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Untergang? * * * Raum und Sphäre

An Spenglers Kritikern ist auffallend, daß sie sich an Strohhalmen klammern und sich dort festbeißen, wo sie ihr vermeintliches Vorrecht bedroht sehen. Es wäre aber gerade heute und zukünftig „befruchtend“ (Befruchtung), wenn die Historiker z.B. die von Spengler erwähnte Vernachlässigung der nicht-westlichen Kulturen endlich ernst nähmen. Die Vernachlässigung der nicht-westlichen Kulturen liegt wesentlich begründet in der von der abendländischen Geschichtswissenschaft erfundenen Dreiteilung - Altertum, Mittelalter, Neuzeit - mit ihrer teleologischen Grundkonzeption. Warum betreiben Spenglers Kritiker ihre Ablenkungsmanöver?  Warum erwähnen sie nicht Spenglers Absage an die Dreiteilung Altertum, Mittelalter, Neuzeit?  Wollen sie weiterhin die nicht-westlichen Kulturen vernachlässigen, verdrängen ?

Die Kritik an Spenglers Kulturmorphologie (Kulturmorphologie) beinhaltet beispielsweise die Verweigerung zu akzeptieren, daß räumlich und zeitlich sehr weit voneinander entfernte Kulturen sich in allen ihren Phasen so frappierend ähnlich sein sollen, aber umgekehrt auch, daß sie es nicht sein sollen - je nach „Ideologie“ der Kritiker. Sie wollen nicht akzeptieren, daß man zwischen Tiefenstruktur und Oberflächenstruktur zu unterscheiden hat, wenn man die „Natur“ der Kultur(en), z.B. den Unterschied zwischen der Menschenkultur im allgemeinen und den historischen Menschenkulturen im besonderen (HistorienkulturenHistorienkulturen) verstehen will. Und dieser Unterschied ist nicht zu leugnen, weshalb die Wissenschaft zwischen Evolution und Geschichte unterscheidet. Daß es zwischen diesen beiden Ebenen oder Instanzen auch das „Vermittelnde“ geben muß, daß zwischen Tiefenstruktur und Oberflächenstruktur „transformative“ Regeln operieren - Sprachwissenschaftler sprechen von vermittelnden „Transformationen“ (Transformationen) -, ist evident, leuchtet den Kritikern aber offenbar nicht ein. Vielleicht sollte man dabei sogar von einem Drei-Instanzen-Modell ausgehen, wie z.B. Freud (Freud) es getan hat: Es, Ich, Über-Ich. Körper, Seele, Geist - diese Unterteilung ist durchaus sinnvoll. Menschliche Körper können räumlich und zeitlich noch so weit voneinander entfernt sein: biologisch sind sie sich sehr ähnlich; doch seelisch und geistig sind sich Menschen sehr unähnlich. Menschen reagieren unterschiedlich auf Reize ihrer Umgebung, die krank machen können: es gibt Kopftypen, Herztypen, Magentypen u.s.w., um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Und: „Die »Menschheit« konstituiert sich nicht durch die Libido, einen totalen Verein zu bilden und sich die hierfür nötigen Medien zu verschaffen“ (Sloterdijk). Kulturen, wie z.B. Spengler sie beschrieben hat, ähneln sich in der Tiefe, weil ihre (evolutonäre) Basis dieselbe ist: menschliche „Natur“, Menschenkultur, sogenannte „Menschheit“ oder wie immer man es auch nennen mag; doch Seele und Geist dieser Historienkulturen haben ihre eigen(artig)e Tiefe: Seelenbild und Ursymbol (Seelenbild und Ursymbol). Historienkulturelle Menschen agieren und reagieren in Raum und Zeit nicht so natürlich (und wohl auch nicht so gesund) wie ihre nicht so historischen (und wohl auch nicht so hysterischen) Vorfahren.

Gesetz und Zufall

Die Natur
ist nicht frei
vom Zufall.

Was Gesetz, Regel, Ordnung, Schicksal, Notwendigkeit, Zwang oder gar der Wille Gottes genannt wird, ist nicht denkbar ohne die andere Seite: Zufall, Ausnahme, Chaos, Kontingenz, Freiheit, Glück oder der Wille Satans, also der Wille des Teufels - auch deshalb sagt ja Mephistopheles: „Ich bin ein Teil von jener Kraft, // Die stets das Böse will und stets das Gute schafft. // ... Ich bin der Geist, der stets verneint! // Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, // ist wert, daß es zugrunde geht; // Drum besser wärs, daß nichts entstünde. // So ist denn alles, was ihr Sünde, // Zerstörung, kurz das Böse nennt, // Mein eigentliches Element.“ (Johann Wolfgang Goethe, Faust, 1808, S. 64-67Goethe): Faust wundert sich, daß Mephistopheles, da er sich doch nur einen Teil nennt, trotzdem ganz vor ihm steht. Mephistopheles antwortet: „Bescheidne Wahrheit sprech ich dir. Wenn sich der Mensch, die kleine Narrenwelt, Gewöhnlich für ein Ganzes hält“ (ebd., S. 67).

Gewöhnlich - so halten unter den Menschen auch die Wissenschaftler sich und ihre kleine Narrenwelt für ein Ganzes und suchen in ihren Phänomenen das Gesetzte, das Gesetz - aus ihnen spricht also immer noch der große Theologe, der, wenn er von Gottes Gesetz spricht, dasselbe meint wie der Theoretiker, der von den Naturgesetzen spricht. In Wahrheit ist es so, daß der Zufall das Gesetz und das Gesetz den Zufall erzwingt.

Es lauert im Zufall das Gesetz und im Gesetz der Zufall. Praktisch jedoch wollen die meisten der faustischen Abendländer - ob sie Wissenschaftler oder Intellektuelle, Juristen oder Politiker, Päpste oder Kritiker heißen - dieser Einsicht nicht folgen, denn für sie gilt, was der oberste Gesetzgeber gesetzt hat: das Gesetz. Der eine Gott für die Abendland-Christen läßt das „Wunder“ zu (und das ist kein Zufall!), auf der weltlichen Bühne gehen die Päpste des Abendlandes für ihre Christen von der menschlichen „Sünde“ aus (auch das ist kein Zufall!), gehen die juristischen Richter des Abendlandes für ihre Verbrecher vom menschlichen „Fehler“ aus (auch das ist kein Zufall!), gehen die intellektuellen Richter des Abendlandes für ihre Wissenschaftler u.s.w. vom technischen „Unfall“ aus (auch das ist kein Zufall!). Zwar haben immerhin einige Intellektuelle, zuerst die Philosophen und Juristen, es aus methodischen Interessen heraus geschafft, Handlungen von Ereignissen zu unterscheiden und überhaupt die Ereignisse ganz scharf zu trennen, nämlich das scheinbar willkürliche Ereignis (vgl. Vis maior, Höhere Gewalt, Act of God u.s.w.) von der Koinzidenz als dem Zusammenfall zweier Ereignisse, doch der Zufall selbst konnte dadurch und eben wegen jener methodischen Interessen lediglich ausgegrenzt werden. Und: Unsere Gesetzgeber kennen und unterstellen zwar eine Gewaltspirale, aber keine Geschichtsspirale, zudem akzeptieren die weltlichen Gesetzgeber zwar einen Wirtschaftszyklus, aber keinen Kulturzyklus. Goethe

Spenglers Kritiker betonen immer wieder, daß für die Kultur nicht dieselben allgemeinen Gesetze gelten könnten wie für die Natur. Besonders diejenigen Kritiker, die den Geist als etwas Außerirdisches oder Heiliges ansehen, unterstellen Spengler, „auch in der Geschichte genau so wie in der Natur allgemeine Gesetze aufstellen“ zu wollen und daß für ihn „daher die Zukunft voraussagbar sei.“ (Lissner, 1961Lissner). Eine solche naturhistorische Geschichtsbetrachtung sei unhistorisch und leugne die Tatsache, daß Geschichte ein geistiger Vorgang sei, in dem die Vergangenheit stets auch in der Gegenwart mitwirke. (Spengler). Den „Schwarzen Peter“ werden jedoch Spenglers Kritiker wohl behalten müssen, und sie sollten wissen, daß Spengler mit seiner Theorie nicht „Wahrsagerei“ betreiben, sondern eine Methode weitergeben wollte, die zwei unterschiedliche Erkenntnismittel berücksichtigt: „Das Mittel, tote Formen zu erkennen, ist das mathematische Gesetz. Das Mittel, lebendige Formen zu verstehen, ist die Analogie. Auf diese Weise unterscheiden sich Polarität und Periodizität der Welt.“ (Spengler, 1918, S. 4Spengler). Spenglers „Untergang des Abendlandes, zunächst ein örtlich und zeitlich beschränktes Phänomen wie das ihm entsprechende des Untergangs der Antike, ist ein philosophisches Thema, das in seiner ganzen Schwere begriffen alle großen Fragen des Seins in sich schließt“ (Spengler). Aber es ist eine typisch „moderne Angst“, die die Kritiker dazu treibt, Spengler fälschlicherweise als einen Feind der Zivilisation und der Technik anzusehen, der Kultur und Zivilisation nur deshalb aufgetrennt habe, um die (kulturelle) Kunst höher als die (zivilisatorische) Technik bewerten zu können. Lissner, dessen Kritik primär religiös motiviert zu sein scheint, bezeichnet Spengler als den „Famulus Wagner Darwins“ und den Stifter einer Verwirrung, der als Kultur nur gelten lasse, was in den Museen zu sehen sei. Das ist falsch, und weil hier Lissner offenkundig selbst Verwirrung stiften will, kann seine Kritik, wenn überhaupt, nur mit seiner modern-religiösen Abwehrhaltung erklärt werden. In Spenglers Werk geht es nicht um Klage, sondern um „Schicksal“, dem eine Kultur bzw. Zivilisation nicht ausweichen kann. Spenglers Feststellung, daß die großartigen Leistungen einer Kultur im Zustand der Zivilisiation immer mehr nachlassen, ist kein Pessimismus, kein Bedauern, keine Trauer, sondern „Wissen“, daß es nicht zu ändern ist, daß es Schicksal ist, was einer Kultur widerfährt. Wenn Lissner anerkennt (wie ich auch), daß „Historiker, Archäologen und Ethnologen sich bemühen, Kenntnisse aus der Vergangenheit zu schöpfen und sie in die Zukunft zu projizieren“, wieso darf Spengler das dann nicht?  Lissner behauptet, „alle Schemas, alle Theorien von Kulturzyklen, alle Annahmen von geschichtlicher Wiederkehr in gewissen Abständen“ hätten versagt, weil es „Deutungsversuche aus der Natur und nicht aus dem lebenden Geist“ seien (Lissner). Hat lebender Geist überhaupt keinen Anteil an Natur?  Sind deutende Menschen nicht auch Teil der Natur?  Sind Menschen nur Teil des Geistes ?  Ist ein lebender Geist wirklich nicht natürlich, sondern ausschließlich übernatürlich oder göttlich?  Haben Natur und Kultur wirklich nichts miteinander zu tun?  Wieso dürfen die Naturwissenschaften Teil unserer Kultur sein, aber die Kultur- oder Geisteswissenschaften nicht Teil unserer Natur?  Die Geisteswissenschaftler haben deshalb einen schlechteren Ruf als die Naturwissenschaftler, weil sie sich der „Falsifikation“ (Falsifikation) entziehen und ihre Projektionen mit Hilfe der Macht durchsetzen können, denn die Macht bestimmt alle Wissenschaften - direkt (z.B. mit Gewalt Rede-Gewalt) oder indirekt (z.B. mit Geld). So lange Spenglers Theorie der Falsifikation standhält und weil sie zum Überleben keine Macht braucht wie die meisten Kultur- und Geschichtstheorien, so lange bleibt sie auch eine unter den wenigen Theorien, die vor der Welt bestehen können. Außerdem sind die „morphologischen Tatsachen“, mit denen Spengler geradezu experimentierte, weder „poetische Floskeln“ noch „anekdotische Spielereien“ oder „malerische Pendants“, sondern ein schöpferisches Erfassen von Gestalten und Bildungen, in denen die tiefste und innerlichste Symbolik zu ihren Ausdruck gekommen ist. (Friedell, 1936 Friedell). In Spenglers Werk wird auch nicht behauptet, daß Geschichte sich total wiederholt, sondern „daß Zeitalter, Epochen, Lagen, Personen sich dem Typus nach wiederholen“  (Spengler). Dem Typus nach (Wiederholung (dem Typus nach): Tiefenkulturelles Richtmaß) - das hat Lissner offenkundig nicht verstanden. Er sieht in allen Spenglerianern diejenigen, die behaupten, Geschichte wiederhole sich allgemein bzw. generell oder im zweidimensionalen Kreis (Wiederkehr). Das ist falsch; aber die Antispenglerianer brauchen diese Abwegigkeit auch oft nur, um erst einmal auf sich aufmerksam machen zu können. Auf die Frage, wann eine „Kultur zugrunde“ geht, antwortet Lissner, daß „ihre Todesstunde da ist, wenn die Bildwerke von den Altären heruntergenommen werden, wenn die Kunst in die Museen wandert“ (Lissner). Hier umschreibt ein modern-religiös argumentierender Antispenglerianer den Untergang einer Kultur doch gar nicht so sehr viel anders als Spengler. Was unsere Gegenwart und Zukunft betrifft, könnte Lissner von Spengler sogar eine Menge entlehnt haben: „Nach außen gewinnen wir, eine innere Entwicklung fehlt.“ Und: „das alles ist in Abwärtsbewegung.“ LissnerLissner

Außerdem: Wenn Lissner lediglich verneinen will, „daß man auch in der Geschichte genau so wie in der Natur allgemeine Gesetze aufstellen kann und daher die Zukunft voraussagbar ist“ (Lissner, 1961Lissner), so kann er selbst trotzdem nichts darüber aussagen, ob die Zukunft „voraussagbar“ ist oder nicht, weil ja für Natur und Geschichte mehr oder weniger gleichermaßen gilt, daß oder daß nicht die Zukunft „voraussagbar“ ist. Es ist einfach nicht genau zu entscheiden, ob die „Zukunft voraussagbar ist“ oder nicht. Es ist ja gerade die Mathematik, die uns gelehrt hat, daß eine Voraussagbarkeit oft gar nicht möglich ist - und zwar auch hinsichtlich der Natur -, und wenn sie möglich ist, dann müssen Gesetz und Zufall (Zufall) gleichermaßen berücksichtigt werden, weil sie ineinander verwoben bzw. „eingebettet“ sind (vgl. Heinz Otto PeitgenPeitgen). Wenn also jemand versucht, Phänomene der Geschichte wie Phänomene der Natur vorherzusagen, dann ist der Erfolg oder Mißerfolg mehr oder weniger gleichermaßen gegeben. Mit anderen Worten: Spenglers Voraussagen über Kultur(en) und Geschichte sind eben doch wie oder zumindest ähnlich wie Voraussagen über Natur(en) und Evolution zu beurteilen. Wenn Spengler „Aufblühen, Reifen, Welken und Sterben“ der Kulturen voraussetzt, so phantasiert und erfindet er gerade nicht, sondern beschreibt „Tatsachen“ (wer etwa würde die Existenz und die Nicht-mehr-Existenz bestimmter Kulturen, z.B. der mesopotamisch-sumerischen Kultur oder z.B. der ägyptischen Kultur, ernsthaft bestreiten?) und darf darum auch voraussagen, daß eine Kultur, die noch existiert, aber nicht mehr am „Aufblühen“ und auch nicht mehr am „Reifen“, sondern bereits am „Verwelken“ oder sogar schon am „Sterben“ ist, sehr wahrscheinlich bald nicht mehr existieren wird. Folglich kann Spengler auch, jedenfalls im Rahmen einer Wahrscheinlichkeit, voraussagen, daß eine Kultur, sobald sie existiert („lebt“, wie Spengler sagt), auch schon dazu verurteilt ist, irgendwann nicht mehr zu existieren („tot“ zu sein, um es im Sinne von Spenglers Kulturphilosophie zu sagen). Und wenn Spengler laut Lissner „auch in der Geschichte genau so wie in der Natur allgemeine Gesetze aufstellen“ gewollt hätte, dann hätte er sich z.B. zu Geschichte und Kausalität wohl nicht anders geäußert als so: „Wenn irgend etwas, so beweist der allbekannte »Untergang der Antike«, der sich lange vor dem Einbruch der germanischen Wandervölker vollendete, daß Kausalität mit Geschichte nichts zu tun hat.“ (Spengler, 1918, S. 681Spengler).

Viele „Rezipienten“ deuteten und deuten Spengler falsch, vor allem in den folgenden drei Punkten:
(1.) Motiv für das Buch (Der Untergang des Abendlandes):
Spengler wollte keine Katastrophe und auch keinen Pessimismus verbreiten (Spengler), sondern Deutschlands Regierung eine politische Anleitung und Wegweisung geben für die Zukunft, denn die Weltmacht Deutschland war ja zudem Weltmeister in allen Bereichen (Mehr);
(2.)Konzeption und Titel des Buches (Der Untergang des Abendlandes):
Das Buch war gefühlsmäßig schon 1900 konzipiert (Schicht), der Titel stand schon 1912 fest (Spengler), so daß folglich weder die Konzeption noch der Titel des Buches sich auf den 1. Weltkrieg beziehen konnten, außerdem war das Buch im wesentlichen bereits 1912 fertig (1912), und die Veröffentlichung des Buches ereignete sich Ende 1917 bis Anfang 1918, also ungefähr ein Jahr vor dem Ende des 1. Weltkrieges (1917);
(3.) Inhalt des Buches (Der Untergang des Abendlandes):
Der Inhalt des Buches wurde schon allein deswegen falsch verstanden, weil bereits die anderen beiden Punkte (siehe: 1. und 2.) falsch interpretiert wurden, denn Spengler ging es nicht um Wahrsagerei, nicht um Scharlatanerie, nicht um Katastrophenmeldungen, nicht um Pessimismus, sondern um Tatsachen, um Fehlervermeidung, um Abwehrmechanismen, um Optimismus innerhalb eines Skeptizismus, und dazu gehört eben auch das Akzeptieren eines kulturellen Unterganges wie das eines zivilisatorischen Aufganges.

Spengler war kein Pessimist! Wenn ein Meteorologe „schlechtes Wetter“ vorhersagt, gilt er doch auch nicht als „Pessimist“. Seine Prognosen sind, falls sie sich später als zutreffend herausstellen, lediglich richtig. Und Spenglers Prognosen sind richtig. Also ist Spengler nicht als „Pessimist“ zu bezeichnen. Mit solchen Titulierungen sollte man eh stets vorsichtig umgehen. An einem Beispiel läßt sich sehr gut erkennen, daß nicht nur Wettergeschehnisse, sondern auch Geschichtsereignisse richtig vorhergesagt werden können:
Das, was wir den „Individualismus“ oder den „krankhaften Egoismus“ („Egozentrismus“) nennen, ist Ausdruck einer Dekadenz, die man z.B. an der immer geringer werdenden Zahl an Kindern (Demographie) sehr gut erkennen kann. Im Abendland begann der Kinderschwund zuerst beim Adel - während der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert -, setzte sich über das Großbürgertum bis zum Kleinbürgertum fort, das er zu der Zeit, als Spenglers Hauptwerk entstand (Schicht) bereits erreicht hatte, und die Tatsache, daß heute nur noch die unterste Unterschicht (SchichtSchichtSchicht), das sogenannte „Prekariat“ (das „Proletariat“ gibt es ja nicht mehr - zuerst wurde es in Deutschland in den 1930er Jahren von den Nationalsozialisten in das Kleinbürgertum integriert), zu dem obendrein hauptsächlich Migranten gehören, eine ausreichende oder sogar zu hohe Zahl an Kindern aufweist, zeigt doch sehr deutlich, daß der bereits seit „1789“ erkennbare Untergang des Abendlandes heute, wo er schon die ersten beängstigenden Dimensionen erkennen läßt, nicht mehr zu leugnen ist.
Spenglers Vorhersage ist also richtig - nicht „pessimistisch“. Sie ist richtig, weil sie zutreffend ist. Sie ist zutreffend, weil sie objektiv wahr, weil sie Wirklichkeit geworden ist, sich als eine Tatsache herausgestellt hat. Es ist einfach nicht statthaft, auch dann von „Pessimismus“ zu sprechen, wenn eine Vorhersage sich als richtig erwiesen hat. Man nennt ja einen Meteorologen auch nicht einen „Pessimisten“, wenn er „schlechtes Wetter“ vorhersagt, und einen „Optimisten“, wenn er „gutes Wetter“ vorhersagt. Spengler war ein guter „Meteorologe der weltgeschichtlichen Kulturmorphologie“. Er war der Erfinder der Kulturmorphologie der Weltgeschichte. Toynbee

Daß in der Geschichte der Zufall (Zufall) eine fundamentale Rolle spielt, ist eine triviale Erkenntnis und ganz eindeutig auch bei Spengler nachzulesen (z.B. hierSpenglerSpenglerSpenglerSpengler), ebenso bei den Spenglerianern (Spenglerianer). Daß in der Geschichte auch kollektive Psychosen eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen, ist sogar wesenlicher Bestandteil in Spenglers Werken. Daß Naturkatastrophen, daß Seuchen wie z.B. Pest u.ä., daß Epidemien, daß Klima- und Ökoveränderungen eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen ist, ist ebenfalls trivial und auch bei Spengler und den Spenglerianern nachzulesen. Dies alles kann also keine Kritik an Spengler sein. Wer Spengler aber diskretieren will, soll doch über Justiz und Politik den Versuch unternehmen, alle seine Bücher verbieten zu lassen. Wenn ein solcher „Kritiker“ klug genug ist, wird er damit auch durchkommen - besonders klug muß man dafür ja ohnehin nicht sein, droht doch hierzulande den Rechten schon allein bei Verdacht ein Verbot.

Wie damals Spengler, so wurde später auch z.B. Papst Bendikt XVI. (Joseph RatzingerRatzinger) und Samuel P. Huntington (Huntington) fälschlicherweis „Kulturpessimismus“ vorgeworfen, denn auch sie sind falsch verstanden worden, weil dafür die mangelhafte Geistesfähigkeit der Rezpienten die Urache war oder/und ihr Wille zur Macht als Trieb und deswegen ihr politischer Mißbrauch als Motiv und deswegen auch ihre geistige Irreführung aller anderen Rezipienten als Grund der Finalnexus (vgl. FinalitätFinalitätUrsache, Trieb, Motiv, Grund) waren. So sagte z.B. Daniel Deckers am 29.11.2009 im „Philosophischen Quartett“ (Philosophisches Quartett), „daß der Papst - ich sage mal etwas respektlos - ein grottenschlechter Geschichtsphilosoph ist, ein Kulturpessimist, mit dem ich auch nicht drei Schritte zusammen gehen möchte“. Für Decker ist Papst Benedikt XVI., den er eigentlich doch sogar sehr verehrt, „ein Augustiniker, ein Pessimist, der die Welt wie sein großes Vorbild Augustinus am Rand des Untergangs sieht: ›Der Untergang des Abendlandes‹, spenglerhaft sozusagen - den Bezug könnte man auch herstellen. Natürlich ist Ratzinger von dieser Denkform zutiefst imprägniert.“ (Daniel Deckers, ebd.). Aber wer in Zeiten des Untergangs so denkt, denkt nicht pessimistisch, sondern realistisch. Augustinus, Spengler, Bendikt XVI., Huntington waren bzw. sind Zeugen eines realen Untergangs einer Kultur. Als Pessimisten hätten Augustinus, Spengler, Bendikt XVI, Huntington u.v.a. gesagt: Ich sehe in dem Untergang, der real geschieht, keine Zukunft mehr, und darum sollten wir uns töten bzw. so weitermachen, was auf dasselbe hinausläuft. Doch genau das haben sie nicht gesagt! Als Realisten haben sie gesagt: Wir gehen unter, also machen wir das Beste daraus, und wenn wir unseren Untergang verzögern oder sogar abwenden können, dann sollten wir es auch tun!

Bewußt falsch Rezipierende aber wollen mit ihrer geistigen Irreführung als ihrem Grund, ihrem politischen Mißbrauch als ihrem Motiv und ihrem Willen zur Macht als ihrem Trieb die Verwirklichung ihrer Zweck-Bestimmtheit (Finalität) unbedingt erreichen: der Untergang der Kultur soll wie auch der daraus resultierende Zusammenprall der Kulturen von der großen Mehrheit unter den Kulturangehörigen möglichst nicht bemerkt werden, damit die kleine Minderheit unter den Kuturangehörigen, die vom Untergang der Kultur profitiert, an der Macht bleiben und ihre Lebensqualität halten oder weiterhin steigern kann. Es ist ähnlich wie bei den Kommunisten, Nationalsozialisten und heutigen Globalisten - also: wie bei allen modernen totalitären Ideologen des Westens (Ideologien) -, in dem es auch nur „Optimisten“ geben durfte. Wer also in Zeiten des Kulturuntergangs denjenigen, die diesen Untergang realistisch wahrnehmen, „Pessimismus“ unterstellt, hat dafür Gründe, Motive und Triebe, die den für die Mehrheit der Kulturangehörigen mit extrem negativen Konsequenzen behafteten Untergang - besonders den Bevölkerungsschwund und den daraus resultierenden Zusammenprall der Kulturen - beschleunigen und ihn deshalb beschönigen, verharmlosen und verleugnen müssen.

