1) Einleitung
Was auf die Generalprobe des Kommunismus folgte.
Die
Geschichte der griechischen Stadtstaaten verschaffte Aristoteles die Einsicht,
daß die Rgeirungsform eines Staates von seiner Größe und der
relativen Verteilung von Arm und Reich abhängt, also von dem, was wir heute
als Bevölkerungszahl, Bevölkerungsdichte und Sozialstruktur bezeichnen.
Zwischen der Größe einer Gemeinschaft und den relativen Anteilen an
verschiedenen Berufen und sozialen Rollen sowie der relativen Größe
seiner Elite besteht eine gesetzmäßige Beziehung. Zahl, Dichte und
Struktur der Bewohner eines Gemeinwesens sind in der Geschichte niemals konstant,
sondern in Abhängigkeit von den energetischen Grundlagen und vom Druck und
Gegendruck seiner Nachbarn in ständiger Veränderung, absolut und relativ.
Parallel dazu verändert sich die Verfassung der Staaten von einer Monarchie
über die Aristokratie bzw. Oligarchie zur Demokratie, wobei die Reihenfolge
keine feste ist. Hat der Kreislauf der Verfassungen zur Demokratie geführt,
so entwickelt sich diese früher oder später unweigerlich zu einer »Herrschaft
der Minderwertigen« (Edgar Julius Jung, Die Herrschaft der Minderwertigen,
1927), zur Pöbelherrschaft. Eine solche »Diktatur des Proletariats«,
die im Namen der Demokratie immer hemmungsloser von Reich auf Arm umverteilt (vgl.
Friedrich A. von Hayek, Die Illusion der sozialen Gerechtigkeit, 1981;
Gerd Schildbach, Die Massengesellschaft - Entartung der Demokratie, 1997)
- von den Leistungsträgern auf die Almosenempfänger -, zerrüttet
die wirtschaftliche Leistungskraft gründlich und nachhaltig. Schlußendlich
begrüßt das Volk einen neuen Alleinherrscher, und der Kreislauf beginnt
von neuem. (Ebd., 2012, S. 16-17).Ausgerechnet in
einem Buch des Optimisten Julian Simon fand ich eine Abbildung, die den zyklischen
Zusammenhang zwischen der Bevölkerungsdichte und geistigen Kreativität
belegt. Die schöpferische Kraft des Alten Rom versiegte ein Jahrhundert früher,
ehe der Rückgang seiner Bevölkerungszahl einsetzte. Für das Alte
Griechenland findet man bei Simon eine graphische Darstellung mit gleicher inhaltlicher
Aussage. (Ebd., 2012, S. 16-17).
Ein nachdenklicher Blick auf die Geschichte.
Huebner
kam zu dem Ergbnis, der Gipfel der weilweiten Innovation der Industriegesellschaft
wäre schon 1873 erreicht gewesen, bei den Erfindungen schon im Jahre 1916.
Da man jedoch die Bedeutung von Erfindungen und Entdeckungen oft erst nach einigen
Jahrzehnten bewerten kann, muß man seine Datengrundlage anzweifeln. Was
die Zahl der Innovationen im Verhältnis zu den weltweiten Pro-Kopf-Bildungsausgaben
(wohlgemerkt: im Verhältnis zu den weltweiten Pro-Kopf-Bildungsausgaben!
Anm. HB) anbetrifft, da dürfte Huebner allerdings den Nagel auf den
Kopf getroffen haben. (Ebd., 2012, S. 20).
Was mißt der IQ?
Wir haben
im Text bereits mehrfach den Begriff Intelligenzquotient, abgekürzt IQ, verwendet,
und wir sollten uns über seine Bedeutung im klaren sein. Der IQ ist das am
häufigsten verwendete Maß für die Unterschiede der Denkkraft bei
verschiedenen Menschen. Als 1912 Wilhelm Stern (1871-1938) bei Kindern den erreichten
geistigen Reifegrad, ihr Intelligenzalter, durch ihr Lebensalter dividierte und
mit 100 multiplizierte, ergab sich daraus der Intelligenzquotient. Das war also
damals tatsächlich ein Quotient. Wenn man mit dieser Formel und diesem Quotienten
den IQ von Erwachsenen messen wollte, stellte man fest, daß mit fortschreitendem
Lebensalter ihr IQ immer niedriger zu werden schien. Nicht jeder wollte sich damit
abfinden, und man suchte nach einer Lösung. (Ebd., 2012, S. 29).Heute
wird der IQ anders definiert und ist kein Quotient mehr; die eingebürgerte
Bezeichnung IQ für das Maß der Intelligenzunterschiede wurde jedoch
beibehalten. 1932 schlug David Wechsler (1896-1981) vor, den IQ als Abweichung
einer Person von einem festgelegten Mittelwert 100 zu definieren, bezogen auf
eine Normalverteilung mit einer Standardabweichung 15. Der IQ gibt also den Rangwert
einer Person in einer Bevölkerung in Hinsicht auf die intellektuelle Leistungsfähigkeit
an. Wer einen IQ 85 hat, also eine Standardabweichung weniger als 100, über
den wird damit gesagt, daß er einen Prozentrangwert von rund 16 hat und
damit 16% der Bevölkerung einen niedrigeren IQ als 85 haben, 84% einen höheren.
Wer einen IQ 130 hat, also zwei Stadardabweichungen über 100 liegt, über
den wird damit gesagt, daß er einen Prozentrangwert von rund 98 hat und
nur noch 2% der Bevölkerung einen höheren IQ haben. Bitte nehmen Sie
sich die Zeit und schauen Sie sich diese Abbildung genauer an. Lesen Sie diesen
Abschnitt hier mindestens zweimal, da er für das gesamte Verständnis
unseres Buches von grundlegender Bedeutung ist. Fallen Sie nicht in die IQ-Falle
(Weiss 2000a), schließen Sie bitte Ihre IQ-Lücke! (Ebd., 2012,
S. 29-30). |
Zwei
Überlegungen sollten Sie an dieser Stelle mitnehmen: Da sich jeder Verteilungsunterschied
auch in Prozentrangwerten ausdrücken läßt -ob das nun Einkommensunterschiede,
Bildungsgrad oder Schulzensuren sind -, so läßt sich jeder Unterschied
auch in die IQ-Skala (100; 15 -also Mittelwert 100 mit der Standardabweichung
15) umwandeln und ausdrücken und damit vergleichen. Wenn also z. B. nur 4
% einer Bevölkerung eine Hochschule besuchen, dann entspricht das einem Prozentrang-Mittelwert
der Hochschulstudenten von (100 - 4/2 = ) 98. Das heißt, wenn tatsächlich
nur die Intelligentesten an einer Hochschule studieren (was ja nie ganz der Fall
ist), dann hätten diese Studenten einen mittleren IQ von 130. (Ebd.,
2012, S. 30).Darüber hinaus läßt sich jede Skala
mit einem anderen Mittelwert als 100 und einer anderen Standardabweichung als
15 in die IQ-Skala (100; 15) transformieren. Wir werden das weiter hinten an der
Umwandlung der PISA-Testwerte (500; 100) zeigen. Eine solche lineare Skalentransformation
gehört heute zum Rüstzeug der wissenschaftlichen Grundausbildung.
(Ebd., 2012, S. 30).Ursprünglich wurde der IQ nur mit eigens
dafür entwickelten Intelligenztests gemessen. Die Standardisierung dieser
Test auf die Normalverteilung hatte aber seltsame Auswirkungen. Wenn man eine
Schulklasse testen will, dann kann man, wie jeder weiß, Auf gaben verwenden,
die fast von allen Schülern gelöst werden, oder man kann Aufgaben stellen,
die nur von sehr wenigen Schülern gelöst werden. Man erhält dann
Verteilurigen, bei denen die Mittelwerte sehr stark nach rechts oder links verschoben
sind, also alles andere als eine Normalverteilung. Solche schiefen Verteilungen
ergaben sich zum Beispiel in den USA, als man im Ersten Weltkrieg mit den gerade
entwickelten Verfahren die Rekruten testete. (Ebd., 2012, S. 30).Heute
gilt aber bei den Psychologen ein Test nur dann als ein guter Test, wenn die Verteilungen
in einer repräsentativen Stichprobe eine Normalverteilung aufweisen. Die
Testkonstrukteure wählen die Einzelaufgaben einer Testbatterie deshalb so
aus, daß das Gesamtergebnis der angestrebten Normalverteilung sehr nahe
kommt. Im falschen Umkehrschluß hat sich dann bei den Psychologen und in
der Öffentlichkeit die überzeugung festgesetzt, die Normalverteilung
des IQ sei seine natürliche Eigenschaft und keine menschengemachte. Wenn
man jedoch einfache Testaufgaben gleicher Schwierigkeit stellt, also etwa alle
Buchstaben A in einer Menge Buchstaben anzustreichen, dann wird man feststellen,
daß die Hochintelligenten drei- bis viermal soviel richtige Lösungen
erzielen wie die Wenigintelligenten. Diese Verteilung der Rohtestwerte ist keine
Normalverteilung, sondern eine lognormale Verteilung, die in den Wissenschaften
eine große Rolle spielt. (Ebd., 2012, S. 30).Eine Normalverteilung
entsteht dann, wenn eine Vielzahl von unabhängigen ursachen dem Zustandekommen
der Verteilung zugrunde liegt. Wenn durch diesen an und für sich einleuchtenden
Ausgangspunkt die Mehrzahl der Psychologen zu falschen Verallgemeinerungen über
die natürliche Verteilungsform der Intelligenztestwerte gelangt und blind
gegenüber der Verteilung der Testrohwerte bei gleichschweren Aufgaben geworden
ist, dann wurde für die Genetik des IQ damit ein Ausgangspunkt vorgegeben,
an dem die Vererbungsforscher bisher scheitern mußten. (Ebd., 2012,
S. 30-31).Als Anfang September 2010 in den Massenmedien die öffentliche
Hinrichtung eines Thilo Sarrazin auf der Tagesordnung stand, redeten alle davon,
daß ein IQ 115 ja 15 % mehr an Intelligenz bedeuten würde und warum
und weswegen. Keiner der beteiligten Moderatoren, Minister und Koryphäen,
auch Sarrazin selbst nicht, waren in der Lagemit drei klaren Sätzen diesen
Unsinn zu stoppen. Der IQ ist keine und erlaubt keine Prozentangabe! Keiner würde
sagen, daß, wenn die Temperatur von 0 Grad auf 10 Grad oder von 100 Grad
auf 110 gestiegen ist, es um 10% wärmer geworden sei. Wenn man bei der Temperatur
unbedingt auf Hundertstel hinaus will, dann muß man den absoluten Nullpunkt
bei minus 273 Grad als Bezugspunkt nehmen. Analog kann man bei kognitiven Leistungen
nur über physikalische Maße der geleisteten Arbeit zu Prozentvergleichen
gelangen. Wenn man sich dann bei IQ 100 und IQ 115 einmal die absolute Zahl der
gelösten Testaufgaben pro Zeiteinheit ansieht, kommt man auf einen Unterschied
der weit, weit größer ist als 15 %! (Ebd., 2012, S. 31).
2) Die bürgerliche Leistungsgesellschaft und ihre Feinde.
Die Entwicklung des öffentlichen Schulwesens und
der Leistungsbewertung.
Als der Gutsherr Friedrich Eberhard
von Rochow (1734-1805) auf seinen Gütern bei Potsdam auf den Feldern mehr
ernten wollte und in den Ställen mehr herauskommen sollte, mußte er
feststellen, daß die Bauern und Gutsarbeiter zu ungebildet waren, um den
Sinn der beabsichtigten Reformen zu verstehen und umzusetzen. Er gründete
deshalb 1773 bei seinem Gut Reckahn eine Landschule, für die er Schulbücher
verfaßte. In dem Lesebuch "Kinderfreund" schrieb er 1776 in der
»Geschichte von der guten Magd«: »Christine diente bei einer
schlimmen Herrschaft, die ihren Leuten wenig zu essen und beständig Scheltworte
gab. Christine war arm, aber fromm. Sie betete oft zu Gott und sprach: ,Ach lieber
Gott, lenke doch, wenn es dein guter Wille ist, das Herz meiner Brotherrschaft
zu mi!; daß sie mir nicht so hart und lieblos begegnet. Aber vielleicht
ist mir diese Trübsal nützlich. Wer weiß, wie ich die guten Tage
vertragen würde! Vielleicht würde ich frech und liederlich, wenn es
mir zu wohl ginge. Du weißt es am besten, Her!; mein Gott! Schenke mir Geduld
und hilf mi!; daß ich treu und .fleißig sei, wenn es mir gleich schlecht
vergolten wird.« (Friedirch Eberhard von Rochow, ebd., Band 1, Nr. 2).
(Ebd., 2012, S. 36).1805, in der letzten Fassung von Rochows Hand,
liest sich die gleiche Geschichte so: »Luise konnte spinnen, stricken,
nähen, waschen, plätten, kochen und das Vieh flittern. Das alles hatte
sie von ihren Eltern und anderen guten Leuten gelernt und abgesehen. Was sie davon
konnte, das übte sie .fleißig, so daß ihr alles recht leicht
wurde. In der Schule hatte sie gut lesen, schreiben und rechnen gelernt. Dabei
war sie reinlich und bescheiden, tat alles zur rechten Zeit und legte alles an
den rechten Ort. Als sie groß wurde, bekam sie die beste Herrschaft.«
(Ebd., 2012, S. 36).Die gottergebene, der Standesherrschaft untertane
Magd hatte sich binnen einer Generation in eine ideale selbstbewußte Landarbeiterin
verwandelt, deren Töchter oder Enkel früher oder später ihren Platz
in der frühbürgerlichen Leistungsgesellschaft in der Stadt suchen werden,
auch wenn ihre Großmutter Luise noch bei der ,besten' Gutsherrschaft verblieben
ist. Auch in diesem Falle geht die Veränderung der geistigen Einstellung
der sozialen Revolution um Jahrzehnte voran. (Ebd., 2012, S. 36).Eine
elementare und für das Entstehen einer Leistungsgesellschaft grundlegende
Errungenschaft des Schulwesens der deutschen Länder war, daß 1840 bereits
91% aller Rekruten Lesen und Schreiben konnten, ab 1890 dann nahezu 100 %. Zum
Vergleich: Frankreich 1890: 90%, England: 93%, Rußland: 32% (Zahlen nach
P. Flora, Modernisierungsforschung, 1974, Tabelle 10 [vgl.
auch: Ehrhardt Bödecker, Preußen und die Wureln des Erfolgs,
2004, S. 236 **};
HB]). Erst diese Ausweitung der Grundausbildung auf wirklich alle Schichten
der Gesellschaft ( Girard und Bastide 1963) schuf die Voraussetzung, daß
die anschließende Leistungsauslese irgendwann einmal alle Begabten erreichen
konnte. (Ebd., 2012, S. 36).Die Industrienationen der heutigen
Welt sind durchweg Leistungsgesellschaften. Eine übereinstimmende Eigenschaft
dieses Gesellschaftstyps besteht darin, daß seine Mitglieder durch persönliche
Leistungsnachweise innerhalb der Statushierarchie aufsteigen können. In jeder
Generation muß dieser Platz in der Statushierarchie neu erworben oder wenigstens
bestätigt werden, wenn es nicht zum sozialen Abstieg kommen soll. Dieser
Platz ist somit nicht erblich. (Ebd., 2012, S. 36).Bereits
vor der Industriegesellschaft hatte es Staaten gegeben, in denen eine Leistungsauslese
Voraussetzung zur Ausübung von Ämtern war. Das bekannteste Beispiel
sind die Eignungsprüfungen, die für die Mandarine in China vorgeschrieben
waren. Und es ist einmalig in der Welt, aber kein Zufall, daß die inzwischen
Millionen zählenden leiblichen Nachkommen des Konfuzius (551-479 v. Chr.)
bis heute nachweisen können, daß sie von ihm abstammen. (Ebd.,
2012, S. 36-37).Die ersten Vorschriften, wie die Schularbeiten
der Kinder zu zensieren sind, enthält im Jahre 1530 die Schulordnung des
Kurfürstentums Sachsen Sachsen war zu dieser Zeit mit seinen blühenden
Bergwerken ein Land, wo bürgerlicher Gelderwerb in hohen Ehren stand und
wo gediegenes Fachwissen geschätzt wurde. In Chemnitz war 1520 eine Ratsschule
gegründet worden, die der Stadt selbst und nicht mehr der Kirche unterstand.
In der Zwickauer Schulordnung vom Jahre 1523 war eine Differenzierung der Schüler
nach Leistungsstufen vorgesehen. Auch die Württembergische Schulordnung aus
dem Jahre 1559 enthält einen Hinweis zur Zensurenerteilung. Man muß
es sich in dieser Frühzeit der Zensurengebung nicht so vorstellen, daß
stets Noten vergeben wurden, obwohl bereits aus dem 16. Jahrhundert eine sechsteilige
Zensurenskala (1 = optimus, 2 = bonus, 3 = mediocris, 4 = dubius, 5 = retinendus,
6 = rejiciendus) überliefert ist, die für Volksschulen bestimmt war.
In den meisten Fallen beschränkte man sich darauf, innerhalb einer Schulklasse
eine Rangordnung herzustellen. Grundlage dafür war in der Regel die möglichst
genaue Wiedergabe von auswendig gelerntem Stoff; eine Auf gabenstellung, die Intelligenz,
Fleiß und Konzentration abverlangt. Auch der Ausdruck »Versetzung«
stammt aus dieser Zeit, als die Schüler tatsächlich entsprechend der
Klassenrangplätze ihre Sitzplätze wechselten. Jeder Sitzplatz hatte
nämlich einen Rangwert, der sich aus der Einstufung der schulischen Leistungen
durch den Lehrer ergab. Bei diesen ersten Zeugnissen aus dem 16. Jh. handelte
es sich nicht um eine für alle verbindliche Einrichtung, sondern zunächst
nur um freiwillige, auf Bitten armer, aber begabter Schüler ausgestellte
Zeugnisse, die für die Erlangung von Benefizien, d. h. für die Bewerbung
um Freiplätze, Freitische und Stipendien, vorgeschrieben waren, darüber
hinaus aber auch, wenn der Schüler als Halb- oder Vollwaise einen Vormund
hatte. Für die Kinder bemittelter Eltern war kein Zeugnis erforderlich, nicht
einmal zum Übergang auf die Universität. Das blieb jahrhundertelang
so. Erst im 18. Jh. entwickelte sich aus dem Benefizienzeugnis das Reifezeugnis.
Einerseits wollten die Schulen durch strengere Leistungsanforderungen ihr Ansehen
heben, andererseits begann der Staat, an die Tüchtigkeit seiner Beamten bestimmte
Forderungen zu stellen. Aber selbst in Preußen hatte das Edikt vom 23. Dezember
1788, in dem die Reifeprüfung eingeführt wurde, noch nicht die Folge,
daß damit unreifen Personen die Universität verschlossen worden wäre.
Noch konnten Eltern von Stand jedes Kind auf die Universität schicken, doch
hofften die Gesetzgeber »wenigstens mancher für unreif Erklärte
doch würde (freiwillig) zurückgehalten werden« (zitiert nach W.
Dohse, Das Schulzeugnis, 1963). Dieser Zustand blieb in Preußen auch
nach der von Humboldt ausgearbeiteten Reifeprüfungsordnung vom 25. Juni 1812
erhalten. Neu waren die Prädikatgruppen I bis III. Jedoch durfte weiterhin
auch mit Nr. III - dem Zeugnis der Untüchtigkeit - die Universität besucht
werden. Es läßt sich sogar belegen, daß damals die überwiegende
Mehrzahl mit Zeugnissen Nr. III studierte! (**).
Erst im Verlaufe des 19. Jh. wurde das Reifezeugnis allmählich zur unbedingten
Voraussetzung für ein Studium, so 1839 in Braunschweig für die Philologen
und 1844 für die Mediziner. Indem auf diese Weise ständische Vorrechte
abgebaut werden und die persönliche Tüchtigkeit zum Auslesekriterium
wird, wird das Leistungsprinzip für den sozialen Aufstieg maßgebend.
Um 1900 ist dieser Vorgang noch keineswegs abgeschlossen, sondern kann erst später
auf die begabten Kinder der Unterschichten ausgreifen, denn um diese Zeit studierten
insgesamt noch nicht einmall 1% eines Altersjahrganges. (Ebd., 2012, S.
37-38).
Welchen
IQ mögen diese Studenten wohl gehabt haben? Wenn der mittlere IQ der gehobenen
Stän, de vielleicht bei 110 lag, dann war der der Studenten nicht sehr :verschieden
davon und lag damit in einer Größenordnung, wie er heute an geisteswissenschaftlichen
Fakultäten mit einem starken linksorientierten Studentenpotential wieder
üblich geworden sein dürfte. Heute wie damals treten diese Personenkreise
dagegen auf, daß gemessene Leistung für die gesellschaftliche Stellung
einer Person von großer Bedeutung ist. (Ebd., Anmerkung 7). |
Im
19. Jh. setzten sich die Ziffernzensuren allgemein durch. Am 28. Januar 1858 wird
durch eine preußische Ministerialverfügung eine dreistufige Skala als
Grundlage für jede weitere Differenzierung bestätigt. Selbst der einfache
Dorf- und Stadtschullehrer hatte durch seine eigene Lebenserfahrung und durch
den Vergleich seiner Schüler untereinander eine Vorstellung über Begabung
und Denkkraft. Sonst hätte er keine Bauern- und Handwerkersöhne für
Stipendien empfehlen können, die ihnen -wie zum Beispiel dem berühmten
Johann Andreas Schubert (1803-1870), dem Erbauer der ersten deutschen Lokomotive
und Architekten der Göltzschtalbrücke im Vogtland -ein Studium ermöglichten.
(Ebd., 2012, S. 38).So vermerkte 1895 der Pfarrer des Dorfes Schröcken
in Vorarlberg über den zehnjährigen Ferdinand Feuerstein: »Sehr
gutes Talent - weitaus das beste in der Schröckener Schule. Denkt und unterscheidet
rasch, lernt leicht, jedoch nicht gerne. Ist agil, überall der Anführer
(schon deshalb, weil er geistig allen voraus ist.« Ausgangspunkt für
einen Vergleich der Schüler untereinander war in der Regel das schon erwähnte
Rangordnungsverfahren, in zunehmendem Maße aber auch ein Verfahren, bei
dem man die Zensuren auf einen Grundwert, einen Normalleistungswert, beziehen
wollte. Diese Grundwerte konnten nicht allein aus der lokalen Erfahrung gewonnen
werden, sondern wurden von zentralen Schulbehörden vorgegeben. Ihren Höhepunkt
erreichte diese Entwicklung mit dem Zentralabitur, wie es zum Beispiel in Sachsen
üblich wurde, bei dem die Aufgabenstellung, die Bewertungsweise und die einzelnen
Notenstufen (abgestuften Fehlerquoten entsprechend) allen Schulen einheitlich
vorgeschrieben wurden. Über die Leistungsverteilung erhielt die zentrale
Schulbehörde dann auch wieder Rückmeldung. (Ebd., 2012, S. 38).Nach
der »Enzyklopädie des gesamten Erziehungs- und Unterrichtswesens«
von Schwader aus dem Jahre 1887 eignet sich die Zensur dazu, »den von
sich eingenommenen Schüler zu enttäuschen und zu einem richtigen Urteil
über sich selbst, seine Fähigkeiten und Leistungen anzuleiten«.
Der Wert des Zeugnisses zeige sich darin, daß dem Schüler »erstlich
sein Platz in der Schule, sein Verhältnis zu seinen Mitschülern, seine
Gesamtstellung in der Schulgemeinde angewiesen und klar gemacht, zweitens ein
umfassendes, sorgsam abgewogenes und genau bestimmtes Urteil über ihn selbst,
über seine Leistungen gegenständlich vorgehalten und bleibend übergeben
wird.« (Ebd., 2012, S. 38).Das war damals selbstverständliches
bürgerliches Bildungsbewußtsein. In der Geschichte der Messung der
geistigen Leistungsfähigkeit läßt sich diese Entwicklung der Leistungsbewertung
in der Schule nicht von der Entwicklung von Intelligenztests trennen. Nur gab
es die massenhafte Erteilung von Schulzensuren fast ein Jahrhundert frÜher
und viel umfassender als die Testanwendung. Die Bedeutung der Leistungsmessung
in der Schule ist damit in Mitteleuropa für die Herausbildung der Leistungsgesellschaft
um ein Vielfaches größer als die derTestentwicklung und -anwendung.
Wenn man Schulnoten wichtet (zum Beispiel Mathematik vierfach in eine Gesamtnote
eingehen läßt) und so für den Schüler einen Gesamtwert errechnet,
der wiederum auf eine Gesamtverteilung normiert werden kann, so hat ein solcher
Schul-IQ-Wert den gleichen Vorhersagewert wie ein guter Intelligenztest und ähnliche
Mängel. Wir werden darauf späterbei der Diskussion der PISA- Tests ausführlich
eingehen. Es wäre heute auch durchaus möglich, in alten Schulklassenbüchern
die Zensuren nachträglich auf eine IQ-Skala zu normieren. (Ebd., 2012,
S. 38-39).Die Mängel der Schulzensurenkennen wir alle, denn
wir haben alle lange genug in schulen zugebracht und uns über Lehrer und
Zensuren geärgert. Dieselben Schüler erhalten verschiedene Noten in
verschiedenen Schulen. Verschiedene Lehrer geben gleichen Arbeiten verschiedene
Noten. Derselbe Lehrer gibt zu verschiedenen Zeiten der gleichen Arbeit verschiedene
Noten. So wie das Leben nun eben einmal ist. Auch bei der wiederholung eines Intelligenztests
wird man nur selten zu einem identischen Testergebnis gelangen. Eine gewisse Schwankungsbreite
der Werte ist einfach etwas ganz Normales. Wichtiger ist die zugrundeliegende
Regelhaftigkeit, die einem Hilfsschüler bei einem Zentralabitur für
Mathematik keine und auch keine zufällige Chance gibt -auf diese großen
Unterschiede kommt es an. Und es sind und es waren die Schulzensuren, die für
die entscheidenden Einschnitte auf dem Bildungswege, wie die Aufnahme in ein Gymnasium
und die Zulassung zu einem bestimmten Studium, die Weichen gestellt haben. Daß
mit den Schulzensuren am allerbesten eine Laufbahn zum Studienrat vorhergesagt
werden kann, aber weniger gut eine erfolgreiche Tätigkeit in einem naturwissenschaftli~hen
Beruf, liegt sicher an den zensierenden Studienräten. Sie sind eben auch
nur Menschen. (Ebd., 2012, S. 39).Daß die Schule stets
auch gleichmachende Eigenschaften hat, darf man nicht vergessen. »Die
Volksschule ist für alle ihre Schüler in gleichem Maße da,. sie
hat die Aufgabe, alle möglichst gleich zu fördern, auch die Minderbegabten
an das allgemeine Lehrziel möglichst heranzubringen.« So lautet
eine dieser Forderungen, die auf Nivellierung zielen, aber aus der Sicht des Lehrers,
der eine in ihren Leistungen sehr unterschiedliche Klasse vor sich hat, einer
gewissen Logik nicht entbehrt. Wer für soziale Gleichheit eintritt, für
den ist daher die Abschaffung der Schulzensuren seit eh und je eine der Lieblingsforderungen.
(Ebd., 2012, S. 39).
Gesamtschule oder mehrgliedrige Schule?
Überwog
in der bürgerlichen Leistungsgesellschaft anfangs das Bestreben, die Schulstruktur
so zu gestalten, daß die Begabten und ihre Leistungen gefordert und gefördert
werden, so stellten die gleichmachersichen Kräfte dem das Ziel entgegen,
eine Einheitsschule zu errichten, in der Begabtenförderung nur ein untergeordnetets
oder gar kein Thema mehr sein sollte. (Ebd., 2012, S. 54).Zig
Millionen sind in den Säuberungen und Kulturrevolutionen umgekommen und umgebracht
worden. Aber vielleicht war man bisher nur nicht gründlich genug? Kindergartenpflicht
und Ganztagsschulen u.s.w.: das wird längst nicht reichen. Das Verlosen der
Neugeborenen auf neue Eltern, nicht einmal Pol Pot kam auf diese Idee. Aber das
wäre doch die Lösung! Die neue schöne Welt winkt verlockend.
(Ebd., 2012, S. 61-62).Ich fragte den Lehrer, wer dann über
die Zuteilung von Beugsscheinen entscheiden würde und nach welvhen Gesichtspunkten.
Denn bislang führte noch jede Annäherung an eine solche Gesellschaft
zu extremem Mangel und zur Willkür der selbsternannten Obergerechten (»Obergleichen«;
HB) -sowie in Orwells »Die Farm der Tiere«. Aber die Gecshichte
bewegt sich nun einmal in Zyklen, und wir streben in den Industrienationen in
diese Richtung. (Ebd., 2012, S. 63).Während sich in
unserer Spätphase der Industriegesellschaft die gesellschaftliche Mehrheit
immer eindeutiger gegen eine Leistungsorientierung in der für alle angestrebten
Einheitsschule ausspricht, so stehen dem in der Wirtschaft nach wie vor Anforderungen
entgegen, die Leistung verlangen und der Einebnung der Bildungsunterschiede und
Bildungsstrukturen entgegenwirken. Durch diese widerstrebenden Tendenezen wird
die Entwicklung der Bildungsstrukturen bis zum Großen Chaos weltweit
geprägt sein. (Ebd., 2012, S. 65).
Mit dem allgemeinen Wahlrecht wird die Gesellschaft sozial.
Das
preußische Dreiklassenwahlrecht wollte den Aufstieg der unteren Schichten
dadurch bremsen, indem es zuließ, daß die Interessen der Dritten Klasse
von Vertretern der anderen Klassen wahrgenommen wurden, wenn sie von der Dritten
Klasse dafür gewählt worden wären. Dieses Wahlrecht stellt eine
hochinteressante Übergangsform ... dar. Wer zu denen gehörte, die zusammen
allein ein Drittel aller Steuern zahlten, gehörte zur Ersten Klasse, und
Adel oder Nicht-Adel spielte dabei schon keine Rolle mehr. Der bürgerliche
Aufsteiger konnte in diese Klasse gelangen, der intelligente Besitzlose aber nicht.
(Ebd., 2012, S. 66-67).Die Verpflichtung zu »sozialer Gerechtigkeit«
ist auf diese Weise das Hauptmerkmal der einzig wirklich erlaubten Art Mensch,
des Gutmenschen, geworden. (Ebd., 2012, S. 68).Wer heutzutage
Gerechtigkeit fordert, fordert stets Umverteilung. Man darf deshalb sicher sien:
Am Ende der Demokratie (genauer gesagt ihrer entarteten
Form: Ochlockratie! HB **)
wird ein Alleinherrscher stehen, der nur dann an die Macht kommen und sich behaupten
Kann, wenn er vorgibt, seine absolute Macht im Namen der sozialen Gerechtigkeit
auszuüben. Und erst, wenn die Macht diesen Tarnmantel abgworfen haben wird
und von »sozial« keine Rede mehr sein wird, ist der Kreislauf der
politischen Verfassungen der Industriegesellschaft geschlossen und beginnt ein
neues Zeitalter. (Ebd., 2012, S. 69).
Die Geschichte der Intelligenzforschung als Anzeiger
des gesellschaftlichen Wandels.
Wenn heute ... IQ-Tests in allen
Industrieländern als so eine Art angewandter Faschismus gelten, dann muß
es nach 1950 und vor 1973 eine Umwertung der Werte gegeben haben. Wir belegen
in diesem Buch, daß tatsächlich Volksbildung, der Intelligenzbegriff
und insbesondere der IQ eine solche Umwertung erfahren haben, die wiederum als
Anzeiger für fortschreitende Veränderungen im Kreiskauf der politischen
Verfassungen gedeutet werden können. (Ebd., 2012, S. 79).Wenn
in einer Bildungsstudie festgestellt wird, und es wird in jeder erneut festgestellt,
daß der Erwerb höherer Bildungsgrade mit der sozialen Herkunft zusammenhängt,
dann stimmen die Massenmedien schon am nächsten Tag einmütig die rituelle
Wehklage an, wie verwerflich das doch sei. Ist man sich dabei im klaren, daß
das, wenn es jemals anders kommen soll, nur durch eine ... unmenschliche Ausprägung
von Kommunismus vollbracht werden könnte? Man müßtedie Kinder
ihren Eltern enteignen, jedes Wissen über ihre Herkunft versperren und die
Kinder entweder zufallsverteilen oder in Heimen großziehen. (Ebd.,
2012, S. 89).
Intelligenz.wird als ein bürgerlicher Begriff durchschaut.
Menschenmassen
streben im Kreislauf der Verfassungen in dem gesellschaftlichen Entwicklungsstadium,
in dem wir leben, stets eine Art von Sozialismus (genauer
gesagt: Nihilismus, denn das, was der angebliche »Sozialismus«
will, ist Umwertung, Umsturz, Umverteilung, Umerziehung, Umbau, Umkehrung aller
bestehenden Verhältnisse, um eine noch viel größere Ungerechtigkeit
und Ungleichheit unter Inkaufnahme der endgültigen Vernichtung
der Menschheit zu erreichen; HB) an, der sich seinen entsprechdenden Überbau
an Begriffen schafft. Gedanken oder gar wissenschaftliche Ergebnisse ... sind
für die einfache Umverteilungslogik im »starken Sozialstaat«
nur störend. Wehe den Tatsachen und den Wissenschaftlern .... (Ebd.,
2012, S. 109).
3) Die Energiekosten bestimmern Wirtschaftskraft und Bevölkerungszahl.
Der unterirdische Wald.
»Nur eine
dichte Bevölkerung«, so schrieb Friedrich von Hayek, »kann
jene Arbeitsteilung und Nutzung der Leistungen erreichen, von der wir heute abhängig
sind. .... Es war die Bevölkerungsvermehrung, die die Arbeitsteilung möglich
machte. .... Die allgemeine Wohlstandsentwicklung hilft vor allem den Armen, (wodurch)
sich die Armen viel schneller vermehren als die Reichen. Daher ist es durchaus
möglich, daß in einer Gesellschaft, in der alle Klassen zugenommen
haben, sogar die Klassen reicher geworden sind. .... Das bedeutet nebenbei, daß
die Prinzipien des Eigentums und der Privatwirtschaft den Armen am allermeisten
geholfen haben. Es hat ihnen nämlich das Leben geschenkt. Sie wären
nie auf die Welt gekommen, hätten nie leben können, wenn nicht die Marktwirtschaft
zu unserer stark vermehrten Produktivität der Gesellschaft beigetragen hätte.
Wenn uns die Marxisten erzählen, daß der Kapitalismus das Proletariat
geschaffen hat, so haben sie in gewissem Sinne recht - (zwar) nicht in dem Sinn,
in dem sie es behaupten. .... Der Kapitalisms hat die Mittel geschaffen, durch
die mehr Leute am Leben bleiben konnten; er ist die Grundlage der Bevölkerungsvermehrung,
und das Proletariat verdankt dem Kapitalismus sein Leben.« (Ebd.,
2012, S. 116). |
 |
Wenn
man den Anstieg der Weltbevölkerung und den Anstieg der Welt-Erdölförderung
im 20. Jahrhundert in der Abbildung in einer vergleichbaren Skala darstellt, dann
drängt sich der Eindruck auf, daß zwischen beiden eine unmittelbare
gegenseitige Abhängigkeit bestand. Ist pro Kopf mehr Energie verfügbar,
dann steigen die wirtschaftlichen Erwartungen und Gelegenheiten. Die moderne industrialisierte
Landwirtschaft wandelt Öl in Nahrung um. Ohne Kunstdünger und Pestizide
auf petrochemischer Grundlage und ohne Antriebsmaschinen hätte sich die Landwirtschaft
nicht in dieser Geschwindigkeit entwickeln können. Die Bevölkerungsdichte
konnte in vielen Ländern erst ansteigen, nachdem Stickstoff-Kunstdünger
eingesetzt wurde, der auf Erdgasbasis am billigsten synthetisiert wird. Bereits
um 1970 erreichte der weltweite Verbrauch industriell gewonnener Energie mit 2,3
Liter pro Person und Tag ein Maximum und sank bis 2000 wieder auf 1,7 Liter ab.
(Ebd., 2012, S. 124-125).
Die Grenzen des Wachstums.
»Die
Grenzen des Wachstums« ist eine 1972 ... im Auftrag des Club of Rome
(**|**|**|**|**|**|**|**)
veröffentlichte Studie zur Zukunft der Weltwirtschaft. Die meisten Leser
haben sicher schon davon gehört. 2005 ging ich bei einem Vortrag beiläufig
auch auf dieses Buch und seine Prognosen ein. In der Diskussion meldete sich dann
ein Student und meinte, diese angstmachenden Prognosen seien ja schon lange bekannt,
wären aber nie eingetroffen. Falsch, denn der Prognosehorizont liegt noch
vor uns. 1972 lautete die zentrale Schlußfolgerung des Berichts: Wenn die
gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der
Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Förderung von Rohstoffen
anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen in Laufe der nächsten
hundert Jahre erreicht werden, also bis etwa 2072. Das Erreichen der Wachstumsgrenzen
könnte zu einem ziemlich raschen und unaufhaltsamen Absinken der Bevölkerungszahl
und der industriellen Kapazitäten führen, zum Großen Chaos.
Mit dieser Vorhersage unterscheidet sich diese Studie von den bis dahin üblichen
linearen Trendberechnungen und stellt die Abhängigkeit zwischen den wichtigsten
Einflußgrößen und Regelkreisen her. Die Studie stellte fest,
daß sich das exponentielle Wachstum der Weltwirtschaft zwar fortsetzen,
dann aber in einer beispiellosen Krise enden wird. (Ebd., 2012, S. 125).1992
wurden die Modellrechnungen von 1972 erneut überprüft. Das Wachstum
der Weltbevölkerung hat sich zwischen 1970 und 2000 so entwickelt, wie angenommen
bzw. vorhergesagt. 2004 führten die genaueren Daten, die man in die Modellrechnungen
eingeben konnte, zu der Präzisierung, weiterhin ungebrochenes Wachstum würde
ab dem Jahre 2030 den Zusammenbruch der Weltwirtschaft nach sich ziehen. Um das
zu verhindern, müßte es zur Einschränkung des Verbrauchs, zur
Abschwächung des Bevölkerungswachstums und zahlreichen weiteren Einschnitten
in die Entscheidungsfreiheit des einzelnen kommen, zu Maßnahmen also, deren
Durchsetzung kaum zu erwarten sei. Der Australier Graham M. Turner (2008) hat
für den Zeitraum 1970-2000 die Annahmen der Modellrechnungen mit der Wirklichkeit
verglichen und eine sehr gute Übereinstimmung festgestellt. Auch er weist
darauf hin, daß das Standardmodell den Zusammenbruch für die Mitte
des 21. Jahrhunderts vorhersagt und nicht etwa bis zum Jahr 2020, wie das von
böswilligen Kritikern von Meadows et al. unterstellt worden ist. (Ebd.,
2012, S. 125).Wir nehmen deshalb in unserem Buch hier »Die
Grenzen des Wachstums« in seiner Vorhersage als weitgehend richtig und
gegeben an und suchen im weiteren nach weiteren wichtigen Einfluß- und Regelgrößen,
die Meadows et al. entgangen sind, sowie nach den politischen Folgen der Entwicklungen.
(Ebd., 2012, S. 126).Es gibt aber auch Wissenschaftler, die alle
derartigen Vorhersagen rundweg ablehnen und versuchen, sie ins Lächerliche
zu ziehen. Der bekannteste Vertreter derartiger Ansichten ist und war Julian Lincoln
Simon (1932-1998), der meint, die Grenzen von Wachstum und Rohstoffen seien nicht
naturgegeben, sondern könnten durch den technischen Fortschritt nahezu beliebig
gedehnt und erweitert werden. Solange sich die Weltwirtschaft - insgesamt gesehen
- im Aufschwung befindet, haben ihm die Zahlen recht gegeben. 1980 schloß
Simon mit dem durch besonders schlimme Vorhersagen über bald bevorstehende
Hungersnöte und Verknappungskatastrophen bekannt gewordenen Paul Ralph Ehrlich
(geboren 1932) eine öffentliche Wette ab. Simon forderte Ehrlich auf, ihm
fünf Metallmengen zu nennen, die, wie von Ehrlich und anderen angenommen,
in absehbarer Zeit verknappt würden und damit auch eine deutliche Preissteigerung
zu erwarten hätten. Ehrlich wählte Chrom, Kupfer, Nickel, Zinn und Wolfram
in einem Zeitrahmen von zehn Jahren. Nach zehn Jahren war aber der Gesamtpreis
all dieser Metalle gefallen, und Ehrlich hatte die Wette verloren. Ehrlich hätte
auch verloren, wenn er auf Benzin, Nahrungsmittel, Zucker, Kaffee, Baumwolle,
Wolle oder Phosphate gewettet hätte, denn alle diese Güter waren im
Zeitraum 1980 bis 1990 inflationsbereinigt billiger geworden. Hätte Ehrlich
die Wette aber auch verloren, wenn der Zeitrahmen der Wette sich statt über
nur 10 Jahre auf 30 oder 60 Jahre erstreckt hätte? Die Entdeckung neuer Kupferlagerstätten
zum Beispiel erreichte 1996 ihren Gipfel. Von 2003 bis 2006 vervierfachte sich
der Kupferpreis auf dem Weltmarkt. Da Kupfer wieder aufbereitet werden kann, ist
der hohe Kupferpreis weltweit ein Anreiz für Diebe geworden, die Rohre, Bleche
und Drähte stehlen, wo immer sie können. Da bis 2006 die Rohstoffpreise
vor allem auch durch die Spekulation hochgetrieben worden sind, um dann 2009 wieder
abzustürzen, ist stets eine längerfristige Sichtweise notwendig. Aber
auch für all diese Rohstoffe gilt die grundsätzliche Feststellung ...,
daß endliche Vorräte bei exponentiellem Wirtschaftswachstum an ihre
Grenzen stoßen und nach Überschreitung des Fördergipfels einen
raschen Preisanstieg aufweisen, auch wenn das ein Julian Simon zu seinen Lebzeiten
nicht mehr erfahren mußte. Mit den steigenden Preisen werden auch Lagerstätten
von Kupfererz und anderen Erzen und Mineralien abbauwürdig werden, die es
bisher noch nicht waren. Wir brauchen uns aber nicht näher damit zu befassen,
da die Entscheidung, ob es tatsächlich zum Abbau dieser ärmeren Lagerstätten
kommt, von den Energiekosten des Abbaus abhängt. Die Energiekosten waren
stets der schrittbegrenzende Hauptfaktor aller Entwicklung und bleiben es auch
in Zukunft. (Ebd., 2012, S. 126).Gescheitert sind aber die
schwarzseherischen neomalthusianistischen Prognosen von Ehrlich und anderen, die
schon für die letzten beiden Jahrzehnte des vergangenen Jahrhunderts eine
Welthungerkatastrophe vorhersagten, dabei aber die Möglichkeiten, die landwirtschaftlichen
Erträge durch eine Grüne Revolution zu steigern, grob unterschätzten.
1944 hatte Norman Borlaug (1914-2009) in Mexiko mit der Züchtung neuer Weizensorten
begonnen: Zwergsorten mit dicken Halmen, fetten Ähren und widerstandsfähig
gegen Krankheiten, die unter sehr unterschiedlichen Bedingungen gedeihen konnten.
