworten des kommunistischen
Programms ignoriert. Bourgeoisie und Proletariat das prägt
sich ein, und je einfältiger man ist, desto weniger bemerkt man,
was alles außerhalb dieses Schemas bleibt. (Oswald Spengler,
Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 79-81 ).
Jede Demagogie gestaltet ihr Programm nach dem Teil der Nation,
auf dessen Mobilmachung sie für ihre Zwecke rechnet. In Rom war es
von Flaminius bis auf C. Gracchus die italische Bauernschaft, die Land
haben wollte, um es zu bestellen. Daher die Aufteilung des gallischen
Gebietes südlich vom Po durch den ersten und die Forderung der Aufteilung
des ager publicus durch den andern. Aber Gracchus ging zugrunde, weil
die Bauern, die in Masse zur Abstimmung nach Rom gewandert waren, der
Ernte wegen wieder nach Hause mußten. Seitdem rechnete die Demagogie
vom Schlage des Cinna und Catilina auf die Sklaven und vor allem statt
auf die fleißigen Tagelöhner, wie es in den griechischen Städten
seit Kleon geschehen war, auf den berufslosen Pöbel jeder Herkunft,
der auf den Straßen Roms herumlungerte und gefüttert und unterhalten
sein wollte: panem et circenses! Gerade weil man sich ein Jahrhundert
lang um die Wette bemühte, diese Massen durch immer größeren
Aufwand für sich zu gewinnen, sind sie zu einem Umfang angewachsen,
der noch nach Cäsar eine ständige Gefahr für die Regierung
des Weltreiches bildete. Je minderwertiger ein solches Gefolge, desto
brauchbarer ist es. Und deshalb hat der Bolschewismus seit der Pariser
Kommune von 1871 weit weniger auf den gelernten fleißigen und nüchternen
Arbeiter zu wirken gesucht, der an seinen Beruf und seine Familie denkt,
als auf das arbeitsscheue Gesindel der großen Städte, das in
jedem Augenblick bereit ist zu plündern und zu morden. Deshalb haben
in Deutschland von 1918 bis in die Jahre der großen Arbeitslosigkeit
hinein die regierenden Gewerkschaftsparteien sich wohl gehütet, zwischen
Arbeitslosen und Arbeitsscheuen einen gesetzlichen Unterschied entstehen
zu lassen. Damals hat neben der Unterstützung angeblicher Arbeitslosigkeit
ein Mangel an Arbeitern bestanden, vor allem auf dem Lande, und niemand
wollte das ernstlich verhindern. Die Krankenkassen wurden von Tausenden
mißbraucht, um der Arbeit aus dem Wege zu gehen. Die Arbeitslosigkeit
ist in ihren Anfängen vom Marxismus geradezu gezüchtet worden.
Der Begriff des Proletariers schließt die Freude an der Arbeit aus.
Ein Arbeiter, der etwas kann und stolz auf seine Leistung ist, empfindet
sich nicht als Proletarier. Er hindert die revolutionäre Bewegung.
Er muß proletarisiert, demoralisiert werden, um für sie brauchbar
zu sein. Das ist der eigentliche Bolschewismus, in dem diese Revolution
ihren Höhepunkt, aber noch lange nicht ihren Abschluß findet.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 81-82 ).
Es kennzeichnet die Oberflächlichkeit des Denkens der gesamten
»weißen« Welt, wenn dieser Bolschewismus als russische
Schöpfung betrachtet wird, die Westeuropa zu erobern drohe. In Wirklichkeit
ist er in Westeuropa entstanden, und zwar mit folgerichtiger Notwendigkeit
als letzte Phase der liberalen Demokratie von 1770 und als letzter Triumph
des politischen Rationalismus, das heißt der Anmaßung, die
lebendige Geschichte durch papierne Systeme und Ideale meistern zu wollen.
Sein erster Ausbruch großen Stils war nach den Junischlachten von
1848 die Pariser Kommune von 1871, die nahe daran war, ganz Frankreich
zu erobern. Nur die Armee hat das verhindert und die deutsche
Politik, die diese Armee moralisch stützte. Damals, nicht 1917 in
Rußland, sind aus den Tatsachen einer belagerten Hauptstadt heraus
die Arbeiter- und Soldatenräte entstanden, die Marx, ein Tropf in
praktischen Fragen, als mögliche Form einer kommunistischen Regierung
seitdem empfohlen hat. Damals sind zuerst die massenhaften Abschlachtungen
der Gegner durchgeführt worden, die Frankreich mehr Tote gekostet
haben als der ganze Krieg gegen Deutschland. Damals herrschte in Wirklichkeit
nicht die Arbeiterschaft, sondern das arbeitsscheue Gesindel, Deserteure,
Verbrecher und Zuhälter, Literaten und Journalisten, darunter wie
immer viele Ausländer, Polen, Juden, Italiener, selbst Deutsche.
Aber es war eine spezifisch französische Form der Revolution. Von
Marx war keine Rede, um so mehr von Proudhon, Fourier, den Jakobinern
von 1792. Ein loser Bund der großen Städte, das heißt
ihrer untersten Schichten, sollte das flache Land und die Kleinstädte
unterwerfen und beherrschen ein typischer Gedanke des romanischen
Anarchismus. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland
und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 82-83 ).
Wie aber stellt sich die »Gesellschaft« der westeuropäischen
Zivilisation, die sich im heutigen England gern als Mittelklasse, auf
dem Festland als Bürgertum bezeichnet denn sie hat den Bauern
ebenfalls vergessen (dasselbe drückt in Frankreich
seit 1789 citoyen und bourgeois tatsächlich aus, den
Willen der Stadt gegen das Land) , seit 1770 und vor allem
seit 1848 zur Tatsache dieser fortschreitenden Revolution von unten, die
längst ihre liberale Vorstufe und deren von der politischen Aufklärung
geforderte Freiheiten, die der Presse, Vereine, Versammlungen und des
allgemeinen Wahlrechts, verachtet und verspottet, nachdem sie sie bis
zu den äußersten Möglichkeiten der Zersetzung ausgenützt
hat? Es ist ein Kapitel der Schmach, das hier dem künftigen Historiker
zu erzählen bleibt. Aufgebaut auf den urmenschlichen Tatsachen von
Herrschaft, Stand und Besitz, hat sie den nihilistischen Angriff darauf
ertragen, »verstanden«, gefeiert, unterstützt. Dieser
intellektuelle Selbstmord war die große Mode des vorigen Jahrhunderts.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 84 ).
Es muß immer wieder festgestellt werden: diese Gesellschaft,
in der sich eben jetzt der Übergang von der Kultur zur Zivilisation
vollzieht, ist krank, krank in ihren Instinkten und deshalb auch
in ihrem Geist. Sie wehrt sich nicht. Sie findet Geschmack an ihrer Verhöhnung
und Zersetzung. Sie zerfällt seit der Mitte des 18. Jahrhunderts
immer mehr in liberale und erst im Widerspruch, in der verzweifelten
Abwehr dagegen, in konservative Kreise. Auf der einen Seite gibt
es eine kleine Zahl von Menschen, die aus sicherem Instinkt für die
politische Wirklichkeit sehen, was vor sich geht und wohin es geht, die
zu verhindern, zu mäßigen, abzuleiten versuchen, Persönlichkeiten
nach Art des Scipionenkreises in Rom, aus dessen Anschauungen heraus Polybius
sein Geschichtswerk geschrieben hat: Burke, Pitt, Wellington, Disraeli
in England, Metternich und Hegel, später Bismarck in Deutschland,
Tocqueville in Frankreich. Sie haben die erhaltenden Mächte der alten
Kultur, den Staat, die Monarchie, das Heer, das Standesbewußtsein,
den Besitz, das Bauerntum zu verteidigen versucht, selbst wo sie Einwände
hatten, und werden deshalb als »reaktionär« verschrien,
ein Wort, das von den Liberalen erfunden worden ist und heute von ihren
marxistischen Zöglingen auf sie selbst angewendet wird, seit sie
die letzten Folgen ihrer Taten zu verhindern suchen: darin liegt der gepriesene
Fortschritt. Auf der andern Seite befindet sich nahezu alles, was städtische
Intelligenz besitzt oder sie zum mindesten als Zeichen zeitgemäßer
Überlegenheit und als Macht der Zukunft bewundert einer Zukunft,
die heute schon Vergangenheit ist. (Oswald Spengler, Jahre der
Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 84-85 ).
Hier wird der Journalismus zum herrschenden Ausdruck der Zeit
erhoben. Es ist der kritische esprit des 18. Jahrhunderts, zum Gebrauch
für geistig Mittelmäßige verdünnt und verflacht,
und man vergesse nicht, daß das griechische krinein scheiden, zerlegen,
zersetzen bedeutet. Drama, Lyrik, Philosophie, sogar Naturwissenschaft
und Geschichtsschreibung werden Leitartikel und Feuilleton, mit einer
maßlosen Tendenz gegen alles, was konservativ ist und einmal Ehrfurcht
eingeflößt hat. Die Partei wird zum liberalen Ersatz für
Stand und Staat, die Revolution in der Form periodischer Massenwahlkämpfe
mit allen Mitteln des Geldes, des »Geistes« und selbst nach
gracchischer Methode der körperlichen Gewalt zu einem verfassungsmäßigen
Vorgang erhoben, das Regieren als Sinn und Aufgabe staatlichen Daseins
entweder bekämpft und verhöhnt oder zu einem Parteigeschäft
herabgewürdigt. Aber die Blindheit und Feigheit des Liberalismus
geht weiter. Toleranz wird den zerstörenden Mächten der großstädtischen
Hefe gewährt, nicht von ihnen gefordert. Mit widerlicher Sentimentalität
werden russische Nihilisten und spanische Anarchisten von der »guten«
Gesellschaft Westeuropas bewundert, gefeiert, von einem eleganten Salon
an den anderen weitergegeben. In Paris und London, vor allem in der Schweiz
wird nicht nur ihr Dasein, sondern auch ihre untergrabende Tätigkeit
sorgfältig geschützt. Die liberale Presse hallt wider von Verwünschungen
der Gefängnisse, in denen die Märtyrer der Freiheit schmachten,
und kein Wort fällt zugunsten der zahllosen Verteidiger der staatlichen
Ordnung bis zum einfachen Soldaten und Polizisten herab, die in Ausübung
ihrer Pflicht in die Luft gesprengt, zu Krüppeln geschossen, abgeschlachtet
worden sind. (Als Schopenhauer [ ]
in seinem Testament eine Summe für die Hinterbliebenen der Soldaten
bestimmt hatte, die 1848 in Berlin gefallen waren - niemand sonst hatte
an diese Opfer der Revolution gedacht -, erhob sich unter Führung
von Gutzkow [ ]
ein Literatengeschrei über diese Schmach. Aus demselben Geist stammt
das Mitleid mit dem bolschewistischen Massenmörder Trotzki, als ihm
die »bürgerlichen« Regierungen Westeuropas den staatlichen
Schutz für den Besuch eines Kurortes verweigerten.)
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 85-86 ).
Der Begriff des Proletariats, von sozialistischen Theoretikern
mit wohlüberlegter Absicht geschaffen, wird vom Bürgertum akzeptiert.
Er hat mit den tausend Arten strenger und sachkundiger Arbeit vom
Fischfang bis zum Buchdruck, vom Baumfällen bis zum Führen einer
Lokomotive in Wirklichkeit gar nichts zu tun, wird von fleißigen
und gelernten Arbeitern verachtet und als Schimpf empfunden und sollte
lediglich dazu dienen, diese dem großstädtischen Pöbel
zum Zweck des Umsturzes der gesellschaftlichen Ordnung einzugliedern.
Erst der Liberalismus, indem er ihn als feststehenden Begriff verwendete,
hat ihn zum Mittelpunkt des allgemeinen politischen Denkens gemacht. Unter
dem Namen Naturalismus entstand eine armselige Literatur und Malerei,
welche den Schmutz zum ästhetischen Reiz und das gemeine Fühlen
und Denken gemeiner Menschen zur bindenden Weltanschauung erhob. Unter
»Volk« verstand man nicht mehr die gesamte Nation, sondern
den Teil der städtischen Masse, der sich gegen diese Gemeinschaft
auflehnte. Der Proletarier erschien als Held auf der Bühne des fortschrittlichen
Spießbürgertums, und mit ihm die Dirne, der Arbeitsscheue,
der Hetzer, der Verbrecher. Es gilt von nun an als modern und überlegen,
die Welt von unten zu sehen, aus der Perspektive von Winkelkneipen und
verrufenen Gassen. Damals, in liberalen Kreisen Westeuropas und nicht
1918 in Rußland, ist der »Proletkult« entstanden. Eine
folgenschwere Einbildung, halb Lüge, halb Dummheit, beginnt sich
der Köpfe von Gebildeten und Halbgebildeten zu bemächtigen:
»Der Arbeiter« wird der eigentliche Mensch, das eigentliche
Volk, der Sinn und das Ziel der Geschichte, der Politik, der öffentlichen
Sorge. Daß alle Menschen arbeiten, daß vor allem andere mehr
und wichtigere Arbeit leisten, der Erfinder, der Ingenieur, der Organisator,
ist vergessen. Niemand wagt es mehr, den Rang, die Qualität
einer Leistung als Maßstab ihres Wertes zu betonen. Nur die nach
Stunden gemessene Zeit gilt noch als Arbeit. Und »der Arbeiter«
ist zugleich der Arme und Unglückliche, der Enterbte, Hungernde,
Ausgebeutete. Auf ihn allein werden die Worte Sorge und Not angewendet.
Niemand denkt mehr an den Bauern wenig fruchtbarer Landstriche, seine
Mißernten, die Gefahren von Hagel und Frost, die Sorge um den Verkauf
seiner Erzeugnisse, an das elende Leben armer Handwerker in Gebieten mit
starker Industrie, an die Tragödien kleiner Kaufleute, Hochseefischer,
Erfinder, Ärzte, die in Angst und Gefahr um jeden Bissen täglichen
Brotes ringen müssen und die zu Tausenden unbeachtet zugrunde gehen.
»Der Arbeiter« allein findet Mitleid. Er allein wird unterstützt,
versorgt, versichert. Mehr noch, er wird zum Heiligen, zum Götzen
der Zeit erhoben. Die Welt dreht sich um ihn. Er ist der Mittelpunkt
der Wirtschaft und das Schoßkind der Politik. Das Dasein aller ist
um seinetwillen da; die Mehrheit der Nation hat ihm zu dienen. Man darf
sich über den dummen und dicken Bauern, den trägen Beamten,
den betrügerischen Krämer lustig machen, um vom Richter, Offizier
und Unternehmer, den bevorzugten Objekten gehässiger Witze, ganz
zu schweigen, aber niemand würde es wagen, über »den Arbeiter«
den gleichen Hohn auszugießen. Alle anderen sind Müßiggänger,
nur er nicht. Alle sind Egoisten, nur er nicht. Das gesamte Bürgertum
schwingt die Weihrauchfässer vor diesem Phantom; wer auch noch so
viel in seinem eigenen Leben leistet, muß vor ihm auf den Knien
liegen. Sein Dasein ist über jede Kritik erhaben. Erst das Bürgertum
hat diese Art der Dinge zu sehen völlig durchgesetzt, und die geschäftstüchtigen
»Volksvertreter« schmarotzen von dieser Legende. Sie haben
sie den Lohnarbeitern so lange erzählt, bis sie daran glaubten, bis
sie sich wirklich mißhandelt und elend fühlten, bis sie jeden
Maßstab für ihre Leistung und ihre Wichtigkeit verloren. Der
Liberalismus gegenüber den Tendenzen der Demagogie ist die Form,
in welcher die kranke Gesellschaft Selbstmord begeht. Mit dieser Perspektive
gibt sie sich selbst auf. Der Klassenkampf, der gegen sie geführt
wird, erbittert und erbarmungslos, findet sie zur politischen Kapitulation
bereit, nachdem sie geistig die Waffen des Gegners schmieden half. Nur
das konservative Element, so schwach es im 19. Jahrhundert war, kann und
wird das Ende in Zukunft verhindern. (Oswald Spengler, Jahre
der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 86-88 ).
Wer ist es denn, der diese Masse der Lohnarbeiter in den großen
Städten und Industriegebieten aufwiegelt, organisiert, mit Schlagworten
versehen, durch eine zynische Propaganda in den Klassenhaß gegen
die Mehrheit der Nation hineingetrieben hat? Es ist nicht der fleißige
und gelernte Arbeiter, der »Straubinger« (Vagabund), wie er
im Briefwechsel zwischen Marx und Engels voller Verachtung genannt wird.
Engels spricht im Brief an Marx vom 9. Mai 1851 von dem demokratischen
roten und kommunistischen Mob und schreibt am 11. Dezember 1851 an Marx:
»Was ist denn noch an dem Gesindel, wenn es verlernt sich zu schlagen?«
Der Handarbeiter ist nur Mittel für die privaten Ziele der Berufsrevolutionäre.
Er soll sich schlagen, um ihren Haß gegen die konservativen Mächte
und ihren Hunger nach Macht zu befriedigen. (Friedrich
Lenz, »Staat und Marxismus«, 1921, 1924, hat nachgewiesen,
daß Marx nur aus diesen Gründen gegen die Staaten der heiligen
Allianz, vor allem Preußen und Rußland, kämpfte, bevor
er um 1843 Sozialist wurde, und daß er viel später noch bereit
war, seine eigene kommunistische Theorie vom industriellen Proletariat
fallen zu lassen und durch eine ganz andre von der Bauernbewegung zu ersetzen,
um sein Ziel der Zerstörung des Zarismus sicherer zu erreichen.)
Wollte man nur Arbeiter als Vertreter von Arbeitern anerkennen, so würden
die Bänke auf der linken Seite aller Parlamente sehr leer werden.
Unter den Urhebern der theoretischen Programme und den Führern revolutionärer
Aktionen ist kein einziger, der wirklich jahrelang in einer Fabrik gearbeitet
hätte. (Um so mehr Arbeiter, die sich durch
Fleiß und Begabung »hinaufgearbeitet« haben, finden
sich im Unternehmertum. Bebel hat das mit wütendem Haß als
Verrat an der Arbeiterklasse gebrandmarkt. Nach seiner Meinung führt
der »zielbewußte« Weg des Arbeiters nur über den
Parteisekretär zum Massenführer.) Die politische Bohême
Westeuropas, in welcher der Bolschewismus sich seit der Mitte des 19.
Jahrhunderts entwickelt, setzt sich aus denselben Elementen zusammen wie
die, welche den revolutionären Liberalismus seit 1770 ausgebildet
hat. Ob 1848 in Paris die Februarrevolution für den »Kapitalismus«
oder die Junischlachten gegen ihn erfolgten, ob »Freiheit und Gleichheit«
1789 die des Mittelstandes, 1793 und 1918 die der untersten Schichten
bedeuten sollten in Wirklichkeit waren die Ziele der Anstifter
dieser Bewegungen und ihre letzten Motive genau die gleichen, und nicht
anders steht es heute in Spanien und morgen vielleicht in den Vereinigten
Staaten. Es ist der geistige Mob, an der Spitze die Gescheiterten aller
akademischen Berufe, die geistig Unfähigen und seelisch irgendwie
Gehemmten, woraus die Gangsters der liberalen und bolschewistischen Aufstände
hervorgehen. Die »Diktatur des Proletariats«, das heißt
ihre eigene Diktatur mit Hilfe des Proletariats, soll ihre Rache an den
Glücklichen und Wohlgeratenen sein, das letzte Mittel, die kranke
Eitelkeit und die gemeine Gier nach Macht zu stillen, die beide aus der
Unsicherheit des Selbstgefühls hervorwachsen, der letzte Ausdruck
verdorbener und fehlgeleiteter Instinkte. (Oswald Spengler, Jahre
der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 88-89 ).
Unter all diesen Juristen, Journalisten, Schulmeistern, Künstlern,
Technikern pflegt man einen Typus zu übersehen, den verhängnisvollsten
von allen: den gesunkenen Priester. Man vergißt den tiefen Unterschied
zwischen Religion und Kirche. Religion ist das persönliche Verhältnis
zu den Mächten der Umwelt, wie es sich in Weltanschauung, frommen
Brauch und entsagenden Sichverhalten ausdrückt. Eine Kirche ist die
Organisation einer Priesterschaft, die um ihre weltliche Macht kämpft.
Sie bringt die Formen des religiösen Lebens und damit die Menschen,
die an ihnen hängen, in ihre Gewalt. Sie ist deshalb die geborene
Feindin aller anderen Machtgebilde .... (Oswald Spengler, Jahre
der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 89 ).
»Mein Reich ist nicht von dieser Welt« ist der tiefe
Ausspruch, der von jeder Religion gilt und den jede Kirche verrät.
Aber jede Kirche verfällt mit der Tatsache ihres Daseins den Bedingungen
geschichtlichen Lebens: sie denkt machtpolitisch und materiell-wirtschaftlich;
sie führt Krieg auf diplomatische und militärische Art und teilt
mit anderen Machtgebilden die Folgen von Jugend und Alter, Aufstieg und
Verfall. Und vor allem ist sie im Hinblick auf konservative Politik und
Tradition in Staat und Gesellschaft nicht ehrlich und kann es als Kirche
gar nicht sein. Alle jungen Sekten sind im tiefsten Grunde staats- und
besitzfeindlich, gegen Stand und Rang und für allgemeine Gleichheit
eingenommen. (Und umgekehrt hat jede revolutionäre
Bewegung die ganz ungewollte und oft gar nicht bemerkte Tendenz, kultische
Formen anzunehmen. Der Kult der Vernunft in der französischen Revolutuion
ist ein bekanntes Beispiel. Das Mausoleum Lenins ist ein anderes.)
Und die Politik altgewordener Kirchen, so konservativ sie in bezug auf
sich selbst sind, ist immer in Versuchung in bezug auf den Staat und die
Gesellschaft liberal, demokratisch, sozialistisch, also einebnend und
zerstörend zu werden, sobald der Kampf zwischen Tradition und Mob
beginnt. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland
und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 90 ).
Eine Religion ist das, was die Seele der Gläubigen ist. Eine
Kirche ist so viel wert, als das Priestermaterial wert ist, aus dem sie
sich zusammensetzt. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung
- Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 91 ).
Es ist lange her, seit der weltpolitische Blick Leos XIII. (1810-1903;
Papst: 1878-1903) Schule machte und in Deutschland ein echter Kirchenfürst
wie Kardinal Kopp (1837-1914; Kardinal: 1887-1914)
den Klerus regierte. Damals war die Kirche sich bewußt, eine konservative
Macht zu sein, und wußte sehr genau, daß ihr Schicksal mit
dem der übrigen konservativen Mächte auf der »rechten«
Seite stand und daß davon die Aussicht abhing, das revolutionäre
Zeitalter als Macht zu überdauern. Das hat sich schnell geändert.
Die seelische Disziplin ist erschüttert. Die pöbelhaften Elemente
im Priestertum tyrannisieren durch ihre Tätigkeit die Kirche bis
in die höchsten Stellen hinauf .... (Oswald Spengler, Jahre
der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 91 ).
Nun sind alle kommunistischen Systeme des Abendlandes tatsächlich
aus christlich-theologischem Denken erwachsen, Morus' Utopia, der Sonnenstaat
des Dominikaners Campanella, die Lehren der Lutherschüler Karlstadt
und Thomas Münzer und der Staatssozialismus Fichtes. Was Fourier,
Saint Simon, Owen, Marx und hundert andere an Zukunftsidealen zusammenträumten
und -schrieben, geht ... auf priesterlich-moralische Entrüstung und
auf scholastische Begriffe zurück, die im nationalökonomischen
Denken und in der öffentlichen Meinung über Gesellschaftsfragen
in aller Hinsicht ihr Wesen trieben. (Oswald Spengler, Jahre
der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 92 ).
Auch der Marxismus ist eine
Religion, ... er hat seine Heiligen, Apostel, Märtyrer, Kirchenväter,
seine Bibel und seine Mission; er hat Dogmen, Ketzergerichte, eine Orthodoxie
und Scholastik und vor allem eine volkstümliche Moral oder vielmehr
zwei - gegenüber Gläubigen und Ungläubigen - wie nur irgendeine
Kirche. Und daß seine Lehre durch und durch materialistisch ist
- macht das einen Unterschied? Sind alle die Priester, die sich
agitatorisch in Wirtschaftsfragen mischen, es weniger? .... Sobald man
die Begriffe Armut, Hunger, Elend, Arbeit und Lohn zusammenwirft - mit
dem moralischen Unterton in den Worten reich und arm, recht und unrecht
- und daraufhin für soziale und wirtschaftliche Forderungen proletarischer
Art, für Geldforderungen also eintritt, ist man Materialist. Und
dann tritt mit innerer Notwendigkeit an Stelle des Hochaltars das Parteisekretariat,
an Stelle des Opferstockes die Wahlkasse, und der Gewerkschaftsbeamte
wird der Nachfolger des heiligen Franz. Dieser Materialismus der späten
großen Städte ist eine Form des praktischen Urteilens und Handelns,
mag daneben der »Glaube« sein wie er will. Es ist die Art,
die Geschichte, das öffentliche und das eigene Leben »wirtschaftlich«
zu sehen und unter Wirtschaft nicht den Lebensberuf und Lebensinhalt zu
verstehen, sondern die Methode, mit wenig Anstrengung soviel Geld und
Genuß als möglich zu erbeuten: panem et circenses. Den
meisten kommt es heute gar nicht zum Bewußtsein, wie materialistisch
sie denken und sind. Man kann eifrig beten und beichten und beständig
das Wort »Gott« im Munde führen, man kann sogar Priester
von Beruf und Überzeugung und trotzdem Materialist sein. (Gerade
diese Mode unter heutigen Rednern und Schreibern beweist, daß es
sich um ein Schlagwort, einen leeren Begriff und um nichts weniger als
den Ausdruck religiöser Erneuerung und innerlichen Erlebens handelt.