NACH OBEN Gewalt oder Redegewalt heißt in den Wissenschaften oft auch „Diskurs“, dessen Triumph „diskursive Eindimensionalität“. Diskursfelder sind also größtenteils Machtfelder. „Jede Terminologie ist unvermeidlich die Resultierende einer Macht- und Herrschaftsgeschichte; jede Fachsprache läßt gewisse Phänomene erscheinen und andere verschwinden. .... Die diskursiven Regeln sind für die Fachsprachen das, was in der Medizin die Asepsis ist, sie erzeugen die Keimfreiheit, die für wissenschaftliches Operieren vonnöten ist, sie halten Infektionen aus der Lebenswelt fern. Und ich denke, nur auf diese Weise wird Wissenschaft als Betrieb überhaupt möglich. Nur durch diese quasi ontologische Desinfektion können Theoretiker kooperieren, ohne sich ständig zu verletzen. Man muß Diskursregeln mit Desinfektionsmitteln vergleichen. Wo diese nur oberflächlich wirken, wie in den Humanwissenschaften, dort beobachtet man ein sehr viel infektiöseres Betriebsklima. Jüngere Feldforschung in Wissenschaftsmilieus hat gezeigt, daß Geistes- und Kulturwissenschaftler signifikant mehr schlecht über ihre Kollegen und deren Arbeit sprechen als Naturwissenschaftler. Man kann das begründen. Die Geisteswissenschaften behalten, auch wo sie sich methodenbewußt und streng geben, noch einen hohen expressiven Faktor, sie lassen sich nicht so weit versachlichen, wie es für die hard science typisch ist. Die Nebenwirkung hiervon ist, daß die Wissenschaftler im Diskurs des anderen dessen persona, dessen Geltungsanspruch, dessen Autohypnose noch zu sehr spüren. Da schlägt die allgemeine Konkurrenz in persönliche Rivalität zwischen Autohypnotiseuren um. In den Geisteswissenschaften toben unaufhörlich unmoderierte gruppendynamische Prozesse. Aber der Trend zur sprachlichen Eindimensionalität hat einen weiteren Grund .... Das Streben nach Macht äußert sich, sobald es nicht mehr kindlich ist, fast immer als Streben nach Seriosität. Der Machtmensch will ernst genommen und geachtet werden, und um das zu erreichen, muß er selber vorgeben, das Decorum zu respektieren. Der homo academicus baut Seriositätsattrappen um sich herum auf und zwingt andere, so gut er kann, sich vor ihnen zu verbeugen. .... Der Strengmensch ist das szientistische Gegenstück zum Gutmenschen. In allen Theoriemilieus werden Ressentiments organisiert. Die Diskursmachtmenschen sind sehr empfindlich und wittern überall Widerlegungen und Überbietungen. Sie lesen zu viel, um die Lage zu kontrollieren und an der Macht zu bleiben. Darum sind auch große Begabungen nach ein paar Jahren im Diskursbetrieb meistens ruiniert, sie haben sich, wie Nietzsche (Nietzsche) sagt, schon in ihren Dreißigern »zu Schanden gelesen«.“ (Peter Sloterdijk / Hans-Jürgen Heinrichs, Die Sonne und der Tod, 2001, S. 267f. Sloterdijk). Was die Machtstreitigkeiten alias Diskurse zwischen Therapeuten betrifft, sagt Sloterdijk: „ Ich werde mich hüten, in Pfaffenkriege einzugreifen.“ (Ebd., S. 269). Vgl. unten

So wie die Zeit den Raum und der Raum die Zeit sich einordnen will, so wie das Schicksal die Kausalität und die Kausalität das Schicksal bezwingen will, so will der Adel über die Priesterschaft und die Priesterschaft über den Adel herrschen. Ob aber der Adel (der Kenner, das Dasein, das Wann u.s.w.) über die Priesterschaft (den Erkenner, das Wachsein, das Wo u.s.w.) herrscht oder die priesterlichen Wahrheiten (also auch alle Wissenschaft) über die adeligen Tatsachen (also auch alle Geschichte), hängt vom Alter bzw. vom Entwicklungsstand der betreffenden Menschen bzw. der betreffenden Kultur ab. (Vgl. Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1918-1922, S. 224, 880, 971, 996 Spengler). Also:

- Der Historiker muß alt werden -

Franz Leopold von Ranke (1785-1886)

„Eine Sammlung der Völkergeschichten in engerem oder weiterem Rahmen würde den Zusammenhang der Dinge aus den Augen verlieren. Eben darin aber besteht die Aufgabe der welthistorischen Wissenschaft, diesen Zusammenhang zu erkennen, den Gang der großen Begebenheiten, welcher alle Völker verbindet und beherrscht, nachzuweisen“ und erst dann daraus den Begriff einer auf Einheit hin tendierende Menschheit abzuleiten. „Daß eine solche Gemeinschaft stattfindet, lehrt der Augenschein.“ (Leopold von Ranke, in der Vorrede zu seiner Weltgeschichte, 1881 ).

 

- Eduard Meyer und Oswald Spengler -
Eduard Meyer (1855-1938)
NACH OBEN „Die Rolle Roms übertrug Meyer den Vereinigten Staaten. Innen-wie außenpolitisch sah er zwischen Rom und Amerika »die schlagendste Analogie« (Eduard Meyer, Nordamerika und Deutschland, 1915, S. 37; ders., Weltgeschichte und Weltkrieg, 1916, S. 71; ders., Cäsars Monarchie, 1918, S. 5). Dafür gab es Gründe. Innenpolitisch: Völkermischmasch, Pazifismus, Landflucht, Plutokratie, Sektenwesen. Außenpolitisch: Internationaler Friede, homogene Zivilisation. Den alten Vorwurf gegen die Römer, ihre gerechten Kriege seien selbstgerechte Kriege, wendet Meyer gegen Amerika, dessen Politik zugunsten des Weltfriedens und der Völkerverbrüderung pure Heuchelei sei. (Eduard Meyer, Amerika und unser Krieg, 1916, S. 250, 253, 288). So wie die Randmacht Rom kulturell hellenesiert worden war, um dann die Ökumene politisch zu romanisieren, so wurde die Randmacht Amerika kulturell europäisiert, um jetzt die Welt zu amerikanisieren. Das war für Meyer das Ende der europäischen Kultur. Kulturelle Leistungen seien nur von freien Völkern zu erwarten, die mal friedlich, mal kriegerisch miteinander konkurrierten, nicht bei Satelliten von Weltmächten, die - damals Rom, heute Amerika - nie aus der Halbbarbarei herausgekommen seien. Die Schuld am Ende der Antike treffe Rom, die Schuld am Ende Europas treffe England beziehungsweise Amerika (Eduard Meyer, England, 1915, S. 204, S. 212; ders., Weltgeschichte und Weltkrieg, 1916, S. 52). Den Übergang zur Weltmacht sah Meyer bei den Römern im Griff nach Sizilien während des Ersten Punischen Krieges 264, bei den Amerikanern im Griff nach Kuba und den Philippinen 1898. Eine letzte Chance hätten die europäischen Mächte vielleicht dann gehabt, wenn sie im amerikanischen Sezessionskrieg die Südstaaten unterstützt und damit eine Teilung herbeigeführt hätten.“ (Alexander Demandt, Eduard Meyer und Oswald Spengler,  in: ders., Eduard Meyer, 1990, S. 166-167).

„Die römische Rolle der Angloamerikaner ist nach dem Ersten Weltkrieg mehrfach, unter anderem durch Meyers Schüler Ulrich Kahrstedt und durch Meyers Kollegen Friedrich Meinecke hervorgehoben worden. Meinecke sah, analog zur Pax Romana, eine Pax Anglosaxonia kommen, deren Macht wirtschaftlicher Natur war. Unter der »Scheinglocke der angelsächsischen Weltherrschaft« könnten die Nationalstaaten Europas vielleicht in einer »Scheinautonomie« fortbestehen, so wie die Griechenstädte im Römerreich. Gewiß aber erwarte uns eine »allgemeine Mischmaschkultur unter angelsächsischen Vorzeichen«, vor der es Meinecke schauderte. Mit der »Autonomie der Staaten und Nationen ist es, weltgeschichtlich gesehen, nun doch einmal vorbei« (Friedrich Meinecke, a.a.O.). Meinecke hegte dieselben Befürchtungen wie Meyer (vgl. Eduard Meyer, Weltgeschichte und Weltkrieg, 1916, S. 23) gegenüber der kulturellen »Einförmigkeit eines entnationalisierten Weltreichs«.“ (Alexander Demandt, Eduard Meyer und Oswald Spengler. Läßt sich Geschichte voraussagen?,  in: ders., Eduard Meyer, 1990, S. 160).

„Preußen-Deutschland parallelisierte Meinecke nicht, wie Meyer, mit Karthago, sondern wie Kahrstedt mit Makedonien-Griechenland, fraglos eine ergiebige Analogie. .... So wenig wie Meinecke war Meyer ein Fatalist. Das zeigt sich schon in seinen scharfen Moralurteilen. Anders als später Spengler sah Meyer im Kulturkreislauf bloß eine Erfahrungstatsache, kein »blindwirkendes Naturgesetz«.“ (Alexander Demandt, Eduard Meyer und Oswald Spengler. Läßt sich Geschichte voraussagen?,  in: ders., Eduard Meyer, 1990, S. 167, 168).

„Spengler ... bestritt nicht nur wie Meyer den Fortschritt, sondern auch die Einheit der Weltgeschichte. Die von Meyer zwischen griechisch-römischer und romanisch-germanischer Geschichte angenommene Analogie weitete Spengler aus auf die Geschichte von insgesamt acht Hochkulturen, die sich ohne nennenswerten Einfluß nach einem inneren Gesetz aus einem primitiven Frühstadium zu einem kulturellen Höhepunkt erhoben hätten, um von dort unweigerlich in eine zivilisatorische Spätphase herabzusinken. Der Kreislauf vollende sich etwa in tausend Jahren. Wie lange die Spätzeit dauere, sei unberechenbar und unerheblich. Während Meyer die Analogie als heuristisches Instrument betrachtete, um die Besonderheiten der einzelnen Erscheinungen zu ermitteln, diente sie Spengler dazu, ein Schema zu entwickeln, in das sich alles einordnen ließ. Spengler betrachtete die Kulturen als höhere Organismen, die einem strengen Determinismus gehorchen. Die abendländische Kultur befinde sich in ihrer alexandrinischen Schlußperiode und verbreite ihre Zivilisation über die Welt wie einst der Hellenismus.“ (Alexander Demandt, Eduard Meyer und Oswald Spengler. Läßt sich Geschichte voraussagen?,  in: ders., Eduard Meyer, 1990, S. 171).

„Freilich fürchtete Spengler schon am 25.10.1914, mit Deutschlands Sieg werde »ein vollkommen seelenloser Amerikanismus zur Herrschaft gelangen« (Oswald Spengler, Briefe, S. 29Spengler). Deutschland als Träger des Amerikanismus? Deutschlands Gleichsetzung mit Rom durch Spengler oder auch mit Karthago durch Meyer zeigt weniger Entsprechungen als die mit Makedonien-Griechenland durch Meinecke und Kahrstedt. Einig war man sich in dem Ruf nach dem Retter. »Nur eine ganz starke diktatorische Gewalt mit demokratischer Basis und mit sozialistischer Tendenz« könne Deutschland noch retten, schrieb Meinecke 1919. Und bei Spengler heißt es 1921: »Zu einem Goethe werden wir Deutschen es nicht mehr bringen, aber zu einem Cäsar.« (Oswald Spengler, Reden und Aufsätze , S. 79Spengler).“ (Alexander Demandt, Eduard Meyer und Oswald Spengler. Läßt sich Geschichte voraussagen?,  in: ders., Eduard Meyer, 1990, S. 172).
NACH OBEN
„Im Januar 1936, im Jahr seines Todes, publizierte eine us-amerikanische Zeitung, »Hearst's International Cosmopolitan«, Spenglers politisches Testament. (Vgl. Oswald Spengler, Reden und Aufsätze , S. 292f.). Es ist seine als Kabeltelegramm eingegangene Antwort auf die von der Zeitung erhobene Umfrage: »Ist Weltfriede möglich?«  Darin schrieb Spengler, wenn die weißen Völker des Krieges müde sein sollten, »dann würde die Welt ein Opfer der Farbigen sein, wie das römische Reich den Germanen zufiel.«“ (Alexander Demandt, Eduard Meyer und Oswald Spengler. Läßt sich Geschichte voraussagen?,  in: ders., Eduard Meyer, 1990, S. 173-174).
NACH OBEN
Schon zu Beginn der 1920er Jahre entwicklete sich ja zwischen Meyer und Spengler eine Korrespondenz; und „am 25. März 1923 besuchte Spengler Meyer in Groß-Lichterfelde. Weitere Besuche folgten. Daraus entstand eine Freundschaft, die angesichts der unterschiedlichen Charaktere nicht leicht zu verstehen ist. Meyer, der positivistische, ja pedantische Professor, der stets dem Historismus verpflichtet blieb - Spengler, der dilletierende, systematisierende Prophet.“ (Alexander Demandt, Eduard Meyer und Oswald Spengler. Läßt sich Geschichte voraussagen?,  in: ders., Eduard Meyer, 1990, S. 174).

„Meyers Kritik an Spengler betraf zunächst die angebliche Eigenständigkeit der Hochkulturen. Diese seien in Wahrheit keine geschlossenen, sondern durchlässige Systeme von vielfältiger Wechselwirkung. Ohne den Einfluß des Orients wäre die Antike nicht entstanden (dies ist das Leitmotiv in Meyers Geschichte des Altertums), ohne das antike und christliche Erbe wäre auch die faustische Kultur nicht zu denken. Allzu spekulativ erschien Meyer Spenglers Quasibiologismus und die Annahme von Kulturseelen, die den kulturellen Erscheinungen vorasusgingen. Meyer erklärte die innere Einigkeit der antiken, arabischen und der okzidentalen Kultur aus Angleichungsprozessen innerhalb der jeweiligen Kulturkreise. Auch Spenglers Fatalismus fand Meyers Beifall nicht. Er glaubte an eine individuelle Handlungsfreiheit der Völker, die zwar selbst Ergebnisse historischer Entwicklungen seien, damit aber wiederum zu Triebkräften weiterer historischer Entwicklung würden. Die Priorität der Kultur ersetzte Meyer durch die Priorität der Staaten. Waren die Völker bei Spengler bloß mehr oder weniger Gewächse auf der sie tragenden Kultur, so sah Meyer umgekehrt in den freien, staatlich verfaßten Völkern den Wurzelboden kultureller Leistung (vgl. Eduard Meyer, Weltgeschichte und Weltkrieg, 1916, S. 7). Gleichwohl schrieb er am 19.09.1915 in der Vossischen Zeitung: »Das höchste Erzeugnis der geschichtlichen Entwicklung ist das, was wir Kultur nennen.«.  –  Spengler hat diese Kritik hingenommenen (vgl. Anton M. Koktanek, Oswald Spengler in seiner Zeit, 1968, S. 360). .... Meyer nahm Spengler als Wissenschaftler ernst. Er warnte ihn vor historischen Phantasien (vgl. Oswald Spengler, Briefe, S. 562) ....“ (Alexander Demandt, Eduard Meyer und Oswald Spengler. Läßt sich Geschichte voraussagen?,  in: ders., Eduard Meyer, 1990, S. 175-176).

„Die Wißbarkeit von Vergangenem wird leicht überschätzt, die Vermutbarkeit von Zukünftigem wird oft unterschätzt. In beiden Fällen können wir nur Grade der Wahrscheinlichkeit erreichen.“ (Alexander Demandt, Eduard Meyer und Oswald Spengler. Läßt sich Geschichte voraussagen?,  in: ders., Eduard Meyer, 1990, S. 178).

„Meyer und Spengler haben die Entwicklung in Umrissen richtig vorausgesehen. Meyers Urteil über das Ende der politischen Weltgeltung Europas war richtig, richtig war zudem die darin enthaltene Prognose, daß der Versuch, sie wiederherzustellen, scheitern würde. .... Treffend war Spenglers Ansicht in den Übergang von der Kultur in die Zivilisation. Große Leistungen sind seither in Technik und Naturwissenschaft, kaum in Literatur und Kunst zu verzeichnen.“ (Alexander Demandt, Eduard Meyer und Oswald Spengler. Läßt sich Geschichte voraussagen?,  in: ders., Eduard Meyer, 1990, S. 181).

„Bisher haben wir die von Meyer befürchete Amerikanisierung und den von Spengler befürchteten Untergang des Abendlandes ganz gut überstanden.“ (Alexander Demandt, Eduard Meyer und Oswald Spengler. Läßt sich Geschichte voraussagen?,  in: ders., Eduard Meyer, 1990, S. 181).

Alexander Demandt mag die Amerikanisierung und den Untergang des Abendlandes auf eine noch so naive, „optimistische“, vielleicht auch gar zynische Weise interpretieren; er widerspricht damit den Tatsachen, die sich seit ungefähr 1800 immer mehr bewahrheitet und mittlerweile ein solches Ausmaß angenommen haben, daß dumm sein muß, wer die Konsequenzen (neben dem Verstoß gegen die GenerationengerechtigkeitGenerationengerechtigkeit), die sich daraus insbesondere für unsere immer weniger werdenden Nachkommen ergeben, immer noch nicht richtig deuten kann: „Farbige Weltrevolution“ ist für dieses Szenario sogar noch ein sehr harmloser Begriff.

 

„Aber Seele ist auch Sehnsucht,
und die ewige Sehnsucht der Seele
geht immer zum Raum.“
(Max Bense, 1934 Bense)

 

Spengler und Sloterdijk - Räume und Sphären - Spengler und Sloterdijk - Spengler und Sloterdijk
NACH OBEN „Die Feststellung ist trivial, daß die weitaus größte Zahl der Sphärenbildungen in der Geschichte der menschlichen Gattung kleine clanartige und stammeskulturelle Ensembles geblieben sind, von denen nur wenigen die Fortbildung zu ethnischen Gebilden mittleren Formats gelingt - tatsächlich ist schon ein Volk ein morphologischer Effekt, der, von den Hordenanfängen her gedacht, ans Unmögliche grenzt, denn er setzt die kulturelle und meist auch politische Synthesis von Tausenden von Horden (nunmehr: Familien oder Geschlechtern) voraus. Nur in den seltensten Fällen sind diese Gebilde, über Volkseinheiten hinausgehend, zu Makrosphären höchster Ordnung herangewachsen - das heißt zu Stadtstaaten und multi-ethnischen Imperien, im Sinne von Spengler und Toynbee sogar zu »Kulturen«, die sich politisch und ontologisch die Form von Welten zu geben vermochten. Der Ausdruck Welt bezeichnet dann nicht »alles, was der Fall ist«, sondern alles, was von einer Form oder einer gewußten Grenze enthalten werden kann. Wir würden es auch als einen autogenen Kontext passend bezeichnen.“ (Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999, S. 201 Sloterdijk). Vgl. Kulturen (Kulturen8 Kulturen8 KulturenKarten).

„Zu Recht hat Spengler bemerkt: »Das römische Imperium ist nichts als der letzte und größte Stadtstaat der Antike auf Grund eines riesenhaften Synoikismos«. (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte [2], 1922, S. 1035f. Spengler). Das Motiv des Synoikismos, des Beschlusses zum Zusammenleben, ist die Orientierung an einem gemeinverbindlichen Zentralfeuer.“ (Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999, S. 237-238 Sloterdijk). Vgl. Feuer (FeuerFeuerFeuer).

„Die Postmoderne hat den Traum vom Landen nach der Flut aufgegeben. Die Flut ist jetzt das Land. Wo es nur noch absolute Häuser gibt, jedes in seiner eigenen Drift, dort ist die Rückkehr an das, was einmal Land hieß, unmöglich geworden. Vgl. Friedrich Nietzsche (), Die Fröhliche Wissenschaft, 1882, § 124, Im Horizont des Unendlichen: »Wir haben das Land verlassen und sind zu Schiff gegangen ! Wir haben die Brücke hinter uns, - mehr noch, wir haben das Land hinter uns abgebrochen.« Wenn auch das Konzept Arche das suggestivste Modell für die menschliche Abkehr vom scheinbaren Vorrang der Umwelt und die schlüssigste Metapher für die Selbstbergung einer Gruppe in ihrem radikal künstlichen Eigengehäuse bleibt, so ist doch nicht die Arche, sondern die Stadt zum Inbegriff konstruktivistischer Autonomiegebärden geworden. Die Stadt ist gewissermaßen die gelandete Arche - sie stellt ein Überlebens-Schiff dar, das sein Heil nicht mehr im freien Driften auf Katastrophenwassern sucht, sondern sich eigensinnig auf der Erdoberfläche verankert. (Wenn umgekehrt die ganze Stadt aufs Wasser geht, entsteht die technische Denkfigur »Ozeanriese«). Man könnte Städte definieren als Kompromißbildungen zwischen dem Surrealismus des freischwebenden Selbstbezugs und dem Pragmatismus der Bodenständigkeit. (Erde, Luft, Wasser). Aus der Verschmelzung dieser beiden gegeneinanderwirkenden Motive entwickelten die Städte und die Staaten ihre triumphalische Unwahrscheinlichkeit, aus ihrer erfolgreichen Verschränkung zu einer morphologischen Kraftmaschine gewannen sie ihre geschichtemachende Gewalt. Sich in magischen Willenskonzentrationen hinter eigenen Mauern bergen wie auf einem vor Eigenwillen trunkenen Schiff und zugleich dem territorialen Imperativ genügen und Macht ziehen aus Tempeln, Mauern, Speichern: in dieser Raumformel verbirgt sich das sphärologische Erfolgsgeheimnis der weltgeschichtlichen Baufigur Stadt. Nach innen hin muß die frühe Stadt sich verdichten wie eine Arche Gottes, der die Seinen mit dem Zeichen der Bevorzugung markiert; nach außen hin muß sie sich durch Triumphmauern und Herrschaftstürme affirmieren, um jeden Zweifel an ihrem Recht zu zerstreuen, hier zu stehen und von dieser eminenten Stelle aus ins Weite auszugreifen. - Wo diese Sphären-Formel erfüllt ist, dort treffen Oswald Spenglers Thesen über die Konvergenz von Stadtkultur und Hochkultur erst völlig zu:

»Es ist eine ganz entscheidende und in ihrer vollen Bedeutung nie gewürdigte Tatsache, daß alle großen Kulturen Stadtkulturen sind. Der höhere Mensch des zweiten Zeitalters (im Unterschied zu dem des ersten Zeitalters, der primitiven Kulturen Kulturquartal = 3 Kulturphasen) ist ein städtebauendes Tier. Das ist das eigentliche Kriterium der ›Weltgeschichte‹, das sie von der Menschengeschichte überhaupt auf das Schärfste abhebt - Weltgeschichte ist die Geschichte des Stadtmenschen. Völker, Staaten, Politik und Religion, alle Künste, alle Wissenschaften beruhen auf einem Urphänomen menschlichen Daseins: der Stadt. Da alle Denker aller Kulturen selbst in Städten leben - auch wenn sie sich körperlich auf dem Lande befinden -, so wissen sie gar nicht, ein wie bizarres Ding die Stadt ist. Wir müssen uns ganz in das Erstaunen eines Urmenschen versetzen, der zum ersten Mal inmitten der Landschaft diese Masse von Stein und Holz erblickt, mit ihren steinumgebenen Straßen und steinbelegten Plätzen, ein Gehäuse von seltsamster Form ...« (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte [2], 1922, S. 661 Spengler).