1963 standen auf 95% aller mit Weizen bestellten Flächen Mexikos Borlaugs
Zwergsorten, und Mexiko war zum Weizenausfuhrland geworden. Die mexikanische Weizenernte
war 1963 sechsmal höher als 1944. Um 1965 waren Pakistan und Indien von Hungersnot
bedroht. Borlaug ließ Saatgut der in Mexiko erprobten Zwergsorten auf den
indischen Subkontinent schaffen und setzte dort seine Züchtungsexperimente
fort. In Pakistan war die Gefahr einer Hungersnot schon 1968 abgewendet, in Indien
1974. Von 1965 bis 2000 versechsfachte sich in Indien der Ertrag der Weizenernte.
Die revolutionären Methoden, wie sie durch Borlaug in der Weizenzüchtung
entwickelt wurden, wurden auf die Züchtung neuer Reissorten und anderer Nutzpflanzen
übertragen. Die Denkkraft des Genies, der schöpferische Geist hatte
wieder einmal den Ausweg gefunden, den er nach Meinung eines Julian Simon immer
finden wird. Man könnte auch wirklich von ganzem Herzen wünschen, Julian
Simon möge stets recht behalten. Allein, auch diese Medaille hat zwei Seiten:
Die Ertragssteigerungen ermöglichten in zahlreichen Ländern eine Bevölkerungszunahme,
die früher durch die von Ehrlich erwarteten Hungersnöte auf niedrigerem
Niveau gebremst worden wäre. Es ist ja nicht so, daß nur die Sorten
sich verändert haben und bei gleichbleibenden oder gar geringen Anforderungen
an Wasser, Düngung u.s.w. die Erträge gestiegen sind; nein, es hat sich
weit mehr verändert. Die Grüne Revolution brachte unter anderem
auch Veränderungen in der Bewässerung, Düngung, Bodenbearbeitung
und im Transportwesen mit sich und damit Abhängigkeiten von fossiler Energie
für die Düngemittelherstellung, den Transport u.s.w.. Am Ende hat die
weit höhere Menschenzahl einen weit höheren Energiebedarf, als das etwa
in Indien vor 1965 der Fall gewesen war. Damit wird auch das letzte kleine Dorf
in den Kreislauf der Industriegesellschaft hineingerissen. Um den erneut drohenden
katastrophalen Entwicklungen auszuweichen, wäre eine zweite Etappe der Grünen
Revolution notwendig, wie sie durch die Anwendung der Biotechnologie und Gentechnik
inzwischen möglich wäre. Im Gegensatz zu 1965 stehen dem aber sich ausbreitende
Vorurteile und Dummheit immer stärker entgegen. (Ebd., 2012, S. 126-127). |
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Die
klarste, aber auch pessimistischste Theorie über den Zusammenhang zwischen
Energie, Bevölkerungszahl und dem Schicksal der Industriegesellschaft formulierte
1996 der Elektroingenieur Richard C. Duncan. Er befürchtet, daß die
moderne industrielle Zivilisation bereits ab 2012 in die Phase eines steilen Absturzes
eintritt, durch den die Bevölkerungszahl der Erde schon ab 2030 auf 2 Milliarden
verringert wird und damit, bildlich gesprochen, in eine Schlucht stürzt,
die er mit der Olduvai-Schlucht der Vorzeit vergleicht, weshalb er seine Theorie
»Olduvai-Theorie«
genannt hat. Sie ist nicht aus der Luft gegriffen und stützt sich auf namhafte
Vordenker. Henry Adams (1838-1918) hatte bereits 1893 die Befürchtung geäußert,
daß der Hunger nach Elektroenergie die Welt letztlich und gesetzmäßig
ins Chaos stürzen wird - als Vollendung einer einmaligen Beschleunigung der
Evolution (vgl. Konrad Lorenz, Der Abbau des Menschlichen, 1983) und der
menschlichen Geschichte, die schließlich in einer Katastrophe mündet.
Andere Mitglieder der Schule der us-amerikanischen Technokraten, bei der auch
der Erdöl-Prognostiker Hubbert ein- und ausging, kamen zu dem Schluß,
daß das Schicksal der Industriegesellschaft durch die Pro-Kopf-Erzeugung
an Energie bestimmt wird. Seit 1945 stieg diese Erzeugung exponentiell an, ermöglicht
insbesondere durch weltweit steigende Fördermengen an Erdöl und Erdgas.
Seit 1979 konnte diese Pro-Kopf-Erzeugung nicht mehr nennenswert gesteigert werden
und ist sogar seit 2004 leicht rückläufig. Ab 2009 - so nach Vorausblick
der Olduvai-Theorie - schafft es die Energieindustrie nicht mehr, den steigenden
Bedarf zu decken und die Netze auszubauen. Immer häufiger kommt es zu großen
Strom- und Netzausfällen, wie sich durch die internationalen Statistiken
solcher Ausfälle tatsächlich belegen läßt. (Ebd., 2012,
S. 127-128).Duncan versteht Elektroenergie als das Blut der industriellen
Zivilisation. Fließt es nicht mehr oder unregelmäßig, dann brechen
die Stromnetze zusammen und alles hinterher. Gewagte politische Entscheidungen,
wie die Abschaltung von Kraftwerken, können die Versorgungssicherheit zusätzlich
untergraben und erhöhen selbstverständlich die Energiekosten. Zur Katastrophe
im Schlepptau von Revolutionen und Bürgerkrieg kommt es auch dadurch, weil
immer mehr Menschen die steigenden Energiepreise und die in ihrer Folge steigenden
Nahrungsmittelpreise nicht mehr bezahlen können. Wie es scheint, ist diese
Entwicklung heute - 2012 - in den ärmsten Regionen der Welt bereits in vollem
Gange. (Ebd., 2012, S. 128).Die Olduvai-Theorie ist deshalb
keine Theorie für eine ferne Zukunft, sondern eine für unsere unmittelbare
Gegenwart. Die Entwicklung der entscheidenden Kennziffern dieser Theorie ist nachprüfbar.
Nicht unmittelbar für ein gegebenes Jahr, sondern mit etwa zwei bis drei
Jahren Verzögerung, bis jeweils die gültigen statistischen Zahlen vorliegen.
In der englischen Wikipedia gibt es zum Beispiel Seiten, auf denen die Statistiken
der großen Stromausfälle (blackouts) und Spannungsminderungen (brownouts)
gesammelt werden. Jeder kann diese Statistiken einsehen, so unvollständig
sie auch sein mögen. Wie die Daten zeigen, ist die Entwicklung sehr beunruhigend.
Duncan könnte recht behalten, wenn auch nicht 2012, sondern einige Jahre
später, denn der von ihm vorhergesagte Ablauf droht sich anzubahnen.
(Ebd., 2012, S. 128).Eine Gesellschaft, welche die Pro-Kopf-Erzeugung
an Energie steigern kann, beschleunigt ihren eigenen sozialen Wandel. Eine Gesellschaft,
die nicht mehr in der Lage ist, die weit vorausschauende Unterhaltung der elektrischen
Energienetze zu finanzieren oder politisch durchzusetzen - ein sich wahrscheinlich
... bis 2030 immer mehr ausbreitender Zustand - beschleunigt hingegen ihren eigenen
Untergang. Der Physiker Hans Thirring (1888-1976) sagte bereits 1956 für
diesen Fall den Tod von drei Vierteln der Menschheit voraus und für die Überlebenden
beklagenswertes Elend. Walter Youngquist (1997), ein kritischer Begleiter von
Duncan, merkte jedoch an, daß seiner Meinung nach dieser Zustand erst 2050
erreicht sein wird und nicht schon 2030. (Ebd., 2012, S. 128).1899
hielt Clemens Winkler (1838-1901), der Entdecker des Germaniums (**),
auf dem Allgemeinen Bergmannstag im böhmischen Teplitz einen Vortrag zum
Thema »Wann endet das Zeitalter der Verbrennung?« und sagte:
»Wie ärmlich erscheinen die Wunderwerke der alten Welt gegenüber
den Riesenleistungen unserer Tage! .... Der Forschungsdrang, der unser Zeitalter
kennzeichnet, hat eine mächtige materielle Stütze gefunden in der Heranziehung
der fossilen Kohle zur Wärmeerzeugung. .... Das ist der große Wurf,
der unserem Jahrhundert gelungen. .... Heute mutet es uns manchmal an, als befänden
wir uns in einem Rausch, einem Taumel, als müßten wir den Atem anhalten,
um zu fragen: Wo will das hinaus, wie wird das enden? Die riesigen Braunkohlenlager
Böhmens, sie befinden sich bereits in einem weit fortgeschrittenen Stadium
des Abbaus. .... Halten wir auch weise Haus mit dem uns in den Schoß gefallenen
Gute? Wenn wir aufrichtig sein wollen, so müssen wir diese Frage verneinen.
In Wirklichkeit hausen wir damit, wie der Hamster im Weizen. Wir machen es eben
wie jedes andere Geschöpf und schwelgen im Überfiuß, solange wir
ihn haben. Sollen wir uns deshalb Skrupel machen? Gewiß nicht! .... Es gilt
auch hier das bekannte Wort: Nach uns die Sintflut! Dennoch empfinden
wir es vielleicht wie einen inneren Vorwurf, daß wir die fossile Kohle ohne
alle Rücksicht auf die früher oder später drohende Erschöpfung
ihrer Fundstätten durch Verbrennung vernichten. .... Denn wenn auch spätere
Generationen uns nicht kümmern mögen, auf unsere Kinder und Kindeskinder
spinnen sich die Fäden der Liebe, der Fürsorge, doch hinüber, und
sie sind, die wir schädigen, wenn wir die Kohle, deren sie dereinst zu ihrer
Existenz bedürfen, die sie vielleicht aus bitterer Not heraus schmerzlich
herbeiwünschen werden, keineswegs allein dem wirklichen Bedürfnis, sondern
in weitgehendem Maße auch den Zwecken des Luxus und des Vergnügens
opfern, noch dazu unter Erzielung einer Wärmeausnutzung, ob deren Mangelhaftigkeit
uns das Gefühl der Scham beschleichen könnte. .... An eine Beschränkung
des Kohleverbrauchs ist fürs Nächste gar nicht zu denken, im Gegenteil
wird derselbe fortgesetzte Steigerung erfahren, eine ungeheuere sogar. .... Die
Kultur wird noch lange Zeit im Zeichen der Verbrennung stehen, das Zeitalter der
Verbrennung eine Dauer nicht nur von wenigen, sondern von vielen Jahrhunderten
haben.« Wie sich eben auch bedeutende Wissenschaftler in der Abschätzung
von Zeiträumen irren können. (Ebd., 2012, S. 128-129).In
engem Zusammenhang mit der Pro-Kopf-Produktion an Energie steht die Pro-Kopf-Produktion
an Lebensmitteln. Seit 1990 hat sich die Ertragssteigerung bei Getreide abgeschwächt,
ab 2007 kam es zu einem starken Anstieg der Lebensmittelpreise, von dem alle Länder
mehr oder weniger betroffen sind. Je teurer Energie wird, desto größer
die Versuchung, aus ursprünglich als Lebensmittel angebauten Pflanzen Energie
zu gewinnen. Mais, Zuckerrohr und pflanzliche Öle lassen sich als Lebensmittel
bzw. Viehfutter verwenden oder zu Treibstoff umwandeln. Letztere Verwendung trägt
mit Sicherheit dazu bei, die Lebensmittelpreise in die Höhe zu treiben. Seit
1990 können im übrigen im Fischfang auf freier See keine Zuwachsraten
mehr erreicht werden. (Ebd., 2012, S. 129).Unser gesamtes
Buch hier könnte andere Aussichten aufzeigen und andere Schlüsse ziehen,
wenn Energie billig wäre und bliebe. Es macht einen großen Unterschied,
ob zum Beispiel der Wirkungsgrad für Solarzellen zwanzig Jahre früher
oder später erhöht wird und die Kosten gesenkt werden. Wir wissen es
nicht und können nur hoffen und nach Kräften mit unserer eigenen Arbeit
dazu beitragen, daß die Entwicklung weniger dramatisch und eher glimpflich
verläuft. Während in der Aufstiegsphase der Industriegesellschaft sinkende
Energiekosten den Energieverbrauch anheizen, hat in der Niedergangsphase die Sparsamkeit
einen tiefen Sinn. Neue Erfindungen auch auf diesem Gebiet könnten viel und
rechtzeitig dazu beitragen, die möglichen verheerenden Auswirkungen des Großen
Chaos zeitlich zu strecken und abzumildern. (Ebd., 2012, S. 129).Zu
einer Energiewende bleiben uns also weltweit nur noch zwei bis vier Jahrzehnte
Zeit, wenn überhaupt noch so viel Zeit ist. Die Hoffnung und das politische
Streben, durch Sonne, Wind und Wasserkraft Kohle und Erdöl zu ersetzen, zugleich
aber auch auf die Kernenergie zu verzichten, ist, langfristig gesehen, eine nachhaltige
Orientierung. Die große Frage ist aber, ob die Kosten einer solchen Energiewende
innerhalb eines so kurzen Zeitraums nichts weiter als eine Utopie sind und ein
weiterer Faktor, der das Große Chaos eher beschleunigen wird, anstatt
es vermeiden hilft. Denn im selben Zeitraum wird auch die Erdbevölkerung
mit etwa 9 Milliarden Menschen ihr Maximum erreichen, mit einem entsprechenden
Druck auf Nahrungs- und Energiequellen aller Art und einem sich daraus ergebenden
politischen Druck bei Versagen und Versiegen der elementaren Lebensgrundlagen.
Um dem steigenden Kostendruck zu begegnen, ist ein Erfindungsreichtum sondergleichen
gefragt, der eine wirtschaftliche Ausnutzung der Energieträger Sonne, Wind,
Wasserkraft und Erdwärme mit einem weit höheren Wirkungsgrad als heute
erlaubt, und zu gleicher Zeit bei Motoren, Gebäudedämmungen u.s.w. gleichwirkende
Entwicklungen durchsetzt. Dieser Erfindungsreichtum setzt intelligente
und gebildete Menschen voraus, die in Freiheit nach technischen Lösungen
suchen können und sie umsetzen. In Anbetracht des nur noch kurz zur Verfügung
stehenden Zeitraums gehen diese Menschen heute bereits zur Schule oder werden
in den nächsten zwei Jahrzehnten geboren. Wird es genügend intelligente
junge Menschen geben, die innerhalb dieses - weltgeschichtlich gesehen - sehr
kurzen Zeitraums als Erfinder, Manager und durchsetzungsfähige Politiker
die Energiekosten in einem Bereich halten können, in dem die Grundversorgung
für die alternden Bevölkerungsmassen der Industrieländer aufrechterhalten
werden kann? Ob das bei den bedürftigen und hungernden Milliardenmassen der
Dritten Welt auch gelingen wird? Oder wird die Lösung dieser Aufgabe an der
Minderzahl fähiger Personen und der Überzahl unfähiger scheitern
- an einer IQ-Lücke - und die Welt um 2030 oder 2050 im Großen Chaos
versinken? Versinken darin dann auch fast überall Demokratie und freiheitliche
Ordnung, sofern überhaupt je vorhanden? (Ebd., 2012, S. 129-130).Als
im April 1945 in meiner Heimat die staatliche Ordnung zusammenbrach, hatten die
Bauern noch vor dem Einmarsch der Sieger die Kartoffeln gelegt und sie so dem
drohenden Zugriff durch die Besatzungstruppen entzogen. Mit ihren Pferden und
den Kühen, die mit der Hand gemolken wurden, waren die Bauernhöfe in
der Lage, sich zu behaupten. Beim nächsten Zusammenbruch besteht diese Möglichkeit
nicht mehr. Pferde gibt es fast keine mehr, und beim Zusammenbruch der Treibstoffversorgung
und des Elektrizitätsnetzes fallen auch Melkmaschinen und Heizpumpen aus.
Beim derzeitigen Stand der Technik ist eine örtliche oder landschaftgebundene
Selbstversorgung in einem Industriegebiet nicht mehr erreichbar und schon gar
nicht mehr innerhalb der wenigen Wochen oder Monate, die zur Verfügung stehen
werden. Schon nach kurzer Frist werden Schreckensbilder wahr werden, ähnlich
denen, wie sie in Romanen wie »Die Stadt der Blinden«, »Das
Tal des Lebens«, »Die Triffids«, »Die Memoiren einer Überlebenden«
und ähnlichen Katastrophenszenarien vorgedacht worden sind. Relativ glücklich
vermutlich die, welche intelligent und vorausschauend genug waren, sich in weniger
besiedelte ländliche und vor allem schwer zugängliche Hochgebirgsregionen
oder Insellagen abzusetzen, wo sie mit Gleichgesinnten rechtzeitig den Aufbau
einer örtlichen Selbstversorgung und Selbstverteidigung begonnen haben -vor
allem und leider auch notwendig zur Abwehr und Selektion der Flüchtlingswellen
aus den Notstandsgebieten. (Ebd., 2012, S. 130).Ein Wort
zu Energie und Klima läßt sich an dieser Stelle nicht vermeiden. Das
Klima hat sich schon immer verändert. Das Klima hat sich im Laufe der Erdgeschichte
ohne Zutun des Menschen schon viel stärker verändert als mit seinem
Beitrag, und während der Eiszeiten sogar in mehreren Wellen. (Ebd.,
2012, S. 130).In den letzten zwei Jahrhunderten hat es die Menschheit
fertiggebracht, bereits die Hälfte aller in Jahrmillionen entstandenen fossilen
Brennstoffe zu verbrennen, davon die Hälfte des Erdöls im letzten halben
Jahrhundert. Es ist möglich und sogar wahrscheinlich, daß dadurch die
Erde ein wenig aufgeheizt worden ist. Es ist mittelfristig nicht sicher, ob diese
menschliche Beeinflussung die natürlichen Klimaschwankungen übertreffen
wird. Und es ist deshalb auch nicht sicher, ob menschliche Anstrengungen das Weltklima
in einer gewünschten Richtung verändern können. (Ebd., 2012,
S. 130).Weltklima, die Atemluft und das Meerwasser sind Allgemeingüter
der gesamten Menschheit. Bei Allgemeingütern gewinnt derjenige am meisten
davon, der sie ohne Rücksicht auf die anderen ausnutzt. Und derjenige schädigt
sich und seine Volkswirtschaft, der sich selbst Beschränkungen auferlegt,
die von anderen nicht mitgetragen werden. (Ebd., 2012, S. 130-131).Länder
wie Rußland, Kanada, Finnland und Schweden gewinnen mit Sicherheit von einer
Weltklima-Erwärmung. Ihr Interesse an irgendeinem Abkommen kann deshalb nur
Heuchelei sein. Für China, Indien und andere wäre ein Klimaabkommen
wirtschaftlicher Selbstmord. Angesichts der Interessenlage bei Allgemeingütern
kann man mit Sicherheit davon ausgehen, daß jede Weltklimakonferenz nichts
anderes als Verschwendung von Zeit und Geld ist und nichts dabei herauskommen
kann. (Ebd., 2012, S. 131).Weshalb also überhaupt die
Klimahysterie? Soll sie
vielleicht von einem viel wichtigeren und viel drängenderen Problem ablenken?
Wenn wir gegenwärtig die Hälfte der Welterdölvorräte verbrannt
haben und die Förderung soeben ihren Höhepunkt (Peak oil) überschritten
hat (wenn ..., denn das wissen wir ja nicht genau,
und eine Knappheit kann auch künstlich, also vorgetäuscht sein; HB [**|**|**]),
dann können wir uns ausrechnen und sicher sein, daß es bei der Förderung
der zweiten Hälfte zu einer sehr starken Verteuerung aller Energie kommen
wird. Während 2050 das Klima sein kann, wie es will, und wir es nicht wissen,
dürfen wir uns sicher sein, daß wir schon bis 2030 und 2040 (wenn nicht
gar schon eher) überall als Folge der Energieverknappung und -verteuerung
mit riesigen wirtschaftlichen Problemen und daraus sich ableitenden Unruhen und
Kriegen kämpfen werden. (Ebd., 2012, S. 131).Der Gesamtenergieverbrauch
der Menschheit wird sich nach 2050 sehr stark verringern, ob nur vorübergehend
oder langfristig, kann heute keiner wissen. Ob das Klima im Jahre 2300 noch eine
Erinnerung daran hat, daß die Menschheit zwischen 1900 und 2040 den größten
Teil aller fossilen Brennstoffe in die Luft gejagt und sich dadurch dauerhaft
hat beeinflussen lassen oder längst wieder seiner unbeeinflußten Eigendynamik
folgt, wie in Millionen Jahren vorher und nachher, weiß niemand. Die Zeit
und die Gezeiten brauchen den Menschen nicht. (Ebd., 2012, S. 131).
Die Beschleunigung des technischen und sozialen Wandels.
In
Übertragung auf soziale Sachverhalte bedeutet »Beschleunigung«,
daß immer mehr Ereignisse, mehr Veränderungen und häufigerer sozialer
Wandel pro Zeiteinheit stattfinden. (Ebd., 2012, S. 131).Dieser
Antrieb für die Beschleunigung gilt auch für die politischen Parteien
und ihre Programme. Je mehr sie versprechen und je rascher sie sich selbst dem
sich beschleunigenden Wandel anpassen, desto größer sind lange Zeit
ihre Erfolgsaussichten. »Konservativ« zu sein, gilt in einer solchen
sich rasch wandelnden Welt als keine gute Empfehlung. Der Erfolg von Regierungen
und ihre Fähigkeit, Zustimmung zu erlangen, hängt weitgehend davon ab,
ob es ihnen gelingt, den Lebensstandard der Bevölkerung zu erhöhen oder
wenigstens zu erhalten, der statistisch als Bruttosozialprodukt ausgewiesen wird.
Um die Arbeitsfähigkeit des Kapital- und Aktienmarktes zu erhalten, muß
das Vertrauen in die Wirtschaftskraft erhalten bleiben, das auf der Fähigkeit
zu weiterem Wachstum beruht. Wenn dieses Vertrauen schwindet, dann fallen die
Aktienkurse, das für Neuinvestitionen zur Verfügung stehende Kapital
verringert sich sehr stark und stoppt das Wirtschaftswachstum. Die Arbeitslosenzahlen
steigen, und es kommt eine rückgekoppelte Kettenreaktion in Gang, die in
der Regel den Sturz der Regierung mit sich bringt. Deshalb streben alle Regierungen
und alle Parteien stets ein weiteres Wachstum des Bruttosozialprodukts an, ohne
Rücksicht auf die möglichen langfristigen Folgen. Für einen Ausstieg
aus diesen technologischen und politischen Zwängen scheint es keinen durchsetzbaren
Entwurf zu geben. Der Umschwung kommt auch hier erst dann, wenn die energetischen
Grundlagen aufgebraucht sind oder übernutzt werden, wenn die Verschuldung
des Staates und der öffentlichen Kassen alle Maße übersteigt und
keine auch nur halbwegs glaubwürdigen Wahlversprechungen mehr gemacht werden
können, weil es nichts mehr umzuverteilen gibt. In einer solchen Krise wird
es zwangsläufig nicht nur zur Gefährdung jeder demokratischen, sondern
zur Infragestellung jeder staatlichen Ordnung kommen. (Ebd., 2012, S. 133).Die
Evolution führt nicht einfach nur zu einer Maximierung des Energiedurchflusses,
denn dann wären die Ölverschwender am Golf die am weitesten fortgeschrittenen
Gesellschaften, sondern zur Maximierung des schnellsten Zugewinns an Informationsentropie
bei möglichst geringen Energiekosten auf allen Ebenen. Je höher die
Informationsentropie der Strukturen ist, desto größer der Energiebedarf,
der allein schon zur Aufrechterhaltung der Strukturen benötigt wird, geschweige
denn zur ihrer Weitentwicklung. Deshalb geht der Zusammenbruch einer jeden Zivilisation
mit dem Schwinden ihrer energetischen Grundlagen einher. Der Evolutionsmechanismus,
der den jeweils Schnelleren überleben läßt, beschleunigt die Evolution
in ihrem Gesamtgefüge. Er führt zur Selbstdomestikation und zur »Verhausschweinung«
der Menschen (vgl. Konrad Lorenz, Der Abbau des Menschlichen, 1983) überfordert
oder erschöpft die Energiequellen und führt dabei zum Umschalten von
positiver auf negative Selektion (vgl. Eckart Knaul, Das biologische Massenwirkungsgesetz,
1985). Damit erweist er sich letztlich als ein im Plan der Welt vorgesehener Regulations-
und Selbstzerstörungsmechanismus, dem auch die biologische, technische und
soziale Entwicklung der Menschheit unentrinnbar ausgeliefert ist. Wer sich durch
Erkenntnis oder Teilerkenntnis aus diesem Prozeß auszuklinken versucht,
läuft Gefahr, gnadenlos auskonkurriert und in den Gesamtprozeß zurückgeworfen
zu werden. Das alles hatte seine Grenzen, solange diese Zerstörung nur regional
erfolgte und -ausgehend von einem niedrigen Niveau -eine Erneuerung der energetischen
Grundlagen möglich war, wie das vor 1500 der Fall war. Die Entwicklung der
Industriegesellschaft baut jedoch auf der Ausbeutung fossiler Energie auf, die
gegenwärtig weltweit zur billigeren Hälfte abgebaut ist und sich nicht
erneuern wird. Doch nach wie vor ist die Geschwindigkeit des Wandels ein Selektionsvorteil,
selbst noch im Abschwung. (Ebd., 2012, S. 133).Es gibt gläubige
Minderheiten, deren Stifter die allen früher oder später drohende Gefahr
erkannt und für ihre Anhänger Lebensregeln erlassen haben, die zum Überleben
beitragen sollen. Das bekannteste Beispiel sind die nordamerikanischen Amish,
die technische und soziale Neuerungen nicht oder nur sehr verzögert in ihr
Leben eindringen lassen. Man darf deshalb die Überlebensaussichten der Amish
in der kommenden Weltenkrise des Großen Chaos als groß einschätzen,
so sehr ihre gegenwärtige Lage auch randständig ist. (Ebd., 2012,
S. 134).Die Beschleunigung des Wandels hat noch einen weitere Auswirkung:
Noch nie war die Zukunft so wenig vorhersagbar wie in dieser Gegenwart. Schon
was in zehn oder zwanzig Jahren eintreten wird, ist mit großer Unsicherheit
der Vorhersage behaftet Ein Prognosehorizont von einhundert Jahren gehört
ins Reich der reinen Utopie. Auch unser Versuch, in diesem Buch die Grenzen der
Ereignisse innerhalb der nächsten fünfzig Jahre auszuloten, ist deshalb
bereits voller Unwägbarkeiten. (Ebd., 2012, S. 134).Nicht
alles hat sich geändert oder ändert sich. Nach wie vor stehen die meisten
Menschen früh auf und legen sich abends schlafen. Unser Leben besitzt eine
Eigenzeit, die jedoch in den technischen und sozialen Wandel einbezogen und dadurch
teilweise ausgeschaltet wird. Für eine erfolgreiche Familiengründung
steht den jungen Frauen nur ein nach Jahren begrenztes Zeitfenster zur Verfügung.
Je höher die Qualifikation ist, desto länger ist die Ausbildungszeit
und desto kleiner das Zeitfenster für eigene Kinder. Getrieben von der Angst,
den beruflichen Anschluß zu verlieren, bleiben sehr viele hochgebildete
Frauen kinderlos oder bekommen nur ein Kind. Die kleinen Kinder müssen Kindergärten
besuchen, wo sie zu unfreiwilligen Versuchspersonen im Wettlauf zwischen der Evolution
der Bakterien und Viren und der Entwicklung ständig neuer Medikamente werden.
Für die Männer ist die Situation nur bei oberflächlicher Betrachtung
eine andere. Unter dem ständigen Zeitdruck und im Getriebe der beruflichen
Anforderungen leiden Partnerschaft und Familie, für die der erzwungene Wechsel
von Arbeitsstelle und Arbeitsort, die vielgerühmte Flexibilität der
Arbeitnehmer, Gift sind. Das spielt sich in allen Industrieländern ab, und
ist einer der wesentlichen Gründe, daß immer weniger Kinder geboren
werden, je höher die Frauen qualifiziert sind. Auch auf diese Weise sägt
sich die Industriegesellschaft den Ast ab, auf dem sie sitzt. Nüchtern betrachtet
handelt es sich aber um einen Regulationsvorgang im Zeitfenster der negativen
Selektion, der im Plan der Natur so vorgesehen ist. (Ebd., 2012, S. 134).Der
Überlebenskampf im Arbeitsleben zwingt nicht wenige zur Schicht- und Feiertagsarbeit.
Doch hat der Arbeitnehmer einen Fehler: Er stirbt nicht bereits bei Arbeitsunfähigkeit
oder Eintritt ins Rentenalter, sondern die moderne Medizin läßt ihn
bisher im Durchschnitt ständig ältere Jahrgänge erreichen, die
eine immer bessere Betreuung verlangen. Das und die ständige Weiterentwicklung
und damit Verteuerung der Medizin und nicht zuletzt der Wettbewerb der Arzneihersteller
untereinander treiben die Kosten für die soziale und medizinische Altersversorgung
zu immer neuen Höhen. Auch dieses exponentielle Wachstum wird bald an seine
Grenzen stoßen. Danach wird sich die Lebenserwartung verringern und die
Kindersterblichkeit wieder erhöhen, wie das inzwischen schon in den zuerst
und am stärksten von Krise und Chaos erfaßten Ländern der Fall
ist (Simbabwe, Haiti, Somalia, Kenia. ..). (Ebd., 2012, S. 134).Die
Beschleunigung erfaßt auch den Alltag. Um 1990 waren rund 80% der neu in
den Supermärkten eingeführten Nahrungsmittel während eines Jahres
wieder aus den Regalen verschwunden. U nter der Schlagzeile »Viagra- Effekte«
meldeten am 19. August 2009 die Zeitungen, daß in Brasilien zwei Drittel
aller geschiedenen Senioren noch einmal eine mehr als 30 Jahre jüngere Frau
heiraten. Brauchte die Pest im Mittelalter viele Jahre, ehe sie sich von Asien
nach Europa ausbreiten konnte, schaffen das heute AIDS und andere neue Seuchen
im Gefolge von Luftfahrt und weltweitem Tourismus in viel kürzerer Zeit.
(Ebd., 2012, S. 134-135).Wer viel Geld hat - und Geld ist ja nichts
anderes als ein Gegenwert für Energie -, zeigt das durch seinen Prestigekonsum,
dessen Objekte der Mode unterliegen. Demzufolge beschleunigen sich die Modezyklen
und die Vielfalt der Modenischen bis ins Überspannte. Je größer
eine Stadt ist, desto geschäftiger ist das Leben in ihr, selbst das Schrittempo
ist schneller. Geradezu als ein Sinnbild der Beschleunigung darf der Leistungssport
gelten. Das Jahr 1880 wurde 1912, also nach 32 Jahren, in Büchern noch halb
so oft erwähnt wie 1881; für das Jahr 1973 hatte sich diese Zeitspanne
auf 10 Jahre verkürzt, also bis auf 1983. Anwendungen aus Erfindungen im
Zeitraum 1840-1880 waren 50 Jahre später im allgemeinen Gebrauch, für
den Zeitraum 1880-1920 war das schon nach durchschnittlich 27 Jahren der Fall.
Kurzlebiger wird aber auch der Ruhm, wenn man die Erwähnung in Büchern
so nennen will. Ruhm kann man schneller und in jüngeren Jahren erwerben,
er verflüchtigt sich aber auch wieder schneller. (Ebd., 2012, S. 135).Wir
wollen uns hier jedoch im folgenden auf einige Kernfragen beschränken, die
für unsere Gesellschaftsprognose von Bedeutung sind: 1. Welche sozialen Auswirkungen
hat die Beschleunigung des technischen Wandels? 2. Hat sich der soziale Wandel
tatsächlich beschleunigt, und mit welchen Kennziffern läßt sich
das belegen? 3. Hat sich in den letzten zwei Jahrhunderten der Wandel der politischen
Systeme beschleunigt? 4. Wird sich diese Beschleunigung des Wandels fortsetzen
oder abbrechen? (Ebd., 2012, S. 135). 1. Frage: Welche sozialen
Auswirkungen hat die Beschleunigung des technischen Wandels? Bei
meiner statistischen Auswertung der sozialen Mobilität in Sachsen über
den Zeitraum 1550-1880 fiel mir auf, daß erst um 1800 einzelne Männer
auftauchten, deren Beruf und sozialer Stand mehrfach gewechselt haben. Vorher
gab es zwar auch Wandel während eines Erwerbslebens, aber der war in den
allermeisten Fällen durch die Alterskurve der Arbeitsfähigkeit und Arbeitsfertigkeiten
bedingt. Der Gipfel der Land-Stadt-Mobilität war bereits vor über einem
Jahrhundert erreicht worden, als die überschüssigen Erben aus den Dörfern
zur Existenzgründung in die Städte und Stadtnähe wandern mußten.
Verlängert haben sich jedoch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
die durchschnittlichen Arbeitswege, was durch den individuellen Autoverkehr und
relativ niedrige Kraftstoffpreise möglich geworden war. (Ebd., 2012,
S. 135).Das lebenslange Verbleiben im ursprünglichen Ausbildungsberuf
und auf der ersten Arbeitsstelle ist heutzutage eher die Ausnahme. Betrug zum
Beispiel die durchschnitt liche Betriebszugehörigkeit bei deutschen Industriebeschäftigen
1991/92 11,6 Jahre, so war sie schon sieben Jahre später auf 11,0 Jahre
gesunken. Im Jahre 2010 melden die Massenmedien, daß in Deutschland mehr
als die Hälfte aller neugeschlossenen Arbeitsverträge nur noch Zeitverträge
sind. Die Gewerkschaften laufen dagegen Sturm und weisen mit Recht darauf hin,
daß unter derartigen Bedingungen oft keine vernünftige Zukunfts- und
Familienplanung mehr möglich ist. (Ebd., 2012, S. 135-136). |
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Ebenso
wie der Energieverbrauch exponentiell angestiegen ist, so auch die Innovationsrate
der technischen Evolution. Die Zyklen, in denen alte Produkte durch neue Produkte
verdrängt werden, sind seit Jahrzehnten immer kürzer geworden. Wie man
ersehen kann, beschränkt sich die Verkürzung der Produktlebenszyklen
nicht nur auf Hochtechnologiebereiche, sondern hat alle Industriezweige erfaßt.
In der Industrie verschiebt sich dabei das Verhältnis für den Aufwand
von Forschung und Entwicklung zum Gewinn zuungunsten des Gewinns (**).
Wer selbst Einblick in das Innere der Forschungs- und Entwicklungsabteilungen
von Hochtechnologiebranchen hat oder sie durch seine Kinder, Verwandte und Freunde
in wirklichkeitsnaher und kritischer Weise vermittelt bekommt, den überraschen
die Folgen des stattfindenden Innovationskrieges zwischen den Unternehmen nicht.
Die Mitarbeiter in der Forschung und Entwicklung der Hochtechnologiefirmen sind
einem gewaltigen Zeit- und Leistungsdruck ausgesetzt und haben den Eindruck, daß
sich dieser Druck von Jahr zu Jahr verstärkt. Für Frauen mit Kindern
ist das kein empfehlenswerter Arbeitsplatz, ihren »Lebensabschnittspartnern«
geht es nicht viel besser. Ein Ausscheren aus diesem Wettbewerb würde jedoch
für das betreffende Unternehmen den Konkurs bedeuten. (Ebd., 2012,
S. 136). |
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Bei hochkomplexen technischen Innovationen, wie sie in der Elektronik,
in der Pharmaindustrie, im Fahrzeugbau, in der Luftfahrt und anderen Branchen
gefordert sind, ist die Zahl der Mitarbeiter klein, die noch die Komplexität
wirklich überschaut und die eine sehr große Anzahl von Mitarbeitern
zielgerichtet einsetzen und leiten kann. In den Finanzgeschäften
der Gegenwart hat man gar den Eindruck, die Komplexität sei schon
zu groß, um noch von irgend jemandem in ihren Auswirkungen voll
begriffen zu werden. Als Experte gilt derjenige, der hinterher genau sagen
kann, warum sein Vorschlag schiefgegangen ist. In der Industrie steht
und fällt der Erfolg des Unternehmens mit dem Vorhandensein einer
kooperativen Führungsgruppe, bei der von jedem einzelnen ein sehr
hoher IQ und geeignete Persönlichkeitseigenschaften unverzichtbare
Voraussetzungen sind. Oft hängt der Erfolg von einer einzigen überragenden
Persönlichkeit ab, die derartige Eigenschaften in anderen erkennen
und entsprechend einsetzen kann. Das heißt, zu den Fähigkeiten
eines außerordentlich erfolgreichen Fußballtrainers müssen
noch weitere hinzutreten. (Ebd., 2012, S. 136-137).
Persönlichkeiten,
die erfolgreich erfinden und führen können und zur schöpferischen
Zerstörung des Bestehenden (vgl. Joseph Alois Schumpeter, Kapitalismus,
Sozialismus und Demokratie, 1946) fähig sind, sind das Kostbarste, was
eine menschliche Gemeinschaft hervorbringen kann). Im Extremfall ist der Wert
einer solchen Persönlichkeit nicht mit Gold aufzuwiegen. Wer das Glück
hatte, unter einem solchen Leiter arbeiten zu dürfen, profitiert für
sein ganzes Leben davon. Aus Nationen mit einem mittleren IQ um 100 gehen derartige
fähige und schöpferische Persönlichkeiten in der notwendigen Zahl
hervor, mit der sich auch schwere Krisen meistern lassen. Wir gehen darauf an
anderer Stelle noch ausführlicher ein. (Ebd., 2012, S. 137).Die
Beschleunigung der Produktlebenszyklen, der sich verringernde Grenznutzen der
Aufwendungen für Forschung und Entwicklung und die wachsende Komplexität
der Probleme und Aufgabenstellungen bringen es mit sich, daß der Stellenwert
der außerordentlichen schöpferischen Persönlichkeit ständig
steigt. (Ebd., 2012, S. 137).Etwa während des Ersten
Weltkrieges stießen die ersten Landvermesser in das unentdeckte Innere im
Westen Kanadas vor. Sie schlugen ihre Lager auf, bestiegen zuerst die am leichtesten
zugänglichen Berge und befuhren die Seen und Flüsse, die keine unÜberwindbaren
Hindernisse darstellten. Später erkundete man die schwierigeren Wegstrecken.
Und noch heute gibt es dort viele Gipfel, die von keinem Menschen bestiegen worden
sind. Das schrittweise Vordringen der Landvermesser soll hier als Gleichnis auf
den menschlichen Erkenntnis- und Produktionsprozeß verstanden werden. Zuerst
werden die offensichtlichen und naheliegenden Dinge entdeckt und erfunden, dann
immer kompliziertere und aufwendigere. Heute sind wir in den Hochtechnologiebranchen
bei einer Komplexität der Aufgaben angelangt, die nur noch von wenigen Fachleuten
verstanden wird und nicht einmal von diesen vollständig. Der Ausfall eines
einzigen erfahrenen Mitarbeiters kann Entwicklungsprozesse um Monate verzögern.
Eine einzige Fehlentscheidung des Managements - das die notwendigen Einzelheiten
gar nicht mehr verstehen oder nachvollziehen kann - kann das Aus für ein
kostspieliges Projekt bedeuten, vollständig oder zugunsten des Wettbewerbers.
Die Innovationsbeschleunigung bewirkt, daß schwerwiegende Entscheidungen
in immer kürzeren Zeiträumen getroffen werden müssen, sich die
Risiken und die Wahrscheinlichkeit von Fehlentscheidungen erhöhen (vgl. Christoph-Friedrich
von Braun, Der Innovationskrieg, 1994). Die subjektive Meinung, der Wettbewerber
erhöhe seinen Aufwand für Forschung und Entwicklung, genügt, um
den eigenen Aufwand zu erhöhen. Es kommt zu einer stufenweisen Steigerung
der Forschungs- und Bildungsausgaben -ähnlich wie bei der Rüstungseskalation.
Die Verkürzung der Produktlebenszeit führt nicht selten dazu, daß
Produkte bereits zu früh aus dem Markt genommen und durch neue ersetzt werden,
sich aber dadurch der Umsatz verringert, statt erhöht. Volkswirtschaftlich
gesehen, kommt es auf diese Weise zu einer Verschwendung von Rohstoffen und Investitionen.
(Ebd., 2012, S. 137-138).Die Beschleunigung der Produktlebenszyklen
als eine objektiv nachweisbare und meßbare Tatsache steht mit der Beschleunigung
sonstiger wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Veränderungen
in einem ursächlichen Zusammenhang. (Ebd., 2012, S. 137).
2. Frage: Hat sich der soziale Wandel tatsächlich beschleunigt und mit
welchen Kennziffern läßt sich das belegen?Daß
mehr Energie durch alle Adern des gesellschaftlichen Lebens fließt, wird
an einigen Erscheinungen und Kennziffern deutlich, die wir eigentlich alle kennen.
Die Geldmenge der Staatshaushalte -als Gegenwert von Energie -wächst und
damit ihr Bestreben, dem Bürger immer mehr Geld aus der Tasche zu ziehen.
Es wachsen die Bürokratie und die produzierten Aktenberge. Man braucht nur
einmal in ein Archiv zu gehen und sich in einem Schaubild zeigen lassen, wie seit
1600 die Menge der Archivalien gewachsen ist. Man erhält dann eine ähnliche
Kurve wie für die Bevölkerungszunahme, aber in Richtung auf die Steigerung
der Welterdölförderung verschoben, das heißt mit den absolut höchsten
Zuwachsraten in den allerletzten Jahrzehnten. Jahrzehnt für Jahrzehnt ist
auch die Anzahl der gedruckten Bücher gewachsen, von denen in den Nationalbibliotheken
Belegexemplare aufbewahrt werden müssen. Noch dynamischer hat sich die Menge
der elektronischen Information in den allerletzten Jahren entwickelt. (Ebd.,
2012, S. 138).Das alles ließe sich ja noch als Fortschritt
verstehen, wenn dabei nicht auch die Menge und Länge der Gesetzestexte und
Vorschriften in vergleichbarem Umfange gewachsen wäre, folglich auch die
Zahl und Dauer der juristischen Verfahren. Jede Regierung tritt mit dem erklärten
Vorsatz an, die Bürokratie einzuschränken, und endet, wenn schon vielleicht
mit zahlenmäßig weniger Personal, dann doch stets auf längere
Sicht bei komplizierteren und längeren Texten. Bei der Suche nach Statistiken,
wie lange Gesetze in den letzten Jahrhunderten galten, ehe sie novelliert oder
ergänzt wurden, bin ich nicht fündig geworden. Aber alles spricht dafür,
daß die Zeiträume immer kürzer geworden sind. (Ebd., 2012,
S. 138-139).Für die Thematik unseres Buches ist aber ein Sachverhalt
besonders wichtig: Um 2010 verändert fast jede neue politische Koalition,
die sich in einem der 16 deutschen Bundesländer nach Neuwahlen zusammenfindet,
die Struktur des bestehenden Schulsystems. »Die Schulen jagt man. ..von
einem Durchlauferhitzer in den nächsten. .... Achtjähriges statt neunjähriges
Gymnasium, sechsjähriges statt neunjähriges Gymnasium und sechsstatt
vierjährige Grundschule in Hamburg, die erneute Reform der gymnasialen Oberstufe,
die Zusammenlegung von Hauptschule und Realschule in mehreren Ländern, die
Erfindung von sogenannten Bildungsstandards, ... die Computerisierung des Unterrichts,
Ganztagsschulprogramme, neue Einschulungsstichtage, die regelmäßige
Änderung der Regeln für den Übertritt an weiterführende Schulen,
die ,Entrümpelungs'-Reformen, die permanenten Änderungen der Stundentafeln,
die Rechtschreibreform u.s.w..« (Josef Kraus, Ist die Bildung noch
zu retten?, 2009, 10) und ihre teilweise Rücknahme. Auch hier gelang
es mir nicht, Statistiken ausfindig zu machen, wie lange die eben genannten Strukturen
der Schulsysteme etwa in den letzten 150 Jahren Bestand hatten und wie sich die
Strukturänderungen beschleunigt haben. Befinden wir uns hier etwa bereits
nicht mehr in der Beschleunigung des Aufbaus, sondern in der des Verfalls?
(Ebd., 2012, S. 139).Denn eines ist doch klar: Dieses exponentielle
Wachstum der Aktenberge, der Büchermenge (Hermann Lübbe, Im Zug der
Zeit, 2003) und die Innovationsbeschleunigung in den Bildungsstrukturen, das
alles kann sich nicht unbegrenzt fortsetzen. Es wird jedoch zu keiner Sättigung
und nicht zum Stillstand kommen, sondern mit dem Wegbrechen der energetischen
Grundlage des Wachstums wird eine ebensolche Beschleunigung in eine andere Richtung
einsetzen, nämlich die Beschleunigung der Verfalls- und Untergangsvorgäng.
Ob wir uns zu diesem Zeitpunkt bereits in deren Anfangsphase befinden, wird man
mit Sicherheit erst ein oder zwei Jahrzehnte später sagen können.