Es gibt tiefe Religionen und religiöse Überzeugungen großer
Menschen, die atheistisch, pantheistisch oder polytheistisch sind, in
China, Indien, der Antike und heute im Abendland. Das altgermanische Wort
god war ein Neutrum pluralis und ist erst von der christlichen
Propaganda in ein Maskulinum singularis verwandelt worden. Wie man das
undurchdringliche Geheimnis der Umwelt zu deuten versucht und ob man es
versucht, hat mit dem Rang des religiösen Schauens und Verhaltens
gar nichts zu tun. Aber hier verwechselt man religiös mit konfessionell,
der Anerkennung bestimmter Lehren und Vorschriften, und mit klerikal,
der Anerkennung der Ansprüche einer Priesterschaft. In Wirklichkeit
hängt die Tiefe einer Religion von der Persönlichkeit dessen
ab, in dem sie lebt. Ohne Laienfrömmigkeit ist selbst eine ausgesprochene
Priesterreligion nicht lebensfähig.) Die christliche Moral
ist wie jede Moral Entsagung und nichts anderes. Wer das nicht empfindet,
ist Materialist. »Im Schweiße deines Angesichts sollst du
dein Brot essen« - das heißt, diesen harten Sinn des Lebens
nicht als Elend empfinden und nicht durch Parteipolitik zu umgehen suchen.
Aber für proletarische Wahlpropaganda ist der Satz allerdings nicht
brauchbar. Der Materialist will lieber das Brot essen, das andere im Schweiße
ihres Angesichts erarbeitet haben, der Bauer, der Handwerker, der Erfinder,
der Wirtschaftsführer. Indessen das berühmte Nadelöhr,
durch das manches Kamel hindurchgeht, ist nicht nur für den »Reichen«
zu eng, sondern auch für den, der durch Streik, Sabotage und Wahlen
Lohnsteigerungen und Arbeitszeitverkürzungen erpreßt, und auch
für den, der diese Tätigkeit um seiner Macht willen leitet.
Es ist die Nützlichkeitsmoral von Sklavenseelen: Sklaven nicht nur
durch die Lebenslage - das sind wir alle ohne Ausnahme durch das Schicksal
unserer Geburt in eine Zeit und an einen Ort - sondern durch die gemeine
Art, die Welt von unten zu sehen. Ob man das Reichsein beneidet oder geringschätzt,
ob man den, der sich auf Grund persönlicher Vorzüge zu einem
Führerrang hinaufgearbeitet hat - etwa ein Schlosserlehrling zum
Erfinder und Besitzer einer Fabrik -, anerkennt oder haßt und hinabziehen
möchte, darauf kommt es an. Aber dieser Materialismus, dem Entsagen
unverständlich und lächerlich bleibt, ist nichts als Egoismus,
von einzelnen oder Klassen, der parasitische Egoismus der Minderwertigen,
die das Wirtschaftsleben der anderen und der Gesamtheit als Objekt betrachten,
aus dem man mit möglichst geringer Anstrengung möglichst viel
Lebensgenuß - panem et circenses - saugt. Hier wird die persönliche
Überlegenheit, der Fleiß, der Erfolg, die Freude an der Leistung
als böse, als Sünde und Verrat betrachtet. Es ist die Moral
des Klassenkampfes, die das alles unter der Bezeichnung Kapitalismus,
die von Anfang an moralisch gemeint war ( ),
zusammenfaßt und dem Haß des Proletariers als Ziel bezeichnet,
wie sie auf der anderen Seite versucht, die Lohnempfänger mit der
Unterwelt der großen Städte zu einer politischen Front zu verschmelzen.
Nur »der Arbeiter« darf und soll Egoist sein, nicht etwa der
Bauer oder Handwerker. Er allein hat Rechte statt Pflichten. Die anderen
haben nur Pflichten und kein Recht. Er ist der privilegierte Stand, dem
die anderen mit ihrer Arbeit zu dienen haben. Das Wirtschaftsleben der
Nationen ist um seinetwillen da und muß allein mit Rücksicht
auf sein Behagen organisiert werden, ob es dabei zugrunde geht oder nicht.
Das ist die Weltanschauung, welche die Klasse der Volksvertreter aus der
akademischen Hefe, vom Literaten und Professor bis zum Priester, entwickelt
hat und durch die sie die unteren Schichten der Gesellschaft demoralisiert,
um sie für ihren Haß und ihren Hunger nach Macht mobil zu machen.
Deshalb sind Marx gegenüber vornehm und konservativ denkende Sozialisten
wie Lassalle, der Anhänger der Monarchie, und Georges Sorel, der
die Verteidigung von Vaterland, Familie und Eigentum als vornehmste Aufgabe
des Proletariats betrachtete ..., unbequem und werden nie mit ihrer wahren
Meinung zitiert. Unter den vielen Arten des theoretischen Sozialismus
oder Kommunismus hat naturgemäß die gemeinste und in ihren
letzten Absichten unehrlichste gesiegt, die, welche am rücksichtslosesten
daraufhin entworfen war, den Berufsrevolutionären die Macht über
die Massen zu verschaffen. Ob wir sie Marxismus nennen oder nicht, ist
gleichgültig. Welche Theorie die revolutionären Schlagworte
für die Propaganda liefert, oder hinter welchen nichtrevolutionären
Weltanschauungen sie sich verbirgt, ist ebenso gleichgültig. Es kommt
nur auf das praktische Denken und Wollen an. Wer gemein ist, gemein denkt,
gemein fühlt und handelt, wird nicht anders dadurch, daß er
sich ein Priestergewand auf den Leib zieht oder nationale Fahnen schwenkt.
Wer irgendwo in der Welt heute Gewerkschaften oder Arbeiterparteien gründet
oder führt (den linken Flügel der englischen
sehr nationalen Arbeiterpartei und des deutschen Nationalsozialismus ebenso
wie spanische Anarchistenclubs und amerikanische und japanische Gewerkschaften,
so wenig sie von Marx gelegentlich hören wollen), unterliegt
beinahe mit Notwendigkeit sehr bald der marxistischen Ideologie, die unter
dem Sammelbegriff Kapitalismus jede politische und wirtschaftliche Führung,
die Gesellschaftsordnung, die Autorität und das Eiegentum verleumdet
und verfolgt. Er findet alsbald in seiner Gefolgschaft die schon zur Tradition
gewordene Auffassung des Wirtschaftslebens als Klassenkampf und wird dadurch
von ihr abhängig, wenn er Führer bleiben will. Der proletarische
Egoismus ist nun einmal in seinen Zielen und Mitteln die Form, in welcher
die »weiße« Weltrevolution sich ... vollzieht und es
macht wenig aus, ob sie sich eine soziale oder sozialistische Bewegung
nennt und ob ihre Führer mit Betonung Christen sein wollen oder
nicht. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland
und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 93-96 ).
Die Blütezeit der weltverbessernden Theorien füllt
das erste, aufsteigende Jahrhundert des Rationalismus aus, vom Contrat
social (1762) bis zum kommunistischen Manifest (1848). (Vgl.
Der Untergang des Abendlandes, S. 1127.) Damals glaubte
man wie Sokrates und die Sophisten an die Allmacht des menschlichen Verstandes
und seine Fähigkeit, über Schicksal und Instinkte Gewalt zu
haben und das geschichtliche Leben ordnen und leiten zu können. Sogar
in das Linnésche System zog der Mensch damals als homo sapiens
ein. Man vergaß die Bestie im Menschen, die ihr Dasein 1792 wieder
nachdrücklich in Erinnerung brachte. Man war nie weiter entfernt
von der Skepsis des echten Kenners der Geschichte und der wirklichen Weisen
aller Zeiten, die wußten, daß »der Mensch böse
ist von Jugend auf«. Man hoffte die Völker zum Zweck ihrer
endgültigen Seligkeit nach doktrinären Programmen organisieren
zun können. Die Leser wenigstens haben daran geglaubt, inwieweit
die Schreiber solcher materialistischen Utopien, ist eine andere Frage.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 97 ).
Aber seit 1848 ist das zu Ende. Das System von Marx ist
auch darum das wirksamste geworden, weil es das letzte war. Wer heute
politische oder wirtschaftliche Programme zur Rettung der »Menschheit«
entwirft, ist altmodisch und langweilig. Er beginnt lächerlich zu
werden. Aber die agitatorische Wirkung solcher Theorien auf Dummköpfe
die Lenin auf 95% aller Menschen schätzte ist noch
immer stark (sie nimmt in England und Amerika sogar zu), mit Ausnahme
von Moskau, wo man nur zu politischen Zwecken daran zu glauben vorgibt.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 97 ).
Die klassische Nationalökonomie von 1770 und die ebenso
alte materialistische, das heißt »wirtschaftliche« Geschichtsauffassung,
die beide das Schicksal von Jahrtausenden auf die Begriffe Markt, Preis
und Ware zurückführen, gehören im tiefsten Grunde dazu.
Sie sind innerlich verwandt und vielfach identisch und führen mit
Notwendigkeit zu Träumen von einem Dritten Reich, das der Fortschrittsglaube
des 19. Jahrhunderts irgendwie als Ende der Geschichte angestrebt hat.
Es war die materialistische Travestie des Gedankens großer gotischer
Christen wie des Joachim von Floris vom Dritten Reich. Es sollte nun die
endgültige Seligkeit auf Erden begründen, das Schlaraffenland
aller Armen und Elenden, die man mit steigendem Nachdruck mit »dem
Arbeiter« identifizierte. Es sollte das Ende aller Sorge, das süße
Nichtstun, den ewigen Frieden bringen, und der Klassenkampf mit der Abschaffung
des Eigentums, der »Brechung der Zinsknechtschaft«, dem Staatssozialismus
und der Vernichtung aller Herren und Reichen sollte dazu den Weg bahnen.
Es war der siegreiche Egoismus der Klasse, als »Wohl der Menschheit«
bezeichnet und moralisch in den Himmel erhoben. (Oswald Spengler,
Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 97-98 ).
Das Ideal des Klassenkampfes erscheint zuerst in der berühmten
Propagandaschrift des Abbé Sieyès wieder ein katholischer
Priester! von 1789 über den tiers état, der die beiden
höheren Stände einebnen sollte. Es entwickelt sich von dieser
frührevolutionären liberalen Fassung folgerichtig zu der bolschewistischen
Spätform von 1848, welche den Kampf vom politischen auf das wirtschaftliche
Gebiet verlegt, nicht der Wirtschaft wegen, sondern um durch ihre Zerstörung
das politische Ziel zu erreichen. Wenn hier von »bürgerlichen«
Ideologen ein Unterschied von Idealismus und Materialismus gefunden wird,
so sehen sie nicht über den Vordergrund der Schlagworte in die Tiefe
der letzten Ziele hinein, die hier wie dort durchaus die gleichen sind.
Alle Klassenkampftheorien sind zum Zweck der Mobilmachung großstädtischer
Massen entworfen worden. Die »Klasse« sollte erst geschaffen
werden, mit der sich kämpfen ließ. Das Ziel wurde 1848, wo
man die ersten Erfahrungen von Revolutionen hinter sich hatte, als Diktatur
des Proletariats bezeichnet, und hätte dort Diktatur der Bourgeoisie
genannt werden können, denn der Liberalismus will nichts anderes
sein. Das ist der letzte Sinn der Verfassungen, Republiken und des Parlamentarismus.
Aber in Wirklichkeit war jedesmal die Diktatur der Demagogen gemeint,
welche die Nationen mit Hilfe der planmäßig demoralisierten
Masse zum Teil aus Rache vernichten, zum Teil aus Hunger nach Macht als
Sklaven unter sich sehen wollten. (Oswald Spengler, Jahre der
Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 98-99 ).
Jedes Ideal stammt von einem, der es nötig hat. Das
Ideal des liberalen wie des bolschewistischen Klassenkampfes ist die Schöpfung
von Leuten, die entweder ohne Erfolg in eine höhere Gesellschaftsschicht
strebten oder die sich in einer befanden, deren ethischen Ansprüchen
sie nicht gewachsen waren. Marx ist ein gescheiterter Bürger
daher sein Haß gegen das Bürgertum. Und dasselbe gilt von all
den anderen Juristen, Literaten, Professoren und Priestern: sie hatten
einen Beruf gewählt, zu dem sie nicht berufen waren. Das ist die
seelische Voraussetzung des Berufsrevolutionärs. (Oswald
Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 99 ).
Das Ideal des Klassenkampfes ist der berühmte Umsturz: nicht
der Aufbau von etwas Neuem, sondern die Zerstörung von Vorhandenem.
Es ist ein Ziel ohne Zukunft. Es ist der Wille zum Nichts. Die utopischen
Programme sind nur für die seelische Bestechung der Massen da. Ernstgemeint
ist ausschließlich der Zweck der Bestechung, die Schaffung der Klasse
als Kampftruppe durch planmäßige Demoralisation. Nichts schmiedet
besser zusammen als der Haß. Aber man sollte hier lieber von Klassenneid
als Klassenhaß reden. Im Haß liegt stillschweigend die Anerkennung
des Gegners. Der Neid ist der schiefe Blick von unten hinauf zu etwas
Höherem, das unverstanden und unerreichbar bleibt und das man deshalb
herabziehen, zu seinesgleichen machen, beschmutzen und verachten möchte.
Zum Wunschbild der proletarischen Zukunft gehört deshalb nicht nur
das Glück der meisten,19 das im vergnüglichen Nichtstun besteht
noch einmal: panem et circenses! , und der ewige Friede,
um es frei von aller Sorge und Verantwortung zu genießen, sondern
mit echt revolutionärem Geschmack vor allem das Unglück der
»wenigen«, der ehemals Mächtigen, Klugen, Vornehmen und
Reichen, an dessen Anblick man sich weidet. Jede Revolution beweist es.
Daß die Lakaien von gestern an der Tafel des Herrn schwelgen, ist
nur ein halber Genuß: der Herr muß ihnen dabei aufwarten.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 99-100 ).
Das Objekt des Klassenkampfes, das um 1789 »die Tyrannen«
waren die Könige, »Junker« und »Pfaffen«
, wurde um 1850 mit der Verlegung des politischen Kampfes auf wirtschaftliches
Gebiet »der Kapitalismus«. Es ist ein hoffnungsloser
Versuch, dies Schlagwort denn das ist es definieren zu wollen.
Es stammt gar nicht aus wirtschaftlicher Erfahrung, sondern ist moralisch
gemeint, um nicht zu sagen halb christlich. Es soll den Inbegriff des
wirtschaftlich Bösen bezeichnen, die große Sünde der Überlegenheit,
den Teufel, der sich in Wirtschaftserfolge verkleidet hat. Es ist, sogar
in gewissen bürgerlichen Kreisen, ein Schimpfwort für alle geworden,
die man nicht leiden mag, alles was Rang hat, den erfolgreichen Unternehmer
und Kaufmann so gut wie den Richter, Offizier und Gelehrten, sogar die
Bauern. Es bedeutet alles, was nicht »Arbeiter« und Arbeiterführer
ist, alle, die nicht auf Grund geringer Talente schlecht weggekommen sind.
Es faßt alle Starken und Gesunden zusammen in den Augen aller Unzufriedenen,
allen seelischen Pöbels. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung
- Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 100 ).
»Der Kapitalismus« ist überhaupt keine Form der
Wirtschaft oder »bürgerliche« Methode, Geld zu machen.
Er ist eine Art, die Dinge zu sehen. Es gibt Nationalökonomen, die
ihn in der Zeit Karls des Großen und in urzeitlichen Dörfern
gefunden haben. Die Nationalökonomie seit 1770 betrachtet das Wirtschaftsleben,
das in Wirklichkeit eine Seite des geschichtlichen Daseins der Völker
ist, vom Standpunkt[138] des englischen Händlers aus. Die englische
Nation war wirklich damals im Begriff, den Welthandel zu ihrem Monopol
zu machen. Daher ihr Ruf als Krämervolk, als Masse von shopkeepers.
Der Händler ist aber nur Vermittler. Er setzt das Wirtschaftsleben
selbst voraus, indem er seine Tätigkeit zu dessen Schwerpunkt zu
machen sucht, von dem alle anderen Menschen in der Rolle von Erzeugern
und Verbrauchern abhängig sind. Diese Machtstellung hat Adam Smith
beschrieben. Das ist seine »Wissenschaft«. Deshalb geht die
Nationalökonomie bis zum heutigen Tage vom Begriff des Preises aus
und sieht statt des wirtschaftlichen Lebens und tätiger Menschen
nur Waren und Märkte. Deshalb wird von nun ab, vor allem von der
sozialistischen Theorie, die Arbeit als Ware und der Lohn als Preis betrachtet.
In diesem System hat weder die Führerarbeit des Unternehmers und
Erfinders noch die Bauernarbeit Platz. Man sieht nur Fabrikwaren und Hafer
oder Schweine. Es dauert nicht lange und man hat den Bauern und Handwerker
ganz vergessen und denkt wie Marx bei der Zerlegung der Menschen in Klassen
nur noch an den Lohnarbeiter und die andern, die »Ausbeuter«.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 100-101 ).
So entsteht die künstliche Zweiteilung der »Menschheit«
in Erzeuger und Abnehmer, die sich unter den Händen der Klassenkampftheoretiker
in den perfiden Gegensatz von Kapitalisten und Proletariern, von Bourgeoisie
und Arbeiterschaft, von Ausbeutern und Ausgebeuteten verwandelt hat. Den
Händler aber, den eigentlichen »Kapitalisten«, hat man
verschwiegen. Der Fabrikbesitzer und der Landwirt ist der sichtbare Feind,
weil er die Lohnarbeit entgegennimmt und den Lohn zahlt. Das ist sinnlos,
aber wirksam. Die Dummheit einer Theorie war nie ein Hindernis für
ihre Wirkung. Es handelt sich beim Urheber eines Systems um Kritik, beim
Gläubigen immer um das Gegenteil. (Oswald Spengler, Jahre
der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 101 ).
»Kapitalismus« und »Sozialismus« sind
gleich alt, im Innersten verwandt, aus derselben Betrachtungsweise hervorgegangen
und mit denselben Tendenzen belastet. Der Sozialismus ist nichts als
der Kapitalismus der Unterklasse. (Was ich in
»Preußentum und Sozialismus« beschrieben habe und was
beinahe immer mißverstanden worden ist, war der Sozialismus als
ethische Haltung, nicht als materialistisches Wirtschaftsprinzip.)
Die freihändlerische Manchesterlehre Cobdens und das kommunistische
System von Marx sind beide um 1840 und in England entstanden. Marx hat
den freihändlerischen Kapitalismus sogar begrüßt. (Er
sagte 1847: »Im allgemeinen ist heutzutage das Schutzzollsystem
konservativ, während das Freihandelssystem zerstörend wirkt.
Es zersetzt die früheren Nationalitäten und treibt den Gegensatz
zwischen Proletariat und Bourgeoisie auf die Spitze. Mit einem Wort, das
System der Handelsfreiheit beschleunigt die soziale Revolution. Und nur
in diesem revolutionären Sinn stimme ich für den Freihandel«
[Anhang zum »Elend der Philosophie«].) (Oswald
Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 101-102 ).
Der »Kapitalismus von unten« will die Ware
Lohnarbeit so teuer wie möglich verhandeln, ohne Rücksicht auf
die Kaufkraft des Abnehmers, und so gering wie möglich liefern. Daher
der Haß sozialistischer Parteien gegen die Qualitäts- und Akkordarbeit
und ihr Streben, die »aristokratische« Lohnspanne zwischen
gelernten und ungelernten Arbeitern möglichst zu beseitigen. Er will
durch den Streik der erste Generalstreik fand 1841 in England statt
(daß der marxistische Streik aber gar kein
wirtschaftliches, sondern ein politisches Ziel hat, wird den meisten erst
beim Erleben eines Generalstreiks deutlich) den Preis der
Handarbeit in die Höhe treiben und ihn endlich durch Enteignung der
Fabriken und Bergwerke von der dann den Staat beherrschenden Bürokratie
der Arbeiterführer frei bestimmen lassen. Denn das ist der geheime
Sinn der Verstaatlichung. Der »Kapitalismus von unten« bezeichnet
den erarbeiteten Besitz der Begabten und Überlegenen als Diebstahl,
um ihn sich durch die größere Zahl der Fäuste ohne Arbeit
aneignen zu können. So entsteht die Theorie vom Klassenkampf, der
wirtschaftlich gestaltet und politisch gemeint war, jenes auf die Stimmung
der Arbeiter, dieses auf den Vorteil der Arbeiterführer berechnet.
Es war ein Zweck ohne Dauer. Niedrige Geister können gar nicht über
den morgigen Tag in die Ferne der Zeiten blicken und für diese handeln.
Der Klassenkampf sollte Zerstörung bringen und nichts anderes. Er
sollte die Mächte der Tradition, der politischen wie der wirtschaftlichen,
aus dem Wege räumen, um den Mächten der Unterwelt die ersehnte
Rache und die Herrschaft zu geben. Was jenseits des Sieges kommt, wenn
der Klassenkampf längst Vergangenheit ist, daran haben diese Kreise
nie einen Gedanken verschwendet. (Oswald Spengler, Jahre der
Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 102 ).
So beginnt seit 1840 ein vernichtender Angriff auf das
wirkliche, unendlich verwickelte Wirtschaftsleben der weißen Völker
von zwei Seiten her: die Gilde der Geldhändler und Spekulanten, die
Hochfinanz, durchdringt es mit Hilfe der Aktie, des Kredits, der Aufsichtsräte,
und macht die Führerarbeit des fachmännischen Unternehmertums,
in dem sich sehr viele ehemalige Handarbeiter befinden, die sich durch
Fleiß und Genie hinaufgearbeitet haben, von ihren Absichten und
Interessen abhängig. Der eigentliche Wirtschaftsführer sinkt
zum Sklaven des Finanzmannes herab. Er arbeitet am Gedeihen einer Fabrik,
während sie im selben Augenblick vielleicht durch eine Börsenspekulation,
von der er nichts weiß, ruiniert wird. (Vgl.
Politische Schriften, S. 138 ff., 305 f..) Und von unten
zerstört die Gewerkschaft der Arbeiterführer langsam und sicher
den Organismus der Wirtschaft. Die theoretische Waffe der einen ist die
gelehrte, »liberale« Nationalökonomie, welche die öffentliche
Meinung über Wirtschaftsfragen formt und sich beratend und bestimmend
in die Gesetzgebung mischt, die der anderen das kommunistische Manifest,
mit dessen Grundsätzen von der linken Seite aller Parlamente aus
ebenfalls in die Gesetzgebung eingegriffen wird. Und beide vertreten das
Prinzip der »Internationale«, das rein nihilistisch und negativ
ist: Es richtet sich gegen die geschichtlichen, grenzsetzenden Formen
jede Form, jede Gestalt ist Begrenzung der Nation, des Staates,
der nationalen Wirtschaften, deren Summe nur die »Weltwirtschaft«
ist. Sie sind den Absichten der Hochfinanz wie der Berufsrevolutionäre
im Wege. Deshalb werden sie verneint und sollen vernichtet werden.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 103 ).
Aber beide Arten von Theorie sind heute veraltet. Was gesagt
werden konnte, ist längst gesagt worden, und beide haben sich seit
1918 durch ihre Voraussagen in der Richtung auf Newyork oder auf
Moskau so bloßgestellt, daß man sie nur noch zitiert,
ohne daran zu glauben. Die Weltrevolution hat in ihrem Schatten begonnen.
Sie ist heute vielleicht auf ihrer Höhe angelangt, aber noch lange
nicht zu Ende, indessen sie nimmt Formen an, die frei von allem theoretischen
Gerede sind. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland
und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 103 ).
Und nun ist es endlich möglich, die »Erfolge«
der Weltrevolution zu zeichnen, die heute erreicht sind. Denn die Revolution
steht am Ziel. Sie droht nicht mehr; sie triumphiert, sie hat gesiegt.
Und wenn ihre Anhänger das bestreiten, vor andern oder in voller
Bestürzung vor ihrem eigenen Gewissen, so wiederholt sich darin nur
das ewige Verhängnis menschlicher Geschichte, die dem Kämpfer
am Ziel mit grausamer Klarheit zeigt, daß es ganz anders ist als
er hoffte und daß es meist der Mühe nicht wert war. (Oswald
Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 104 ).
Dieser Erfolg ist ungeheuerlich. Er ist für alle »weißen«
Völker so furchtbar, daß niemand sieht oder zu sehen wagt,
was alles dazu gehört, daß weder die Urheber den Mut haben,
sich dazu zu bekennen, noch die im Bürgertum erhaltenen Reste der
alten Gesellschaft, jene als Urheber zu bezeichnen. Der Weg vom Liberalismus
zum Bolschewismus hatte sich zunächst im Kampf gegen die politischen
Mächte vollzogen. Sie sind heute zerstört, zerfressen, zerfallen.
Es hat sich wieder gezeigt, wie im Rom der Gracchenzeit, daß alles,
was die wenigen großen starken Raubtiere, die Staatsmänner
und Eroberer, in Jahrhunderten geschaffen haben, von den massenhaften
kleinen, dem menschlichen Ungeziefer, in kurzer Zeit zernagt werden kann.
Die alten ehrwürdigen Formen des Staates liegen in Trümmern.
Sie sind durch den formlosen Parlamentarismus ersetzt worden, ein Schutthaufen
ehemaliger Autorität, Regierungskunst und staatsmännischer Weisheit,
auf dem die Parteien, Horden von Geschäftspolitikern, sich um die
Beute streiten. Die ererbte Hoheit wurde durch Wahlen ersetzt, die immer
neue Scharen von Minderwertigen an die Geschäfte bringen. (Oswald
Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 104 ).
Und unter diesen Parteien sind es überall die Arbeiterparteien
und deren Gewerkschaften, welche politische Zwecke mit wirtschaftlichen
Mitteln und wirtschaftliche mit politischen Mitteln verfolgen, die nach
Zusammensetzung des Führermaterials und mit ihren Programmen und
Methoden der Agitation für alle andern tonangebend geworden sind.