„Spenglers Aufforderung an die Denker, das seltsame Gehäuse wahrzunehmen wie zum ersten Mal, impliziert die Zumutung an die Intelligenz, einen Standort außerhalb der städtischen Erbaulichkeit, Wohnlichkeit und Verwöhnung zu wählen. Eben dies haben bisherige Urbanisten und Stadthistoriker, benommen von urbanen Sitten und vom gedanklichen und zivilisatorischen Komfort ihres Objekts, fast durchweg zu tun versäumt. Was Städte ursprünglich sind und wollen, läßt sich nach Spengler nur verstehen, wenn die Städter par excellence, die Philosophen, sich außerhalb der Mauern stellen und die Erscheinung Stadt meditieren, als hätten sie an deren Bergungskaft und ihrer Verführung noch keinen Anteil. Die Stadt denken heißt folglich zunächst: die Verwöhnung durch die Stadt rückgängig machen und sich der Blendung durch ihre Selbstdeutungen entziehen. Weil gerade die mächtige Stadt immer auch eine Organisationsform des Wirklichkeitsverlusts oder des losgelösten Verfügens über Materialien und Zeichen ist, können Städter, die nichts als Städter sein wollen, die Bedingungen ihrer eigenen Möglichkeit und Wirklichkeit nie zureichend verstehen.“ (Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999, S. 264-266 Sloterdijk).

„Ein Gestalt-Historiker Spenglerschen Typs, der die Stadt als von Grund auf erstaunliche Erscheinung betrachtet, müßte ein Phänomenologe sein, der die begnadete Angst eines Denkens von außen auf sich nimmt - hierin ist Spengler der unmittelbare Vorgänger von revolutionären Strukturhistorikern wie Foucault, Deleuze und Guattari. (FoucaultDeleuzeGuattari). Wenn er vorschlägt, sich zurückzuversetzen in das Staunen des Frühmenschen, der das unfaßbare Riesengehäuse mit seinen Mauern und Türmen am Horizont aufragen sieht, so folgt er der Intuition, daß die Wahrheit über alles, was im äußeren Raum erscheint, nur durch eine initiatische Raum-Angst erfahren werden kann. Diese Angst schlägt die Brücke zwischen archaischer Welt und Moderne, weil sie den zu keiner Zeit ganz absorbierbaren Überschuß der Ekstase über die Geborgenheit bezeugt. Wird dieser Überschuß für die Theorie fruchtbar gemacht, so liegt das Feld des genuin modernen Denkens offen. In dem Maß, wie Spengler aus diesem Überschuß oder dieser Ekstase - man könnte auch schlichter sagen aus dieser Unsicherheit - denkt, ist seine Zugehörigkeit zum Abenteuer des wesenhaft zeitgenössischen Denkens unbestreitbar. Die Sehkraft, die er in seiner Kulturen-Phänomenologie aufbietet, entstammt der Erfahrung entsicherten Existierens in einer überdehnten, nie mehr im ganzen heimatlich verklärbaren Welt. Spenglers Morphologie der Weltgeschichte hat ihr philosophisches Momentum in einer Theorie der schöpferischen Raum-Angst, die den Menschen der Hochkulturen eine Offenbarung der dritten Dimension als »Tiefe«, das heißt als Herkunftsraum des Unumgänglichen, gewährt. (). Der kühle Morphologe und sein Schatten, der dem verstörten Urmenschen ähneln will, sollen sich einig werden in einem Staunen, das in Wahrheit ein Nicht-ganz-glauben-Können, ein Entsetzen ist. Tatsächlich, was wäre eine mit Urmenschen-Augen angeschaute Stadt vom Typus der mesopotamischen Gott-Königs-Metropolen anderes als eine Erläuterung zu der These, daß in den Hochkulturen das Ungeheure als Menschenwerk in Erscheinung tritt?  Und was sind diese Gehäuse von seltsamster Form, von außen gesehen, anderes als Bergungsmaschinen, mit denen Menschen ihre spezifische Offenbarung von Weltangst abgearbeitet und ihrem Willen zum Nicht-außen-Sein monströse Denkmäler errichtet haben?“ (Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999, S. 267-268 Sloterdijk).

„Spenglers Schritt zurück vor die Stadt hat also nichts zu tun mit neuzeitlicher Zivilisationskritik, auch nichts mit dem anti-babylonischen Ressentiment der Juden, das von den Christen kopiert wurde und seit der Marginalisierung des Christentums als anonymes Ferment in der Niveaumüdigkeit der Gegenwartskulturen allgegenwärtig umherspukt. Er bedeutet vielmehr einen Akt der theorie-ermöglichenden epoché (Epoché) im Hinblick auf ein kaum noch distanzierbares Milieu und dient der Abstandnahme des Denkenden von den Blendungen des immer schon städtisch gelebten Lebens, mitsamt seinen unthematisierten Ansprüchen an Selbsterhöhung, Raumangst-Überwindung, Entlastung und Reizzufuhr. Die Theorie der Stadt kann nur beginnen mit der Entwöhnung von den Verwöhnungen, die durch die Stadt erst möglich geworden sind. Die Stadt denken heißt also über das verwöhnende Wohnen in ihr so reflektieren, als könnte man anderswo als in ihr zu Hause sein, ja, als ließe sich das Verlangen, überhaupt irgendwo Wurzeln zu schlagen, im ganzen einklammern. Wohnen, als wohnte man nicht. Leben, als hätte man weder Haus noch Stadt im Rücken. Denken wie im freien Fall.“ (Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999, S. 269 Sloterdijk).

„Was ist es, was einem Phänomenologen, der seinen eigenen Sehgewohnheiten abgestorben wäre und der das Urmenschen-Staunen angesichts der ersten Stadterscheinung nachspielen wollte, beim Anblick einer frühen Großmachtstadt wie Uruk, Kisch, Babylon oder Ninive zuerst zu denken geben würde?  Er müßte wohl vor allem darüber ins Staunen geraten, daß die Erscheinung am Horizont einem zweiten Blick standhält und sich als etwas behauptet, was durchaus keine Sinnestäuschung sein will. Der unverwöhnte Blick auf die Stadt wird gefangengenommen von deren Beharrung auf ihrem Aufragen; er sieht sich konfrontiert mit einem nachdrücklichen Willen zum Erscheinen. Hier ist eine Höhe in die Welt getreten, deren Gewalt nicht vormenschliche Kräfte hergewälzt haben. Alles an der großen Stadt, der frühen wie der späten, ist Menschenwerk und Herrenmutwille.“ (Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999, S. 269-270 Sloterdijk).

„Es gibt in politischen Dingen kein Zurück zu dem »euklidischen Gefühl« - ein Ausdruck, mit dem Oswald Spengler sehr treffend die völlige Absorbierung der antiken Menschen durch ihre Geschlechter- und Stadtgeister charakterisiert hat.“ (Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999, S. 324 Sloterdijk).

„Durch die politische Raumsorge der Menschen an der Schwelle zum imperialen Staat wirkt ein Motiv hindurch, das man mit Oswald Spengler die archaische kosmologische Raumangst nennen könnte - eine Angst, die Spengler für ein Merkmal allen wachen und freibeweglichen Lebens und für ein Movens aller höheren Kulturschöpfungen hat halten wollen. »Die Weltangst ist sicherlich das schöpferischste aller Urgefühle.« (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte [1], 1917, S. 107-108 Spengler). Sie ist es, die in jeder ursprünglichen »Symbolisierung des Ausgedehnten, des Raumes und der Dinge« (Spengler) gebannt werden will. Uns scheint es plausibler, anzunehmen, daß die spezifische Angst vor der unabschließbaren Weite des Erd- und Himmelsraums erst als Nebenfolge von Sphärenstörungen bei der gewaltsamen Einschmelzung von Gruppen und Stämmen in größere imperiale Strukturen und bei der Entsicherung der Städte aufgebrochen ist. Es ist nicht notwendigerweise die natürlich erfahrbare Weite der Himmelskuppel, die den Menschen das Gefühl von Verlorenheit im überdehnten Raum einflößt. Kulturanthropologen und Charakterologen haben gezeigt, daß manche Kulturen und Individuen von Raumangst wenig wissen; Frobenius hat das Welterlebnis der weite-suchenden Kulturen gefeiert, und Balint hat in seinem Porträt des Philobaten das individualpsychologische Gegenstück dazu geliefert. (Frobenius). Die kosmophobische Empfindungsart ist eher ein abgeleitetes Phänomen, das gescheiterte Immunisierungen und kollabierte Narzißmen zur Voraussetzung hat. Menschen mit geringen traumatischen Altlasten assoziieren zum Anblick des heiteren Himmels von alters her eher Bilder von Zelten und Zaubermänteln, in der Architektenzeit auch die von Domen, Kuppeln und Palästen; sie erkennen in seiner Weite eine Komplizin ihres Mutes und in seiner Höhe eine Vorzeichnung der Möglichkeiten ihrer Intelligenz. Das Erlebnis hingegen, daß der Weltraum undicht ist und zum Hinausstürzen einlädt, jenes Gefühl einer ernsten und schlimmen Tiefe, über die Spengler in seiner Raumtheorie unvergeßliche Seiten verfaßte - oder das zornige Bewußtsein, beim Aufschauen zum Himmel den Rand einer vermauerten Wüste zu sehen -, gehören zu den psychopathologischen Errungenschaften von Zeiten, in denen immer größere Zahlen von Einzelnen sich als Ausgesetzte und Verlorene erlebten, als von den Menschen Abgestoßene und von den Göttern Vergessene. Vielleicht mischen sich in diese Erlebnisweise auch Reste einer archaischen Panik-Religion ein, die sich unter dem Eindruck kosmischer Katastrophen gebildet haben könnte.“ (Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999, S. 363-364 Sloterdijk).

»Der Zirkel ist der Meißel dieser zweiten bildenden Kunst.« (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte [1], 1917, S. 115 Spengler). Ihr Ziel ist es, zu beweisen, daß die Seele in jeder Schicksalslage und an jedem Punkt der Erdoberfläche sich auf ihr unverlierbares Privileg berufen kann, eine Bürgerin des fürsorglichen Kosmos zu sein. Das Bürgerrecht in der absoluten Stadt bleibt das Eigentum des Weisen, auch wenn ihm alles übrige Umwälzung, Pest, Exil beschert. Das ist das kosmische Cogito, das jede menschliche Lage muß begleiten können: Das Universum ist ein Haus, und das Haus verliert nichts, auch nicht mich selbst, wie verlegen und verloren ich mich fühlen mag.“ (Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999, S. 369 Sloterdijk). Vgl. Zuhause im Universum Zuhause im Universum

„Etwas von der Aura esoterischer Einsamkeit, die dieses großartig hochgesinnte und zugleich schrankenlos zugängliche Gebäude umgibt, hat Oswald Spengler in seiner genialischen Bemerkung eingefangen, das Pantheon sei »die früheste aller Moscheen« gewesen. (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte [1], 1917, S. 273 Spengler). Mit dieser Wendung verband Spengler seine dunkle These, daß Rom im Jahr 125 nach Christus längst im Begriff gewesen sei, aus dem Kreis des antiken »Seelentums« auszutreten und in den Bann jener »magischen Kultur« (Magische Kultur) zu geraten, die sich im Vorderen Orient unter zahlreichen pseudomorphotischen Anverwandlungen an fremde Volks- und Kulturkörper zu entfalten begann. (Kenner der Spenglerschen Hauptschrift wissen, daß der Autor zu diesem Komplex unter der Überschrift »Probleme der arabischen Kultur« Arabien ein Buch im Buche vorgelegt hat, von dem man nicht zuviel sagt, wenn man es als Kulmination spekulativer Kulturphilosophie im 20. Jahrhundert bezeichnet.) Der Akzentwechsel vom antiken zum magischen Seelentum sei es letztlich gewesen, der für die Durchdringung des römischen Reiches durch eine pseudomorphotische Religion, das frühe Christentum in seiner hellenisierten Form, verantwortlich war (welches seinerseits ein Seelengeschwister des späteren Islam darstellte, des Prototyps einer Religion der unterwerfungfordernden und hingabegewährenden Unübersichtlichkeit). An Spenglers Hinweis ist sicher soviel richtig, daß Rom in der Pantheon-Zeit einen Sinnwandel der Immanenz durchlebte und daß sich der Modus, in dem die Götter ihre innerweltliche Präsenz bekundeten, einer folgenschweren Veränderung unterworfen war. Es spricht vieles dafür, daß die spätantiken Massen beim Eintritt ins Pantheon nur wenig noch von dem erfuhren, was in dem Gipfelgespräch zwischen Caesarismus, Philosophie und Architektur erwogen und verwirklicht worden war. Die Zeit gehörte mehr und mehr den Mystagogen und den Aposteln, die eine Entmathematisierung des Himmels betrieben - man würde heute von einer Wiederverzauberung der Welt sprechen. Diesen Agenten eines völlig veränderten, bekennend alogischen, telepathischen, mirakelsüchtigen Immanenzgefühls ist es zu verdanken, daß die späteren Kuppeln, insbesondere die des byzantinischen Ostens, nicht mehr die pantheologische Bauform wiederholen, die der noetischen Partizipation des Menschen am Gestaltoptimum des Welthauses ein Denkmal setzen wollte, dauerhaft wie opus caementitium, sondern zunehmend die allseitige Umschlossenheit des menschlichen Raumes durch ein undurchdringliches Weltgeheimnis bezeugen; Oswald Spengler hat das am raumphilosophisch relevanten Zentralsymbol der magischen Kultur, dem Welthöhlenempfinden, suggestiv erläutert. Diesen Wandel macht der Unterschied zwischen dem Pantheon und der Kirche der Hagia Sophia zu Konstantinopel vollendet klar. Wo der römische Kugeltempel dem Weltgedanken der antiken Philosophie zu seiner ultimativen Selbsterklärung in bautechnischer Kristallisation verholfen hatte (in einem Gebäude, das man als Weltkind aus irgendeiner Provinz betrat, um es als Grieche und als Neophyt der Philosophie zu verlassen), dort setzte die Kirche der Heiligen Weisheit ein Empfinden von numinos durchleuchteter und magisch umzingelter Immanenz ins Werk (so daß man es nicht betreten konnte, ohne auf der Stelle zum Araber ante litteram, zum verzückten Debütanten in Gotteszaubersachen zu werden).“ (Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999, S. 449-452 Sloterdijk). Vgl. Arabien (Magische KulturMagische Kultur) sowie Pantheon () und Hagia Sophia ().

„Das überseeische Imperium Karls V. (Karl V.) war auf Krediten flämischer und Augsburger ... Bankhäuser errichtet (Vgl. Karte), deren Besitzer Globen drehten, um sich von den Hinwegen ihrer Kredite und den Rückwegen ihrer Zinsen ein Bild zu machen. Von Anfang an verstrickte das ozeanische Abenteuer seine Akteure in einen Wettlauf um verhüllte Chancen auf undurchsichtigen fernen Märkten. Schon für sie war das berüchtigte Wort Cecil Rhodes’ gültig: »Ausdehnung ist alles« (Oswald Spengler hat diesen Satz zum Axiom der zivilisatorischen Epochen erklärt: »Expansion ist ein Verhängnis, etwas Dämonisches und Ungeheures, das den späten Menschen des Weltstadiums packt ... und verbraucht ....« Spengler). Was Ökonomen im Gefolge von Marx die ursprüngliche Akkumulation genannt haben, war wohl - wie unser Beispiel ahnen läßt - häufig eher eine Anhäufung von Eigentumstiteln, Optionen und Nutzungsansprüchen als der Betrieb von Produktionsanlagen und Kapitalbasis. Die Entdeckung und förmliche Inbesitznahme von fernen Territorien begründete für die fürstlichen und bürgerlichen Mandanten der Überseeschiffahrt die Erwartung künftiger Einkommen, sei es in Form von Beute oder Tribut, sei es durch reguläre Handelsgeschäfte, bei denen es nie verboten war, von märchenhaften Gewinnspannen zu träumen.“ (Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999, S. 850-851 Sloterdijk).

„Die neuen Immunitätstechniken empfehlen sich als Existentialstrategien für Gesellschaften aus Einzelnen, bei denen der Lange Marsch in die Flexibilisierung, die Schwächung der »Objektbeziehungen« und die generelle Lizensierung von untreuen oder reversiblen Verhältnissen zwischen Menschen zum Ziel geführt hat - zur Grundlinie des von Spengler richtig prophezeiten Endes jeder Kultur: jenem Zustand, in dem es unmöglich ist, zu entscheiden, ob die Einzelnen außergewöhnlich fit oder außergewöhnlich dekadent sind. Jenseits dieser Linie verlöre die letzte metaphysische Differenz, die von Nietzsche verteidigte Unterscheidung von Vornehmheit und Gemeinheit, ihre Kontur, und was am Projekt Mensch hoffnungsvoll und groß erschien, verschwände wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand.“ (Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999; S. 1004-1005 Sloterdijk).
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Sloterdijk will Spenglers These, daß es bisher nur 8 Kulturen (8 Kulturen) gab, nietzscheanisch-immunologisch auffassen. (Mehr zu diesem Thema). „Nur in dieser kleinen Zahl von Fällen haben sich die hochkulturschöpferischen Immunreaktionen vollzogen, von denen jede einzelne einen unverwechselbaren Charakter besaß. Die acht hohen Kulturen wären demnach die Abwicklung lokaler Immunreaktionen. .... Man darf sich von Spenglers botanischen Metaphern nicht in die Irre führen lassen. Seine Kulturen sind nicht so sehr Pflanzen höchster Ordnung, wie er vorgibt, sondern Generationsprozesse über dem Input einer schöpferischen Immunantwort, die sich immer mehr formalisiert, bis zur Erstarrung. ... Spengler gibt sein Bestes, darüber sind sich auch seine skeptischen Leser einig, wenn er über die faustische und die arabische Kultur spricht.“ (Peter Sloterdijk / Hans-Jürgen Heinrichs, Die Sonne und der Tod, 2001, S. 226 Sloterdijk). „Spenglers zentrale Denkerfahrung liegt in der Beobachtung, daß Formen ein Eigenleben haben - sein ganzes Genie steckt in diesem Motiv. .... Die Form, die Spengler vor allem interessiert, ist das, was er eine Kultur nennt. Nun ist Spenglers Formbegriff, der über Goethes Idee der Urpflanze () bis auf die aristotelische Zoologie zurückgeht, durch und durch organologisch geprägt, er gehört zu einem lebensphilosophischen () Sprachspiel, in dem das Leben als Substanz betrachtet wird und die Individuen als Akzidentien. Nur darum konnte Spengler die von ihm so genannten Kulturen als »Lebewesen höchsten Ranges« bezeichnen. Er meint damit, daß es ein Gestaltgesetz gibt, ein strukturelles Muß, welches bewirkt, daß in einer Kultur an dieser oder jener Stelle ihres Gestaltbogens nur Ereignisse, Akteure und Institutionen von einer gewissen formal vorherbestimmten Qualität auftreten müssen und keine anderen. Man kann dieser Idee eine gewisse logische Mächtigkeit nicht absprechen ....“ (Peter Sloterdijk / Hans-Jürgen Heinrichs, Die Sonne und der Tod, 2001, S. 177-178 Sloterdijk).  -  (Vgl. Spenglers Frage: „Gibt es eine Logik der Geschichte?  Gibt es jenseits von allen Zufällen und Unberechenbaren der Einzelereignisse eine sozusagen metaphysische Struktur der historischen Menschheit, die von den weithin sichtbaren, populären geistig-politischen Gebilden der Oberfläche wesentlich unabhängig ist?“ Spengler; und vgl. Spenglers Danksagung: „Von Goethe habe ich die Methode, von Nietzsche die Fragestellungen ....“ Spengler). - Sloterdijk rät: „Man sollte Spengler progressiv fruchtbar machen und ihn als einen Experten in Primärraumfragen hören.“ (Peter Sloterdijk / Hans-Jürgen Heinrichs, Die Sonne und der Tod, 2001, S. 228 Sloterdijk). Sloterdijk würdigt seinen „Ideentrainer“ Spengler als einen der bedeutendsten Raum-Theoretiker.
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„Seit dem Heraufkommen der metaphysischen Weltbilder vor zweieinhalbtausend Jahren, mit denen nach Weber, Spengler, Jaspers (Sloterdijk) und anderen, sei es zu Recht oder Unrecht, Begriffe wie Hochkultur und Hochreligion assoziiert werden, verlagert sich die Sache der Immunsystemvorgänger aus dem kombattanten Kraftherden in einen Bereich des erlebten Innen, das als psyche neu beschrieben wird. Wo im metaphysischen Sinn von Seele die Rede ist, hat sich bereits ein Motivwandel bei der Auslegung der inneren Verteidigungs- und Behauptungskräfte vollzogen.“ (Peter Sloterdijk, Sphären III - Schäume, 2004; S. 232-233 Sloterdijk).

„Am prägnantesten wird die Seinsweise der absoluten Insel durch die Devise von Jules Vernes Kapitän Nemo auf den Begriff gebracht: Mobilis in mobili, beweglich im Beweglichen - eine Prägung, in der Oswald Spengler mit gutem Grund die Existenzformel der unternehmerischen Einzelnen in der »faustischen« Zivilisation erkennen wollte. Das elektrisch angetriebene Unterwasserhotel Nautilus, dem Erfindergeist des großen Misanthropen entsprungen, verkörpert eine erste technisch vollkommene Projektion der Idee absoluter Insularität ....“ (Peter Sloterdijk, Sphären III - Schäume, 2004; S. 318 Sloterdijk).

„Das lateinische insula bezeichnete neben seiner Grundbedeutung vom 2. nach-christlichen Jahrhundert an zugleich das freistehende mehrstöckige Mietshaus, das zumeist von den Ärmeren bewohnt war. Spengler erwähnt, um die indifferenzerzeugende Mechanik des späten Großstadtbetriebs zu illustrieren, eine Stelle bei Diodor über einen »abgesetzten ägyptischen König, der zu Rom in einer jämmerlichen Mietswohnung in einem hochgelegenen Stockwerk hausen mußte« (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte [1], 1917, S. 676 Spengler). In unserem Kontext wäre zu sagen, daß dieser ägyptische Robinson von imperialen Turbulenzen an den Strand einer überfüllten Insel geworfen worden war.“ (Peter Sloterdijk, Sphären III - Schäume, 2004; S. 339-340 Sloterdijk).

„Die im erneuerten Olympismus latenten massenkulturellen Potentiale wurden erstmals bei den Berliner Sommerspielen 1936 vollständig zur Entfaltung gebracht. Als Oswald Spengler im ersten Band von Der Untergang des Abendlandes bemerkte, »der Unterschied eines Berliner Sportplatzes an einem großen Tage von einem römischen Zirkus war schon 1914 sehr gering« (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte [1], 1917, S. 49 Spengler), war er den Ereignissen vorausgeeilt; da er im Mai 1936 starb, blieb es ihm verwehrt, die Erfüllung seiner prophetischen Diagnose zu erleben.“ (Peter Sloterdijk, Sphären III - Schäume, 2004; S. 636 Sloterdijk).

„Allein eine willkürliche Option kann uns an einer zugespitzten Stelle des Realen zum Einsatz verpflichten. Nicht die Not befiehlt, wir wählen eine Schwierigkeit. Mussolini hatte das verstanden, als er den fascismo durch den Horror vor dem bequemen Leben definierte. In der grenzenlosen Popularität des Sports, die dem Zeitdiagnostiker Oswald Spengler bereits vor 1914 auffiel, artikuliert sich die Wahrheit über das gegenwärtige Zeitalter: In ihm ist die befehlende Not durch die gewählte Anstrengung ersetzt worden ....“  (Peter Sloterdijk, Sphären III - Schäume, 2004; S. 725 Sloterdijk).


„Man müßte zur Kennzeichnung Ihres Vorgehens erwähnen, daß es an eine von Oswald Spengler
ausgehende Linie anknüpft, die Sie Schritt für Schritt erweitern: auf ein gestalthistorisches und
später ordnungshistorisches Denken hin, ... eine Linie, die dann auf ein polymorphologisches,
nach vielen Seiten hin offenes Denken des Gestalthaften und Wandelhaften ausgeführt wird.“
(Hans-Jürgen Heinrichs zu Peter Sloterdijk, in:, Die Sonne und der Tod, 2001, S. 225 Heinrichs).

 

NACH OBEN Unverstandenes
Urphänomen wie Urpflanze

„Mir wenigstens ist es nicht verständlich, wie man ohne Urphänomen () zum Beispiel die schwierigen, sich überschneidenden Probleme der Arabischen Kultur mit denen der Abendländischen Kultur verflochten sehen kann, und dieses muß, will man zu einem klaren, zusammenhängenden und nutzbaren Verständnis gelangen. (Kulturen). Nur das Urphänomen reiht diese Ideeverbindung über zwei Kulturen an, um dann in die rein abendländische Bildungsidee erst nach dem Wandel und Abwandel der Frühepochen überzutreten. - Wie sollte weiterhin das durch alle Epochen unserer Kultur verlaufende germanische Heben und das romanische Senken ohne Urphänomen zu verstehen, und daraus Einsichten, Vorteile, ja Einrichtungen, zeitliche und künftige Anlagen zu gewinnen sein?“  (Wilhelm Düren im Gespräch mit Oswald Spengler, Dezember 1928; vgl. Wilhelm Düren, Meine Unterredung mit Oswald Spengler. Die Germanisch-Abendländische Idee, 1940, S. 17-18 ).