(Ebd., 2012, S. 139).Es ist nämlich eine eigenartige Tatsache,
daß selbst stürmisch ablaufende Verfallsprozesse von der öffentlichen
Meinung der Zeitgenossen noch als Fortschritt gedeutet werden. Am Ende des Römischen
Reiches war keine Rede von seinem Untergang, sondern von einem Übergang in
eine bessere Zeit (vgl. Maier, Endzeit und Historie, a.a.O. 1995).
(Ebd., 2012, S. 139).»Mit all dem stolpern unsere bildungspolitischen
Schlaumeier in die stets gleichen Fallgruben: in die Egalitätsfalle, die
Ideologie nämlich, dass alle Menschen, Strukturen, Werte und Inhalte gleich
bzw. gleich gültig seien; in die Machbarkeitsfalle, den Wahn, jeder könne
zu allem begabt werden; in die Falle der Spaß-, Erleichterungs- und Gefälligkeitspädagogik;
in die Quotenfalle, die planwirtschaftliche Vermessenheit nämlich, es müssten
möglichst viele Menschen mit dem Abiturzeugnis ausgestattet werden,. in die
Beschleunigungsfalle, die Vision also, man könne in immer weniger Bildungsjahren
und mit immer weniger Unterrichtsstunden pro Woche zu besser gebildeten jungen
Leuten und zu einer gigantisch gesteigerten Abiturienten-, Studenten- und Akademikerquote
kommen.« (Kraus 2009,10). (Ebd., 2012, S. 139).Während
der Gebildete der Beschleunigung mehr oder weniger folgen kann, und nicht wenige
Achtzigjährige noch den Umgang mit Computer und Internet erlernen, gerät
der Ungebildete und Arme immer stärker ins Abseits. Der Ruf nach »Entschleunigung«
wird deshalb laut. Peter Glotz fand dafür eine treffende Definition: »Entschleunigung
wird zur aggressiven Ideologie einer gerade in der Entstehung befindlichen, rapide
wachsenden Klasse (oder sozialen Schicht) von Modernisierungsopfern.« In
diesem geistigen Zusammenhang ist auch die Forderung nach Verkürzung der
Arbeitszeit zu sehen, auch um den Preis eines beträchtlichen Absinkens des
Lebensstandards, und die geforderte Abkehr vom Leistungsprinzip. (Ebd.,
2012, S. 139-140).Über 1922 hinaus hatten diese Regelungen
aber keinen Bestand. Unmittelbar nach der Novemberrevolution 1918 in Deutschland
hatten die Gewerkschaften in zahlreichen Betrieben die Abschaffung des Leistungslohnes
und die Wiedereinführung des Zeitlohns durchgesetzt. (Ebd., 2012, S.
140).Dem geistigen Aufnahmevermögen nicht nur der weniger
Intelligenten, sondern aller Menschen sind Grenzen gesetzt. Das hat zur Folge,
daß die wachsende Flut von politischen Einzelheiten, denen der Mensch durch
die Massenmedien ausgesetzt wird, mehr oder weniger an ihm abprallt. Indem sie
Nachrichten über Katastrophen, Skandale und sonstige Ereignisse für
die Öffentlichkeit in Wellen aufbereiten, versuchen die Medien, Problembewußtsein
zu erzeugen. Die Politik hat jedoch ihre Eigenzeit, und politische Entscheidungen
zur Problemlösung werden deshalb nicht oder nur mit großer Zeitverzögerung
getroffen. Mehr Informationen der Öffentlichkeit führen zu keinen besseren
oder schnelleren Entscheidungen. (Ebd., 2012, S. 140). 3. Frage:
Hat sich in den letzten zwei Jahrhunderten der Wandel der politischen Systeme
beschleunigt?Bereits 1848 hatte Karl Marx begriffen (im folgenden
etwas frei zitiert): »Mit seiner ihm innewohnenden und verfügbaren
Energie kann das Bürgertum nicht existieren ..., ohne sämtliche gesellschaftliche
Verhältnisse fortwährend zu revolutionieren. .... Die fortwährende
Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen
Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die bürgerliche
Leistungsepoche vor allen anderen aus. Alle festen, eingerosteten Verhältnisse
mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen werden
aufgelöst, alle neugebildeten veralten, ehe sie verknöchern können.
Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und
die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen
mit nüchternen Augen anzusehen. .... Die bürgerliche Leistungsgesellschaft
hat durch die Exploitation des Weltmarktes die Produktion und Konsumtion aller
Länder global gestaltet. Sie hat ... den nationalen Boden der Industrie unter
den Füßen weggezogen. Die uralten nationalen Industrien sind vernichtet
worden und werden noch täglich vernichtet. Sie werden verdrängt durch
neue Industrien, deren Einführung eine Lebensfrage für alle zivilisierten
Nationen wird. .... An die Stelle der alten, durch Landeserzeugnisse befriedigten
Bedürfnisse treten neue, welche die Produkte der entferntesten Länder
und Klimate zu ihrer Befriedigung erheischen. An die Stelle der alten lokalen
und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger
Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander. Und wie in
der materiellen, so auch in der geistigen Produktion. Die geistigen Erzeugnisse
der einzeInen Nationen werden Gemeingut. .... Das Bürgertum mit seiner ihm
verfügbaren Energie reißt durch die rasche Verbesserung aller Produktionsinstrumente,
durch die unendlich erleichterte Kommunikation alle, auch die barbarischsten Nationen
in die Zivilisation. Die wohlfeilen Preise ihrer Waren sind die schwere Artillerie,
mit der es alle chinesischen Mauem in den Grund schießt. .... Es hat die
Bevölkerung agglomeriert, die Produktionsmittel zentralisiert und das Eigentum
in wenigen Händen konzentriert. Die notwendige Folge hiervon war die politische
Zentralisation. Mit seiner ihm innewohnenden und verfügbaren Energie hat
das Bürgertum in seiner kaum hundertjährigen Klassenherrschaft massenhaftere
und kolossalere Produktionskräfte geschaffen, als alle vergangenen Generationen
zusammen. .... Die moderne bürgerliche Gesellschaft gleicht dem Hexenmeister,
der die unterirdischen Gewalten nicht mehr zu beherrschen vermag, die er heraufbeschwor.
.... In den Krisen bricht eine gesellschaftliche Epidemie aus.«
(Ebd., 2012, S. 140-141).Von 1993 bis 2005 hatten die Transaktionen
der globalen Finanzmärkte in den USA, Großbritannien und der Eurozone
um jährlich etwa 10% zugenommen, in China um 14% (vgl Financial Times, 18.
Januar 2006). Hinter diesen Geldenergieflüssen stand jedoch kein tatsächliches
Wirtschaftswachstum mehr, sondern es war, wie alle erfahren mußten, nur
noch das Aufblasen eines Ballons. Die Luftpumpe nennt man jetzt jedoch »Hebel«.
Das Geld wird auch nicht mehr durch lebende Menschen hin und her überwiesen,
sondern durch Computer, die darauf programmiert sind, den geringsten Vorteil in
kürzester Zeit auszunutzen. Im System der kapitalistischen Wirtschaft werden
Wachstum und soziale Beschleunigung zu einem unentrinnbaren Sachzwang. Die Steigerung
von Produktion und Produktivität und mithin das Streben nach Zeitvorsprüngen
und Zeiteffizienz werden zu einer unausweichlichen Anforderung, welche die entsprechenden
Bedürfnisse gleichsam mitproduziert. (Ebd., 2012, S. 141).Offensichtlich
unterliegt auch die Vergänglichkeit der politischen Einrichtungen der Beschleunigung.
Nehmen wir als Beispiel nur einmal die regionale Gemeindegliederung. Die Mehrzahl
der Menschen hatte seit dem Mittelalter in Dörfern gelebt, die für sie
den festen Rahmen ihres wirtschaftlichen und politischen Daseins boten. Rechte
und Pflichten veränderten sich in Jahrhunderten nur wenig und allmählich.
Mit den Veränderungen des Wahlrechts im 19. Jahrhundert begann dann eine
unaufhaltsame Modernisierung. Gerade als der Verfasser diese Zeilen schreibt (im
Februar 2010), drückt die Landesregierung des Bundeslandes Sachsen-Anhalt
eine Reform durch, die alle Dörfer verpflichtet, sich in Großgemeinden
mit mindestens 10000 Einwohnern zusammenzuschließen. Diejenigen, die sich
das ausdenken, das beschließen und durchsetzen, haben offenbar keinen Sinn
und kein Verständnis für die sehr kurze Dauer der geschichtlichen und
energetischen Situation, in der wir uns befinden. Ein Oberbürgermeister einer
größeren Stadt, in der ich 2005 einen Vortrag gehalten habe, kommentierte
die gerade stattfindende Gebietsreform der Kreise mit den Worten, es lohne sich
nicht, sich darüber aufzuregen, da diese Reform sowieso bald durch die nächste
abgelöst würde. Und tatsächlich: Jahrhundertelang beständige
Verwaltungsgliederungen werden seit dem 19. Jahrhundert in immer schnellerer Folge
verändert. Die alte Frau ohne Internet und mit geringer Rente: Wen kümmert
es, wenn sie im Dorf keinen Ansprechpartner mehr hat, keinen Laden und keine Poststelle?
Der gegenwärtige Zustand, durch den Verwaltungskosten gespart werden sollen,
kann, in geschichtlichen Zeiträumen betrachtet, nur ein kurzer und vorübergehender
sein. Wenn die Energiekosten sehr stark steigen, wird die gegenwärtige, eben
geschaffene Ordnung von Versorgung und Verwaltung nicht mehr aufrechtzuerhalten
sein. Eine offene und entscheidende Frage ist es, ob es dennoch gelingen wird,
den elektronischen Nachrichtenaustausch aufrechtzuerhalten oder sogar noch weiter
auszubauen, und zwar auch im Großen Chaos und darüber hinaus.
Hier sind wir jedoch schon bei den Ausblicken und möglichen Szenarien; dazu
mehr am Ende unseres Buches. (Ebd., 2012, S. 141).Jahrhundertelang
blieb das politische Gefüge des Mittelalters in vielem unverändert,
bis in die Neuzeit hinein. Die 91 größeren Staaten, die bereits vor
1940 bestanden, erlebten jedoch zwischen 1800 und 1971 396 verschiedene Regierungsformen
bzw. politische Verfassungen, worunter plötzliche und tiefgreifende Veränderungen
zu verstehen sind. Die mittlere Lebensdauer der politischen Systeme betrug 32
Jahre, in Europa jedoch meist nur 15-20 Jahre, dann wurde eine nächste Stufe
im Kreislauf der Verfassungen erreicht. Von den Staaten, die es bereits 1914 gab,
haben nur acht keine Revolution erlebt: die Schweiz, Schweden, die USA, Großbritannien
und vier Commonwealth-Staaten. Veränderungen des Wahlrechts und anderer politischer
Rahmenbedingungen haben jedoch in allen Staaten stattgefunden. Die sozialen Unruhen
im Gefolge der Energiekrise werden den politischen Wandel weiter anheizen.
(Ebd., 2012, S. 142).Nicht wenige sagen mit guten Gründen
für diese Zeit das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen, voraus. Die
anfangs nur regionale, aber sich dann wie ein Flächenbrand ausbreitende Weltrevolution
würde keine Gewalt der Erde aufhalten, bis schließlich alles im Großen
Chaos endet und neu beginnt. Viele der Denker, die Ursache und Wesen unserer
globalen Beschleunigungskrise durchschaut haben und ihren zwangsläufigen,
katastrophalen Ausgang ahnen, sind der Überzeugung, diese Krise führe
unweigerlich zu einer sozialistischen Gesellschaft. Dahinter steht in der Regel
eine lineare Geschichtsauffassung, nach der auf den Kapitalismus die Erlösung
durch den Sozialismus und dann Kommunismus als paradiesischer Endzustand folgen
wird. Vor 60 Jahren hat man in der DDR in der Schule versucht, mir - dem Verfasser
dieses Buches - eine derartige Auffassung als einzig seligmachende beizubringen.
Nach weiteren 40 Jahren erlebten Sozialismus in seinem Niedergang kann mich persönlich
eine derartige Aussicht nicht erneut begeistern. Meine Erfahrung teilen im Westen
jedoch nicht die Generation der 68er und ihre Schüler. Ihr Einfluß
auf die Gesellschaft wird nicht geringer, sondern ständig größer.
Da schon Aristoteles zu der Einsicht gelangt war, auf die Demokratie folge eine
Herrschaftsform, bei der die Massen erfolgreich auf Umverteilung drängen
und alle Anzeichen darauf hindeuten, daß wir uns tatsächlich auf einen
derartigen Gesellschaftszustand hinbewegen, können wir dem Schluß nicht
ausweichen, daß der gegenwärtige geistige Linkstrend in allen Industriegesellschaften
zu sozialistischen Gesellschaftsformen führen wird. Für mich, den Verfasser,
erscheint diese irgendwann notwendigerweise jakobinische Gesellschaftsform, wie
sie vor dem absoluten Tiefpunkt der Produktion und Konsumtion eintreten wird,
nur als Übergangszustand zu neuen Gesellschaftsformen, die laut Aristoteles
anfangs eher wieder napoleonisch geartet sein werden. Den Kreislauf der Verfassungen
begriffen nicht nur Platon und Aristoteles, ihnen folgten Polybios, Sima Qian
und andere (vgl. Spranger, Die Kulturzyklentheorie und das Problem des Kulturzerfalls,
1926). »Die chaotischen Zustände (im Endzustand der Demokratie)
dauern so lange an, bis die verrohte und vertierte Masse erneut einen starken
Führer gefunden hat.« (Polybios 6.9.9, um 180 v. Chr.). (Ebd.,
2012, S. 142).»Dies ist der Kreislauf der Verfassungen,
der mit Naturnotwendigkeit sich vollzieht und durch den die Verfassungen sich
wandeln und miteinander wechseln, bis der Kreis sich geschlossen hat und alles
wieder am Ausgangspunkt angelangt ist. Wenn man das klar erfaßt hat, wird
man sich mit einer Zukunftsvoraussage vielleicht in der Zeit irren, kaum aber
über den Punkt in der Kurve des Wachstums, Niedergangs und des Wechsels,
der gerade erreicht ist.« (Polybios 6.9.10-11). (Ebd., 2012, S.
142).Dieses Buch hier ist mit solchen Aussagen mit Sicherheit keine
Propagandaschrift für irgendeine politische Überzeugung oder gar politische
Partei, sondern ein ernsthafter Versuch einer wissenschaftlichen Bewertung des
Geschehens um uns. Und nichts anderes. Den Parteigängern und Heilsverkündern
aller Richtungen mag das nicht gefallen. Ihre Ansichten sind von dieser Welt;
doch in jener anderen gelten Gesetze, die wir bisher nur ahnen. Nur dort kennt
man den Rhythmus der ewigen Ordnung der Dinge, den Goldenen Schnitt. (Ebd.,
2012, S. 142-143). 4. Frage: Wird sich diese Beschleunigung des Wandels
fortsetzen oder abbrechen?
Die Antwort wurde schon gegeben. Es wird
keinen Stillstand geben, nicht einmal eine Atempause. Nur die Marschrichtung beginnt
sich unter unseren sehenden Augen umzukehren. Statt größerer Komplexität
und Zentralisierung wird der Zerfall und die Auflösung energieintensiver
Strukturen erfolgen (Tainter 2000). (Ebd., 2012, S. 143).In
absehbarer Zeit wird die Wegwerfgesellschaft umdenken müssen. Bei Produkten
wird nicht mehr zählen, wie schnell sie durch neue ersetzt werden, sondern
vor allem Beständigkeit und Dauerhaftigkeit wie zu Urgroßväters
Zeiten. (Ebd., 2012, S. 143).ln
unserem Haus haben wir vor 17 Jahren den zwelten Schornstein gekappt und dle Helzung
auf Erdgas umgestellt. Wenn es gutgeht, kann der jetzt elngebaute Brennwertkessel
so lange arbelten, wle Erdgas bezahlbar blelbt. Dann wlrd man vermutlich umdenken
müssen, die Helzung wieder umstellen oder noch weitsichtiger handeln und
aus dem Ballungsraum wegzlehen. Diese Entscheidungen werden die Kinder und Enkel
zu treffen haben. (Ebd., 2012, S. 143).
Ob
wir uns heute schon auf dem Scheitelpunkt befinden oder nahe daran sind, wer kann
es wissen? Noch beschließt eine Regierung ein »Wachstumsbeschleunigungsgesetz«,
benutzt also genau die Begriffe, von denen in diesem Abschnitt hier die Rede ist,
wird aber damit auf längere Sicht nichts anderes erreichen als die Beschleunigung
des Gegenteils. Ein Mittel, mit dem man schließlich versuchen wird, dem
Chaos zu wehren, wird die Abschottung des Binnenmarktes und der Grenzen sein.
Ohne starke Einschnitte in den erreichten Lebensstandard kann das alles nicht
geschehen. (Ebd., 2012, S. 143).»Der Zusammenbruch
des Realsozialismus in Europa und die Verschlankungstendenzen des Kapitalismus
(was auch den partiellen Abbau des Sozialstaats einschließt) sind gewissermaßen
Alterserscheinungen der, Energiezeit. Ihnen gesellen sich die Geburtswehen
der neuen Informationszeit hinzu. Sie äußern sich in der
Freisetzung großer Teile der Industriearbeiterschaft (strukturelle Arbeitslosigkeit).
Diese ist vor allem dadurch bedingt, daß die Kontrolle, Steuerung und Manipulation
der Maschinen nicht mehr begrenzt durch Träger ... natürlicher Intelligenz,
die Industriearbeiter, erfolgt, sondern sprunghaft durch informationsverarbeitende
Technik, durch Computer und computergesteuerte Roboter aller Größenordnungen.«
(Ernst Schlegel, Transformationsforschung und Selbsttransformation der Wissenschaften,
1996, S. 115). (Ebd., 2012, S. 143).Jedoch kann keine Regierung
hoffen, eine lange Periode mit hoher Arbeitslosigkeit zu überstehen (vgl.
Daniel Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft, 1975). Ständig müssen
neue Arbeitsplätze geschaffen werden, nicht irgendwelche als Ersatz für
weggefallene, sondern solche, die den gängigen Wertmaßstäben entsprechen.
Das erfordert Kapitalausgaben für jeden Beschäftigten, wenn nicht der
Stand der Produktivität pro Person sinken soll. Um die notwendigen Investitionen
vornehmen zu können, müssen Wirtschaftsunternehmen Gewinn erzielen.
Um den Stand des Kapital- und Arbeitsmarkts zu sichern, muß das Vertrauen
in die Wirtschaftskraft erhalten bleiben, die aber grundsätzlich von der
Fähigkeit zu weiterem Wachstum abhängt. Wenn dieses Vertrauen schwindet,
fallen die Aktienkurse, das für Investitionen zur Verfügung stehende
Kapital verringert sich stark und stoppt weiteres Wachstum. Die Arbeitslosigkeit
greift um sich. Weitere Aktienstürze folgen und die sich immer mehr verschärfenden
Schwierigkeiten der Kreditaufnahme setzen eine Kettenreaktion in Gang. Das Realeinkommen
sinkt, und der Zusammenbruch des Sozialstaates als Ganzes droht. Man blicke 2012
nach Griechenland, als ein Beispiel. (Ebd., 2012, S. 143-144).Um
das zu vermeiden, streben die Regierungen gleich welcher Partei und Richtung stets
ein Wachstum des Bruttosozialprodukts an. Jahrzehntelang waren ja Umverteilung
und Wirtschaftswachstum auch keine sich ausschließenden Gegensätze.
Radios, Autos, Fernseher, Waschmaschinen und vieles mehr wurden und werden erst
billig, wenn sie als Massenprodukte in Millionen Stückzahlen auf dem Markt
verkauft werden können. In einer Aristokratie bleiben Neuentwicklungen lange
Zeit Luxusgüter. Die Wirtschaftskraft einer blühenden Demokratie kann
auch energiesparende Heizungen, Wärmedämmungen und Solarzellen subventionieren
und auf diese Weise die Entwicklung vorantreiben. (Ebd., 2012, S. 144).Hauptbeschleuniger
des sozialen und politischen Wandels ist der Krieg. Er entfesselt die Energien
der Kriegführenden aufs äußerste. Und an seinem Ende ronen die
Kronen über das Pflaster, wehen die roten Fahnen und zerbrechen die Reiche;
nicht nur 1815, 1917/18 und 1945. Die apokalyptischen Reiter satteln schon längst
wieder ihre Pferde. »Ein Jegliches hat seine Zeit und alles Vornehmen
unter dem Himmel seine Stunde: .... Der Krieg hat seine Zeit und ebenso der Friede.«
Man lese in der Bibel Prediger, Kapitel 3. (Ebd., 2012, S. 144).Vor
100 Jahren hatte Eduard Bernstein (1850-1932) als orthodox-marxistischer Theoretiker
und SPD-Mitglied die Gelegenheit, sich einmal über die Zukunft des sozialen
Lebens zu äußern. Und er meinte, »weil die demokratische Gleichheit
die größte soziale Triebkraft der Neuzeit ist, ist es auch nicht undenkbar,
daß sie in spätestens hundert Jahren der Kompaß des ganzen sozialen
Lebens sein wird«. Dieser Zustand dürfte tatsächlich eingetreten
sein. Kompaß auf jeden Fan, wenn das Marschziel auch noch nicht erreicht
ist. Und es ist auch bezeichnend, daß man 1908 zu diesem Thema einen Sozialdemokraten
zu Wort kommen ließ und nicht einen Vertreter irgendeiner anderen Partei.
Auch der Herausgeber des Sammelbandes hatte damals also schon die richtige Ahnung.
(Ebd., 2012, S. 144).Denn es waren die Kommunisten, die schon in
frühen Entwicklungsstadien der Industriegesenschaft mit scharfsinnigen Analysen
und Prognosen die Zeichen der Zeit zu deuten versuchten. Friedrich Engels schrieb
1895 im Rückblick: »Alle bisherigen Revolutionen liefen hinaus auf
die Verdrängung einer bestimmten Klassenherrschaft durch eine andere; alle
bisherigen herrschenden Klassen waren aber nur kleine Minoritäten gegenüber
der beherrschten Volksmasse. .... Wenn wir vom jedesmaligen konkreten Inhalt absehen,
war die gemeinsame Form aller dieser Revolutionen die, daß sie Minoritätsrevolutionen
waren«. Was Marx und Engels wollten und vorhersagten, war aber eine Majoritätsrevolution,
die als Weltrevolution in anen Industriestaaten heranreifen und stattfinden sollte.
(Ebd., 2012, S. 144).Die Oktoberrevolution 1917 in Rußland
war statt dessen erneut eine typische Minoritätsrevolution, worüber
auch der Parteiname Bolschewiki nicht hinwegtäuschen darf, und sie fand nicht
in einem hochentwickelten Industriestaat statt, sondern in einem ziemlich rückständigen.
Der Erfolg der Revolution erscheint auch nicht so ganz gesetzmäßig,
sondern von einigen Zufänen abhängig gewesen zu sein, wie etwa von der
Tatsache, daß der deutsche Generalstab Lenin in einem plombierten Zug aus
der Schweiz nach Rußland reisen ließ. Lenin und Stalin hatten dann
auch einige Mühe, die Existenz ihres politischen Systems in nur einem Land
theoretisch zu begründen. Trotzki war es, der hartnäckig darauf hinwies,
daß das langfristig nicht gutgehen könne und es der weiteren permanenten
Hinarbeit auf die Weltrevolution bedürfe. Er sollte recht behalten. Der militärische
Sieg der Sowjetunion 1945 und die folgende Ausdehnung ihres Machtbereichs waren
keinesfalls gesetzmäßig, sondern das zeitweilige Nebenprodukt eines
Koalitionskrieges an der Seite der Imperialisten. Das Sowjetsystem scheiterte
im wirtschaftlichen Wettbewerb mit dem Kapitalismus. China hat zwar bis heute
den ideologischen kommunistischen Überbau bewahrt, dürfte aber von der
realen sozialen Gleichheit weiter entfernt sein als mancher kapitalistische Ausbeuterstaat.
Sollten Marx und Engels mit der ursprünglichen Fassung ihrer Revolutionstheorie
doch richtig gelegen haben? (Ebd., 2012, S. 144-145).Machen
wir einmal das Gedankenexperiment, führen wir uns die derzeitige geistige
und politische Lage in den wichtigsten Industriestaaten des Westens vor Augen
und nehmen einmal an, die früheren Ostblockstaaten gäbe es gar nicht
und das Sowjetsystem hätte es nie gegeben. Wäre die derzeitige geistige
Lage eine andere? Wohl kaum, die Heiligen und Teufel wären die gleichen.
Doch Marx an den Universitäten noch etwas heiliger, ohne daß man mit
»aber« das Lob einschränken müßte, weil man sich für
das Sowjetsystem entschuldigen möchte. Wie im Buch hier vielfach belegt,
sind wir in der Bildungspolitik und in vielen anderen Bereichen inzwischen längst
bei idealkommunistischen Wunschvorstellungen angelangt. Die Weltrevolution vollzieht
sich nicht als blu tiger Umsturz, sondern als schleichende geistige Majoritätsrevolution,
die mit Notwendigkeit alle Industriestaaten erfaßt hat. Gelegentlich gibt
es wegen ihrer einschlägigen Erfahrungen in den ehemaligen Ostblockstaaten
noch Vorbehalte, aber man wird auch sie eintakten. (Ebd., 2012, S. 145).
Bürokratisierung und Zentralsierung.
Tocqueville
begriff den Widerspruch zwischen Bürokratie und Demokratie: »Der
Staat hat die Tendenz, alle zu gleichen Untertanen zu machen, Diese Tendenz begegnet
einer demokratischen Tendenz zur Gleichheit. .... Am Ende kann diese demokratische
Tendenz zur Gleichheit auch vor dem Bürgertum und dem Reichtum nicht halt
machen. Solange sich aber diese demokratische Tendenz nicht mit einem Streben
nach Freiheit verbindet, wird nur die Herrschaft einer Staatsexecutive über
eine Masse gleicher Untertanen gefördert werden. Der Glaube, daß die
gewählte Staatsgewalt den Willen des Volkes verkörpere und auf ihm beruhe,
gibt der Staatsgewalt Macht über die Massen. Alle politischen Auffassungen
kreisen nur noch um den Gedanken der Staatsmacht. .... Die beiden ausschlaggebenden
Klassen der modernen Gesellschaft rufen ständig mehr staatliche Aktivitäten
hervor. Die Unternehmer erklären zwar, daß sie keine Einmischung der
Regierung in das Wirtschaftsleben wünschen, jede Gruppe von ihnen wünscht
jedoch die Tätigkeit der Regierung auf ihre Seite zu ziehen und für
sich auszunutzen, und stärkt dadurch die Rolle der staatlichen Executive.
Die Arbeiterklasse wiederum hat es mehr als andere Klassen nötig, reglementiert
und umsorgt zu werden. So werden der Staatsmacht immer neue Attribute und Aufgaben
zugeteilt. .... Das Anwachsen der Industrie erfordert, daß Wege, Kanäle,
Häfen gebaut werden, und die Tendenz ist, daß der Staat die Arbeiten
übernimmt, die zunehmend die Kraft privater Unternehmer übersteigen.
.... Um sich zu schützen, sind die unteren Klassen am meisten daran interessiert,
alles staatlicher Verwaltung anheimzugeben, während die oberen Klassen die
Tendenz haben, die Staatseinmischung in ihren Grenzen zu halten. .... Mit der
Zunahme der zentralen Macht wächst die Zahl der Beamten. en sich dazu ältere
und aktuelle Analysen), dann stellt man fest, daß die Prognosen etwa für
den Zeitraum 2000 bis 2004 eine Grundtendenz zSie ersetzen in der modernen Gesellschaft
die Aristokratie. .... Die Menschen des liberalen Zeitalters glauben persönlich
frei bleiben zu können. Sie trösten sich damit, daß sie das Wahlrecht
haben. .... Gegenüber der allmächtigen Executive löst sich der
soziale Organismus in Staub auf. Aus der gleichzeitigen Zentralisierung von Verwaltung
und Macht ergibt sich, daß kommende Diktatoren ein Gemisch von Kommis und
Militär sein werden. Das Resultat aber wird ein absolutes Kommando über
die Gesellschaft sein.« (Ebd., 2012, S. 147).
Die langfristige Vorhersage gesellschaftlicher Umbrüche.In
diesem Buch versuchen wir, Entwicklungslinien von Wirtschaft und Gesellschaft
über das halbe Jahrhundert vorzuzeichnen, das unmittelbar vor uns liegt.
Wir möchten etwas darüber erfahren, ob und wann unser Dasein gefährdet
ist. (Ebd., 2012, S. 148-149).Wir gehen dabei anders vor,
als inden bekannten, von den Regierungen bezahlten Vorhersagen. Diese projizieren
in der Regel nur bereits erkennbare und bestehende Trends in die Zukunft. Kommt
es zu einem Bruch in der Entwicklung, dann erweisen sich diese bestellten Prognosen
als völlig falsch. Wenn man etwa die Prognosen der führenden deutschen
Wirtschaftsforschungsinstitute, der sogenannten »Wirtschaftsweisen«,
aus späterer Sicht darauf untersucht, ob sie zutreffend waren oder nicht
(auf der Internetplattform »Proportionen der Weltbevölkerung«
(**)
findu überhöhten Erwartungen ausdrückten. Man wollte eben den Auftraggebern
gefallen, der Regierung gute Schulnoten erteilen. Als es im Herbst 2008 zur Krise
kam, wagte man die Prognose eines »Nullwachstums« (**),
die einige Politiker für Miesmacherei hielten und die sie in Rage brachte,
doch es wurden minus 4,7%. Als es im Herbst 2010 dann wieder aufwärts ging,
unterschätzte man den Aufschwung um 2%. Wenn man hört, daß die
deutschen »Wirtschaftsweisen« für ein nächstes Jahr ein
»Nullwachstum« (schon das Wort ist ein Witz, über den man aber
nicht laut lachen darf) vorhersagen, dann kann man sich als Normalbürger
fast mit Sicherheit auf eine leichte Rezession oder gar richtige Krise einstellen
( die man dann irn Orwellschen Neusprech »negatives Wachstum« nennt).
(Ebd., 2012, S. 149).»Es gibt eine sichere Prognose in der
Wirtschaft", meint Karl-Heinz Brodbeck, »nämlich die, daß
Prognosen fast immer scheitern. .... Auguste Comte definierte eine positive Wissenschaft
als eine, die fähig ist, gültige Prognosen zu formulieren. .... Ökonomen
prognostizieren Wirtschaftsverläufe, beraten Regierungen oder lenken indirekt
die Maßnahmen der Geldpolitik. Am Ende erweisen sich Prognosen nachweisbar
als falsch,. verkehrte Maßnahmen werden ergriffen. .... Ich habe mehrfach
vor Kollegen die Forderung erhoben, daß man Wirtschaftsforschungsinstitute,
Zentralbankräte, Beratungsgremien der Regierung, die Prognosen erstellen,
wenigstens in ihrer Entlohnung vom Prognoseerfolg abhängig machen sollte.
.... Vergleichen wir die Situation in der Wirtschaft mit einer Wetterprognose.
.... Wie viele Menschen auch immer davon wissen mögen, die Veröffentlichung
der Vorhersage hat keinen Einfluß auf das Wetter. Deshalb funktionieren
mechanische Theorien in der Natur. Zwischen dem Beobachter, dem Theoretiker und
seinem Gegenstand gibt es keine Wechselwirkung. Ganz anders bei den Sozialwissenschaften.
Die Wissenschaftler sind Teil der Gesellschaft. .... Deshalb gibt es bei Prognosen
nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie sind nutzlos, weil sie unbekannt bleiben
..., ober aber sie werden beachtet, tauchen in den Medien auf, man spricht darüber.
Dann beeinflußt die Prognose die Handlungen, die Entscheidungen, keineswegs
nur in der Politik, auch in der Privatwirtschaft. Und deshalb hebt die Veröffentlichung
der Prognose ihre eigene Voraussetzung auf. .... Grundlage jeder Prognose ist
eine allgemeine Stabilitätshypothese, die besagt, daß gewisse Grundstrukturen
in der Vergangenheit und Zukunft unverändert wirken. Man kann eine Mondfinsternis
prognostizieren, weil die Gravitationsgesetze unverändert gelten. .... Vor
allem werden Naturgesetze durch die Wissenschaftler in keiner Weise beeinflußt.
Aber Prognosen von Banken für den Aktienmarkt, Prognosen der Bundesregierung,
der Zentralbank oder der Fünf Weisen für die Gesamtwirtschaft beeinflussen
Handlungen. Und das ist sogar die Absicht der Prognostiker. .... Eine Aussage,
die aber nicht erklären ... möchte, sondern die darauf abzielt, Handlungen
in eine bestimmte Richtung zu lenken, hört auf, eine positive Wissenschaft
zu sein.« (Karl-Heinz Brodbeck, Warum Prognosen in der Wirtschaft
scheitern, 2002). (Ebd., 2012, S. 149).Mittel- und langfristig
haben die Demographen in den Staatsinstituten bisher nichts wesentlich Besseres
als »Wirtschaftsweise« zustandegebracht, obwohl die Dauerhaftigkeit
ihrer Ausgangswerte - Zahl und Altersstruktur liegen ja langfristig fest - eine
viel günstigere ist als bei den Konjunkturforschern. Langfristiger, aber
sicherer Wandel, der zu Krieg, politischem Umbruch oder Chaos führen wird,
entzieht sich dem Vorstellungsvermögen der Bevölkerungsexperten. Es
würde sie ja für eine derartige Prognose nicht nur keiner bezahlen,
sondern sie müßten bei der Veröffentlichung derlrtiger Gedankengänge,
etwa bei Einbeziehung der Bevölkerungsqualität in ihre Modellrechnungen,
auch die Ächtung durch ihre Kollegen und ihre Entlassung befürchten.
Sie sprechen deshalb vorsichtshalber davon, daß sie nur »Projektionen«
machen - also Bevölkerungsvorausberechnungen - und keine Prognosen.
(Ebd., 2012, S. 149-150).Eine Säule »der unrealistischen
Weltanschauung, auf der die konventionelle Wirtchaftslehre aufbaut, ist die Vorstellung,
alles laufe immer auf Ausgewogenheit hinaus. .... Das Standardrezept für
ökonomische Spekulationen lautet, zuerst Behauptungen über die Absichten
der an einer bestimmten Situation Beteiligten aufzustellen und anschließend
zu erarbeiten, wie das Zusammenspiel der oft konträren Interessen dank wundersamer
Marktmechanismen zu einem Ergebnis führt, in dem ein statistisches Gleichgewicht
hergestellt wurde. Die begrenzte Sichtweise trübt den Blick darauf, daß
sich alles im Waniel befindet und weiterentwickelt, aber auch auf die dynamischen
Kräfte. .... Viele Wissenschaftler übersehen, daß ökonomische
Analysen fälschlicherweise von der Existenz eines Gleichgewichts ausgehen,
weshalb von vomherein das Verständnis für Situationen ausgeschlossen
ist, in denen sich kein Ruhezustand einstellt.« (M. Buchanan, a.a.O.,
2008). Marktmodelle, die auf der Basis natürlicher Ungleichgewichte beruhen,
könnten hingegen reale Märkte abbilden. (Ebd., 2012, S. 150).Aber
könnten Bevölkerungsmodelle, die natürliche Ungleichgewichte einbeziehen,
auch die Vorhersage von Machtverschiebungen und politischen Umbrüchen leisten?
Wir sollten annehmen, bei einer bestimmten Bevölkerungsdichte, einem bestimmten
Energieverbrauch und einer bestimmten politischen Geschichte und Struktur eines
Landes seien die Freiheitsgrade politischen Handels längst nicht mehr unbegrenzt,
sondern in ihren Grenzen beschreibbar. Denn nur so erhalten die Analogien im Aufstieg
und Untergang der Kulturen (vgl. Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes,
1917 und 1922 **)
einen Sinn. Wenn wir verstünden, welche Kenngrößen unsere Handlungsfelder
einengen und welche Entscheidungen in einem dichtbesiedelten, energiehungrigen
Land überhaupt noch politisch durchsetzbar sind, dann ergäben sich daraus
auch die zwangsläufigen Folgen, die Enge der möglichen Handlungsfelder
und Entscheidungen und daraus wieder deren Folgen. Im Schlußteil dieses
Buches werden wir sehen, wie weit wir mit unserem Vorhaben gekommen sind.
(Ebd., 2012, S. 150).Manchmal entlasten die Bevölkerungswissenschaftler
kurz vor oder im Ruhestand ihr Gewissen, indem sie in Interviews dann das aussprechen
und schreiben, was sie insgeheim schon lange befürchten und ahnen. Ein sehr
guter Beleg dafür sind die Bücher Herwig Birgs (geboren 1939). Seine
Kollegin Charlotte Höhn (geboren 1945) wagte es, sogar einmal auszuscheren
und bei einem Interview so nebenbei zu äußern, die durchschnittliche
Intelligenz der Schwarzen in Afrika sei ja geringer als die von Bewohnern anderer
Erdteile. Um nach dieser sachlich völlig zutreffenden Äußerung
(wir gehen später darauf genauer ein) dennoch in ihrer Stellung als Direktorin
des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung bleiben zu dürfen,
mußte sie auf den Knien nach Bonn rutschen und um Vergebung ihrer Sünden
bitten. (Ebd., 2012, S. 150).Der Geologieprofessor Kenneth
Deffeyes hatte sich jahrzehntelang in Prognosen damit befaßt, wie umfangreich
die Lager bestimmter Bodenschätze sind und wie lange ihre Ausbeutung wirtschaftlich
sein wird. Er stellt dabei fest, daß, wenn man Regierungsbeamte mit einer
derartigen Fragestellung beauftragt, sie unweigerlich die statistischen Methoden
wählen, die zu den optimistischsten Prognosen führen -das heißt
zu Vorhersagen, die sich mit sehr großer Wahrscheinlichkeit als falsch erweisen
werden. Dem Einkommen der betreffenden Bürokraten ist ein derartiges Verhalten
jedoch zuträglich. Unser Buch hier bezahlt jedoch niemand, und der Verfasser
ist inzwischen ein alter Mann, der seine Schlußfolgerungen aus jahrzehntelangen
Erfahrungen zieht, unabhängig von Beifall oder Mißbilligung einer Menge
oder irgendwelcher Vorgesetzter. Der einzige Richter, vor den dieses Buch tritt,
ist der weitere Geschichtsablauf; es wird sich zeigen, inwieweit er mit den Grundaussagen
dieses Buches in Einklang stehen wird oder nicht. (Ebd., 2012, S. 150-151).Wir
sind nicht die ersten mit einem solchen Vorhaben, denn wir kennen bereits langfristige
und zutreffende Prognosen großer gesellschaftlicher Entwicklungen und Umbrüche.
Wir werden im folgenden an einigen Beispielen versuchen zu verstehen, auf welchen
Grundlagen und Einsichten die zutreffenden Prognosen beruhten. Aber auch aus den
falschen Vorhersagen und daraus, warum sie sich als falsch erwiesen, läßt
sich lernen. Auf diese Weise versucht man ja auch, die Wetterprognose ständig
zu verbessern, und es läßt sich nicht leugnen, daß es bei der
Wettervorhersage in den letzten Jahrzehnten Fortschritte gegeben hat. Wiederholt
sich eine bestimmte Wetterlage nach Jahren, dann ist auch die Verteilung der Energie
in der Lufthülle eine sehr ähnliche. Für geschichtliche Vorgänge
gilt jedoch diese Übereinstimmung nicht, sondern bestenfalls eine Entsprechung
der großen Strukturen (vgl. Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes,
1917 und 1922 **),
die sich in ihren Kennziffern ähneln. Also benenne und messe man diese Kennziffern!
(Ebd., 2012, S. 151).Als Rom unterging, waren unter den Letzten,
die Rom verteidigten, nur noch sehr wenige geborenen Römer. (Ebd.,
2012, S. 164).In Rußland sank die Lebenserwartung bei Männern
von 1989 bis 1994 von 64,4 auf 57,5 Jahre, bei Frauen im sleben Zeitraum von 74,5
auf 71,1 Jahre. (Ebd., 2012, S. 166).
4) Der Aufstieg der Intellektuellen Elite in der Industriegesellschaft.
Soziale Herkunft und IQ.Die Personen hinter
den gleichmacherischen Bestrebungen, die immer größere Teile der Gesellschaft
durchdringen, haben ihre Schwierigkeiten, die Ergebnisse der Hochbegabtenforschung
zur Kenntnis zu nehmen. Sie haben aber eine Lösung gefunden: Sie deuten Hochbegabung
erneut als eine Art Krankheit, die jetzt der sonderpädagogischen Behandlung
bedarf; nur der Durchschnittsmensch sei noch ein normaler Gesunder. Diesen Bedenken
verdanken zahlreiche Psychologen Arbeit und Brot, die jetzt die verunsicherten
Eltern hochbegabter Kinder beraten. (Ebd., 2012, S. 192).
Schulleistungen und IQ.
In vielen Untersuchungen
konnte gezeigt werden, daß bei Schulzensuren die Korrelation zwischen Intelligenztest
und Methematikzensur am größten ist. Im vorleigenden Fall ist sie 0,50,
zu Deutsch 0,40. (Ebd., 2012, S. 193). |
 |
In
Abhängigkeit von der Wirtschafts- und Sozialstruktur eines jeden europäischen
Landes sind die mittleren Testleistungen der Berufe von Land zu Land etwas verschieden,
ohne daß dabei die regelhaften Zusammenhänge völlig verschwinden.
Wird ein Beruf, der an und für sich einen hohen IQ erfordert, schlecht bezahlt,
dann wird sich das auch auf den mittleren IQ des Berufes auswirken. Politiker
sind deutlich schlechter bezahlt und haben ein höheres Berufsrisiko als Bankdirektoren
und Industriemanager. Wer eine Bank oder eine große Fabrik geerbt hat und
selbst intelligent ist, spürt deshalb nur einen geringen Antrieb, Berufspolitiker
zu werden. Dieser Leidensweg ist eher für mehr oder minder intelligente Menschen
von einer zumeist bescheidenen sozialen Herkunft, etwa den Söhnen von Handwerksmeistern,
vorbehalten. Bestimmte hochqualifizierte Facharbeiterberufe sind in ihrem mittleren
IQ manchen akademischen Berufen durchaus ebenbürtig. Aber der Meister, der
um 1965 Fernsehgeräte reparierte, mußte andere Anforderungen erfüllen,
als der Mechaniker, der heute nur noch Baugruppen austauscht. Jeder von uns kann
auf Grund seiner eigenen Erfahrungen die Liste an Beispielen erweitern.
(Ebd., 2012, S. 194).
Der mittlere IQ der Bildungsstufen.