Sie werben alle um die großstädtische Masse und peitschen sie
mit denselben sinnlosen Hoffnungen und erbitternden Anklagen auf. Kaum
eine wagt es mehr auszusprechen, daß sie andere Teile der Nation
vertreten will als »den Arbeiter«. Sie behandeln ihn fast
ohne Ausnahme als privilegierten Stand, aus Feigheit oder in der Hoffnung
auf Wahlerfolge. Es ist in allen Ländern gelungen, ihn zu demoralisieren,
ihn zum anspruchvollsten, unzufriedensten und deshalb unglücklichsten
Wesen zu machen, ihn mit dem Pöbel der Gasse zu einer gesinnungsmäßigen
Einheit, zur »Klasse« zu verschmelzen, aus ihm den seelischen
Typus des Proleten heranzuzüchten, der durch sein bloßes Dasein
den revolutionären Erfolg verbürgt, der Fleiß und Leistung
als Verrat an der »Sache« verachtet und dessen höchster
Ehrgeiz es ist, Massenführer und Träger der Revolution zu werden.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 104-105 ).
Es macht keinen Unterschied, ob diese Fronten des Klassenkampfes
die Gestalt bürokratischer Parteien oder Gewerkschaften erhalten
haben wie die marxistischen, katholischen und nationalen in Deutschland,
ähnlich in England, ob sie die romanische Form von Anarchisten- und
Sozialistenklubs besitzen wie in Barcelona und Chikago, oder ob sie wie
einst in Rußland und heute in Amerika als unterirdische Bewegungen
vorhanden sind, um sich erst im Augenblick der Tat sichtbar zusammenzuballen:
Sie bestehen alle aus herrschenden Gruppen von Berufsdemagogen und einer
willenlos geleiteten Gefolgschaft, die dem kaum begriffenen Endziel zu
dienen und sich ihm zu opfern hat. Die Regierungen sind längst ihre
ausführenden Organe geworden, entweder weil die Massenführer
selbst die parlamentarische Macht besitzen oder weil es den Gegnern, die
sich in der Hypnose der Arbeiterideologie befinden, an Mut zu eignem Denken
und Handeln fehlt. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung -
Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 105 ).
Sie regieren auch die Wirtschaft, und zwar mit politischen Mitteln
zu politischem Zweck. Und dieser Zweck ist nie aus den Augen verloren
worden: es war der Klassenkampf gegen die organischen Mächte und
Formen des Wirtschaftslebens, die man »Kapitalismus« nannte.
Das letzte Ziel war deren Vernichtung, seit 1848, und es ist endlich
erreicht worden. Die seit fast einem Jahrhundert ekstatisch vorausgesagte
Katastrophe der Wirtschaft ist da. Die Weltwirtschaftskrise dieser und
noch sehr vieler kommender Jahre ist nicht, wie die ganze Welt meint,
die vorübergehende Folge von Krieg, Revolution, Inflation und Schuldenzahlung.
Sie ist gewollt worden. Sie ist in allen wesentlichen Zügen das Ergebnis
einer zielbewußten Arbeit der Führer des Proletariats.
Ihre Wurzeln liegen viel tiefer als man denkt, und ihre Wirkungen sind
nur in langen und harten Kämpfen gegen alles, was heute volkstümlich
ist, und zum großen Teil überhaupt nicht wieder zu überwinden.
Aber die Voraussetzung dafür ist der Mut zu sehen, was vor sich geht,
und ich fürchte, daß davon nicht viel vorhanden ist. Zu keiner
Zeit ist die Feigheit vor der allgemeinen Meinung der Parlamente, Parteien,
Redner und Schreiber der ganzen Welt größer gewesen. Sie liegen
alle auf den Knien vor dem »Volk«, der Masse, dem Proletariat
oder wie sie sonst das nennen, was den Führern der Weltrevolution
blind und ahnungslos als Waffe gedient hat. Der Vorwurf »arbeiterfeindlich«
zu sein, läßt heute jeden Politiker erbleichen. (Oswald
Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 105-106 ).
Aber wer ist es denn, der eigentlich den Weltkrieg gewonnen
hat? Sicherlich kein Staat, weder Frankreich noch England noch Amerika.
Auch nicht die weiße Arbeiterschaft. Sie hat ihn zum großen
Teil bezahlt, erst mit ihrem Blut auf den Schlachtfeldern, dann mit ihrer
Lebenshaltung in der Wirtschaftskrise. Sie war das vornehmste Opfer ihrer
Führer. Sie wurde für deren Ziele ruiniert. Der Arbeiterführer
hat den Krieg gewonnen. Was man in allen Ländern Arbeiterpartei
und Gewerkschaft nennt, in Wirklichkeit die Gewerkschaft der
Parteibeamten, die Bürokratie der Revolution, hat die
Herrschaft erobert und regiert heute die abendländische Zivilisation.
Sie hat das »Proletariat« von Streik zu Streik, von Straßenkampf
zu Straßenkampf getrieben, und ist selbst von einem verheerenden
Parlamentsbeschluß zum anderen fortgeschritten, durch eigene Macht
oder infolge der Angst des besiegten Bürgertums. Alle Regierungen
der Welt wurden seit 1916 in rasch steigendem Maße von ihnen abhängig
und mußten ihre Befehle vollziehen, wenn sie nicht gestürzt
werden wollten. Sie mußten die brutalen Eingriffe in die Struktur
und den Sinn des Wirtschaftslebens zulassen oder selbst durchführen,
die sämtlich zugunsten der Arbeit niedersten Ranges, der bloß
ausführenden Handarbeit erfolgten in Gestalt von maßlosen Lohnerhöhungen
und Kürzungen der Arbeitszeit, von verwüstenden Steuergesetzen
gegen den Ertrag der Führerleistung, gegen alten Familienbesitz,
gegen das Gewerbe und gegen das Bauerntum. Die Ausraubung der Gesellschaft
wurde durchgeführt. Es war die Löhnung der Söldner
im Klassenkampf. Der natürliche Schwerpunkt des Wirtschaftskörpers,
das Wirtschaftsdenken der Kenner, wurde durch einen künstlichen,
unsachlichen, parteipolitischen ersetzt. Das Gleichgewicht ging verloren
und der Bau stürzte ein. Aber das war seit Jahrzehnten das offen
ausgesprochene Ziel des abendländischen Bolschewismus; die Wirtschaftskatastrophe
war also ein taktischer Erfolg, so wenig die Arbeiterschaft das
ahnte oder gewollt hat. Dieser seit 1848 im voraus geschilderte, von Bebel
mit Begeisterung gepriesene Umsturz des »Kapitalismus«, das
»Jüngste Gericht« über die Bourgeoisie, sollte
allerdings die ersehnte Diktatur des Proletariats, das heißt seiner
Schöpfer und Führer von selbst zur Folge haben. (Oswald
Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 106-107 ).
Aber ist das nicht wirklich der Fall? Von Moskau ganz abgesehen,
war die Gewerkschaftsrepublik in Deutschland etwas anderes? Ist nicht
in den nationalen Arbeiterparteien Deutschlands, Englands und sogar Italiens
der wirtschaftliche, bürokratisch verwaltete Sozialismus das herrschende
Ideal? Liegen nicht auf den Trümmern der Weltwirtschaft die schöpferischen
Wirtschaftsbegabungen, die Träger des privaten Wirtschaftsstrebens,
als Opfer dieser Diktatur? Der Wirtschaftsführer, der Kenner
des Wirtschaftslebens, ist vom Parteiführer verdrängt
worden, der nichts von Wirtschaft und um so mehr von demagogischer Propaganda
versteht. Er herrscht als Bürokrat in der wirtschaftlichen Gesetzgebung,
die den freien Entschluß des Wirtschaftsdenkers ersetzt hat, als
Leiter von unzähligen Ausschüssen, Schiedsgerichten, Konferenzen,
Ministerialbüros und wie die Formen seiner Diktatur sonst heißen
mögen, sogar im faschistischen Korporationsministerium. Er will den
wirtschaftlichen Staatssozialismus, die Ausschaltung der Privatinitiative,
die Planwirtschaft, was alles im Grunde das gleiche ist, nämlich
Kommunismus. Mag mit dem Unternehmer auch der Arbeiter das Opfer sein,
jedenfalls hat der »Arbeiterführer« von Beruf endlich
die ersehnte Gewalt in Händen und kann die Rache der Unterwelt an
den Menschen vollziehen, die durch das Schicksal ihrer Geburt, das ihnen
Talente und Überlegenheit verlieh, berufen waren, die Dinge von oben
zu sehen und zu leiten. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung
- Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 107 ).
Ich weiß es wohl: die meisten werden es mit Entsetzen ablehnen,
diesen nie wieder gutzumachenden Zusammenbruch von allem, was Jahrhunderte
aufgebaut haben, als gewollt, als das Ergebnis einer zielbewußten
Arbeit zu erkennen. Aber es ist so und es läßt sich beweisen.
Diese Arbeit beginnt, sobald die Berufsrevolutionäre der Generation
von Marx begriffen hatten, daß in Nordwesteuropa die an die Kohle
gebundene Industrie zum wichtigsten Teil des Wirtschaftslebens wurde.
Das nackte Dasein der ins Massenhafte wachsenden Nationen hing von ihrer
Blüte ab. In England war das schon der Fall; für Deutschland
hoffte man darauf, und diese Doktrinäre, welche die Welt durch das
Schema von Bourgeoisie und Proletariat sahen, setzten als selbstverständlich
voraus, daß es überall so werden müsse. Aber wie stand
es denn mit Spanien und Italien, wo es keine Kohle gab, selbst mit Frankreich,
um von Rußland ganz zu schweigen? ( In der
Vorrede zur zweiten russischen Ausgabe des kommunistischen Manifests [1882]
stellen Marx und Engels eine Theorie der Evolution auf, die der im »Kapital«
völlig widerspricht. Da soll der Weg zum endgültigen Kommunismus
auf einmal statt über die absolute Bourgeoisherrschaft über
das angebliche Gemeineigentum der Bauern, den »Mir« führen.
Es gab hier weder Bourgeoisie noch Proletariat im westeuropäischen
Sinne deshalb formten die beiden Demagogen ihre »Überzeugung«
nach der Masse, die sie gegen den petrinischen Staat mobil machen wollten.
Die »Arbeiterführer« von Moskau haben dann aber, der
westlichen »Wahrheit« folgend, den Kampf gegen den Bauern
zugunsten einer kaum vorhandenen Arbeiterschaft aufgenommen.) Es
ist zum Erstaunen, wie eng der Horizont dieser Theologen des Klassenkampfes
war und blieb, und wie wenig das bis heute bemerkt worden ist. Haben sie
jemals Afrika, Asien, Lateinamerika in den Bereich ihrer Wirtschaftskritik
und ihrer Prophezeiungen gezogen? Haben sie einen Gedanken an die
farbigen Arbeiter der tropischen Kolonien verschwendet? Waren sie sich
bewußt, warum das unterblieb und unterbleiben mußte?
Sie redeten von der Zukunft der »Menschheit«, und statt den
ganzen Planeten mit ihrem Blick zu umfassen, starrten sie auf ein paar
Länder Europas, deren Staat und Gesellschaft sie zerstören wollten.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 107-108 ).
Hier aber haben sie gesehen, daß das erreichbar
war, wenn sie die Lebensfähigkeit der Industrie vernichteten; und
so begann der planmäßige Angriff auf sie dadurch, daß
man ihre organisierte Arbeit unmöglich zu machen suchte. Das geschah,
indem man zunächst im Gegensatz zur Führerarbeit der Unternehmer,
Erfinder und Ingenieure (*) die tägliche
Dauer der ausführenden Lohnarbeit in den Fabriken und anfangs nur
in ihnen gewaltsam verkürzte. (* Diese geistige
Arbeit ist überhaupt nicht nach der Stundenzahl zu begrenzen. Sie
verfolgt und tyrannisiert ihre Opfer während der Erholung, auf Reisen
und in schlaflosen Nächten; sie macht ein wirkliches Freisein vom
Nachdenken, ein Ab- und Ausspannen unmöglich und verbraucht gerade
die überlegenen Exemplare vor der Zeit. Kein Lohnarbeiter geht an
Überanstrengung oder durch Irrsinn zugrunde. Hier ereignet
es sich in zahllosen Fällen: Dies zur Beleuchtung des demagogischen
Bildes vom schlemmenden und faulenzenden Bourgeois.)
Sie betrug im 18. Jahrhundert, in Übereinstimmung mit der allgemeinen
Arbeitsgewohnheit von nordischen Bauern und Handwerkern, mehr als zwölf
Stunden, ohne gesetzlich festgelegt zu sein. Im Anfang des 19. Jahrhunderts
wird sie in England auf zwölf Stunden beschränkt, um 1850 durch
die gerade auch von Arbeitern (*) erbittert
bekämpfte Zehnstundenbill weiter herabgesetzt. (*
Weil sie sich nicht verbieten lassen wollten, ihre Arbeitskraft voll auszunützen
wie jeder Schneider und Tischler. Dies gesunde Gefühl bricht trotz
der Agitation aller Arbeiterparteien immer wieder durch, in dem Wunsch
nach Überstunden und Nebenbeschäftigung.) Nachdem die
Bill endgültig gesichert war, wurde sie in revolutionären Kreisen
als Sieg der Arbeiterschaft und mit Recht als »Knebelung
der Industrie« gefeiert. Man glaubte ihr damit einen tödlichen
Schlag versetzt zu haben. Von da an übernahmen es die Gewerkschaften
aller Länder mit steigendem Nachdruck, sie weiter zu kürzen
und auf alle Lohnempfänger auszudehnen. Gegen Ende des Jahrhunderts
betrug sie 9, am Ende des Weltkrieges 8 Stunden. Heute, wo wir uns der
Mitte des 20. Jahrhunderts nähern, wird die 40-Stunden-Woche zum
Minimum der revolutionären Forderung. Da gleichzeitig das Verbot
der Sonntagsarbeit immer strenger durchgeführt wurde, so liefert
der einzelne von seiner »Ware Arbeit« nur noch die
Hälfte des ursprünglichen, möglichen und natürlichen
Quantums. Und so ist »der Arbeiter«, der nach der Lehre der
marxistischen Religion allein arbeitet, zum großen Teil gegen
seinen Willen derjenige geworden, der es am wenigsten tut. Welcher
Beruf verträgt sich sonst mit einer so geringen Leistung? (Oswald
Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 109 ).
Es war das Kampfmittel des Streiks in einer verschleierten,
langsam wirkenden Form. Es bekam einen Sinn aber erst durch die Tatsache,
daß der Preis für diese »Ware«, der Wochenlohn,
nicht nur nicht verkürzt, sondern dauernd hinaufgetrieben wurde.
Nun ist der »Wert«, der wirkliche Ertrag der ausführenden
Arbeit keine selbständige Größe. Er ergibt sich aus dem
organischen Ganzen der Industriearbeit, in welcher der auszuführende
Gedanke, die Führerarbeit der Leitung und Regelung des Verfahrens,
der Heranführung von Stoffen, des Absatzes der Erzeugnisse, des Durchdenkens
von Kosten und Ertrag, von Anlagen und Einrichtungen, von neuen Möglichkeiten
viel entscheidender sind. Der Gesamtertrag hängt vom Rang und der
Leistung der Köpfe ab, nicht von den Händen. Ist kein
Ertrag da, ist das Produkt unverkäuflich, so ist die ausführende
Arbeit wertlos gewesen und kann eigentlich überhaupt nicht bezahlt
werden. So ist es beim Bauern und Handwerker. Aber durch die Tätigkeit
der Gewerkschaften ist der Stundenlohn des Handarbeiters aus der Einheit
des Organismus herausgenommen worden. Er wird vom Parteiführer
bestimmt, nicht vom Wirtschaftsführer errechnet, und er wird,
wenn er von diesem nicht bewilligt wird und werden kann, durch Streik,
Sabotage und den Druck auf die parlamentarischen Regierungen erzwungen.
Er ist seit hundert Jahren, am Ertrag der bäuerlichen und handwerklichen
Arbeit gemessen, um das Vielfache gesteigert worden. Jeder wirtschaftlich
Tätige ist mit seinem Gewinn von der Lage der Wirtschaft abhängig,
nur der Lohnarbeiter nicht. Er hatAnspruch auf die anorganisch
festgesetzte und parteipolitisch erkämpfte Lohnhöhe,
auch wenn sie nur durch den Verfall der Anlagen, durch Ertraglosigkeit
des Ganzen, durch Verschleuderung der Erzeugnisse gehalten wird
bis die Werke erliegen. Und dann geht ein schadenfrohes Triumphgeheul
durch die Reihen der »Arbeiterführer«. Sie haben wieder
einen Sieg auf dem Wege zum »Endziel« davongetragen.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 109-110 ).
Heute, wo die Entstehung der Klassenkampftheorie fast ein
Jahrhundert zurückliegt und niemand mehr wirklich an sie glaubt,
ist es zweifelhaft, ob diese Führer sich noch des Zweckes bewußt
sind, um dessen willen diese Zerstörungsarbeit einst gefordert und
begonnen worden ist. Aber es gibt eine nun schon alt gewordene Tradition
und Methode unter ihnen, wonach sie unaufhörlich für Kürzung
der Arbeit und Steigerung des Lohnes wirken müssen. Es ist der Nachweis
ihrer Befähigung vor der Partei. Und wenn heute der ursprüngliche
dogmatische Sinn vergessen ist und das gute Gewissen des Gläubigen
fehlt, so ist doch die Wirkung da, die sie nun auf andere »Ursachen«
zurückführen ein neues Mittel der Agitation, die Feststellung
einer neuen Schuld gegenüber der Arbeiterschaft, die sie dem Kapitalismus
zuschieben. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland
und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 110 ).
Einst hatte die Lehre vom »Mehrwert« Gewalt
über das unentwickelte Denken der Masse gehabt: der ganze Ertrag
der industriellen Produktion war gleich dem Wert der ausführenden
Handarbeit und mußte auf sie verteilt werden. Was der Wirtschaftsführer
davon abzog, für Erhaltung der Werke, Bezahlung der Rohstoffe, Gehälter,
Zinsen, der »Mehrwert« also, war Diebstahl. Die Führer,
Erfinder, Ingenieure arbeiteten überhaupt nicht, und jedenfalls besaß
eine geistige Arbeit, die nur eine Art von Nichtstun war, keinen höheren
Wert. Es war dieselbe »demokratische« Tendenz, welche die
Qualität jeder Art mißachtete und zu vernichten suchte und
nur das Quantum gelten ließ, auch bei der Handarbeit selbst: der
»aristokratische« Unterschied von gelernten und ungelernten
Arbeitern sollte aufgehoben sein. Sie sollten denselben Lohn erhalten.
Akkordarbeit und höhere Leistungen wurden als Verrat an der »Sache«
gebrandmarkt. Auch das hat sich, gerade in Deutschland seit 1918, durchgesetzt.
Es schaltete die Konkurrenz unter Arbeitern aus, erstickte den Ehrgeiz
des besseren Könnens und verminderte dadurch wieder die Gesamtleistung.
Daß das alles Nihilismus war, Wille zur Zerstörung, zeigt die
heutige Praxis von Moskau, wo in jeder Beziehung der Zustand von 1840
wieder hergestellt wurde, sobald man »am Ziel« war: lange
Arbeitszeit, niedrige Löhne, die größte Spannung der Welt
größer selbst als in Amerika zwischen der Bezahlung
gelernter und ungelernter Arbeit und der Import fremder Ingenieure statt
der eigenen, die man abgeschlachtet hatte, weil sie nach der Lehre des
kommunistischen Manifestes den Arbeiter nur ausbeuteten, ohne etwas zu
leisten, und deren Wert man erst nachher begriff. (Oswald Spengler,
Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 111 ).
Die Meinung, daß dem Arbeiter der »volle Wert«
seiner Arbeit zustehe, was mit dem Gesamtbetrag des Unternehmens gleichgesetzt
wurde ein Rest von Theorie also , blieb bis zum Ende des
Jahrhunderts in Geltung. Damit war wenigstens eine natürliche Grenze
der Lohnforderungen anerkannt. Daneben und darüber hinaus entwickelte
sich aber, etwa seit den siebziger Jahren, die ganz untheoretische Methode
der Lohnerpressung durch den politischen Druck der Arbeiterorganisationen.
Hier war keine Rede mehr von Grenzen, welche das Wirtschaftsleben dieser
Ausraubung zugunsten einer Klasse setzte, sondern nur noch von den Grenzen
der politischen, parlamentarischen, revolutionären Macht. In fast
allen »weißen« Ländern gab es um die Jahrhundertwende,
am deutlichsten in Deutschland seit 1918, neben der verfassungsmäßigen
Regierung eine ungesetzliche, aber mächtige Nebenregierung der Gewerkschaften
aller Art, zu deren wichtigsten Aufgaben es gehörte, ihre Wähler
mit Löhnen zu füttern und das Recht dazu von den »bürgerlichen«
Mächten dadurch zu erkaufen, daß sie ihnen die Erlaubnis zum
Regieren erteilten. Die »Stimmung der Arbeiterschaft«, die
von den Parteiführern gehandhabt wurde, war ausschlaggebend für
alles geworden, wozu die parlamentarischen Regierungen sich zu entschließen
wagten. So entstand die Tatsache der politischen Löhne, für
die es natürliche, wirtschaftliche Grenzen nicht mehr gab. Die Tariflöhne,
welche der Staat zu schützen verpflichtet war, wurden von der Partei
festgesetzt, nicht von der Wirtschaft berechnet, und die Tarifhoheit der
Gewerkschaften wurde zu einem Recht, das keine bürgerliche Partei
oder Regierung anzutasten oder in Zweifel zu ziehen wagte. Der politische
Lohn ging sehr bald über den »vollen Wert der Arbeit«
hinaus. Er hat, mehr als Konkurrenz und Überproduktion, die Industrie
der »weißen« Länder aus Notwehr und Selbsterhaltungstrieb
in eine Entwicklung gedrängt, deren Ergebnis in der Katastrophe der
Weltwirtschaft heute vor unseren Augen Hegt. Der Lohnbolschewismus, mit
Streik, Sabotage, Wahlen, Regierungskrisen arbeitend, entzog dem Wirtschaftsleben
der Nationen nicht Deutschlands allein so viel Blut, daß
es in fieberhaftem Tempo versuchen mußte, diese Verluste auf jede
denkbare Weise zu ersetzen. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung
- Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 111-112 ).
Man muß wissen, was alles zum Begriff des politischen Lohnes
gehört, um den Druck dieser Lohndiktatur auf das gesamte Wirtschaftsleben
der Völker zu ermessen. Er umfaßt, über die Geldzahlung
weit hinausgehend, die Sorge für das gesamte Dasein »des Arbeiters«,
die ihm abgenommen und »den anderen« aufgebürdet wurde.
»Der Arbeiter« ist zum Pensionär der Gesellschaft, der
Nation geworden. Jeder Mensch hat sich, wie jedes Tier, gegen das unberechenbare
Schicksal zu wehren oder es zu tragen. Jeder hat seine persönliche
Sorge, die volle Verantwortung für sich selbst, die Notwendigkeit,
durch eigenen Entschluß in allen Gefahren für sich und seine
Ziele einzustehen. Niemand denkt daran, dem Bauern die Folgen von Mißernte,
Viehseuchen, Brand und Absatznöten, den Handwerkern, Ärzten,
Ingenieuren, Kaufleuten, Gelehrten die Gefahren des wirtschaftlichen Ruins
und der Berufsuntauglichkeit infolge von mangelnder Eignung, Krankheit
oder Unglücksfällen auf Kosten an derer abzunehmen. Jeder mag
selbst und auf eigene Kosten sehen, wie er dem begegnet, oder er mag die
Folgen tragen und betteln oder nach seinem Belieben in anderer Weise zugrunde
gehen. So ist das Leben. Die Sucht des Versichertseinwollens gegen
Alter, Unfall, Krankheit, Erwerbslosigkeit, also gegen das Schicksal in
jeder denkbaren Erscheinungsform, ein Zeichen sinkender Lebenskraft
hat sich von Deutschland ausgehend im Denken aller weißen Völker
irgendwie eingenistet. Wer ins Unglück gerät, schreit nach den
andern, ohne sich selbst helfen zu wollen. Aber es gibt einen Unterschied,
der den Sieg des marxistischen Denkens über die ursprünglich
germanischen, die individualistischen Triebe der Verantwortungsfreude,
des persönlichen Kampfes gegen das Schicksal, des »amor fati«
bezeichnet. Jeder sonst sucht nach eigenem Entschluß und durch eigene
Kraft dem Unvorhergesehenen auszuweichen oder entgegenzutreten, nur »dem
Arbeiter« wird auch dieser Entschluß erspart. Er allein kann
sich darauf verlassen, daß andere für ihn denken und handeln.
Die entartende Wirkung dieses Freiseins von der großen Sorge, wie
man sie an Kindern sehr reicher Familien beobachtet (*),
hat die gesamte Arbeiterschaft gerade in Deutschland ergriffen: sobald
sich irgendeine Not zeigt, ruft man den Staat, die Partei, die Gesellschaft,
jedenfalls »die anderen« zu Hilfe. (*
Dafür wird dann die kleine Sorge in Gestalt von »Problemen«
der Mode, der Küche, des ehelichen und unehelichen Liebesgezänkes
und vor allem der Langeweile, die zum Überdruß am Leben führt,
zu lächerlicher Wichtigkeit emporgetrieben. Man macht aus Vegetarismus,
Sport, erotischem Geschmack eine »Weltanschauung«. Man begeht
Selbstmord, weil man das ersehnte Abendkleid oder den gewünschten
Liebhaber nicht bekommen hat oder weil man sich über Rohkost und
Ausflüge nicht einigen kann.) Man hat es verlernt, selbst
Entschlüsse zu fassen und unter dem Druck wirklicher Sorgen zu leben.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 112-113 ).