„Wenigstens muß auch Ihnen diese geistige Gesamtfassung alles Werdens und ihre Möglichkeit vorgeschwebt haben, schließen Sie doch ihr Werk mit der Hoffnung auf nur diesen Ausblick einer großen letztmöglichen »morphologischen Vergleichung« alles Erkennens, Wissens und Lebens, und nennen ihn den abendländisch-faustischen Geistesabschluß.“ (Wilhelm Düren im Gespräch mit Oswald Spengler, Dezember 1928; vgl. Wilhelm Düren, Meine Unterredung mit Oswald Spengler. Die Germanisch-Abendländische Idee, 1940, S. 41 ).

„Düren bringt seine Ganzheitslehre, die er schon in einer Reihe von Schriften vertreten hat, in seiner jüngsten »Meine Unterredung mit Oswald Spengler« () in einer neuen lebendigen Form zur Anschauung. Im Gegensatz zu Spenglerschen »Untergängen«“ erkennt Düren nur Umwertungsgänge, Wendegänge, »Erneuerungsgänge«. Goethe (Goethe) und Nietzsche (Nietzsche) sind dabei die Angelpunkte, um die sich alles dreht, an sie ist anzuknüpfen; bei Goethe an seine Metamorphosenlehre und seinen Gedanken des Urphänomens im Sinne der Ganzheitslehre (Goethe); bei Nietzsche an seine Lehre von der Ewigen Wiederkunft des Gleichen und vom Übermenschen (Nietzsche). Beide, Goethe und Nietzsche, wollen auf das Gleiche hinaus, Goethe ist der »Naturphilosoph der Einheit und Ganzheit«, Nietzsche ist der »Menschheitsphilosoph der Einheit und Ganzheit«. »In der Idee der Goetheschen Urpflanze () verbirgt sich die totale Idee des Lebendigen überhaupt.« (Goethe und Lebensphilosophie). Goethe hat das urbildende Gesetz, sein Urphänomen (Goethe), als Ldee des Ganzen gegeben, und diese Idee der sich wandelnden Totalität ist noch auf den Geschichtsorganismus anzuwenden. Das ist durch Nietzsche angebahnt, bei ihm erscheinen schon derartige Zukunftshorizonte. Das Urphänomen ist das geistig-innere Schöpfungsgesetz. Düren insbesondere formuliert das Urphänomen als Spiral- und Vertikaltendenz. Nur im Urphänomen können die Weltzusammenhänge ganzheitlich erfaflt werden, und nur dann ist Richtung für das Menschentum zu schaffen, nur dann kann für den Menschengeist Grenze, Sicherheit, Befriedigung erstehen. Denn über die Wandlungen und Umformungen hinaus schafft das Urphänomen für die Einzel- wie für die Gesamt-Geschichte Einheitlichkeit; die Teile sind innerhalb des Ganzen der Idee, des Urphänomens zu verstehen, die Gestaltungen sind Wandlung der Idee. Der Vorzug, das Verdienst von Dürens Ganzheitslehre und seines Rückgriffes auf Goethe und Nietzsche ist dies, daß,die Wenden, die Umwertungen in Natur und Geschichte nicht mehr als Zerstörungen erscheinen, sondern als schöpferische Durchgänge des Ganzen, als Weitergänge zu neuen Schöpfungsabbildern. Wo die Ganzheitsbetrachtung fehlt, kann es meist nur zu mikroskopischer, mosaikmäßiger Anschauungsweise kommen. Mit Dürens Ganzheitsanschauung dagegen kann das Ziel erreicht werden, die Welt als Natur mit der Welt als Geschichte zu verbinden, den Dualismus endgültig zu überwinden, so daß die Harmonie unter ein und demselben Schöpfungsgesetz erreicht wird.“ (Prof. Richard Oehler vom Nietzsche-Archiv in Weimar zum Gespräch zwischen Düren und Spengler, Dezember 1928, in: Wilhelm Düren, Meine Unterredung mit Oswald Spengler. Die Germanisch-Abendländische Idee, 1940 ).

Wie das Wormser Echo 1940 kommentierte, „versucht der Botaniker Düren mit Goethes »Morphologie« der überwundenen Zeitepoche den letzten Schlag zu versetzen.“ Doch Dürens Theorie, weil sie auch „gegen das Denken Kants vom »Ding an sich« ("Ding an sich") und dessen »letzten Nachkommen« Spengler, dem Denker der Teile, ins Feld geführt“ () wird und sogar Spenglers „Dank“ an Goethe und Nietzsche ignoriert (), geht als Kritik wohl doch zu weit, oder?

Spenglers Synthese bezieht sich auf die Raum-Logik als organische Lebensnotwendigkeit, auch Schicksal genannt, und auf die Zeit-Logik, die den Kern aller Geschichtskunde und Geschichten bildet, sich aber der „Reinen Vernunft“ entzieht. Wie das „Ding an sich“ beschaffen ist, werden wir niemals erfahren, so Kant, und eine Beschränkung auf die Etablierung der Regeln, denen die menschliche Wahrnehmung folgt, ist nach Kant eine Konzentration auf das Wissen, das vor allem mathematisches Wissen ist. Auch deshalb sind Kants Bewußtseinskategorien kaum mit historischen Abläufen in Verbindung gebracht. Doch Spengler ist einer der wenigen innovativen Denker, die auch z.B. den selten bemerkten Gegensatz zwischen chronologischen und mathematischen Zahlen ausführlich beschrieben haben.


NACH OBEN Egon Friedell Friedell zu Spenglers Analogien (und Homologien)

„Die Alexandrinerzeit wird »der hellenische Epilog der griechischen Geschichte« genannt: eine bloße Verlegenheitsbezeichnung, die aus einem ganz anderen Assoziationsgebiet genommen ist. Die richtige Analogie hat erst Spengler gefunden: es handelt sich um ein Zeitalter, das über das unserige hinausgreift, indem wir uns ... in ... einer ähnlichen Entwicklung befinden. Für Spengler sind Jugend, Reife, Verfall nicht poetische Floskeln, sondern biologische Formzustände, morphologische Tatsachen, mit denen er geradezu experimentiert, geeignet, Vergangenheit zu enträtseln, Zukunft zu entschleiern. »Gleichzeitig« sind für ihn Vorsokratiker und Cartesianer, Pythagoräer und Puritaner, Stoiker und Sozialisten, Sokrates und Rousseau, Plato und Hegel, Phidias und Mozart, Polykrates und Wallenstein, Pergamon und Bayreuth. Das Entscheidende und Unterscheidende ist, daß es sich hier nicht um »malerische« Pendants oder anekdotische Spielereien handelt, sondern um ein schöpferisches Erfassen von Gestalten und Bildungen, in denen die tiefste und innerlichste Symbolik eines jeden Zeitalters sich ihren Ausdruck erzwungen hat. Trotzdem haben wir es bei allen derartigen Gegenüberstellungen, auch den erleuchtendsten und einleuchtendsten, immer nur mit einem Gleichnis zu tun, ja sogar mit einem bloßen Tropus, der nicht beim Wort genommen werden darf, denn jede Metapher ist, richtig verstanden, eine bloße »Figur« zur Erläuterung und Veranschaulichung, die sich niemals decken kann und gar nicht decken soll. Ein Bild erhält ja gerade dadurch seine Brauchbarkeit, daß es nicht die Sache ist.“ (Egon Friedell, Kulturgeschichte Griechenlands, 1936, S. 94 Friedell).

 

Der „Untergang des Abendlandes“
ist nicht als Katastrophe zu verstehen,
sondern muß als Vollendung begriffen werden!

 

Spengler verwahrte sich mehrfach gegen das Mißverständis, seine Geschichtstheorie sei „pessimistisch“. Er wollte sie nicht als Aufforderung zur Resignation, sondern als Appell zum Ausharren in der gegebenen Lage und zum Verfolgen von „greifbaren Zielen“ verstanden wissen. Diese Aufgabe der eigenen Zeit hat Spengler in seinem Hauptwerk „Der Untergang des Abendlandes“, und zwar ausdrücklicher besonders im zweiten Band, thematisiert. Schon bei der ersten Lektüre wird jedem aufmerksamen Leser klar, was hier z.B. mit dem Wort „Untergang“ gemeint ist: „Untergang nicht im Sinne eines Schiffsunterganges, sondern im Sinne der Vollendung“. Untergang: „Der Begriff einer Katastrophe ist in dem Worte nicht enthalten. Sagt man statt Untergang Vollendung, ein Ausdruck, der im Denken Goethes mit einem ganz bestimmten Sinn verbunden ist, so ist die »pessimistische« Seite einstweilen ausgeschaltet, ohne daß der eigentliche Sinn des Begriffs verändert worden wäre.“ (Spengler). Ein Beispiel für das Mißverständnis ist der Fall der älteren Dame, die gestand, Spenglers Buch zwar nicht gelesen zu haben, ihn aber um Rat bat, wo und wie sie ihre Wertpapiere jetzt anlegen solle (Spengler). Doch: „Der Untergang des Abendlandes“ bedeutet nicht die Katastrophe, sondern die Vollendung des Abendlandes.

 

NACH OBEN Zur Aktualität
(I) Gefahren für unserer Kultur:
1. Gefahr: Wirtschaft allein bestimmt die Politik (Kulturselbstmord)
2. Gefahr: Weiße und Farbige Weltrevolution (Kampf der Kulturen)
(Ia) Übel unserer Politik:
1. Übel: Parteien (Parteienstaat)
2. Übel: Presse (Massenmedien)
(Ib) Defekte unserer Gemeinschaft, die eine liberalistische „Gesellschaft“ nur noch sein soll:
1. Defekt: Familien-/Kinderfeindlichkeit (Kinderlosigkeit bis hin zur Unfruchtbarkeit)
2. Defekt: Sozialfeindlichkeit (Vereinsamung durch überzogenen Individualismus)

1. Übel: Parteien!  Das erste große Übel - das Hauptübel (!) - sind die Parteien (Parteipolitiker, Lobbyismus, Korruption, „Klüngel“ u.ä.), und so sah es auch Spengler, den Frank Lisson diesbezüglich so interpretiert: „Denn das Hauptübel der Epoche seien eben die Parteien, die jeder entschlossenen Politik im Wege stünden. Damit folgt Spengler einer langen Tradition des Deutschen Idealismus (Deutscher Idealismus), die von Hegel über Adam Müller bis hin zu Carl Schmitt reicht, wonach Parteien deshalb abzulehnen seien, weil sie niemals das Ganze, sondern immer nur einen Teil des Volkes repräsentierten. Egoismus und Eigennutz, Korruption und Klüngel sei die notwendige Folge von Parteipolitik. Das Übergeordnete, höhere Interesse eines Volkes oder einer Nation bleibe dabei auf der Strecke. Die neue deutsche Republik von Weimar, gegen die Spengler heftig polemisiert, sei »keine Staatsform, sondern eine Firma. In ihren Satzungen ist nicht vom Volk die Rede, sondern von Parteien; nicht von Macht, von Ehre und Größe, sondern von Parteien. Wir haben kein Vaterland mehr, sondern Parteien; keine Rechte, sondern Parteien; kein Ziel, keine Zukunft mehr, sondern Interessen von Parteien.« (Spengler). Hellsichtig erkennt er bereits die nächste Phase. »Aber die Macht verlagert sich heute schon aus den Parlamenten in private Kreise, und ebenso sinken die Wahlen unaufhaltsam zu einer Komödie herab.« (Spengler).“ (Frank Lisson, Oswald Spengler - Philosoph des Schicksals, 2005, S. 101 Lisson). Wir wissen es doch längst: Das parlamentarische System nutzt den Parteien und ihren Funktionären, dagegen nicht »ipso iure« der Bevölkerung und dem Staat als ganzem. „Das parlamentarische System bringt immer und immer nur die Parteien und innerhalb dieser wieder nur ganz kleine Schichten und Gruppen ans Ruder, die dann als Drahtzieher der herrschenden Partei eine wundervolle Gelegenheit erhalten, den Staat für sich auszubeuten.“ (Friedrich MeineckeMeinecke). Genau dieses Problem hat bis heute niemand so erfolgreich zu lösen vermocht wie Bismarck. Die Forderung nach Gewaltenteilung - und für einen Rechtsstaat heißt das eindeutig Trennung von Parlament und Verwaltung - erfüllte damals nur Deutschland und sonst kein anderer Staat. In Deutschland war dies alles perfekt. Der Parteienstaat jedoch will alles kontrollieren - Gesetzgebung, Justiz, Verwaltung - und mischt sich überall ein, bis in die kleinste Familienzelle, also auch und gerade dort, wo er definitiv nichts zu suchen hat! Der Parteienstaat ist ein parasitäres Gebilde insofern, als daß die meisten Parteipolitiker nicht für den Staat, sondern von dem Staat leben. Privat, im Rahmen ihrer Gruppe, auch Clique genannt oder, wie man früher zutreffender sagte, Sippe ! (Mehr). Und sicher ist: „Der Politiker möchte sein Mandat behalten. Der Politiker schaut sehr genau, was muß ich denn machen, damit ich von meiner Klientel das Mandat wiederbekomme - so läuft's doch -, und dann testet er, was kommt denn bei meiner Kleintel an. Daß das eine Peversion ist, das steht doch außer Zweifel. In unserem Grundgesetz steht drin, daß jemand, der ins Parlament gewählt wird, Abgeordneter des ganzen Deutschen Volkes ist; das heißt: es dürfte gar keine CDU-Abgeordenten geben, keine SPD-Abgeordneten, keine FDP-Abgeordneten ... (u.s.w.). In dem Moment, wo sie die Schwelle zum Deutschen Bundestag überschreiten, sind sie nur noch Abgeordnete des Deutschen Volkes.“ (Meinhard Miegel, in: Philosophisches Quartett - Wieviel Wahrheit verträgt die Demokratie?,  ZDF, 2006Sloterdijk). Unsere Politiker sind Parteipolitiker; sie belügen sich erst einmal selbst und/oder lassen sich von ihren Beratern und parteipolitischen Expertokraten ihre Lügen bestätigen; dann belügen sie das Volk um so mehr. Wer sich selbst belügt, kann andere gemeiner belügen

2. Übel: Presse!  „Das zweite große Übel sieht Spengler im modernen Pressewesen, dem Fundament der Zivilisation. Mit Hilfe der Medien werde der Mensch auf eine neue, raffinierte und schonende Art versklavt, ohne es zu merken. Spenglers Beschreibung der Macht und Funktion von Massenmedien in modernen Gesellschaften ist heute aktueller denn je. Auf die Frage: »Was ist Wahrheit?«  gibt er zur Antwort: »Für die Menge das, was man ständig liest und hört. .... Das Volk liest die eine, ›seine‹ Zeitung, die in Millionen Exemplaren täglich in alle Häuser dringt, die Geister vom frühen Morgen an in ihren Bann zieht .... Was sie will, ist wahr. Ihre Befehlshaber erzeugen, verwandeln, vertauschen Wahrheiten. .... Sie muß die Geister dauernd unter Druck halten. .... Ein Demokrat vom alten Schlage würde heute nicht Freiheit für die Presse, sondern von der Presse fordern .... Eine furchtbarere Satire auf die Gedankenfreiheit gibt es nicht. Einst durfte man nicht wagen, frei zu denken; jetzt darf man es, aber man kann es nicht mehr. Man will nur noch denken, was man wollen soll, und eben das empfindet man als seine Freiheit .... Es ist jedem erlaubt zu sagen, was er will; aber es steht der Presse frei, davon Kenntnis zu nehmen oder nicht. Sie kann jede ›Wahrheit‹ zum Tode verurteilen, indem sie ihre Vermittlung an die Welt nicht übernimmt, eine furchtbare Zensur des Schweigens. die um so allmächtiger ist, als die Sklavenmasse der Zeitungsleser ihr Vorhandensein gar nicht bemerkt.« (SpenglerSpengler). Um all dem entgegenzuwirken, fordert Spengler die »Überwindung der europäisch-amerikanischen Demokratie oder vielmehr dessen, was sie als Verwirklichung ihrer Idee hervorgebracht hat: Herrschaft der Hochfinanz, Nepotenwirtschaft der Parteien statt Souveränität des Volkes, dessen Entmündigung durch Wahlorganisation, Bezahlung der Wahlen und Gewählten und Kauf der Presse.« (Spengler). Er sehnt sich nach uneigennütziger (Uneigennützigkeit), nationaler Politik eines Bismarck (BismarckBismarck) oder Friedrich des Großen (Friedrich d. Gr.), überhaupt nach »preußischer Haltung« in der Politik und wünscht sich eine »außerordentliche Stärkung der Regierungsgewalt mit hoher Verantwortlichkeit« (Spengler), die von einem Kanzler und den von ihm berufenen sachkundigen Ministern ausgeht. Zweimal im Jahr soll die Regierung dem nicht mehr als 150 Sitze zählenden Parlament einen Rechenschaftsbericht zur Kritik vorlegen. »Um den deutschen Parteihader zu überwinden und die Bildung urteilsfähiger Gruppen zu erreichen, müßte es die Wahlordnung unmöglich machen, daß mehr als vier Parteien und solche von weniger als einem Zehntel der Bevölkerung Abgeordnete erhalten.« (Spengler).“ (Frank Lisson, Oswald Spengler - Philosoph des Schicksals, 2005, S. 101-102Lisson).


1. Defekt: Familien-/Kinderfeindlichkeit (Kinderlosigkeit bis hin zur Unfruchtbarkeit)
2. Defekt: Sozialfeindlichkeit (Vereinsamung durch überzogenen Individualismus)

1. und 2. Defekt (Familien-/Kinder- und Sozialfeindlichkeit)! Das abendländische Volk befindet sich mit seiner „Bevölkerungsbilanz unweigerlich auf dem »Todestripp«. Man kann ziemlich genau ausrechnen, wann es vom Erdboden verschwinden wird. .... Demographisch hat der Untergang des Abendlandes längst begonnen. .... Da ich die kosmopolitische Position für weltfremd und utopisch halte, geht es für mich in der Auseinandersetzung um die »Ausländerpolitik« um die große, wirklich »existentielle« Frage, ob die europäischen Völker ihre glorreiche Laufbahn noch fortsetzen oder endgültig im Orkus der Geschichte verschwinden werden. Nach meiner Überzeugung ist dies primär eine Frage des Willens. Wenn ein alterndes und sterbendes Volk seinem vorgezeichneten Schicksal entgehen will, gibt es im Prinzip ein probates Mittel: es muß dafür sorgen, daß es sich wieder ausreichend reproduziert. Diese Ziel ist allerdings, wie etwa die Geschichte des Römischen Reiches zeigt, auch dann nicht leicht zu erreichen, wenn es die verantwortlichen Staatsmänner ernsthaft ins Auge fassen und bewußt eine »pronatalistische« (geburtenfördernde) Politik betreiben. Das Fatale unserer Situation besteht jedoch darin, daß unsere Politiker dieses Ziel nicht einmal anzuvisieren wagen. .... Dabei möchte ich einen Komplex besonders betonen, den ich das »liberale Syndrom« genannt habe. Da eine pronatalistische Politik das generative Verhalten verändern muß, kommt sie nicht nicht darum herum, zumindest indirekt in die »Privatsphäre« der Bürger zu intervenieren. Das ist aber nach der liberalen Ideologie just der Bezirk, in dem der Staat nicht nur nichts verloren hat, sondern dessen »Freiheit« er schützen soll. Aus dem liberalen Credo ergeben sich in concreto Postulate wie »Mein Bauch gehört mir!« oder der selbstverständliche Anspruch jedes Bürgers, die Anzahl seiner Kinder selbst zu bestimmen. (Vgl. Gründe für den Geburtenrückgang (Bevölkerungsschwund) im Abendland) ... Da bei überzeugungstreuen Liberalen der »eigene Nutzen« grundsätzlich vor dem »Gemeinwohl« rangiert, kommt so etwas wie das »generative Gemeinwohl« als politische Zielvorgabe überhaupt nicht in Betracht. Im Konfliktfall zwischen dem »generativen Gemeinwohl« und der »individuellen Selbstverwirklichung« kann sich der liberale Staat nur für den Vorrang der »persönlichen Freiheit« entscheiden. Seine Ideologie erlaubt allenfalls die indirekte Beeinflussung des generativen Verhaltens durch eine »Familienpolitik« ... Ansonsten aber überläßt der liberale Staat die Entwicklung der Bevölkerung dem »freien Spiel der Kräfte«.“ (Robert Hepp, Einwanderungspolitik zur Sicherung unseres Lebensstandards?,  in: Andreas Mölzer & Rudolf Eder, Einwanderungsland Europa?,  1993, S. 22, 25-26). Die Defekte unserer Gemeinschaft - angefangen beim Paar, über die Familie, das Volk, den Staat, die Nation, bis hin zur Kultur (!) - sind also offensichtlich!

Hier ist sie also wieder: die Entscheidung für oder gegen die höchsten Werte der Abendländer, z.B. die Werte Liberalismus und Individualismus. Denn: entscheidet man sich für sie, wird das Abendland nicht mehr sehr alt werden; entscheidet man sich gegen sie, wird das Abendland einen sehr großen Teil an Identität verlieren, dafür aber bessere Aussichten haben, sehr alt zu werden. Soll ich mich so freiheitlich („liberal“) verhalten wie ein Held und als ein nur mir selbst gehörendes Ich, als ein ganzes und unteilbares („individuelles“) Selbst keine Angst vor dem Sterben haben?  Soll ich stolz rufen: „Ja, Liberalismus und Individualismus sind die Verlierer dieses Weltspiels, aber ich will die Freiheit haben, selber darüber zu bestimmen, ich will selber über mein selbst verschuldetes Verliererdasein freiheitlich urteilen, weil ja ich der Verlierer bin und sonst keiner - keiner außer mir, dem unteilbaren Selbst, dem unteilbaren Ich, dem Individuum“?  Sind die Abendländer lebensmüde oder nicht? Spengler

Schon 1972 wollte Anton Koktanek (Koktanek) in seinem Nachwort zu Spenglers Hauptwerk wissen, welche von Spenglers Prognosen bereits Wirklichkeit geworden waren: „Uns interessiert ... die Futurologie Spenglers. Wie liest er sich in unserer Zeit (1972) ?  Denn seine Zukunft ist unsere Gegenwart (1972). ... Im globalen Wandlungsprozeß zeichnen sich unverkennbar Triften ab: Die springflutartige Zunahme der Erdbevölkerung (Bevölkerung), eine Völkerwanderung von unten, wirft die Frage nach der Ordnung wie nach der Versorgung der Massen auf .... Dabei verschiebt sich das Spektrum zuungunsten der hochindustrialisierten Völker. Hier Geburtenrückgang ..., dort Bevölkerungsexplosion (Bevölkerung), die das Substrat einer möglichen »farbigen Weltrevolution« schafft. (Farbige WelrevolutionWelrevolution). Die Schwerpunkte der politischen Macht wandern von Europa in die Kontinente der Massen. Bewußtseinswandel und Selbstwerdung einer Dritten Welt voller ungehobener Möglichkeiten und ungeklärter Tendenzen stellen den Führungsanspruch der weißen Rasse ... in Frage. Europas Rückzug aus der Weltherrschaft, die Möglichkeit, daß dieser Erdteil vom Subjekt zum Objekt weltgeschichtlicher Entscheidungen wird, spiegelt sich in einem Identitätsverlust des europäischen bzw. abendländischen Selbstbewußtseins. Der Untergang des Abendlandes ist strittig, der Untergang des Begriffes Abendland hat schon begonnen. Das Wort verschwindet immer mehr aus der Diskussion, ein Vorgang von symbolischer Bedeutung. An seine Stelle treten die Bezeichnungen Europa oder auch Westliche Zivilisation, die beide nicht mit dem Begriff Abendland identisch sind, weder in seiner herkömmlichen, die Antike als Ursprung und Erbe umschließenden, noch in seiner engeren Spenglerschen Bestimmung, welche im Abendland ein genaues Gegenstück der Antike erblickt. Bei Spengler heißt es noch: »Das Wort Europa sollte aus der Geschichte gestrichen werden .... Orient und Okzident sind Begriffe von echtem historischem Gehalt. ›Europa‹ ist leerer Schall.« (Spengler). Was aber ist bei Spengler Orient?  Das deutsche Wort Abendland, in Analogie zu Luthers Prägung Morgenland (Matth. 2,1) gebildet, setzt das Vorhandensein zweier korrelierender und konkurrierender Kultursysteme voraus. Das antithetische Begriffspaar Abendland und Morgenland entspricht dem lateinischen occidens und oriens wie den griechischen Begriffspaaren hesperia und anatole bzw. europe und asia. Spengler hat den Begriff Abendland eingeschränkt: räumlich ..., zeitlich ...; er hat ihm damit zugleich einheitliches Relief gegegeben und ihm Kraft entzogen: er hat ihm den korrespondierenden Gegenwurf eines Morgenlandes genommen, und er hat sein Abendland von der Antike isoliert, die bislang als unsere Vorwelt galt. .... Das schwindende Identitätsbewußtsein einer Kultur mißtraut der Überzeugungskraft der eigenen Werte und Argumente und baut statt dessen auf die Überwältigungskraft technischer, militärischer, politischer Mittel. Dieser Rekurs von den besseren Gründen zu den stärkeren Kräften ist gewissermaßen die Tiefenpsychologie des Imperialismus. Konsequenterweise bekennt Spengler: »Ich lehre hier den Imperialismus ... Imperialismus ist reine Zivilisation.« (Spengler). Cecil Rhodes' »Wort ›Ausdehnung ist alles‹ enthält ... die eigentlichste Tendenz einer jeden ausgereiften Zivilisation.« (Spengler). Aber Spenglers politisches Rezept, ein Imperium Germanicum, erweist sich als unpraktikabel. Das Abendland hat nie die Hegemonie einer seiner rivalisierenden Mächte geduldet. ... Bagby (Spengler) traut in interessanter Fortbildung des Spenglerschen Entwurfs den Vereinigten Staaten die Errichtung des abendländischen Imperiums zu.“ (Anton M. Koktanek, Oswald Spengler in unserer Zeit, 1972; auch als Nachwort zur ersten Taschenbuchausgabe in: Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, S. 1251-1254Spengler). WEITER