Über
kein Thema der Schulpolitik läßt sich so gut streiten wie über
die Frage, ob die Gymnasialzeit (im Anschluß an vier Jahre Grundschule)
neun oder nur acht Jahre betragen soll. Gegen die neun Jahre spricht zum Beispiel
die Erfahrung, daß Begabte, die entsprechend gefordert werden, zweifellos
mit 18 Jahren die Hochschulreife erreichen, wenn nicht gar schon mit 17. Gezwängt
in Gymnasialklassen, die 30 oder 50% der Schüler des Jahrgangs umfassen,
läßt sich das Lerntempo der 5% Hochbegabten bremsen. Auch die Universität
bietetbei dem Verhältnis von Masse zu Qualität in manchen Fachrichtungen
keine Garantie, daß sich herausragende Leistungsvoraussetzungen endlich
durchsetzen. (Ebd., 2012, S. 195).Aber die Schuldauer ist
nur ein Nebenproblem gegenüber der Frage, ob im Schulsystem überhaupt
Bildungsgänge nach Leistung selektiert werden sollen, in welchem Alter und
welche Prozentanteile. Bei dem suchenden Blick nach »Modellen« wird
rasch deutlich, daß die Bildungspolitik in Nordrhein-Westfalen und Bremen
im Spannungsfeld zwischen Chancengleichheit und Chancengerechtigkeit andere Prioritäten
kennt als die in Bayern. Aufregung hatte nach der Öffnung der Mauer der bessere
Notendurchschnitt der Abiturienten in der DDR verursacht. In der öffentlichen
Debatte wurde dabei verschwiegen, daß der Prozentsatz der Abiturienten in
der DDR viel kleiner war als der in der alten Bundesrepublik. Es gab dort nicht
nur eine Auswahl nach politischem Wohlverhalten, sondern im Regelfall auch eine
strengere Auslese nach Leistung. In der DDR wurden 12% aller Schüler zum
Abitur geführt, mit einem mittleren IQ von 124 also; in der alten Bundesrepublik
im Jahre 1988 in Gymnasien 30% mit dem mittleren IQ 116. Und im seiben Jahr, also
vor dem Fall der Mauer, hatte Anweiler bei der Analyse des Schulsystems der DDR
richtig bemerkt: »Wir haben es mit der paradox anmutenden Situation zu tun,
daß Begabungsförderung im Einheitsschulsystem stärker und gerichteter
betrieben wird als im gegliederten System einer sogenannten Leistungsgesellschaft.«
(Oskar Anweiler, Schulpolitik und Schulsystem in der DDR, 1988). Was die
Auswahl und Förderung von Begabten nach Leistungskriterien anbetraf, waren
sich die DDR und Bayern ähnlicher als Bayern und Nordrhein-Westfalen; heute
sind sich Sachsen und Bayern ähnlicher als Bayern und Bremen. (Ebd.,
2012, S. 195-196).Auch wenn Studenten nur auf der Grundlage der
Durchschnittszensur zu bestimmten Fächern zugelassen werden, ist das kaum
etwas anderes als eine Zulassung nach dem IQ. Wenn zum Beispiel nur 0,1% aller
Schüler einen Reifeprüfungsdurchschnitt von 1,1 erreichen, dann läßt
sich das auch als ein »Schul-IQ« von 146 definieren. Nimmt man, wie
für das Medizinstudium, auch noch echte Testergebnisse als Zulassungsmaßstab
hinzu, kann man mit Mittelwerten aus »Schul-IQ« und Test-IQ auch bei
den IQ-Spitzenwerten noch stärker Unterschiede herausarbeiten. Man spricht
dabei in der Zulassungspraxis zwar nicht vom »Zulassungs-IQ«, aber
genauso verfährt man. (Ebd., 2012, S. 196). |
 | | Zu
den Quellen vgl. Volkmar Weiss, ebd. S. 202-203. |
Bis
ich die Tabelle auf Seite 202 (**)
berechnet hatte, war ich wie jeder andere davon überzeugt, wegen der unterschiedlichen
Bildungssysteme seien die Bildungsabschlüsse verschiedener Länder kaum
miteinander vergleichbar. Jüngste statistische Datensätze, in denen
die Bildungsabschlüsse von Einheimischen und Einwanderern getrennt aufgeführt
sind, erlauben es jedoch, die Auswirkungen der grenzüberschreitenden Wanderungen
auf die IQ-Mittelwerte zu schätzen. (Ebd., 2012, S. 201).Bildungsabschlüsse
wurden als IQ-Werte in der folgenden Weise skaliert: 41% der Einheimischen in
allen OECD-Staaten haben nur eine elementare Grundbildung., das entspricht für
diese Personen einem Prozentwert-Median von 41/2 = 20,5 und einem mittleren IQ
von 89 (**).
40% aller Personen haben einen mittleren Bildungsabschluß, das ergibt einen
Prozentwert-Median von 41 + 20 = 61, dem ein mittlerer IQ von 104 entspricht (**).
18% aller Erwachsenen haben höhere Bildung, das ergibt einen Prozentwert-Median
von 41 + 40 + 9 = 90 und folglich den mittleren IQ 120 (**).
Da jedoch der normierte Durchschnitt aller OECD-Staaten nicht 100 ist, sondern
IQ 96 (siehe die Tabelle S. 202 **),
so müssen wir IQ 89 zu IQ 85, IQ 104 zu IQ 100 und IQ 120 zu IQ 116 berichtigen.
Um jetzt den mittleren »Bildungs-IQ« der einheimischen Bevölkerung
Australiens zu berechnen, müssen wir folgende Zahlen multiplizieren: 46 x
85 = 3910, 15 x 100 = 1500, und 39 x 116 = 4524. Wir addieren 3910 + 1500 + 4524
= 9934, teilen durch 100 und erhalten den gerundeten »Bildungs-IQ«
99. In analoger Weise berechnen wir für die im Ausland geborene Bevölkerung
Australiens einen mittleren IQ von 101. Da 25% der Australier Einwanderer sind,
ergibt sich ein mittlerer Bildungs-IQ von 100 für die Gesamtbevölkerung.
(Ebd., 2012, S. 201).Die große Übereinstimmung zwischen
den Mittelwerten des Bildungs-IQ, des PISA-IQ und des psychometrischen IQ ist
keine Überraschung. Rindermann hatte bereits in seiner zahlreiche Länder
umfassenden Untersuchung eine Korrelation von 0,78 zwischen dem IQ und dem Bildungsstand
der jungen Erwachsenen gefunden, operationalisiert durch einen Index, der sich
aus drei Kennziffern zusammensetzte: 1. der Lesefähigkeit der Erwachsenen
im Jahre 1991; 2. dem Prozentsatz derjenigen, die 1960 zwischen 12 und 19 Jahre
alt waren und 1985 eine Sekundärausbildung abgeschlossen hatten; und 3. den
Mittelwerten der Bildungsjahre, die 1990, 1995 und 2000 mindestens 25 Jahre alt
waren. (Ebd., 2012, S. 201).Bildungs-IQ skaliert sind, und
die PISA-Ergebnisse bestätigen - in den meisten Fällen innerhalb der
Grenzen des zu erwartenden Meßfehlers - die Ergebnisse des letzten Jahrhunderts,
in dem Intelligenztests erfunden und durchgeführt worden sind. Wer von den
Bildungsökonomen hätte das jemals für möglich gehalten? Man
kann nur hoffen, daß ihnen und den Regierungen, die sie bezahlen, ihre Unwissenheit
erhalten bleibt, denn sobald sie begreifen würden, was sie eigentlich messen,
ist zu befürchten, daß solche Untersuchungen wie PISA nicht mehr finanziert
werden. (Ebd., 2012, S. 201-203).Jedoch sind nicht für
alle Staaten die Bildungsabschlüsse so ohne weiteres in vergleichbarer Weise
skalierbar. Ganz offensichtlich stimmt der Bildungs-IQ der USA nicht mit dem Lynn-Vanhanen-IQ
und dem PISA-IQ überein. Da in den USA die CollegeAusbildung stark ausgeweitet
worden ist, ist dort die Deflation des Wertes eines Bildungsabschlusses stärker
ausgeprägt als in anderen OECD-Staaten. Auch Abschlüsse in den skandinavischen
Ländern scheinen einer stärkeren Deflation zu unterliegen als etwa in
den Niederlanden. (Ebd., 2012, S. 203).Es gibt eine Theorie
der Entscheidungsfindung für den höheren Schulbesuch die sich grundlegend
von der derzeit allein beachteten Humankapitaltheorie unterscheidet. Diese gegensätzliche
Vorstellung geht davon aus, höhere Bildung würde nicht erworben, um
erworbene Fähigkeiten und Wissen zu bestätigen, sondern um die Gesellschaft
darauf aufmerksam zu machen, daß der Graduierte ein bestimmtes angeborenes
Leistungsvermögen besitzt. Personen mit einem solchen höheren Leistungsvermögen
erwerben höhere Bildungsabschlüsse, damit sie von den Arbeitgebern als
besonders produktiv erkannt werden und ihnen mehr gezahlt wird. Eine solche Rolle
der Bildung ist von verschiedenen Verfassern als Signalgeben, Sieben, Filtern
oder Sortieren bezeichnet worden. Der Besitz eines akademischen Grades wird auch
als ein Hinweis dafür angesehen, ob ein Bewerber aus einer wohlhabenden und
gebildeten Familie stammt oder nicht. Auch dieses Wissen wird dazu verwendet,
die Leistungsfähigkeit abzuschätzen, da wohlhabende und gebildete Familien
im Durchschnitt leistungsfähiger sind. Diese Filtertheorie geht davon aus,
daß höhere Bildung keinen Einfluß auf das Talent hat, da sie
die Genotypen nicht verändert. Ein Arbeitgeber verwendet den Bildungsabschluß
eines Bewerbers oder die Zahl seiner Ausbildungsjahre (d h. den Bildungs- IQ),
um daraus auf dessen Platz in der Fähigkeitsverteilung zu schließen.
Das Bildungssystem der meisten Staaten besteht aus Grundbildung, mittlerer und
höherer Bildung. Wir können davon ausgehen, daß ursprünglich
nur für die Grundbildung Schulpflicht bestand, bis diese auf die mittlere
Bildung ausgedehnt wurde. Deswegen erhalten die Personen, die laut Filtertheorie
geringe Fähigkeiten haben, jetzt anstatt Grundbildung eine mittlere Bildung.
Da nun die durchschnittliche Leistungsfähigkeit der Beschäftigten mit
mittlerer Bildung geringer ist als früher, werden sie auch schlechter bezahlt,
denn die zusätzlichen Pflichtschuljahre verbessern weder die Leistungsfähigkeit
der Schulabgänger, noch erhöhen sie deren IQ. Solche Binsenweisheiten
gehören aber inzwischen für die meisten Bildungspolitiker zu den Tabuthemen.
(Ebd., 2012, S. 203-204).Die zurückgehende Geburtenzahl der
Oberschicht führte bereits im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts in England
zu der Annahme, es drohe ein Rückgang der durchschnittlichen Begabung. Entgegen
allen solchen Erwartungen jedoch stiegen die erreichten Werte bei Intelligenztests
über mehrere Jahrzehnte an. Für einen Genetiker besteht kein Zweifel,
daß - in Analogie zu der bereits zitierten Akzeleration der Körperhöhe
- ein solcher Anstieg nur ein Anstieg der phänotypischen Werte und nicht
auch der genotypischen sein kann. Unter dem Eindruck des Flynn-Effekts (**|**)
erschien einer breiteren Öffentlichkeit jedoch die Behauptung geradezu lächerlich,
eine dysgenische Entwicklung stünde uns bevor. (Ebd., 2012, S. 204).In
einer vergleichenden Untersuchung nationaler Geburtenerhebungen, die um 1970 stattfanden,
war Finnland das einzige Land, in dem es eine positive Korrelation zwischen der
Kinderzahl und dem Bildungsgrad des Ehemannes gab. Angesichts der gegenwärtigen
Entwicklung in den skandinavischen Ländern kann bezweifelt werden, daß
ein solcher Trend bis heute weiterbestanden hat. (Ebd., 2012, S. 204).Eine
Untersuchung, die repräsentative Erhebungen in 26 Ländern ausgewertet
hat (darunter 10 Länder in Schwarzafrika, jedoch auch Ägypten, Indonesien,
Thailand, Brasilien, Mexiko und Peru), stellte in allen Ländern eine starke
negative Korrelation zwischen den Bildungsjahren der Frau und der mittleren Zahl
ihrer lebenden Kinder fest. Meisenberg (2008) konnte das mit Daten aus weltweiten
Erhebungen in 78 Ländern aus den Jahren 1990, 1995 und 2000 bestätigen.
Da eine derartige Korrelation sowohl in den Industrie- als auch in den Entwicklungsländern
seit mehr als einem halben Jahrhundert besteht, beginnen die Ökonomen, sich
über die möglichen Folgen Sorgen zu machen. Ausnahmen davon (so wie
es zeitweilig Finnland war) gibt es sehr wenige, und die Elite der Manager und
Freiberuflichen, die mancherorts eine relativ hohe Zahl bis ins Heiratsalter überlebender
Kinder hat (und dadurch eine U-förmige Verteilung der Kinderzahlenunterschiede
in einigen Ländern verursacht), ist zahlenmäßig zu klein, als
daß es dadurch zu einer Trendänderung kommen könnte. (Ebd.,
2012, S. 204).Im Laufe einer Generation oder nur innerhalb weniger
Jahre dürften jedoch die Auswirkungen der dysgenischen Kinderzahlen auf die
IQ-Mittel der Staaten geringer sein als die Auswirkungen von selektiver Migration.
(Ebd., 2012, S. 204).Im Durchschnitt sind die Schulkinder, die
bei den PISA-Untersuchungen getestet wurden, eine Generation später geboren
als die Personen, deren IQ-Testergebnisse von Lynn und Vanhanen (2002) ausgewertet
worden waren. Wenn wir die IQ-Mittelwerte von Lynn-Vanhanen mit denen von PISA
vergleichen, erkennen wir deutlich, daß in Irland, Australien, Kanada und
Neuseeland, wo der Bildungs-IQ der Einwanderer höher ist als der bei den
Einheimischen, der IQ der Gesamtbevölkerung ansteigt. In Deutschland und
Österreich hingegen, wo der Bildungs-IQ der Einwanderer niedriger ist als
der bei den Einheimischen, befindet sich der IQ auf Talfahrt. Einem Anstieg von
5 IQ-Punkten in Irland ( die Wirtschaftskrise in dem Land mit folgender selektiver
Auswanderung dürfte das inzwischen schon wieder in Frage gestellt haben)
steht ein Absinken um 5 Punkte in Deutschland gegenüber. Hintergrundstatistiken
aus zahlreichen Quellen (vgl. u.a. Gunnar Heinsohn, 2008 [**];
Klaus F. Zimmermann, 2005) bestätigen, daß dieser Anstieg und dieses
Absinken tatsächlich stattfinden. (Ebd., 2012, S. 204-205). |
 | | Zu
den Quellen vgl. Volkmar Weiss, ebd. S. 202-203. |
7%
Einwanderer in Deutschland (siehe Tabelle **)
sind eindeutig eine zu niedrige Zahl (Einwanderer aus der früheren Sowjetunion
erhalten in den meisten Fällen die deutsche Staatsbürgerschaft und tauchen
dann in den amtlichen Statistiken nicht mehr als Ausländer auf). Andere Quellen
weisen mehr als 20% Schulkinder mit mindestens einem im Ausland geborenen Elternteil
auf (der Mikrozensus 2007 zählte 27% solcher Familien). In den Ländern,
in denen die Kinderzahl der Einwanderer höher ist als die der Einheimischen,
ist der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund unter den Kindern natürlich
oft viel höher als in der Gesamtbevölkerung. In Deutschland ist der
mittlere IQ von Schülern mit türkischem Hintergrund, die bis zur Hälfte
aller Einwanderer stellen, 18 IQ-Punkte niedriger als der IQ der Deutschen. In
der zweiten Einwanderergeneration (die in Deutschland geboren und aufgewachsen
ist) ist er sogar 3 IQ-Punkte niedriger als in der ersten. (Ebd., 2012,
S. 205-206).Betrachtet man aber die OECD-Staaten als Ganzes, dann
ist der mittlere IQ der Einwanderer 2 Punkte höher als der bei den Einheimischen,
wodurch die Auswirkungen der dysgenischen Kinderzahlen in so manchem Industriestaat
überspielt werden. Dem Zugewinn an Denkkraft, besonders in den englischsprachigen
Ländern ( (vgl. u.a. Gunnar Heinsohn, 2008 **),
stehen Verluste in Ländern Osteuropas und der Dritten Welt (und
eben nicht-englischsprachigen Ländern! HB) gegenüber.
Die Kombination solcher Verluste mit dysgenischen Kinderzahlen führt zu einem
raschen Niedergang des mittleren IQ, besonders in Südafrika und einigen südamerikanischen
Ländern. Kinder der Einwanderer aus China, Indien und Vietnam in OECD-Staaten
haben einen mittleren PISA-IQ von 106. Auch Auswanderer aus Deutschland, Südafrika,
Großbritannien und den USA nach Australien und Neuseeland haben einen mittleren
IQ über 100. (Ebd., 2012, S. 206).Bis in die 1990er
Jahre hinein war der Großteil der Ausländer, die in die Schweiz einwanderten,
niedrig qualifiziert. Seit 2005 liegt der Akademikeranteil bei den neu Zugewanderten
bei fast 60%. (Ebd., 2012, S. 206).Selbst in einem PISA-Musterland
wie Neuseeland droht sich in den nächsten Jahrzehnten die IQ-Lücke aufzutun.
Laut Schätzungen der OECD wird in dem Land die Pasifika- und Maori-Bevölkerung
zwischen 2001 und 2021 um rund 60% anwachsen, während die Bevölkerung
europäischer Herkunft im selben Zeitraum nur um etwa 5% größer
sein wird. Der mittlere IQ der Maori-Schüler lag 2000 um 9 IQ-Punkte unter
dem der Europäer. Ob die erwartete stärkere Einwanderung intelligenter
Asiaten eine IQMinderung des Landes verhindern kann? (Ebd., 2012, S. 206).Zusammenfassend
läßt sich sagen, daß innerhalb einer Generation die Auswirkungen
der selektiven Migration (dabei der Kindersegen der Migranten mit in die Betrachtung
einbezogen) auf die IQ-Mittelwerte unbestreitbar deutlich höher sind als
die Auswirkungen der unterschiedlichen Kinderzahlen bei den Einheimischen. Finnland
scheint das einzige Land in der Welt zu sein, wo während des letzten halben
Jahrhunderts eugenische Kinderzahlen zu einem Anstieg des mittleren genotypischen
IQ beigetragen haben. (Ebd., 2012, S. 206). Unterschieden
sich bei standardisierten IQ-Tests die Werte der Schwarzen von denen der Weißen?Die
Antwort ist ein klares Ja für jede repräsentative Stichprobe der Bevölkerung
der USA. (Ebd., 2012, S. 206).Wie groß ist der Unterschied
zwischen Schwarzen und Weißen? Die übliche Antwort auf diese Frage
ist eine Standardabweichung (SD). Wenn man IQ-Tests diskutiert, dann wird der
Mittelwert der Schwarzen in der Regel mit 85 angegeben, der Mittelwert der Weißen
mit 100, und eine Standardabweichung (SD) entspricht eben 15 IQ-Punkten. Jede
einzelne Untersuchung für sich stimmt selten mit diesen Zahlen überein.
In der folgenden Abbildung sind 156 Untersuchungen ausgewertet worden. Der mittlere
Unterschied zwischen Schwarzen und Weißen beträgt nach diesen 156 Untersuchungen
1,08 Standardabweichungen oder ungefähr 16 IQ-Punkte. (Ebd., 2012,
S. 206-207).Wenn man sich auf die Untersuchungen beschränkt,
die den üblichen Maßstäben für die Stichprobenauswahl und
den Eigenschaften der Test voll genügen, so bleiben dann 45 Untersuchungen;
es stellt sich heraus, daß die Unterschiede im Bereich von 0,5 bis 1,5 SD
liegen, mit einer mittleren Abweichung von 1,06 SD. Auch eine noch strengere Kritik
von Tests und Auswahlkriterien ändert nichts an diesem Ergebnis. Das Ergebnis
ändert sich auch nicht nennenswert, wenn man über alle Einzeluntersuchungen
hinweg einfach einen Mittelwert berechnet oder wenn man die Einzeluntersuchungen
nach der Größe ihrer Stichproben wichtet. (Ebd., 2012, S. 208).Wenn
man sich aber die Größe der Unterschiede veranschaulichen will, dann
erhält man durch die bloße Angabe der Unterschiede in den Standardabweichungen
keinen guten Eindruck. Man kann sich aber vor Augen führen, was es bedeutet,
wenn von einem Unterschied von 1 SD die Prozentrangwerte 16 und 84 abgeschnitten
werden (vgl. die Abbildung auf Seite 207 **).
(Ebd., 2012, S. 208).In den USA kommen ungefähr sechs Weiße
auf einen Schwarzen. Insgesamt zählt die schwarze Bevölkerung rund 30
Millionen Menschen. Das heißt, rund 100 000 Schwarze gehören zu
der intellektuellen Schicht mit einem IQ von 125 oder höher. Hunderttausend
Menschen sind eine beträchtliche Zahl. Und es ist deshalb kein Wunder, daß
es Schwarze in jedem Arbeitsgebiet gibt, das hohe Anforderungen an die Denkkraft
stellt. Wenn wir die Abbildung (**)
betrachten, stellen wir darüber hinaus fest, daß es in absoluten Zahlen
am unteren Ende der IQ-Verteilung ungefähr ebenso viele Schwarze wie Weiße
gibt. In der oberen Hälfte der IQ-Verteilung ergeben sich aber sehr große
Ungleichgewichte. Wenn diese Unterschiede tatsächlich Unterschiede der Denkkraft
widerspiegeln, dann lassen sich die sozialen Folgen durch keine Macht der Welt
verbergen. (Ebd., 2012, S. 208).Es hat viele Versuche gegeben,
diese Unterschiede dadurch zu erklären, daß die Schwarzen durch die
Tests benachteiligt würden, aber diese Ansätze haben zu keinen positiven
Ergebnissen geführt. Die Tests haben für Schwarze und Weiße eine
annähernd gleiche Vorhersagekraft. Auch bei solchen, von Kultureinflüssen
weitgehend freien Tests wie Gedächtnisspanne und Wahlreaktionszeit, die in
der Informationspsychologie eine große Rolle spielen, lassen sich die Unterschiede
zwischen Schwarzen und Weißen bestätigen. (Ebd., 2012, S. 208).Wenn
man Schwarze und Weiße in den USA miteinander vergleicht, dann taucht oft
der Gedanke auf, die Neger in Afrika müßten höhere durchschnittliche
IQ-Werte haben, da sie nicht wie die Neger der USA Erfahrungen mit Sklaverei und
Ausgrenzung gemacht haben. Der Median-IQ der afrikanischen Neger liegt etwa bei
IQ 75, d. h. noch 10 IQ Punkte niedriger als bei den Negern der USA. Der IQ der
farbigen Schüler in Südafrika - also der von Mischlingen (»coloured«)
- ist dem der Schwarzen der USA ähnlich. (Ebd., 2012, S. 208).In
den letzten Jahrzehnten hat sich der Unterschied zwischen Schwarzen und Weißen
in den USA um ungefähr drei IQ-Punkte verringert. Diese Verringerung ist
hauptsächlich durch eine sinkende Zahl von Personen mit sehr niedrigen Werten
bei der schwarzen Bevölkerung verursacht worden und nicht durch die Zunahme
der Personen mit hohen Werten. Verbesserungen der wirtschaftlichen Situation der
Schwarzen, der Qualität der Schulen, die sie besuchen, der besseren Gesundheitsfürsorge
und vielleicht auch des zurückweichenden Rassismus können als Ursache
hierfür angesehen werden .... Wir müssen dabei auch beachten: In den
USA sind die Gene von schwarzer und weißer Bevölkerung miteinander
gemischt. Der Anteil von Genen weißen Ursprungs bei den Schwarzen beträgt
mindestens 10%, im Norden der USA bis zu 25%. (Ebd., 2012, S. 208-209)
Die mathematisch-technisch Hochbegabten.
Persönlichkeit
ist ... mehr als IQ und Intelligenz, das darf man nie außer acht lassen.
(Ebd., 2012, S. 211).
Ein einfaches Modell für die Vererbung der Intelligenzunterschiede:
Drei sich überlappende Normalverteilungen.
|
 | | Die
Einträge 104|105, 123|124 und - - sind
von mir; HB. |
Für jemanden, der die Mendelschen
Gesetze und die sich daraus ergebenden statistischen Verteilungen vor Augen hat,
drängt sich bei diesen Befunden die folgende Hypothese förmlich auf:
Nehmen wir an, die Spitzen-IQ-Berufsgruppe wäre homozygot für ein mendelndes
Allel M1, also Genotyp M1M1, die ungelernten Arbeiter wären M2M2, die Berufe
mit einem IQ-Mittel um 110 wären heterozygot M1M2. (Ebd., 2012, S.
214).
Ich stellte 1971 die Hypothese auf, daß die Existenz eines
Hauptgens M1 die Häufigkeitsverteilung von Berühmtheit und Hochbegabung
uinter den Blutsverwandten von Hochbegabten erklären könne.
Ich schätzte die Häufigkeit q dieses hypothetischen Allels M1
für eine Bevölkerung mit einem mittleren IQ von 100 mit 0,20.
.... Aus all dem folgt: Personen mit einem genotypischen IQ über
123 sollten homozygot M1M1 sein, diejenigen mit einem IQ von 105 bis 123
heterozygot M1M2 und die mit einem IQ unter 105 homozygot M2M2. In Wirklichkeit
markieren die Schwellenwerte IQ 105 und IQ 123 keine scharfen Grenzen,
sondern die mittleren Trennlinien der Überlappungszonen der Phänotypen
des getesteten IQ. Anschaulich ausgedrückt gibt es drei Typen von
Menschen: Menschen (mit einem IQ über 123), die Maschinen erfinden,
Menschen (mit einem IQ über 104 und unter 124), die Maschinen reparieren,
und Menschen (mit einem IQ unter 105), die Maschinen bedienen. (**|**).
(Ebd., 2012, S. 216-218).
|
Table
of IQs smart fractions and GDP **
| Country | Average
verbal IQ | Smart
fraction* as a percentage of the population | Actual
Real GDP per cap (1998) | Theoretical
Real GDP per cap (1998) |
Equatorial Guinea |
59 |
0,10 |
1817 |
57 |
Ethiopia |
63 |
0,23 |
574 |
136 |
Sierra Leone |
64 |
0,28 |
458 |
167 |
Congo |
65 |
0,34 |
822 |
205 |
Zimbabwe |
66 |
0,42 |
2669 |
250 |
Guinea |
66 |
0,42 |
1782 |
250 |
Nigeria |
67 |
0,51 |
795 |
303 |
Ghana |
71 |
1,06 |
1735 |
634 |
Tanzania |
72 |
1,26 |
480 |
755 |
Sudan |
72 |
1,26 |
1394 |
755 |
South Africa |
72 |
1,26 |
8488 |
755 |
Kenya |
72 |
1,26 |
980 |
755 |
Jamaica |
72 |
1,26 |
3389 |
755 |
Uganda |
73 |
1,49 |
1074 |
895 |
Congo (Brazzaville) |
73 |
1,49 |
995 |
895 |
Zambia |
77 |
2,84 |
719 |
1701 |
Nepal |
78 |
3,30 |
1157 |
1978 |
Barbados |
78 |
3,30 |
12001 |
1978 |
Guatemala |
79 |
3,82 |
3505 |
2291 |
Ecuador |
80 |
4,41 |
3003 |
2643 |
India |
81 |
5,07 |
2077 |
3037 |
Egypt |
83 |
6,61 |
3041 |
3965 |
Puerto Rico |
84 |
7,51 |
8000 |
4505 |
Marshall Islands |
84 |
7,51 |
3000 |
4505 |
Iran |
84 |
7,51 |
5121 |
4505 |
Fiji |
84 |
7,51 |
4231 |
4505 |
Morocco |
85 |
8,50 |
3305 |
5099 |
Philippines |
86 |
9,59 |
3555 |
5750 |
Lebanon |
86 |
9,59 |
4326 |
5750 |
Tonga |
87 |
10,78 |
3000 |
6460 |
Western Samoa |
87 |
10,78 |
3832 |
6460 |
Mexico |
87 |
10,78 |
7704 |
6460 |
Iraq |
87 |
10,78 |
3197 |
6460 |
Brazil |
87 |
10,78 |
6625 |
6460 |
Suriname |
89 |
13,45 |
5161 |
8066 |
Indonesia |
89 |
13,45 |
2651 |
8066 |
Colombia |
89 |
13,45 |
6006 |
8066 |
Peru |
90 |
14,95 |
4282 |
8963 |
Turkey |
90 |
14,95 |
6422 |
8963 |
Croatia |
90 |
14,95 |
6749 |
8963 |
Thailand |
91 |
16,55 |
5456 |
9925 |
Greece |
92 |
18,27 |
13943 |
10952 |
Malaysia |
92 |
18,27 |
8137 |
10952 |
Ireland |
93 |
20,09 |
21482 |
12042 |
Israel |
94 |
22,01 |
17301 |
13195 |
Slovenia |
95 |
24,03 |
14293 |
14409 |
Portugal |
95 |
24,03 |
14701 |
14409 |
Uruguay |
96 |
26,15 |
8623 |
15681 |
Argentina |
96 |
26,15 |
12013 |
15681 |
Spain |
97 |
28,37 |
16212 |
17009 |
Finland |
97 |
28,37 |
20847 |
17009 |
Canada |
97 |
28,37 |
23582 |
17009 |
Taiwan |
97,5 |
29,51 |
13000 |
17692 |
France |
98 |
30,67 |
21175 |
18388 |
United States |
98 |
30,67 |
29605 |
18388 |
Norway |
98 |
30,67 |
26342 |
18388 |
Australia |
98 |
30,67 |
22452 |
18388 |
Denmark |
98 |
30,67 |
24218 |
18388 |
Japan |
98,5 |
31,85 |
23257 |
19096 |
South Korea |
99,5 |
34,26 |
13478 |
20544 |
Belgium |
100 |
35,50 |
23223 |
21283 |
United Kingdom |
100 |
35,50 |
20336 |
21283 |
New Zealand |
100 |
35,50 |
17288 |
21283 |
Hong Kong |
100,5 |
36,75 |
20763 |
22031 |
Sweden |
101 |
38,01 |
20659 |
22788 |
Switzerland |
101 |
38,01 |
25512 |
22788 |
Italy |
102 |
40,57 |
20585 |
24325 |
Netherlands |
102 |
40,57 |
22176 |
24325 |
Austria |
102 |
40,57 |
23166 |
24325 |
Germany |
102 |
40,57 |
22169 |
24325 |
Singapore |
103 |
43,18 |
24210 |
25886 |
*Based
on a threshold IQ of 105,58 | Quelle:
Http://www,lagriffedulion,f2s,com/sft2,htm
2004 | |
Jensen schrieb: »Die
im sozialen und persönlichen Leben wichtigsten Schwellenwerte auf der IQ-Skala
sind die, die mit hoher Wahrscheinlichkeit Personen voneinander trennen, die eine
akademische oder eine dahin führende vorbereitende Ausbildung erfolgreich
abschließen können (d.h. mindestens einen IQ von 105 besitzen).«
(Ebd., a.a.O., 1980, S.115). Unabhängig davon formulierte im Internet ein
Verfasser (**)
... seine »Theorie des klugen Bevölkerungsanteils« (2004) und
stellte fest: »In Marktwirtschaften ist das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt
(BIP) dem Bevölkerungsanteil mit einem IQ über 105 direkt propotional.
.... Im Wonderlic Personnel Test and Scholastic Level Exam Users Manual (1992)
kann man nachlesen, daß wir ab einem IQ von 106 Buchhalter finden, Kassenangestellte,
Laboranten, Verkäufer und Sekretäre. Einen etwas höheren IQ haben
ausgebildete Krankenpfteger, Bilanzbuchhalter, mittleres Verwaltungspersonal und
Verkaufsstellenleiter. Solche Menschen sind keine Raketenfachleute. Sie sind jedoch
für eine blühende Wirtschaft unentbehrlich. Jede Nation ... braucht
einen intelligenten Kern, um etwas zustande zu bringen.« (**)
Während Lynn and Vanhanen (2002) eine nichtlineare Beziehung zwischen dem
Bruttoinlandsprodukt (BIP) und dem mittleren IQ der Staaten fanden, behauptet
dieser Verfasser (**),
daß eine lineare Beziehung zwischen dem Pro-Kopf-BIP und dem »Prozentanteil
der Klugen« bestünde (vgl. dazu auch die kopierte
Tabelle [**]; HB). Wir können
jetzt sogar noch einen Schritt weitergehen. Aus dem Hardy-Weinberg-Gesetz der
Populationsgenetik ergibt sich für die Häufigkeit q des hypothetischen
Hauptgens M1 des IQ (1-q)² + 2q (1-q) + q² = 1. Wenn q = 0,20 ist, folgt
daraus, daß 2q (1-q) + q² = 0,36 als Summe der Homozygoten M1M1 und
der Heterozygoten M1M2. Diese Häufigkeit von 0,36 und ihr Prozeritrangwert
entsprechen nicht nur einem IQ von 105 (bei einer Bevölkerung mit dem IQ-Mittelwert
100), sondern ist auch identisch mit dem »Prozentanteil der Klugen«.
Indem wir die Wurzel aus dem Anteil (1-q)² der Nichtklugen ziehen, erhalten
wir die Häufigkeit q des Allels M1 in den jeweiligen Ländern.
(Ebd., 2012, S. 218-219).Über den Daumen gepeilt, ergibt diese Häufigkeit
mal 1000 das theoretische Bruttoinlandsprodukt .... Tatsächlich erweist sich
somit die Beziehung zwischen dem BIP und der Häufigkeit des Hauptgens, das
einem Überdurchschnittlichen IQ zugrunde liegt, als linear. (Ebd.,
2012, S. 219).Das Paretoprinzip
(auch bekannt als die 80-20-Regel) - in unserem Falle verstanden als »Gesetz
der lebensnotwendigen Wenigen« - besagt: Für viele Ereignisse gehen
80% der Wirkungen von 20% der Ursachen aus. Die Macht eines Staates hängt
nicht nur von seiner bloßen Einwohnerzahl ab, sondern auch vom Prozentanteil
der Intellektuellen Elite, wie er durch die soziale Evolution optimiert worden
ist. Hochintelligente Menschen bilden Netzwerke aus, und die wirtschaftlichen
Auswirkungen eines Netzes entsprechen dem Quadrat der Knoten im Netzwerk, d.h.
in unserem Falle dem Quadrat der Sehr-Klugen. Forscher fanden heraus, daß
die Dynamik des hyperbolischen Wachstums des Welt-BIP mit einer einfachen Gleichung
beschrieben werden kann, die ein quadratisches Glied enthält. Es scheint
kaum eine andere logische Möglichkeit zu geben, als dieses Glied mit q²
gleichzusetzen, das in einer Bevölkerung dem Prozentsatz der Hochbegabten
mit einem IQ über 123 entspricht. (Ebd., 2012, S. 219).1998
war das BIP pro Kopf eines Landes mit einer hypothetischen Genfrequenz von 0,20
für M1 ungefähr neunmal höher als bei einem Land mit einer Frequenz
von 0,02; die absolute Differenz des BIP pro Kopf betrug ungefähr 19 000 $.
Dieser Abstand zwischen industrialisierten und unterentwickelten Ländern
wird seit dem Beginn der Industriellen Revolution immer größer.
(Ebd., 2012, S. 219).In den nächsten
Jahrzehnten werden die meisten Kinder nicht in den Ländern mit einem hohen
mittleren IQ geboren werden, sondern in den Armenhäusern der Welt und in
Ländern mit einem niedrigen mittleren IQ. (Vgl. dazu auch: Friedrich Wilhelm
Burgdörfer, Sterben die weißen Völker aus?, 1934; Giselher
Wirsing, Die Menschenlawine, 1956; UNO, World Population Prospects,
2006). Der dadurch erwartete Rückgang der Mittelwerts des weltweiten genotypischen
IQ von 95 im Jahre 1950 auf IQ 87 im Jahre 2050 würde einen weltweiten Rückgang
der hypothetischen Genfrequenz q von M1 von 0,12 auf 0,05 bedeuten und eine Abnahme
des Prozentanteils der Klugen (also derjenigen mit einem IQ über 105) von
22% auf etwa 10 %; das heißt eine Abnahme von etwa 4% pro Generation.
(Ebd., 2012, S. 219).Es ist allgemein bekannt: Volkswitschaften,
die keine Marktwirtschaften sind, weisen geringere Wachstumsraten des BIP pro
Kopf auf als Marktwirtschaften. Während frühere nicht-marktwirtschaftliche
Länder mit einem hohen mittleren IQ ... den Abstand verringern, scheinen
die Länder mit einem niedrigen mittleren IQ keine Aufholchance zu haben.
Doch selbst bei den Marktwirtschaften haben wir auf der einen Seite die eindrucksvolle
Erfolgsgeschichte von Singapur und auf der anderen Seite so extreme Länder
wie Haiti und Simbabwe, die nicht nur rückständig sind, sondern auch
noch unter Mißwirtschaft und Abwanderung der klugen Köpfe leiden. 1968
hatte zum Beispiel die Pazifikinsel Nauru dank ihrer reichen Phosphatlager das
höchste BIP pro Kopf in der Welt. Heute, nach der Erschöpfung dieser
Lager, herrscht in Nauru das Chaos, und wegen Mißwirtschaft und Korruption
ist das wirtschaftliche Leben zusammengebrochen. Das BIP von Nauru stimmt jetzt
besser mit der Genfrequenz M1 seiner Bevölkerung überein als früher.
(Ebd., 2012, S. 219-221).Eines der Kriterien, die Wissenschaft
von Spekulation unterscheidet, ist ihre Vorhersagekraft. Das ölfördernde
Äquatorialguinea hat zwar einen sehr niedrigen durchschnittlichen IQ, aber
dennoch 2007 ein BIP pro Kopf von 44 100 $, eines der höchsten in der
Welt. Wir prognostizieren, daß nach Erschöpfung der Öllagerstätten
das BIP dieses Landes auf ein Niveau zurückfallen wird, wie es für Länder
mit einer Genfrequenz von M1 unter 0,02 typisch ist. Solange das Öl sprudelt,
machen Fachleute und Händler aus dem Libanon, China, Indien und anderen Herkunftsländern
Geld; nach dem Boom werden sie das Land aber wieder verlassen. (Ebd., 2012,
S. 221).In die Tabelle gegenüber (vgl. ebd., S. 220) haben
wir nur Staaten aufgenommen, die schon lange Marktwirtschaften sind und die mindestens
zweimal an den PISA-Untersuchungen teilgenommen haben. Der Gesamteindruck dieser
Tabelle ist deswegen irreführend, weil drei Viertel der Weltbevölkerung
ein BIP pro Kopf haben, das niedriger als das brasilianische ist. 2007 gab es
in Schwarzafrika 12 Staaten mit einem BIP pro Kopf von unter 1000 $, wobei alle
diese Staaten eine Genfrequenz von M1 unter 0,02 aufweisen. Bis jetzt scheint
der Flynn-Effekt (**|**)
in diesen Ländern noch kaum angekommen zu sein. Es wäre deswegen durchaus
sinnvoll, die nationalen IQ-Mittelwerte auf ein Minimum von 80 zu begrenzen, doch
hätte das auf die Genfrequenzen kaum Auswirkungen, da die Frequenz von M1
in diesem Meßbereich gegen Null strebt. (Ebd., 2012, S. 221).Einige
Länder (zum Beispiel Brasilien, Israel und Südafrika) mit einer sozial
und regional gegliederten und in hohem Maße geschichteten Bevölkerung
(und folglich einem hohen Gini-Index [ein statistisches
Maß zur Darstellung von Ungleichverteilungen; HB]) haben ein viel
höheres BIP, als man nach ihrem mittleren IQ erwarten könnte. In solchen
Ländern ist die Varianz des IQ für die Gesamtbevölkerung größer
als 15, und man sollte deshalb die aus dem Mittelwert abgeleitete theoretische
Häufigkeit von M1 durch die wirkliche Häufigkeit ersetzen. Am einfachsten
ließe sich das aus dem Prozentanteil der Personen mit einem IQ über
105 errechnen, wenn er denn bekannt wäre. (Ebd., 2012, S. 221).Auch
innerhalb entwickelter Staaten beträgt der Unterschied zwischen wirtschaftlich
blühenden und eher rückständigen Regionen 10 IQ-Punkte und mehr.
In Deutschland zum Beispiel ist der IQ-Mittelwert von Bayern ungefähr 10
Punkte höher als der Bremer; in Italien beträgt der Unterschied zwischen
Venetien und Sizilien 13 Punkte; in Spanien zwischen Aragon und Andalusien 8 Punkte;
in den USA derUnterschied zwischen New Hampshire und Mississippi 10 Punkte. Solche
Unterschiede, die durch die Binnenwanderung zwischen den wirtschaftlichen Kernen
und den rückständigen Gebieten verschärft werden - wenn auch nicht
immer in dieser Größenordnung - kann man in jedem Land finden. Mit
höherem Bildungsabschluß erhöht sich grundsätzlich das Migrationspotential.
Ein mittlerer IQ von 102 für Italien als Ganzes (**),
angegeben bei Lynn und Vanhanen (2002), kann niemals richtig gewesen sein
und nur dadurch zustande gekommen sein, daß man nur in den nördlichen
Landesteilen getestet hatte. In der beispielhaften Untersuchung einer süditalienischen
Gemeinde, in der kaum die Hälfte der Bewohner eine einfache Bildung erhalten
oder abgeschlossen hat, konnte Banfield (1958) zeigen, wie geringe Denkkraft,
Bestechlichkeit und Beschränktheit auf das persönlich Naheliegende einen
ausweglos erscheinenden Kreislauf der Rückständigkeit in Gang halten.
(Ebd., 2012, S. 221).Da sich die Denkkraft in den Familien vererbt
und Intelligenzunterschiede den beruflichen Status beschreiben, muß
sich dieser Status in den Familien regenerieren. Eine Kontrolle dafür sind
auch die Untersuchungen in Adoptivfamilien, in die die Kinder bereits in den ersten
Lebensmonaten aufgenommen wurden. Dabei konnte man finden, daß sich der
berufliche Status von biologisch verwandten Geschwistern ähnelt, obwohl sie
in verschiedenen Umgebungen aufgewachsen sind. Im Gegensatz dazu gibt es zu den
Geschwistern aus den Adoptivfamilien selbst keinerlei signifikante Korrelation
hinsichtlich des beruflichen Status. Das allein schon widerlegt die weitverbreitete
Annahme, vor allem die Umweltverhältnisse seien für die berufliche Laufbahn
entscheidend. (Ebd., 2012, S. 223).Hinsichtlich
des IQ bestand zwischen den Ehepartnern noch nie eine selbständige Übereinstimmung.
Schon immer bevorzugen manche Männer bei ihren Partnerinnen einen größeren
Brustumfang gegenüber einem hohen IQ. Manche Frauen sehen mehr auf Muskelkraft
oder ererbtes Vermögen, oder sie bekommen einfach keinen anderen Mann ab.
Deshalb korrelieren die Ehepartner in modernen Gesellschaften hinsichtlich ihres
IQ mit r = 0,50. Diese Heiratssiebung hat zur Folge, daß sich der Anteil
der Heterozygoten etwas verringert, so daß sich etwa die folgenden Häufigkeiten
ergeben: 5% für M1M1, 27% für M1M2 und 68% für M2M2. Die Mediane
der kumulierten Prozentrangwerte (M1M1 97,5; M1M2 81,5; M2M2 34 [**|**])
entsprechen daann den folgenden IQ-Medianen der Genotypen: M1M1 IQ 130; M1M2 IQ
112; M2M2 IQ 94 [**|**]).
Auch aus der berühmten Terman-Studie über Hochbegabte hätte man
bereits bei einer analogen statistischen Analyse sehr ähnliche Schlußfolgerungen
ziehen können. Mit anderen Worten: Etwa bei den IQ-Werten
105 und 124, die zwischen den eben genannten Medianen liegen, beginnt hinsichtlich
der Denkkraft jeweils eine andere Qualität Mensch (**),
ein neuer Genotyp. Mit allen Folgen und Gefahren, von denen dieses Buch hier handelt.
(Ebd., 2012, S. 223-224).Im Nürnberger Prozeß 1945 wurde
mit dem Wechsler-Bellevue-Test auch der IQ der Angeklagten getestet und veröffentlicht:
Hjalmar Schacht IQ 143, Arthur Seyß-Inquart IQ 141, Hermann Göring
IQ 138, Karl Dönitz IQ 138, Pranz von Papen IQ 134, Erich Räder IQ 134,
Dr. Hans Frank IQ 130, Hans Fritsche IQ 130, Baidur von Schirach IQ 130, Joachim
von Ribbentropp IQ 129, Wilhelm Keitel IQ 129, Albert Speer IQ 128, Alfred Jodl
IQ 127; Alfred Rosenberg IQ 127; Konstantin von Neurath IQ 125, Walther Funk IQ
124, Wilhelm Frick IQ 124, Rudolf Heß IQ 120, Fritz Sauckel IQ 118, Ernst
Kaltenbrunner IQ 113, Julius Streicher IQ 106. Diese Zahlen »bestätigen
die Tatsache, daß die erfolgreichsten Menschen auf jedem Gebiet menschlicher
Aktivität - ob es nun Politik, Industrie, Militär oder das Verbrecherturn
ist -mit überdurchschnittlicher Intelligenz ausgestattet sind«, lautet
dazu der Kommentar des Berichterstatters. Man darf annehmen, daß auch Heinrich
Himmler, der auf dem Gymnasium ein sehr guter Schüler war, einen hohen IQ
besaß. Und ein Adolf Hitler hat sich in diesem Haifischbecken wohl nur behaupten
können, wenn er intellektuell gleichrangig war. Wir haben diese Zahlen an
dieser Stelle aber keinesfalls zitiert, um einen besonders hohen IQ der führenden
Personen des Dritten Reiches zu belegen. Auch der durchschnittliche IQ des Führungspersonals
anderer großer Industriestaaten und selbst der Luxemburgs dürfte in
der gleichen Größenordnung liegen. Nur liegt leider für keinen
anderen Staat ein vergleichbarer Datensatz vor. (Ebd., 2012, S. 230-231).