Aber das bedeutet eine weitere Belastung der höheren
Arbeit einer Nation zugunsten der niederen. Denn auch dieser Teil des
politischen Lohnes, die Versicherung jeder Art gegen das Schicksal, der
Bau von Arbeiterwohnungen es fällt niemandem ein, dasselbe
für Bauernhäuser zu verlangen , die Anlage von Spielplätzen,
Erholungsheimen, Bibliotheken, die Sorge für Vorzugspreise von Lebensmitteln,
Bahnfahrten, Vergnügungen wird unmittelbar oder durch Steuern von
»den andern« für die Arbeiterschaft bezahlt. Gerade
das ist ein sehr wesentlicher Teil des politischen Lohnes, an den
man nicht zu denken pflegt. Indessen ist der Nationalreichtum, auf dessen
in Zahlen angegebene Höhe man sich verläßt, eine nationalökonomische
Fiktion. Er wird als »Kapital« aus dem Ertrag
der wirtschaftlichen Unternehmungen oder dem Kurs von Aktien, der von
der Verzinsung abhängt, errechnet und sinkt mit ihnen, wenn der Wert
der arbeitenden Werke durch die Höhe der Lohnbelastung in Frage gestellt
wird. Eine Fabrik, die so zum Stilliegen kommt, ist aber nicht mehr wert,
als für das Abbruchsmaterial gezahlt wird. Die deutsche Wirtschaft
hat unter der Diktatur der Gewerkschaften vom 1. Januar 1925 bis Anfang
1929, also in vier Jahren, eine jährliche Mehrbelastung durch Erhöhung
von Löhnen, Steuern und sozialen Abgaben von 18225 Millionen Mark
erfahren. (Vgl. die Mitteilungen des Langnamvereins,
1929.) Das ist ein Drittel des gesamten Nationaleinkommens,
das einseitig verlagert wurde. Ein Jahr später war diese Summe
auf weit über 20 Milliarden angewachsen. Was bedeuteten demgegenüber
die 2 Milliarden Reparationen! Sie gefährdeten die Finanzlage des
Reiches und die Währung. Ihr Druck auf die Wirtschaft kam gegenüber
den Wirkungen des Lohnbolschewismus überhaupt nicht in Betracht.
Es war die Expropriation der gesamten Wirtschaft zugunsten einer Klasse.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 113-114 ).
Es gibt höhere und niedere Arbeit: das läßt
sich weder leugnen noch ändern; es ist der Ausdruck für die
Tatsache, daß es Kultur gibt. Je höher sich eine Kultur entwickelt,
je mächtiger ihre Gestaltungskraft, desto größer wird
der Unterschied von maßgebendem und untergeordnetem
Tun jeder Art, sei es politisch, wirtschaftlich oder künstlerisch.
Denn Kultur ist gestaltetes, durchgeistigtes Leben, reifende und sich
vollendende Form, deren Beherrschung einen immer höheren Rang der
Persönlichkeit voraussetzt. Es gibt Arbeit, zu der man innerlich
berufen sein muß, und andere, die man tun muß, weil man nichts
Besseres kann, um davon zu leben. Es gibt Arbeit, der nur ganz wenige
Menschen von Rang gewachsen sind, und andere, deren ganzer Wert in ihrer
Dauer, ihrem Quantum besteht. Zur einen wie zur anderen wird man geboren.
Das ist Schicksal. Das läßt sich nicht ändern, weder durch
rationalistische noch durch sentimental-romantische Gleichmacherei.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 114-115 ).
Der Gesamtaufwand an Arbeit, den die abendländische
Kultur in Anspruch nimmt, der mit ihr identisch ist, wird mit jedem
Jahrhundert größer. Er betrug zur Zeit der Reformation das
Vielfache von dem im Zeit alter der Kreuzzüge und wuchs mit dem 18.
Jahrhundert ins Ungeheure, im Einklang mit der Dynamik der schöpferischen
Führerarbeit, welche die niedere Massenarbeit in immer größerem
Umfange notwendig gemacht hat. Aber deshalb will der proletarische Revolutionär,
der die Kultur von unten sieht, weil er sie nicht hat, sie vernichten,
um Qualitätsarbeit und Arbeit überhaupt zu sparen. Gibt es keinen
Kulturmenschen mehr den er für Luxus und überflüssig
hält , so gibt es weniger und vor allem geringere Arbeit, die
jeder leisten kann. In einer sozialistischen Zeitung las ich einmal, daß
nach den Geldmillionären die Gehirnmillionäre abgeschafft werden
müßten. Man ärgert sich über die wirklich] schöpferische
Arbeit, man haßt ihre Überlegenheit, man beneidet ihre Erfolge,
ob sie nun in Macht oder Reichtum bestehen. Die Scheuerfrau des Krankenhauses
ist ihnen wichtiger als der leitende Arzt; der Ackerknecht ist mehr wert
als der Landwirt, der Getreidearten und Viehrassen züchtet, der Heizer
mehr als der Erfinder der Maschine. Eine Umwertung der wirtschaftlichen
Werte, um einen Ausdruck Nietzsches zu gebrauchen, hat sich vollzogen,
und da jeder Wert in den Augen der Masse sich in Geld, in der Bezahlung
spiegelt, so soll die niedere Massenarbeit besser bezahlt werden als die
höhere der führenden Persönlichkeiten, und das wird
erreicht. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland
und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 115 ).
Es hatte Folgen, die noch niemand wirklich begriffen hat. Dieser
»weiße« Arbeiter, um die Wette umschmeichelt und verwöhnt
von den Führern der Arbeiterparteien und der Feigheit des Bürgertums,
wird ein Luxustier. Man lasse doch den albernen Vergleich mit Millionären
aus dem Spiel, die es »besser haben«. Es kommt nicht auf Leute
an, die in Schlössern wohnen und Dienerschaft halten. Man vergleiche
den privaten Lebensaufwand eines modernen Industriearbeiters mit dem eines
Kleinbauern. Um 1840 war die Lebenshaltung beider Klassen etwa dieselbe.
Heute arbeitet der erste viel weniger als der andre, aber die Art, wie
der Bauer, gleichviel ob in Pommern, Yorkshire oder Kansas, wohnt, ißt
und sich kleidet, ist gegenüber dem, was ein Metallarbeiter vom Ruhrgebiet
bis nach Pennsylvanien hin für seinen Unterhalt und vor allem für
sein Vergnügen ausgibt, so erbärmlich, daß der Arbeiter
sofort streiken würde, wenn man ihm zumutete, jemals wieder für
die doppelte Arbeit und die ewige Sorge um Mißernte, Absatz und
Verschuldung diese Lebenshaltung in Kauf zu nehmen. Was in den großen
Städten des Nordens als Existenzminimum und als »Elend«
betrachtet wird, würde in einem Dorf eine Wegstunde davon schon als
Verschwendung erscheinen, ganz abgesehen vom Lebensstil im Gebiet des
südeuropäischen Agrarkommunismus, wo die Anspruchslosigkeit
farbiger Völker noch zu Hause ist. Aber dieser Luxus der Arbeiterschaft,
die Folge der politischen Luxuslöhne, ist da und wer bezahlt ihn?
Die geleistete Arbeit nicht. Ihr Ertrag ist bei weitem nicht soviel wert.
Es müssen andere arbeiten, der ganze Rest der Nation, um ihn zu bestreiten.
Es gibt Narren wenn Ford ernst gemeint hat,
was er sagte und schrieb, gehört er dazu , die glauben, daß
die gesteigerte »Kaufkraft« der Arbeiter die Wirtschaft auf
der Höhe halte. Aber haben die unbeschäftigten Massen Roms seit
der Gracchenzeit das getan? Man redet vom Binnenmarkt, ohne darüber
nachzudenken, was das in Wirklichkeit ist. Man mache doch die Probe auf
dies neue Dogma der »weißen« Gewerkschaften und entlohne
die Arbeiter statt mit Geld mit den Erzeugnissen ihrer eigenen Arbeit,
mit Lokomotiven, Chemikalien und Pflastersteinen, für deren Verkauf
sie selbst zu sorgen hätten. Es gibt Narren - wenn Ford ernst gemeit
hat, was er sagte und schrieb, gehört er dazu -, die glauben, daß
die gesteigerte »Kaufkraft« der Arbeiter die Wirtschaft
auf der Höhe halte. Aber haben die unbeschäftigten Massen Roms
seit der Gracchenzeit das getan? Man redet von Binnenmarkt, ohne
darüber nachzudenken, was das in Wirklichkeit ist. Man mache doch
die Probe auf dies neue Dogma der »weißen« Gewerkschaften
und entlohne die Arbeiter statt mit geld mit den Erzeugnissen ihrer eigenen
Arbeit, mit Lokomotiven, Chemikalien und Pflastersteinen, für deren
verkauf sie selbst zu sorgen hätten. (Oswald Spengler, Jahre
der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 115-116 ).
Sie wüßten nichts damit anzufangen. Sie würden
entsetzt darüber sein, wie wenig diese Dinge wert sind. Es würde
sich außerdem zeigen, daß zum Geldausgeben höherer Art
derselbe Grad von Kultur gehört, dieselbe Durchgeistigung des Geschmacks
wie zum geldverdienen durch überlegene Leistungen. Es gibt vornehmen
und gemeinen Luxus, daran ändert man nichts. Es ist der Unterschied
zwischen einer Oper von Mozart und einem Operettenschlager. Den Luxuslöhnen
entspricht nun einmal kein verfeinertes Luxusbedürfnis. es ist allein
die Kaufkraft der höheren Gesellschaft, welche eine Qualitätsindustrie
möglich macht. Die niederen Schichten ernähren nur eine
Vergnügungsindustrie, »circenses«, heute wie im
alten Rom. Aber dieser vulgäre Luxus der großen Städte
- wenig Arbeit, viel Geld, noch mehr Vergnügen - übte eine verhängnisvolle
Wirkung auf die hart arbeitenden und bedürfnislosen Menschen des
flachen Landes aus. Man lernte dort Bedürfnisse kennen, von denen
die Väter sich nichts hatten träumen lassen. Entsagen ist schwer,
wenn man das Gegenteil vor Augen hat. Die Landflucht begann, erst der
Knechte und Mägde, dann der Bauernsöhne, zuletzt ganzer Familien,
die nicht wußten, ob und wie sie das väterliche Erbe gegenüber
dieser Verzerrung des Wirtschaftslebens halten könnten. Es war in
allen Kulturen auf dieser Stufe das gleiche. Es ist nicht wahr, daß
Italien seit der Zeit Hannibals durch den Großgrundbesitz entvölkert
worden wäre. Das »paenem et circenses« der Weltstadt
Rom hat es getan, und erst das menschenleer und wertlos gewordene Land
führte zur Entwicklung der Latifundienwirtschaft mit Sklaven. (Vgl.
Der Untergang des Abendlandes, S. 681 f..) Sonst wäre
es Wüste geworden. Die Entvölkerung der Dörfer begann 1840
in England, 1880 in Deutschland, 1920 im mittleren Westen der Vereinigten
Staaten. Der Bauer hatte es satt, Arbeit ohne Lohn zu tun, während
die Stadt ihm Lohn ohne Arbeit versprach. So ging er davon und wurde »Proletarier«.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 116-117 ).
Der Arbeiter selbst war unschuldig daran. Er empfindet seine Lebenshaltung
gar nicht als Luxus, im Gegenteil. Er ist elend und unzufrieden geworden
wie jeder Privilegierte ohne eignes Verdienst. Was gestern das Ziel ausschweifender
Wünsche war, ist heute selbstverständlich geworden und erscheint
morgen als Notstand, der nach Abhilfe schreit. Der Arbeiterführer
hat den Arbeiter verdorben, als er ihn zum Prätorianer des Klassenkampfes
wählte. Zur Zeit des kommunistischen Manifestes sollte er zu diesem
Zweck seelisch zum Proletarier gemacht werden, heute wird er zu gleichem
Zweck mit der Hoffnung gefüttert, es eines Tages nicht mehr zu sein.
Aber hier wie dort hat die unverdiente Höhe des politischen Lohnes
dahin geführt, immer mehr für unentbehrlich zu halten.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 117 ).
Aber kann dieser Lohn, der eine selbständige Größe
neben der Wirtschaft geworden ist, überhaupt noch bezahlt werden?
Womit? Von wem? Bei genauem Zusehen zeigt sich, daß die Vorstellung
vom Ertrag der Wirtschaft sich unter dem Druck der Lohnerpressungen unbemerkt
verändert hat. Nur ein gesundes Wirtschaftsleben kann fruchtbar sein.
Es gibt einen natürlichen, ungezwungenen Ertrag, solange der Lohn
der ausführenden Arbeit als Funktion von ihm abhängt. Wird dieser
eine unabhängige - politische - Größe, ein ununterbrochener
Aderlaß, den kein lebender Körper erträgt, so beginnt
eine künstliche, krankhafte Art und Berechnung des Wirtschaftens,
ein Wettrennen zwischen dem Absatz, der an der Spitze belieben muß,
wenn nicht das Ganze erliegen soll, sich verbluten soll, und den vorauseileneen
Löhnen samt Steuern und sozialen Abgaben, die indirekte Löhne
sind. Das fieberhafte Tempo der Produktionssteigerung geht zum großen
Teil von dieser geheimen Wunde des Wirtschaftslebens aus. Die Bedarfsreizung
durch alle Mittel der Reklame greift um sich; der Fernabsatz unter farbigen
Völkern ( )
wird auf jede denkbare Weise ausgedehnt und erzwungen. Der wirtschaftliche
Imperialismus der großen Industriestaaten, der mit militärischen
Mitteln Absatzgebiete sichert und in ihrer Rolle als solche zu erhalten
sucht, wird in seiner Intensität auch durch Selbsterhaltungstrieb
der Wirtschaftsführer bestimmt, welche der beständige lohnpolitische
Druck der Arbeiterparteien zur Abwehr aufruft. Sobald irgendwo in der
»weißen« Welt ein wirkliches oder scheinbares Aufatmen
der Industrie stattfindet, melden die Gewerkschaften Lohnansprüche
an, um ihren Anhängern Gewinne, die gar nicht vorhanden sind, zu
sichern. Als in Deutschland die Reparationszahlungen eingestellt wurden,
hieß es sofort, daß diese »Ersparnisse« der Arbeiterschaft
zugute kommen müßten. Die natürliche Folge der Luxuslöhne
war eine Verteuerung der Produktion also ein Sinken des Geldwertes
, und auch da wurde politisch eingegriffen, indem die Verkaufspreise
gesetzlich gehalten oder gesenkt wurden, um die Kaufkraft der Löhne
zu sichern. Deshalb wurden um 1850 in England die Kornzölle aufgehoben
eine verschleierte Lohnerhöhung also und damit der
Bauer dem Arbeiter geopfert, was seitdem überall versucht oder
durchgeführt worden ist, zum Teil mit der absurden nationalökonomischen
Begründung von Bankiers und ähnlichen »Sachverständigen«,
daß man die Welt in Agrar- und Industrieländer aufteilen müsse,
um eine zweckmäßige Organisation der »Weltwirtschaft«
zu erreichen. Was dann aus der Bauernschaft der Industrieländer werden
sollte, danach fragte niemand. Sie war bloßes Objekt der Arbeiterpolitik.
Sie war der eigentliche Feind für das Monopol der Arbeiterinteressen.
Alle Arbeiterorganisationen sind bauernfeindlich, ob sie es zugeben oder
bestreiten. Aus dem gleichen Grunde wurde der Preis für Kohle und
Eisen unter parlamentarischem Druck festgesetzt, ohne Rücksicht auf
die Kosten der Förderung eben durch die Löhne; ebenso wurden
Vorzugspreise aller Art für die Arbeiterschaft erzwungen, die dann
durch Erhöhung der Normalpreise für »die andern«
ausgeglichen werden mußten. Ob der Absatz darunter litt oder unmöglich
wurde, war eine Privatangelegenheit des Unternehmertums, und je mehr es
in seiner Stellung erschüttert wurde, desto siegreicher fühlten
sich die Gewerkschaften. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung
- Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 117-119 ).
Eine Folge dieser Wirkungen des Klassenkampfes war der
steigende Bedarf der produktiven Wirtschaft an »Kredit«, an
»Kapital«, also an eingebildeten Geldwerten, die nur
so lange vorhanden sind, als man an ihre Existenz glaubt, und die sich
bei dem geringsten Zweifel in Form eines Börsenkrachs in nichts auflösen.
Es war der verzweifelte Versuch, zerstörte echte Werte durch Wertphantome
zu ersetzen. Die Blütezeit einer neuen, hinterlistigen Art von Banken
begann, welche die Unternehmungen finanzierten und damit ihre Herren wurden.
Sie gaben nicht nur Kredit, sondern sie erzeugten ihn auf dem Papier als
gespenstisches, heimatlos schweifendes Finanzkapital. In immer
rascherem Tempo wird alter Familienbesitz in Aktiengesellschaften umgewandelt,
beweglich gemacht, um mit dem so erlangten Geld die Lücken im Kreislauf
von Ausgabe und Einnahme zu füllen. Die Verschuldung der erzeugenden
Wirtschaft denn zuletzt sind Aktien nichts als eine Schuld
wuchs ins Ungeheure, und als deren Verzinsung neben der Lohnzahlung eine
für diese bedenkliche Größe zu werden begann, tauchte
das letzte Mittel des Klassenkampfes auf, die Forderung nach Enteignung
der Werke durch den Staat: damit sollten die Löhne der wirtschaftlichen
Errechnung endgültig entzogen und zu Staatsgehältern
werden, die von den regierenden Arbeiterparteien nach freiem Ermessen
festgesetzt wurden und für die der Steuerbolschewismus die Mittel
von der übrigen Nation zu beschaffen hatte. (Oswald Spengler,
Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 119-120 ).
Die letzten, entscheidenden Folgen dieses Wahnsinns der Luxuslöhne
treten seit 1900 rasch zutage: die zunehmende Verödung des bäuerlichen
Landes führte immer größere Massen in den Bereich des
großstädtischen panem et circenses und verführte
die Industrie zu immer größerer Ausdehnung der Werke, für
deren Absatz man noch keine Sorge zu haben glaubte. In die Vereinigten
Staaten wanderten 1900-14 fünfzehn Millionen ländlicher Menschen
aus Süd- und Osteuropa ein, während die Farmentwicklung bereits
abnahm. (Die reine Farmentwicklung kam um 1900 zum
Stillstand, nahm um 1920 jährlich um 100 000, seit 1920 um eine halbe
Million und seit 1925 um eine Million ab). In Nordeuropa erfolgte
eine Binnenwanderung von gleichem Ausmaß. .... Und über diese
Entwicklung brach nun das Verhängnis von einer Seite herein, welche
die Führer des Klassenkampfes nie in den Kreis ihrer Berechnungen
gezogen, welche sie nicht einmal bemerkt hatten. (Oswald Spengler,
Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 120 ).
Marx hatte die Industriewirtschaft der »weißen«
Länder des Nordens als das Meisterstück der »Bourgeoisie«
bewundert und gehaßt. Er blickte immer nur auf deren Heimat, auf
England und Deutschland, und für seine Nachfolger blieb dieser provinziale
Horizont die rechtgläubige Voraussetzung aller taktischen Erwägungen.
Aber die Welt war größer, und sie war mehr und etwas anderes
als ein Gebiet, das den Export des kleinen europäischen Nordens stumm
und widerstandslos aufnahm. Die weißen Arbeitermassen lebten nicht
von der. Industrie überhaupt, sondern vom Industriemonopol der
nordischen Großmächte. Nur auf Grund dieser Tatsache waren
die politischen Löhne gezahlt worden, ohne sofort zur Katastrophe
zu führen. Jetzt aber erhob sich über dem Klassenkampf zwischen
Arbeiterschaft und Gesellschaft innerhalb der weißen Völker
ein Rassenkampf von ganz anderem Ausmaß, den kein Arbeiterführer
geahnt hatte und den auch heute keiner in seiner schicksalsschweren Unerbittlichkeit
begreift und zu begreifen wagt. Die Konkurrenz der weißen Arbeiter
untereinander hatte man durch Gewerkschaftsorganisation und Tariflöhne
beseitigt. Der seit 1840 herangewachsene Unterschied zwischen der Lebenshaltung
des Industriearbeiters und des Bauern war dadurch unschädlich gemacht
worden, daß die wirtschaftspolitischen Entscheidungen Zölle,
Steuern, Gesetze von der Arbeiterseite aus und gegen die Landwirtschaft
gefällt wurden. Hier aber trat die Lebenshaltung der Farbigen
in Konkurrenz mit den Luxuslöhnen der weißen Arbeiterschaft.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 120-121 ).
Farbige Löhne sind eine Größe anderer Ordnung
und anderer Herkunft als weiße. Sie wurden diktiert, nicht gefordert,
und wurden niedrig gehalten, wenn es sein mußte, mit Waffengewalt.
Man nannte das nicht Reaktion oder Entrechtung des Proletariats, sondern
Kolonialpolitik, und wenigstens der englische Arbeiter, der imperialistisch
zu denken gelernt hatte, war ganz damit einverstanden. Marx suchte bei
seiner Forderung des »vollen Ertragswertes« als Arbeiterlohn
eine Tatsache zu unterschlagen, die er bei größerer Ehrlichkeit
hätte bemerken und in Rechnung stellen müssen: Im Ertrag nordischer
Industrien stecken die Kosten tropischer Rohstoffe Baumwolle, Gummi,
Metalle und in diesen die niedrigen Löhne farbiger Arbeiter.
Die Überbezahlung der weißen Arbeit beruhte auch auf der
Unterbezahlung der farbigen. (Ebenso wird die
Kaufkraft der weißen Löhne gesteigert, indem man die Konkurrenz
der mit farbigen Löhnen gewonnenen Nahrungsmittel auf die Bauern
des eigenen Landes loslöst, die ihrerseits an die hohen Tariflöhne
und Abgaben gebunden sind.) (Oswald Spengler, Jahre der
Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 121 ).
Was Sowjetrußland als Methode im Kampf gegen die »weiße«
Wirtschaft proklamiert hat, um deren Lebensfähigkeit durch Unterbietung
zu zerstören: nämlich die eigene Arbeiterschaft nach Lebenshaltung
und Arbeitszeit wieder auf den Stand von 1840 zu setzen, wenn es sein
mußte durch Hungertod oder wie 1923 in Moskau durch
Artillerie, das war ohne Zwang schon längst auf der ganzen Erde
in Entwicklung begriffen. Und es richtete sich mit furchtbarer Wirkung
weniger gegen den Rang dieser Industrie als gegen die Existenz der weißen
Arbeiterschaft. Haben die Sowjets das nicht begriffen, infolge ihrer
doktrinären Verblendung, oder war das schon der Vernichtungswille
des erwachenden asiatischen Rassebewußtseins, das die Völker
der abendländischen Kultur vertilgen will? (Oswald Spengler,
Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 121 ).
In südafrikanischen Minen arbeiten Weiße und Kaffern
nebeneinander, der Weiße 8 Stunden mit einem Stundenlohn von 2 Schilling,
der Kaffer 12 Stunden bei 1 Schilling Tagelohn. Dies groteske Verhältnis
wird durch die weißen Gewerkschaften aufrechterhalten, welche die
Organisationsversuche der Farbigen verbieten und es durch politischen
Druck auf die Parteien verhindern, daß die weißen Arbeiter
samt und sonders hinausgeworfen werden, obwohl das in der Natur der Dinge
läge. Aber das ist nur ein Beispiel des allgemeinen Verhältnisses
zwischen weißer und farbiger Arbeit in der ganzen Welt. Die japanische
Industrie schlägt mit ihren billigen Löhnen überall in
Süd- und Ostasien die weiße Konkurrenz aus dem Felde und meldet
sich schon auf dem europäischen und amerikanischen Markt. Indische
Webwaren erscheinen in London. Und inzwischen geschieht etwas Furchtbares.
Noch um 1880 gab es nur in Nordeuropa und Nordamerika Kohlenlager, die
ausgebeutet wurden. Jetzt sind sie in allen Erdteilen bekannt und erschlossen.
Das Monopol der weißen Arbeiterschaft auf Kohle ist zu Ende. Darüber
hinaus aber hat sich die Industrie von der Bindung an die Kohle weitgehend
befreit, durch Wasserkraft, Erdöl und elektrische Kraftübertragung.
Sie kann wandern und sie tut es, und zwar überall fort aus dem Bereich
der weißen Gewerkschaftsdiktaturen zu Ländern mit niedrigen
Löhnen. Die Zerstreuung der abendländischen Industrie ist seit
1900 in vollem Gang. Die Spinnereien Indiens sind als Filialen der englischen
Fabriken gegründet worden, um »dem Verbraucher näher zu
sein«. So war es ursprünglich gemeint, aber die Luxuslöhne
Westeuropas haben eine ganz andere Wirkung hervorgebracht. In den Vereinigten
Staaten wandert die Industrie mehr und mehr von Chikago und New York nach
den Negergebieten im Süden und wird auch an der Grenze Mexikos nicht
haltmachen. Es gibt wachsende Industriegebiete in China, Java, Südafrika,
Südamerika. Die Flucht der hochentwickelten Verfahren zu den Farbigen
schreitet fort und die weißen Luxuslöhne beginnen Theorie zu
werden, da die dafür angebotene Arbeit nicht mehr gebraucht wird.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 122 ).
Schon um 1900 war die Gefahr ungeheur. Der Bau der »weißen«
Wirtschaft war bereits untergraben. Er drohte unter dem Druck der politischen
Löhne, des Sinkens der persönlichen Arbeitsdauer, der Sättigung
aller fremden Absatzmärkte, des Entstehens fremder, von den weißen
Arbeiterparteien unabhängiger Industriegebiete bei der ersten weltgeschichtlichen
Erschütterung einzustürzen. Nur der unwahrscheinliche Friede
seit 1870, den die Angst der Staatsmänner vor nicht absehbaren Entscheidungen
über die »weiße« Welt gebreitet hatte (vgl.