 

NACH OBEN Bleibende Bedeutung

In einem von Hans-Jürgen Bienefeld gehaltenen Gastvortrag auf der 92. Sitzung der Humboldt-Gesellschaft am 02.10.1999 (WWW.HUMBOLDT-GESELLSCHAFT.DE) heißt es unter dem Hinweis, daß der von Oswald Spengler ja schon 1912 bestimmte Titel „Der Untergang des Abendlandes“ (Spengler) beim Erscheinen des Buches (1917-1918) wohl auch durch ein Mißverständnis - Bezug zum 1. Weltkrieg (1914-1918) - eine riesige Wirkung auslöste (Mißverständnis): „Von bleibender Bedeutung scheinen Spenglers Anregungen zur Kritik des gegenwärtigen Kulturumbruchs, zur Verwerfung des Eurozentrismus, zur Forderung nach einer Neukonzeption der Universalgeschichte wie zur Betonung der Formengemeinschaft der verschiedenen Erscheinungen eines Zeitalters. Obwohl zu den Quellen von Oswald Spenglers Denken zahlreiche Einzeluntersuchungen vorliegen, ist die Beziehung dieses Autors zur Kunstgeschichte bisher nicht oder aus einer nur unzureichenden Perspektive erforscht worden. Eine Untersuchung dieses Verhältnisses wäre jedoch für das Verständnis von Spenglers geschichtsphilosophischer Konzeption von nicht zu unterschätzender Bedeutung.“ Bienefeld meint, daß Spenglers Bemerkung über die Stellung der europäischen Philosophie angesichts des „Untergangs des Abendlandes“ sehr aufschlußreich sei. (Vgl. Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, S. 481Spengler). „Nachdem das Geheimnis der Welt nacheinander als Erkenntnisproblem, als Wertproblem und als Formproblem thematisiert worden sei, bleibe der Philosophie am Ende ihrer Entwicklung nur noch die Möglichkeit eines ›physiognomischen Skeptizismus‹, für den die klassischen Themen der Philosophie lediglich den ›historischen Ausdruck einer Kultur‹ darstellten. (Vgl. Spengler, ebd., S. 481Spengler). ›Historischer Ausdruck einer Kultur‹, das scheint auf den ersten Blick nichtssagend und banal, dennoch ist in dem Begriff ›Ausdruck‹ Spenglers gesamte Philosophie gewissermaßen in nuce zusammengefaßt und darüber hinaus noch eine bedeutende und einflußreiche Richtung des modernen europäischen Denkens angesprochen, nämlich die Richtung, für die nicht die Inhalte, die Aussagegehalte oder der Sinn kultureller Gebilde im Mittelpunkt der Analyse stehen, sondern deren Gestalt und Form. Daß auch Spengler ein Vertreter dieses Denkens ist, drückt sich bereits im Begriff der ›Morphologie‹ aus. Diesen auf das griechische Wort morphe (Form, Gestalt) zurückgehenden Begriff übernimmt Spengler von Goethe (1749-1832Goethe). Er bildet ihn jedoch im Sinne einer universellen Weltbetrachtung um, die sich auf alle Erscheinungen der Wirklichkeit erstreckt, wobei lediglich zwischen ›Systematik‹ (Morphologie der Natur) und ›Physiognomik‹ (Morphologie der Geschichte) unterschieden wird. (Vgl. Spengler, ebd., S. 135 und ff.). Grundlegend für das Verständnis des Begriffs der Physiognomik ist Spenglers Auffassung der äußeren Wirklichkeit als ›Symbol‹, in dem sich jeweils eine spezifische ›Kulturseele‹ manifestiert. Sichtbare Geschichte ist aus diesem Grund ›Ausdruck, Zeichen, formgewordenes Seelentum‹. (Vgl. Spengler, ebd., S. 8). Geschichtsmorphologie hat die Aufgabe, dem äußeren Bild der Weltgeschichte, welches sich dem ungeübten Blick als ›Gewirr von anscheinend freiester Zufälligkeit‹ darstellt, die ›Urformen‹ abzuringen; die allem Werden zugrunde liegende Physiognomik fragt somit nach der ›... sozusagen metaphysischen Struktur der historischen Menschheit, die von den weithin sichtbaren populären, geistig-politischen Bildern der Oberfläche wesentlich unabhängig ist‹. (Vgl. Spengler, ebd., S. 3Spengler) ... Entscheidend ist, daß Spengler im Zusammenhang mit diesen Hervorbringungen einen universellen Stilbegriff einführt. Weil er ausnahmslos alle geschichtlichen Erscheinungen ... als ›Symbole‹ auffaßt, kann Spengler nicht nur zwischen der ›kontrapunktischen Instrumentalmusik und dem wirtschaftlichen Kreditsystem‹ einen ›tiefen Zusammenhang der Form‹ konstatieren, sondern auch von einem ›religösen, gelehrten, politischen, sozialen (und) wirtschaftlichen Stil‹ sprechen, durch den sich die Schicksalsidee einer jeden Kultur in den verschiedensten Bereichen veräußerlicht. (Vgl. Spengler, ebd., S. 3). Kulturen sind damit ›Organismen größten Stils‹, eines Stils, der ›im Dasein ganzer Kulturen den gesamten Lebensausdruck höherer Ordnungen‹ umfaßt. Physiognomik - also die Morphologie der Geschichte - ist mithin ›Formgeschichte‹, ›Strukturlehre der Geschichte‹, sie hat es mit der ›Formensprache der menschlichen Geschichte‹, mit ›der Formensprache aller Kulturgebiete‹ - kurz mit den ›Formenproblemen des Historischen‹ zu tun. Analog dazu besteht die Aufgabe der Naturwissenschaften am Ende des Abendlandes für Spengler darin, eine ›Morphologie der exakten Wissenschaften‹ zu schreiben, die (alle Disziplinen der NaturWissenschaften ebenfalls als Symbole auffaßt und ...) ... ›untersucht, wie alle Gesetze, Begriffe und Theorien als Formen innerlich zusammenhängen‹.“ Bienefeld meint, für Spengler seien die Künste einer der wichtigsten Schlüssel für das Verständnis von Raum und Zeit - eben: für eine bestimmte Zeit in einem bestimmten Raum. Laut Bienefeld ist das „einer der Gründe, warum man Spenglers Vorgehen mit einem modernen Ausdruck als Ästhetisierung der Wirklichkeit bezeichnen kann. Ästhetisierung bedeutet in letzter Konsequenz, daß den Formen eine Eigengesetzlichkeit zugesprochen wird, die allen inhaltlichen Bestimmungen vorgelagert ist und diese strukturiert. .... Jede Lebensauffassung eines ›Kulturmenschen‹ läßt somit den ›Stil ... einer bestimmten Kultur‹ erkennen. (Vgl. Spengler, ebd., S. 440). Andererseits sind alle Stile eines Kulturkreises durch dessen ›Schicksalsidee‹ geprägt. .... Spenglers Grundgedanke besteht somit darin, daß jede individuelle Hervorbringung der menschlichen Geschichte und Kultur Ausdruck von Stilgesetzen ist. Ob individuelle Handlung, ob scheinbar spontane Hervorbringung eines Kunstwerkes, ob ganze Epochen, ob Kulturkreis - allen Erscheinungen der Weltgeschichte liegt ein Form- oder Stilprinzip zugrunde, das individuelle Ausprägungen nur in einem bestimmten Rahmen zuläßt und somit allen Hervorbringungen dieses Kulturkreises seinen ›Stil‹ aufragt, auch wenn innerhalb dieses Rahmens gewisse Spielräume existieren. Es ist z.B. Ausdruck der allen Kulturkreisen gemeinsamen organischen Prozeßstruktur, daß es beim Übergang der Kultur zur Zivilisation zu einer Revolution kommen wird. Daß sich diese Revolution im abendländischen Kulturkreis in der Form der französischen Revolution materialisiert, ist dagegen ›zufällig‹, d.h. nicht zwingend notwendig. (Vgl. Spengler, ebd., S. 193). Dem entspricht, daß sich junge Völker, die an die Stelle der alten treten, überlieferter Formen bedienen können - freilich ohne damit ihr eigenes Wesen auszudrücken, weshalb Spengler hier von Pseudomorphosen spricht. (Vgl. Spengler, ebd., S. 618, 620ff., 784ff.Spengler). ... Die für Spengler charakteristische Konstellation von Politischem und Ästhetischem war ursächlich auch am Entstehen seines Hauptwerkes beteiligt“, so Bienefeld, der sich fragt, wie viel Spengler bei der Konzeption der universellen Kulturmorphologie auch den Kunsttheorien seiner Zeit verdankt. Bienefled nennt z.B. an erster Stelle Alois Riegl (1858-1905Riegl), dessen Einfluß auf Spengler nicht zu unterschätzen sei, und auch Heinrich Wölflin (1864-1945Wölflin), dessen „Kunstgeschichlichen Grundbegriffe“ (1915Wölflin) erstaunliche Analogien zu Spenglers Geschichtsmodell aufweisen, obwohl die Rezeption Wölflins durch Spengler im „Untergang des Abendlandes“ nicht erwähnt wird. In der Kunstgeschichte vollzog sich seit ungefähr 1885 ein Paradigmenwechsel, der - sehr grob gesprochen - in einem Bruch mit drei traditionellen Essentials dieser Wissenschaft bestand:
(1.) Bruch mit der Art, das „Klassische“ als unhintergehbaren Maßstab für Kunst anzusehen;
(2.) Bruch mit einer individualisierenden, auf einzelne Künstlergenies bezogenen Darstellung;
(3.) Bruch mit den „klassischen“ ästhetischen Werturteilen „schön“ und „häßlich“, die die
      Bewertung der Kunst von subjektiven Kriterien abhängig machen.
„Die hauptsächliche Folge dieses dreifachen Bruches war zunächst eine erhebliche Ausweitung des traditionellen Gegenstandsbereiches der Kunstgeschichte. Bis dahin nicht als Kunst angesehene und als häßlich empfundene Epochen ... wurden nunmehr Thema kunstwissenschaftlicher Untersuchungen. .... Nicht zuletzt konnten durch die Herauslösung der Kunst aus der Gesamtkultur und durch den Verzicht auf wertende Urteile einzelne Kunstepochen überhaupt erst als selbständige und gleichwertige Untersuchungs-Gegenstände isoliert und entsprechend analysiert werden. .... Es ist meines Erachtens offensichtlich, daß Spenglers Konzeption der ›Morphologie der Weltgeschichte‹ entscheidend von Grundgedanken der Kunstgeschichte inspiriert worden ist, genauer von jenen Protagonisten des kunstgeschichtlichen Paradigmenwechsels, den man vor allem mit dem Namen der ›Wiener Schule‹ verbindet.“ Die Feststellung, daß Riegl (Riegl) die Geschichte zum Stilphänomen gemacht und so zu einer „historischen Morphologie der Weltanschauungen“ ästhetisiert habe, könne auch auf Spengler zutreffen, so Bienefeld, aber: „Von einem bloßen Epigonentum Spenglers zu reden, wäre meines Erachtens jedoch nicht angemessen. Auch wenn sie an dieser Stelle nur unzureichend untermauert werden konnte, soll am Abschluß dieser Arbeit die These stehen, daß sich ungefähr seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, zunächst im Rahmen der deutschen Kunstgeschichte, ein Typus des historischen Denkens - wenn man so will, eine Diskursformation - herausgebildet hat, der in Spengler einen ... eigentümlichen Höhepunkt fand, aber für weitaus mehr Denker, als in diesem Rahmen behandelt werden konnten, kennzeichnend ist. Es wird weiteren Untersuchungen vorbehalten sein, diese These zu belegen (oder aber eben: zu widerlegen! HB).“ (Hans Jürgen Bienefeld, Physiognomischer Skeptizismus - Oswald Spenglers „Morphologie der Weltgeschichte“ im Kontext zeitgenössischer Kunsttheorien, Gastvortrag auf der 92. Sitzung der Humboldt-Gesellschaft, 02.10.1999 WWW.HUMBOLDT-GESELLSCHAFT.DE).

Anton Koktanek (Koktanek) nennt als Beispiele von Spengler-Schülern oder Spengler-Nachfolgern bzw. der auf Spengler folgenden Kulturmorphologen, Kultursoziologen und Kulturphilosophen solche, die Spengler direkt folgten, und solche, die „zum Teil in Opposition gegen ihn ihre Kulturmodelle und System entwickelt haben: Arnold J. Toynbee, Walter Schubart, Theodor Lessing, Nikolai Berdjajew, F. S. C Northrop, Alfred L. Kroeber, Pitirim A. Sorokin, Arnold Gehlen, Hugo Fischer, Albert Schweitzer, Hans Freyer, Christopher Dawson, Alfred Weber, Karl Jaspers, Alois Dempf, Romano Guardini, Philip Bagby u.a.m. (Spenglerianer). Sie alle - bei weitgespannten Unterschieden des Ansatzes, der Betrachtungsweisen und Ordnungsformen - machen ernst mit der Geschichtlichkeit, Vergänglichkeit, Sterblichkeit und also Zeitlichkeit der geschichtlichen Formen. Sie haben vor dem Hintergrund eines schier endlosen Trümmerfeldes einst glanzvoller Städte, zum Nomadentum herabgesunkener Kriegervölker, nicht mehr geglaubter Relgionen, unzugänglich gewordener Kunstwerke und sinnleer gewordener Einrichtungen und im Hinblick auf das eindringlichste Deklinationsbeispiel, den Untergang der Antike, in den Auflösungserscheinungen der westlichen Zivilisation den möglichen Untergang dieser neuen Gesittungsgemeinschaft diagnostiziert, viele mit der Hoffnung, durch Einsicht in die Gründe ihrer Krise einen Weg zu ihrer Überwindung zu finden, Spengler konsequent von der Unerbitterlichkeit des Fatums durchdrungen. Unter den eisigen zwingenden Anhauch seiner unaufhörlichen Angst, die sich reflektiert politisch als Sorge darstellt, psychologisch als Lebensangst und Todesangst, überkompensiert durch ein starres Willenstrotzdem (der er sich gelegentlich entzieht im Eskapismus der »freien« Phantasie), verdrängt Spengler die im gymnasialen Traditionalismus überbetonte Tatsache des Fortlebens vieler historischer Einzelprodukte und Einzelelemente, bedeutender Problemstellungen und Teilsysteme; seine Tapferkeit besteht im entschlossenen Momento mori. .... Spenglers Geschichtsmorphologie ist durchdrungen vom Prinzip Sorge als Objektivierung und Rationalisierung der Angst. Sein Werk ist, was er der ägyptischen Kultur nachrühmt, eine »Inkarnation der Sorge« (Spengler). »Die Sorge ist ein Gefühl, das ein Wissen in die Ferne hinaus voraussetzt, um das, was kommen wird, wie die Scham ein Wissen um das, was es war.« (Spengler). .... Wenn der Gang der Epoche uns etwa lehren kann, ist es hinterfragende Kritik: Einsicht in die Willensgründe des Pessimismus ebenso wie Skepsis gegenüber einem Optimismus, der auf die Machbarkeit aller Dinge und auf die Vollendbarkeit des Menschen aus eigener Kraft vertraut. Die Hoffnung, die Natur des Menschen durch Veränderung des Gesellschaftssystems oder der Gesellschaftsphilosophie zu verändern, ist durch die geschichtliche Erfahrung nicht bestätigt worden. Die machtvolle Entwicklung aller Wissenschaften und die durchgehende Technisierung der »Erdumfangskultur« (Arnold Gehlen), das Bekenntnis der meisten Staatsführungen zu einem Kodex humanitärer Verpflichtungen und der ... Sozialismus hat die begründete Sorge um die Zukunft nicht etwa nur der bürgerlichen Klasse oder der westlichen Zivilisation, sondern der ganzen Menschheit nicht vermindert.“ (Anton M. Koktanek, Oswald Spengler in unserer Zeit, 1972; als Nachwort zur ersten Taschenbuchausgabe in: Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, S. 1260-1262Spengler). WEITER

Spengler war stark an Goethe und Nietzsche orientiert und sah z.B. im Menschen „ein Element der allebendigen Natur, das sich gegen diese Natur empört und diesen Trotz mit dem Dasein büßen wird“ (Spengler) - Spenglers Nähe zu den Romantikern und Ökologisten (z.B. zu den „Alternativen“ und „Grünen“ der 1970er und 1980er Jahre) ist trotz Spenglers Zugehörigkeit zur Schule der Lebensphilosophie () nicht zu leugnen. „Von Goethe habe ich die Methode, von Nietzsche die Fragestellungen“, so Spengler (Spengler), und eine dieser Fragestellungen betraf die nihilistische Dekadenz, über die Nietzsche ja besonders viel wußte: „Der Abfall, Verfall, Ausschuß ist nichts, was an sich zu verurteilen wäre: er ist eine notwendige Konsequenz des Lebens .... Es ist eine Schmach für alle sozialistischen Systematiker, daß sie meinen, es könnte Umstände geben, gesellschaftliche Kombinationen, unter denen das Laster, die Krankheit, das Verbrechen, die Prostitution, die Not nicht mehr wüchse .... Aber das heißt das Leben verurteilen .... Es steht einer Gesellschaft nicht frei, jung zu bleiben .... Alter schafft man nicht durch Institutionen ab. Die Krankheit auch nicht .... Was man bisher als Ursachen der Degeneration ansah, sind deren Folgen.“ (Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht - Versuch einer Umwertung aller Werte, S. 30-31Nietzsche). Viel früher schon als sein Schüler Spengler sah nämlich Nietzsche „den Ausbruch aller Triebe in der regelstörenden Form der Krankheiten und Verbrechen als nicht aufhebbares Symptom einer gesamtgesellschaftlichen nihilistischen Dekadenz. .... – Spengler ist tatsächlich in der Wahl seiner Bilder, in seiner Wissenschaftslehre und in seinem Sprachstil, dem angemessenen Ausdruck seines Denkstils, der Lebensphilosophie () verbunden gewesen, die im irrationalen Leben und Erleben eine dem rationalen Denken überlegene Erkenntnisquelle zu besitzen glaubte. Zudem wirkt in ihm der Enthusiasmus einer durch stürmische Fortschritte der Biologie (und Medizin) geprägten Epoche, der das Schlagwort Evolution soviel bedeutete wie der späteren (oder/und der früheren [?]; HB) das Schlagwort Revolution, einer Epoche, in der dank Ernst Haeckel die Deszendenztheorie vor allem Darwinscher Prägung sich durchsetzte. Spengler hat das biologische Gleichnis überbetont, eine Phänomenologie und Morphologie der Geschichte gefordert, den morphologischen Vergleich der Kulturen gefordert, für sie rationale und kausale Methoden abgelehnt und sich auf physiognomischen Takt berufen. Doch hat der dogmatische, mythopoetische und prophetische Vortrag einer an sich fruchtbaren Arbeitshypothese der unmittelbaren Wirkung ebenso genützt, wie es der Nachwirkung geschadet hat. Seine Kulturlehre ist Ergebnis der Intuition, doch muß sie diskursiv überprüft, falsifiziert oder verifiziert werden. Heute kann sie, aus dem Symbolismus ihrer Entstehungszeit gelöst, weitergedacht werden, da uns die Kybernetik erlaubt, den für Spengler unaufhebbaren Gegensatz von mechanischen und organischen Abläufen zu überwinden und ein gemeinsames Modell biologischer, mechanischer und soziologischer Prozesse zu entwickeln. Die Spenglerschen Kulturen können als hochkomplexe, überstabile dynamische Systeme mit doppelter Rückkoppelung gelesen werden. Das Spenglersche Ursymbol (Ursymbol) stellt den soziogenetischen Code dar. Das Denkmodell erklärt gleicherweise die relative quasi-organische Geschlossenheit, Individualität und Ablaufsgesetzlichkeit der Kulturen wie ihre Offenheit, ihre Fähigkeit, fremde Güter, gewissermaßen »Störungen« im kybernetischen Sinn abzuweisen oder auch zu integrieren; auch das Problem der Pseudomorphosen (Spengler) kann dergestalt sinnvoll gelöst werden wie schließlich bei klarer Anerkennung der Diskontinuität der Kulturen die Frage nach der Kontinuität der Geschichte.“ (Anton M. Koktanek, Oswald Spengler in unserer Zeit, 1972; als Nachwort zur ersten Taschenbuchausgabe in: Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, S. 1263-1267 Spengler). WEITER
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Spenglers Kritiker kamen und kommen nicht umhin, zuzugeben, daß Spengler mit seinem „Untergang des Abendlandes“ einen Riesenerfolg hatte. Riesenerfolg! Und zugegeben: sicherlich auch - auch! - deswegen, weil der Titel mißverstanden wurde. (Mißverständnis). Für Spengler war natürlich zur Zeit der Abfassung (Beginn: 1911; der Titel stand 1912 fest!) die militärische und politische Niederlage vom November 1918 nicht absehbar, doch seit November 1918 konnte eben genau diese Niederlage als Teil eines allgemeinen, übernationalen Untergangs auch der Sieger (Helmuth Plessner) gesehen werden, das „tragische Bewußtsein des politischen Zusammenbruchs“ tröstlich kompensiert werden in der „vermeintlichen Aussicht auf den notwendigen Untergang des großen europäischen Kulturganzen“ (Manfred Schröter) oder - noch übler - die „eigene Misere als Untergangssymptome des ›Abendlandes‹“ (Joachim Petzold) gesehen werden, also die eigene Stimmung und Befindlichkeit im Untergang einer Kultur gespiegelt werden, um so durch Universalisierung zu entsubjektivieren, die anderen in den eigenen Untergang hingerissen zu wähnen, d.h. psychoanalytisch formuliert: den Entzug libidinöser Besetzung zu rationalisieren zu einem Untergang, der die Chiffre ist für die „Projektion einer innerlichen Katastrophe“ (Sigmund Freud). Doch wer Spengler nur verstehen will als Paradigma, die subjektiven Weltuntergänge zu verarbeiten und bestehen zu können, der muß Spengler auch verstehen als Paradigma, die objektiven Weltuntergänge zu verarbeiten und bestehen zu können. Mißverständnis

Spenglers Kritikern sei noch einmal gesagt: „... Spenglers Werk in seinem besten Kern erwächst, jenseits der Widersprüche seiner Theorien, letzten Grundes aus einer Metaphysik ....“ (Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker, 1922, S. 140-141 ). Auch und gerade das Schicksalshafte ist bei Spengler metaphysisch zu verstehen, weniger wohl auch theologisch-religiös: „Die Physik kann nur die Irrationalität des Urdatums feststellen. Und doch kann unser Denken mit seiner Warumfrage bei diesem Urdatum nicht haltmachen.“ (Karl Heim, Gedanken eines Theologen zu Einsteins Relativitätslehre, a.a.O., S. 347 ). Laut Karl Heim geraten Naturwissenschaft und Kulturwissenschaft - oder die personifizierten Beispiele: Einstein und Spengler - immer mehr in ein erkenntnistheoretisch unmögliches Extrem ihres Programms. „Das Extrem dieses Programms ist, wie Heim nachweist, erkenntnistheoretisch unmöglich. Der wertorientiert betrachtete Geist ist notwendige Voraussetzung der Kulturerfassung überhaupt. – Aber ist denn Spenglers Werk dieser Unmöglichkeit verfallen?  .... Gerade Heims letzte Erkenntnisse (von der Unzertrennlichkeit von »Seelentum und Naturbild«, von dem »vom Seelentum getragenen Kosmos« als letzter gegebener Realität, »in die wir mit unserer Forschung immer tiefer eindringen müssen«) hat Spengler nicht nur ausgesprochen, sondern, was viel mehr ist, nicht mit seiner Theorie, sondern mit seiner schöpferischen Leistung selbst bestätigt; deren Wesen und innerste Kraft, wie nachzuweisen ist, eben in jener von Heim formulierten Wechselwirkung und Wechselbedingtheit wurzelt und aus ihren tiefgeheimen Quellen sich ernährt. Mit anderen Worten, Spenglers Werk in seinem besten Kern erwächst, jenseits der Widersprüche seiner Theorien, letzten Grundes aus einer Metaphysik, die Heim niemals bezweifelt, doch in ihrer Tragweite noch unterschätzt hat. ... Eine Metaphysik der Zeit ..., die aus der Flucht des Werdens und Vergehens selbst den Klang der Ewigkeit heraushört und so die Notwendigkeit des Werdens und Vergehens gleichmäßig begreift, ja eben im Gesetz der Reife und ihres Vorüberwandelns den geheimsten Sinn des Seins rechtferligend erlebt. (Als »Ruhe auf der Flucht« - quies in fuga, um ein schönes musikalisches Wortspiel A. Schaeffers aufzugreifen - freilich in dem tieferen Sinn, der die erlösende und heiligende Ruhe auf der Flucht schon im Gesetz des Flüchtens und Vorüberreifens selbst unmittelbar erfüllt erlebt und diese Flucht des Seins darum bejahen und ertragen kann, versöhnt auch mit der äußerlich unmöglichen, doch innerlich zurückgewonnenen Erfüllbarkeit der tiefsten, wehmütigsten Bitte aller Kreatur: »Verweile doch, du bist so schön. ...«). .... Als schicksalsgläubig sucht Heim Spengler zu begreifen, doch selbst er sieht von dem religiösen Standpunkt aus die metaphysische Gestalt dieses Schicksalsgedankens nicht in ihrer reinen Eigenform. So tritt er aus dem Gleichgewicht und Mittelpunkt der Wechselbedingtheit (der eigentlichen metaphysischen Heimat) wieder heraus: Das Schicksalszentrum liegt für jede Religion in Gott, indes diese Metaphysik das Zentrum im Schicksalsgeschehen faßt und hier die Relativität selbst in das Absolute (in den Sinn dieses Geschehens) aufhebt.“ (Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker, 1922, S. 140-142 ).