Stand der Forschungen zur Molekulargenetik der Intelligenzunterschiede.
Jahrzehntelang
hatte man angenommen, die Mendelsche Genetik sei nur auf Sachverhalte anwendbar,
bei denen man die genetischen Typen klar in qualitativer Weise trennen und Spaltungsverhältnisse
zwischen ihnen feststellen kann. Doch ist der IQ, wie jeder weiß, ein quantitatives
Merkmal mit fließenden Eigenschaften, das auf einer kontinuierlichen Skala
gemessen wird. Das ist ein wesentlicher Grund, warum sich die Forschung jahrzehntelang
immer wieder damit begnügt hat, die statistischen »Anteile« der
Erb- und Umweltwirkungen auf die Denkkraft zu bestimmen, ohne zu den Ursachen
und damit zu den Genen vorzustoßen. Auch diejenigen, deren Daten für
die Erblichkeit der Intelligenzunterschiede sprachen, waren der Auffassung, es
handele sich um die Wirkung von sehr vielen Genen, vermutlich von hunderten. Sicher
trifft es auch zu, daß Hunderte, ja Tausende der rund 27 000 Gene des
Menschen unter bestimmten Bedingungen einen Einfluß auf das geistige Leistungsvermögen
ausüben können. Aber haben diese vielen Gene mit ihren oft nur sehr
seltenen Schalterstellungen (Allelen) tatsächlich einen großen Einfluß?
Oder haben die meisten eher nur einen ganz geringen, gar nicht nachweisbaren?
Sind nicht Umweltunterschiede viel größer und wichtiger? (Ebd.,
2012, S. 231).Von den Forschern, die für die stets kleinen
Wirkungen von hunderten Genen eintreten, hat sich bisher noch keiner die Mühe
gemacht, eine Erklärung zu liefern für den logischen Widerspruch zwischen
der Annahme eines einzigen Hauptfaktors der Intelligenz und derAnnahme von hunderten
Genen, die immer wieder diesen Hauptfaktor erzeugen sollen. Es wäre eben
so. Dabei sollte man doch annehmen, die Wirkung von hunderten Genen, die sich
unabhängig voneinander vererben, ließe ein buntes Muster von Faktoren
entstehen und keinesfalls einen Hauptfaktor. Auch hätte auffallen müssen,
daß die soziale Wirklichkeit gegen die hundert Gene spricht. Wenn nämlich
die sozialen Unterschiede durch eine sehr große Zahl von Genen bedingt wären,
die auch die Intelligenzunterschiede beeinflussen, dann wären diese Gene
über die Jahrhunderte im Besitz- und Bildungsbürgertum in so einer Weise
angereichert worden, daß der soziale Auf- und Abstieg von einem Ende der
IQ-Skala zum anderen mehr als zwei Generationen benötigen würde und
nicht zwei, wie das der Fall ist. Diese Möglichkeit des raschen sozialen
Auf- und Abstiegs spricht für eine viel einfachere genetische Grundlage und
für das Wirken von Hauptgenen. In diesem Buch haben wir den wissenschaftlichen
Standpunkt belegt, den Denkkraftunterschieden, dem IQ also, läge ein einfacher
genetischer Polymorphismus zugrunde, der das kastenähnliche Erstarren der
Gesellschaft verhindert hat. Eine breite Mittelschicht, die aufwärts oder
abwärts heiratet oder unter sich selbst, verbindet die sozialen Extreme.
Die Kinder dieser Mittelschicht haben eine Chance von 25% zur geistigen Elite
zu gehören, von 25% zur geistig gesunden Arbeiterschaft und von 50%, die
mittlere gesellschaftliche Position der Eltern zu behalten. Während der vererbte
Reichtum und ererbte Standesvorrechte die Gesellschaft mit Erstarrung bedrohen,
verachtet der begabte Enkel eines ungelernten Arbeiters (und der Verfasser ist
selbst einer) diese Privilegien; in einer modernen mobilen Gesellschaft - und
jedes moderne Industrieland repräsentiert eine solche Gesellschaft - kann
er Bildung erwerben und damit sozial aufsteigen. (Ebd., 2012, S. 231-232).Lange
schon steht das polygenetische Dogma der molekulargenetischen Forschung im Wege.
Noch im Jahre 1980 erklärte Jensen die Genotypen der Intelligenz zu einem
bloßen »theoretischen Konstrukt. Niemand könne einen solchen
Genotyp in einem Reagenzglas untersuchen«. Um 1990 begann aber durch die
Kombination des Computers mit automatisierten Auswertungsmethoden und der Speicherung
der Daten in Datenbanken eine so rasche Weiterentwicklung der Molekulargenetik,
wie sie noch um 1980 niemand für möglich gehalten hätte.
(Ebd., 2012, S. 232).Gene, die den Mendelschen Spaltungsgesetzen
folgen, zeigen durch das Spalten, das Mendeln, ihre Existenz an. Und bei energischer
Nachsuche haben die Genetiker diese Gene bisher stets früher oder später
entdeckt. Auch die Gene, die 1865 Gregor Mendel bei seinen berühmten Erbsen
untersucht hat, sind heute genau bekannt, auch ihre Biochemie. (Ebd., 2012,
S. 232).So war und ist der Aufschwung der Molekulargenetik auch
bei mir mit der Hoffnung verbunden, man würde den Hauptgenlocus der Allgemeinen
Intelligenz früher oder später entdecken. Länger als 20 Jahre habe
ich gehofft, daß, wenn man alle biochemischen und physiologischen Korrelationen
mit Sozialstatus, Schulerfolg, IQ, Gedächtnisleistungen, Altersabbau der
Intelligenz und vielem mehr registrieren und den möglichen Ursachen nachgehen
würde, sich dann eine Schnittmenge ergeben sollte, die zu dem Stoffwechselschritt
und dem gesuchten genetischen Polymorphismus führen müßte. Ich
habe in diese Recherchen Jahre meiner Lebensarbeitszeit investiert, habe Daten
gesammelt und nach kausalen biochemischen Beziehungen gesucht, immer in der Hoffnung,
Ausdauer und Fleiß würden irgendwann belohnt werden. Manchesmal, wenn
ich in den letzten Jahren schon resignieren wollte, ist der Eifer in Abständen
wieder durch irgendeine Entdeckung angefacht worden, von der ich meinte, sie könne
mit dem Hauptgen des IQ in Beziehung stehen. Doch im menschlichen Genom zählt
man nicht nur rund 27 000 Gene, sondern Millionen genetische Polymorphismen;
ein beträchtlicher Teil der Variabilität wird von uns bisher noch nicht
verstanden oder ist uns noch gar nicht zugänglich. Wenn man in späteren
Jahrzehnten einmal auf unseren Forschungsstand zurückblicken wird, dann wird
unsere Zeit als die Steinzeit der Genetik gelten. (Ebd., 2012, S. 232).Deshalb
wollen wir an dieser Stelle eine nüchterne Zwischenbilanz ziehen: Auf weltweit
mindestens 200 Untersuchungen zur Genetik der Schizophrenie kommt eine zur Genetik
des IQ. In sehr vielen Ländern ist es politisch völlig inkorrekt, an
Untersuchungen zur Genetik des normalen IQ überhaupt zu denken, geschweige
denn einen Antrag auf Finanzierung und Genehmigung eines solchen Forschungsvorhabens
zu stellen. (Ebd., 2012, S. 232).»Wenn man nachweisen
kann, daß Intelligenz ... angeboren ist, dann verliert der Marxismus seine
Existenzberechtigung« (Udo Sierck, Normalisierung von rechts - Biopolitik
und »Neue Rechte«, 1995, S. 28). Auch Deutschland gehört
selbstverständlich zu den Ländern, in denen diese Furcht vor der Bewahrheitung
dieses eben zitierten Satzes das Denken und mögliches Handeln einengt. Wenn
Forscher dennoch über Vererbung von Intelligenzunterschieden arbeiten, dann
forschen sie offiziell über die Genetik der Dyslexie, die Alzheimer-Erkrankung
und andere geistige Leistungsminderungen, niemals aber über den IQ im Normalbereich,
und sie tun gut darall, ihre anderen Mit-Absichten -wenn sie welche haben sollten
-zu verstecken. Manchmal untersuchen sie ja sogar Kontrollgruppen normaler gesunder
Personen. Um den IQ der Probanden zu schätzen, reichen in Industriestaaten
Bildungsjahre und Beruf völlig aus, man kann auf die Anwendung strittiger
IQ-Tests verzichten. Es ist deshalb nicht ganz aussichtslos, daß die Genetik
des normalen IQ als Nebenprodukt medizinischer Fragestellungen entdeckt werden
wird. (Ebd., 2012, S. 232-233).Dennoch ist der gegenwärtige
Forschungsstand (im Herbst 2011) sehr ernüchternd, und zwar nicht nur für
den IQ, sondern auch in der Genetik anderer geistiger Eigenschaften, bei denen
man einen genetischen Hintergrund vermuten muß. Inzwischen ist es möglich,
daß man mit speziellen Chips mit einem einzigen Arbeitsgang eine Million
einfacher genetischer Polymorphismen (SNPs) auf einen Zusammenhang testen kann.
Im Sommer 2011 können wir davon ausgehen, daß bereits mehr als 3 Millionen
SNP auf einen Zusammenhang mit IQ oder Bildungsgrad untersucht worden sind. Jede
Woche wird Lotto gespielt. Ein Hauptgewinn ist höchst unwahrscheinlich. Dennoch
gibt es fast jede Woche einen. In der Genetik ist so ein Haupttreffer jedoch der
falsche positive Befund. Das heißt, man findet bei jeder großangelegten
Untersuchung einen Zusammenhang oder mehrere, die hochsignifikant sind, wie es
in der Sprache der Wissenschaft heißt, aber die dennoch Luftnummern und
durch reinen Zufall entstanden sind. Wiederholt man die Untersuchung, bleiben
immer noch Befunde übrig, die nichts weiter als Scheinzusammenhänge
sind. Die Fachzeitschriften der Genetik sind vollgestopft mit derartigen Ergebnissen,
und es ist derzeit sehr schwer, aus diesen Schuttbergen an Unsinn etwas Dauerhaftes
auszugraben. Der Status eines Wissenschaftlers wird nun einmal auch daran gemessen,
wieviel Forschungsmittel er verbraucht. (Ebd., 2012, S. 233).Am
3. Februar 2009 eröffnete die Zeitschrift »Nature« unter der
bezeichnenden Überschrift »Wissenschaft, von der man die Finger lassen
soll« (»Untouchable Science«) zum Thema »Sollen Wissenschaftler
Rasse und IQ untersuchen?« ein Forum, in dem Steven Rose (London) zum Auftakt
die Gelegenheit gegeben wurde, Forschungen über Populationsunterschiede des
IQ zu verteufeln und zu ihrer Ächtung aufzurufen. Nicht alle, die sich an
der Diskussion beteiligten, stimmten ihm vorbehaltlos zu. Auch ich fühlte
mich zu einer Meinungsäußerung herausgefordert. (Ebd., 2012,
S. 233).Wenn ich es den letzten 15 Jahren für möglich
gehalten hatte, daß ein genetischer Polymorphismus (SNP) etwas mit dem genetischen
Hintergrund des IQ zu tun hätte, dann mußten immer einige Verteilungseigenschaften
der Allelfrequenzen erfüllt sein, die sich aus den bisherigen Ergebnissen
ergaben. Das heißt, das seltene Allel mußte eine Häufigkeit bei
Eurasiern um 0,20 haben, bei Schwarzen niedriger. Das seltene Allel sollte bei
Personen mit hohem Sozialstatus und folglich hohem IQ stark angereichert vorkommen.
Mehrfach schienen diese Bedingungen erfüllt, und es gelang mir stets, Kollegen
oder frühere Studienkollegen, die Hochschullehrer geworden waren, dafür
zu gewinnen, den Sachverhalt zu klären. Bisher endete es stets mit einer
großen Enttäuschung; ich habe auch Privatlabors bezahlt oder Kollegen
im Ausland gewinnen können - auch dann bestenfalls nur mit einem Teilergebnis.
(Ebd., 2012, S. 233).Die Diskussion in »Nature« brachte
mich nun auf den Gedanken, systematisch die Frage zu stellen, wie viele bisher
bekannte genetische Polymorphismen (SNP) es überhaupt gibt, die die geforderten
Allelfrequenzen aufweisen. 2009 hatten die im Internet verfügbaren Datenbanken
einen Kenntnisstand erreicht, bei dem man ernsthaft hoffen konnte, diese Frage
zu beantworten. Dazu standen mir die HapMap-Datenbank und das Programm SNPlogic
zur Verfügung. Das HapMap-Projekt hatte bei Stichproben an Europäern
(CEU), Chinesen (CHB), Japanern (JPT) und bei Yorubas (YRI) in Nigeria die Allelfrequenzen
ermittelt. An mögliche Verzerrungen der Stichprobenergebnisse durch den Sozialstatus
hatte man dabei leider überhaupt nicht gedacht. (Andererseits logisch, da
ja alle Menschen in diesem Punkt laut internationaler Definition gleich sein müssen.)
Die Chinesen stammen von einer Pekinger Universität, wobei es aber keinerlei
Angaben darüber gibt, inwieweit Hochschullehrer, Studenten oder einfaches
Personal einbezogen worden sind. Die Stichprobe für die Japaner stammt aus
Tokio, dürfte in bezug auf den Sozialstatus also auch verzerrt sein. Das
zwang mich, von einer relativ großen Brandbreite der möglichen Allelfrequenzen
in den Stichproben auszugehen. (Ebd., 2012, S. 233-234).Anfang
2009 befanden sich in der HapMap-Datenbank 76 690 nicht-synonyme, kodierende
genetische Polymorphismen (SNPs). Das Programm SNPlogic filterte mir davon 204
heraus, deren Allelfrequenzen innerhalb der erwarteten Bandbreite für die
untersuchten Populationen bzw. Rassen lag. Nach den bisherigen Ergebnissen sollte
ein hochintelligenter Mensch homozygot für das seltene Allel sein. Bis 2009
war im Internet nur der genetische Code von Craig Venter vollständig veröffentlicht.
In der Annahme, dieser herausragende Wissenschaftler müsse ein hochintelligenter
Mensch sein, schloß ich alle SNPs aus, in denen er nicht homozygot für
das seltene Allele war. Nach dieser Filterung blieben 22 SNPs übrig. Das
im Internet ebenfalls verfügbare Genom von James Watson brachte leider keinen
weiteren Erkenntnisgewinn. Es ist unvollständig und bietet anstatt sicherer
Sequenzierungen oft nur Wahrscheinlichkeiten. Mit Hilfe von Steven Pinker konnten
jedoch noch weitere SNPs ausgeschlossen werden und die Zahl auf verbleibende elf
verdächtige halbiert werden. (Ebd., 2012, S. 234).Pinker
ist Proband des Personal-Genome-Projekts, das in den USA als privates Forschungsvorhaben
die vollständige Dekodierung von Personen und die Veröffentlichung ihrer
Daten anstrebt. Zum Genotypisieren benutzt das Projekt, ebenso wie die Firma 23andMe
den 500 K Affymetrix Chip, das heißt einen Chip, der die Genotypisierung
von 500 000 SNPs in einem Durchlauf erlaubt. Da der Chip auch von der Forschungsgruppe
Plomin et al. benutzt wurde, die damit keinerlei reproduzierbaren Zusammenhang
mit dem IQ finden konnte, konnten alle auf diesem Chip befindlichen SNPs ausgeschlossen
werden. (Ebd., 2012, S. 234).Die Liste der verbleibenden
elf SNPs habe ich am 27. März 2009 in der »Nature«-Diskussion
veröffentlicht, und man kann sie noch heute dort nachlesen, siehe http://network.nature.com/groups/naturenewsandopinion/forum/topics/3871?page=9
(**).Wenige
Tage, nachdem ich den Text an »Nature« gepostet hatte, wurde das Forum
geschlossen. Wenn ich dennoch die schwache Hoffnung hatte, daß die Liste
irgendwo in der Welt Kollegen dazu bringen würde, die elf Hypothesen zu überprüfen,
dann hatte ich mich geirrt. Auch der Dümmste merkt eben, daß die Hypothesen
mit einem absoluten Tabubruch starten, nämlich der Annahme unterschiedlicher
Allelfrequenzen eines IQ-Hauptgens für Schwarze, Gelbe und Weiße.
(Ebd., 2012, S. 234).Anderthalb Jahre später, nach dem Erscheinen
des Sarrazin-Buches (2010), gab es noch keinen weiteren Fortschritt in dieser
Sache. Die öffentlichen Diskussionen um das Buch brachten mich jedoch im
Herbst 2010 in Kontakt mit einem privaten Labor, das bereit schien, für 1100
Euro die elf SNPs zu untersuchen. Um die Kosten weiter zu verringern, schaute
ich mich noch einmal beim Personal-Genome-Projekt um, ob dort inzwischen neue
Daten veröffentlicht worden waren. Tatsächlich, sie lagen vor. Allerdings
nicht in einer so eindeutigen Form, die Fehler ausschließt. Für manche
Probanden fehlen biographische Daten, und es werden nur die Abweichungen vom Referenzgenom
veröffentlicht, nicht aber Übereinstimmungen, die man für statistische
Schlüsse ja ebenfalls braucht. Wie bei Watson sind auch bei anderen Probanden
die Sequenzierungen oft nur mehr oder weniger sicher. Überdurchschnittlich
intelligente Probanden dürften aber dennoch nicht Homozygote des häufigen
Allels sein. Wenn man das Ausschlußkriterium in dieser Weise anpaßt,
dann bleibt von den elf SNPs beim derzeitigen Kenntnisstand nur noch ein SNP übrig:
das Gen C2orf16 mit rs1919128 (Allele A und G ), wobei Venter GG ist; und die
Populationshäufigkeiten für das Allel G sind: CEU 0,24, CHB 0,56, J
PT 0,62, YRI 0,04. (Ebd., 2012, S. 234-235).Das Gen C2orf16
kodiert ein bisher unbekanntes Protein, von dem man nur weiß, es habe etwas
mit Phosphorylierung und Signalübertragung zu tun. Wenn man aus | der
Wahrscheinlichkeit 204/76690 = 0,0027, daß die Allelfrequenzen der Populationen
innerhalb bestimmter Schwellenwerte liegen; | | der
Wahrscheinlichkeit 0,0625, daß Craig Venter für das seltene Allel G
homozygot ist; | | und
der Wahrscheinlichkeit 0,0317, daß die Probanden des Personal-Genome-Projekts
nicht AA sind; | die
Gesamt-Wahrscheinlichkeit dafür berechnet, ob C2orf16 nicht der Hauptgenlocus
der Intelligenz ist, kommt man auf: 0,0027 x 0,0625 x 0,0317 = 0,0000053. Wenn
man 12 weitere Probanden mit einem IQ über 105 (oder sicherheitshalber besser
mit einem IQ über 115) genotypisieren und ihren Nicht-AA-Status bestätigen
würde, könnte man diese Wahrscheinlichkeit um den Faktor 0,001 erhöhen.
(Ebd., 2012, S. 235).Trotz dieser schon extremen Wahrscheinlichkeiten,
die für C2orf16 rs1919128 sprechen, bin ich der Meinung, es dürfte sich
um einen falschen positiven Befund handeln. Es ist eben der Sechser mit Zusatzzahl
im Lotto - hier aber als Niete gezogen -, denn das Suchverfahren in seiner Art
als Ausschlußverfahren provoziert geradezu den falschen positiven Befund.
(Ebd., 2012, S. 235).Und wenn es doch stimmen sollte? Als Wissenschaftler
möchte man Gewißheit haben. Eine Genotypisierung eines SNP bei zwölf
Probanden ist heutzutage in einem guten Labor kein Problem mehr und kostet derzeit
nicht mehr als 300 Euro. Ich mußte aber rasch feststellen, daß es
in Deutschland kein Labor mehr gibt, das es wagen könnte, einen derartigen
Auftrag auszuführen. Ich entschloß mich deshalb zur Veröffentlichung
der gesamten Logik, die für C2orf16 rs1919128 als Hauptgenlocus des IQ spricht.
Nach dem Erscheinen der Arbeit habe ich im Sommer 2011 per E-Mail geeignete Labors
in der Welt auf die Hypothese und ihre Veröffentlichung aufmerksam gemacht.
Man darf noch hoffen, daß es irgendwo in der Welt ein Labor geben wird,
in dem man es wagt, das Dutzend Probanden zu genotypisieren und das Ergebnis mitzuteilen.
Wenn dieses Buch hier gedruckt sein wird, könnte das Ergebnis vorliegen.
Gehen wir an..dieser Stelle der Einfachheit halber schon davon aus, das Ergebnis
wäre negativ und die Hypothese abgelehnt. (Ebd., 2012, S. 235-236).Aber
was für Möglichkeiten bleiben dann noch, den Hauptgenlocus der. Intelligenzunterschiede
zu finden? Es gibt inzwischen schon bessere Methoden als die riesigen Assoziationsstudien.
Die Genorte seltener IQ-Minderungen, die ohne äußere körperliche
Zeichen einhergehen, sucht man gezielt, indem man in den Chromosomen naher Verwandter,
welche die gleiche IQ-Minderung aufweisen, durch Hybridisierung die homologen
Abschnitte sucht. In einem der homologen Abschnitte liegt dann das gesuchte Gen,
das die 10-Minderung verursacht. »Autozygosity mapping and microarray RNA
expression« und »Homozygosity array mapping« nennen sich diese
aufwendigen Methoden. In hochintelligenten Familien sind sie aber noch nie angewendet
worden, obwohl es derartige Familien tausendfach häufiger gibt als die sehr
seltenen autosomalen Syndrome mit 10-Minderungen, die man mit großem Aufwand
in entfernten Ländern sucht. (Ebd., 2012, S. 236).In
einem Sachbuch, das für einen breiten Leserkreis bestimmt ist, kann man über
komplizierte Sachverhalte nicht in perfekter Fachterminologie schreiben. Noch
dazu soll dieses Buch Aussagen enthalten, die nicht für den nächsten
Tag und das nächste Jahr Gültigkeit haben, sondern länger. Was
ich dem eher an allgemeinen Aussagen interessierten Leser vermitteln will, ist,
daß er die heute in den Massenmedien und auch im größten Teil
der Fachzeitschriften vertretenen Ansichten nicht für bare Münze nehmen
soll: Intelligenzunterschiede seien vorwiegend umweltverursacht, und wenn Gene
Einfluß haben, dann sehr, sehr viele Gene mit jeweils nur geringen Wirkungen.
Das ist die politisch korrekte Meinung, mit der Sie heutzutage nicht anecken können.
Stellen Sie das insgeheim in Frage! (Ebd., 2012, S. 236).Zu
einem vollen Verständnis bei der Genetik der Schizophrenie, der Dyslexie,
der Aufmerksamkeitsstörungen (ADHD), von Alzheimer und einer großen
Zahl neurodegenerativer Erkrankungen wird man nur gelangen können, wenn man
die Intelligenzunterschiede, den IQ und seinen genetischen Hintergrund als eine
wichtige Störvariable mit in die Untersuchungen einbezieht. Erst in den letzten
Jahren ist die Micro-RNA als ein Regulationsfaktor der Genexpression entdeckt
worden, und man ist auf die Rolle aufmerksam geworden, die Micro-RNA bei verschiedenen
neurodegenerativen Erkrankungen spielt. Micro-RNA könnte also auch für
die normale Variabilität eine wichtige Rolle spielen. Micro-RNA bindet an
die 3UTR- Regionen der Boten-RNA, und die Micro-RNA-Gene liegen in anderen
Regionen, als in denen, die oben zu der C2orf16-Hypothese geführt haben.
Doch gibt es über Micro-RNA-Gene und ihre Populationshäufigkeiten in
den Datenbanken derzeit noch keine verläßlichen Angaben. (Ebd.,
2012, S. 236).Eine Spur, die ich 30 Jahre lang verfolgt habe, ist
die zwischen Autooxidantien und dem IQ, insbesondere zwischen dem Glutathion-Redox-Status
und dem IQ. Immer wieder gab und gibt es Hinweise auf einen solchen Zusammenhang,
aber ein durchschlagender Erfolg blieb bisher allen Forschern versagt, die sich
damit befaßt haben. Bei mehreren Krankheiten, die mit starken IQ-Minderungen
verbunden sind, ist bekannt, daß das verursachende Gen nicht nur in einer
Kopie, sondern in zahlreichen Kopien vorliegen kann. Da diese Kopien unterschiedliche
Genotypen aufweisen können, kommt es im Phänotyp zu einer Kombination
von quantitativer und qualitativer Vererbung, da ein die Minderleistung verursachendes
Gen in mehrfacher Ausfertigung vorkommen kann und der Grad der Minderleistung
von der Zahl der verursachenden Genkopien abhängt. Da es sehr gut vorstellbar
ist, daß diese Art der genetischen Variabilität auch in der Genetik
des normalen IQ eine wichtige Rolle spielt, konzentrieren sich die Hoffnungen
gegenwärtig auf die weitere Erforschung dieser »Copy number variations«
(CPV), wozu auch größere Unregelmäßigkeiten des Codes gehören,
die sich bisher eben gerade deshalb einer genauen Sequenzierung entzogen haben.
Selbst die Gene Glutathionperoxidase 1 (GP) und das Gen GCLC, welches das den
Glutathionstatus schrittbegrenzende Enzym Glutamatcysteinligase kodiert, weisen
genetische Polymorphismen auf (repeat polymorphisms) in Regionen (3UTR and
5'UTR), an die Micro-RNA bevorzugt binden kann. Wer aber nun hofft, daß
derartige starke Hinweise dazu führen, daß sich Forscher darauf stürzen
würden, mögliche Zusammenhänge aufzuklären oder als unbegründet
zurückzuweisen, der wird enttäuscht werden. Sobald ein möglicher
Zusammenhang mit der Genetik des normalen IQ zu ahnen ist, was ja letztlich immer
auch auf Ergebnisse mit Rassenunterschieden - man spricht aber stets nur von Populationsunterschieden
- hinausläuft, läßt man die Finger davon. (Ebd., 2012, S.
236-237).Die Wissenschaft ist frei. Noch steht es so in der Verfassung
vieler Staaten. Es deutet sich aber an, daß durch Internationales Recht
die Feststellung und Verwendung von wissenschaftlichen Einsichten über genetische
Intelligenzunterschiede verboten werden wird: »Auf verfassungs- und völkerrechtlicher
Ebene ist der allgemeine Gleichheitssatz gewährleistet: Alle Menschen sind
vor dem Gesetz gleich. Untrennbar mit dem Grundgedanken dieses allgemeinen Gleichheitssatzes
verbunden sind die Verbote, Menschen aufgrund bestimmter Eigenschaften zu diskriminieren.
Das gilt grundsätzlich auch für genetische Merkmale. Im Gegensatz zum
Verfassungsrecht untersagen insbesondere die jüngeren Diskriminierungsverbote
auf europäischer und völkerrechtlicher Ebene ausdrücklich die Benachteiligung
von Menschen aufgrund ihrer genetischen Dispositionen.« (Jens Kersten,
Das Klonenn von Menschen - eine verfassungs-, europa und völkerrechtliche
Kritik, 2004, S. 535). Setzt sich das durch, dann wird jeder Psychogenetiker
zum Kriminellen, so wie das schon einmal unter Stalin im Ostblock der Fall war.
Und das laut Kersten (ebd., 2004) nach der Charta der Grundrechte der Europäischen
Union, der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten,
der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen, dem
Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, der Allgemeinen
Erklärung über das menschliche Genom und Menschenrechte der UNESCO sowie
der Biomedizin-Konvention (Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und
der Menschenwürde in Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin).
Wenn heute noch jemand wegen sehr guter Leistungen das Stipendium einer Stiftung
erhält, die Forschung aber feststellen würde, er besäße auch
leistungsfördernde Gene, dann könnte man das als Verstoß gegen
das Diskriminierungsverbot und damit den Gleichheitssatz auslegen und sich letztlich
gegen jede Auslese in den Schulen wenden. Wissenschaft und Vernunft würden
damit - wie die gesamte Gesellschaft auch - dem herrschenden Gleichheitsgrundsatz
unterworfen. (Ebd., 2012, S. 237).Seitdem ich an einem Novemberabend
1970 die Mendelschen Spaltungsverhältnisse in den Familien der Hochbegabten
und ihrer Verwandten nachweisen konnte, mußte ich als Genetiker an die Existenz
des verursachenden Gens glauben. An einen direkten Nachweis mit molekulargenetischen
Methoden war damals jedoch nicht zu denken. Diese Möglichkeit reifte erst
in den letzten 20 Jahren. Ich lebte damals in der DDR in einer Gesellschaft mit
einer offiziell egalitären Ideologie. Ich war der Überzeugung, daß
meine Forschungsergebnisse zum Abbau ideologischer Vorurteile und zum Entstehen
einer vernünftigeren Welt beitragen würden. Bis etwa 1992 sah ich keinen
Grund, an dieser Hoffnung zu zweifeln. Im Gegenteil, um diese Zeit verstärkte
sich die Hoffnung noch durch die Aussicht, das Gen wirklich zu entdecken. Ich
hoffte, diese Entdeckung würde auch politische Folgen haben und zu vernünftigen
Entscheidungen beitragen. Die Entdeckung ist bisher ausgeblieben, die Hoffnung
verflogen. (Ebd., 2012, S. 237).Sollte die Entdeckung in
den allernächsten Jahren gelingen, dann käme sie zu spät. Denn
Folgen für die Bildungs- und Familienpolitik, wenn sie überhaupt durchsetzbar
wären, brauchten Jahrzehnte, ehe sie wirksam würden. In den allernächsten
Jahrzehnten entscheidet sich aber bereits das energetische Schicksal der Industriegesellschaft.
Ob man viel oder wenig über die Genetik der Intelligenzunterschiede weiß,
das wird auf dieses Schicksal keinen nennenswerten Einfluß mehr ausüben.
Überdies wird die demokratische Massengesellschaft inzwischen durch eine
Ideologie beherrscht, die es gar nicht mehr zuläßt, die mögliche
Tragweite einer derartigen Entdeckung zu erfassen. Sie wird ihre Bedeutung erst
in der neuen unbekannten Welt nach der Industriegesellschaft erlangen -falls es
dann noch oder wieder jemanden geben sollte, der mit den wissenschaftlichen Ergebnissen
der Zeit, die für ihn die Vorzeit sein wird, etwas anfangen kann. (Ebd.,
2012, S. 238).Sollte der M1/M2-Hauptgenlocus der Intelligenz entdeckt
werden, könnte es danach nur wenige Jahre brauchen, bis auch andere kühne
Träume und Vorstellungen möglich werden. An dem sozialen Gefüge
dieser Welt würde sich aber dadurch erst einmal nichts ändern, nur könnte
man es besser begreifen. Es gibt heute mächtige politische Interessen, die
dieses Begreifen verhindern oder zumindest verzögern wollen, und die Forscher,
die an so etwas denken, außerhalb jeder sittlichen Ordnung stellen möchten,
auch schon den bloßen Gedanken daran. Deswegen erscheint es viel wahrscheinlicher,
die möglichen Entdecker erkennen selbst gar nicht, was sie gefunden haben.
Und wenn doch, dann werden sie Schwierigkeiten haben, eine Fachzeitschrift zu
finden, die sich an eine Veröffentlichung heranwagt. Es wird bestenfalls
darauf hinauslaufen, die Forschungsziele und Ergebnisse als Beiträge zur
Genetik einer neuen Krankheit zu deklarieren. »Hypermemorabilität«
schlug mir zum Beispiel als Bezeichnung ein Kollege vor, der ein großes
privates Laboratorium für molekulargenetische Diagnostik betreibt, als er
2010 in einem mutigen Moment, nach dem Erscheinen des Sarrazin-Buches, die Stellung
eines Genehmigungsantrags an eine deutsche Ethikkommission ernsthaft erwog. Aber
es war ihm dann doch zu heikel, und er ließ die Finger davon. Denn hätten
wir Erfolg gehabt und wäre der Zusammenhang der »Hypermemorabilität«
mit einem hohen IQ durchschaut worden, dann wären - machen wir uns doch nichts
vor! - dem guten Mann linksradikale Randale und die Forderung auf Schließung
seines großen privaten Labors für molekulargenetische Diagnostik ins
Haus gestanden, also die Existenzvernichtung. So sind die Realitäten.
(Ebd., 2012, S. 238).Um 2004 war es mir in Deutschland noch problemlos
möglich, einfach irgendein geeignetes privates Labor zu beauftragen und zu
bezahlen, um den möglichen Zusammenhang eines genetischen Polymorphismus
(SNP) mit dem Sozialstatus und damit dem IQ zu klären bzw. auszuschließen.
Ende 2010 erzeugte ein solcher Auftrag solche Angst, daß die angesprochenen
Labors schon gar nicht mehr wagten, den Eingang des Auftrags auch nur zu bestätigen.
Die Sonne drehte sich bis Kolumbus um die Erde, solange keiner einen anderen Gedanken
überhaupt fassen konnte; und es wird keine erblichen Intelligenzunterschiede
geben, wenn keiner mehr den Gedanken wagen darf, es gebe welche. (Ebd.,
2012, S. 238).In der Mehrheitsgesellschaft besteht heute eine klare
Tendenz, jeder Abweichung vom IQ-Mittelwert eine Krankheitsbezeichnung zuzuschreiben.
Dyslexie, Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsstörungen und was noch nicht
alles grassieren unter den Schulkindern und ernähren ein wachsendes Heer
von Psychologen und Sozialarbeitern. Millionen leiden heute unter Dyskalkulie,
sogar mit Dyslexie kombiniert. Früher waren das in der Grundschule die weniger
belichteten, aber gesunden Mitschüler. Wenn dem so ist, dann muß auch
Hochbegabung eine Krankheit sein! Auch die hat bei einigen Eltern Seuchencharakter
angenommen. Die psychologischen Beratungsstellen werden von Eltern eingerannt,
deren mäßig geratenene Sprößlinge nicht die erwÜnschten
Zensuren nach Hause bringen. Schuld sind natürlich die Lehrer, die noch nicht
fähig sind, die Krankheit Hochbegabung zu erkennen, die in diesen, keinesfalls
seltenen Fällen als Teilbegabung larviert ist. (Sie sind Lehrer und kannten
den Ausdruck »Iarviert« noch nicht? Dann wird es Zeit, daß sie
ihn kennenlernen, wenn sie weiterhin Kinder pädagogisieren wollen.)
(Ebd., 2012, S. 238-239).Nach 1990 war das Forschungsgebiet Molekulargenetik
der Intelligenz durch Plomin und seine Mitarbeiter besetzt. Er und seine Gruppe
gingen von dem Ansatz aus, es gebe Hunderte von Genen, die einen Einfluß
auf den IQ hätten - was aus bestimmter Sicht ja auch richtig sein mag -,
aber keinen einzigen Genort, der große Wirkungen zeigt. Daraus ergibt sich
zwangsläufig die Dominanz der Umweltwirkungen. Demzufolge wurde Plomin landauf
und land ab von Personen und Personenkreisen hofiert und zu Vorträgen eingeladen,
denen sehr daran gelegen ist, die biologische Gleichheit aller Menschen zu betonen
und die Bedeutung erblicher unterschiede herunterzuspielen. Der Gruppe Plomin
wurden viele Jahre Forschungsmittel dafür bewilligt, möglichst nichts
von Bedeutung zu finden, so könnte ein Kommentar lauten. Die Erwartungen
der Geldgeber sind bis heute erfüllt worden. Ich habe selbst erlebt, wie
auf internationalem Parkett Anträge auf Forschungsmittel mit der Begründung
abgelehnt wurden, Plomin mache das schon und werde bald Erfolg haben. (Ebd.,
2012, S. 239).An Erkenntnissen über die Genetik des IQ wird
diese Welt nicht genesen. Wenn solche Erkenntnisse einmal Bedeutung erlangen,
dann in einer anderen Welt nach dem Großen Chaos, in dem neuen Zyklus, der
auf den Untergang der Industriegesellschaft folgen wird. (Ebd., 2012, S.
239).
Die Unterschiede in der Kurzspeicherkapazität als
eigentliche Basisgröße des IQ.Eine Theorie der Intelligenz
muß keine strukturelle sein. Die Betonung kann auf einem Prozeß anstatt
auf einer Struktur liegen. Mit anderen Worten: Man könnte herausfinden, was
eine Person tut, wenn sie ihre Intelligenz anwendet und nicht bei der Überlegung
stehenbleiben, auf welchen einzelnen Antrieben die Denkkraft beruht. Jean Piaget
(1896-1980), der große schweizerische Psychologe, begann seine Laufbahn
mit der Aufgabenstellung, die IQ-Tests des Engländers Cyril Burt für
Pariser Kinder anzupassen. Piaget war bald weniger daran interessiert, wie gut
die Kinder abschnitten, sondern mehr daran, welche Art von Fehlern sie machten.
Die Fehler würden die ablaufenden Denkvorgänge bloßlegen, glaubte
Piaget. Es waren diese Vorgänge, die ihn während seiner langen und glänzenden
Karriere faszinierten und die ihn später zu seiner Theorie der geistigen
Entwicklung gelangen ließen. (Ebd., 2012, S. 239).Im
deutschen Sprachraum ist in den letzten Jahrzehnten eine Arbeitsrichtung entstanden,
die sich Informationspsychologie nennt (und im englischen Sprachraum als »Erlanger
Schule«, vgl. Hans Jürgen Eysenck, Die biologischen Grundlagen der
Intelligenz und Persönlichkeit, 1985, bezeichnet wird) und auf deren
Beweisgründe wir im folgenden ausführlicher eingehen werden. Diese Informationspsychologie
verbindet den informationstheoretischen Ansatz nicht nur mit der Vorstellung einer
Allgemeinen Denkkraft im Spearmanschen Sinne, sondern auch mit dem Ansatz der
Entwicklungspsychologie von Piaget. (Ebd., 2012, S. 239-240).Weil
es wichtig ist, betonen wir es noch einmal: Intelligenzmaße haben mit einer
bestimmten Zuverlässigkeit einen statistischen Zusammenhang mit wichtigen
sozialen Erscheinungen, doch haben sie nur einen begrenzten Aussagewert, wenn
es um eine ganz bestimmte Person geht. Man muß die Leser immer wieder darauf
aufmerksam machen, wie wenig der IQ darüber aussagt, ob die Menschen, um
die es geht, von ihren Mitmenschen bewundert und geliebt werden. Der IQ ist im
Leben zweifellos wichtig, aber er ist keinesfalls ein Ausdruck für den Grad
menschlicher Vortrefflichkeit. Die gesamte Persönlichkeit ist mehr als ihre
Intelligenz, ihr IQ. (Ebd., 2012, S. 240).Die zentrale Bedeutung
des unmittelbaren Behaltens, das oft Gedächtnisspanne genannt wird, ahnen
die Psychologen seit mehr als hundert Jahren. Spricht man einem Erwachsenen eine
Reihe von einsilbigen Wörtern vor, also etwa »Pferd«, »Hund«,
»Kuh«, »Schaf« u.s.w. - jedes Wort nur einmal und etwa
im Abstand von einer Sekunde -, und fordert die Versuchsperson auf, die Wörter
zu wiederholen, dann stellt sich heraus, daß sich ein Erwachsener im Durchschnitt
in der Regel sieben Wörter merken kann, höchstens aber neun, bei einem
niedrigen IQ hingegen nur fünf. Das Ergebnis läßt sich immer wieder
bestätigen, zum Beispiel beim Nachsprechen von einfachen Zufallszahlen. Eine
erfahrene Testperson kann allerdings durch das Merken von Zahlengruppen bessere
Ergebnisse erreichen. Sehen wir aber von solchen Tricks ab und auch davon, daß
eine einzelne Person ihren Spitzenwert nicht immer, sondern nur bei einem Prozentsatz
der Tests erreicht, dann ist der Zusammenhang ein beständiger. (Ebd.,
2012, S. 240).Diese Gedächtnisspanne ist bei kleinen Kindern
klein, sie umfasst nur zwei oder drei Wörter und wächst dann bei intelligenten
Kindern etwa alle zwei Jahre um ein Wort an. Es war der Psychologe Piaget, der
die Bedeutung der Gedächtnisspanne erkannte und die Theorie aufstellte, das
Ausreifen des Denkens bei Kindern hänge mit dem Wachsen der Gedächtnisspanne
ursächlich zusammen. So groß wie die Gedächtnisspanne ist, so
viele Elemente kann ein Kind gleichzeitig miteinander vergleichen oder in irgendeine
logische Beziehung zueinander setzen. Je größer die Gedächtnisspanne
ist, desto kompliziertere Denkvorgänge werden möglich. Und was für
Kinder gilt, gilt auch für Erwachsene. Hochintelligente Kinder haben schon
bei Beginn der Schule eine Gedächtnisspanne von fünf; eine Menge also,
die weniger intelligente Menschen auch als Erwachsene nicht übertreffen.
Die Denkmöglichkeiten lassen sich aber nicht nur durch Tricks, sondern auch
durch systematisches Lernen und Üben über die einfache Gedächtnisspanne
hinaus erweitern. Wiederholt man die einsilbigen Wörter »Pferd«,
»Kuh«, »Schaf« u.s.w., dann kann sich die Testperson rasch
einen Bauernhof vorstellen, in den sich die Tiere einordnen und mit dieser bildlichen
Vorstellung lassen sich dann die Einzelelemente lückenlos wieder abrufen
und die Spanne scheinbar erweitern. Auf der Bildung solcher durch Übung verbundenen
Zusammenhänge, die sich dann im Gedächtnis nkht mehr wie verschiedene
Elemente, sondern nur als ein einziges darstellen, beruhen offensichtlich alle
höheren Denkvorgänge. Der Mathematiker ist, wie jeder andere Berufsausübende
mit hohem theoretischem Gehalt, in der Lage, hochkomplizierte Denkoperationen
zu vollziehen und zu verstehen, weil für ihn mehrere einfachere Elemente
so zu einer neuen Einheit verschmolzen sind, daß er sie als logische Ketten
so handhaben kann, wie ein Kind einsilbige Wörter. Auch der Autofahrer oder
der Jäger hat für überraschende Situationen aufgrund seiner Erfahrungen
schon eine Reaktion automatisiert, die sein Denken nicht voll besetzt, sondern
noch Entscheidungsraum läßt. Jeder hat einmal Autofahren gelernt und
kennt die Situation, wo diese Automatisierung noch nicht eingetreten ist und jeder
Schritt bewußt nachvollzogen werden muß - mit der sich ergebenden
Gefahr der chaosreaktion in einer plötzlichen Gefahrensituation. Dem Soldaten
ergeht es beim ersten Kampfeinsatz nicht viel besser. Mit einem Wort: Der Zusammenhang
von Gedächtnisspanne und Effektivität der Denkvorgänge ist von
grundlegender Bedeutung. (Ebd., 2012, S. 240-241).Bei der
Entwicklung der Nachrichtentechnik stellte sich heraus, daß eine Größe,
die Kanalkapazität, von entscheidender Bedeutung ist. Bei der Nachrichtentechnik,
aber auch vom Computer her, ist uns das Bit als das Maß für den Informationsgehalt
bekannt. Eine einfache Alternative zwischen zwei Möglichkeiten, a oder b,
hat nach der Definition den Informationsgehalt von 1 Bit. In den 1950er Jahren
machte man dann von der gedanklichen Möglichkeit Gebrauch, von einer Analogie
zwischen menschlicher und technischer Nachrichtenverarbeitung auszugehen. Der
Physiker Helmar Frank (der dazu 1962 sein erstes Buch vorlegte) hatte in den 1950er
Jahren die Aufgabe, über das Problem nachzudenken, wieviel Information ein
Mensch bei einer komplexen Kunstdarbietung, etwa bei einem Bühnenbild, überhaupt
aufnehmen und gedanklich verarbeiten kann und wieviel einfach vorbeirauscht. Frank
hatte dabei den Einfall, die Durchlaßfähigkeit unseres Verstandes,
aber auch seine Lernfähigkeit, als eine Art Kanalkapazität zu begreifen,
und er definierte die Speicherkapazität C des Kurzzeitgedächtnisses
(gemessen in Bit) als das Produkt aus der Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit
S (in Bit pro Sekunde) und der Gedächtnisspanne D (in Sekunden), also:C
(Bit) = S (Bit/Sek) x D (Sek) | Zur
Veranschaulichung der Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit genügt ein
einfacher Selbstversuch:»Wie
setzt man die Reihenfolge fort? | 3
4 6 9 13 18 24 ... |
Was geht in einem vor? Erst muß man die Zahlen erfassen. Wegen der
begrenzten Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit nimmt dieser Vorgang
Zeit in der Größenordnung von Hundertselsekunden in Anspruch.