S. 10, 34), hielt die allgemeine Täuschung über die unheimlich
schnell näherrückende Katastrophe aufrecht. Die düsteren
Vorzeichen wurden nicht bemerkt und nicht beachtet. Ein verhängnisvoller,
flacher, fast verbrecherischer Optimismus - der Glaube an den unentwegten
Fortschritt, der sich in Ziffern aussprach - beherrschte Arbeiterführer
und Wirtschaftsführer, um von Politikern ganz zu schweigen, unterstützt
von der krankhaften Aufblähung des fiktiven Finanzkapitals, das alle
Welt für wirklichen Besitz, wirkliche, unzerstörbare Geldwerte
hielt. Aber schon um 1910 erhoben sich einzelne Stimmen, die daran erinnerten,
daß die Welt im Begriff sei, mit Erzeugnissen der Industrie einschließlich
der industrialisierten Großlandwirtschaft übersättigt
zu werden. Es wurde hier und da die Verständigung zwischen den Mächten
über eine freiwillige Kontingentierung der Produktion vorgeschlagen.
Aber das verhallte in den Wind. Niemand glaubte an ernsthafte Gefahren.
Niemand wollte daran glauben. Es war außerdem falsch begründet,
von einseitigen Wirtschaftsbetrachtern nämlich, die nur die Wirtschaft
wie eine unabhängige Größe sahen und nicht die viel mächtigere
Politik der schleichenden Weltrevolution, die sie in falsche Formen und
Richtungen gedrängt hatte. Die Ursachen lagen tiefer, als daß
sie durch Nachdenken über Fragen der Konjunktur auch nur berührt
worden wären. Und es war bereits zu spät. Noch eine kurze Frist
der Selbsttäuschung war gegeben: Die Vorbereitung des Weltkrieges,
die zahllose Hände in Anspruch nahm oder wenigstens der Produktion
entzog, Soldaten der stehenden Heere und Arbeiter für die Herstellung
des Kriegsbedarfs. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung -
Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 122-123 ).
Dann kam der große Krieg, und mit ihm, nicht von ihm
bewirkt, sondern nur nicht länger aufgehalten, der wirtschaftliche
Zusammenbruch der weißen Welt. Er wäre auch so gekommen, nur
langsamer, in weniger erschreckenden Formen. Dieser Krieg aber wurde von
England, der Heimat des praktischen Arbeitersozialismus, von Anfang an
geführt, um Deutschland, die jüngste Großmacht, die sich
am schnellsten und in überlegenen Formen entwickelnde Wirtschaftseinheit,
wirtschaftlich zu vernichten und für immer von der Konkurrenz des
Weltmarktes auszuschließen. Je mehr im Chaos der Ereignisse das
staatsmännische Denken verschwand und nur militärische und grob
wirtschaftliche Tendenzen das Feld beherrschten, desto deutlicher trat
überall die düstere Hoffnung zutage, durch den Ruin Deutschlands,
dann Rußlands, dann der einzelnen Ententemächte zuletzt die
eigene Industrie- und Finanzstellung, und damit den eigenen Arbeiter zu
retten. Aber das war gar nicht mehr der eigentliche Beginn der folgenden
Katastrophe. Sie entwickelte sich vielmehr aus der Tatsache, daß
seit 1916 in allen weißen Ländern, ob sie sich am Kriege
beteiligten oder nicht, die Diktatur der Arbeiterschaft gegenüber
der Staatsleitung sich durchsetzte, offen oder heimlich, in sehr verschiedenen
Formen und Graden, aber mit derselben revolutionären Tendenz. Sie
stürzte oder beherrschte alle Regierungen. Sie wühlte in allen
Heeren und Flotten. Sie wurde mit Recht mehr gefürchtet
als der Krieg selbst.
|
|
|
 |
|
|
Und sie trieb nach seinem Abschluß die Löhne für die
niedere Massenarbeit zu einer grotesken Höhe hinauf und setzte gleichzeitig
den Achtstundentag durch. Als die Arbeiter aus dem Krieg nach Hause kamen,
entstand überall in der Welt trotz der gewaltigen Menschenverluste
die bekannte Wohnungsnot, weil das siegreiche Proletariat jetzt nach Art
der Bourgeoisie wohnen wollte und das durchgesetzt hat. Sie war das klägliche
Symbol des Sturzes aller alten Mächte des Standes und Ranges. Von
dieser Seite her wurde die allgemeine Inflation der Staatsfinanzen und
Wirtschaftskredite zuerst als das begriffen, was sie war: eine der wirksamsten
Formen des Bolschewismus, durch welche die führenden Schichten der
Gesellschaft enteignet, ruiniert, proletarisiert und infolge davon aus
der leitenden Politik ausgeschaltet wurden. Seitdem beherrscht das niedrige,
kurze Denken des gemeinen Mannes, der plötzlich mächtig geworden
ist, die Welt. Das war der Sieg! Die Vernichtung ist vollzogen,
die Zukunft ist beinahe hoffnungslos, aber die Rache an der Gesellschaft
ist befriedigt. Indessen nun zeigen sich die Dinge, wie sie sind. Die
mitleidlose Logik der Geschichte nimmt ihre Rache an den Rächern
dem gemeinen Denken, den Neidischen, den Träumern, den Schwärmern,
die für die großen und kalten Tatsachen der Wirklichkeit blind
gewesen sind. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland
und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 123-125 ).
Dreißig Millionen weiße Arbeiter sind heute ohne Arbeit,
trotz der großen Kriegsverluste, und abgesehen von weiteren Millionen,
die nur teilweise beschäftigt sind. Das ist nicht die Folge
des Krieges, denn die Hälfte von ihnen lebt in Ländern, die
kaum oder gar nicht am Kriege beteiligt waren, nicht die Folge
von Kriegsschulden oder verunglückten Währungsmanövern,
wie die andern Länder zeigen. Die Arbeitslosigkeit steht überall
genau im Verhältnis zur Höhe der politischen Tariflöhne.
Sie trifft die einzelnen Länder genau im Verhältnis zur Zahl
der weißen Industriearbeiter. In den Vereinigten Staaten
sind es zuerst die Angloamerikaner, dann die eingewanderten Ost- und Südeuropäer,
bei weitem zuletzt die Neger, deren Arbeit man nicht mehr braucht. Ebenso
steht es in Lateinamerika und Südafrika. In Frankreich ist die Zahl
vor allem deshalb kleiner, weil die sozialistischen Abgeordneten den Unterschied
von Theorie und Praxis kennen und sich so schnell wie möglich der
regierenden Hochfinanz verkaufen, statt für ihre Wähler Löhne
zu erpressen. Aber in Rußland, Japan, China, Indien gibt es keinen
Mangel an Arbeit, weil es keine Luxuslöhne gibt. Die Industrie flüchtet
sich zu den Farbigen, und in den weißen Ländern machen sich
nur noch die Handarbeit sparenden Erfindungen und Methoden bezahlt,
weil sie den Druck der Löhne mindern. Seit Jahrzehnten war die Steigerung
der Produktion bei der gleichen Arbeiterzahl durch technische Verfeinerung
das letzte Mittel gewesen, diesen Druck zu ertragen. Jetzt ertrug man
ihn nicht mehr, weil der Absatz fehlte. Einst waren die Löhne von
Birmingham, Essen und Pittsburg das Weltmaß; heute sind es die farbigen
von Java, Rhodesia und Peru. Und dazu kommt die Einebnung der vornehmen
Gesellschaft der weißen Völker mit ihrem ererbten Reichtum,
ihrem langsam herangebildeten Geschmack, ihrem als Vorbild wirkenden Bedürfnis
nach echtem Luxus. Der Bolschewismus der vom Neid diktierten Erbschafts-
und Einkommensteuern in England begann er schon vor dem Kriege
(vgl. Politische Schriften, S. 264 ff., 307
ff.), und die Inflationen, die ganze Vermögen in nichts
verwandelten, haben gründliche Arbeit geleistet. Aber dieser echte
Luxus hatte die Qualitätsarbeit geschaffen und erhalten und ganze
Qualitätsindustrien wachsen lassen und genährt. Er hatte die
mittleren Schichten verführt und erzogen, selbst feinere Ansprüche
zu stellen. Je größer dieser Luxus, desto blühender die
Wirtschaft. Das hatte einst Napoleon begriffen, der sich nicht mit nationalökonomischen
Theorien abgab und deshalb das Wirtschaftsleben besser verstand: Von seinem
Hofe aus belebte sich die von den Jakobinern zerstörte Wirtschaft
wieder, weil sich wieder eine höhere Gesellschaft bildete, nach englischem
Vorbild freilich, weil die des ancien régime ausgemordet, ruiniert,
in ihren Resten stumpf und verkümmert war. Wenn der in führenden
Schichten sich sammelnde Reichtum durch Pöbeleingriffe vernichtet,
wenn er verdächtig, geächtet und den Besitzern gefährlich
wird, hört der nordische Wille zum Erwerb von Besitz, zur Macht durch
Besitz auf, welchen zu schaffen. Der wirtschaftliche seelische
Ehrgeiz stirbt ab. Der Wettkampf lohnt sich nicht mehr. Man sitzt
im Winkel, verzichtet und spart und am »Sparen«, das
immer ein Sparen der Arbeit anderer ist, geht jede hochentwickelte Wirtschaft
notwendig zugrunde. Das alles wirkt zusammen. Die niedere weiße
Lohnarbeit ist wertlos, die Arbeitermasse auf der nordischen Kohle ist
überflüssig geworden. Es war die erste große Niederlage
der weißen Völker gegenüber der farbigen Völkermasse
der ganzen Welt, zu der die Russen, die Südspanier und Süditaliener,
die Völker des Islams ebenso gehören wie die Neger des englischen
und die Indianer des spanischen Amerikas. Es war das erste drohende Zeichen
dafür, daß die weiße Weltherrschaft vor der Möglichkeit
steht, infolge des Klassenkampfes in ihrem Rücken der farbigen Macht
zu erliegen. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland
und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 125-126 ).
Und trotzdem wagt es niemand, die wirklichen Gründe und Abgründe
dieser Katastrophe zu sehen. Die weiße Welt wird vorwiegend von
Dummköpfen regiert wenn sie regiert wird, woran man
zweifeln darf. Um das Krankenbett der weißen Wirtschaft stehen lächerliche
Autoritäten, die nicht über das nächste Jahr hinaussehen
und die sich aus längst veralteten, »kapitalistischen«
und »sozialistischen«, eng wirtschaftlichen Ansichten heraus
um kleine Mittel streiten. Und endlich: Feigheit macht blind. Niemand
redet von den Folgen dieser mehr als hundertjährigen Weltrevolution,
die aus den Tiefen der weißen Großstädte heraus das Wirtschaftsleben
und nicht nur dieses zerstört hat; niemand sieht sie; niemand wagt
es, sie zu sehen. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung -
Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 126-127 ).
»Der Arbeiter« ist nach wie vor der Götze aller
Welt, und der »Arbeiterführer« ist jeder Kritik hinsichtlich
der Tendenz seines Vorhandenseins enthoben. Man mag noch so lärmend
gegen den Marxismus wettern, aus jedem Wort spricht der Marxismus selbst.
Seine lautesten Feinde sind von ihm besessen und merken es nicht. Und
fast jeder von uns ist in irgendeinem Winkel seines Herzens »Sozialist«
oder »Kommunist«. Daher die allgemeine Abneigung, die Tatsache
des herrschenden Klassenkampfes zuzugeben und die Folgerungen daraus zu
ziehen. Statt die Ursachen der Katastrophe rücksichtslos zu bekämpfen,
soweit das überhaupt noch möglich ist, sucht man die Folgen,
die Symptome zu beseitigen, und nicht einmal zu beseitigen, sondern zu
übertünchen, zu verstecken, zu leugnen. Da ist, statt die Betrachtung
bei der revolutionären Lohnhöhe zu beginnen, die Vierzigstundenwoche
( )
die neue revolutionäre Forderung, ein weiterer Schritt auf
marxistischem Wege, eine weitere Kürzung der Leistungen der weißen
Arbeiterschaft bei gleichbleibendem Einkommen, also eine weitere Verteuerung
der weißen Arbeit, denn daß die politischen Löhne nicht
fallen dürfen, wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Niemand
wagt es, den Arbeitermassen zu sagen, daß ihr Sieg ihre schwerste
Niederlage war, daß Arbeiterführer und Arbeiterparteien sie
dahin gebracht haben, um ihren eigenen Hunger nach Volkstümlichkeit,
nach Macht und nach einträglichen Posten zu stillen, und daß
sie noch lange nicht daran denken, ihre Opfer aus der Hand zu lassen und
selbst zu verschwinden. Aber inzwischen arbeiten die »Farbigen«
( )
billig und lange, bis an die Grenze ihrer Arbeitskraft, in Rußland
unter der Knute, anderswo aber schon mit dem stillen Bewußtsein
der Macht, die sie damit über die verhaßten Weißen, die
Herren von heute oder von gestern? in der Hand haben.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 127 ).
Da ist das Schlagwort der »Abschaffung« der Arbeitslosigkeit,
der »Arbeitsbeschaffung« - von überflüssiger und
zweckloser Arbeit nämlich, da es notwendige, ertragreiche und zweckvolle
unter diesen Bedingungen nicht mehr gibt -, und niemand sagt sich, daß
die Kosten dieser Produktion ohne Absatz, dieser Potemkinschen Dörfer
in einer Wirtschaftswüste, wieder durch den Steuerbolschewismus einschließlich
der Herstellung fiktiver Zahlungsmittel von den Resten des gesunden Bauerntums
und der städtischen Gesellschaft eingetrieben werden müssen.
Da ist das Dumping durch planmäßigen Währungsverfall,
wodurch das einzelne Land den Absatz seiner Produkte auf Kosten desjenigen
der anderen zu retten sucht im Grunde eine falsche, billigere Verrechnung
der wirklichen Löhne und Herstellungskosten, durch die der Abnehmer
betrogen wird und wofür wieder der Rest des Besitzes der übrigen
Nation durch Wertverminderung die Kosten trägt. Aber der Sturz des
Pfundes, ein gewaltiges Opfer für den englischen Stolz, hat die Zahl
der Arbeitslosen auch nicht um einen Mann vermindert. Es gibt nur eine
Art von Dumping, die im Wirtschaftsleben natürlich begründet
und deshalb erfolgreich ist, die durch billigere Löhne und die größere
Arbeitsleistung, und darauf stützt sich die zerstörende Tendenz
des russischen Exports und die tatsächliche Überlegenheit der
»farbigen« Produktionsgebiete wie Japan, mögen sie Industrie
oder Landwirtschaft treiben und die weiße Produktion durch eigenen
Export oder durch Verhinderung des Imports infolge billigerer Selbstversorgung
vernichten. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland
und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 127-128 ).
Und endlich erscheint das letzte, verzweifelte Mittel der todkranken
Nationalwirtschaften: die Autarkie oder mit welchen großen Worten
man sonst dies Verhalten sterbender Tiere bezeichnet, die gegenseitige
wirtschaftliche Abschließung auf politischem Wege durch Kampfzölle,
Einfuhrverbote, Boykott, Devisensperren und was man sonst noch erfunden
hat oder erfinden wird, um den Zustand belagerter Festungen herzustellen,
der schon fast einem wirklichen Kriege entspricht und eines Tages die
militärisch stärkeren Mächte daran erinnern könnte,
mit einem Hinweis auf Tanks und Bombengeschwader die Öffnung der
Tore und die wirtschaftliche Kapitulation zu verlangen. Denn, es muß
immer wieder gesagt werden: Die Wirtschaft ist kein Reich für sich;
sie ist mit der großen Politik unauflöslich verbunden; sie
ist ohne starke Außenpolitik nicht denkbar und damit letzten Endes
abhängig von der militärischen Macht des Landes, in dem sie
lebt oder stirbt. (Vgl. Politische Schriften,
S. 325 ff.) (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung -
Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 128 ).
Aber welchen Sinn hat die Verteidigung einer Festung, wenn der
Feind sich darin befindet, der Verrat in Gestalt des Klassenkampfes,
der es zweifelhaft erscheinen läßt, wen und was man eigentlich
verteidigt? Hier liegen die wirklichen schweren Probleme der Zeit. Die
großen Fragen sind dazu da, daß bedeutende Köpfe an ihnen
zerbrechen. Wenn man sieht, wie sie überall in der Welt auf kleine
Scheinprobleme herabgezogen, herabgelogen werden, damit kleine
Menschen sich mit kleinen Gedanken und kleinen Mitteln wichtig tun können
wenn die »Schuld« an der Wirtschaftskatastrophe beim
Krieg und den Kriegsschulden, bei Inflation und Währungsschwierigkeiten
gesucht wird und »Wiederkehr der Prosperität« und »Ende
der Arbeitslosigkeit« Worte für den Abschluß einer ungeheuren
welthistorischen Epoche sind, Worte, deren man sich nicht schämt,
dann möchte man an der Zukunft verzweifeln. Wir leben in einem der
gewaltigsten Zeitalter aller Geschichte und niemand sieht, niemand begreift
das. Wir erleben einen Vulkanausbruch ohnegleichen. Es ist Nacht geworden,
die Erde zittert und Lavaströme wälzen sich über ganze
Völker hin und man ruft nach der Feuerwehr! Aber daran erkennt
man den Pöbel, der Herr geworden ist, im Unterschied von den seltenen
Menschen, die »Rasse haben«. Die großen Einzelnen sind
es, die Geschichte machen. Was »in Masse« auftritt, kann nur
ihr Objekt sein. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland
und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 129 ).
Diese Weltrevolution ist nicht zu Ende. Sie wird die Mitte,
vielleicht das Ende dieses Jahrhunderts überdauern. Sie schreitet
unaufhaltsam fort, ihren letzten Entscheidungen entgegegen, mit der geschichtlichen
Unerbitterlichkeit eines großen Schicksals, dem keine Zivilisation
der Vergangenheit ausweichen konnte und das alle weißen Völker
der Gegenwart seiner Notwendigkeit unterwirft. Wer ihr Ende predigt oder
sie besiegt zu haben glaubt, der hat sie gar nicht verstanden. Ihre gewaltigsten
Jahrzehnte brechen gerade erst an. Jede führende Persönlichkeit
im Zeitalter der gracchischen Revolution, Scipio so gut wie sein Gegner
Hannibal, Sulla nicht weniger als Marius, jedes große Ereignis,
der Untergang Karthagos, die spanischen Kriege, der Aufstand der italischen
Bundesgenossen, Sklavenrevolten von Sizilien bis Kleinasien sind nur Formen,
in denen diese tief innerliche Krise der Gesellschaft, das heißt
des organischen Baues der Kulturnationen, ihrer Vollendung entgegegengeht.
Es war im Ägypten der Hyksoszeit, im China der »Kämpfenden
Staaten« und überall sonst in den »gleichzeitigen«
Abschnitten der Geschichte ebenso, wie wenig wir auch davon wissen mögen.
Hier sind wir alle ohne Ausnahme Sklaven des »Willens« der
Geschichte, mitwirkende, ausführende Organe eines organischen Geschehens:
Und wer sich vermißt,
es klüglich zu wenden,
Der muß es selbst erbauend vollenden. (Schiller). |
In diesem ungeheuren Zweikampf großer Tendenzen, der sich über
die weiße Welt hin in Kriegen, Umstürzen, starken Persönlichkeiten
voller Glück und Tragik, gewaltigen Schöpfungen von dennoch
flüchtigem Bestande abspielt, erfolgt heute noch die Offensive von
unten, von der städtischen Masse her, die Defensive von oben,
noch schwächlich und ohne das gute Gewissen ihrer Notwendigkeit.
Das Ende wird erst sichtbar werden, wenn das Verhältnis sich umkehrt,
und das steht nahe bevor. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung
- Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 129-130 ).
Es gibt in solchen Zeiten zwei natürliche Parteien,
zwei Fronten des Klassenkampfes, zwei innerliche Mächte und
Richtungen, mögen sie sich nennen, wie sie wollen, und nur zwei,
gleichviel in welcher Zahl Parteiorganisationen vorhanden sind und ob
sie da sind. Die fortschreitende Bolschewisierung ( )
der Massen in den Vereinigten Staaten beweist es, der russische Stil in
ihrem Denken, Hoffen und Wünschen. Das ist eine »Partei«.
(Vgl. S. 50.) Noch gibt es kein Zentrum des
Widerstandes in diesem Lande, das kein Gestern und vielleicht kein Morgen
hat ( ).
Die glänzende Episode der Dollarherrschaft und ihrer sozialen Struktur,
mit dem Sezessionskrieg 1865 beginnend, scheint vor dem Ende zu stehen.
Wird Chikago das Moskau der neuen Welt sein? In England hat die
Oxford Union Society, der größte Studentenclub der vornehmsten
Universität des Landes, mit erdrückender Mehrheit (russisch:
Bolschewiki )
den Beschluß gefaßt: Dies Haus wird unter keinen Umständen
für König und Vaterland kämpfen. Das bedeutet das Ende
der Gesinnung, die alle Parteibildungen bis dahin beherrscht hatte. Es
ist nicht unmöglich, daß die angelsächsischen Mächte
im Begriff sind zu vergehen. Und das westeuropäische Festland? Am
freiesten von diesem weißen Bolschewismus ist - Rußland, in
dem es keine »Partei« mehr gibt, sondern unter diesem Namen
eine regierende Horde altasiatischer Art. Hier gibt es auch keinen Glauben
mehr an ein Programm, sondern nur noch die Furcht vor dem Tode - durch
Entziehung der Lebensmittelkarte, des Passes, durch Verschickung in ein
Arbeitslager, durch eine Kugel oder den Strang. (Oswald Spengler,
Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 130-131 ).
Vergebens bemüht sich die Feigheit ganzer Schichten, für
eine versöhnliche »Mitte« gegen »rechts-«
und »links«radikale Tendenzen einzutreten. Die Zeit selbst
ist radikal. Sie duldet keine Kompromisse. Die Tatsache der bestehenden
Übermacht der Linken, der erwachende Wille zu einer Rechtsbewegung,
die einstweilen nur in engen Kreisen, in einigen Heeren, unter anderm
auch im englischen Oberhaus einen Stützpunkt hat, lassen sich nicht
aus der Welt schaffen oder verleugnen. Deshalb ist die liberale
Partei Englands verschwunden, und wird ihre Erbin, die Labour Party, in
der heutigen Gestalt verschwinden. Deshalb verschwanden die Mittelparteien
Deutschlands ohne Widerstand. Der Wille zur Mitte ist der greisenhafte
Wunsch nach Ruhe um jeden Preis, nach Verschweizerung der Nationen,
nach geschichtlicher Abdankung, mit der man sich einbildet, den
Schlägen der Geschichte entronnen zu sein. Der Gegensatz zwischen
gesellschaftlicher Rangordnung und städtischer Masse, zwischen Tradition
und Bolschewismus, zwischen dem überlegenen Dasein weniger und der
niederen, massenhaften Handarbeit oder wie man es nennen will, ist da.
Es gibt nichts Drittes. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung
- Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 131 ).
Aber ebenso ist es ein Irrtum, an die Möglichkeit einer einzigen
Partei zu glauben. Parteien sind liberal-demokratische Formen der Opposition.
Sie setzen eine Gegenpartei voraus. Eine Partei ist im Staate so
unmöglich, wie ein Staat in einer staatenlosen Welt. Die politische
Grenze des Landes oder der Gesinnung trennt immer zwei
Mächte voneinander. Es ist die Kinderkrankheit aller Revolutionen,
an eine siegreiche Einheit zu glauben, während das Problem der Zeit,
aus dem sie selbst hervorgegangen sind, den Zwiespalt fordert.
So werden die großen Krisen der Geschichte nicht gelöst.
Sie wollen reifen, um in neue, in neue Kämpfe überzugehen.
Der »totale Staat«, ein italienisches Schlagwort, das ein
internationales Modewort geworden ist, war schon von den Jakobinern verwirklicht
für die zwei Jahre des Terrors nämlich. Aber sobald sie
die verfallenen Mächte des ancien régime vernichtet und die
Diktatur begründet hatten, spalteten sie sich selbst in Girondisten
und Montagnards, und die ersten nahmen den verlassenen Platz ein. Ihre
Führer fielen der Linken zum Opfer, aber deren Nachfolger machten
es mit der Linken ebenso. Dann, mit dem Thermidor, begann das Warten auf
den siegreichen General. Man kann eine Partei als Organisation und Bürokratie
von Gehaltsempfängern zerstören, als Bewegung, als seelisch-geistige
Macht aber nicht. Der naturnotwendige Kampf wird damit in die übriggebliebene
Partei verlegt. Dort bilden sich neue Fronten, um ihn fortzusetzen. Er
läßt sich bestreiten und verdecken, aber er ist da. (Oswald
Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 131-132 ).
Das gilt vom Faschismus und von jeder der zahlreichen nach seinem
Muster entstandenen oder noch, etwa in Amerika, entstehenden Bewegungen.
Hier ist jede einzelne vor eine unvermeidliche Wahl gestellt. Man muß
wissen, ob man »rechts« oder »links« steht, mit
Entschiedenheit, sonst entscheidet der Gang der Geschichte darüber,
der stärker ist als alle Theorie und ideologische Träumerei.
Eine Versöhnung ist heute so unmöglich wie im Zeitalter der
Gracchen. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland
und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 132 ).
Der abendländische Bolschewismus ist nirgends tot
außer in Rußland. Wenn man seine Kampforganisationen vernichtet,
lebt er in neuen Formen weiter, als linker Flügel der Partei, die
ihn besiegt zu haben glaubt, als Gesinnung, über deren Vorhandensein
im eigenen Denken einzelne und ganze Massen sich gründlich täuschen
können (vgl. S. 58), als Bewegung, die
eines Tages plötzlich in organisierten Formen hervorbricht.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 132 ).
Was heißt denn »links«?
Schlagworte des vorigen Jahrhunderts wie Sozialismus, Marxismus, Kommunismus
sind veraltet; sie sagen nichts mehr. Man gebraucht sie, um sich nicht
Rechenschaft darüber ablegen zu müssen, wo man wirklich steht.