„Diesen Daseinsaspekt nicht nur intuitiv, anschaulich, als Empfindung des Geschichtlichen auf die Kulturen übertragen, sondern vielmehr seinen eigenen Gehalt in seiner eigenen Form verfestigt zu haben - nicht in ausgebauter Systematik, doch in unbeirrbarem Instinkt - darin scheint uns die innere Überlegenheit Spenglers wenigstens über die bisherige Kritik begründet. Weil der Inhalt seiner Lehre, der Sinn des geschichtlichen Geschehens, sich in der Form dieses (reifenden) Geschehens selbst erfüllt, ist er in der Spenglerschen Fassung vor den oberflächlichen Angriffen jeder Optimismusforderung geschützt. Jener dämonisch durchdringende Blick auf das Vergehen der Kulturen ist, jenseits von Optimismus oder Pessimismus, als Verkünder des Geheimnisses der Zeit von unbezwinglicher, elementarer Kraft. .... Der Vorwurf der »Selbstaufhebung«, der Spenglers Buch gemacht wird, ist die entsprechende Steigerung und Fortsetzung jenes bekannten Vorwurfs gegen Hegel, daß nach seiner Lehre kein Fortgang des philosophischen Prozesses, ja der Weltgeschichte selbst mehr möglich sei. Daß die Absurdität dieser wörtlichen Folgerung doch auch dem Philosophen selbst wohl gegenwärtig gewesen sein dürfte und eben darum, als Mißverständnis der Kritik, noch eine andere Erklärung fordere, müßte doch selbstverständlich sein. Der Widerspruch erklärt sich auch bei Hegel aus der Selbsteinordnung in die Zeit, aus seinem Selbstbewußtsein, auf dem Scheitelbogen eines einheitlich gereiften Entwicklungszusamenhanges zu stehen, dessen Ziel »der in der Fülle seiner historischen Erscheinung sich selber wissende Mensch« ist (vgl. hierzu auch Alfred Baeumler: »Es ist ein ungeheures Verdienst Hegels, dem Gedanken vom Ende der Kunst ohne Scheu ins Auge gesehen und ihn ohne Pessimismus ausgesprochen zu haben. Die Kunst löst sich nicht in Nichts auf.« ), während in Spenglers Problem das prinzipielle Selbstbewußtsein einer späteren Zeit des »absteigenden Bogens« intuitiv zum entsprechenden Durchbruch kommt. .... Der wertvolle Beitrag, der sich aus dem Unterschied der Hegelschen und Spenglerschen Einstellung hier ergibt - gewissermaßen ihre »Phasendifferenz« - ist von der Kritik noch nicht eigentlich beleuchtet worden, so bedeutsam er doch für die Beurteilung Spenglers ist. .... Spengler unterscheidet: »Das Geheimnis der Welt erscheint nacheinander als Erkenntnisproblem, Wertproblem, Formproblem« (Spengler) und fühlt das letztere selbst als sein eigenes, entsprechend der vielsagenden Betonung der »Morphologie«. Die Dreiheit dieser Problemgrundformen wirkt aber nicht nur in der Aufeinanderfolge, sondern ebenso gleichzeitig in der gegenseitigen Verflechtung, in der nochmals die berührte Strukturtrilogie zum Ausdruck kommt.“ (Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker, 1922, S. 146-149 ). Richtig!
NACH OBEN
Was von Spengler bleibt?  Nun, eine ganze Menge, wie ich meine, und besonders eine in ihrer Bedeutung noch gar nicht ausgewertete und ausgeleuchtete Theorie der historischen Kulturen, die ich die Theorie der „Historienkulturen“ nenne und die meinetwegen auch Theorie der „Hysterienkulturen“ genannt werden darf, denn zwischen Historie und Hysterie gibt es durchaus einen Zusammenhang. Jedenfalls hat Spengler die Theorie der historischen Kulturen mit einer Fülle von Daten, Fakten sowie auch intensiver und tief in die Materie eindringender Reflexionen untermauert. Doch die historische Forschung und noch viel mehr die universalhistorische Geschichtsdeutung haben sich hiermit noch gar nicht auseinandergesetzt. Die Fülle der Gedanken und Ideen hierzu sind in ihrer Bedeutung ganz offensichtlich bisher übersehen worden - vor allem und mit besonders spezifischem Wegschauen seit „1968“ in Deutschland. Es bleibt nur abzuwarten, ob sich dies einmal ändern wird. Ein lohnendes Unternehmen wäre eine Auseinandersetzung mit Spenglers Theorie der historischen Kulturen auf jeden Fall, und es wäre dumm, sie in Zukunft weiterhin durch Wegschauen ignorieren zu wollen. Der zweite Hauptaspekt der Frage nach der Aktualität Spenglers richtet sich auf die politische Dimension seines Werkes. Auch die Jahre der Entscheidung sind ein hartes, kompromißlos argumentierendes, sich durch einen fast brutalen Realismus auszeichnendes Werk, eine Schrift, die den politischen Nerv der Zeit treffen wollte und auch getroffen hat. Aufschlußreich zur Rekonstruktion der politischen Überzeugungen des späten Spengler ist die hier sichtbar werdende, in der Formulierung zwar nur vorsichtig angedeutete, in der Sache aber unübersehbar deutliche Distanzierung vom Nationalsozialismus, besonders von der Rassentheorie. Dem vom NS-Regime verordneten Geschichtsoptimismus (z.B. die Idee eines neuen „Tausendjährigen Reiches“ und dergleichen) hat Spengler in seinem letzten Buch eine fast höhnische Abfuhr erteilt, die freilich nur derjenige zur Kenntnis nehmen konnte, der zwischen den Zeilen zu lesen verstand. Zwei Thesen stellt der Denker auf. Die 1. These: Mit dem Ende des Weltkrieges 1918 hat eine fundamental neue weltgeschichtliche Epoche begonnen. Die bis 1914 vollkommen unangefochtene Führung der abendländischen Mächte - und damit auch die Dominanz der abendländischen Kultur überhaupt - wird in immer stärkerem Maße in Frage gestellt; das alte Europa hat sich selbst mit diesem Krieg fundamental geschwächt, so daß eine allgemeine Umschichtung der politischen Kräfteverhältnisse auf dem Globus begonnen hat, deren Zielrichtung und Ergebnis noch keineswegs abzusehen sind. Neue Mächte beginnen aufzusteigen: Nicht nur die Vereinigten Staaten von Nordamerika sind endgültig ins Kartell der Weltmächte eingetreten, auch die bolschewistische Sowjetunion schickt sich an, in das Spiel der machtpolitischen Entscheidungen einzugreifen. Und die 2. These: Mit dem Sieg der Bolschewisten in der Sowjetunion hat die „weiße Weltrevolution“ begonnen, deren Ende ebenfalls noch nicht abzusehen ist. Diese soziale Revolution, die Erhebung der Unterprivilegierten gegen die bisherigen gesellschaftlichen und ökonomischen Führungsschichten, ist ein Vorgang, der sich, so Spengler, in naher Zukunft noch weiter fortsetzen und der vollends unabsehbare Folgen nach sich ziehen wird, wenn sich künftig einmal die „weiße Weltrevolution“ mit der „farbigen Weltrevolution“ verbündet, also mit dem eben beginnenden Aufstand der von den Weißen bis dahin noch beherrschten afrikanischen und asiatischen Völker gegen ihre Kolonialherren. Gegen die drohende „Gefahr der Verständigung zwischen den Farbigen und dem weißen Proletariat“ sah Spengler keine andere Möglichkeit, als den Zusammenschluß der weißen Völker zu gemeinsamer Aktion, um die eigene weltbeherrschende Stellung zu retten und damit auch den dabei immer noch andauernden Vorrang des Abendlandes wenigstens für einige Jahrhunderte zu sichern. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, daß Spengler den „Untergang“ (die Vollendung) des Abendlandes nicht konstatierte, sondern nur für die Zukunft prognostizierte. Dem in der Tat bereits sichtbaren langsamen Erlöschen der geistigen und künstlerischen Kräfte Europas und seiner Ableger stellte er die immer noch andauernden schöpferischen Fähigkeiten im Bereich der modernen Technik entgegen. Hierin werde das Abendland, davon war Spengler überzeugt, noch lange Zeit einen unaufholbaren Vorsprung besitzen. Aber eben nur dann, wenn die Gefahr einer Überwältigung durch die „weiße Weltrevolution“ und die „farbige Weltrevolution“ sowie einer allzu raschen Aneignung der modernen Technik durch die nicht-abendländischen Völker von den Abendländern rasch erkannt und mit entschlossen durchgeführten Gegenmaßnahmen bekämpft werde. Welrevolution

Es zeigt sich also, daß Spenglers Prophezeiung einer kommenden globalpolitischen Konfrontation, die sich vor allem an der Linie der kulturellen Differenz abspielen werde, richtig war, weil sie wahr geworden ist, daß sich - nach dem Ende der Ost-West-Spaltung und des Kalten Krieges - eben keine „einheitliche“ Welt, kein Weltstaat, kein „ewiger Frieden“, auch keine kulturell nivellierte, „us-amerikanisierte“ Einheitswelt herausgebildet hat, trotz aller ökonomischen „Globalisierung“. Das „Ende der Geschichte“ (Beispiel Fukuyama), die Auflösung historischer Existenz im Zuge eines universal agierenden Liberalismus, ist bis heute tatsächlich ausgeblieben. Die von Nietzsche prophezeiten „letzten Menschen“, die „in der Sonne blinzeln“ und sagen „Wir haben das Glück erfunden“, sind - obwohl dieser Typus sich in den 1990er Jahren hier und da bereits anzukündigen schien - noch nicht auf der Bildfläche der Gegenwart erschienen. Die fundamentalen kulturellen Differenzen zwischen den verschiedenen Kulturkreisen bestehen weiterhin mit unverminderter Schärfe fort, ja nehmen sogar noch enorm zu (das derzeit größte Problem hat das Abendland bekanntlich mit dem Morgenland). Und es sieht nicht so aus, als ob sich daran in absehbarer Zukunft etwas ändern würde. Das bedeutet aber: Der entscheidende Faktor der heutigen Weltpolitik ist und bleibt vorerst die Tatsache der kulturellen Fragmentierung der Welt und der sich daran anschließenden politischen Konflikte. Wie immer man die Ursachen dieser Konflikte auch deuten mag: als Konfrontation verschiedener „Fundamentalismen“ oder treffender als „Zusammenstoß der Kulturen“ (Huntington): es handelt sich um ein Faktum, das Spengler bereits vor dem 1. Weltkrieg präzise vorausgesehen und in seinen Umrissen beschrieben hat, freilich mit den Begriffen seiner damaligen Gegenwart und mit Bezug auf die seinerzeit unmittelbar drängenden Zeitprobleme. Was man von Spengler auch heute noch lernen kann, was also von seinem politisch-publizistischen Werk bleibt, das ist die Einsicht in die Unhintergehbarkeit und auch in die Unüberwindbarkeit der Konflikthaltigkeit der politischen Existenz des Menschen. Solange Menschen unterschiedlichen Kulturen angehören und sich dessen auch bewußt sind, so lange wird es keine Einheitswelt geben, so lange wird es Konkurrenzkämpfe und in der Regel auch gewaltsame Konflikte zwischen den Angehörigen der verschiedenen, miteinander konkurrierenden Kulturkreise geben. Spengler verdeutlicht uns: Zwei Kulturen mögen sich noch so sehr annähern - eine letzte, unüberwindbare Schranke bleibt immer bestehen. Das vermeintlich allen gemeinsame „Menschliche“ kommt nur dort zum Tragen, wo es um die „Natürlichkeit“ des Menschen geht. Kommt die „Kultur“ ins Spiel, dann beginnt der Konflikt, weil Kulturen jeweils zeitlich und räumlich gebunden, daher grundsätzlich verschieden sind und letztlich fundamental voneinander differieren. Daraus folgt nun keineswegs zwingend, daß es für alle Zukunft eine agonale, eine „kriegerische“ Welt geben muß, daß die Menschen, so lange sie existieren werden, sich immer wieder gegenseitig zu vernichten trachten. Aber daraus folgt, daß es Frieden und Eintracht, wenn überhaupt, nur in der von allen gemeinsam erkannten und bewußt ausgehaltenen, bewußt akzeptierten Differenz geben wird. Hierin liegen die Grenzen des Universalismus und erst recht diejenigen der „Globalisierung". Und darin liegt auch die Unmöglichkeit des Verzichts auf „Politik“, auch des Verzichts auf „Weltpolitik“ in einem durchaus traditionell gemeinten Sinn. Für unsere Gegenwart und wohl auch für unsere Zukunft gilt also unverändert - wahrscheinlich sogar mehr als jemals zuvor - die Warnung, die Spengler immer wieder formulierte: „Der Verzicht auf Weltpolitik schützt nicht vor ihren Folgen“ (Spengler). Mehr

Spirale

Wohl erst in Zukunft wird das absolut untragbar gewordene progressiv-lineare Geschichtsmodell durch das zyklisch-spiralförmige Geschichtsmodell ersetzt werden. Es ist in der Geschichte nahezu immer so gewesen, daß Modelle sich nicht dann durchgesetzt haben, wenn mit ihnen theoretische Triumphe einhergingen, sondern dann, wenn mit ihnen ebenso praktische Triumphe einhergingen. Kopernikanische Wenden soll es angeblich schon viele gegeben haben, und die echte war auch zunächst nur für Theoretiker interessant, sichtbar geworden ist sie erst durch die Praktiker.


NACH OBEN Ausgesuchte Stimmen

„Vieles steht wie eine Erfüllung da. Hier ist der Wurf gelungen. Aber um so stärker erregt mich der Gegensatz: daß für Sie die Kulturen etwas pflanzenhaft Wachsendes sind und daher die geschichtlichen Entscheidungen in die Sphäre des Zufalls fallen, daß Ihnen jede der Kulturen etwas Isoliertes bleibt, daß die Individualität derselben zwar als etwas Ursprüngliches erfaßt ist, aber dieser Dämon als festgelegt gilt, so daß die Gestaltung des Lebens zu Kulturen nur in Neuschöpfungen verläuft, daß die Kontinuität ihren Sinn verliert und das Zusammengelebt-werden des Heterogenen nicht eine spezifisch historische Form von Einung und Spannung ist, sondern bloße Maskerade.“ (Georg Misch, Brief an Oswald Spengler vom 08.11.1918, in: Oswald Spengler, Briefe, postum. S. 110Spengler).

„»Gemeinsame mythische Grundlage der Menschen aller Kulturen. .... Das ist der Punkt, in dem ich gerade als Erdgeschichtsforscher von Ihrer Gesamtanschauung differiere, daß nicht jede Kultur ihre eigne mythische Zeit und Geisterwelt hat, sondern daß sie aus einer gemeinsamen schöpfen, wenn auch die Zeit, in der jede daraus schöpft, natürlich verschieden ist.« [Edgar Dacqué, Brief an Oswald Spengler vom 14.06.1922] ....“  (Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 199Spengler).

„Spengler, der Historiker, bleibt lebendig und ein Ferment, trotz der »Fakta« und Sottisen, die die akademischen Nichtskönner jetzt gegen ihn vorbringen; aber der journalistische Prophet werde endlich ausgelöscht.“ (Ernst Bloch, Spengler als Optimist, 1921).

„Ihre Welthistorischen Perspektiven geben ... höchst belehrende und höchst überraschende Durchblicke durch die Weltgeschichte, wie man solche bisher noch nicht bekommen hat. .... Sie bieten viel, sehr viel. Auch decken Sie die dieWeltgeschichte beherrschenden Ideen ... oder wie man jetzt besser sagen kann: die Wahnideen auf, durch welche die Menschheit sich führen und verführen läßt.“ (Hans Vaihinger, Brief an Oswald Spengler vom 29.08.1922, in: Oswald Spengler, Briefe, postum, S. 210f.Spengler).

„Ganze Gesamtentwicklungen in dieses Schema zu pressen, wie es ... Spengler für sechs Kulturen versucht hat, ist nicht nur ein gewagter, sondern ein irreführender Weg.“ (Eduard Spranger, Die Kulturzyklentheorie und das Problem des Kulturverfalls, Vortrag 28. Januar 1926, a. a. 0., S. 47).

„Wenn die Geschichte der Philosophie nicht so sehr in der Lösung ihrer Probleme besteht als darin, daß die Bewegung des Geistes jene Probleme wieder und wieder vergessen macht, um die sie sich kristallisiert, dann ist Oswald Spengler vergessen worden mit der Geschwindigkeit der Katastrophe, in die, seiner eigenen Lehre zufolge, die Weltgeschichte Überzugehen im Begriff ist. ..... Die offiziellen Philosophen warfen ihm Flachheit vor, die offiziellen Einzelwissenschaften Inkompetenz und Scharlatanerie .... Spengler hat kaum einen Gegner gefunden, der sich ihm gewachsen gezeigt hätte: das Vergessen wirkt als Ausflucht. .... - Das ist alles, was die deutsche Wissenschaft und Philosophie aufbrachte gegen einen Mann, der sie abkanzelte wie der Feldwebel den Einjährig-Freiwilligen.“ (Theodor W. Adorno [eigentlich: Wiesengrund], Spengler nach dem Untergang, 1938, a.a.0., S. 51-53).

„Was den heutigen Durchschnittsmenschen vorzüglich angeht und unmittelbar anspricht, ist ... nicht das unscheinbare Entstehen, Wachsen und Vergehen der irdischen Naturphänomene ..., sondern geschichtliche Krisen und Revolutionen, Über- und Untergänge. Spenglers Untergang des Abendlandes war am Ende des Ersten Weltkrieges das bedeutungsvolle Dokument dieses allgemeinen Zeitgefühls, und die seither erfolgte Entwicklung der wissenschaftlichen Technik hat dieses epochale geschichtliche Bewußtsein gesteigert, auch wenn man von Spenglers These nicht mehr viel wissen will.“ (Karl Löwith, Gesammelte Abhandlungen zur geschichtlichen Existenz, 1960, S. 158).„Zwiespältiger blieb für die Erinnerung das literarische Phänomen Oswald Spengler. Ich bin ihm selber nie begegnet. Die Faszination seines Untergang des Abendlandes, zumal des ersten Bandes, war überaus stark; diese Morphologie einer den ganzen Erdball und die Jahrtausende umkreisenden Deutung der Kulturen hatte, auch im sprachlichen Vortrag, etwas Bezwingendes. Die abwägende Spezialkritik der historischen Fachleute kam demgegenüber nicht auf. Das Imponierende an dem Versuch war ja dies, daß er vor dem Ersten Weltkrieg unternommen war, dessen Verlauf und Ausgang etwas wie eine Bestätigung der alarmierenden These zu sein schien. (Die vulgäre Meinung ... hielt diese Termine ... nicht auseinander.) Mir scheint, daß die ursprüngliche Konzeption des Mannes im zweiten Band die Erhebung der slawischen, zumal der russischen Geisteswelt in die Führung zeigen sollte. Wie dem auch sei - Spengler sah sich verführt, im Manipulieren seiner Geschichtskenntnis, die immer mehr Deutung als Darstellung gewesen, ins Prophezeien hinüberzuwechseln.“ (Theodor Heuss, Erinnerungen, postum, S. 354).

„Und die Masse des 20. Jahrhunderts braucht Mut! Denn sie hat ... nichts mehr, nichts, gar nichts. Es ist Spätabend geworden. Selbstverständlich darf man das nicht sagen: Man spricht in einem Krankenzimmer, seit Dr. Oswald Spengler die Diagnose gestellt und es verlassen hat, nicht vom Sterben. Im Gegenteil .... Die ein Zentimeter über dem Horizont hängende Sonne wird zur aufgehenden Sonne ernannt.“ (Joachim Fernau, Die Genies der Deutschen, 1968, S. 15).

„Die Kritik an Spengler richtete sich meist gegen einzelne schwache Stellen des Systems sowie gegen den Mangel an Argumenten zu dessen vollständigem Beweis. Das Festhalten daran mußte bei den vielen Lücken der Argumentation als dogmatisch gedeutet werden. Was kritisch nur vereinzelt gesehen wurde, war die Anthropologie Spenglers, die den Menschen und seine innere Entfaltung von vomherein in enge Schranken verwiesen hatte, und dies im Sinne einer biologischen Determination. Zwar wurden Blut und Rasse als Träger von irrationalen Kräften, von Intuition und schöpferischen Impulsen angesehen. Die empirische Determination ließ alle diese inneren Möglichkeiten des Aufschwunges jedoch als endlich und konkret begrenzt postulieren. Das Unerschöpfliche im Menschen und die Vorstellung von seiner wesensmäßigen Kraft, sich stets neu zu erschaffen - so wie dies zu jeder nichtdogmatischen Anthropologie gehört -, wurden dem Geschichtsprozeß des Menschen als Gattung entzogen. Wenn es neben den ausgestorbenen und aussterbenden Kulturen nicht zufällig einen neuen Kulturorganismus gäbe, in dem sich menschliche Existenz und Weiterführung des Kulturprozesses fortsetzten, so müßten dieser Prozeß und seine geistigen Fundamente ein für allemal abgeschlossen bleiben. Die Geburt einer späteren Kultur aus einer neuen mystischen Symbolik« oder aus dem »Chaos urmenschlicher Ausdrucksformen« - und selbst aus dem Chaos von Resten vergangener Kulturen - brächte nach Spengler ja nur eine beschränkte Wiederholung des einmal Dagewesenen.“ (Georgi Schischkoff, Oswald Spengler und Arnold Joseph Toynbee, in: Spengler-Studien, Hrsg.: Anton Koktanek, 1965, S. 65-66).