Dann sind zwei benachbarte Zahlen im Kopf zu behalten, und es ist die
Differenz zwischen ihnen festzustellen. Anschließend muß man
die nächste Zahl wahrnehmen, die Differenz zur vorigen bilden und
mit der vorher ermittelten Differenz vergleichen. Alle diese Vorgänge
kosten Zeit. Umgangssprachlich ausgedrückt hat der Wenig-Intelligente
»eine lange Leitung«. Der Zeitverbrauch addiert sich rasch
zu Sekunden. Falls diese Vorgänge schließlich die zeitliche
Grenze der Gedächtnisspanne, die allgemein bei etwa 5 Sekunden liegt,
überschreiten, verfügt man nicht mehr bewußt über
alle Zahlen. Ein Teil ist entfallen. Man muß von vorn anfangen.
Wird die Kapazität des Kurzspeichers überschritten, können
die einzelnen Elemente nicht richtig aufgenommen bzw. festgehalten werden.
Die Kapazität des Kurzspeichers ist also ein Maß der Geistesgegenwart.
Ausgeprägte Allgemeine Denkkraft setzt somit hohe Geistesgegenwart
voraus. (Ebd., 2012, S. 241).
|
 | | Diese
Abbildung stammt nicht von Weiss, sondern von mir; HB. |
In
der Formel der Kurzspeicherkapazität C des Arbeitsgedächtnisses finden
wir deshalb die Gedächtnisspanne D wieder - deren grundlegende Bedeutung
uns wohlbekannt ist und für deren Testen es verschiedene Varianten gibt (Wiedergabe
der Zahlenfolgen vorwärts oder rückwärts oder aus einer fortlaufenden
Zahlreihe heraus) - und die Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit S des Gehirns.
Während der IQ eine Größe ist, die auf den Mittelwert einer bestimmten
Bevölkerung bezogen ist, ist C eine absolute physikalische Größe
und damit dem IQ als Maß eigentlich weit überlegen. Die IQ-Definition
ist aber rund ein halbes Jahrhundert älter und bei Vergleichen innerhalb
von Bevölkerungen anschaulich und bewährt; C hingegen ermöglicht
Berechnungen des Energieverbrauchs beim Denken und auch die Vorhersage, daß
auf der absoluten Skala der Kanalkapazität des Kurzzeitgedächtnisses
ganzzahlige Relationen zwischen den Genotypen bestehen sollten. Die Druckerschwärze
für diese Prognose war 1982 noch nicht richtig trocken, da konnte sie von
Frank und Lehrl auch schon bestätigt werden. Nach Frank und Lehrl beträgt
der Mittelwert für M1M1 140 Bit, für M2M2 70 Bit, d.h. der Beitrag eines
einzelnen Allels M1 ist 70 Bit, eines M2 35 Bit. (Die Heterozygoten M1M2 haben
folglich einen Kurzzeitspeicher von 70 Bit + 35 Bit = 105 Bit.) (Ebd., 2012,
S. 241-242).Dabei läßt sich die Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit
S zum Beispiel als Lesegeschwindigkeit oder als Wahlreaktionszeit einfacher Handlungsalternativen
meßbar machen. Lehrl und Mitarbeiter gaben einen Kurztest
der Allgemeinen Intelligenz (KAI) heraus, bei dem die Lesegeschwindigkeit auf
einfache Weise gemessen wird, indem die Testpersonen aufgefordert werden, einfache
Zufallsfolgen von Buchstaben, zum Beispiel »u n r z t r f e« ... mit
größtmöglicher Geschwindigkeit zu lesen. Die Lesegeschwindigkeit
- also das, was bereits Peters (1915) mit allgemeiner Auffassungsgeschwindigkeit
erfaßt hat -, ist in unseren Kulturen von einer so grundlegenden Bedeutung,
daß die Zusammenhänge mit praktischen Anforderungen in Schule und Arbeitswelt
für jedermann offenkundig sind. Es ist eines der bemerkenswerten Ergebnisse
der Informationspsychologie, wie sich diese von Frank angeregte Denkschule nennt,
daß festgestellt werden konnte: Die Beziehung der Kurzspeicherkapazität
des Arbeitsgedächtnisses zum IQ besteht unabhängig von der Art der Sinnesorganes,
d. h. unabhängig davon, ob die Information mit Augen oder Ohren aufgenommen
wird. Auch bei Blinden, die die Blindenschrift mit ihrem Tastsinn lesen, lassen
sich die Zusammenhänge zum IQ auf diese Weise messen. Der hochintelligente
Blinde liest, d. h. tastet und verarbeitet die Information doppelt oder dreimal
so schnell wie ein wenig intelligenter Blinder. Der Test für die andere Basisgröße,
die Gedächtnisspanne, ist im Kurztest für Allgemeine Intelligenz (KAI)
das Verfahren, was uns seit fast 100 Jahren als Teiltest aus vielen IQ- Tests
bekannt ist. (Ebd., 2012, S. 242).Auf diese theoretisch und
empirisch sehr gut begründete Ausweitung folgten dann eine ganze Serie von
Arbeiten, in denen Beziehungen der Kurzspeicherkapazität vor allem zur Energie-Spektraldichte
des EEG bei evozierten Potentialen und zum Energiestoffwechsel des Gehirns gezeigt
werden konnten. Sie folgen den Gesetzen der Statistischen Mechanik und sind deshalb
unter Fachleuten, welche die für das Verständnis notwendige fachübergreifende
Bildung haben, als »Quantenmechanik der Intelligenz« bekannt. Diese
Arbeiten dürften einmal für die Konstruktion einer neuen Computergeneration
Bedeutung erlangen. (Ebd., 2012, S. 242).Wenn
man das und den folgenden Abschnitt verstehen will, so muß man über
ein sehr spezielles fachwissen verfugen. Wer möchte, kann deshalb diesen
Abschnitt auch überschlagen und auf S. 247 weiterlesen. Um etwas Spannung
in die Sache zu bringen, werde ich jetzt auf sehr persönliche Weise den Weg
schildern, durch den eine ganze Kette von Zusammenhängen entdeckt worden
ist.Gene kann man auch
als Steueranweisungen für Energiequanten verstehen, die im Stoffwechsel wirksam
werden. Es war deshalb schon ein Ereignis, als Frank und Lehrl 1982 meine Hypothese
bestätigten, daß sich zwischen den Mittelwerten der lntelligenzleistungstypen
ganzzahlige Beziehungen zeigen, wenn man die kognitive Leistungsfähigkeit
nicht mit dem lQ mißt, sondern mit einem physikalischen Maß der geistigen
Energie, so wie sie die Franksche Formel
der Kurzspeicherkapazität darstellt. (Ebd., 2012, S. 242-243).ln
dieser Formel der Kurzspeicherkapazität ist die Gedächtnisspanne ein
unentbehrlicher Bestandteil. 1983 begann ich zu fragen: Was ist diese Gedächtnisspanne
eigentlich? Warum ist sie begrenzt? Wer so fragt, wird auf das schon erwähnte
Werk des Entwicklungspsychologen Jean Piaget stoßen, der 1958 in seinem
Buch »Das Wachsen des logischen Denkens von der Kindheit bis zur Pubertät«
das Wachsen der Gedächtnisspanne als Grundtage der geistigen Reifung der
Kinder begriff. Plagets Schüler, die Neo-Piagetlaner, haben versucht, die
Theorie ihres Meisters durch Experimente zu bestätigen und auszubauen. Zu
diesen Schülern gehörte als Doktorand auch Juan Pascual-Leone. Er deutete
die Gedächtnisspanne im physikalischen Sinne als Energiequanten und konnte
bei Experimenten mit Kindern nachweisen, daß die Ergebnisse sich durch die
Bose-Einstein-Statistik beschreiben lassen. Mit dieser Statistik war ich erneut
bei der Physik angelangt. (Ebd., 2012, S. 243).Nun
fehlte mir aber 1984 die weiterführende Bildung, mit der ich diese Statistik
hätte verstehen können. Ein weiterer Zusammenhang, der um diese Zeit
meine besondere Aufmerksamkeit fand, war der zwischen lntelligenztestergebnissen
und Geschwindigkeitsabläufen in den Wellen des Elektroenzephalogramms, des
EEGs also. Die Zusammenhänge waren keinesfalls so eindeutig, wie man sich
das gewünscht hätte, aber doch von einer ganzen Reihe Forscher gefunden
und bestätigt worden. Das EEG besteht aus Wellen, und Wellen und Quanten
sind Grundbegrijfe der Physik. lch begann, mich mit Wellenlehre und Quantentheorie
zu befassen. Zwei Jahre lang wurde ich Stammleser in der Bibliothek des lnstituts
für Physik der Universität Leipzig, wo ich die Bücher auch ausleihen
konnte. lch hatte Probleme, über die aktuellen Lehrbücher zu einem Verständnis
zu gelangen. Mit einem historischen Herangehen kam ich dann weiter. lch las in
der Universitätsbibliothek die Arbeiten der Gelehrten, die als erste nach
dem Warum von Wellen, Resonanzen und Quanten gefragt und.Antworten gefunden hatten.
Sie mußten nämlich damals ihren Zeitgenossen - nichtsahnend wle lch
- genau das ausführllch erklären, was heute bel einem Physlkstudenten
rasch als bekannt vorausgesetzt wird. So las ich in den Originalen von Planck,
Einstein, Maxwell, Fourier, Bernoulli und anderen, auch Grundlegendes über
Nachrichtentheorie und notwendige Spezialgebiete der Mathematik. Vor allem aber
die didaktisch geschickten Bücher von Feynman haben mir sehr geholfen.
(Ebd., 2012, S. 243).Gezielt
habe ich nach einem Maß gesucht, einer Formel, mit der sich die Bose-Einstein-Statistik
Ergebnisse von Pascual-Leone in Bit ausdrücken ließen. lch vermutete,
daß dieser Wert dann mit den Ergebnissen von Lehrl vergleichbar sein müSse.
Am Abend des zweiten Weihnachtsfeiertags 1985 war es soweit: lch hatte die Formel
und berechnete die Äquivalenz der Ergebnisse von Pascual-Leone und Lehrl.
Um diese Zeit kannte ich auch die Ergebnisse von W. T. Liberson (1904-1994), der
seit 1936 die Meinung vertrat, daß die EEG-Wellen das Vielfache einer Grundfrequenz
um 3,3 Hz seien. Als ich das las, fragte ich, wie viele Vielfache denn Liberson
annimmt? Und siehe da: neun! Das aber ist doch das Maximum der Gedächtnisspanne!
(Ebd., S. 243). |
 |
Ich
schrieb nun die mir bekannten Zusammenhänge auf ein einfaches Blatt Papier
.... ln Wahrheit standen auf
meinem Papier nur vier Spalten nebeneinander, nämlich die empirischen Daten
von Liberson (1985) und Lehrl et al. (natürlich aus einer Auflage des Tests
vor 1991), also die Spalten a, b, d und f (siehe Tabelle **).
Am seIben Abend im Februar 1986 fuhr ich nach Karl-Marx-Stadt (heute wieder Chemnitz),
nahm den Zettel mit, zeigte ihn meinem Vater und diskutierte mit ihm die merkwürdige
Parallelität der Spalten b (bei Liberson) und d (bei Lehrl et al.). Was verbarg
sich dahinter? (Ebd., S. 243- 244).Den
nächsten Tag brach ich sehr früh auf, schnallte im Erzgebirge meine
Langlauf-Skier an und war den ganzen Tag unterwegs. Am Abend stieg ich, körperlich
völlig erschöpft, in Hartenstein in den Eisenbahnzug nach Leipzig. Es
war schön warm, der Zug ratterte, und ich war am Einschlafen. lch erinnerte
mich noch irgendwie an die Diskussion am Vorabend, und blitzartig stand die Lösung
vor meinen Augen. Wenn die Gedächtnisspanne die Quntenzahl war, dann mußte
man nach der Planckschen
Formel diese Zahl mit der Frequenz einfach multiplizieren und kam dann auf
die Energiedichte! lch zog den Zettel aus der Tasche und sah, daß die Rechnung
aufging und die Produkte c und e ähnlich f waren. Man mußte ja bei
Liberson und Lehrl et al. mit einigen Meßfehlern rechnen. Die Gedächtnisspanne
ist somit das Wirkungsquantum des Gedächtnisses, des Denkens und der lntelligenz!
Da nach dem Landauer-Prinzip für die Messung von 1 Bit die Energiemenge kT
ln2 erforderlich ist, ist die physikalische Maßeinheit für die Spalten
c, e, ,f und g identisch. (Ebd., 2012, S. 244-245).Die
ersten beiden Versionen meiner ,»Quantenmechanik der lntelligenz«
wurden von Helmar Frank (von Hause aus Physiker) und Hans Jürgen Eysenck
gedruckt. Eysenck schickte ich mein Manuskript auf Durchschlagpapier direkt zu,
aber über mehrere Tage auf mehrere Briefe verteilt, wobei kein Brief das
Gewicht eines emfachen Briefes von 20 g überschrltten hat. Damit unterlief
ich die Postkontrolle. Für die Weitersendung des Begleitschreibens und des
Titelblatts sorgte damals Siegfried Lehrl aus Erlangen. Auslandsveröffentlichungen
waren mlr streng untersagt. Aber ich hielt die Sache furwichtig genug, mich über
das Verbot hinwegzusetzen. Eysenck hatte ein Gespür dafür, daß
ihm eine nicht alltägliche Arbeit auf den Tisch gekommen war. Er kannte die
Verhältnisse im Ostblock hinter der Mauer; und bei ihm konnte ich mir sicher
sein, daß er nicht durch Rückfragen oder gar durch die Zusendung der
Korrekturen an meine Prlvatadresse die Aufmerksamkeit der Staatssicherheit auf
mich ziehen würde. Eysenck versah meinen Beitrag mit einem Einführungstext,
in dem er mitteilte, einer derpositiven Gutachter sei ein Nobelpreisträger
fur Physlk gewesen. (Ebd., 2012, S. 245).ln
den Folgejahren bis 1995 brachte ich noch einige Ergänzungen diese»Quauantenmechanik
der lntelligenz« in einschlägigen Fachzeitschriften unter; aber der
Widerhall in der Fachwelt blieb geing. Daß diese erste Veröffentlichungsserie
noch einen schwerwiegenden Denkfehler enthielt, war dafür nicht der Hauptgrund.
lch war der Auffassung, daß den Vielfachen der EEG-Frequenzen eine Naturkonstante
zugrundeliegen müsse. Was lag näher als die Kreiszahl Pi (3,14...),
die auch bei jeder Welle eine Rolle spielt? Die Meßfehler, mlt denen die
Zahlen von Liberson und Lehrl et al. nun einmal behaftet sind, ließen und
lassen eine exakte Bestimmung der Konstanten allein aus empirischen Daten nicht
zu. Die Bestimmung muß ebenso durch theoretische Elnsicht vorangebracht
werden. (Ebd., 2012, S. 245).Ab
1990 hatte ich beruflich andere Aufgaben, die oft den ganzen Mann forderten. Das
Bewußtsein blieb, mit der »Quantenmechanik der lntelllgenz«
ein Tor aufgestoßen zu haben, ohne inhaltlich weiterzukommen. lnzwischen
hatte unser Sohn Harald Elektrotechnik studiert, arbeitete in der angewandten
Forschung und Entwicklung bei einer Weltfirma und besaß das mathematisch-physikalische
Rüstzeug über Wellen, Kodierungstheorie und lnformationsverarbeitung,
das mir 1983 völlig gefehlt hatte. Er war zu der Auffassung gelangt, sein
Vater sei kein Spinner. Und beide waren wir der Hoffnung: Wenn es gelänge,
zu einem tieferen Verständnis des Warum zu gelangen, müßte der
Schlüssel zum Kodierungsprinzip des Gehirns zu finden sein. (Ebd.,
2012, S. 245).lch
erinnere mlch an viele Gespräche mit Harald: Es ist doch erstaunllch, wie
eine Fliege mlt ihrem winzigen Gehirn sich blitzschnell orientieren und reagieren
kann, sagte er, wie ein Fuchs sich zurechtfindet, wie in unserem Gehirn bei zehntausenden
Begriffen und Bildern eine richtige Erlnnerung im Millisekundenbereich anklingt!
Es muß eine fundamentale Gemeinsamkeit aller Gehlrne geben, die diese blitzschnelle
Arbeitsweise erlaubt, die an Effektivität allen unseren Computern derzeit
noch weit, welt überlegen ist. (Ebd., 2012, S. 245).Ende
2001 machte ich Harald auf die Bücher von Peter Plichta aufmerksam. Ein deutscher
Chemiker, der für viele nicht mehr als ein Verrückter ist, weil er zu
völlig unkonventionellen Annahmen und Theorien über die Zahlen und das
Wesen von Zeit, Raum und Energie gelangt ist. Ein ererbtes Vermögen hat es
ihm gestattet, sich in seinem Leben über die üblichen Spielregeln des
wissenschaftlichen Veröffentlichens hinwegzusetzen und seine Kritiker zu
verhöhnen. Nur sehr wenigen dürfte deshalb aufgefallen sein, daß
zum Beispiel der Südafrikaner Prof Jan C. A. Boeyens Plichtas ldeen aufgegriffen
und in der Theoretischen Chemie zu einem seriösen Gedankengebäude weiterentwickelt
hat. Für Harald und mich wurde Plichta zum Eisbrecher. (Ebd., 2012,
S. 245).Es
begann eine zweijährige Suche nach dem Kodierungsprinzip des Gehirns. Was
wir nicht alles lasen und heranzogen! lnzwischen war die Zeit des lnternets angebrochen,
das uns rasch Zugänge, Kontakte und Möglichkeiten eröffnete, an
die früher nie zu denken war. (Ebd., 2012, S. 246).Wenn
ich aufgeben wollte, hatte Harald eine ldee; wenn Harald meinte, wir seien auf
dem Holzweg, glaubte ich, wieder eine Fährte gefunden zu haben, die weiterführte.
Wir sahen uns manchmal nur im Abstand mehrerer Wochen, telefonierten dazwischen,
tauschten Links, E-Mails und Kopien aus. Wir kamen manchmal monatelang nicht richtig
voran, verrannten uns in Sackgassen, mußten aus dem Schutt, mit dem auch
Verrückte und Phantasten das lnternet füllen, den rationalen Kern herausschälen.
(Ebd., 2012, S. 246).So
genau weiß ich nicht mehr, wodurch uns dann im Herbst 2002 der Durchbruch
gelang. Harald pochte auf Primzahlkodierung und hatte voll begriffen: Bei jeder
komplexen lnformationsverarbeitung tritt das Pascalsche Dreieck in Aktion, damit
aber auch die Fibonaccis. Es gab ein paar Bücher, die sich für die Fortschritte
unseres Denkens als besonders wichtig erwiesen .... Tief beeindruckt war ich,
als ich einen Faksimilie-Druck des Formel-Notizbuches von Srinivasa Ramanuyan
(1887-1920) durchblätterte, in der sich eine Welt jenseits jeden alltäglichen
Verständnisses ahnen ließ. (Ebd., 2012, S. 246).Dann
las ich irgendwo im lnternet: Der Resonanzpunkt, der den Eigenwerten und Nulldurchgängen
eines Wellenpakets (Wavelets) entspricht, stimmt nicht mit der Grundfrequenz (also
der ersten Harmonischen) überein, sondern mit der halben Grundfrequenz. Wenn
wir die Grundfrequenz mit 3,236 Hz annehmen (was mit den empirischen Daten vereinbar
ist), dann ist die halbe Frequenz 1,618 Hz. und das ist der Goldene Schnitt F!
(Ebd., 2012, S. 246).Damit
hatten wir ein Tor in eine Welt der Mathematik aufgestoßen, die so wundersam
und letztlich doch einfach ist, daß nur sie die Grundlage der lnformationsverarbeitung
aller Gehirne sein kann. Durch Hinweise fanden wir auch zwei Herausgeber, in Argentinien
und England, die zwei Versionen unseres Textes in Druck gehen ließert.
(Ebd., 2012, S. 246).Den
Leser, der in diesem gesamten Abschnitt nichts verstanden hat, möchte ich
trösten. Wenn es für einen unter 1000 Lesern eine Anregung gewesen ist,
der Sache vielleicht gerlauer nachzugehen, dann haben diese Zeilen ihren Zweck
erfüllt. Als die beiden Veröffentlichungen 2003 erschienen waren, sagte
ich zu Harald, er dürfe sein ganzes Leben nicht darauf hoffen, jemals für
diese Veröffentlichung eine Anerkennung zu bekommen, schon gar keine materielle.
lch rechnete mit einem Zeitraum von rund 50 Jahren, ehe die Arbeit verstanden
und zu technischen Anwendungen führen wird. Desto erfreulicher, daß
es bereits acht Jahre nach Erscheinen der Veröffentlichung erste auf empirische
Daten gestützte Veröffentlichungen Dritter gab, die meinen, daß
Weiss und Weiss (2003) die einzige plausible Deutung der Gehirnwellen enthält.
lch möchte hier auf Zitate und bibliographische Angaben verzichten, da ja
die gesamte Thematik den Rahmen dieses Buches sprengt. Heutzutage weist jede einschlägige
Suchmaschine die Zitierungen aus. (Ebd., 2012, S. 246).Warum
die 50 Jahre Wartezeit? lch hatte nicht umsonst geschrieben, man könne die
Bedeutung von ldeen und Entdeckungen an den Zeiträumen messen, die sie zu
ihrer Anerkennung oder Bestätigung brauchen. Es gibt auf dieser Welt Physiker,
Mathematiker, Neurophysiologen, Genetiker, lnformationstechniker und manches mehr.
Aber jemand, der gleichzeitig auf mehreren Forschungsfronten in den genannten
Disziplinen Spitzenleistungen versteht und miteinander in Beziehung setzen kann,
das gibt es in einer Person nicht. Jeder Spitzenkönner auf zwei oder drei
benachbarten Gebieten muß in mindestens zwei weiteren Gebieten zwei oder
mehrere Jahre zusätzliches selbständiges Lernen investieren, wenn er
unsere Arbeit wirklich verstehen oder gar in Patente umsetzen und weiterentwickeln
will Welcher Professor hat dafür Zeit und Motivation? Keiner. Auch sehr gute
Leute und wir selbst als Verfasser haben nur eine ferne Ahnung, was wir für
ein Tor aufgestoßen haben. Harald allein hätte es nicht geschafft,
ich auch nicht; so kam es zu einem sehr seltenen Zusammenwirken von Vater und
Sohn. Heute werden in der Forschungspraxis hochkomplexe Probleme von multidisziplinär
zusammengesetzten Arbeitsgruppen angegangen. Es ist deshalb kein Wunder, daß
die ersten bestätigenden Veröffentlichungen für unsere Theorie
aus solchen multidisziplinären Gruppen kamen. (Ebd., 2012, S. 246-247).
Die Bedeutung der drei Leistungstypen für Schule
und Gesellschaft.
Wenn es sich bei der Existenz der drei Begabungsstufen
um eine Art naturwissenschaftliche Tatsache handeln sollte, dann dürfte es
dazu führen, auf konservativer Seite das als Rechtfertigung für dreigliedrige
Schulsysteme aufzufassen. Von der Gegenseite wird dann betont werden, teils als
Reaktion auf derartige Meinungen, teils als allgemeines Abblocken, teils aus völliger
Unkenntnis heraus: Vererbung und Anlagen hätten für Schule und Bildungspolitik
überhaupt keine Bedeutung und nur die soziale Umwelt sei entscheidend. Tatsächlich
haben IQ-Differenzen von 10 Punkten, wie sie durch Meßfehler, ungünstige
Verhältnisse in der Umwelt oder eine Krankheit leicht entstehen können,
keine praktische Bedeutung und können vielen möglichen Einflüssen
zugeschrieben werden. Aber für IQ-Differenzen von 40 Punkten, wie zwischen
dem Genotyp M1M1 der Intellektuellen Elite und dem Genotyp M2M2 der breiten Arbeiterschaft,
dafür lassen sich soziale Ursachen allein nicht verantwortlich machen.
(Ebd., 2012, S. 247).Man könnte ein dreigliedriges Schulsystem
vielleicht ohne Vorbehalt verteidigen, wenn unsere Gesellschaft eine Art indische
Kastengesellschaft wäre. Aber gerade auch die indische Kastengesellschaft,
die versucht hat, den Sozialstatus mit der Geburt zu verteilen, ist an zweierlei
Dynamik gescheitert: an der Vererbung selbst und an der modemen Wirtschaft. An
der Vererbung selbst, weil die größte Zahl von Hochbegabten nicht aus
Ehen von Hochbegabten untereinander stammt, sondern aus Ehen des Mittelstandes,
trotz der gegenwärtig ablaufenden Herausbildung einer Intellektuellen Elite.
Man berechne einmal die Heiratskombinationen, zum Beispiel M1M1 x M1M1 und ihre
Häufigkeiten in der Bevölkerung, in diesem Falle 0,05 x 0,05; sie ergeben
nur 0,0025 M1M1-Kinder. Aber M1M2 x M1M2 ist 0,27 x 0,27 = 0,0595. 0,0595 geteilt
durch 4, das ist die Häufigkeit der hochbegabten M1M1-Kinder aus diesen Ehen.
Da es kaum je M1M1 x M2M2 Ehen gibt, stammen die meisten Hochbegabten aus Verbindungen,
in denen entweder Vater oder Mutter M1M1 ist, der Partner M1M2, oder beide M1M2;
abgesehen davon, daß sich Sozialstatus und IQ in der Wirklichkeit nur mehr
oder weniger entsprechen, je nach dem Maßstab, den man an den Status anlegt.
Die jede Vererbung in Abrede stellen wollen, meinen, daß Vererbung einestatische
Wirkung hätte, wodurch die sozialen Unterschiede und die Gesellschaft verfestigt
würden. Im Gegenteil: Die Spaltung der Anlagen gewährleistet in jeder
Generation die Mobilität der folgenden Generation! Weil eben Macht, Besitz,
eigener IQ und der IQ des Ehepartners nur teilweise zusammenpassen. (Ebd.,
2012, S. 247-248).Wenn die Anforderungen der Wirtschaft an Schulbildung
und Ausbildungsdauer immer gleich geblieben wären, hätte sich das Streben
auch der mittleren Leistungsstufe M1M2 nach Gymnasialbildung und Hochschulstudium
abblocken lassen. Wenn aber eine Wirtschaft nicht nur Bedarf an höherqualifizierter
Arbeit hat und wenn die Gesellschaft eine längere Ausbildung für eine
größere Zahl bezahlen kann, dann gibt es in einer freien Gesellschaft
keine Mittel und keinen vernünftigen durchsetzbaren Grund mehr, den Umbruch
aufzuhalten. (Ebd., 2012, S. 248).Für den sozialen Aufstieg
spielen seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bestimmte Aufstiegsfachrichtungen
der Agrar-, Ernährungs- und Ingenieurwissenschaften sowie Lehramtsstudiengänge
eine ähnliche Rolle wie die Plattformberufe der Geschulten im 19. Jahrhundert.
(Ebd., 2012, S. 248).Die Argumente für und wider die Gesamtschule,
die das soziale Verständnis fördern soll, und für und wider das
dreigliedrige Schulsystem haben wir schon weiter vorn dargestellt. Wenn eine Gesamtschule
tatsächlich verschiedene Bildungswege unter einem Dach anbietet, dann ist
es nicht Aufgabe eines Genetikers in seiner Rolle als Wissenschaftler, sich zugunsten
einer bestimmten Schulform zu äußern. Aber als Staatsbürger kann
er sich sehr wohl dazu äußern. Der Blick aus dem deutschen Sprachraum
nach den USA, England, Finnland, Frankreich oder Japan zeigt, daß ein bestimmter
Leistungsstand mit verschieden aufgebauten Bildungssystemen erreichbar ist.
(Ebd., 2012, S. 248).Das eigentliche Problem ist aber ein anderes:
Wenn die Gymnasialstufe zum Beispiel (ab 5. Klasse) 10% der Leistungsstärksten
eines jeden Jahrgangs erfaßt und die Auswahl nach der Leistung der Schüler
und kaum nach dem Geldbeutel und Willen der Eltern erfolgt, dann dürften
in diesen Klassen tatsächlich in Landkreisen etwa 4% Hochbegabte (M1M1) und
6% M1M2 vertreten sein. In Großstädten, Universitätsstädten
und Ballungsrandgebieten können es vielleicht sogar 8% M1M1 sein. Auf jeden
Fall dürfte das Lernklima in diesen Klassen sehr gut sem. Und vermutllich
ist eine vollständige Trennung der drei Leistungsstufen in unterschiedliche
Bildungswege gar nicht das beste, weil sowohl Schüler als auch Lehrer dann
sehr stark die Leistungsmaßstäbe verlieren, die nun einmal den Vergleich
mit Mitschülern voraussetzen. Erfaßt aber eine Gymnasialklasse oder
eine Mathematik-Klasse einer Gesamtschule 50% eines Jahrgangs, dann ist das ohne
Niveausenkung kaum vorstellbar. Die Hochbegabten sind in diesen Klassen eine Minderheit.
Und leicht kann die Mehrheit auf Meinungen pochen, die wirklicher Hochleistung
abträglich sind. Beschränkt sich die Mathematik-Leistungsklasse (oder
der Leistungskurs) einer die gesamte Stadt erfassenden Gesamtschule auf die 5%
Leistungsstärksten, dann dürfte diese Klasse ein höheres Niveau
haben als eine Gymnasialklasse, die 30% der Schüler ohne Aufnahmeprüfungen
erfaßt. Bei der Studienbewerbung kommt es dann wieder zu einer Entmischung.
Hochbegabte drängen in Fächer mit sehr guten Verdienst- und Berufschancen
(wie Medizin und Pharmazie) oder in Fächer mit hohen Anforderungen (wie Physik).
Sozialwissenschaftliche Fächer hingegen werden von einer so großen
Zahl mittelmäßiger Bewerber überlaufen, daß der Hochbegabte
den Eindruck bekommen kann, sollte er sich in so ein Fach verirrt haben, er sei
fehl am Platze. Die Folge ist ein erschreckendes niedriges mittleres Niveau in
bestimmten akademischen Fächern und ein immer weiter um sich greifendes nicht-akademisches,
oft politisch weit linksgerichtetes geistiges Klima in den betroffenen Fakultäten.
Häufiges Überschreiten der Regelstudienzeit und viele vorzeitige Abgänge
ohne Abschluß sind dann abgeleitete Probleme; mangelhafte personelle Ausstattung
auch von Fächern, die noch vorwiegend den Hochbegabten vorbehalten sind,
eine Folge der allgemeinen Überforderung der Hochschulen, verbunden mit immer
schlechter werdenden Wohn- und Arbeitsbedingungen für Hochschullehrer und
Studenten. Die Überfüllung der Hörsäle, Seminarräume
und Bibliotheken, all das sind Zeichen einer Entwicklung, die seit langem in vollem
Gange ist und die durch die allgemeine Finanzkrise des Sozialstaats ständig
verschärft wird. Die eben von Ihnen gelesenen Sätze stehen irn übrigen
bereits in meinem Buch »Die IQ-Falle« (2000, S. 96ff.). Sie haben
sich bestätigt, und diese Entwicklung kommt weiter voran. (Ebd., 2012,
S. 248-249).Ein IQ-Unterschied zwischen IQ 94 und IQ 130 führt
zu der Vorstellung, es bestände ein Unterschied von etwa 36 %; also etwa
vergleichbar dem Unterschied zwischen zwei Menschen, der eine 1,50 m, der
andere 1,85 m, die bei gemeinsamem Sportunterricht schon gewisse Probleme
haben. Der tatsächliche Unterschied der geistigen Leistungsfähigkeit
zwischen IQ 94 und IQ 130 beträgt aber 70 zu 140 Bit, also das Doppelte;
d.h. auf die Körpergröße übertragen: Neben dem einen Menschen
von 1,80 m stehen 13 von 0,90 m (und sechs von 1,35 m). Kein vernünftiger
Lehrer würde mit so unterschiedlichen Schülern allzulange in einer einzigen
Klasse Volleyball spielen oder Kugelstoßen veranstalten; das aber ist die
wirkliche Größenordnung in den Unterschieden der geistigen Leistungsvoraussetzungen.
(Ebd., 2012, S. 249).Tillmann charakterisiert das gegliederte Schulsystem
der alten Bundesrepublik so: »Nach dem 2. Weltkrieg wurde das gegliederte
Schulsystem der Weimarer Zeit restauriert. ... .Zu Beginn der 60er Jahre, als
dieses System noch von keiner Reform angegriffen war, gingen knapp 70% eines Altersjahrganges
auf die damals noch achtklassige Volksschule, etwa 12% besuchten die Realschule,
ca. 15% das Gymnasium. Der Volksschulabschluß führte überwiegend
in eine handwerkliche Lehre, der Realabschluß in Büroberufe. Nur das
Gymnasium führte zum Abitur, zum Hochschulstudium und damit in die höheren
Etagen der Gesellschaft.« (Tillmann, Einheitlichkeit und Differenzierung?,
1990). Neben dem Frontalangriff durch die Gesamtschule kam es zu einem heimlichen
Umbau. »1965 besuchten noch 65% aller Siebenkläßler eine Hauptschule,
1988 waren es noch 32%. In der gleichen Zeit stieg der Anteil der Gymnasiasten
von 17% auf 30%, der der Realschüler von 15% auf 27%.« (Ebd.).
In Hamburg waren noch 18%, in Göttingen nur noch 10% der Schüler in
Hauptschulen, die damit zur »Restschule« für Ausländerkinder
und lernschwache deutsche Kinder geworden ist. In manchen Städten besuchten
sogar 50% aller Schüler ein Gymnasium, für das es keine Aufnahmeprüfungen
mehr gab. (Ebd., 2012, S. 249).In der DDR sind ähnliche
Ausweitungen der Zahlen an Abiturienten und Studenten, die sich um 1965 mit 14%
Abiturienten und 17% Studenten ebenfalls andeuteten, durch eine gezielte antibildungsdeflationäre
Politik gestoppt und bis 1980 auf je 11% Abiturienten und Studenten zurückgefahren
worden. (Ebd., 2012, S. 249).Mißachtet ein Bildungssystem
in den allgerneinbildenden Schulen zu stark das Vorhandensein der drei Leistungsstufen
der Begabung und bietet den Hochbegabten nur Schulklassen an, in denen sie zur
Minderheit werden, dann wird es in einer freien Gesellschaft zwangsläufig
zu Bestrebungen kommen, daß diejenigen, die jGeld haben und deren Kinder
hochbegabt sind, sich Privatschulen schaffen und Eliteuniversitäten fördern
(in denen dann auch in den Sozialwissenschaften strenge Leistungsmaßstäbe
gelten). (Ebd., 2012, S. 249).Wenn es ein gegliedertes Schulsystem
gibt, dann ist nicht die Bezeichnung der Schule entscheidend, sondern der Prozentsatz
der Schüler an der Gesamtbevölkerung, der nach strengen Leistungsmaßstäben
ausgelesen wird. Wenn es so etwas wie IQ-Akzeleration in den letzten Jahrzehnten
gegeben hat und das Durchschnittsniveau eines Jahrgangs heute etwa zehn IQ-Punkte
höher liegt als der vergleichbare Maßstab dreißig Jahre früher,
so hat sich dadurch nichts an den Relationen der Begabungsstufen zueinander geändert.
Wenn statt 5% auf Gymnasien bald 50% in Gesamtschulen das Abitur bekommen sollten,
wird die Bildungsentwertung früher oder später zwangsläufig zu
einer Gegenbewegung führen, indem sich dann vielleicht 5% auf ein »Leistungsabitur«
berufen, das besonders hohen Anforderungen genügt. Wenn die Massenuniversität
nicht mehr vom Staat in der notwendigen Qualität unterhalten werden kann
- und dieser Punkt ist erreicht -, wird der Geldbeutel der Eltern wieder wichtiger
werden. Der Ruf nach der Einrichtung von besonders gut ausgestatteten »Forschungsuniversitäten«,
in denen nur die Leistungsbesten studieren sollen, ist die zwangsläufige
Antwort auf den Alleinvertretungsanspruch der Massenuniversitäten.
(Ebd., 2012, S. 250).
Sprachliche Ausdrucksfähigkeit, IQ und sozialer Status.
Bei
Erwachsenen gilt rasches Auffassungsvermögen und Wendigkeit in Wort und Schrift
als Zeichen geistiger Regsamkeit. Der Altersabbau, insbesondere bei Alzheimer,
geht mit einem Verlust dieser Fähigkeit einher, die Kopplung zwischen Wortlaut
und Sinn zerfällt. Bei Kindern erwecken zeitiges Sprechenlernen, deutliche
Aussprache, ein großer Wortschatz und das zeitige Beherrschen der Satzgefüge
Hoffnungen auf eine vielversprechende Entwicklung der Denkkraft. (Ebd.,
2012, S. 250).Im Alltag zweifelt kaum jemand, ein rasches Verstehen
mündlicher Anweisungen und gedruckter Texte gehöre zu einem gesunden
Menschenverstand, ebenso die Fähigkeit, sich selber mündlich und schriftlich
treffend auszudrücken. Blinde und Gehörlose haben beim Erlernen dieser
Fähigkeiten große Schwierigkeiten. Aber auch unter ihnen gibt es von
Person zu Person Unterschiede in der Verarbeitung mündlicher oder schriftlicher
Informationen, die darauf hinweisen, daß die Unterschiede in der sprachlichen
Ausdrucksfähigkeit auch bei Gesunden in der Regel im wesentlichen nicht durch
unterschiedliche Sehkraft oder unterschiedliches Hörvermögen verursacht
werden - auch wenn es solche Einflüsse gibt -, sondern durch die unterschiedliche
Denkkraft. (Ebd., 2012, S. 250).Da der gesunde Menschenverstand
bei der Entwicklung der Intelligenztests Pate stand, erdachte man schon ganz am
Anfang auch Tests, mit denen man die Fähigkeit messen konnte, Sprache zu
beherrschen. Auf den Lückentest von Ebbinghaus (vgl. Hermann Ebbinghaus,
Über eine Methode zur Prüfung geistiger Fähigkeiten und ihre
Anwendung bei Schulkindern, 1897) hatten wir bereits auf S. 71 hingewiesen.
Auch Oehrn testete schon 1896 das Schreiben nach Diktat mit größtmöglicher
Schnelligkeit und die Höchstgeschwindigkeit des Lesens. Damals verstanden
die Psychologen die sprachlichen Testergebnisse als ein Maß der Denkkraft,
als ein Maß der Allgemeinen Intelligenz und damit des IQ. Heute neigen viele
Fach-Psychologen und Pädagogen dazu, Hören, Lesen, Begreifen des Gelesenen,
kurzzeitiges Merken von Gehörtem, langfristiges Merken von Gehörtem
oder Gelesenem, Nacherzählen, Schreiben und manches mehr als einzelne und
getrennte Fahigkeiten oder »Kompetenzen« aufzufassen, die getrennt
entwickelt, in der Schule gefördert und von der »Wissenschaft«
gernessen und untersucht werden sollten. Das schafft Beschäftigung und »Diskurs«.
(Ebd., 2012, S. 250-251).Wenn das so verwickelt wäre, warum
ist es dann möglich, die Denkkraft in guter Näherung bereits mit so
einfachen Tests zu erfassen, wie dem KAI, dem Kurztest für Allgemeine Intelligenz
(vgl. S. 242 **),
der die Lesegeschwindigkeit mißt? Wenn es um das Verständnis des Gelesenen
geht, dann hängt das ebenso wie das Verständnis von Gehörtern mit
dem IQ der Personen zusammen. Schon bei Kleinkindern läßt sich nachweisen,
wie die Sprachentwicklung mit dem Anwachsen der Gedächtnisspanne einhergeht,
und dieser Zusammenhang läßt sich bei derTestentwicklung anwenden.
.... Lander veröffentlichte (2000) die Ergebnisse eines Lesegeschwindigkeitstests,
der in Österreich 1999 als Ergänzung der PISA-Studie gelaufen war, und
eine langgestreckte, mehrgipflige Verteilung zeigt, die weit von einer Normalverteilung
entfernt ist. Schätzt man den IQ von Probanden anhand von einfachen Lesetests
und ihrer sozialen Herkunft, dann kommt man zu ähnlichen Ergebnissen wie
bei der Schätzung des IQ anhand von Bildungsjahren u.s.w.. Wie aus bekannten
Zusammenhängen ( nicht anders zu erwarten ist, läßt sich auch
eine Beziehung zwischen evozierten Potentialen des EEG und der Länge und
Häufigkeit von Reizwörtern nachweisen. (Ebd., 2012, S. 251).Nicht
alle Psychologen und Lehrer lassen sich durch das Wuchern von tausend neuen »Intelligenzen«
und »Kompetenzen« davon abbringen, weiterhin ihrem gesunden Menschenverstand
zu vertrauen. Sie halten die Begabung für Sprache und das Erlernen von Fremdsprachen
als ein Ausdruck der Denkkraft einer Person, also ganz im Sinne von Charles Spearman.
DieseAuffassung läßt sich durch eine Reihe einfacher Beobachtungen
und Erfahrungen stützen. Wer in Mathematik und Physik in der Schule eine
Eins hat, der hat in den allermeisten Fällen auch in Deutsch und in den Fremdsprachen
eine sehr gute oder gute Zensur. In der DDR war die Mathematik an den Universitäten
die einzige Fachrichtung, die ihren Diplomanden ohne Substanzverlust die Kenntnis
dreier Fremdsprachen abfordern konnte, nämlich Englisch, Französisch
und Russisch. (Ebd., 2012, S. 251).Von Befürwortern
der Intelligenzforschung und ihren Gegnern werden zwei Zusammenhänge niemals
bestritten: Der IQ von Kindern und Erwachsenen hängt eng zusammen mit ihrer
sprachlichen Ausdrucksfähigkeit und diese wiederum mit dem sozialen Status
und der beruflichen Qualifikation der Personen, bei Kindern mit ihrer sozialen
Herkunft. Anfangs wurde das Unterschieden der Denkkraft zugeschrieben, bis Bernstein
1958 die Erklärung anbot, die Ursache der Unterschiede läge allein im
Sprachverhalten der sozialen Schichten. (Ebd., 2012, S. 252).Die
Angehörigen der Mittel- und Oberschicht (also der Personenkreis mit einem
IQ über 105 [**|**])
verwenden laut Bernstein eine Variante der gemeinsamen Einheitssprache. die sich
eines entwickelten (»elaborierten«) Codes bedient, die Unterschicht
eines eingeschränkten (»restringierten«) Codes. Der entwickelte
Code führe zu besser ausgebildeten intellektuellen Fähigkeiten als die
in der Unterschicht, daraus ergäben sich die besseren Schulerfolge der Kinder
gehobener Schichten und damit ihre besseren Chancen im gesamten späteren
Leben. Dieser Kausalmechanismus einer rein sozialen Weitergabe eines »Codes«
- der absolut nichts mit dem Code der Genetik gemein hat - wird seit etwa 1970
als Heilige Kuh von der Mehrzahl der Soziologen, Pädagogen und Soziolinguistiker
auf die Weide getrieben und verehrt. (Ebd., 2012, S. 252-253).Der
eingeschränkte Code wird dem »Sprachgebrauch bildungsferner Schichten
zugeordnet«, da von Personenkreisen mit einem IQ unter 100 ja keine Rede
mehr sein darf. Dieser Code zeichnet sich durch kurze, grammatisch einfache und
häufig unvollständige Sätze aus. Adjektive und Adverbien werden
nur sparsam verwendet. Der Wortschatz ist gering. Der entwickelte Code verwendet
hingegen einen viel größeren und treffenden Wortschatz, gebraucht auch
das Passiv und ist grammatisch richtig. Ähnliche Unterschiede im sprachlichen
Ausdruck findet man auch, wenn man Schüler unterschiedlichen Alters miteinander
vergleicht oder Hilfsschüler mit Normalschülern. Ein wenig intelligenter
Zwölfjähriger bewegt sich so auf dem sprachlichen Entwicklungsstand
eines hochintelligenten Sechsjährigen oder umgekehrt. (Ebd., 2012,
S. 253).Bernsteins Beobachtungen über Zusammenhänge zwischen
Sprachverhalten und Sozialstatus sind in der Sache zutreffend und legen im Umkehrschluß
ihrer Verursachung nahe, diese Unterschiede zu skalieren und zur Messung des IQ
zu verwenden. Unstrittig ist dabei die Bedeutung des aktiven und passiven Wortschatzes.