Aber die Zeit verlangt Klarheit. »Links« ist, was Partei ist,
was an Partei glaubt, denn das ist eine liberale Form des Kampfes gegen
die höhere Gesellschaft, des Klassenkampfes seit 1770, der Sehnsucht
nach Mehrheiten, nach dem Mitlaufen »aller«, Quantität
statt Qualität, die Herde statt des Herrn. Aber der echte Cäsarismus
aller endenden Kulturen stützt sich auf kleine starke Minderheiten.
Links ist, was ein Programm hat, denn das ist der intellektuelle, rationalistisch-romantische
Glaube, die Wirklichkeit durch Abstraktionen bezwingen zu können.
Links ist die lärmende Agitation auf dem Straßenpflaster und
in Volksversammlungen (vgl. S. 63), die Kunst,
die städtische Masse durch starke Worte und mittelmäßige
Gründe umzuwerfen: In der Gracchenzeit hat sich die lateinische Prosa
zu jenem rhetorischen Stil entwickelt, der zu nichts taugt als zu spitzfindiger
Rhetorik und den wir bei Cicero finden. Links ist die Schwärmerei
für Massen überhaupt als Grundlage der eigenen Macht, der Wille,
das Ausgezeichnete einzuebnen, den Handarbeiter mit dem Volk gleichzusetzen
unter verächtlichen Seitenblicken auf Bauern- und Bürgertum.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 132-133 ).
Eine Partei ist nicht nur eine veraltende
Form, sie ruht auch auf der schon veralteten Massenideologie, sie sieht
die Dinge von unten, sie läuft dem Denken der meisten nach. »Links«
ist zuletzt und vor allem der Mangel an Achtung vor dem Eigentum, obwohl
keine Rasse einen so starken Instinkt für Besitz hat wie die germanische,
und zwar deshalb, weil sie die willensstärkste aller historischen
Rassen gewesen ist. Der Wille zum Eigentum ist der nordische Sinn des
Lebens. Er beherrscht und gestaltet unsere gesamte Geschichte von
den Eroberungszügen halbmythischer Könige bis in die Form der
Familie der Gegenwart hinein, die stirbt, wenn die Idee des Eigentums
erlischt. Wer den Instinkt dafür nicht hat, der ist nicht »von
Rasse«. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland
und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 133 ).
Das ist die große
Gefahr der Mitte dieses Jahrhunderts, daß man fortsetzt, was man
bekämpfen möchte. Es ist das Zeitalter der Zwischenlösungen
und Übergänge. Aber solange das möglich ist, ist die Revolution
nicht zu Ende. Der Cäsarismus der Zukunft wird nicht überreden,
sondern mit der Waffe siegen. Erst wenn das selbstverständlich geworden
ist, wenn man die Mehrheit als Einwand empfindet, sie verachtet, wenn
jemand die Masse, die Partei in jedem Sinne, alle Programme und Ideologien
unter sich sieht, ist die Revolution überwunden. (Oswald Spengler,
Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 133-134 ).
Auch im Faschismus besteht die gracchische Tatsache zweier Fronten
- die linke der unteren städtischen Masse und die rechte der gegliederten
Nation vom Bauern bis zu den führenden Schichten der Gesellschaft
-, aber sie ist durch die napoleonische Energie eines Einzelnen unterdrückt.
Aufgehoben ist der Gegensatz nicht und kann es nicht sein ( )
und er wird in schweren Diadochenkämpfen in dem Augenblick wieder
zutage treten, wo diese eiserne Hand das Steuer verläßt. Auch
der Faschismus ist ein Übergang. Er hat sich von der städtischen
Masse her entwickelt, als Massenpartei mit lärmender Agitation und
Massenreden. Tendenzen des Arbeitersozialismus sind ihm nicht fremd. Aber
solange eine Diktatur »sozialen« Ehrgeiz hat, um des »Arbeiters«
willen da zu sein behauptet, auf den Gassen wirbt und populär ist,
so lange ist sie Zwischenform. Der Cäsarismus der Zukunft kämpft
nur um Macht, für ein Reich und gegen jede Art von Partei. Jede ideologische
Bewegung glaubt an das Endgültige ihrer Leistungen. Sie lehnt den
Gedanken ab, daß »nach ihr« die Geschichte weitergehe.
Noch fehlt ihr die cäsarische Skepsis und Menschenverachtung, das
tiefe Wissen um die Flüchtigkeit aller Erscheinungen. Der
schöpferische Gedanke Mussolinis war groß, und er hat eine
internationale Wirkung gehabt: Man sah eine mögliche Form, den Bolschewismus
zu bekämpfen. Aber diese Form ist in der Nachahmung des Feindes entstanden
und deshalb voller Gefahren: Die Revolution von unten, zum guten Teil
von Untermenschen gemacht und mitgemacht, die bewaffnete Parteimiliz -
im Rom Cäsars durch die Banden von Clodius und Milo vertreten -,
die Neigung, die geistige und wirtschaftliche Führerarbeit der ausführenden
Arbeit unterzuordnen, weil man sie nicht versteht, das Eigentum der anderen
gering zu achten, Nation und Masse zu verwechseln, mit einem Wort: die
sozialistische Ideologie des vorigen Jahrhunderts. (Oswald Spengler,
Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 134 ).
Das alles gehört zur Vergangenheit. Was die Zukunft vorwegnimmt,
ist nicht das Dasein des Faschismus als Partei, sondern einzig und allein
die Gestalt ihres Schöpfers. Mussolini ist nicht Parteiführer,
obwohl er Arbeiterführer war, sondern der Herr seines Landes. Wahrscheinlich
wäre sein Vorbild Lenin das auch geworden, wenn er länger gelebt
hätte. Die überlegene Rücksichtslosigkeit seiner Partei
gegenüber und den Mut, den Rückzug aus aller Ideologie anzutreten,
besaß er, Mussolini ist vor allem Staatsmann, eiskalt und skeptisch,
Realist, Diplomat. Er regiert wirklich allein. Er sieht alles die
seltenste Fähigkeit bei einem absoluten Herrscher. Selbst Napoleon
wurde von seiner Umgebung isoliert. Die schwersten Siege und die notwendigsten,
die ein Herrscher erficht, sind nicht die über Feinde, sondern über
die eigene Anhängerschaft, die Prätorianer, die »Ras«,
wie sie in Italien hießen. Damit beweist sich der geborene Herr.
Wer das nicht weiß und kann und wagt, schwimmt wie ein Flaschenkork
auf der Welle, oben und doch ohne Macht. Der vollendete Cäsarismus
ist Diktatur, aber nicht die Diktatur einer Partei, sondern die eines
Mannes gegen alle Parteien, vor allem die eigene. Jede revolutionäre
Bewegung kommt mit einer Avantgarde von Prätorianern zum Sieg, die
dann nicht mehr brauchbar und nur noch gefährlich sind. Der wirkliche
Herr zeigt sich in der Art, wie er sie verabschiedet, rücksichtslos,
undankbar, nur auf sein Ziel blickend, für das er die richtigen Männer
erst zu finden hat und zu finden weiß. Das Gegenteil zeigt die französische
Revolution am Anfang: Niemand hat die Macht, alle wollen sie haben. Jeder
befiehlt, und niemand gehorcht. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung
- Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 134-135 ).
Mussolini ist ein Herrenmensch wie die Kondottieri der Renaissance,
der die südliche Schlauheit der Rasse in sich hat und deshalb das
Theater seiner Bewegung vollkommen richtig für den Charakter Italiens
die Heimat der Oper berechnet, ohne je selbst davon berauscht
zu sein, wovon Napoleon nicht ganz frei war und woran zum Beispiel Rienzi
zugrunde ging. Wenn Mussolini sich auf das preußische Vorbild beruft,
so hatte er recht: er ist Friedrich dem Großen näher verwandt,
selbst dessen Vater, als Napoleon, um von geringeren Beispielen zu schweigen.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 135 ).
Hier muß endlich das entscheidende Wort über »Preußentum«
und »Sozialismus« ( )
gesagt werden. Ich hatte 1919 beide verglichen, eine lebendige Idee
und das herrschende Schlagwort eines vollen Jahrhunderts (vgl.
Politische Schriften, S. 1 ff.), und bin - ich möchte
sagen: selbstverständlich - nicht verstanden worden. .... Ich hatte
gezeigt, daß in der von Bebel zu einer gewaltigen Armee geschmiedeten
Arbeiterschaft, ihrer Disziplin und Gefolgstreue, ihrer Kameradschaft,
ihrer Bereitschaft zu den äußersten Opfern jener altpreußischen
Stil fortlebte, der sich zuerst in den Schlachten des Siebenjährigen
Krieges bewährt hatte. Auf den einzelnen »Sozialisten«
als Charakter, auf seine sittlichen Imperative kam es an, nicht auf den
in seinem Kopf gehämmerten Sozialismus .... Und ich zeigte, daß
dieser Typus des In-Form-Seins für eine Aufgabe seine Tradition
bis zum Deutschritterorden zurückführt, der in gotischen Jahrhunderten
- wie heute wieder - die Grenzwacht der faustischen Kultur gegen Asien
hielt. Diese ethische Haltung, unbewußt wie jeder echte Lebensstil
und deshalb nur durch lebendiges Vorbild, nicht durch Reden und Schreiben
zu wecken und heranzubilden, trat im August 1914 prachtvoll hervor
das Heer hatte Deutschland erzogen und wurde 1918 von den
Parteien verraten, als der Staat erlosch. Seitdem richtete sich
das disziplinierte Wollen in der nationalen Bewegung wieder auf, nicht
in ihren Programmen und Parteien, sondern in der sittlichen Haltung
der besten Einzelnen (ich habe diese Haltung in
den »Politischen Pflichten der deutschen Jugend« 1924
zu zeichnen versucht), und es ist möglich, daß von dieser
Grundlage aus das deutsche Volk für die Aufgaben seiner schweren
Zukunft langsam und beharrlich erzogen wird, und es ist notwendig,
wenn wir nicht in den kommenden Kämpfen zugrunde gehen sollen.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 135-136 ).
Aber die Flachköpfe kommen nicht aus dem marxistischen Denken
des vorigen Jahrhunderts heraus. Sie verstehen überall in der Welt
den Sozialismus nicht als sittliche Lebensform, sondern als Wirtschaftssozialismus,
als Arbeitersozialismus, als Massenideologie mit materialistischen
Zielen. Der Programmsozialismus jeder Art ist Denken von unten, auf gemeinen
Instinkten ruhend, Apotheose des Herdengefühls, das sich heute allenthalben
hinter dem Schlagwort »Überwindung des Individualismus«
versteckt, und das Gegenteil von preußischen Empfinfen, das an vorbildlichen
Führern die Notwendigkeit einer disziplinierten Hingabe erlebt hat
und damit die innere Freiheit der Pflichterfüllung besitzt, das Sich-selbst-befehlen,
Sich-selbst-beherrschen im Hinblick auf ein großes Ziel.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 136-137 ).
Der Arbeitersozialismus in jeder
Form dagegen ist - ich habe das schon gezeigt ( )
- durchaus englischer Herkunft und zugleich mit der Herrschaft der Aktie
als der siegreichen Form des heimatlosen Finanzkapitals um 1840 entstanden.
( ).
Beides ist Ausdruck des freihändlerischen Manchestertums: Dieser
»weiße« Bolschewismus ist Kapitalismus von unten,
Lohnkapitalismus, wie das spekulierende Finanzkapital seiner Methode
nach Sozialismus von oben, von der Börse her ist. Beide entstammen
derselben geistigen Wurzel, dem Denken in Geld ( ),
dem Handel mit Geld auf dem Pflaster der Weltstädte - ob als Lohnhöhe
oder Kursgewinn, ist eine Nebenfrage. Zwischen wirtschaftlichem Liberalismus
und Sozialismus besteht kein Gegensatz. Der Arbeitsmarkt ist die Börse
des organisierten Proletariats. Die Gewerkschaften sind Trusts für
Lohnerpressung von derselben Tendenz und Methode wie die Öl-, Stahl-
und Banktrusts nach angloamerikanischem Muster, deren Finanzsozialismus
die persönlich und fachmännisch geleiteten Einzelunternehmen
durchdringt, unterwirft, aussaugt und bis zur planwirtschaftlichen Enteignung
beherrscht. Die verheerende, enteignende Eigenschaft der Aktienpakete
und Beteiligungen, die Trennung des bloßen »Habens«
von der verantwortlichen Führerarbeit des Unternehmers, der gar nicht
mehr weiß, wem eigentlich sein Werk gehört, ist noch lange
nicht genug beachtet worden. Die produktive Wirtschaft ist zuletzt nichts
als das willenlose Objekt für Börsenmanöver. Erst mit der
Herrschaft der Aktie hat die Börse, bis dahin ein bloßes Hilfsmittel
der Wirtschaft, die Entscheidung über das Wirtschaftsleben an sich
genommen. Diese Finanzsozialisten und Trustmagnaten wie Morgan und Kreuger
entsprechen durchaus den Masseführern der Arbeiterparteien und den
russischen Wirtschaftskommissaren: Händlernaturen mit dem gleichen
Parvenügeschmack. Von beiden Seiten her werden, heute wie zur Gracchenzeit,
die konservativen Mächte des Staates, des Heeres, des Eigentums,
der Bauer wie der Unternehmer bekämpft. (Oswald Spengler, Jahre
der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 137-138 ).
Aber der preußische Stil fordert nicht nur den Vorrang der
großen Politik vor der Wirtschaft, deren Disziplinierung
durch einen starken Staat, was die freie Initiative des privaten Unternehmergeistes
voraussetzt und nichts weniger ist als parteimäßige, programmatische
Organisation und Überorganisation bis zur Aufhebung der Idee des
Eigentums, welche gerade unter germanischen Völkern Freiheit
des wirtschaftlichen Willens und Herrschaft über das Eigene
bedeutet. (Das altgermanische Wort eigan bedeutet
herrschen: nicht nur etwas »haben«, sondern unumschränkt
darüber verfügen ).
»Disziplinierung« ist die Schulung eines Rassepferdes durch
einen erfahrenen Reiter und nicht die Pressung des lebendigen Wirtschaftskörpers
in ein planwirtschaftliches Korsett oder seine Verwandlung in eine taktmäßig
klappernde Maschine. Preußisch ist die aristokratische Ordnung
des Lebens nach dem Rang der Leistung. Preußisch ist vor allem der
unbedingte Vorrang der Außenpolitik, der erfolgreichen Leitung des
Staates in einer Welt von Staaten, über die Politik im Innern, die
lediglich die Nation für diese Aufgabe in Form zu halten hat und
zum Unfug und zum Verbrechen wird, wenn sie unabhängig davon eigene,
ideologische Zwecke verfolgt. Hierin liegt die Schwäche der meisten
Revolutionen, deren Führer durch Demagogie emporgekommen sind, nichts
anderes gelernt haben und deshalb den Weg vom parteimäßigen
zum staatsmännischen Denken nicht zu finden wissen - wie Danton und
Robespierre. Mirabeau und Lenin starben zu früh, Mussolini ist es
geglück. Aber die Zukunft gehört den großen Tatsachenmenschen,
nachdem seit Rousseau Weltverbesserer sich auf der Bühne der Weltgeschichte
gespreizt haben und ohne bleibende Spur verschwunden sind. (Oswald
Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 138 ).
Preußisch ist endlich ein Charakter, der sich selbst diszipliniert,
wie ihn Friedrich der Große besaß und in dem Wort vom ersten
Diener seines Staates umschrieben hat. Ein solcher Diener ist kein Bedienter,
aber wenn Bebel meinte, daß das deutsche Volk eine Bedientenseele
besitze, so hatte er für die meisten recht. Seine eigene Partei bewies
es 1918. Die Lakaien des Erfolges sind bei uns zahlreicher als anderswo,
obwohl sie zu allen Zeiten und in allen Völkern die menschliche Herde
gefüllt haben. Es ist gleichgültig, ob der Byzantinismus seine
Orgien vor dem Geldsack, dem politischen Glück, einem Titel oder
nur vor Geßlers Hut vollzieht. Als Karl II. in England landete,
gab es plötzlich keine Republikaner mehr. Diener des Staates sein
ist eine aristokratische Tugend, deren nur wenige fähig sind.
Wenn das »sozialistisch« ist, so ist es ein stolzer und exklusiver
Sozialismus für Menschen von Rasse, für die Auserwählten
des Lebens. Preußentum ist etwas sehr Vornehmes und gegen jede Art
von Mehrheit und Pöbelherrschaft gerichtet, vor allem auch gegen
die der Masseeigenschaften. Moltke, der große Erzieher des deutschen
Offiziers, das größte Beispiel für echtes Preußentum
im 19. Jahrhundert, war so. Graf Schließen hat seine Persönlichkeit
in dem Wahlspruch zusammengefaßt: Wenig reden, viel leisten, mehr
sein als scheinen. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung -
Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 138-139 ).
Von dieser Idee des preußischen Daseins wird die endliche
Überwindung der Weltrevolution ausgehen. Es gibt keine andere Möglichkeit.
Ich hatte schon 1919 gesagt: Nicht jeder ist Preuße, der in Preußen
geboren ist; dieser Typus ist überall in der weißen Welt möglich,
und wirklich, wenn auch noch so selten, vorhanden. Er liegt der vorläufigen
Form der nationalen Bewegungen sie sind nichts Endgültiges
überall zugrunde, und es fragt sich, in welchem Grade es gelingt,
ihn von den rasch veraltenden, populären parteimäßig-demokratischen
Elementen des liberalen undsozialistischen Nationalismus zu lösen,
die ihn einstweilen beherrschen. Das schweigende Nationalgefühl der
Engländer um 1900, das heute unsicher geworden ist, der prahlerisch
gehaltlose Chauvinismus der Franzosen, der in der Dreyfusaffäre lärmend
zutage trat, gehörten dazu, dort am Kultus der Flotte, hier an dem
der Armee hängend. Amerika besitzt dergleichen nicht der hundertprozentige
Amerikanismus ist eine Phrase und es braucht ihn, wenn es die kommende
Katastrophe zwischen dem lauernden Kommunismus und der schon untergrabenen
Hochfinanz als Nation überhaupt überdauern soll. Die preußische
Idee richtet sich gegen den Finanzliberalismus wie gegen den Arbeitersozialismus.
Jede Art von Masse und Mehrheit, alles was »links« ist, ist
ihr verdächtig. Vor allem richtet sie sich gegen die Schwächung
des Staates und seinen herabwürdigenden Mißbrauch für
Wirtschaftsinteressen. Sie ist konservativ und »rechts« und
wächst aus den Urmächten des Lebens hervor, soweit sie in nordischen
Völkern noch vorhanden sind: dem Instinkt für Macht und Eigentum,
für Eigentum als Macht, für Erbe (von
dem ererbten Bauernhof, der Werkstatt, der Firma mit altem Namen bis zur
Erbmonarchie: die Republik ist seit 1789 eine Form der Opposition gegen
den Erbgedanken, nichts anderes ),
Fruchtbarkeit und Familie denn das gehört zusammen ,
für Rangunterschiede und gesellschaftliche Gliederung, deren Todfeind
der Rationalismus von 1750 bis 1950 war oder ist. Der Nationalismus der
Gegenwart ist mit der in ihm verborgen liegenden monarchischen Gesinnung
ein Übergang. Er ist eine Vorstufe des kommenden Cäsarismus,
mag der auch in noch so weiter Ferne zu liegen scheinen. Hier regt sich
der Ekel an allem liberalen und sozialistischen Parteiwesen, an jeder
Art von Volkstümlichkeit, die stets ihr Objekt kompromittiert, an
allem, was in Masse auftritt und mitreden will. Dieser Zug, mag er noch
so tief unter »zeitgemäßeren« Tendenzen verborgen
sein, hat die Zukunft für sich und die Führer der Zukunft.
Alle wirklich großen Führer in der Geschichte gehen nach rechts,
mögen sie aus noch so großer Tiefe emporgekommen sein: daran
erkennt man den geborenen Herrn und Herrscher. Das gilt von Cromwell
und Mirabeau wie von Napoleon. Je reifer die Zeit wird, desto aussichtsvoller
ist dieser Weg. Der ältere Scipio ging an dem Konflikt zwischen den
Traditionen seiner Herkunft, welche ihm die gesetzlose Diktatur verboten,
und der geschichtlichen Stellung, die er durch die Rettung Roms vor der
karthagischen Gefahr erhalten hatte, ohne es zu wollen, zugrunde und starb
in der Fremde. Damals begann die revolutionäre Bewegung erst
die traditionsgesättigten Formen zu untergraben, so daß der
jüngere Scipio gegen die Gracchen noch eine schwache, Sulla gegen
Marius bereits eine sehr starke Stellung hatte, bis endlich Cäsar,
der als Catilinarier begann, keinen parteimäßigen Widerstand
mehr fand. Denn die Pompejaner waren keine Partei, sondern der Anhang
eines Einzelnen. Die Weltrevolution, so stark sie beginnt, endet nicht
in Sieg oder Niederlage, sondern in Resignation der vorwärtsgetriebenen
Massen. Ihre Ideale werden nicht widerlegt; sie werden langweilig.
Sie bringen zuletzt niemand mehr dazu, sich für sie aufzuregen. Wer
vom Ende des »Bürgertums« redet, kennzeichnet sich damit
noch als Proletarier. Er hat mit der Zukunft nichts zu schaffen. Eine
»nichtbürgerliche« Gesellschaft läßt sich
nur durch Terror und nur für ein paar Jahre halten dann hat
man sie satt, abgesehen davon, daß inzwischen die Arbeiterführer
zu neuen Bürgern geworden sind. Und das ist nicht der Geschmack von
echten Führernaturen. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung
- Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 139-141 ).
Der Sozialismus jeder Art ist heute so veraltet wie seine
liberalen Ausgangsformen, wie alles, was mit Partei und Programm zusammenhängt.
Das Jahrhundert des Arbeiterkultus 1840 bis 1940 ist unwiderruflich
zu Ende. Wer heute »den Arbeiter« besingt, hat die Zeit nicht
verstanden. Der Handarbeiter tritt in das Ganze der Nation zurück,
nicht mehr als ihr verwöhntes Schoßkind, sondern als die unterste
Stufe der städtischen Gesellschaft. Die vom Klassenkampf herausgearbeiteten
Gegensätze werden wieder zu bleibenden Unterschieden
(vgl. S. 66) von Hoch und Niedrig, und man
gibt sich damit zufrieden. Es ist die Resignation der römischen Kaiserzeit,
in der es keine wirtschaftlichen Probleme dieser Art mehr gab. Aber was
kann in den letzten Zeiten der sozialistischen Weltanarchie noch zerstört
und eingeebnet werden! So viel, daß in manchen weißen Völkern
kein Stoff mehr vorhanden sein wird, mit dem ein Cäsar seine Schöpfung
aufbauen könnte, sein Heer denn Heere werden in Zukunft
die Parteien ablösen und seinen Staat. (Oswald Spengler,
Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 141 ).
Ist in dem, was sich heute in allen weißen Ländern,
die am Kriege beteiligt waren, unklar genug die »Jugend«,
die »Frontgeneration« nennt (sind das
Männer, die 1918 20 bis 50 Jahre alt waren oder die heute 20 bis
30 Jahre alt sind?), überhaupt schon ein tragfähiges
Fundament für solche Männer und Aufgaben der Zukunft vorhanden?
Die tiefe Erschütterung durch den großen Krieg, die alle Welt
aus den trägen Illusionen von Sicherheit und Fortschritt als dem
Sinn der Geschichte herausriß, zeigt sich nirgends deutlicher als
in dem seelischen Chaos, das er hinterließ. Daß man sich dessen
nicht im geringsten bewußt ist und eine neue Ordnung in sich zu
tragen glaubt, beweist sein Vorhandensein mehr als irgend etwas anderes.
Den Menschen, die um 1890 geboren sind, hat der Anblick eines wirklich
großen Führers gefehlt. Die Gestalten Bismarcks und Moltkes,
um von andern Ländern zu schweigen, waren bereits im Nebel einer
historischen Literatur verschwunden. Sie hätten ein Maßstab
für echte Größe sein können, aber nicht ohne lebendige
Gegenwart, und der Krieg hat nicht einen bedeutenden Monarchen, keinen
überragenden Staatsmann, keinen siegreichen Schlachtendenker an entscheidender
Stelle gezeigt. Alle Denkmäler und Straßennamen helfen darüber
nicht hinweg. Die Folge davon war ein völliger Mangel an Autoritätsgefühl,
mit dem die Millionen beider Seiten aus den Schützengräben nach
Hause kamen. Er zeigte sich in der hemmungslosen jungenhaften Kritik an
allem Vorhandenen, Menschen und Dingen, ohne daß vor allem einmal
eine Spur von Selbstkritik dagewesen wäre. Man lachte über das
Gestern, ohne seine fortbestehende Macht zu ahnen. Er zeigte sich vor
allem in der Art, mit der man allenthalben nach Diktaturen eigenen Geschmacks
schrie, ohne einen Diktator zu kennen oder anzuerkennen, mit der man Führer
heute wählte und anbetete und morgen verwarf Primo de Rivera,
d'Annunzio, Ludendorff , das Führertum als ein Problem diskutierte,
statt bereit zu sein, es als Tatsache hinzunehmen, wenn es einmal da sein
sollte. Der politische Dilettantismus führte das große Wort.
Jeder schrieb seinem künftigen Diktator vor, was er zu wollen hatte.
Jeder forderte Disziplin von den andern, weil er der Selbstdisziplin nicht
fähig war. Weil man vergessen hatte, was ein Staatenlenker ist, verfiel
man in eine Hysterie der Programme und Ideale, und erging sich redend
und schreibend in wüsten Träumen von dem, was bedingungslos
umgestaltet werden sollte denn daß das möglich war,
setzte man als selbstverständlich voraus. Der Mangel an Respekt vor
der Geschichte war in keiner Zeit größer als in diesen Jahren.