„Was der Auffassung Spenglers fehlte, war die innere Dynamik unerschöpflicher Kräfte, die neben aller empirischer Determination nur aus der metaphysischen Offenheit der Fundamente menschlicher Existenz richtig verstanden werden kann. Daß neugestellte Aufgaben und herausfordernde Situationen solche Kräfte in einer nicht nur biologisch verstehbaren Weise intensivieren konnten, zummal gerade derartige Kräfte irn Hintergrund als etwa metaphysisch gespeist gedeutet werden müßten, zu einem solchen Irrationalismus scheint Spengler keinen Zugang gefunden zu haben. Die Dialektik von Mensch und Welt, von Begegnung und Reflexion oder schließlich von Herausforderung und Antwort, wobei letztere mehr ist als eine empirisch bedingte Reaktion, -gerade diese Dialektik des inneren Aufschwunges fehlt im Denken Spenglers; oder sie dürfte zumindest mit seiner morphologischen Betrachtungsweise unvereinbar sein. Das Fehlen einer solchen Dynamik im gesamthistorischen Prozeß ist freilich nicht auf die von Spengler eingeführten »Geschichtseinheiten«, die er als Kulturorganismen versteht, zurückzuführen, sondern lediglich auf deren starre, nach außen abgeschlossene Gesetzmäßigkeit. Das Bedürfnis nach einer Auflockerung sowohl des Begriffes von »Geschichtseinheit« wie auch von deren gesetzmäßigen Entfaltung leitete dann zu dem neuen Ansatz, auf den Toynbee sein System aufgebaut hat (Mehr).“ (Georgi Schischkoff, Oswald Spengler und Arnold Joseph Toynbee, in: Spengler-Studien, Hrsg.: Anton Koktanek, 1965, S. 66).

„An Spenglers fortdauernder Bedeutung läßt sich kaum zweifeln. Sie besteht unabhängig von der politischen und philosophischen Einschätzung seines Werkes. Allein schon der Massenerfolg seines Hauptwerkes Der Untergang des Abendlandes ist eine intellektuelle Herausforderung. .... Aber dem publizistischen Rang dieses Titels entsprechen doch, im ganzen, auch die Spenglerschen Texte. .... Sie sind nicht gedrechselt, vielmehr schwungvoll, erfüllt von Assoziationslust, perspektivenreich. Kurz: Sie bereiten Lesevergnügen, und zwar auch dann, wenn der hohe Prophetenton, den Spengler durchhält, uns inzwischen vor allem zu Reaktionen der Abwehr veranlaßt. Spengler, der ohne Nietzsche nicht denkbar ist, sollte uns als der seltene Fall eines deutschen Philosophen, der die breite Öffentlichkeit erreichte, gegenwärtig bleiben.“ (Hermann Lübbe, Vorwort zu: Peter Christian Ludz [Hrsg.], Spengler heute, 1979, S. VII f.).

„In der bisherigen Menschheitsgeschichte war das Reflexivwerden von falschen und bösen Bewußtseinslagen immer ein kulturpathologisches Symptom - Ausdruck dessen, daß herrschende Schichten in ein morbides, zur Verwilderung und Enthemmung geneigtes Stadium eingetreten waren. Hierüber hat im übrigen Oswald Spengler .... Aussagen von verblüffender physiognomischer Präzision gemacht.“ (Peter Sloterdijk, Krtitik der zynischen Vernunft, 1983, S. 699-700 Sloterdijk).

„Die neuen Immunitätstechniken empfehlen sich als Existentialstrategien für Gesellschaften aus Einzelnen, bei denen der Lange Marsch ... zum Ziel geführt hat - zur Grundlinie des von Spengler richtig prophezeiten Endes jeder Kultur: jenem Zustand, in dem es unmöglich ist, zu entscheiden, ob die Einzelnen außergewöhnlich fit oder außergewöhnlich dekadent sind. enseits dieser Linie verlöre die letzte metaphysische Differenz, die von Nietzsche verteidigte Unterscheidung von Vornehmheit und Gemeinheit, ihre Kontur, und was am Projekt Mensch hoffnungsvoll und groß erschien, verschwände wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand.“ (Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999, S. 1004-1005Sloterdijk).

Spenglers zentrale Denkerfahrung liegt in der Beobachtung, daß Formen ein Eigenleben haben - sein ganzes Genie steckt in diesem Motiv. .... Die Form, die Spengler vor allem interessiert, ist das, was er eine Kultur nennt. Nun ist Spenglers Formbegriff, der über Goethes Idee der Urpflanze () bis auf die aristotelische Zoologie zurückgeht, durch und durch organologisch geprägt, er gehört zu einem lebensphilosophischen () Sprachspiel, in dem das Leben als Substanz betrachtet wird und die Individuen als Akzidentien.“ (Peter Sloterdijk / Hans-Jürgen Heinrichs, Die Sonne und der Tod, 2001, S. 177Sloterdijk).

Spengler redet in solchen Zusammenhängen ganz nietzscheanisch, wobei man wissen muß, daß Nietzsche in seinen besten Augenblicken als Immunologe spricht, wie ein Kulturarzt, der weiß, daß Kulturen und ihre Träger, die Menschen, Wesen sind, die mit dem Ungeheuren geimpft werden und eigensinnige Immunreaktionen entwickeln, aus denen verschiedene kulturelle Temperamente hervorgehen. In diesem Sinne muß man Spenglers These auffassen, daß es nur acht Hochkulturen im eigentlichen Wortsinn gegeben habe. Nur in dieser kleinen Zahl von Fällen haben sich die hochkulturschöpferischen Immunreaktionen vollzogen, von denen jede einzelne einen unverwechselbaren Charakter besaß. Die acht hohen Kulturen wären demnach die Abwicklung lokaler Immunreaktionen.“ (Peter Sloterdijk / Hans-Jürgen Heinrichs, Die Sonne und der Tod, 2001, S. 225-226Sloterdijk).

„Man sollte Spengler progressiv fruchtbar machen und ihn als einen Experten in Primärraumfragen hören.“  (Peter Sloterdijk / Hans-Jürgen Heinrichs, Die Sonne und der Tod, 2001, S. 228 Sloterdijk).

„Es gibt keine tiefer angelegte Analyse zu unserem Thema als die von Oswald Spengler in seinem Hauptwerk über den Untergang des Abendlandes. Der Ton dieser Analyse, vor allem in dem zentralen und für uns einschlägigen Kapitel über die Seele der Stadt, ist aber so überspitzt polemisch und ressentimentgeladen, daß bisher kaum jemand Lust hatte, zu fragen, ob Spengler recht behalten hat. Dabei hat seine Hauptthese über die »Unfruchtbarkeit des zivilisierten Menschen« (Spengler) durchaus die Qualität, unsere aktuellen Erfahrungen mit der Kinderlosigkeit von Wohlstandsbürgern zu resümieren. Spengler unterstellt dem modernen Menschen, nicht mehr leben zu wollen. Genauer: Er möchte wohl noch als Einzelner leben, und zwar möglichst lange, wie Nietzsche das vom »letzten Menschen« vorausgesagt hat, aber er möchte nicht mehr als Typus leben. Der Gedanke an das Aussterben seiner Familie schreckt ihn nicht mehr. Auf die Frage »Wozu Kinder?« findet er keinen Grund und hat deshalb auch keine.“ (Norbert Bolz, Die Helden der Familie, 2006, S. 9-10 Bolz).

„Bekanntlich hat Spengler den Untergang des Abendlandes analog zum Untergang der Antike konstruiert. Und gerade im Blick auf die zivilisatorische Unfruchtbarkeit funktioniert dieser Vergleich zwischen dem römischen Imperium und dem modernen Europa besonders gut. Beide leben sie in Frieden, sind gut organisiert und hochgebildet. Trotzdem schwindet die Bevölkerung rasch dahin. Und daran können auch die verzweifelten staatlichen Maßnahmen nichts ändern, die Kinder besserstellen, unbemittelte Eltern unterstützen, Adoptionen fördern und Einwanderung erleichtern. All diese politischen Maßnahmen verpuffen, weil das Problem auf einer anderen - wie Spengler meint: metaphysischen - Ebene liegt. »Statt der Kinder haben sie seelische Konflikte, die Ehe ist eine kunstgewerbliche Aufgabe und es kommt darauf an, ›sich gegenseitig zu verstehen‹. Es ist ganz gleichgültig, ob eine amerikanische Dame für ihre Kinder keinen zureichenden Grund findet, weil sie keine season versäumen will, eine Pariserin, weil sie fürchtet, daß ihr Liebhaber davongeht, oder eine Ibsenheldin, weil sie ›sich selbst gehört‹. Sie gehören alle sich selbst und sie sind alle unfruchtbar.« (Spengler)“ (Norbert Bolz, Die Helden der Familie, 2006, S. 10 Bolz).

Für Sloterdijk „ist Hochkultur keineswegs bloß, wie Oswald Spengler dozierte, die Resultierende aus der Begegnung zwischen einer Landschaft und einer Gruppenseele - oder das Amalgam aus einem Klima und einem Trauma. Sie ist aber auch nicht einfach »Reichtum an Problemen«, um Egon Friedells (Friedell) geistvolle Definition von Kultur im Sinn von Bildung zu zitieren. Vielmehr wurzelt jede Hochkultur in ihrem robusten Eigentum an einem überlieferungsfähig gemachten Paradoxon. Sie entspringt aus der grausamen Naivität, mit der sich das basale Paradoxon in seinen frühen Stadien verkörpert. Grausam ist die Naivität der frühen Hochkulturen in dem Maß, wie sie ihre Forderung nach der Ermöglichung des Unmöglichen gegen ihre Adepten durchsetzt. Erst wenn solche harten Ausgangsparadoxien sich zu Problemen entspannt haben, können sie wie Reichtümer genossen und wie Bildungsgegenstände gesammelt werden. In ihren frühen Zuständen werden Paradoxien nicht als Schätze erlebt, sondern als Passionen erlitten.“ (Peter Sloterdijk, Du mußt dein Leben ändern, 2009, S. 428 Sloterdijk).

„Sprechen wir aus, worin die Basisparadoxie aller Hochkultur besteht: Sie folgt aus ihrer Orientierung an hyperbolischen oder akrobatischen Exzessen, die stets unter der Annahme betrachtet werden, sie seien zur Nachahmung und Normalisierung geeignet. Indem die Hochkulturen Ausnahmeleistungen zu Konventionen erheben, erzeugen sie eine pathogene Spannung, eine Art von chronischer Höhenkrankheit, auf welche die hinreichend intelligenten Teilnehmer an dem paradoxen Spiel nur noch durch dieAusbildung eines internen Ausweich- und Simulationsraums, mithin einer »Seele«, eines ba, einer psyché, eines atman, allgemeiner gesprochen einer dauerreflexiv irritierten Innenwelt antworten können.“ (Peter Sloterdijk, Du mußt dein Leben ändern, 2009, S. 428-429 Sloterdijk).

„Die Seele emergiert als die Instanz, in der das Unmögliche wie eine ständig zu bedenkende Möglichkeit vergegenwärtigt werden muß. »Seele« im Sinne eines innenweltlichen oder mikrokosmischen Organs zur Verdoppelung des Seienden im ganzen ist keineswegs eine überzeitliche Instanz, in der sich das Für-sich-Sein der Menschen aller Zeiten und Völker manifestiert hätte. Sie entsteht erst als das Symptom einer Überreizung durch ein unausweichliches Paradoxon - durch eine Forderung, die sich weder erfüllen noch ignorieren läßt. Das »menschliche Innere« hört dann auf, nur der Transitraum von »aufwallenden« Affekten zu sein, wie man es etwa in der homerischen Ansicht vom thymós noch deutlich erkennt; auch ist es nicht mehr nur die Rezeption für die Besuche von Dämonen, Träumen und »Ideen«. Es gleicht eher einer chronischen Entzündung der Selbstwahrnehmung, provoziert durch die Zumutung, daß sich das Begehren der Einzelnen an unmöglich nachzuahmenden Beispielen ausrichten soll. Die paradoxe Entzündung und das stabilisierte Für-sich sind gleichaltrige Größen. Umgekehrt wird die hochkulturelle Ethik nur dadurch attraktiv, daß sie es lernt, mit den höchsten Faszinationen, dem physisch und moralisch Wunderbaren, für sich zu werben. Das Wunderbare ist das Lächeln des Unmöglichen.“ (Peter Sloterdijk, Du mußt dein Leben ändern, 2009, S. 429 Sloterdijk).

„Allein durch die Verwandlung des Unglaublichen ins Vorbildliche kann das Arbeitsklima der Hochkultur sich stabilisieren: Wenn sie zu den Ihren spricht, dann nie ohne den Hinweis auf die Vollendeten zu vergessen, die gerade dadurch, daß sie Nicht-Nachnahmbares geleistet haben, zur Nachahmung empfehlbar werden. Sobald das akro bainein, das blickebannende Wandern auf dem Seil über dem Abgrund, vom physischen aufs moralische Feld überspringt, ist das Paradoxon im Spiel: Die Vertikalspannungen der überschwenglichsten Art entstehen durch die Erhebung des Unnachahmlichen in den Rang des Exemplarischen.“ (Peter Sloterdijk, Du mußt dein Leben ändern, 2009, S. 429-430 Sloterdijk).

„Auf Aron Zalkind, 1889-1936, ... der ... die Ansätze von Freud und Pavlov zu synthetisieren versuchte (um das Feld der Erziehung für die damals viel benutzte Theorie der »bedingten Reflexe« zu reklamieren und die Kulturtheorie als Anwendungsgebiet der höheren Reflexologie zu annektieren) ..., beruhte die »Kunst« der sowjetisch-sozialistischen Prognostik (Mehr). Sie bildet das real-utopische Gegenstück zu Oswald Spenglers nicht weniger prätentiösem Versuch, die Erzählbarkeit der Zukunft durch Einsicht in die Ablaufgesetze der »Kulturen« auf wissenschaftliche Grundlage zu stellen.“ (Peter Sloterdijk, Du mußt dein Leben ändern, 2009, S. 632 Sloterdijk).


NACH OBEN Das letzte Wort soll hier aber der Kritisierte selbst haben:

„Geschichte wissenschaftlich behandeln wollen ist im letzten Grunde immer etwas Widerspruchsvolles. Die echte Wissenschaft reicht so weit, als die Begriffe richtig und falsch Geltung haben. Das gilt von der Mathematik, das gilt also auch von der historischen Vorwissenschaft der Sammlung, Ordnung und Sichtung des Stoffes. Der eigentlich geschichtliche Blick aber, der von hier erst ausgeht, gehört ins Reich der Bedeutungen, wo nicht richtig und falsch, sondern flach und tief die maßgebenden Worte sind. Der echte Physiker ist nicht tief, sondern ›scharfsinnig‹. Erst wenn er das Gebiet der Arbeitshypothesen verläßt und an die letzten Dinge streift, kann er tief sein - dann aber ist er auch schon Metaphysiker geworden. Natur soll man wissenschaftlich behandeln, über Geschichte soll man dichten. Der alte Leopold von Ranke () soll einmal gesagt haben, daß der »Quentin Durward« von Scott doch eigentlich die wahre Geschichtsschreibung darstelle. So ist es auch; ein gutes Geschichtswerk hat seinen Vorzug darin, daß der Leser sein eigner Walter Scott zu sein vermag. (). ...“ (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1918; S. 129 Spengler).

„Sechstausend Jahre höherer Menschengeschichte liegen vor uns. Aus der Masse, die sich über den ganzen Planeten verbreitet hat, sondert sich, Geschichte im tieferen Sinne, das Schauspiel und Schicksal der großen Kulturen ab. (8 Kulturen). Sie liegen vor dem Auge des Betrachters als Formenwelten von gleichartigem Bau, mächtiges Seelentum, das sichtbare Gestalt gewinnt, innerstes Geheimnis, das sich in lebendig fortschreitender Wirklichkeit ausdrückt. Ein unveränderliches Ethos wirkt in ihnen. Es prägt nicht nur je eine ganz bestimmte Art von Glauben, Denken, Fühlen, Tun, von Staat, Kunst und Lebensordnung, sondern auch einen antiken, indischen, chinesischen, abendländischen Typus »Mensch« von vollkommen eigener Haltung des Leibes und der Seele, einheitlich in Instinkt und Bewußtsein, Rasse in geistigem Sinne, aus.“ (Oswald Spengler, Preußentum und Sozialismus, 1919, in: Politische Schriften, S. 22 Spengler).

„Was man heute Nationalismus nennt, ist nichts als das Bewußtsein der führenden Schichten aller Völker für die ungeheuren Gefahren der Weltlage, seit der Krieg alle Verhältnisse aufgelockert hat. .... Die verantwortlichen Kreise aller Völker sind auf dem Posten - nur die Narren, Feiglinge und Verbrecher, die bei uns an deren Stelle stehen, glauben oder geben vor zu glauben, daß der Verzicht auf Weltpolitik vor ihren Folgen schütze.“ (Oswald Spengler, Neubau des Deutschen Reiches, 1924, in: Politische Schriften, S. 191 Spengler).

„Man war - und ist - zu flach und feige, die Tatsache der Vergänglichkeit alles Lebendigen zu ertragen, man wickelt sie in einen rosaroten Fortschrittsoptimismus, an den im Grunde selbst niemand glaubt, man deckt sich mit Literatur zu, man verkriecht sich hinter Idealen, um nichts zu sehen. Aber Vergänglichkeit, Entstehen und Vergehen, ist die Form alles Wirklichen, von den Sternen an, deren Schicksal für uns unberechenbar ist, bis herab zu dem flüchtigen Gewimmel auf diesen Planeten. Das Leben des einzelnen - ob Tier, Pflanze oder Mensch - ist ebenso vergänglich wie das von Völkern und Kulturen. Jede Schöpfung unterliegt dem Verfall, jeder Gedanke, jede Erfindung, jede Tat dem Vergessenwerden.“ (Oswald Spengler, Der Mensch und die Technik, 1931, S. 11 Spengler).

„An und für sich ist es belanglos, welches Schicksal unter den Scharen »ewiger« Sterne dieser kleine Planet hat, der irgendwo im unendlichen Raume für kurze Zeit seine Bahnen zieht; noch belangloser, was auf seiner Oberfläche für ein paar Augenblicke sich bewegt. Aber jeder einzelne von uns, an und für sich ein Nichts, ist für einen unerkennbar kurzen Augenblick, eine Lebensdauer, in dieses Gewimmel hineingeworfen. Und deshalb ist sie für uns über alle Maßen wichtig, diese Welt im Kleinen, diese »Weltgeschichte«. Und darüber hinaus ist es das Schicksal jedes einzelnen, daß er durch seine Geburt nicht nur in diese Weltgeschichte überhaupt versetzt ist, sondern in ein bestimmtes Jahrhundert, ein bestimmtes Land, ein bestimmtes Volkstum, eine bestimmte Religion, einen bestimmten Stand. .... Diesem Schicksal (Schicksal) - oder Zufall (Zufall) - hat man sich zu fügen.“ (Oswald Spengler, Der Mensch und die Technik, 1931, S. 12-13 Spengler).

„Es gibt keinen »Menschen an sich«, sondern nur Menschen zu einer Zeit, an einem Ort, von einer Rasse, einer persönlichen Art, die sich im Kampfe mit einer gegebenen Welt durchsetzt oder unterliegt, während das Weltall göttlich unbekümmert ringsum verweilt. Dieser Kampf ist das Leben, und zwar im Sinne Nietzsches (Nietzsche) als ein Kampf aus dem Willen zur Macht, grausam, unerbittlich, ein Kampf ohne Gnade.“  (Oswald Spengler, Der Mensch und die Technik, 1931, S. 13 Spengler).

„Denn der Mensch ist ein Raubtier. Feine Denker wie Montaigne () und Nietzsche (Nietzsche) haben das immer gewußt. Die Lebensweisheit in alten Märchen und Sprichwörtern aller Bauern- und Nomadenvölker, die lächelnde Einsicht großer Menschenkenner - Staatsmänner, Feldherren, Kaufleute, Richter - auf der Höhe eines reichen Lebens, die Verzweiflung gescheiterter Weltverbesserer und das Schelten erzürnter Priester waren weit davon entfernt, das zu verschweigen oder leugnen zu wollen.“ (Oswald Spengler, Der Mensch und die Technik, 1931, S. 14 Spengler).

„Der Mensch ist ein Raubtier. Ich werde es immer wieder sagen. All die Tugendbolde und Sozialethiker, die darüber hinaus sein oder gelangen wollen, sind nur Raubtiere mit ausgebrochenen Zähnen ...  Seht sie doch an: sie sind zu schwach, um ein Buch über Kriege zu lesen, aber sie laufen auf der Straße zusammen, wenn ein Unglück geschehen ist, um ihre Nerven an dem Blut und Geschrei zu erregen, und wenn sie auch das nicht mehr wagen können, dann genießen sie es im Film und in den illustrierten Blättern. (Mehr dazu). Wenn ich den Menschen ein Raubtier nenne, wen habe ich damit beleidigt, den Menschen - oder das Tier?“ (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung, 1933, S. 14 Spengler).

„Sie schreien: Nie wieder Krieg! - aber sie wollen den Klassenkampf. Sie sind entrüstet, wenn ein Lustmörder hingerichtet wird, aber sie genießen es heimlich, wenn sie den Mord an einem politischen Gegner erfahren. Was haben sie gegen die Schlächtereien der Bolschewisten einzuwenden gehabt?“ (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung, 1933, S. 14 Spengler).

„Als letzte Art des Verstehens der Dinge wie sie sind, erscheint die Skepsis (Skepsis), der gründliche Zweifel am Sinn und Wert des theoretischen Nachdenkens, an dessen Fähigkeit kritisch und begrifflich irgend etwas zu erschließen und praktisch irgend etwas zu leisten: die Skepsis in Form der großen historischen und physiognomischen Erfahrung, des unbestechlichen Blickes für Tatsachen, der wirklichen Menschenkenntnis, die lehrt, wie der Mensch war und ist und nicht wie er sein sollte, des echten Geschichtsdenkens, das unter anderem lehrt, wie oft solche Zeitalter der allmächtigen Kritik schon da waren und wie erfolglos sie vergangen sind; die Ehrfurcht vor den Tatsachen des Weltgeschehens, die innerlich Geheimnisse sind und bleiben, die wir nur beschreiben und nicht erklären können und die praktisch nur durch Menschen von starker Rasse, die selbst historische Tatsachen sind, gemeistert werden können und nicht durch sentimentale Programme und Systeme. Dieses harte historische Wissen um die Tatsachen, wie es in diesem Jahrhundert beginnt, ist den weichen, unbeherrschten Naturen unerträglich. Sie hassen den, der sie feststellt, und nennen ihn einen Pessimisten. Nun gut, aber dieser starke Pessimismus, zu dem die Menschenverachtung aller großen Tatmenschen gehört, die Menschenkenner sind (Spengler), ist etwas ganz anderes als der feige der kleinen müden Seelen, welche das Leben fürchten und den Blick auf die Wirklichkeit nicht ertragen.“ (Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung, 1933, S. 9-10 Spengler).