Der moderne Wortschatztest ist ein Teiltest zahlreicher Intelligenztests und tritt
sogar als Mehrfachwahl- Wortschatz- Test nach Lehrl (1989) mit dem Anspruch auf,
auch allein Aussagen über das Intelligenzniveau treffen zu können.
(Ebd., 2012, S. 253).Der aktive Wortschatz läßt sich
schon bei Vorschulkindern testen, wenn man sie auffordert, auf Bildern, die man
ihnen vorlegt, Gegenstände und Handlungen zu benennen. Bildvorlagen gelten
schon lange als ein geeigneter Anreiz, Schüler sprachlich und damit geistig
herauszufordern. (Ebd., 2012, S. 253).»Der Aufbau der
geistigen Welt des Kinder«, so der Titel eines lehrreichen Buches, das man
als eine Frucht der Erfahrungen ansehen kann, die zig-tausende Deutschlehrer im
Laufe eines Jahrhunderts gemacht hatten, vor allem in einem Aufsatzunterricht,
der bis etwa 1970 vom Wirklichkeitsbezug geprägt war. Dann trat der geistige
Wandel der Industriegesellschaft in sein vorjakobinisches Stadium ein ....
(Ebd., 2012, S. 253-254).Es gibt Untersuchungen, die darauf hinweisen,
daß sich die sprachliche Ausdrucksfähigkeit der Schüler verschlechtert,
die IQ-Lücke öffnet. Zerahn-Hartung et al. (Normverschiebungen bei
Rechtschreibleistungen und sprachfreier Intelligenz, 2002) mußten feststellen:
Bei einer repräsentativen Untersuchung in Baden bei Personen im Alter von
16 bis 30 Jahren im Jahre 1995 lag die Rechtschreibeleistung um 1,2 Standardabweichungen
(= 18 IQ-Punkte) niedriger als bei der Normierung des Tests 1968. Die absolute
Zahl der gemachten Fehler hatte sich fast verdoppelt, trotz der ebenfalls bestätigten
üblichen IQ-Akzeleration im CFT20- Test! Diese Testergebnisse passen zu weitverbreiteten
Klagen aus der Wirtschaft über Lehrlinge, die kein vernünftiges und
fehlerfreies Deutsch mehr schreiben können. Auch für die USA mußten
Nie et al. (2008) feststellen, daß die Ausweitung der formalen Bildung nicht
mit einer Verbesserung der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit einhergegangen
ist. (Ebd., 2012, S. 254).In erinnere mich, wie in der Schulzeit
in einer Aufsatzstunde um 1955 unser alter Deutschlehrer einmal eine Reproduktion
des Gemäldes »Die Jäger im Schnee« von Pieter Brueghel dem
Älteren (gemalt 1565) aufhängte und uns aufgab, das Bild zu beschreiben.
Der klare Zusammenhang zwischen sprachlicher Ausdrucksfähigkeit und IQ ließ
mich seit Jahrzehnten vermuten, es müsse möglich sein, aus einer Bildbeschreibung
einen Intelligenztest zu entwickeln. Ähnliche Möglichkeiten dürften
sich für das Nacherzählen - mündlich oder schriftlich - eines Lesestücks,
einer Bildergeschichte oder eines kurzen Films und für das Weitererzählen
einer abgebrochenen Geschichte ergeben. Der bei einer Bildbeschreibung verwendete
begrenzte Wortschatz und Sprachgebrauch läßt sich aber vielleicht am
ehesten in nachvollziehbare Auswertungsvorschriften umsetzen, was im folgenden
umrissen werden soll. Denn die Zensurengebung des Deutschlehrers für Aufsätze,
das wäre eine zu große Meßungenauigkeit. (Ebd., 2012, S.
254).Für die folgende Auswertung lagen uns 88 auswertbare
Bildbeschreibungen des Gemäldes »Die Jäger im Schnee« vor.
Den Schülern der 7. Klassenstufe standen für die Beschreibung 20 Minuten
zur Verfügung. Sie sollten ganze Sätze in Form eines Aufsatzes schreiben.
Die Schüler waren 12 bis 14 Jahre alt und gehörten je zwei Klassen von
Hauptschule oder Gymnasien an. In die Stichprobe wurden nur Schüler einbezogen,
deren beide Eltern deutschsprachig waren. Die Stichprobe kann nicht als repräsentativ
für irgendein Bundesland gelten; da es uns aber nur um ein Methodenbeispiel
geht, ist das nebensächlich. Als Intelligenztest wurde am seiben Tag der
Kognitive Fähigkeits-Test KFT 4-13 mit einer Bearbeitungszeit von 60 Minuten
eingesetzt, darin eine Pause von 10 Minuten zwischen Teiltests eingeschlossen.
Bei den Tests in den Hauptschulen ließ die Disziplin zu wünschen übrig.
Man muß erwähnen, daß sich die Leistungen einiger Schüler
an der Grenze des Hilfsschulniveaus bewegten und manche nicht auswertbar waren.
»Man geht vom Aufsatzschreiben weg, da die Kinder das einfach nicht können«,
äußerte gar eine Lehrerin. In Anbetracht solcher Mängel bei der
Stichprobe und Testdurchführung können diese Zeilen nur als eine Anregung
verstanden werden, es besser zu machen. (Ebd., 2012, S. 254).Bei
der Auswertung liegt es nahe, die bekannten Zusammenhänge zwischen der Wortlänge
und dem Rangplatz im Wortschatz auszunutzen. Personen mit einem höheren IQ
benutzen häufiger auch seltene Wörter und damit längere. Das hat
zur Folge: Texte mit kurzen und häufigen Wörtern gelten für eine
größere Personenzahl als leicht lesbar, Texte mit längeren und
seltenen Begriffen als schwerverständlich. Für Zeitungsschreiber und
für Verfasser von Anweisungen und Vorschriften hat das einige praktische
Bedeutung, denn man will oder soll ja allgemein verstanden werden. Man ist deshalb
bestrebt, die Verständlichkeit eines Textes mit einem Lesbarkeitsindex zu
messen. Davon gibt es mehrere Varianten. Wir können daraus schließen,
daß in einer Bildbeschreibung folgende, leicht erfaßbare Prozentanteile
mit dem IQ korrelieren sollten: Der Anteil der einsilbigen Wörter; der Anteil
der Wörter mit mehr als sechs Buchstaben; der Anteil der Wörter mit
drei und mehr Silben. Es wird dabei stets von der Nennform bzw. Grundform eines
Wortes in der Einzahl ausgegangen. Für eine Indexbildung eignen sich ferner:
Der Anteil der Satzgefüge; die Summe der Anteile von Adverbien und Adjektiven;
der Anteil von Sätzen irn Passiv; die Textlänge bei einer begrenzten
Arbeitszeit. (Ebd., 2012, S. 254-255).Gibt es nicht noch
eine elegantere Lösung, am besten eine einzige Maßzahl für den
sprachlichen Reichtum oder die Armut eines Textes? Dafür bietet sich anscheinend
die Informationsentropie an, gemessen in Bit; also der binäre bzw. duale
Logarithmus der relativen Häufigkeit der Wörter (ich danke meinem Stiefvater
Paul Martin für die aufwendige Auszählung der Worthäufigkeiten
in allen Aufsätzen), multipliziert mit dieser relativen Häufigkeit und
summiert über alle Wörter eines Textes; dann multipliziert mit der Textlänge,
in unserem Fall der Gesamtzahl der Wörter eines Aufsatzes. (Ebd., 2012,
S. 255).In unserer Stichprobe erreichten die Schlechtesten irn
Intelligenztest (KFT-Werte von 15 bis 29) - ihr mittlerer IQ unter 80 - in der
Bildbeschreibung von Brueghels Gemälde zwar Werte um die 200 Bit, die zehn
Besten im Test (KFT-Werte von 76 bis 82) - ihr mittlerer IQ um die 115 - zumeist
etwa 700 Bit, doch ist eine solche Auswertung zeitaufwendig und sehr mühselig.
Es gibt dabei Ausreißer: Einzelne Schüler mit einem niedrigen Test-IQ
treiben mit einer Aneinanderreihung einfachster Sätze wie »Man sieht
Jäger. Man sieht Häuser. ....« mit vielen Wörtern ihre Bit-Zahl
in die Höhe. Manche Schüler mit einem hohen Test-IQ schreiben grammatisch
und stilistisch einwandfreie Sätze, aber insgesamt nicht allzuviel Text.
Die Trennschärfe zwischen den Extremgruppen läßt somit bei der
Einbeziehung aller Wörter zu wünschen übrig. (Ebd., 2012,
S. 255).Ist es wirklich nicht möglich, die Einfalt und Armut
eines Textes oder seinen Reichtum mit einer einzigen Maßzahl zu fassen,
die noch dazu leicht zu ermitteln sein sollte? Ja, doch! Es ist die Informationsentropie
der Vollverben, wenn man alle Hilfsverben zusammen als ein einziges Verb zählt
(und sehen und stehen bei einer Bildbeschreibung, wie dieser, zu den Hilfsverben
rechnet). Formen wie »ist gekommen« oder »wurde gebaut«
zählen dabei selbstverständlich als je ein Vollverb. Zählt man
dazu auch Hilfsverben, denen adverbiale Bestimmungen mit Wortgruppen folgen (also
keinesfalls Sätze wie: »Der Himmel ist blau.«), dann gelingt
es, auch den Reichtum des intelligenten Satzbaus mit in die Wertung einzubeziehen.
Bei unserer Bildbeschreibung haben die 10 Schlechtesten eine mittlere Informationsentropie
der Verben von 10 Bit (zwei besonders primitive Texte ergaben sogar den Wert 0
Bit, waren also Texte ohne jedes Vollverb). Die 10 Besten in dem IQ- Test erreichten
eine mittlere Informationsentropie der Verben von 69 Bit. Diese Auswertung dauert
pro Proband nur wenige Minuten. Fachpsychologie und empirische Pädagogik
werden diese Anregung sicher früher oder später aufgreifen und bei der
Entwicklung und Eichung eines ausgereiften Tests umsetzen. (Ebd., 2012,
S. 255-256).Die Ergebnisse unterstreichen noch einmal: Eine Person
mit einem IQ 140 ist nicht doppelt so intelligent wie eine Person mit IQ 70, sondern
leistet bei Aufgaben, die Denkkraft erfordern, pro Zeiteinheit das Mehrfache!
Was jedoch aber mißt die Denkkraft einer Person am besten und genauesten:
der Intelligenztest, die Bildbeschreibung, die Schulzensur, der PISA-Test oder
die spätere Lebensleistung? Jedes Verfahren, mit der man die Gültigkeit
eines Tests durch den Zusammenhang mit einem anderen Test, Zensuren oder Lebensleistung
bestätigen will, kann immer nur eine Näherung liefern. Denn jedes Verfahren
ist mit Fehlern und Störungen behaftet und wird in Beziehung zu einer anderen
Maßzahl gesetzt, die ähnlichen oder anderen Meßfehlern und Einflüssen
unterliegen. Sollte einmal eine genotypische Bestimmung des IQ möglich sein,
so wird auch das daran nichts ändern, der »wahre« IQ für
immer eine meßfehlerbehaftete Größe bleiben. (Ebd., 2012,
S. 256).
Das zahlenmäßige Anwachsen der Berufe mit hohem
IQ.
Der Zusammenhang des IQ zu Berufen ändert sich, wenn
die Tätigkeit immer höhere Anforderungen an die Denkkraft stellt. So
ziemlich jeder kann ein Tiefbauarbeiter werden, der mit Hacke und Spaten Gräben
hackt, wenn er gesund ist. Viele können Möbeltischler werden, sofern
sie genügend feinmotorische Fähigkeiten haben; doch Rechtsanwälte
sollten eigentlich nur Menschen aus einem verhältnismäßig geringen
Streubereich der Intelligenz werden. Wenn ein Rechtsanwalt mehr verdient als ein
Möbeltischler, was geschieht, wenn sich die Zahl der Stellen für Rechtsanwälte
erhöht? Eine größere Zahl von Personen mit hohem IQ wird dann
Rechtsanwalt, was aber bedeutet, sie werden nicht Möbeltischler oder Tiefbauarbeiter.
(Ebd., 2012, S. 256).Nun stellen Sie sich den Vorgang im großen
vor und was mit der Handvoll von Berufen geschieht, bei denen die Siebung nach
dem IQ am stärksten ist. Wir werden unsere Aufmerksamkeit auf ein Dutzend
solcher Berufe richten, die wir als »Hochintelligenzberufe« bezeichnen.
Einige dieser Berufe gibt es schon ebensolang wie die IQ-Tests, und sie sind in
den Listen der Volks- und Berufszählungen schon um 1900 enthalten: Buchhalter,
Architekten, Chemiker, Lehrer an Hochschulen, Ingenieure, Rechtsanwälte und
Ärzte. Andere sind erst in der jüngeren Zeit entstanden oder sind umbenannt
worden: Computerfachleute, Mathematiker, Naturwissenschaftler und nach Meinung
von Herrnstein und Murray (1994) in den USA auch die Sozialwissenschaftler. Ob
letztere in Deutschland in ihrer Mehrheit zu den »Hochintelligenzberufen«
gehören, darf bezweifelt werden. Zweifellos arbeiten viele Sozialwissenschaftler
mit statistischen Methoden, für deren Verständnis ein Intelligenzgrad
erforderlich ist, wie er für Hochintelligenzberufe kennzeichnend ist. Aber
schon die Studenten der Studienrichtung Marxismus-Leninismus, die vom Zentralinstitut
für Jugendforschung der DDR getestet worden waren, wiesen um 1980 einen IQ
auf, der rund eine Standardabweichung (also 15 IQ-Punkte) niedriger lag, als der
bei Studenten der Mathematik und Physik. Die Marxisten hatten den niedrigsten
IQ aller Studienrichtungen überhaupt. Sieht man sich das Niveau an, auf dem
sich die »Diskurse« in den Sozialwissenschaften heute oft abspielen,
dann kann man daraus schließen, daß der Durchschnitts-IQ bei Sozialwissenschaftlern
eine Güteklasse (d.h. eine Standardabweichung) niedriger als der mittlere
IQ von Mathematikern, Physikern, Diplom-Ingenieuren und Chemikern sein dürfte.
Das Niveau der Diskussion und die Reaktionen, die das Erscheinen meines Buches
»Die IQ-Falle« (2000) und des Sarrazin-Buches (2010) bei einer Reihe
Sozialwissenschaftlern hervorgerufen hat, darf als weiterer Beleg dafür gelten.
(Ebd., 2012, S. 256-257).Nach Herrnstein und Murrray (1994) ist
in den USA der mittlere IQ für Personen, die in »Hochintelligenzberufen«
arbeiten, ungefähr 120. Einige Untersuchungen finden etwas abweichende Werte,
eher 125, und nach unserer Auffassung ist der IQ 125 in Mitteleuropa sogar eher
der untere Schwellenwert für »Hochintelligenzberufe«. Theoretische
Physiker haben dabei höhere Werte als Naturwissenschaftler im allgemeinen.
Dessenungeachtet ist 120 ein praktischer Schätzwert, da er ungefähr
ein Zehntel der Gesamtbevölkerung abschneidet, d.h. das leistungsfähigste
Zehntel oberhalb des Prozentrangwertes 90 (**).
Aber bei Prozentrangwert 95 (**)
bzw. IQ 125, da beginnt erst die eigentliche geistige Elite (**|**).
(Ebd., 2012, S. 257).Der gesunde Menschenverstand sagt uns: Leute,
die bei großen Firmen in die führenden Ränge des Managements aufsteigen,
sollten einen hohen IQ haben. Das Spitzenmanagement saugt in den USA einen großen
Teil der Hochintelligenten auf, die nicht in den vorhin genannten Hochintelligenzberufen
arbeiten. Wenn man die Zahl der Beschäftigten insgesamt überschlägt,
kommt man in den USA (nach Herrnstein und Murray, 1994) zu dem Ergebnis, daß
etwa 70 bis 80% der Personen mit einem IQ über 120 heute in Hochintelligenzberufen
oder im gehobenen Management arbeiten. In der Mitte des 20. Jahrhunderts war USA
noch eine Gesellschaft, in der die Mehrheit der Personen mit einem IQ über
120 noch über eine große Zahl von Tätigkeiten verteilt war, d.h.
nicht in Hochintelligenzberufen und nicht im höheren Management. Gegen Ende
des Jahrhunderts ist der größte Teil der Hochintelligenten in einigen
wenigen Berufen konzentriert, die in hohem Maße nach ihrem IQ ausgelesen
sind, meinen Herrnstein und Murray (1994). (Ebd., 2012, S. 257).
Der wirtschaftliche Druck zur Siebung nach dem IQ.Ein
Hochschulabschluß ist nicht nur eine Urkunde, sondern auch ein Maß
der Denkkraft. Personen mit akademischen Graden sind häufig intelligenter
als Menschen ohne sie und demzufolge auf dem Arbeitsmarkt wertvoller. Die us-amerikanischen
Arbeitgeber stellen Absolventen der Universitäten Stanford und Yale nicht
nur ein, weil Absolventen dieser Universitäten mehr wissen als Absolventen
weniger guter Universitäten, sondern weil sie auch mehr können und besser
sind. In Deutschland gibt es unter den Universitäten keine solche Rangfolge,
und ein guter Studienabschluß ist deswegen in Deutschland noch lange keine
Garantie auf einen guten Arbeitsplatz. Auch auf diese Weise werden Bildungsabschlüsse
entwertet. Selbst das begabteste Kind braucht Schulbildung, und für einige
Tätigkeiten braucht man viele Jahre Spezialausbildung. Bei den akademischen
Graden gibt es tatsächlich ein weitverbreitetes Problem: Für viele leitende
Stellungen ergibt ein akademischer Grad keinen rechten Sinn. Jemand mit einem
abgeschlossenen Lehrerstudium braucht kein guter Lehrer für die ersten Schulklassen
zu sein; und ein Dr. phil. hat oft nichts mit der Arbeit zu tun, für die
zahlreiche Dr. phil. bezahlt werden. (Ebd., 2012, S. 257).Intelligenzunterschiede
stehen in einem ursächlichen Zusammenhang mit der beruflichen Leistungsfähigkeit.
Dieser Zusammenhang gilt nicht nur für hochqualifizierte Berufe, sondern
für alle Tätigkeiten des Beschäftigungsspektrums. Dieser Zusammenhang
bewirkt, daß es für jedes Gewerbe ein Anreiz ist, den IQ als einen
wichtigen Einstellungsmaßstab zu benutzen. (Selbst bei den Callgirls haben
die gebildeten und unterhaltsamen, der Körperbau dabei konstant gesehen,
die höheren Tarife.) (Ebd., 2012, S. 257-258).Die Tatsache,
daß zwischen IQ-Werten und der Leistung auf bestimmten Bildungsstufen nur
eine schwache Korrelation besteht, wird von den Journalisten gern als Argument
gegen IQ-Tests angeführt und gehört somit zu den am meisten verbreiteten
Scheinweisheiten. Warum ist das so? (Ebd., 2012, S. 258).Für
jede Tätigkeit gibt es nur einen bestimmten begrenzten Schwankungsbereich
der Denkkraft, und für jede einzelne Tätigkeit für sich allein
besteht nur ein schwacher Zusammenhang zwischen dem IQ und der Leistung in der
jeweiligen Tätigkeit. Ähnliches gilt auch bei den Sportarten für
den Zusammenhang von Körperhöhe und Leistung. Bei Volleyball und Basketball
zum Beispiel sind die Großen ganz klar im Vorteil, und bei einem Schülerturnier,
an dem alle Schüler teilnehmen müssen, wird man eine hohe Korrelation
zwischen ihrer jeweiligen Körperhöhe und der Leistung finden. Mißt
man jedoch bei einem Volleyballturnier der europäischen Nationalmannschaften
die Körperhöhe aller Spieler und korreliert sie mit einem persönlichen
Leistungsmaß, dann wird sich nur eine schwache Korrelation ergeben. Kein
Trainer wird daraus die Schlußfolgerung ziehen, von nun an bei den Anwärtern
auf ein Hochleistungstraining keinen Wert mehr auf die Körperhöhe zu
legen. Dieses Beispiel zwischen dem Schülerturnier für alle Schüler
und dem Turnier der Nationalmannschaften belegt anschaulich, wie sich die Verringerung
der Schwankungsbreite der Körperhöhe auf die Größe des Korrelationskoeffizienten
auswirkt. Auch innerhalb eines Berufes oder einer Berufsgruppe ist der Zusammenhang
zwischen IQ und beruflicher Leistung relativ gering, eben auch wegen der verringerten
Schwankungsbreite des IQ innerhalb der Berufsgruppe gegenüber der Schwankungsbreite
in der Gesamtbevölkerung. (Ebd., 2012, S. 258).Wenn
wir davon ausgehen, daß dem IQ tatsächlich drei sich überlagernde
Normalverteilungen zugrundeliegen (**|**),
die sich wie einfache genetische Typen verhalten, dann hat das schwerwiegende
statistische Folgen: Hat man nur Personen eines Typs vor sich und macht man Untersuchungen,
die nur aus Stichproben eines einzigen Typs bestehen (also zum Beispiel nur aus
Hochbegabten mit einem IQ über 130), dann tendieren alle Variablen, die eng
mit dem IQ zusammenhängen - also auch die Korrelationen berufliche Qualifikation
oder Einkommen mit dem IQ - gegen null. Umgekehrt gilt das auch für Stichproben,
die alle aus geistig gesunden Arbeitern mit einem IQ unter 100 bestehen. Auch
für diese Arbeiter wird die Korrelation IQ zu Einkommen fast null sein. Faßt
man aber diese beiden Stichproben (die Arbeiter und die Hochbegaben) zu einer
Gesamt-Stichprobe zusammen, so erhält man dann auf einmal eine sehr hohe
Korrelation zum IQ. Der Gedankengang gilt ebenso auch für die Korrelationen
der Subtests einer Intelligenz-Testbatterie untereinander. (Ebd., 2012,
S. 258).
Der Wert von Intelligenzunterschieden in Euro oder Dollar.Herrnstein
und Murray fragen und antworten: »Wieviel ist die Schwankungsbreite der
Arbeitsleistung wert? Um diese Frage zu beantworten, brauchen wir ein Geldmaß,
wie groß die Unterschiede der Beschäftigten in einem bestimmten Beruf
zu diesem Wert beitragen. Denken sie z.B. an eine Sekretärin. Sie haben die
Wahl, entweder eine durchschnittliche Sekretärin einzustellen, die laut Definition
den Prozentrangwert 50 (**)
des IQ hat, oder eine erstklassige; wir nehmen an, jemanden mit Prozentrangwert
84 (**).
Wenn sie die freie Entscheidung hätten, ihr Gehalt so anzusetzen, daß
ihr eigentlicher Wert reflektiert wird, wie groß wäre der Unterschied?
Wir können uns vorstellen, daß jedel; der schon mit durchschnittlichen
und erstklassigen Sekretären gearbeitet hat, antworten wird: ziemlich
groß. Unter Experten macht eine ziemliche große
Gehaltszulage im Durchschnitt einen Unterschied von etwa 40% aus. Fachlich korrekt
und genau ausgedrückt, heißt das, daß eine Standardweichung der
Verteilung der Produktivität der Beschäftigten 40% des Jahreseinkommens
des Durchschnittsbeschäftigten in typischen Berufen wert ist. Neuere Arbeiten
weisen darauf hin, daß der Unterschied sogar doppelt so groß sein
könnte. Da die größeren Schätzwerte noch bestätigt werden
müssen, werden wir unsere folgenden Berechnungen auf die kleineren Werte
stützen. Um ein Beispiel zu nennen: Der zusätzliche Wert bei der Einstellung
eines neuen Beschäftigten mit Prozentrangwert 84 (d.h. 1 SD über dem
Mittelwert **)
gegenüber dem Wert eines Durchschnittsarbeiters, der mit 20000 $ im Jahr
richtig bezahlt wird, hat die Größe von 8000 $ pro Jahr. Die Einstellung
eines Beschäftigten, der 1 SD unter dem Mittelwert ist, also bei Prozentrangwert
16 liegt (**),
bringt dem Arbeitgeber einen Verlust von 8000 $ jährlich.« (Ebd.,
2012, S. 258-259).In leitenden Stellungen des öffentlichen
Dienstes ist der Schaden oder Nutzen, der angerichtet werden kann oder nicht,
noch weit größer. Die Unterschiede des tatsächlichen Arbeitsvermögens
haben eine andere Größenordnung, als sie der IQ vortäuscht, und
der ausgedrückte Geldwert der Intelligenzunterschiede ist deswegen so groß,
weil das Kurzspeichervermögen des Arbeitsgedächtnisses eigentlich die
Größe ist, auf die man sich stets beziehen müßte. Testeiman
nämlich die reine geistige Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit, ohne
die Rohtestwerte auf die Normalverteilung abzubilden, dann erhält man die
Tabelle auf Seite 195 (**).
(Ebd., 2012, S. 259).Wenn man sich diese Tabelle ansieht, dann
stellt man fest: Die Besten der mathematisch Hochbegabten lösen in derselben
Zeiteinheit rund viermal so viele Aufgaben wie die schlechtere Hälfte der
Ungelernten; die Hochbegabten über 205 Aufgaben, die Ungelernten weniger
als 60. Das heißt, während der Unterschied zwischen den IQ-Werten 70
(2 Standardweichungen unter dem Mittelwert **)
und 140 (2,66 Standardabweichungen über dem Mittelwert **)
formal das Doppelte ist, so beträgt der tatsächliche Unterschied zwischen
den IQ-Extremen im normalen, gesunden Leistungsbereich etwa das Vierfache. Der
Unterschied zwischen der Normalverteilungskurve, von der Herrnstein und Murray
ausgingen, und der tatsächlichen lognormalen Verteilung der Denkkraft hat
eine sehr große praktische Bedeutung. Wenn man, wie Herrnstein und Murray,
die Normalverteilung als Maß aller Dinge sieht, dann unterschätzt man
die tatsächlichen Leistungsunterschiede im Alltag, in der Schule und im Berufsleben.
(Ebd., 2012, S. 259).Seit Jahrzehnten rätseln die Ökonomen,
warum der IQ normalverteilt ist, Einkommensverteilungen aber schief. Da die Intelligenztestwerte
ursprünglich aber gar nicht normalverteilt sind, sondern ebenfalls schiefe
Verteilungen aufweisen, löst sich der Widerspruch bei näherem Hinsehen
auf. In beiden Fällen handelt es sich um lognormale Verteilungen. (Ebd.,
2012, S. 259).Die Wirtschaftlichkeit der Arbeitsleistung läßt
sich in dem meisten zivilen und militärischen Tätigkeiten durch den
IQ vorhersagen - und zwar mit einer Validität, die bei etwa 0,40 liegt.
(Ebd., 2012, S. 260).
Die fortschreitende soziale Differenzierung.
Der
fortschreitenden sozialen Differenzierung der Industriegesellschaft steht ...
eine Bewegung gegenüber, die genau das Gegenteil anstrebt und die immer stärker
an Einfluß gewinnt. Träger dieser Gegenbewegung ist das Intelligenzproletariat
.... (Ebd., 2012, S. 262).»Das sogenannte intellektuelle
Proletariat entsteht aus einer Überproduktion ... und ist stets als ein Krankheitszustand
zu betrachten. Dieser Zustand ist verursacht 1. durch eine geistige Oberschätzung
der formalen Bildung im allgemeinen, 2. durch plötzliches Stocken des ,Konsums'
an geistigen Gütern ..., 3. durch eine im Lande vorhandene industrielle Rückständigkeit,
welche die Jugend einer unproduktiven, weil überlaufenen Beamtenlaufbahn
oder den sogenannten liberalen Berufen konzentrisch zudrängt, 4. durch persönliche
Liederlichkeit und Lebensunklugheit (verkrachte Existenzen).« (Robert
Michels, Historisch-kritische Untersuchungen zum politischen Verhalten der
Intellektuellen, 1933). (Ebd., 2012, S. 262). Die politische
Bedeutung dieser Entwicklung für den Kreislauf der Verfassungen hat keiner
in seiner vollen Tragweite besser erkannt als der Sozialistenführer August
Bebel (1840-1913): »Die bürgerliche Welt schafft aber nicht nur
Überproduktion an Waren und an Arbeitern, sondern auch an Intelligenz. Deutschland
ist das klassische Land, das diese Überproduktion an Intelligenz [ an Bildung],
welche die bürgerliche Welt nicht mehr zu verwerten weiß, auf großer
Stufenleiter schafft. Ein Zustand, der für die deutsche Entwicklung jahrhundertelang
als ein Unglück galt, hat wesentlich zu dieser Erscheinung beigetragen. ...Die
Kleinstaaterei dezentralisierte das geistige Leben der Nation, sie schuf viele
kleine Zentren geistigen Lebens, die ihren Einfluß auf das Ganze ausübten.
...So entstanden wie in keinem anderen Lande Europas Hochschulen und Universitäten
in Menge. ... Das Bedürfnis nach Intelligenz steigerte sich, als die zunehmende
Bildung, Hand in Hand gehend mit der materiellen Entwicklung des Bürgertums,
das Verlangen nach politischer Beteiligung, nach Volksvertretungen und Selbstverwaltung
der Gemeinden weckte. Es waren kleine Körperschaften für kleine Länder
und Kreise, aber sie veranlaßten die Söhne der höheren Klassen,
nach einer Stelle in denselben zu geizen und ihre Bildung danach einzurichten.
.... Die Bourgeoisie war bereits zu entwickelt, um die vielen politischen Schranken,
die zugleich ökonomische waren, innerhalb der vielen einzelnen Staaten, länger
dulden zu können; sie machte Miene, revolutionär zu werden. ...Endlich
fielen die Schranken, die ihre materielle Entwicklung gehindert hatten. Bei dem
Reichtum Deutschlands an Kohlen und Erzen und einer intelligenten, aber genügsamen
Arbeiterklasse erlangte die Bourgeoisie binnen wenigen Jahrzehnten eine riesenhafte
Entwicklung. .... Diese rasche materielle Entwicklung hatte aber auch ihre Kehrseite.
Das bis zur Gründung der Einheit Deutschlands zwischen allen deutschen Staaten
bestehende Absperrungssystem hatte bis dahin einem ungemein zahlreichen Handwerker-
und Kleinbauernstand die Existenz gefristet. Mit der jähen Niederreißung
aller Schutzschranken sahen diese sich plötzlich einem sich zügellos
entwickelnden kapitalistischen Produktionsprozeß gegenübe1: Diese kamen
dadurch in eine verzweifelte Lage. .... In diesem Verzweiflungskampf suchen viele
möglichst Rettung in der Veränderung des Berufs. Die Alten können
diesen Wechsel nicht mehr vollziehen, Vermögen können sie in den seltensten
Fällen ihren Kindern hinterlassen, so werden die letzten Anstrengungen gemacht
und die letzten Mittel aufgeboten, um Söhne und Töchter in Stellungen
mit fixem Einkommen zu bringen, wozu ein Betriebskapital nicht nötig ist.
Dies sind die Beamtenstellen im Reichs-, Staats- und Kommunaldienst, das Lehrfach,
der Post- und Eisenbahndienst, die höheren Stellen im Dienste der Bourgeoisie,
auf den Kontors, in den Warenlagern und Fabriken, als Kontoristen, Lagerhaltet;
Chemiket; Techniket; Ingenieure, Konstrukteure usw., fel:ner die sogenannten liberalen
Berufe: Juristen, Ärzte, Theologen, Schriftstellet; Künstlet; Architekten,
Lehrer und Lehrerinnen u.s.w.. Tausende und aber Tausende, die früher einen
gewerblichen Beruf ergriffen hätten, sehensich jetzt, weil keine Möglichkeit
~.ur Selbständigkeit und einer auskömmlichen Existenz mehr vorhanden
ist, nach irgendeiner Stellung in den erwähnten Berufen um. Alles drängt
zur höheren Ausbildung und zum Studium. Realschulen, Gymnasien, Polytechniken
usw. wachsen wie Pilze aus der Erde, und die bestehenden sind überfüllt;
im gleichen Maßstab wächst die Zahl der Studierenden auf den Universitäten,
der Eleven in den chemischen und physikalischen Laboratorien, in den Kunstschulen,
den Gewerbe- und Handelsschulen, den höheren weiblichen Bildungsanstalten
aller Art. In allen Fächern ohne Ausnahme besteht eine hochgradige Überfüllung,
und immer stärker wird der Strom. Es werden immer neue Verlangen laut nach
Gründung von Gymnasien und höheren Bildungsanstalten, um die Zahl der
Schüler und Studierenden aufzunehmen. Behörden und Private erlassen
Warnungen über Warnungen, indem sie bald vor dem Studium dieses, bald jenes
Faches warnen. .... Weiter kommt hinzu, daß das große Heer der Reichs-,
Staats- und Kommunalbeamten aller Grade in erster Linie seine Kinder für
Berufe wie die erwähnten erzieht und erziehen muß. Soziale Stellung,
der Bildungsstand und die Ansprüche dieser Kreise verlangen die Fernhaltung
der Kinder von sogenannten niederen Beschäftigungsarten, die überdies
ebenfalls überfüllt sind. Namentlich sind es viele wohlhabende Bauernsöhne,
welchen die Rückkehr auf das Dorf und zum väterlichen Beruf nicht mehr
zusagtInfolge aller dieser Umstände hat Deutschland mehr als jedes andere
Land ein ungemein zahlreiches Gelehrten- und Künstlerproletariat, ein starkes
Proletariat in den sogenannten liberalen Berufen, das stetig sich vermehrt und
die Gärung und Unzufriedenheit mit dem bestehenden Zustand der Dinge bis
in die höheren Kreise der Gesellschaft trägt. Diese Jugend wird zur
Kritik an dem Bestehenden herausgefordert und gereizt und hilft die allgemeine
Zersetzungsarbeit wesentlich beschleunigen. So wird von allen Seiten der bestehende
Zustand der Dinge angegriffen und untergraben. Alle diese Verhältnisse führten
dazu, daß die deutsche Sozialdemokratie in dem großen Riesenkampf
der Zukunft die erste Führerrolle übernommen hat. Deutsche Sozialisten
waren es, welche die Bewegungsgesetze der modernen Gesellschaft entdeckten und
den Sozialismus als die Gesellschaftsform der Zukunft wissenschaftlich begründeten.«
(August Bebel, Die Frau und der Sozialismus, 1892, S.388 ff.). Es ist
also nur folgerichtig, wenn an dem Tage, an dem dieses Zitat in unser Buch hier
eingefügt wird, eine SPD-geführte Landesregierung die von einer CDURegierung
beschlossenen Studiengebühren wieder aufhebt, da diese ja den Zustrom zu
den Hochschulen und damit die Vergrößerung des Intelligenzproletariats
und die daraus folgende Zersetzungsarbeit vermindern könnten. (Ebd.,
2012, S. 263-264).Otto von Bismarck (1815-1898) hatte bei der Debatte
über die Verlängerung des Sozialistengesetzes auf der Reichstagssitzung
am 12. Mai 1884 erstmals vom »Abiturientenproletariat« gesprochen.
(Ebd., 2012, S. 264).»Staatspolitisch betrachtet, gibt
es mithin zwei Klassen Intellektueller. Die eine setzt sich aus denen zusammen,
welchen es geglückt ist, an der Staatskrippe ein Unterkommen zu finden, während
die andere aus denen besteht, die die Festung belagert haben, ohne daß es
ihn:n gelungen ist, in sie einzudringen. ...Die anderen sind die geschworenen
Feinde des Staates,. sind die ewig unruhigen Geistel; welche die bürgerliche
Opposition führen und die Führerschaft der revolutionären Parteien
des Proletariats übernehmen. Die staatliche Beamtenschaft besitzt dabei die
generelle Tendenz, sich im langsameren Tempo zu vergrößern und zu erweitern,
als es den unzufriedenen Elementen aus den Mittelklassen zupaß käme.«
(Robert Michels, Historisch-kritische Untersuchungen zum politischen Verhalten
der Intellektuellen, 1933). Zu wenig Lehrer, zu wenig Polizei usw., man kennt
das. (Ebd., 2012, S. 264).Daß die unteren Schichten
nicht in der Lage sind, in nennenswertem Umfang an der Vermögensbildung teilzunehmen,
ist aufgrund ihrer knappen finanziellen Situation nicht weiter verwunderlich.
Kaum etwas ist so ungleich verteilt wie die Zins- und Dividendeneinnahmen. Das
reichste Fünftel der Haushalte kassiert gut vier Fünftel der Gesamtsumme.
Auch hier hatten bis 1996 im Vergleich zu 1991 die Reichen ihren Anteil kräftig
erhöht (Heuser 1997). Insgesamt gesehen nimmt die Ungleichheit in der Vermögensverteilung
(Atkinson 1975) seit langem zu, wie ein Vergleich der Einkommens- und Verbrauchsstichproben
von 1973, 1978, 1983 und 1988 für die Bundesrepublik Deutschland zeigt.
(Ebd., 2012, S. 267).Der Wert des Gini-Koeffizienten zeigt mit
0 vollständige Gleichverteilung des Gesamteinkommens auf alle Haushalte an
und mit 1 die Konzentration auf eine einzige Person. Von 1998 bis 2006 stieg in
der Bundesrepublik Deutschland die Ungleichheit, gemessen mit diesem Gini-Koeffizienten,
stetig von 0,27 auf 0,32. Die reichsten 10% der Bevölkerung haben im Vergleich
zu den ärmsten 10 % das rund 4,2fache Nettoeinkommen. (Ebd., 2012,
S. 267). ** **Die
mitteleuropäischen Staaten lagen 2008 mit ihren Gini-Werten, abgebildet auf
dem Hintergrund der gesamten Welt, noch in einem mittleren Bereich: Österreich
0,29, Schweiz 0,34, Niederlande 0,31. Zum Vergleich: Dänemark 0,25; Schweden
0,25; USA 0,41, China 0,47; Brasilien 0,55, Südafrika 0,58). Im kommunistischen
China lag 1983 der Koeffizient noch unter 0,30. Bei den statistischen Fehlerquellen
und Unterschieden in den Berechnungsgrundlagen von Land zu Land sind alle derartigen
Zahlen mit kritischer Vorsicht zu genießen. Bei den eben zitierten Zahlen
zu Südafrika, Brasilien und China - im krassen Gegensatz etwa zu Schweden
und Dänemark - werden aber unsere groben Einschätzungen über die
Verteilung der Ungleichheit in der Welt und insbesondere innerhalb bestimmter
Länder bestätigt. Die Höhe des Gini-Koeffizienten steht sowohl
in Zusammenhang mit der regionalen und sozialen Streuung der IQ-Werte in den einzelnen
Ländern als auch mit der Phase, in der sie sich im Kreislauf der politischen
Verfassungen und der energetischen Grundlagen ihrer Volkswirtschaften befinden.
(Ebd., 2012, S. 267).Bei den Reichen ist der Besitz nochmals stark
auf wenige Superreiche konzentriert: 1% der Haushalte hatten schon 1980 fast ein
Viertel (23%) des Gesamtvermögens auf sich vereint. Noch höher ist der
Konzentrationsgrad im Bereich des Produktivvermögens bzw. Kapitals. Mit der
Verfügungsgewalt über das Produktivvermögen verbindet sich besondere
wirtschaftliche, soziale und politische Macht, da die Kapitaleigentümer erhebliche
Einflüsse auf Arbeitsplätze, Investitionen und die wirtschaftliche Entwicklung
im allgemeinen ausüben. 1966, dem Jahr der letzten verfügbaren Statistik,
waren 45% des Produktivvermögens in der Hand von 1,7% der bundesdeutschen
Privathaushalte konzentriert. Rechnet man den Teil des Produktivvermögens
weg, der dem Staat oder ausländischen Eigentümern gehört, dann
verfügen 1,7% der Privathaushalte über 74% des privaten inländischen
Kapitals. Es muß gute Gründe geben, warum neuere Veröffentlichungen
keinen Einblick in die weitere Entwicklung gestatten. (Ebd., 2012, S. 267).
Die deutschen Beamten.Eine deutsche Besonderheit
ist die Beamtenschaft. Auffällig ist zunächst ihr zahlenmäßiges
Wachstum. Seit 1950 wird das Heer der Staatsdiener ständig größer.
Ihre absolute Zahl stieg von 791.000 im Jahre 1950 auf 2.022.000 im Jahre 1993
an, ihr Anteil an den Erwerbstätigen kletterte in diesem Zeitraum von 3,8
% auf 7,1 %; erst die Privatisierung von Bahn und Post hat das Wachstum gestoppt.
(Ebd., 2012, S. 270).In ähnlichem Umfang nahm auch die absolute
und relative Zahl der Angestellten im öffentlichen Dienst zu. Der Anteil
der beim Staat Beschäftigten in der Erwerbsbevölkerung stieg von 11%
im Jahre 1950 auf 16% im Jahre 1993. Hintergrund dieses Wachstums ist die Funktionserweiterung
des Staates und die fortschreitende Tendenz zur Zentralisierung. Wie eine Krake
saugt der Staat Geld und Energie des Gemeinwesens an. »Staat nenne ich
es, wo alle Gifttrinker sind. Staat nenne ich es, wo der langsame Selbstmord aller
das Leben heißt«, schrieb Nietzsche in »Also sprach Zarathustra«
(**).
Aber das war schon im 19. Jahrhundert. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
erweiterte die Entwicklung des liberalen Rechtsstaats zum Einmischungs- und zum
Versorgungsstaat die Vielfalt der staatlichen Aufgaben erheblich. Der Staat beschränkte
sich nicht nur auf die traditionelle Sicherungs- und Ordnungsaufgabe, die er immer
schlechter wahrnimmt, sondern er griff auch lenkend in immer mehr Bereiche des
Lebens ein, ja er übernahm als Sozialstaat sogar Vor- und Fürsorgeaufgaben.
Unter seiner Regie vollzog sich die Bildungserweiterung und Bildungsentwertung
(vgl. Hans Maier, Die andere Bildungskatastrophe, 1970). Die umsichgreifende
Bevormundung verlangt nach einer Erweiterung des Staatspersonals, also der Zahl
der Beamten und der öffentlichen Angestellten. (Ebd., 2012, S. 270-271).Es
gilt nicht für alle und nicht für den letzten kleinen Polizisten, aber
Überdurchschnittliche Qualifikation und überdurchschnittliche Einkommen
kennzeichnen die Beamtenschaft. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Qualifikationsstruktur
der Beamtenschaft sogar nach oben verschoben. 1960 waren erst ein Drittel im gehobenen
oder höheren Dienst tätig, 1993 bereits 55%, 2002 68%. Man kann das
aber ebenso als Entwertung der Dienstgrade deuten. Mit dem Qualifikationsstand
der Beamten hängt auch ihr höheres Nettoeinkommen zusammen: im Jahre
2002 lag es um 38% über dem eines durchschnittlichen Arbeiterhaushalts. Im
Ruhestand, den jeder Beamte bestrebt ist, noch bei guter Gesundheit zu erreichen,
nimmt der finanzielle Vorsprung noch weiter zu: die Haushaltsnettoeinkommen lagen
in den 1980er Jahren bei pensionierten Beamten um 55% höher als bei Arbeitern
im Ruhestand und sogar um 40% höher als bei Selbständigen im Ruhestand.