Daß die Geschichte ihre eigene Logik hat, an der alle Programme
scheitern, wußte man nicht und wollte man nicht wahrhaben. Aber
Bismarck kam zum Ziel, weil er den Gang der Geschichte seines Jahrhunderts
begriffen hatte und sich in sie einfügte. Das war große Politik
als die Kunst des Möglichen. (Oswald Spengler, Jahre
der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 141-142 ).
Aus dieser »Jugend« aller weißen Länder,
welche eine Weltrevolution von zwei Jahrhunderten von unten her »beenden«
wollte, weil sie sie nicht begriff, und zwar in der Gestalt des Bolschewismus,
von dem sie selbst so viel in sich hatte, erhob sich das typisch revolutionäre
Geschrei gegen den »Individualismus«, in Deutschland, in England,
in Spanien, überall. Sie waren alle selbst kleine Individualisten
sehr kleine, ohne Talent, ohne Tiefe, aber eben deshalb von dem
krampfhaften Bedürfnis besessen, recht zu haben und haßten
deshalb die Überlegenheit der größeren, denen wenigstens
ein Hauch von Skepsis sich selbst gegenüber nicht fremd war. Alle
Revolutionäre sind humorlos daran scheitern sie alle.
Kleiner Eigensinn und Mangel an Humor das ist die Definition des
Fanatismus. Daß Führertum, Autorität, Respekt und »Sozialismus«
sich ausschließen, kam ihnen gar nicht zu Bewußtsein. Dieser
Antiindividualismus ist die theoretische Mode des Augenblicks, unter den
Intellektuellen wider Willen aller weißen Länder, wie es gestern
ein Individualismus war, der sich nicht sehr davon unterschied. So kümmerlich
diese Art von Geist ist, sie ist das einzige, was sie haben. Es ist Literatentum
der großen Städte, nichts anderes, und nichts weniger als neu,
denn schon die Jakobiner hatten sich daran müde geredet. Mangel an
Intelligenz ist noch keine Überwindung des Rationalismus. (Oswald
Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 142-143 ).
Die Einebnung der Gehirne hat sich vollzogen: Man versammelt sich
»in Masse«, man will »in Masse«, man denkt »in
Masse«. Wer nicht mitdenkt, wer selbst denkt, wird als Gegner empfunden.
Die Masse statt der Gottheit ist nun das, worin sich das träge, dumme,
an allerlei Hemmungen kranke Ich »versenkt«: Auch das ist
»Erlösung«. Es ist beinahe mystisch. Das wußte
man schon 1792. Es ist das Bedürfnis des Pöbels, mitzulaufen
und mitzutun. Aber der preußische Stil ist ein Entsagen aus freiem
Entschluß, das Sichbeugen eines starken Ichs vor einer großen
Pflicht und Aufgabe, ein Akt der Selbstbeherrschung und insofern das Höchste
an Individualismus, was der Gegenwart möglich ist. (Oswald
Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 144 ).
Die keltisch-germanische »Rasse« ist die willensstärkste,
welche die Welt gesehen hat. Aber dies »Ich will« - Ich
will! - das die faustische Seele bis an den Rand erfüllt, den
letzten Sinn ihres Daseins ausmacht und jeden Ausdruck der faustischen
Kultur in Denken, Tun, Bilden und Sichverhalten beherrscht, weckte das
Bewußtsein der vollkommenen Einsamkeit des Ich im unendlichen Raum.
Wille und Einsamkeit sind im letzten Grunde dasselbe. Daher das Schweigen
Moltkes und auf der anderen Seite das Bedürfnis des weicheren, weiblicheren
Goethe nach immer wiederholten Bekenntnissen vor einer selbstgewählten
Mitwelt, das alle seine Werke durchdringt. Es war die Sehnsucht nach einem
Echo aus dem Weltraum, das Leiden einer zarten Seele an dem Monologischen
ihres Daseins. Man kann auf die Einsamkeit stolz sein oder an ihr leiden,
aber man läuft nicht davon. Der religiöse Mensch der »ewigen
Wahrheiten« wie Luther sehnt sich nach Gnade und Erlösung
von diesem Geschick, will sie erkämpfen, selbst ertrotzen. Der politische
Mensch des Nordens aber entwickelt daraus einen gigantischen Trotz
der Wirklichkeit gegenüber: »Du vertraust mehr auf dein
Schwert als auf Thor« heißt es in einer isländischen
Saga. Wenn etwas in der Welt Individualismus ist, so ist es dieser Trotz
des Einzelnen gegen die ganze Welt, das Wissen um den eigenen unbeugsamen
Willen, die Freude an letzten Entscheidungen und die Liebe zum Schicksal
selbst in dem Augenblick« wo man an ihm zerbricht. Und preußisch
ist das Sichbeugen aus freiem Willen. Der Wert des Opfers liegt
darin, daß es schwer ist. Wer kein Ich zu opfern hat, sollte
nicht von Gefolgstreue reden. Er läuft nur hinter jemand her, dem
er die Verantwortung aufgeladen hat. Wenn etwas heute in Erstaunen setzen
sollte, so ist es die Kümmerlichkeit des sozialistischen Ideals,
mit dem man die Welt erlösen möchte. Das ist keine Befreiung
von den Mächten der Vergangenheit; es ist die Fortsetzung ihrer schlechtesten
Neigungen. Es ist Feigheit dem Leben gegenüber. (Oswald
Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 144-145 ).
Die echte echt preußische Gefolgstreue
ist das, was die Welt in diesem Zeitalter der großen Katastrophen
am nötigsten hat. Man stützt sich nur auf etwas, das Widerstand
leistet. An dieser Einsicht bewährt sich der wirkliche Führer.
Wer aus der Masse stammt, muß um so besser wissen, daß Masse,
Mehrheiten, Parteien keine Gefolgschaft sind. Sie wollen nur Vorteile.
Sie lassen den Vorangehenden im Stich, sobald er Opfer verlangt. Wer von
der Masse aus denkt und fühlt, wird in der Geschichte nie etwas anderes
hinterlassen als den Ruf eines Demagogen. Hier scheiden sich die Wege
nach links und rechts: Der Demagoge lebt unter der Masse stets unter seinesgleichen.
Der zum Herrschen Geborene kann sie benützen, aber er verachtet
sie. Er führt den schwersten Kampf nicht gegen den Feind, sondern
gegen den Schwärm seiner allzu ergebenen Freunde. (Oswald Spengler,
Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 145 ).
Deshalb sind Heere und nicht Parteien die künftige
Form der Macht, Heere von selbstloser Ergebenheit, wie Napoleon seit Wagram
keines mehr besaß: Seine alten Soldaten waren zuverlässig,
die höheren Offiziere nicht, und der Wert jedes Heeres bemißt
sich zuerst nach diesen. (Vgl. S. 32 ff..)
Man sah in ihm nicht den Führenden, sondern den ewig Gebenden. Sobald
die geforderten Opfer die Vorteile überwogen, war es mit der Großen
Armee zu Ende. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland
und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 145-146 ).
Es wird Zeit, daß die »weiße« Welt und
Deutschland zuerst sich auf solche Tatsachen besinnt. Denn hinter den
Weltkriegen und der noch unbeendeten proletarischen Weltrevolution taucht
die größte aller Gefahren auf, die farbige, und alles,
was in den weißen Völkern noch an »Rasse« vorhanden
ist, wird nötig sein. um ihr zu begegnen. Deutschland vor allem ist
keine Insel, wie die politischen Ideologen meinen, die an ihm als Objekt
ihre Programme verwirklichen möchten. Es ist nur ein kleiner Fleck
in einer großen und gärenden Welt, allerdings in entscheidender
Lage. Aber es hat allein das Preußentum als Tatsache
in sich. Mit diesem Schatz von vorbildlichem Sein kann es der Erzieher
der »weißen« Welt, vielleicht ihr Retter werden.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 146 ).
Die farbige Weltrevolution (S. 147-165).
Tatsache der zwei Revolutionen: Klassenkampf
und Rassenkampf (S. 147) - Die Revolution von außen
gegen das römische Imperium (S. 148) - Lage der weißen Völker.
Versailles ein Sieg der farbigen Welt (S. 150) - Das aktive Asien: Rußland
und Japan (S. 151) - Indianer (S. 154) - Neger (S. 156) - Indien und
China (S. 156) - Müdigkeit der weißen Völker: Unfruchtbarkeit
(S. 157) - Pazifismus, panem et circenses (S. 161) - Gefahr der Verständigung
zwischen den Farbigen und dem weißen Proletariat (S. 164) - Eintritt
in die entscheidenden Jahrzehnte (S. 165).
Die abendländische
Zivilisation dieses Jahrhunderts wird nicht von einer, sondern von zwei
Weltrevolutionen größten Ausmaßes bedroht. Sie sind beide
noch nicht in ihrem wahren Umfange, ihrer Tiefe und ihren Wirkungen erkannt
worden. Die eine kommt von unten, die andere von außen: Klassenkampf
und Rassenkampf. Die eine liegt zum großen Teil hinter uns, wenn
auch ihre entscheidenden Schläge - etwa in der angloamerikanischen
Zone - wahrscheinlich noch bevorstehen. Die andere hat erst im Weltkrieg
mit Entschiedenheit begonnen und gewinnt sehr rasch feste Tendenz und
Gestalt. In den nächsten Jahrzehnten werden beide nebeneinander kämpfen,
vielleicht als Verbündete: es wird die schwerste Krise sein, durch
welche die weißen Völker - ob einig oder nicht - gemeinsam
hindurchgehen müssen, wenn sie noch eine Zukunft haben wollen.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 147 ).
Auch die »Revolution von außen« hat sich gegen
jede der vergangenen Kulturen erhoben. Sie ging stets aus dem zähneknirschenden
Haß hervor, den die unangreifbare Überlegenheit einer Gruppe
von Kulturnationen, welche auf den zur Höhe gereiften politischen,
militärischen, wirtschaftlichen und geistigen Formen und Mitteln
beruhte, ringsum bei den hoffnungslos Unterlegenen, den »Wilden«
oder »Barbaren«, den rechtlos Ausgebeuteten hervorrief. Dieser
Kolonialstil fehlt keiner Hochkultur. Aber ein solcher Haß schloß
eine geheime Verachtung der fremden Lebensform nicht aus, die man allmählich
kennenlernte, spöttisch durchschaute und zuletzt hinsichtlich der
Grenzen ihrer Wirkung abzuschätzen wagte. Man sah, daß sich
vieles nachahmen ließ, daß anderes unschädlich gemacht
werden konnte oder nicht die Kraft besaß, die man ihm anfangs in
starrem Entsetzen zugeschrieben hatte. ( ).
Man schaute den Kriegen und Revolutionen innerhalb der Welt dieser Herrenvölker
zu, wurde durch zwangsweise Verwendung in die Geheimnisse der Bewaffnung
( ),
Wirtschaft und Diplomatie eingeweiht. Man zweifelte endlich an der wirklichen
Überlegenheit der Fremden, und sobald man fühlte, daß
deren Entschlossenheit zu herrschen nachließ, begann man über
einen möglichen Angriff und Sieg nachzudenken. So war es im China
des dritten Jahrhunderts v. Chr., wo die Barbarenvölker nördlich
und westlich des Hoangho und südlich des Jangtsekiang in die Entscheidungskämpfe
der Großmächte hineingezogen wurden, in der arabischen Welt
der Abbasidenzeit, wo türkisch-mongolische Stämme erst als Söldner,
dann als Herren auftraten, und so war es vor allem in der Antike, wo wir
die Ereignisse genau übersehen können, die vollkommen denen
gleichen, in die wir unwiderruflich hineinschreiten. (Oswald Spengler,
Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 147-148 ).
Die Barbarenangriffe auf die antike Welt beginnen mit den Keltenzügen
seit 300 v. Chr., die immer wieder gegen Italien erfolgten, wo in der
Entscheidungsschlacht bei Sentinum (295) gallische Stämme die Etrusker
und Samniten gegen Rom unterstützten und noch Hannibal sich ihrer
mit Erfolg bedient hat. Um 280 eroberten andere Kelten Makedonien und
Nordgriechenland, wo infolge der innerpolitischen Kämpfe jede staatliche
Macht zu existieren aufgehört hatte, und wurden erst vor Deiphi aufgehalten.
In Thrakien und Kleinasien gründeten sie Barbarenreiche über
einer hellenisierten, zum Teil hellenischen Bevölkerung. Etwas später
beginnt auch im Osten, in dem zerfallenen Reich Alexanders des Großen,
die barbarische Reaktion unter zahllosen Aufständen gegen die hellenische
Kultur, die Schritt für Schritt zurückweichen muß ( ),
so daß seit 100 etwa Mithridates in Verbindung mit ... »Wilden«
(Skythen und Bastarnen) und auf das immer stärkere Vordringen der
Parther von Ostiran gegen Syrien rechnend hoffen durfte, den im vollen
Chaos der Klassenkämpfe befindlichen römischen Staat zu zerstören.
Er konnte erst in Griechenland aufgehalten werden. Athen und andere Städte
hatten sich ihm angeschlossen, auch keltische Stämme, die noch in
Makedonien saßen. In den römischen Heeren herrschte offene
Revolution. Die einzelnen Teile kämpften gegeneinander, und die Führer
brachten sich gegenseitig um, selbst vor dem Feinde (Fimbria). Damals
hörte das römische Heer auf, eine nationale Truppe zu sein,
und verwandelte sich in die persönliche Gefolgschaft von Einzelnen.
Was Hannibal 218 gegen Rom geführt hatte, waren nicht eigentlich
Karthager gewesen, sondern überwiegend Leute aus den wilden Stämmen
des Atlas und Südspaniens, mit denen Rom dann seit 146 furchtbare
und endlose Kämpfe zu führen hatte - die Verluste in diesen
Kriegen waren es, die zur Auflehnung des römischen Bauerntums in
den gracchischen Unruhen geführt haben - und mit denen der Römer
Sertorius später einen gegen Rom gerichteten Staat zu gründen
versuchte. Seit 113 erfolgte der keltisch-germanische Angriff der Kimbern
und Teutonen, der erst nach der Vernichtung ganzer römischer Heere
von dem Revolutionsführer Marius zurückgewiesen werden konnte,
nachdem dieser von der Besiegung Jugurthas zurückgekehrt war, der
Nordafrika gegen Rom in Waffen gebracht und durch Bestechung der römischen
Politiker jahrelang jede Gegenwirkung verhindert hatte. Um 60 begann eine
zweite keltisch-germanische Bewegung (Sueven, Helvetier), der Cäsar
durch die Eroberung Galliens entgegentrat, während zur selben Zeit
Crassus gegen die siegreichen Parther fiel. Aber dann war es mit dem Widerstand
durch Ausdehnung zu Ende. Der Plan Cäsars, das Alexanderreich wieder
zu erobern und damit die Parthergefahr zu beseitigen, blieb unausgeführt.
Tiberius mußte die Grenze in Germanien zurückverlegen, nachdem
es nicht gelungen war, die in der Varusschlacht vernichteten Truppen zu
ersetzen und beim Tode des Augustus der erste große Aufstand der
Grenzlegionen stattgefunden hatte. Seitdem herrschte ein System der Defensive.
Aber die Armee füllte sich mehr und mehr mit Barbaren. Sie wird eine
unabhängige Macht. Germanen, Illyrier, Afrikaner, Araber kommen als
Führer empor, während die Menschen des Imperiums im Fellachentum
eines »ewigen Friedens« versinken, und als vom Norden und Osten
her die großen Angriffe begannen, schloß nicht nur die Zivilbevölkerung
Verträge mit den Eindringenden ab und ging freiwillig in ein Untertanenverhältnis
zu ihnen über: Der späte Pazifismus einer müden Zivilisation.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 148-149 ).
Aber immerhin war durch Jahrhunderte eine planmäßige
Abwehr dieser Zustände möglich, weil der Orbis terrarum des
römischen Reiches ein geschlossenes Gebiet war, das Grenzen hatte,
die verteidigt werden konnten. Viel schwerer ist die Lage beim heutigen
Imperium der weißen Völker, das die ganze Erdoberfläche
umfaßt und die »Farbigen« einschließt. Die weiße
Menschheit hat sich in ihrem unbändigen Drang zur unendlichen Ferne
überallhin zerstreut, über Nord- und Südamerika, Südafrika,
Australien und über zahllose Stützpunkte dazwischen. Die gelbe,
braune, schwarze und rote Gefahr lauert innerhalb des weißen Machtbereiches,
dringt in die kriegerischen und revolutionären Auseinandersetzungen
zwischen den weißen Mächten ein, beteiligt sich an ihnen und
droht die Entscheidung zuletzt selbst in die Hand zu bekommen. (Oswald
Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 149-150 ).
Was alles gehört denn zur
»farbigen« Welt? ( ).
Nicht nur Afrika, die Indianer - neben Negern und Mischlingen - in ganz
Amerika, die islamischen Völker, China, Indien bis nach Java hin,
sondern vor allem Japan und Rußland, das wieder eine asiatische,
»mongolische« Großmacht geworden ist. Als die Japaner
Rußland besiegten, leuchtete eine Hoffnung über ganz Asien
auf: Ein junger asiatischer Staat hatte mit westlichen Mitteln eine große
Macht des Westens in die Knie gezwungen und damit den Nimbus der Unüberwindlichkeit
zerstört, der »Europa« umgab. Das wirkte wie ein Signal,
in Indien, in der Türkei, selbst im Kapland und der Sahara: Es war
also möglich, den weißen Völkern die Leiden und Demütigungen
eines Jahrhunderts heimzuzahlen. Seitdem sinnt die tiefe Schlauheit asiatischer
Menschen über Mittel nach, die dem westeuropäischen Denken unzugänglich
und überlegen sind. Und nun legte Rußland, nachdem es 1916
von Westen her die zweite entscheidende Niederlage erlitten hatte, nicht
ohne die spöttische Befriedigung des verbündeten England, die
»weiße« Maske ab und wurde wieder asiatisch, aus ganzer
Seele und mit brennendem Haß gegen Europa. Es nahm die Erfahrungen
von dessen innerer Schwäche mit und baute daraus neue, heimtückische
Methoden des Kampfes auf, mit denen es die gesamte farbige Bevölkerung
der Erde im Gedanken des gemeinsamen Widerstandes durchdrang. Das ist,
neben dem Sieg des Arbeitersozialismus über die Gesellschaft der
weißen Völker, die zweite wirkliche Folge des Weltkrieges,
der von den eigentlichen Problemen der großen Politik keines dem
Verstehen näher gebracht und keines entschieden hat. Dieser Krieg
war eine Niederlage der weißen Rassen, und der Friede von 1918 war
der erste große Triumph der farbigen Welt: Es ist ein Symbol, daß
sie im Genfer »Völkerbund« - der nichts ist als das elende
Symbol für schmachvolle Dinge - heute über die Streitfragen
der weißen Staaten untereinander mitreden darf. (Oswald Spengler,
Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 150-151 ).
1775 haben die Engländer Indianerstämme angeworben,
die brennend und skalpierend über die republikanischen Amerikaner
herfielen, und es sollte nicht vergessen sein, in welcher Weise die Jakobiner
die Neger von Haiti für die »Menschenrechte« in Bewegung
setzten. Aber daß die Farbigen der ganzen Welt in Masse auf europäischem
Böden von Weißen gegen Weiße geführt wurden, die
Geheimnisse der modernsten Kriegsmittel und die Grenzen ihrer Wirkung
kennenlernten und in dem Glauben nach Hause geschickt wurden, weiße
Mächte besiegt zu haben, das hat ihre Anschauung über die Machtverhältnisse
der Erde von Grund auf verändert. Sie fühlten ihre gemeinsame
Stärke und die Schwäche der andern; sie begannen die Weißen
zu verachten wie einst Jugurtha das mächtige Rom. (Oswald Spengler,
Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 151 ).
Nicht Deutschland, das Abendland
hat den Weltkrieg verloren, als es die Achtung der Farbigen verlor.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 151 ).
Die Tragweite dieser Verschiebung des politischen Schwergewichts
ist zuerst in Moskau begriffen worden. In Westeuropa begreift man sie
noch heute nicht. Die weißen Herrenvölker sind von ihrem einstigen
Rang herabgestiegen. Sie verhandeln heute, wo sie gestern befahlen, und
werden morgen schmeicheln müssen, um verhandeln zu dürfen. Sie
haben das Bewußtsein der Selbstverständlichkeit ihrer Macht
verloren und merken es nicht einmal. Sie haben in der »Revolution
von außen« die Wahl der Stunde aus der Hand gegeben, an Amerika
und vor allem an Asien, dessen Grenze heute an der Weichsel und den Karpathen
liegt. Sie sind seit der Belagerung Wiens durch die Türken zum erstenmal
wieder in die Verteidigung gedrängt worden, und werden große
Kräfte, seelisch wie militärisch, in der Hand sehr großer
Männer aufbringen müssen, wenn sie den ersten gewaltigen Sturm
überstehen wollen, der nicht lange auf sich warten lassen wird.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 151 ).
In Rußland sind 1917 beide Revolutionen, die weiße
und die farbige, zugleich ausgebrochen. Die eine, flach, städtisch,
der Arbeitersozialismus mit dem westlichen Glauben an Partei und Programm,
von Literaten, akademischen Proletariern und nihilistischen Hetzern vom
Schlage Bakunins im Verein mit der Hefe der großen Städte gemacht,
rhetorisch und literarisch durch und durch, schlachtete die petrinische
Gesellschaft von großenteils westlicher Herkunft ab und setzte einen
lärmenden Kultus »des Arbeiters« in Szene. Die Maschinentechnik,
der russischen Seele so fremd und verhaßt, war plötzlich eine
Gottheit und der Sinn des Lebens geworden. Darunter aber, langsam, zäh,
schweigend, zukunftsreich, begann die andere Revolution des Muschiks,
des Dorfes, der eigentlich asiatische Bolschewismus. Der ewige Landhunger
des Bauern, der die Soldaten von der Front trieb, um die große Landverteilung
mitzumachen, war ihr erster Ausdruck. Der Arbeitersozialismus hat die
Gefahr sehr bald erkannt. Nach anfänglichem Bündnis begann er
mit dem Bauernhaß aller städtischen Parteien, ob liberal oder
sozialistisch, den Kampf gegen dies konservative Element, das stets in
der Geschichte alle politischen, sozialen und wirtschaftlichen Bildungen
in den Städten überdauert hat. Er enteignete den Bauern, führte
die tatsächliche Leibeigenschaft und Fronarbeit, die Alexander II.
seit 1862 aufgehoben hatte, wieder ein und brachte es durch feindselige
und bürokratische Verwaltung der Landwirtschaft jeder Sozialismus,
der von der Theorie zur Praxis übergeht, erstickt sehr bald in Bürokratie
dahin, daß heute die Felder verwildert sind, der Viehreichtum
der Vergangenheit auf einen Bruchteil zusammengeschmolzen und die Hungersnot
asiatischen Stils ein Dauerzustand geworden ist, den nur eine willensschwache,
zum Sklavendasein geborene Rasse erträgt. (Oswald Spengler,
Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 151-152 ).
Aber der »weiße« Bolschewismus ist hier rasch
im Schwinden begriffen. Man wahrt nur noch das marxistische Gesicht nach
außen, um in Südasien, Afrika, Amerika den Aufstand gegen die
weißen Mächte zu entfesseln und zu leiten. Eine neue, asiatischere
Schicht von Regierenden hat die halbwestliche abgelöst. Sie wohnt
wieder in den Villen und Schlössern rings um Moskau, hält sich
Dienerschaft und wagt es bereits, einen barbarischen Luxus zu entfalten
im Geschmack der beutereichen Mongolenkhane des 14. Jahrhunderts. Es gibt
einen »Reichtum« in neuer Form, der sich mit proletarischen
Begriffen umschreiben läßt. (Oswald Spengler, Jahre
der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 152 ).
Man wird auch zum bäuerlichen Eigentum, zum Privateigentum
überhaupt zurückkehren, was die Tatsache der Leibeigenschaft
nicht ausschließt, und kann das, denn das Heer hat die Macht, nicht
mehr die zivile »Partei«. Der Soldat ist das einzige Wesen,
das in Rußland nicht hungert, und er weiß warum und wie lange.
Diese Macht ist von außen unangreifbar infolge der geographischen
Weite des Reiches, aber sie greift selbst an. Sie hat Söldner und
Verbündete überall in der Welt, verkleidet wie sie selbst. Ihre
stärkste Waffe ist die neue, revolutionäre, echt asiatische
Diplomatie, die handelt statt zu verhandeln, von unten und hinten, durch
Propaganda, Mord und Aufstand, und die damit der großen Diplomatie
der weißen Länder weit überlegen ist, die ihren alten
aristokratischen Stil, der aus dem Eskorial stammt und dessen letzter
großer Meister Bismarck gewesen ist, selbst durch politisierende
Advokaten und Journalisten noch nicht ganz verloren hat. (Oswald
Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 153 ).
In Mexiko entstand Anfang 1914 in führenden indianischen
Kreisen der »Plan von San Diego«, wonach eine Armee von Indianern,
Negern und Japanern in Texas und Arizona einbrechen sollte. Die weiße
Bevölkerung sollte massakriert, die Negerstaaten selbständig
werden und ein größeres Mexiko als rein indianischer Rassestaat
entstehen. Wäre der Plan zur Ausführung gekommen, so hätte
der Weltkrieg mit einer ganz andern Verteilung der Mächte und auf
Grund andrer Probleme begonnen. Die Monroedoktrin in Gestalt des Dollarimperialismus
mit ihrer Spitze gegen Lateinamerika wäre damit vernichtet worden.
Rußland und Japan sind heute die einzigen aktiven Mächte
der Welt. Durch sie ist Asien das entscheidende Element des Weltgeschehens
geworden. Die weißen Mächte handeln unter seinem Druck und
merken es nicht einmal. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung
- Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 153-154 ).