 


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Anmerkungen:


Egon Friedell (21.01.1878 - 16.03.1938), Kulturgeschichte Griechenlands (S. 94), München, 1936. Friedell

Ivar Lissner (23.04.1909 - 28.02.1967), Die Rätsel der großen Kulturen (S. 9, 11, 36, 349-352), Freiburg i.B., 1961. Lissner

Am Schluß seines Buches schreibt Lissner (S. 352 Lissner): „Paulus erhoffte eine ganz andere Welt. Er sah im Jahre 58 n. Chr. die Beurteilung des Menschen nach materieller, nach fleischlicher Weise als beendet an. Er hielt den Sieg der geistigen Seite des Menschen von nun an für gesichert. Von Macedonien aus schrieb er in dem persönlichsten Brief, den er verfaßte, an die Korinther: »Siehe, es ist alles neu geworden.«“ Paulus († 63 oder 67)

Philip Bagby, Culture and History. Prolegomena to the Comparative Study of Civilizations, 1958

Urphänomen ist nach Goethe (1749-1832 Goethe) das empirische Phänomen, das jeder Mensch in der Natur erkennen kann und das durch Versuche zum wissenschaftlichen Phänomen erhoben wird, indem man es unter anderen Umständen und Bedingungen und in einer mehr oder weniger glücklichen Folge darstellt, so daß zuletzt das reine Phänomen als Resultat aller Erfahrungen und Versuche dasteht. Es ist ideal als das letzte Erkennbare, real als erkannt, symbolisch identisch mit allen Fällen, weil es alle Fälle begreift. Zum Beispiel: Urpflanze ist ein Begriff aus der Naturbetrachtung Goethes für das Urbild (Idee, begriffliche Urgestalt), nach dem alle anderen Pflanzenarten durch Abwandlungen entstanden sein sollen. Goethe suchte die Urpflanze in der Natur als eine noch unbekannte Art, oder auch etwa in der Grundgestalt eines Blattes oder eines Stammes zu finden, während Schiller (1759-1805 Schiller) in einem Gespräch mit ihm darüber auf den platonischen Ideencharakter der Urpflanze hinwies. - „In der Idee der Goethischen Urpflanze verbirgt sich die totale Idee des Lebendigen (Goethe und Lebensphilosophie) überhaupt. .... Im Werden gibt es nichts anderes als Bildungen, die Umbildungen sind, als Umwertungen, die Wendungen - Wenden! sind. Diese aber setzen immer die nächst höhere Metamorphose, als Aufwandlung, Höherwandlung, Neuwandlung der sich stufenweise aufschließenden Ur-Idee der natürlichen, geschichtlichen und menschlichen Ganzheit voraus. Im Ganzen sehen, davon sogleich ausgehen, das verlangt Goethe entschieden. Und anders auch läßt sich die Totalität des Lebendigen, als totaler Geist, gar nicht behandeln. Es ist eben die Ganzheitssprache Goethes, in der auch wir uns zu verständigen suchen und dies müssen. .... Weil aber nicht der Stoff, sondern der Geist ideehaft bewegt, die Idee der Gestalt also im Geist, dem Inneren, und nicht im Stoff, dem Äußeren, liegt, so ist das Urphänomen nichts anderes, zwar auch nichts Geringeres: als das  » g e i s t i g e  B i l d u n g s g e s e t z «  überhaupt. Durch seine Gleichheit in Teil und Ganzem, und durch seine einheitliche, immer gleich bleibende und verlaufende Bildungsweise in allem Gestaltlichen, ruft dieses Urgesetz zuletzt die Harmonie alles Lebendigen hervor, eben weil es, schöpfungsgeschichtlich betrachtet, diese Harmonie selber ist. Aus diesem Grunde sagt Goethe nur zu sehr mit Recht: »Was man Idee nennt: Das, was immer zur Erscheinung kommt, und daher als Gesetz aller Erscheinungen uns entgegentritt.« . .... »Die Lehre der Metamorphose«, sagt darum Goethe, »ist der Schlüssel zu allen Zeichen der Natur.« Aber Metamorphose bedeutet Verwandlung und Wandlung des Ganzen, bedeutet Weiterwandlung, als unendliche Bildung und Umbildung einer Gestalt, sowie im Augenblick auch aller Gestalten. Rotation des Ganzen ist schon der Wandel des Ganzen, und so denn auch aller Teile des Ganzen. Die Idee der Metamorphose gehört dem Ganzen ausschließlich an. Der Teil bildet sich, weil sich das Ganze wandelt. Das Ganze aber ist nicht abzugrenzen, »es geht nicht unter!«  (Kritik an Spengler), kennt keinen Anfang, so wenig wie es ein Ende kennt. Was aber für das Ganze gilt, gilt um so entschiedener für den Teil, der erst durch das Ganze ist. ... Die Kultur ist kein Urphänomen! (Kritik an Spengler). Und sie kann kein Urphänomen, keine Urerscheinung sein, weil sie ja bereits äußerlich Erschienenes ist, und daher durch das innere, geistige Gesetz, durch das Urphänomen, erst geworden ist. Weshalb auch der Blick über die »gewordene« Kulturgeschichte nicht auf das geschichtlich Werdende führt, welches durch das ewig sich wandelnde, bildende und zugleich wieder umbildende Urphänomen nur in Wenden, als Neuwandlungen, erkannt sein will und zu erkennen ist. .... Was Goethe entdeckte, was ihn sein ganzes Leben so vorzüglich beschäftigt hat, war das Schöpfungsgesetz selber. Deshalb auch sah Goethe seinen Einblick ins Werden so tief innerlich liegen, das Urphänomen so unerreichbar erhaben wirken, und doch so sichtbar wandeln. Und diese, seine Grenzschau drückt er in seiner Erklärung an Eckermann aufs vollkommenste aus: »Das Höchste, wozu der Mensch gelangen kann, ist das Erstaunen, und wenn ihn das Urphänomen in Erstaunen setzt, so sei er zufrieden; ein Höheres kann es ihm nicht gewähren, und ein Weiteres soll er nicht dahinter suchen: hier ist die Grenze.« .... Die Spiral- und Vertikaltendenz ist schon das Urphänomen, das Schöpfungsgesetz. Auf diesem Gesetz beruht, wenn wir mit Goethe von »innen« an die Kulturerscheinung treten, jede dieser Gestalten, ihr ganzer Wandel, ihr Vortreten und Zurücktreten, ihr Wenden und sich Erneuern. So wenigstens sah Goethe die Idee seiner Metamorphose im lebendigen Ganzen Gestalt gewinnen, und die Harmonie des Weltganzen überall hervortreten. Denn auch Wenden, Umwertungen in Natur und Geschichte ... sind dennoch vor dem Wandel des Ganzen keine Einbrüche, Wachstumsstörungen, Zerstörungen, Erstarrungen, keine »Untergänge!«  (Kritik an Spengler), nichts Unharmonisches: sie sind im Gegenteil ... nur schöpferische Durchgänge des Ganzen, Wendegänge, Umwertungsgänge, Weitergänge zu neuen Schöpfungsabbildern im inneren Wandel des Schöpfungsgesetzes.“ (Wilhelm Düren im Gespräch mit Oswald Spengler, Dezember 1928; vgl. Wilhelm Düren, Meine Unterredung mit Oswald Spengler. Die Germanisch-Abendländische Idee, 1940, S. 6, 9-10, 25-26, 30-31, 34, 35-36, 38-39).

Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832 Goethe) könnte vielleicht sogar der eigentliche Begründer der abendländischen Lebensphilosophie (Lebensphilosophie) gewesen sein, doch war er in seiner Vielfältigkeit und in seinem Universalgelehrtentum mehr Genie und Künstler als Philosoph. Spengler meinte, Goethe sei „in seiner ganzen Denkweise, ohne es zu wissen, ein Schüler von Leibniz gewesen“. (). Leibniz (1646-1716 ) war als barock-absolutistischer „Denkmonarch“ ein „Philosophen-Sonnenkönig“ oder „Philosophen-Sonnenkaiser“ - als ein solcher „Einzelgänger“ war er selbst vielleicht die von ihm entwickelte göttliche „Ur-Monade“, jedenfalls ein „Universalgenie“.

„Das  i n t u i t i v e  Denken tritt gegen das  d i s k u r s i v e  Denken an.“ (Wormser Echo, 1940). Wormser Echo

Eduard Meyer (25.01.1855 - 31.08.1930 ) ist in Spenglers Werk (im Anhang „Register II, S. 1246-1249) unter den „benutzten oder empfohlenen Autoren“ am weitaus häufigsten erwähnt.

Leopold von Ranke (21.12.1795 - 23.05.1886 ) begründete auch, warum der Historiker alt werden muß: weil man große Veränderungen nur verstehen kann, wenn man persönlich welche erlebt hat. Er mußte es wissen, denn er wurde sehr alt. Ranke starb 6 Tage vor Spenglers 6. Geburtstag. 31 Jahre später lobte Spengler Ranke als einen „Meister der kunstvollen Analogie“. (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1918; S. 5 SpenglerSpengler). Und: „Der bedeutendste Historiker seit Ranke, Eduard Meyer (), sagt: »Historisch ist, was wirksam ist oder gewesen ist .... Erst durch die historische Betrachtung wird der Einzelvorgang, den sie aus der unendlichen Masse gleichzeitiger Vorgänge heraushebt, zu einem historischen Ereignis«. Das ist ganz im Geschmack und Geiste Hegels () gesagt. Es kommt erstens auf die Tatsachen an und nicht auf unser zufälliges Wissen davon.“ (Spengler, ebd., S. 611 SpenglerSpengler). An anderer Stelle heißt es bei Spengler: „Hegel hatte in aller Naivität erklärt, daß er die Völker, die in sein System der Geschichte nicht paßten, ignorieren werde. Aber das war nur ein ehrliches Eingeständnis von methodischen Voraussetzungen, ohne die kein Historiker zum Ziele kam. Man kann die Disposition sämtlicher Geschichtswerke daraufhin prüfen. Es ist heute in der Tat eine Frage des wissenschaftlichen Taktes, welche der historischen Entwicklungen man ernsthaft mitzählt und welche nicht. Ranke ist ein gutes Beispiel dafür.“ (). (Spengler, ebd., S. 30 SpenglerSpengler). Und 2005 schrieb Peter Scholl-Latour: „Leopold von Ranke hatte geschrieben, daß »der Historiker - oder sagen wir, der Chronist - alt werden muß, da man große Veränderungen nur verstehen kann, wenn man persönlich welche erlebt hat«. Heute würde ich die Notwendigkeit hinzufügen, eine intime Kenntnis fremder Kulturen erworben zu haben.“ (Peter Scholl-Latour, Koloß auf tönernen Füßen, 2005, S. 34Spengler).

Kinderfeindlichkeit und Kinderlosigkeit: Vgl. auch „Unfruchtbarkeit und Zerfall“ (Unfruchtbarkeit und Zerfall), Problem der „Weißen Völker“ (Weiße Völker), sowie „Konsumterror und Kinderfeindlichkeit“ (Kinderfeindlichkeit) und „Schwund der Bevölkerung“ (Schwund der Bevölkerung). Der Bevölkerungsrückgang wird durch die heutige Politik der Zuwanderung noch verstärkt! Unsere heutigen Politiker betreiben mit ihrer völlig wahnsinnigen Bevölkerungspolitik (BevölkerungspolitikDressler) keine Politik der Ein- oder Zuwanderung, wie sie immer noch glauben, sondern eine Politik der Aus- und Abwanderung. Hierzu gehört selbstredend auch ihre Politik der Aus- und Abtreibung. (Kinderfeindlichkeit). Vgl. hierzu die richtigen Vorhersagen von Oswald Spengler, Unfruchtbarkeit und Zerfall (Spengler), in: Der Untergang des Abendlandes (Spengler), 1918-1922, S. 678-687. Unter anderem heißt es hier: „Der letzte Mensch der Weltstädte will nicht mehr leben, wohl als einzelner, aber nicht als Typus, als Menge; in diesem Gesamtwesen erlischt die Furcht vor dem Tode. Das, was den echten Bauern mit einer tiefen und unerklärlichen Angst befällt, der Gedanke an das Aussterben der Familie und des Namens, hat seinen Sinn verloren. ... Kinderreichtum ... wird etwas Provinziales. Der kinderreiche Vater ist in Großstädten eine Karikatur ....“ (Oswald Spengler, ebd., S. 679 und 681). Spengler

Manfred Schröter (29.11.1880 - 24.12.1973). Schröters Forschungsgebiete: Wissenschaftsgeschichte, Philosophie der Technik, Deutscher Idealismus (Deutscher Idealismus), Romantik, Spengler-Interpretationen. Schröter ist die Entdeckung, Bergung und kommentierte Herausgabe der „Weltalter-Urfassungen“ von Friedrich Wilhelm Schelling (1775-1854) als des wichtigsten Fundes der Schelling-Forschung zu verdanken. Vgl. Schröters Werke Werke

Karl Heim (20.01.1874 - 30.01.1958), evangelischer Theologe, beschäftigte sich besonders mit der systematischen Theologie. Heim versuchte in seiner Theologie, das Erbe des Pietismus mit dem neuzeitlich-modernen naturwissenschaftlichen Denken zu verbinden. Eines seiner Werke heißt z.B. „Gedanken eines Theologen zu Einsteins Relativitätslehre“ (in: „Zeitschrift für Theologie und Kirche“, XXIX), in dem u.a. auch der Versuch gemacht wird, Spenglers „Untergang des Abendlandes“ und Einsteins „Relativitätstheorie“ insofern zu vergleichen und zu deuten, als daß die Theologie als Sieger (lachender Dritter?) hervortreten kann. Vgl. Heims Werke: Werke

„Es ist ein ungeheures Verdienst Hegels, dem Gedanken vom Ende der Kunst ohne Scheu ins Auge gesehen und ihn ohne Pessimismus ausgesprochen zu haben. Die Kunst löst sich nicht in Nichts auf. Der lange Weg ins Innere, den die ästhetishe Entwicklung seit den Griechen zurückgelegt hat, endet bei einern tieferen Begriff des Menschen. Die klassische Skulptur stellte das Bild des Menschen auf. Die gotische Kunst entwickelt in unruhigen, dem unendlichen Gehalt nie völlig angemessenen Produkten die Seele, die endlich frei für sich, als der zum unendlichen historischen Selbstbewußtsein erwachte Mensch hervortritt.«“ (Alfred Baeumler, Hegels Ästhetik unter einheitlichem Gesichtspunkte ausgewählt und eingeleitet, 1922, S. 33 ). Zu dieser Textstelle von Alfred Baeumnler vgl. auch Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker, 1922, S. 148 ().

Weiter heißt es bei Anton Koktanek (Koktanek): „Zivilisation ist für Spengler »das unausweichliche Schicksal einer Kultur« (Spengler). »Das Wesen aller Kultur ist Religion; folglich ist das Wesen aller Zivilisation Irreligion« (Spengler). Allein im Fortschreiten, nachdem sie das Gesamtfefüge des Lebens vergebens auf die wechselnden und einander aufhebenden Strömungen der Philosophie und Wissenschaft hat begründen wollen und bei wachsender zentrifugaler Dynamik die feste Orientierung durch ein allgemeingültiges gesellschaftssymbolisches Wertsystem entbehren muß, kehrt jegliche Zivilisation zur »zweiten Religiosität« (Spengler) zurück. Spengler sieht diese Erscheinung fast abwertend an, nimmt in ihr nicht die große, im Wesen des Menschen begründete Chance der Religion wahr. Toynbee (ein Spenglerianer!Toynbee) lehrt uns, im Stadium dieser zweiten, gelegentlich messianisch getönten Religiosität die Chrysalis erkennen, die Puppe, in welche der Ertrag des sich vollendenden Kultursystems eingeht, um im kommenden Aeon den Falter der morgendlich verjüngten Gläubigkeit aus sich zu entlassen. Spenglers in akzentuierten Epochen sich ausdrückendes Geschichtsdenken, das die Geschlossenheit der Kultur, die Aufgänge und Untergänge betont, muß in einer sorgasamen Analyse der Übergänge »aufgehoben« werden.“ (Anton M. Koktanek, Oswald Spengler in unserer Zeit, 1972; als Nachwort zur ersten Taschenbuchausgabe in: Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, S. 1268 Spengler). WEITERWEITERWEITER

Max Bense (1910-1990), Raum und Ich. Eine Philosophie über den Raum, 1934, S. 61 (Bense). Vgl auch: Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999, S. 13 (Sloterdijk) und S. 268 (). „Der Raum ist das Ursprüngliche. Je ursprünglicher der Mensch, desto tiefer das Raumgefühl.“ (Max Bense, Aufstand des Geistes. Eine Verteidigung der Erkenntnis, 1935, S. 107 Bense). Vgl auch: Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999, S. 40 (Sloterdijk). „Wir erkennen ... wir erkennen wirklich! Das muß wieder bewußt und gefühlt werden. Und der Geist, der diese Erkenntnis trägt und entwickelt, muß verteidigt werden gegen Ungeist und Unleben.“ (Max Bense, Aufstand des Geistes. Eine Verteidigung der Erkenntnis, 1935, S. 122 Bense). Vgl auch: Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999, S. 48 (Sloterdijk). „Die interessanteste Aufnahme und Zuspitzung von Spenglers raumphilosophischen Intuitionen findet sich in Max Benses frühem Werk: Raum und Ich. Eine Philosophie über den Raum, Berlin 1934 (Bense).“ (Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999, S. 268 Sloterdijk).

„Spenglers Einsichten wurden vorbereitet durch die Raumerlebnis-Typologie von Leo Frobenius (Frobenius), der zwischen Kulturen des Weitegefühls und des Welthöhlengefühls unterschieden hatte. Vgl. Paideuma. Umrisse einer Kultur- und Seelenlehre, München 1920 (Frobenius); sowie Hans-Jürgen Heinrichs, Die fremde Welt, das bin ich. Leo Frobenius: Ethnologe, Forschungsreisender, Abenteurer, Wuppertal 1998 (Heinrichs). Die interessanteste Aufnahme und Zuspitzung von Spenglers raumphilosophischen Intuitionen findet sich in Max Benses (Bense) frühem Werk: Raum und Ich. Eine Philosophie über den Raum, Berlin 1934 (Bense).“ (Peter Sloterdijk, Sphären II - Globen, 1999, S. 268 Sloterdijk).

„Nun muß ich aber aus meiner Perspektive sagen, daß Erde und Wasser für die Sphärologie, wie ich sie verstehe, zwar viel Anregungen bergen, weil Elemententheorie (Elemente) immer anregend ist für das Verständnis partizipativer Verhältnisse. Dennoch läßt sich an den beiden schweren Elementen Erde und Wasser das Entscheidende nicht darstellen. Nach meinem Dafürhalten besteht die größte Affinität des Sphärischen zu dem leichten Element. Konsequenterweise wird der 3. Band von Sphären vor allem Luftphänomenologie betreiben und von Atmotechnik handeln - daher der Titel Schäume. .... In der Hauptsache werde ich künftig Luft-Medien-Theorie betreiben, physikalisch und metaphorisch, denn Luft ist ein Medium für lockere Koppelungen zwischen kommuniziernden Einheiten. Als Träger von Schall sichert sie die Erreichbarkeit von Ohren für Stimmen, das heißt den sonoren Verkehr unter Nahbereichsadressen.“ (Peter Sloterdijk, Die Sonne und der Tod, 2001, S. 345f. & 346f. Sloterdijk).

Peter Sloterdijk, Im Weltinnenraum des Kapitals, 2005, S. 223 bzw. ders., Sphären II - Globen, 1999, S. 984 (Sloterdijk). Und mit spezieller Bezugnahme auf heute heißt es: „Die Zumutungen ... offenbaren sich nicht so sehr darin, daß Menschen überall zugeben sollen, auch die Menschen von anderswo seien ihresgleichen (obschon die Zahl derer, die das offen oder verhohlen leugnen, beträchtlich bleibt), sondern darin, daß sie den steigenden Kooperationsdruck aushalten müssen, der sie angesichts gemeinsamer Risiken und nationenübergreifender Bedrohungen zu einer selbstnötigenden Kommune zusammendrängt. Die Ergebnisse der Analyse von Nationalstaaten - wonach diese nur durch selbststressierende Dauerkommunikation in Form gehalten werden - bewahrheiten sich in zunehmendem Maß auch für die noch unzulänglich aggregierte planetarische »Staatengemeinschaft«. Autogener Streß ist die Basis aller Konsensus- und Kooperationsmechanismen in Großformat.“  (Ebd., 2005, S. 223Sloterdijk). Bleibt anzumerken, daß die „planetraische »Staatengemeinschaft«“ fast ausnahmslos Zukunftsmusik ist. (Sloterdijk). „Denken in universalen Werten gibt Innenhalt .... Daher ist der abstrakte Universalismus nicht nur der tückische Unfung, den die Pragmatiker, die Nietzscheaner und alle möglichen Kategorien von Realisten in ihm sehen wollem (Carl Schmitt: Wer Menschheit sagt, will betrügen); er ist auch die semantische Spiegelung des Großwerdens der Welt in der Zeit des entstehenden Weltsystems. Universalismus ist ein Stadium der Reife.“ (Ebd., 2005, S. 414Sloterdijk). Zur „Menschheit“ soll hier nicht unerwähnt bleiben, weil sie ja die Menschen als „Einheit“ beihalten soll, daß er sich m.E. nur auf Evolution oder Metaphysik beziehen kann, daß demzufolge die „historische Menschheit“ nur als ein oberflächlicher Teil der evolutionären Menschwerdung und im Sinne ihrer „metaphysischen Struktur“ (vgl. Tiefenstruktur und OberflächenstrukturTiefenstruktur und Oberflächenstruktur) - vielleicht in der Tiefe als „Logik der Geschichte?“ (Spengler) - verstanden werden kann. Man könnte auch sagen: Die „Geschichte der Menschheit“ verläuft auf mindestens zwei Bahnen.2 Bahnen

Peter Sloterdijk warnt: „Die naive Annahme einer potentiellen Offenheit aller für alle wird von den Globalisierungstatsachen ad absurdum geführt. Im Gegenteil, die unvermeidliche Endlichkeit des Interesses von Menschen für Menschen wird im Gang der Weltvernetzung immer offenkundiger - es verändert sich nur der moralische Akzent, und zwar in Richtung auf die Forderung nach zunehmender Belastbarkeit trotz steigender Entnervung. Man sollte nicht überrascht sein, wenn sich zeigt, wie mit fortschreitender Weltvernetzung die Symptome der Misanthropie anwachsen. Wenn Menschenfurcht eine naturwüchsige Antwort auf unwillkommene Nachbarschaft bedeutet, läßt sich angesichts der erzwungenen Fernnachbarschaften der meisten mit den meisten eine misanthropische Epidemie ohne Beispiel vorhersehen. Das wird nur jene in Erstaunen setzen, die vergessen haben, daß die Ausdrücke »Nachbar« und »Feind« herkömmlich nahezu Synonyme waren.“ (Peter Sloterdijk, Im Weltinnenraum des Kapitals, 2005, S. 219-220).Mehr

„In einem »Gutachten« über die »psychosoziale« Zukunft des »sozialistischen« Menschen stellte Zalkind die Prognose, dieser werde sich durch die revolutionäre Behandlung in ein immer stabileres, immer leistungsfähigeres, immer mehr von Lebensfreude durchpulstes, von Grund auf soziophiles Wesen verwandeln; er werde eine Art von holistischem Immunsystem entwickeln, in dem die Selbsterhaltung zu einer Funktion der Gemeinschaftserhaltung werde - anders als in der westlichen Gesellschaft, in der die individualistische Zersetzung unaufhaltsam voranschreite. Für Zalkinds opportunistisch-optimistische Argumentation ist die Verwischung der Grenze zwischen Didaktik, Therapie und Politik charakteristisch: Sie konzipiert den kommunistischen Menschen als grenzenlos plastischen Patienten der Veränderung, der immer nur gewinnen kann, wenn er sich grenzenlos operieren läßt. Was Zalkind verschweigt, sind die Methoden der kommunistischen Anästesie. Lenin wußte: Der Staatsterror bildet das funktionale Äquivalent der Vollnarkose bei schweren Operationen an großen Kollektiven.“ (Peter Sloterdijk, Anthropotechnik, in: ders., Du mußt dein Leben ändern, 2009, S. 623-633).

In Spenglers Werk ist das Thema „Zahlen“, also auch der Unterschied zwischen den mathematischen und chronologischen Zahlen, stets präsent, (vgl. „Untergang des Abendlandes“, vor allem das 1. Kapitel: „Vom Sinn der Zahlen“, S. 71-124 ). „Vom Sinn der Zahlen“ z.B. beinhaltet: „Grundbegriffe“ (S. 71-76), „Die Zahl als Zeichen“ (S. 76-79), „Jede Kultur hat eine eigene Mathematik“ (S. 79-84), „Die antike Zahl als Größe“ (S. 84-92), „Weltbild des Aristarch“ (S. 92-96), „Diophant und die arabische Zahl“ (S. 96-100), „Die abendländische Zahl als Funktion“ (S. 100-107), „Weltangst und Weltsehnsucht“ (S. 107-110), „Geometrie und Arithmetik“ (S. 110-117), „Die klassischen Grenzprobleme“ (S. 117-119), „Überschreiten der Grenze des Sehsinnes. Symbolische Raumwelten“ (S. 119-122), „Letzte Möglichkeiten“ (S. 122-124).

Als Spengler 1911 begann, sein Hauptwerk („Der Untergang des Abendlandes“1911-1912) zu schreiben und 1912 den Titel bestimmt hatte, konnte er sich nicht auf die Ereignisse und das Ergebnis des späteren 1. Weltkrieges (1914-1918) beziehen. Das ist doch logisch! Er hat es danach immer wieder erklärt, z.B. auch so: „Untergang nicht im Sinne eines Schiffsunterganges, sondern im Sinne der Vollendung“ (). Also: „Der Untergang des Abendlandes“ ist nicht als Katastrophe zu verstehen, sondern muß als Vollendung begriffen werden! „Die Vollendung des Abendlandes“!

Oswald Spengler, Reden und Aufsätze (postumWerke von Spengler). S. 63f..

Vgl. Hildegardt Kornhardt, Aussprüche ..., zitiert in: Jürgen Naeher, Oswald Spengler, 1984, S. 144. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten.

Falsifikation ist der Nachweis einer Nicht-Bewahrheitung und bedeutet, daß eine Hypothes durch Überprüfung als falsch erwiesen wird, z.B. eine wissenschaftliche Aussage durch ein Gegenbeispiel. Eine Theorie gilt so lange als richtig, bis das Gegenteil bewiesen ist. Erst nachdem sie „kaputt-getestet“ worden ist, gilt sie als falsch.

 

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