Dieser Druck besteht in der Tätigkeit der farbigen, rassemäßigen
Revolution, welche sich der weißen des Klassenkampfes bereits als
Mittel bedient. Von den Hintergründen der Wirtschaftskatastrophe
ist schon gesprochen worden. Nachdem die Revolution von unten in Gestalt
des Arbeitersozialismus durch die politischen Löhne Bresche gelegt
hatte, drang die farbige Wirtschaft, von Rußland und Japan geführt,
mit der Waffe niedriger Löhne ein und ist im Begriff, die Zerstörung
zu vollenden. Dazu tritt aber die politisch-soziale Propaganda in ungeheurem
Ausmaß, die eigentlich asiatische Diplomatie dieser Tage. Sie durchdringt
ganz Indien und China. Sie hat auf Java und Sumatra zur Aufrichtung einer
Rassefront gegen die Holländer und zur Zersetzung von Heer und Flotte
geführt. Sie wirbt von Ostasien her um die sehr begabte indianische
Rasse von Mexiko bis Chile und sie erzieht den Neger zum erstenmal zu
einem Gemeinschaftsgefühl, das sich gegen die weißen Herrenvölker
richtet. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland
und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 154 ).
Auch hier hat die weiße Revolution seit 1770 der farbigen
den Boden bereitet. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung
- Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 154 ).
In Afrika ist es der christliche Missionar, vor allem der englische
Methodiist, der in aller Unschuld - mit seiner Lehre von der Gleichheit
aller Menschen vor Gott und der Sünde des Reichtums - den Boden pflügt,
auf dem der bolschewistische Sendbote sät und erntet. Außerdem
folgt von Norden und und Osten her, heute schon gegen den Sambesi vordringend
(Nyassaland), der islamische Missionar seinen Spuren mit weit größerem
Erfolg. Wo gestern eine christliche Schule stand, steht morgen eine Moscheehütte.
Der kriegerische, männliche Geist dieser Religion ist dem Neger verständlicher
als die Lehre vom Mitleid, die ihm nur die Achtung vor den Weißen
nimmt; und vor allem ist der christliche Priester verdächtig, weil
er ein weißes Herrenvolk vertritt, gegen das sich die islamische
Prpaganda, mehr politisch als dogmatisch, mit kluger Entschiedenheit richtet.
(Aber es gibt auch eine äthiopische, europafeindliche
Methodistenkirche, die von den Vereinigten Staaten her Mission treibt
und z.B. 1907 in Natal und 1915 in Nyassaland Aufstände hervorgerufen
hat.) (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland
und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 156 ).
Diese farbige Gesamtrevolution der Erde schreitet
unter sehr verschiedenen Tendenzen vor, nationalen, wirtschaftlichen,
sozialen; sie richtet sich öffentlich bald gegen weiße Regierungen
von Kolonialreichen (Indien) oder im eigenen Lande (Kapland), bald gegen
eine weiße Oberschicht (Chile), bald gegen die Macht des Pfundes
oder Dollars, eine fremde Wirtschaft überhaupt, auch gegen die eigene
Finanzwelt, weil sie mit der weißen Geschäfte macht (China),
gegen die eigene Aristokratie oder Monarchie; religiöse Momente treten
hinzu: der Haß gegen das Christentum oder gegen jede Art von Priestertum
und Orthodoxie überhaupt, gegen Sitte und Brauch, Weltanschauung
und Moral. Aber in der Tiefe liegt seit der Taipingrevolution in China,
dem Sepoyaufstand in Indien, dem der Mexikaner gegen Kaiser Maximilian
überall ein und dasselbe: der Haß gegen die weiße Rasse
und der unbedingte Wille, sie zu vernichten. Es ist dabei gleichgültig,
ob uralte müde Zivilisationen wie die indische und chinesische ohne
fremde Herrschaft fähig sind, Ordnung zu halten; es kommt nur darauf
an, ob sie imstande sind, das weiße Joch abzuwerfen, und das ist
der Fall. Wer unter den farbigen Mächten der nächste Herr ist,
ob Rußland, ob Japan, ob ein großer Abenteurer mit einem Heerhaufen
hinter sich, gleichviel von welcher Herkunft, das wird später oder
auch gar nicht entschieden. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung
- Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 156 ).
Die altägyptische Zivilisation hat seit 1000 v. Chr. sehr
viele Herren gewechselt Libyer, Assyrer, Perser, Griechen, Römer
, sie war zur Selbstregierung nie wieder fähig, aber immer
wieder zu einem siegreichen Aufstand. (Oswald Spengler, Jahre
der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 156-157 )
Und ob von den vielen andern Zielen auch nur eines verwirklicht
wird oder werden kann, das ist zunächst vollkommen Nebensache.
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 157 ).
Die große geschichtliche Frage ist,
ob der Sturz der weißen Mächte gelingt oder nicht. Und darüber
hat sich eine schwerwiegende Einheit des Entschlusses ausgebildet, die
zu denken gibt. Und was besitzt die weiße Welt an Kräften des
seelischen und materiellen Widerstandes gegen diese Gefahr? Sehr
wenig, wie es zunächst scheint. Auch ihre Völker sind an der
Kultur müde geworden. (Wie früher schon
die Völker der 7 anderen Kulturen ).
Im Feuer der hohen Form und im Ringen auch innerer Vollendung hat sich
die seelische Substanz verzehrt. Vielfach ist nur noch Glut, oft nur Asche
übrig, aber das gilt nicht überall. Je weniger ein Volk in den
Wirbel vergangener Geschichte führend hineingezogen wurde, desto
mehr Chaos, das Form werden kann, hat es bewahrt. Und wenn der Sturm großer
Entscheidungen darüber hinbraust, wie 1914, schlagen die verborgenen
Funken plötzlich als Flammen empor. Gerade in der germanischen Rasse,
der willensstärksten, die es je gegeben hat, schlafen noch große
Möglichkeiten. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung
- Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 157 ).
Aber wenn hier von Rasse die Rede
ist, so ist das nicht in dem Sinne gemeint, wie er heute unter Antisemiten
in Europa und Amerika Mode ist, darwinistisch, materialistisch nämlich.
Rasseeinheit ist ein groteskes Wort angesichts der Tatsache, daß
seit Jahrtausenden alle Stämme und Arten sich gemischt haben, und
daß gerade kriegerische, also gesunde, zukunftsreiche Geschlechter
von jeher gern einen Fremden sich eingegliedert haben, wenn er »von
Rasse« war, gleichviel zu welcher Rasse er gehörte. Wer zuviel
von Rasse spricht, der hat keine mehr. Es kommt nicht auf die reine, sondern
auf die starke Rasse an, die ein Volk in sich hat ( ).
Das zeigt sich zunächst in der selbstverständlichen,
elementaren Fruchtbarkeit, dem Kinderreichtum, den das geschichtliche
Leben verbrauchen kann, ohne ihn je zu erschöpfen. Gott ist nach
dem bekannten Worte Friedrichs des Großen immer bei den stärkeren
Bataillonen das zeigt sich gerade hier. Die Millionen Gefallener
des Weltkrieges waren rassemäßig das Beste, was die weißen
Völker hatten, aber die Rasse beweist sich darin, wie schnell sie
ersetzt werden können. Ein Russe sagte mir: »Was wir in der
Revolution geopfert haben, bringt das russische Weib in zehn Jahren wieder
ein.« Das ist der richtige Instinkt. Solche Rassen sind unwiderstehlich.
Die triviale Lehre von Malthus, die Unfruchtbarkeit als Fortschritt zu
preisen, die heute in allen weißen Ländern gepredigt wird,
beweist nur, daß diese Intellektuellen ohne Rasse sind, ganz abgesehen
von der nachgerade trottelhaften Meinung, daß Wirtschaftskrisen
durch Bevölkerungsschwund beseitigt werden könnten. Das Gegenteil
ist der Fall. Die »starken Bataillone«, ohne die es keine
große Politik gibt, geben auch dem Wirtschaftsleben Schutz, Kraft
und inneren Reichtum. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung
- Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 157-158 ).
Das Weib von Rasse will nicht »Gefährtin«
oder »Geliebte« sein, sondern Mutter, und nicht die Mutter
eines Kindes als Spielzeug oder Zeitvertreib, sondern vieler: Im Stolz
auf den Kinderreichtum, im Gefühl, daß Unfruchtbarkeit ( )
der härteste Fluch ist, der ein Weib und durch sie das Geschlecht
treffen kann, redet der Instinkt von starken Rassen. Aus ihm stammt die
Ureifersucht, mit der ein Weib dem anderen den Mann zu entreißen
sucht, den es selbst als Vater seiner Kinder besitzen will. Die geistigere
Eifersucht der großen Städte, die wenig mehr ist als erotischer
Appetit und den anderen Teil als Genußmittel wertet, das bloße
Nachdenken über die gewünschte oder gefürchtete Kinderzahl
verrät schon den erlöschenden Trieb der Rasse zur Dauer, der
sich nicht durch Reden und Schreiiben wieder erwecken läßt.
Die Urehe - oder was alte Volkssitte sonst an tiefgewurzelten Bräuchen
kennt, um die Zeugung zu heiligen - ist nichts weniger als sentimental.
Der Mann will tüchtige Söhne haben, die seinen Namen und seine
taten über den eigenen Tod hinaus in die Zukunft dauern und wachsen
lassen, wie er selbst sich als Erbe des Rufes und des Wirkens seiner Ahnen
fühlt. Das ist die nordische Idee der Unsterblichkeit. Eine andere
haben diese Völker nicht gehabt und nicht gewollt. Darauf beruht
die gewaltige Sehnsucht nach Ruhm, der Wunsch, in einem Werk unter den
Nachkommen fortzuleben, seinen Namen auf Denkmälern verewigt zu sehen
oder zum mindesten ein ehrenvolles Gedächtnis zu erhalten. Deshalb
ist der Erbgedanke von der germanischen Ehe nicht zu trennen. Wenn die
Idee des Eigentums verfällt, löst sich der Sinn der Familie
in nichts auf. Wer sich gegen die eine wendet, greift auch die andere
an. Der Erbgedanke, der am Dasein jedes Bauernhofes, jeder Werkstatt,
jeder alten Firma haftet, an ererbten Berufen (deshalb gibt es Offiziers-,
Richter- und Pfarrergeschlechter; darauf beruhen Adel, Patriziat und Zünfte),
und in der Erbmonarchie seinen höchsten symbolischen Ausdruck gefunden
hat, bürgt für die Stärke des Rasseinstinktes. Der Sozialismus
greift ihn nicht nur an, sondern ist durch sein bloßes Vorhandensein
schon ein Zeichen für dessen Niedergang. (Oswald Spengler,
Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 158-159 ).
Aber der Verfall der weißen
Familie, der unentrinnbare Ausdruck großstädtischen Daseins,
greift heute um sich und verzehrt die »Rasse« der Nationen.
( ).
Der Sinn von Mann und Weib geht verloren, der Wille zur Dauer. Man lebt
nur noch für sich selbst, nicht für die Zukunft von Geschlechtern.
Die Nation als Gesellschaft, ursprünglich das organische Geflecht
von Familien, droht sich von der Stadt her in eine Summe privater Atome
aufzulösen, deren jedes aus seinem und dem fremden Leben die größtmögliche
Menge von Vergnügen - panem et circenses - ziehen will. Die
Frauenemanzipation der Ibsenzeit will nicht die Freiheit vom Mann, sondern
vom Kinde, von der Kinderlast, und die gleichzeitige Männeremanzipation
die von den Pflichten für Familie, Volk und Staat. Die ganze liberal-sozialistische
Problemliteratur bewegt sich um diesen Selbstmord der weißen Rasse.
Es war in allen anderen Zivilisationen ebenso. ( ).
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 158-159 ).
Die Folgen liegen vor unseren Augen. Die farbigen Rassen der Welt
waren bisher doppelt so stark wie die weißen. Aber um 1930 hatte
Rußland einen jährlichen Gebrutenüberschuß von 4,
Japan von 2 Millionen, Indien hat 1921-31 um 34 Millionen zugenommen.
In Afrika werden die Neger bei ihrer ungeheuren Fruchtbarkeit sich noch
gewaltiger vermehren, seitdem die europäische Medizin dort »eingebrochen«
ist und die starke Auslese durch Krankheiten verhindert. Demgegenüber
haben Deutschland und Italien einen Geburtenüberschuß von weniger
als einer halben Million, England, das Land der öffentlich empfohlenen
Geburteneinschränkung, weniger als die Hälfte davon, Frankreich
und das alteingesessene Yankeetum der Vereinigten Staaten (ebenso
das weiße Element in Südafrika und Australien) keinen
mehr. Das letztere, die bisher herrschende »Rasse« germanischer
Prägung, schwindet seit Jahrzehnten rasch dahin. Die Zunahme der
Bevölkerung liegt ganz auf Seiten der Neger und der seit 1900 eingewanderten
Ost- und Südeuropäer. In Frankreich haben manche Departments
seit 50 Jahren über ein Drittel der Bevölkerung verloren. In
einzelnen ist die Geburtenzahl um die Hälfte niedriger als die der
Todesfälle. Einige kleine Städte und viele Dörfer stehen
fast leer. .... Es gibt schwarze Geistliche, Offiziere und Richter. Diese
Zugewanderten, weit über ein Zehntel der Einwohnerschaft, halten
mit ihrer Fruchtbarkeit allein die Kopfzahl der »Franzosen«
annähernd auf der gleichen Höhe. Aber der echte Franzose wird
in absehbarer Zeit nicht mehr Herr in Frankreich sein. Die scheinbare
Zunahme der weißen Gesamtbevölkerung der ganzen Erde, so gering
sie im Verhältnis zum Anschwellen der Farbigen ist, beruht auf einer
vorübergehenden Täuschung: Die Zahl der Kinder wird immer kleiner,
und nur die Zahl der Erwachsenen nimmt zu, nicht weil es mehr sind, sondern
weil sie länger leben. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung
- Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 159-160 ).
Siehe auch: Demographie

Aber zu einer starken Rasse gehört
nicht nur eine unerschöpfliche Geburtenzahl, sondern auch eine harte
Auslese durch die Widerstände des Lebens, Unglück, Krankheit
und Krieg. Die Medizin des 19. Jahrhunderts, ein echtes Produkt des Rationalismus,
ist von dieser Seite her betrachtet ebenfalls eine Alterserscheinung.
Sie verlängert jedes Leben, ob es lebenswert ist oder nicht. Sie
verlängert sogar den Tod. Sie ersetzt die Zahl der Kinder durch die
Zahl der Greise. Sie kommt der Weltanschuung panem et circenses
entgegen, indem sie den Wert des Lebens am Quantum der Lebenstage mißt
und nicht an deren Gehalt. Sie verhindert die natürliche Auslese
und steigert dadurch den Rasseverfall. (Oswald Spengler, Jahre
der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung,
1933, S. 160 ).
Siehe auch: Demographie

Nach einem Bericht des früheren Präsidenten Hoover haben
von den Jugendlichen Amerikas 1360000 Sprach- und Gehörfehler, 1000000
Herzleiden, 875000 sind schwer erziehbar oder verbrecherisch, 450000 geistig
minderwertig, 300000 Krüppel, 60 000 blind. Aber dazu kommt die ungeheure
Menge der geistig, seelisch und leiblich Unnormalen jeder Art, der Hysterischen,
Seelen- und Nervenkranken, die gesunde Kinder weder zeugen noch gebären
können. Ihre Zahl läßt sich nicht erfassen, aber sie geht
aus der Zahl der Ärzte hervor, die davon leben, und der Masse von
Büchern, die darüber geschrieben werden. Aus solchem Nachwuchs
entwickeln sich das revolutionäre Proletariat mit dem Haß der
Schlechtweggekommenen, und der Salonbolschewismus der Ästheten und
Literaten, die den Reiz solcher Seelenverfassungen genießen und
verkünden. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland
und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 161 )
Die kinderarme Ehe richtet sich nicht nur gegen die Quantität,
sondern vor allem auch gegen die Qualität der Rasse. Was ein Volk
ebenso nötig braucht wie gesunde Rasse in sich selbst, ist das Vorhandensein
einer Auslese von Überlegenen, die es führen. Eine Auslese,
wie sie der englische Kolonialdienst und das preußische Offizierskorps
- auch die katholische Kirche - heranbildeten, indem sie unerbittlich
und ohne Rücksicht auf Geld und Abkunft nur die sittliche Haltung
und die Bewährung in schwierigen Lagen gelten ließen, wird
aber unmöglich, wenn das vorhandene Material nirgends über den
Durchschnitt hinausragt. Die Auslese des Lebens muß vorangegangen
sein; dann erst kann die des Standes folgen. Ein starkes Geschlecht hat
starke Eltern nötig. Etwas vom Barbarentum
der Urzeit muß noch im Blute liegen, unter der Formenstrenge alter
Kultur, das in schweren Zeiten hervorbricht, um zu retten und zu siegen.
- Dies Barbarentum ist das, was ich starke Rasse nenne ( ),
das Ewig-Kriegerische im Typus des Raubtieres Mensch. Es scheint oft nicht
mehr da zu sein, aber es liegt sprungbereit in der Seele. Eine starke
Herausforderung, und es hat den Feind unter sich. Es ist nur dort erstorben,
wo der Pazifismus der späten Städte seinen Schlamm über
die Generationen wälzt, den müden Wunsch nach Ruhe um jeden
Preis, ausgenommen den des eigenen Lebens. Das ist die seelsiche Selbstentwaffnung
nach der leiblichen durch Unfruchtbarkeit ( ).
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 161-162 ).
Die große
Geschichte ist anspruchsvoll. Sie verzehrt die rassemäßig besten
Elemente. Sie hat das Römertum in ein paar Jahrhunderten verzehrt.
Als mit der Entdeckung Amerikas die nordische Völkerwanderung, die
tausend Jahre vorher in Südeuropa (und Nordafrika
)
zum Stillstand gekommen war, in großem Stile wieder begann und sich
über die Meere hin fortsetzte, gingen die kraftvollen Geschlechter
Spaniens von großenteils nordischer Abkunft nach drüben, wo
sie kämpfen, wagen und herrschen konnten. Die wertvollste Aristokratie
spanischer Prägung saß um 1800 dort, und das starke Leben erlosch
im Mutterlande. Ebenso hat sich die zum Herrschen berufene Oberschicht
Frankreichs an der großen Politik seit Ludwig XIII. und nicht nur
an ihr verbraucht - auch die hohe Kultur bezahlt sich teuer - und noch
mehr die angelsächsische am englischen Weltreich. Was hier an überlegenen
Geschlechtern vorhanden war, sandte die Männer nicht in die Kontore
und kleinen Ämter der heimatlichen Insel. Sie folgten dem Wikingerdrang
nach einem Leben in Gefahr und gingen überall in der Welt in zahllosen
Abenteuern und Kriegen zugrunde, wurden vom Klima verdorben oder blieben
in der Ferne, wo sie zum Beispiel in Nordamerika die Grundlage einer neuen
Herrenschicht gebildet haben. Was übrig blieb, wurde »konservativ«,
das bedeutet hier: unschöpferisch, müde, voll von unfruchtbarem
Haß gegen alles Neue und Unvorhergesehene. Auch Deutschland hat
sehr viel von seinem besten Blut in fremden Heeren und an fremde Nationen
verloren. Aber der Provinzialismus seiner politischen Zustände stimmte
den Ehrgeiz der Begabten auf das Dienen an kleinen Höfen, in kleinen
Heeren und Verwaltungen herab. (Außer im Habsburger
Staat, der das Deutschtum in seinen Grenzen ebenfalls ausgelaugt und verschwendet
hat.) Sie sind hier ein gesunder und fruchtbarer Mittelstand geblieben.
.... Hier liegt, trotz der Verwüstungen der letzten Jahrzehnte, ein
Schatz von tüchtigem Blut, wie ihn kein anderes Land besitzt. Er
kann geweckt und muß durchgeistigt werden, um für die gewaltigen
Aufgaben der Zukunft bereit und wirksam zu sein. Aber diese Aufgaben sind
heute da. Der Kampf um den Planeten hat begonnen. Der
Pazifismus des liberalen Jahrhunderts muß überwunden werden,
wenn wir weiterleben wollen. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung
- Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 162-163 ).
Wie weit sind die weißen Völker schon in ihn hineingeschritten?
Ist das Geschrei gegen den Krieg eine geistige Geste oder die ernsthafte
Abdankung vor der Geschichte auf Kosten der Würde, der Ehre, der
Freiheit? Aber das Leben ist Krieg. Kann man seinen Sinn verabschieden
und es doch behalten? Das Bedürfnis nach fellachenhafter Ruhe,
nach Versicherung gegen alles, was der Trott der Tage stört, gegen
das Schicksal in jeder Gestalt, scheint das zu wollen: eine Art Mimikry
gegenüber der Weltgeschichte, das Sichtotstellen menschlicher Insekten
angesichts der Gefahr, das happy end eines inhaltleeren Daseins,
durch dessen Langeweile Jazzmusik und Niggertänze den Totenmarsch
einer großen Kultur zelebrieren. Aber das kann nicht sein und das
darf nicht sein. Der Hase täuscht vielleicht den Fuchs. Der Mensch
kann den Menschen nicht täuschen. Der Farbige durchschaut den Weißen,
wenn er von »Menschheit« und ewigem Frieden redet. Er wittert
die Unfähigkeit und den fehlenden Willen, sich zu verteidigen. Hier
tut eine große Erziehung not, wie ich sie als preußisch bezeichnet
habe und die man meinetwegen auch »sozialistisch« nennen mag
- was kommt auf Worte an! .... Wir können uns
nicht erlauben, müde zu sein. Die Gefahr pocht an der Tür. Die
Farbigen sind nicht Pazifisten. Sie hängen nicht an einem Leben,
dessen Länge sein einziger Wert ist. Sie nehmen das Schwert auf,
wenn wir es niederlegen. Sie haben den Weißen einst gefürchtet,
sie verachten ihn nun. In ihren Augen steht das Urteil geschrieben, wenn
weiße Männer und Frauen sich vor ihnen so aufführen, wie
sie es tun, zu Hause oder in den farbigen Ländern selbst. Einst packte
sie Entsetzen vor unserer Macht - wie die Germanen vor den ersten römischen
Legionen. Heute, wo sie selbst eine Macht sind, reckt sich ihre geheimnisvolle
Seele auf, die wir nie verstehen werden, und sieht auf den Weißen
herab wie auf etwas Gestriges. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung
- Deutschland und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 163-164 ).
Aber die größte
Gefahr ist noch gar nicht genannt worden: Wie, wenn sich eines Tages Klassenkampf
und Rassenkampf zusammenschließen, um mit der weißen
Welt ein Ende zu machen? Das liegt in der Natur der Dinge, und keine
der beiden Revolutionen wird die Hilfe der andern verschmähen, nur
weil sie deren Träger verachtet. Gemeinsamer Haß löscht
gegenseitige Verachtung aus. Und wie, wenn sich an ihre Spitze ein weißer
Abenteurer stellt, wie wir schon manche erlebt haben, einer, dessen wilde
Seele im Treibhaus der Zivilisation nicht atmen konnte und in gewagten
Kolonialunternehmen, unter Piraten, in der Fremdenlegion sich an Gefahren
zu sättigen versuchte, bis er hier plötzlich ein großes
Ziel vor Augen sieht? Mit solchen Naturen bereitet die Geschichte
ihre großen Überraschungen vor. Der Ekel tiefer und starker
Menschen an unseren Zuständen und der Haß tief Enttäuschter
könnte sich schon zu einer Auflehnung steigern, die Vernichtung will.
Auch das war der Zeit Cäsars nicht fremd. Jedenfalls: Wenn in den
Vereinigten Staaten das weiße Proletariat losbricht, wird der Neger
zur Stelle sein und hinter ihm werden Indianer und Japaner auf ihre Stunde
warten. Das schwarze Frankreich würde in solchem Falle ebensowenig
zögern, die Pariser Szenen von 1792 und 1871 zu übertreffen.
Und würden die weißen Führer des Klassenkampfes je verlegen
sein, wenn farbige Unruhen ihnen den Weg öffneten? Sie sind
in ihren Mitteln nie wählerisch gewesen. Es würde sich nichts
ändern, wenn Moskau als Befehlsgeber verstummen sollte. Es hat sein
Werk getan. Das Werk setzt sich selbst fort. Wir haben vor den Augen der
Farbigen unsre Kriege und Klassenkämpfe geführt, uns untereinander
erniedrigt und verraten; wir haben sie aufgefordert, sich daran zu beteiligen.
Wäre es ein Wunder, wenn sie das endlich auch für sich täten?
(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 164-165 ).
Hier erhebt die kommende Geschichte sich hoch
über Wirtschaftsnöte und innerpolitische Ideale. Hier treten
die elementaren Mächte des Lebens selbst in den Kampf, der um alles
oder nichts geht. Die Vorform des Cäsarismus wird sehr bald bestimmter,
bewußter, unverhüllter werden. Die Masken aus dem Zeitalter
parlamentarischer Zwischenzustände werden ganz fallen. Alle Versuche,
den Gehalt der Zukunft in Parteien aufzufangen, werden rasch vergessen
sein. Die faschistischen Gestaltungen dieser Jahrzehnte werden in neue,
nicht vorauszusehende Formen übergehen und auch der Nationalismus
heutiger Art wird verschwinden. Es bleibt als formgebende Macht nur der
kriegerische, »preußische« Geist, überall, nicht
nur in Deutschland. Das Schicksal, einst in bedeutungsschweren Formen
und großen Traditionen zusammengeballt, wird in der Gestalt formloser
Einzelgewalten Geschichte machen. Die Legionen Cäsars wachen wieder
auf. (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland
und die weltgeschichtliche Entwicklung, 1933, S. 165 ).
Hier, vielleicht schon in diesem Jahrhundert, warten die letzten
Entscheidungen auf ihren Mann. Vor ihnen sinken die kleinen Ziele und
Begriffe heutiger Politik in nichts zusammen. Wessen Schwert hier den
Sieg erficht, der wird der Herr der Welt sein. Da liegen die Würfel
des ungeheuren Spiels. Wer wagt es sie zu werfen? (Oswald
Spengler, Jahre der Entscheidung - Deutschland und die weltgeschichtliche
Entwicklung, 1933, S. 165 ).
|