Die Einkommen der Beamten sind nicht nur höher, sondern auch sicherer und
besser berechenbar als die anderer Berufsgruppen, da Gehaltszulagen rechtlich
geregelt und vorhersehbar sind und oft unabhängig von der Arbeitsleistung
garantiert werden. (Ebd., 2012, S. 271).Geißler schließt
seine Feststellungen mit dem treffenden Satz: »Die privilegierte Soziallage
ermöglicht den Beamten ein vergleichsweise zufriedenes und von großen
Sorgen freies Leben.« (Rainer Geißler, Die Sozialstruktur Deutschlands,
2006). Da auch die Professoren in Deutschland zur Beamtenschaft zählen, wäre
die Verallgemeinerung falsch, die Beamtenschaft sei die deutsche Antithese zur
Intellektuellen Elite. Die Sachlage ist komplizierter. Nur etwa die Hälfte
aller Personen mit einem hohen IQ zeigt auch eine hohe Kreativität, die andere
Hälfte dürfte aber stets fast noch zu einem guten oder mittelmäßigen
Beamten taugen. (Ebd., 2012, S. 271).»Beamte sind
in der Lage, ihren Kindern besonders gute Bildungschancen zu vermittein«
(so formuliert der Soziologe Geißler,und der Biologe denkt dabei auch an
Gene); demzufolge sind an Gymnasien und Universitäten Beamtenkinder übermäßig
stark vertreten. Beamte sind oft auch politisch aktiv. Die Ursache dafür
dürfte nicht nur in ihrem hohen Bildungsstand zu suchen sein, sondern auch
darin, daß sie durch ihre im Dienst gewonnenen Einsichten zur politischen
Teilnahme angeregt werden und ihnen ihr Dienstwissen Kompetenz vermittelt.
(Ebd., 2012, S. 271).
Stadt und Land im Kreislauf von Aufbau und Verfall.In
Mitteleuropa und anderswo können wir seit Jahrhunderten feststellen: Nicht
nur die soziale Ungleichheit, sondern auch die Ungleichheit der Siedlungen nimmt
ständig zu. Das nur von Bauern bewohnte, sich selbstversorgende Dorf ist
ebenso Geschichte wie die Stadt, deren Bestand und deren Aufgabe untrennbar mit
ihrem bäuerlichen Umland zusammenhing. Diese Städte lagen höchstens
eine Tagesreise mit dem Pferdewagen auseinander, also gerade so weit, wie ein
Bauer von der Mitte für eine Fahrt zum Markt hin und zurück brauchte.
Und damit sind wir schon bei der entscheidenden Ursache der Siedlungsdifferenzierung
angelangt, der Verfügbarkeit von Antriebsenergie für die Beförderungsmittel.
Der Einsatz von Kohle und Erdöl hat auch die Siedlungsstruktur grundlegend
verändert (vgl. Christian Pfister, Das 1950er Syndrom, 1997). Es wurde
möglich, Lebensmittel aus Dörfern in immer größere und immer
weiter entfernte Ballungszentren zu schaffen. Städte, die mit Schiffen erreichbar
sind, und Bergwerkszentren lockern die Hierarchie des Siedlungsgefüges zwar
auf, das aber auch in diesen Fällen den Gesetzen von Energiekosten und Energiebedarf
folgt. (Ebd., 2012, S. 271-272).»In den jeweiligen
Zentren an der Spitze des hierarchischen Siedlungssystems«, so der Heidelberger
Geograph Peter Meusburger (1998, 89), »war nicht nur die politische Macht
konzentriert, hier wurden nicht nur die wichtigsten Handelsverflechtungen zusammengeführt,
sondern hier haben sich die abwechslungsreichsten Elemente zusammengeschlossen.
Einzelne Städte wie Venedig (nicht zu vergessen:
Lübeck, Hamburg und die veielen anderen Hansestädte; HB),
Amsterdam und London bildeten zur Zeit ihrer wirtschaftlichen Blüte das Lagerhaus
der Welt, sie kontrollierten die Handelsströme der Welt und beherbergten
die Niederlassungen der wichtigsten Handelshäuser aus ganz Europa. Den Gegenpol
bildete die dünnbesiedelte Peripherie. .... Zwischen Zentrum und Peripherie
bestand nicht nur ein Gefälle der Preise, der Löhne, des Lebensstandards,
des Sozialprodukts und des Pro-Kopf-Einkommens, sondern vor allem auch ein Gefälle
des Wissens.« (Peter Meusberger, Bildungsgeographie, 1998, S.
89). (Ebd., 2012, S. 272).
5) Blicke in den Alltag der sozialen Schichten.
Bei
den Personen, die dieses Buch hier lesen, gehören aller Wahrscheinlichkeit
nach alle Ihre Freunde und Ihre unmittelbaren Berufskollegen der Schicht I an
der Spitze an, gehören also nach der Definition von Weiss zu den Hochbegabten
des Genotyps M1M1 (vgl. S. 218 **),
also zu der schmalen kleinen Glockenkurve am oberen Ende der drei Normalverteilungen
(**|**).
.... Zur intellektuellen Elite, der Schicht I gehören in der Bundesrepublik
Deutschland reichlich 4 Millionen Menschen, im deutschen Sprachraum 5 Millionen
Menschen. (Ebd., 2012, S. 283).
Armut, IQ und Kinderreichtum.
Warum leben
in reichen Ländern so viele Kinder in Armut? Die Armut unter Kindern ist
in »Familien« (Anführungszeichen von mir;
HB), die nur eine alleinstehende Mutter hatten, stets größer
gewesen, ob die Mutter nun geschieden war oder nie verheiratetet. In »Familien«
(Anführungszeichen von mir; HB) von alleinstehenden
Müttern waren in den USA 1991 36% arm, in allen anderen Familien (den
echten Familien also; HB) 6%. Seit 1959, dem Jahr, seit dem es überhaupt
derartige amtliche Statistiken gibt, waren stets mehr als 30% aller alleinstehenden
Mütter arm. Und die Rechnung war bis 1996 in den USA von brutaler Einfachheit:
Je höher der Anteil der Kinder ist, die in Haushalten mit einer alleinerziehenden
Frau leben, desto größer ist der Anteil der Kinder, die in Armut leben.
Ein großer Teil der wachsenden Armut unter Kindern kommt also dadurch zustande,
daß ein wachsender Anteil der Kinder in solchen »Familien« (Anführungszeichen
von mir; HB) aufwächst. (Ebd., 2012, S. 284-285).Auch
»im deutschen System erhalten Familien mit niedrigem oller gar keinem Einkommen
Prämien für ihre Kinder«, merkt Thilo Sarrazin (2010, S. 86) an.
»Insoweit ist die soziale Schieflage in der deutschen Geburtenstruktur
nicht verwunderlich. Auch für das einkommensunabhängige Kindergeld in
Deutschland gilt: Wenn überhaupt, dann entfaltet es Anreizwirkungen im Bereich
niedriger Einkommen und damit bei den Falschen. Die USA haben längst etwas
gegen die hohe Zahl der Unterschichtgeburten in ihrem Land unternommen.«
(Ebd., 2012, S. 285).In der Bundesrepublik Deutschland gehören
zu den Gruppen mit dem höchsten Armutsrisiko die Alleinerziehenden. Ihre
Zahl hat durch den Anstieg der Scheidungsraten und der unehelichen Geburten stark
zugenommen; in Westdeutschland lag 1992 der Anteil Alleinerziehender an allen
Familien mit Kindern unter 18 Jahren bei 14%; im Osten, wo zu diesem Zeitpunkt
42% der Sozialhilfebezieher Alleinerziehende waren, lag der Anteil bei 22%. ,,2002
müssen zwei Fünftel der Alleinerziehenden unter der 60%-Grenze leben,
bei zwei und mehr Kindern sind es fast drei Fünftel. Wichtige Ursachen dafür
sind die unzureichende Versorgung durch die Väter sowie die Arbeitsmarktprobleme
und die niedrigen Einkommen der Mütter.« (zitiert nach Rainer Geißler,
Die Sozialstruktur Deutschlands, 2006, S. 207). (Ebd., 2012, S. 285).Auch
Kinderreichtum ist in Deutschland eine häufige Ursache von Deklassierung.
Mit zunehmender Kinderzahl scheiden immer mehr Mütter aus dem Arbeitsmarkt
aus bzw. haben bei Bewerbungen keine Chance. Insbesondere das dritte Kind spielt
dabei eine wichtige Rolle; es ist häufig Anlaß für den Verlust
des zweiten Erwerbseinkommens der Familie. Daher war das Armutsrisiko von kinderreichen
Familien schon früher hoch; ,,2002 lebten 29% der Familien mit mindestens
drei Kindern unter der 60%-Grenze.« (Rainer Geißler, Die Sozialstruktur
Deutschlands, 2006, S. 208). Darauf folgt zwangsläufig, daß in
Deutschland auch Kinder und Jugendliche, die in solchen armen Familien aufgewachsen
sind, selbst wieder Überdurchschnittlich häufig in Not geraten. Auf
Sozialhilfe, die schon in den 1970er und 1980er Jahren in Deutschland ständig
zunahm, sind heute junge Menschen unter 18 Jahren besonders oft angewiesen; 2003
mit 7,2% mehr als doppelt so häufig wie alle Bundesdeutschen (3,4% ).
(Ebd., 2012, S. 285).Sarrazin weiter: »Der Sozialstaat
sorgt durch Umverteilung und Auffangnetze dafür, daß jeder Bürger
materiell in der Lage ist, für seine Gesundheit zu sorgen, sich zu ernähren,
zu kleiden und noch einiges mehr. .... Um eine Mindestabsicherung zu erhalten,
... sind weder schulische Grundkenntnisse noch ein gewisser Fleiß, noch
Pflichtbewußtsein im sozialen und familiären Zusammenhang, ja eigentlich
überhaupt keine Eigenschaften und Fähigkeiten erforderlich, die über
das reine Existieren hinausgehen. Auch der Belohnungsmechnismus für solche
Eigenschaften existiert in der Transferwelt nicht, damit bilden sich diese zurück
oder werden gar nicht erst ausgebildet, ähnlich wie die Muskeln bei jenen
atrophieren, die sich zu wenig bewegen. Für die moralisch und geistig Schwächeren
in der Gesellschaft ist dies eine große Versuchung. Bleiben sie länger
im Zustand des anforderungsfreien Lebens, auch wenn sie ohne ihren Willen oder
durch Unglück dort hineingeraten sind, verlieren sie neben dem Willen auch
die Fähigkeiten, die erforderlich sind, sich aus diesem Zustand wieder zu
befreien. .... Je größer die Bedarfsgemeinschaft, desto höher
ist der Betrag der monatlichen Grundsicherung. Ein Ehepaar mit zwei Kindern erhält
1710 Euro im Monat. Ein sozialversicherungspflichtiger Alleinverdienender müßte
schon 2500 Euro brutto verdienen, um diese Summe zur Verfügung zu haben.
Bei vier Kindern müßte er brutto 3500 Euro erreichen, um auf die Grundsicherung
von 2300 Euro zu kommen. Mit jedem Kind erhöht sich die Grundsicherung um
322 Euro. Über die Ausgaben muß keine Rechenschaft abgelegt werden.
Nahrungsmittel gibt es mittlerweile ... bei den verschiedenen Tafeln und gebrauchte
Kinderkleidung wird ... sehr günstig angeboten. Eine Bedarfsgemeinschaft
aus zwei Erwachsenen und vier Kindern kann auf diese Weise die Grundsicherung
erheblich aufstocken. Es liegt eine gewisse Logik darin, daß der Anteil
der Kinder aus Haushalten von Transferempfängern etwa doppelt so hoch ist
wie der Anteil der Transferempfänger selbst. In Berlin stammen mittlerweile
35% der Schulkinder aus Haushalten von Transferempfängern, in Bremen sind
es 30%, in Hamburg 25% und im Bundesdurchschnitt 16%. Nicht Kinder produzieren
Armut, sondern Transferempfänger produzieren Kinder. Die Statistik scheint
das zu belegen, denn in in der Bundesrepublik bekommen diejenigen, die von sozialer
Unterstützung leben, deutlich mehr Kinder als der vergleichbare Rest der
Bevölkerung. Damit wächst in unserem Bildungssystem der Anteil der Kinder
aus bildungsfernen Unterschichtfamilien kontinuierlich.« (Politisch
korrekt formuliert, denn es wächst der Anteil der Kinder mit niedrigem IQ
- solchen Klartext wagt Sarrazin nicht zu schreiben bzw. sein Verlag zu drucken.)
(Ebd., 2012, S. 285-286).»Nach Abschluß einer meist
wenig erfolgreichen Schullaufbahn schlagen die wenig qualifizierten Kinder großenteils
den Weg ihrer Eltern ein und bekommen (bereits in jungen Jahren [diese
eingeschobenen Anmerkung von Weiss zeigt, daß er mehr weiß als Sarrazin;
HB]) wieder überdurchschnittlich viele Kinder: Systematische Unterschiede
in der Fruchtbarkeit (und des Generationenabstandes [diese
eingeschobenen Anmerkung von Weiss zeigt, daß er mehr weiß als Sarrazin;
HB]) verschiedener Gruppen bedeuten in wenigen Generationen eine radikale
Verschiebung der Bevölkerungsverhältnisse. Deshalb wird das unterschiedliche
generative Verhalten von Unterschicht und Rest der Bevölkerung auf Dauer
unsere Gesellschaft verändern. .... Die Grundsicherung beeinflußt also
die Sozialisation und das generative Verhalten der Unterschicht. Sie bestimmt
aber auch wesentlich das Migrationsgeschehen und die Integrationsbereitschaft
der Migranten. Ohne die deutsche Grundsicherung wäre ein großer Teil
der Migranten aus der Türkei, aus Afrika und Nahost niemals gekommen. ....Ohne
Grundsicherung wäre auch der Familiennachzug geringer gewesen und Deutschland
als Asyl nur halb so attraktiv. .... Insbesondere unter den Arabern in Deutschland
ist die Neigung weit verbreitet, Kinder zu zeugen, um mehr Sozialtransfers zu
bekommen, und die in der Familie eingesperrten Frauen haben im Grunde ja kaum
etwas anderes zu tun«, glaubt der SPD-Politiker Sarrazin zu wissen.
(2010, S. 147 ff.). (Ebd., 2012, S. 286).Und er fügt
an anderer Stelle hinzu: »In der Grundsicherung für Kinder ist ein
Differenzbetrag vorgesehen, der über den Mehrausgaben liegt, die alle deutschen
Haushalte für Kinder durchschnittlich aufwenden. Man kann für seine
Kinder aber durchaus auch weniger ausgeben als der Durchschnitt, ohne dass diese
hungern müßten. Das heißt letztlich, daß der Empfänger
von Transferleistungen seinen Lebensstandard erhöhen kann, indem er Kinder
bekommt. Damit ist die natürliche Ordnung der Welt auf den Kopf gestellt.
.... Kinder und insbesondere viele Kinder machen es der Unterschicht leichter,
das Leben ohne reguläre Arbeit recht angenehm zu gestalten, denn die Geldleistungen
für Kinder können als Deckungsbeitrag für den Lebensstandard
der Erwachsenen zweckentfremdet werden.« (Thilo Sarrazin 2010, S. 385).
Statt von »Transfer« sprechen wir in diesem Buch an anderen Stellen
schlicht und einfach von Umverteilung. Es bedeutet stets: das, was den einen gegeben
wird, wurde anderen vorher weggenommen. (Ebd., 2012, S. 286).Nicht
nur in Deutschland ist die Gefahr, an den Rand der Gesellschaft zu geraten, bei
Ungelernten und Angelernten um ein Vielfaches höher als unter Hochschulabsolventen,
sondern in allen Industriestaaten. Bei Menschen ohne Ausbildungsabschluß
gibt es häufig längere Armutsperioden, bei Abiturienten und Akademikern
in den richtigen Berufen gehört das zu den Ausnahmefällen. Der Regelsatz
für die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt ist in den letzten Jahrzehnten
in Deutschland dynamisch an die allgemeine Lohn- und Gehaltsentwicklung angepaßt
worden. »Sein Realwert ist zwischen 1965 und 2000 prozentual sogar deutlich
stärker gestiegen (um fast 80%) als die durchschnittlichen Nettorealverdienste
der Arbeitnehmer (um 44%).« (Rainer Geißler, Die Sozialstruktur
Deutschlands, 2006, S. 209). Dennoch wird auch in Deutschland die Armutskluft,
der Abstand im Lebensstandard zwischen den Armen und dem Durchschnitt der Bevölkerung
(von der Oberschicht ganz abgesehen), stetig und allmählich größer.
Legt man die Preise von 1991 zugrunde, dann stieg in Westdeutschland seit 1965
der Eckregelsatz der Sozialhilfe um 106 Euro, die Löhne und Gehälter
dagegen um durchschnittlich 357 Euro. Die Armen haben also in bescheidenem Maße
an der Wohlstandsentwicklung teilgenommen, und sie leben 2000 in etwas weniger
kümmerlichen Verhältnissen als 1965. Gleichzeitig hat sich jedoch die
Schere zwischen Armutsgrenze und Durchschnittseinkommen weiter geöffnet.
Eine Minderheit, sie umfaßt etwa ein Drittel der Armen, ist sogar dazu verurteilt,
mindestens fünf Jahre lang oder auch noch länger in extremer Wohnungsnot
oder an bzw. unterhalb der Grenze des Existenzminimums zu leben. (Ebd.,
2012, S. 287).Bei Obdachlosen werden 60% des Einkommens für
ihre Zahlungsverpflichtungen aufgezehrt. Der Anteil der Kinder und Jugendlichen
unter den Obdachlosen betrug 2003 22%. Kinderreiche Familien mit mindestens drei
Kindern machen 40-50% der Bewohner von Obdachlosenunterkünften aus. Etwa
die Hälfte der Kinder aus obdachlosen Familien werden in Sonderschulen überwiesen
und nur etwa 20% erlernen einen Beruf. Diese Zahlen weisen darauf hin, daß
es sich nicht nur um eine Folge der sozialen Umwelt handelt, sondern um eine Gemengelage
aus geringer Denkkraft, Persönlichkeitsstörungen (auch mit genetischen
Komponenten) und Umweltschäden. (Ebd., 2012, S. 287).Kein
untersuchter Indikator für Probleme des Sozialverhaltens ist aussagekräftiger
als der Zusammenhang zwischen dem IQ des Kindes und dem IQ der Mutter. Mütter,
die Kinder von sechs Jahren und älter im schlechtesten Dezil der IQ-Verteilung
hatten, hatten selbst einen mittleren IQ von 81. 94% dieser Kinder hatten Mütter
mit einem IQ unter 100. In der Humangenetik wird in diesem Grenzbereich immer
noch mit dem Begriff »erblicher Schwachsinn« argumentiert. Man könnte
ebensogut von »physiologischer Dummheit« sprechen. Dahinter verbirgt
sich eine große Anzahl von Genen, bei denen der normale Stoffwechsel gestört
sein kann und bei denen dann bestimmte Allele in doppelter Dosis zu beträchtlichen
geistigen Ausfallserscheinungen führen können, nicht selten auch zusammen
mit körperlichen Ausfällen und Mißbildungen. Der Schwachsinn ist
dann nur eine Begleiterscheinung. (Ebd., 2012, S. 287).In
den letzten Jahren ist es gelungen, bei einer immer größer werdenden
Zahl von genetischen Defekten den genauen biochemischen und genetischen Mechanismus
aufzudecken, so daß die Restgruppe »erblicher Schwachsinn,«
für die die Ursache noch immer unklar ist, von Jahr zu Jahr kleiner wird
und mit dem weiteren Fortschreiten der humangenetischen Forschung ganz verschwinden
sollte. Auch unser Modell, bei dem Intelligenz nur durch einen einzigen Locus
mit den Allelen M1 und M2 bestimmt wird, wird sich im Laufe der weiteren Forschung
als eine Vereinfachung herausstellen, mit der Wesentliches zwar richtig erfaßt
wurde, hinter der sich aber eine viel komplexere Wirklichkeit verbergen dürfte.
So könnten die Allele M1 und M2 die Abstraktion von zwei Allelserien sein,
deren Eigenschaften sich innerhalb einer Serie nur geringfügig unterscheiden,
und es könnte weitere, seltene Allele geben. Unter bestimmten Bedingungen
sollten auch andere genetische Faktoren bzw. Loci von Bedeutung sein. Auch bei
den Blutgruppen kannte man am Anfang nur die Haupt-Blutgruppen und ihre Eigenschaften.
Heute ist die Genetik der Blut- und Serumgruppen eine Wissenschaft für sich,
wobei man inzwischen für die meisten Blutgruppen die genaue genetische Kodierung
kennt. Oft handelt es sich dabei um einfache genetische Polymorphismen (SNPs),
manchmal aber auch um komplexere genetische Hintergründe. Eine analoge Ausweitung
und Differenzierung der Ergebnisse und Sichtweisen sollte man auch für die
Genetik der Denkkraft erwarten. (Ebd., 2012, S. 287-288).Herrnstein
und Murray ziehen den Schluß, ein großer Anteil der Menschen, mit
deren Verhalten und Problemen sich die Sozialpolitik befassen muß, hätte
eine niedrige Intelligenz. Oft bewegt sich ihre Denkkraft nahe der Grenze zur
Schwachsinnigkeit. Wenn man erfolgreiche Sozialpolitik machen will, dann muß
man sagen, wie man die am wenigsten intelligenten Menschen erreichen will, ohne
sie durch Transfers zu einer übermäßigen Vermehrung anzuregen.
(Ebd., 2012, S. 288).
Bildung.
Um 1965 brach in der Bundesrepublik
Deutschland »eine heute nicht mehr vorstellbare Bildungshysterie aus,
in der nahezu alles falsch gemacht wurde, was falsch gemacht werden konnte. Die
Politiker, aus Furcht vor dem Verlust ihrer Mandate bei der nächsten Wahl,
übertrafen sich gegenseitig in der Erfüllung der in dieser Situation
auftretenden Forderungen, durch deren Befolgung es ... alle paar Jahre zu einer
Verdoppelung der Bildungsausgaben kam. Das Studium als Karriereleiter nach oben
für alle in der Gesellschaft, die noch nicht oben waren, wurde angepriesen
von einer Partei, in der es Männer und Frauen mit Volksschulabschluß
schon immer über die sozialistische Aufstiegsleiter im Namen der sozialen
Gerechtigkeit zu etwas gebracht hatten, nun aber sollte auch noch die letzte Hürde
genommen werden. In langer Tradition gewachsene und bewährte Strukturen im
Bildungswesen galten jetzt plötzlich nichts mehr und wurden zertrümmert.
Lehrerseminare stufte man zu Pädagogischen Hochschulen hoch, ... die man
schließlich einfach in die alten Universitäten integrierte. .... Ebenso
verfuhr man mit den Ingenieurschulen. .... Die Leistungsanforderungen des Abiturs
wurden abgesenkt, um möglichst viele Studierende zu produzieren, die dann
die Universitäten überfüllten und oft Fächer studierten, für
die sie sich gar nicht interessierten und oft genug war ihnen das Studieren überhaupt
wesensfremd. .... Die Abbrecherquoten der Studierenden stieg in den Folgejahren
und bis heute in früher nichtgekannte Höhen.« (Klaus Oehler,
Blicke aus dem Philosophenturm., 2007, S. 206 ff.). (Ebd., 2012, S. 289).In
den USA scheint, so meinen Herrnstein und Murray (1994), die Beziehung zwischen
dem IQ und dem Erreichen eines bestimmten Bildungsgrades über die Zeit bemerkenswert
stabil geblieben zu sein. Vor vierzig Jahren stand in einem Lehrbuch über
den Wechsler-IQ: Der mittlere IQ derjerugen, die eine schulische GrundausbIldung
(die High School der USA) abgeschlossen haben, lag bei einem IQ von 105; der Mittelwert
bei denjenigen mit dem us-amerikanischen College-Abschluß lag bei einem
IQ von 115; der Mittelwert für Personen mit abgeschlossenem Medizinstudium
und Ph. D. bei 125. Das sind ziemlich genau die Schwellenwerte zwischen den Genotypen
M1M1, M1M2 und M2M2, d.h. eben die IQ-Werte, mit denen man die drei sich überlagernden
Normalverteilungen dieser Typen am besten trennen kann (**).
Herrnstein und Murray (1994) können das mit ihren Zahlen bestätigen:
der Mittelwert für Personen mit High-School-Abschluß lag bei IQ 106,
für Personen mit College-Abschluß bei IQ 116, für Personen mit
Hochschulabschluß bei IQ 126. (Ebd., 2012, S. 288-289). |
 |
Über
längere Zeiträume bleiben derartige IQ-Mittelwerte aber nicht unverändert.
In allen Industrieländern ist es im 20. Jahrhundert zu einer derartigen Ausweitung
der Zahl der Personen mit Hochschulabschluß gekommen, daß ein Absinken
des mittleren IQ in einigen Fachrichtungen (zum Beispiel in den Massenstudienfächern
der Sozialwissenschaften) die Folge sein muß. Auch wenn man wie Herrnstein
und Murray davon ausgeht, daß früher nur ein Teil der Hochbegabten
zusammen mit Mittelmäßigen studierte, heute aber alle Hochbegabten
irgendwann zu den Studenten gehören, bedeutet die Bildungsausweitung zwangsläufig
auch eine Bildungsentwertung, d.h. Personen mit der formal gleichen Qualifikation
haben 1990 einen niedrigeren IQ als im Jahre 1950. In Deutschland haben sich die
Anteile der Qualifikationsgruppen seit 1950 in folgender Weise verändert
(vgl. Abbildung; HB). (Ebd., 2012, S. 289).Wie
man sieht, ist die Entwicklung in Ost und West im wesentlichen gleich verlaufen,
die Entwicklungsschübe waren in der DDR sogar früher und umfassender.
Aus Ungelernten wurden Facharbeiter, teils durch tatsächliche Bildung, teils
durch einfache Zuschreibung von Bildung und ohne daß sich ihr M2M2-Status
dadurch änderte. In beiden Gesellschaften nahm der Anteil der Absolventen
von wissenschaftlichen Hochschulen langsam aber stetig zu. Mitte der 1960er Jahre
betrug der Akademikeranteil unter den Erwerbstätigen in beiden Gesellschaften
etwa 3% und bestand überwiegend aus M1M1-Personen; 1993 hatte er in den neuen
Ländern 10% und in den alten 7,4% erreicht, bestand aber jetzt etwa zur Hälfte
aus M2M2. Der Durchschnitts-IQ des deutschen Geistes- und Sozialwissenschaftlers
war damit kräftig gesunken. In Europa lag Deutschland schon 1995 mit einern
Anteil von 22% Hoch- und Fachschulabsolventen bei den 25- bis 64jährigen
auf einern Spitzenplatz. Die Unterschiede zwischen den Ländern werden aber
mehr davon beeinflußt, ob in einem Land auch alle Krankenschwestern und
Unterstufenlehrer dieser Kategorie zugeordnet werden oder nicht, als daß
es sich um wirkliche Unterschiede handelt. (Ebd., 2012, S. 289). |
 | | | |  |
Die
Ausweitung der Bildung in allen höheren Qualifikationsstufen bedeutet stets
ein Absinken des mittleren IQ aller Bildungsstufen. Besonders augenfällige
Auswirkungen hat das bei den Ungelernten, die sich immer stärker als eine
Gruppe mit besonders niedrigem Durchschnitts-IQ herausschälen. Bei Frauen
wirkt sich das noch stärker aus als bei Männern. Für das Geburtsjahr
1923 sagte der Bildungsgrad einer Frau noch weniger über ihren IQ aus als
für Männer. 60% aller Frauen hatten nur Volksschulbildung ohne einen
Berufsabschluß und damit den mittleren IQ 92. Für den Geburtsjahrgang
1965 zeigt diese Un-Bildungsstufe jedoch nur noch einen mittleren IQ von 79 an.
Für die Tabelle und die Abbildung wurde dabei angenommen, von 1923 bis 2004
sei der mittlere IQ der Bevölkerung im Westen mit 100 gleich geblieben und
die Leistungsselektion durch das Bildungssystem vollständig und uneingeschränkt.
Da diese Annahmen in der Wirklichkeit nicht voll zutreffen, dürften die Werte
von Hochschulabsolventen und Ungelernten noch um 2 oder 3 IQ-Punkte zum Mittelwert
hin abweichen. Das ändert aber nichts an den Entwicklungen und Einschätzungen.
(Ebd., 2012, S. 290).Noch aussagekräftiger ist, wieviel Prozent
eines jeweiligen Geburtsjahrgangs das Abitur ablegen und ein Hochschulstudium
beginnen. (Ebd., 2012, S. 290).Wie man sieht, explodierte
im Westen die Abiturientenquote von 6%, überwiegend M1M1, im Jahre 1960 auf
27% im Jahre 2003. Von diesen 27% können die M1M1 höchstens noch ein
Fünftel ausmachen und dementsprechend muß der Durchschnitts-IQ aller
Abiturienten in diesem Zeitraum von etwa 128 auf etwa 117 gesunken sein. Analoges
gilt für die Studienanfänger an den Hochschulen: 1993 nahmen in den
alten Bundesländern 38% eines Jahrgangs ein Studium an einer Fachhochschule
(die durch die Bildungsinflation aus der Fachschule entstanden ist) oder Universität
auf. Damit sind praktisch alle M1M1- und M1M2-Personen für ein Studium ausgesiebt.
Eine weitere Ausweitung des studierenden Personenkreises wäre nur noch durch
ein deutliches Absenken des Anspruchsniveaus möglich bzw. des mittleren IQ
der Studenten, der jetzt bei etwa 115 liegt. Die Bildungsausweitung hat eine Eigendynamik
entwickelt und sich zu einer Bildungsspirale erweitert, die den Keim der Selbstzerstörung
in sich trägt. Junge und kluge Frauen werden in Laufbahnen getrieben, in
denen sie - unter den gegenwärtigen Bedingungen der Ausbeutung des Menschen
durch den Menschen in der kapitalistischen Gesellschaft - für ein Familienleben
keinerlei ausreichende Sicherheit mehr haben und demzufolge bereits jetzt zu 40%
unverheiratet und kinderlos bleiben. Auf diesen Punkt und seine Folgen gehen wir
an anderer Stelle ausführlich ein (siehe S. 379). (Ebd., 2012, S. 290-291).»Mit
der steigenden Aufenthaltsdauer haben sich die Chancen der Zuwandererkinder im
deutschen Schulsystem erheblich verbessert. Während in den 1970er Jahren
mehr als die Hälfte ohne Schulabschluß blieb, schafften 1993 fast fünf
von sechs mindestens den Hauptschulabschluß und ein immer größerer
Anteil absolviert erfolgreich die weiterführenden Schulen. .... Der Trend
zu besseren Schulabschlüssen hat sich allerdings in den 1990er Jahren abgeschwächt.
.... Die Ursachen für die weiterhin bestehenden, erheblichen Bildungsdefizite
der Migrantenkinder hängen zu einem großen Teil mit dem relativ niedrigen
soziökonomischen Status der Migrantenfamilien zusammen. .... Deutschland
ist durch Migranten stärker unterschichtet als andere Gesellschaften.«
(Rainer Geißler, Die Sozialstruktur Deutschlands, 2006, S. 244 f.).
(Ebd., 2012, S. 291).Die zunehmende Bürokratisierung und Verwissenschaftlichung
der Berufswelt haben dazu geführt, daß berufliche Werdegänge immer
stärker an bestimmte Laufbahnvorschriften gebunden sind und der Einstieg
in bestimmte Laufbahnen wiederum immer enger an bestimmte Schulabschlüsse
gekoppelt wurde. Weil die Zahl der mittleren und höheren Abschlußzertifikate
erheblich vermehrt wurde, verringert sich ihr Wert. Das gilt für die Akademiker
als Masse, nicht aber in gleichem Maße für die Eliteberufe, für
die nach wie vor ein sehr hoher IQ die Grundvoraussetzung ist. Dafür sind
die Anforderungen von der Sache her, wie etwa in der Theoretischen Physik, Mathematik
und Biochemie, so hoch, daß es bisher noch zu keiner Absenkung des mittleren
IQ dieser Berufe gekommen ist und kommen konnte. In den anderen Berufen aber haben
die höheren Bildungsabschlüsse für die soziale Plazierung an Bedeutung
eingebüßt. Ein Hochschulabschluß ist heute Voraussetzung, aber
keine Garantie für einen höheren Sozialstatus. Da in Deutschland formal
alle Universitäten gleich gut sind, entfällt - im Unterschied zu den
USA - der Besuch von Eliteuniversitäten als weiteres Differenzierungsmerkmal.
Ein bestimmter Bildungsabschluß hat immer weniger eine Signalfunktion, wenn
man damit Vorteile erlangen will; gleichzeitig wird er aber immer notwendiger,
um die Chancen auf diese Vorteile zu wahren. (Ebd., 2012, S. 291-292).Von
den Soziologen wird immer wieder die Frage gestellt: Wie hat sich die Bildungsausweitung
und -entwertung auf die schichtspezifische Ungleichheit der Bildungschancen ausgewirkt?
Bei der Beantwortung der Frage hantieren die Bildungsstatistiker leider oft mit
so unsauberen statistischen Kategorien, daß damit eher etwas zur Verkleisterung
als zur Erhellung beigetragen wird. Welchen Bildungsgrad haben zum Beispiel »Selbständige«
als Väter? (Ebd., 2012, S. 292).Da auch die altbundesdeutsche
bildungssoziologische Forschung seltsamerweise von der - eigentlich zutiefst marxistischen
- Wunschvorstellung durchdrungen ist, sie habe die Aufgabe, eine immer größere
Angleichung der Bildungschancen nachzuweisen, und nur das sei als ein positives
Ergebnis zu werten - ob nun nur in der Forschung oder der gesellschaftlichen Wirklichkeit,
spielt dabei keine Rolle; und wehe den Daten, wenn sie nicht die Wunschvorstellung
bestätigen -, denken nicht einmal die Max-Planck-Institute für Bildungsforschung
und Psychologie daran, den IQ von Vater, Mutter und ihren Kindern zu erheben und
mit Bildungsgraden und Berufen in Beziehung zu setzen. Vieles muß also indirekt
erschlossen werden. (Ebd., 2012, S. 292). |
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Wie
meist wird auch in dieser Tabelle soziale Herkunft allein durch den Vater bestimmt.
Der Bildungsgrad und der IQ der Mutter werden völlig außer acht gelassen,
obwohl gerade das interessant wäre. Geißler selbst interpretiert die
altbundesrepublikanischen Daten so: »Beim Wettlauf um die höheren
Schulabschlüsse haben insbesondere die Kinder der gesellschaftlichen Mitte
aufgeholt, die Arbeiterkinder, insbesondere die Ungelernten, haben weiter an Boden
verloren. Noch krasser wirkt der soziale Filter beim zunehmenden Run auf die Universitäten.
.... Die universitären Studienchancen der Kinder von selbständigen Akademikern
liegen mit 82% um das 41-fache höher als diejenigen der Kinder von Ungelernten,
die häufiger eine Sonderschule (8%) als ein Gymnasium (7%) oder gar eine
Universität (2%) besuchen.« Und wie Herrnstein und Murray (1994)
für die USA kommt auch Geißler für Deutschland zur gleichen Schlußfolgerung:
»Die Bildungsexpansion verbessert zwar die Bildungschancen aller Schichten,
verstärkt aber gleichzeitig die soziale Ungleichheit auf dem Weg zu den höheren
Bildungsniveaus. Die Hauptverlierer sind die Arbeiterkinder, trotz besserer Chancen
hat sich ihr Abstand zu allen anderen Schichten erheblich vergrößert.«
(Ebd., 2012, S. 292).Eine ähnliche Entwicklung war auch in
der DDR abgelaufen: Zu den revolutionären Umwälzungen in der Startphase
der sowjetischen Besetzung und der DDR gehörte auch die »Brechung des
bürgerlichen Bildungsmonopols«. Ziel war die Heranbildung einer neuen
sozialistischen Führungsschicht, die sich anfangs vor allem aus den Söhnen
und Töchtern von Arbeitern und Bauern, später aus allen Klassen und
Schichten, proportional ihrem Bevölkerungsanteil, rekrutieren sollte, also
genau der Vorgabe der kommunistischen Utopie entsprechend. Ab 1945 wurde mit einem
ganzen Bündel bildungspolitischer Maßnahmen - Einheitsschule, Landschulreform,
in Schnellkursen ausgebildete Neulehrer aus den unteren Schichten, intensiver
Bildungswerbung unter Arbeiter- und Bauernkindern - sowie Behinderungen für
Akademikerkinder beim Besuch von weiterführenden Schulen und bei der Aufnahme
eines Studiums, das Bildungssystem umgewälzt; hunderttausende Akademiker
und Selbständige und ihre Familien wurden so über die offene Grenze
in den Westen getrieben. Durch die besondere Förderung (zum Beispiel in Arbeiter-und-Bauern-Fakultäten),
aber auch durch eine gezielte Bevorzugung von systemloyalen Arbeiter- und Bauernkindern,
die für die ideologische Übereinstimmung schon damals ein wichtiger
zusätzlicher Pluspunkt bei der ansonsten an Leistung orientierten Auswahl
darstellte, wurden die Universitäten für Arbeiterkinder geöffnet.
Ende der 1950er Jahre hatte es die DDR geschafft, sich dem kommunistischen Ziel
der proportionalen Chancengleichheit in beachtlichem Maße zu nähern.
Aber was geschah dann? (Ebd., 2012, S. 293).1961 wurde die
Mauer gebaut, und die soziale Entwicklung der DDR schmorte fortan im eigenen Topf.
In den 1960er Jahren wuchs bei den Abiturienten von Jahr zu Jahr der Anteil derer,
deren Eltern einst nach dem Krieg als Arbeiter- und Bauernkinder eine besondere
Förderung erfahren hatten und die inzwischen selbst leitende Angestellte
oder Angehörige der Intelligenz geworden waren. In der Statistik zählten
ihre Kinder nicht mehr als Arbeiter- und Bauernkinder. Alle politischen Kunstgriffe,
mit denen man zum Beispiel hauptamtliche Parteifunktionäre, Offiziere und
viele andere zu Angehörigen der »führenden Arbeiterklasse«
und ihre Kinder damit ehrenhalber zu Arbeiterkindern der zweiten Nachkommengeneration
deklarierte, halfen nicht darüber hinweg, daß auch die Parteifunktionäre
und Offiziere inzwischen Hochschulbildung hatten und ihre Kinder nicht mehr der
besonderen Förderung von Arbeiterkindern teilhaftig wurden, Das war den Vertretern
der »führenden Arbeiterklasse« ärgerlich und peinlich, und
man schaffte die besondere Förderung von Arbeiterkindern Mitte der 1960er
Jahre ab, Inzwischen gab es auch schon in der DDR eine Sozialforschung, die, da
sie mit so absichtlich verschwommenen Kategorien wie »Arbeiterklasse«
nichts anfangen konnte, mit klaren Zuordnungen (klarer als im Westen) arbeiten
mußte und deshalb von »Bildungsschichten« zu sprechen begann.
In den Jahren nach 1970 definierte diese empirische Sozialforschung alle Hoch-
und Fachschulabsolventen (also etwa alle mit einem IQ über 115), unabhängig
von ihrer Arbeitsstelle, Macht oder Funktion, als Angehörige der »Intelligenz«.
(Ebd., 2012, S. 293-294).Untersuchte man nun die soziale Herkunft
dieser Intelligenz, so bereitete das der Machtelite in der DDR ziemliches Kopfzerbrechen.
»Während sich in den Anfangsjahren der DDR die soziale Schicht der
Intelligenz tatsächlich in ihrer Mehrheit aus Arbeiterkreisen rekrutierte
(logischerweise könnte man anmerken: weil traditionelle bürgerliche
und kleinbürgerliche Schichten durch teilweise recht rigide Methoden von
akademischen Bildungswegen ausgeschlossen wurden), schlug der Mobilitätsmechanismus
keimhaft in den 1960er und offen in den 1970er Jahren um. Nun rekrutierte sich
der bei weitem größte Teil der Intelligenz wieder aus dem gleichen
sozialen Milieu (in den anderen sozialistischen Ländern übrigens gleichermaßen).«
(Manfred Lötsch, Intelligenzproblematik in der DDR, 1995, S. 184).
(Ebd., 2012, S. 294).Schon 1972 konnten die führenden Bildungsplaner
der DDR in einer Dissertation (Weiss, 1972), die unter ihrer Aufsicht entstanden
war und bei der es um die soziale Herkunft von Mathematik-Hochbegabten in dem
historisch kurzen Zeitraum von 1963 bis 1970 gegangen war, nachlesen: »Geht
man auf die einzelnen Jahre zurück, so stellt man fest, daß 1963 54
Intelligenzkindern 65 Kinder von Hand- und Maschinenarbeitern und Bauern gegenüberstehen,
und der Quotient Intelligenz : Arbeiter- und Bauernkindern beträgt 0,8. 1970
stehen jedoch 130 Intelligenzkindern 35 Kinder von Hand- und Maschinenarbeitern
gegenüber, und der Quotient beträgt 3,7. Die Entwicklung ist dabei kontinuierlich,
d.h. alle drei Jahre kommt es zu einer relativen Verdopplung der Zahl der Intelligenzkinder
gegenüber der Zahl der Kinder von Hand- und Maschinenarbeitern und Bauern.
Geht man anhand der Fragebogen von 1970 auf die reale Qualifikation zurück
(und rechnet dann alle Angestellten mit entsprechendem Studienabschluß zur
Intelligenz), so stellt man fest, daß der Quotient 1970 in Wirklichkeit
bereits 5,7 beträgt. .... Seit 1963 hat sich die Zahl der Lehrerkinder mehr
als verdoppelt. Aus den Fragebögen von 1970 läßt sich nun ermitteln,
daß es sich bei den Vätern zu 86% um Neulehrer handelt, die in den
Jahren 1945-55 ausgebildet worden sind .... Von den unter Intelligenz
Zusammengefaßten hat die knappe Hälfte ein Diplom. .... Unter den Hand-
und Maschinenarbeitern gibt es nur 14 ungelernte Arbeiter, also nur 1,2% des Gesamtmaterials.
In der Reihenfolge ungelernter Arbeiter - Facharbeiter - Meister - Ingenieur -
Hochschulabsolvent - Hochschullehrer - Akademiemitglied gibt es eine ständige
Steigerung der Unter- bzw. Überrepräsentation, so daß ein Kind
eines Akademiemitgliedes eine fünftausendfach größere Chance hat,
an der Endrunde eines Hochbegabtenwettbewerbs teilzunehmen, als das Kind eines
beliebigen ungelernten Arbeiters. .... Die theoretische Deutung dieser sozialen
Prozesse wirft schwerwiegende Probleme auf, und es scheint tatsächlich nur
zwei Möglichkeiten als Ursache zu geben: 1. traditionell-konservative Elemente,
also etwa der Einfluß des Eltemhauses, bekämen bei der Begabtenförderung
in der DDR die Oberhand, oder 2. die Gesellschaft hat nach der Beseitigung der
Bildungsschranken eine Generation später eine neue Qualität erreicht,
und zum erstenmal werden für ihre innere Dynamik die Moglichkeiten der Vererbung
von Begabungen relevant.« Diese Dissertation wurde unter Geheimhaltung
gestellt. Ihre Statistiken gehörten zwar fortan zum Herrschaftswissen der
Machtelite, was aber an der sozialen Wirklichkeit nichts änderte. (Ebd.,
2012, S. 294-295). |
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»Was
die DDR angeht«, so der Soziologe Manfred Lötsch (1995, S. 184), »so
wäre sie wahrscheinlich ohne solche asozialistischen Verhaltensmuster
(im Sinne des Fortbestehens und der Reproduktion einer Intellektuellenschicht
jenseits der Annäherung der Klassen und Schichten) weit früher
in wirtschaftliche, soziale und politische Existenzkrisen geraten.«
(Ebd., 2012, S. 294).In einer repräsentativen Umfrage (n =
6000) des Zentralinstituts für Jugendforschung unter den Studenten der DDR
(vorwiegend des 2. Studienjahres) stellte man 1979 fest, daß in 56% der
Familien mindestens ein Elternteil Hoch- oder Fachschulbildung hatte (bei 33%
beide Eltern) und nur in 9% der Familien ein Elternteil ohne Berufsabschluß
war. Zehn Jahre später, 1989, hatten sich die Prozentsätze auf 78% mit
mindestens einem Elternteil Hoch- oder Fachschulbildung und nur noch 2% mit einem
Elternteilohne Berufsabschluß verändert. Bei den Müttern war der
Anteil von 16% im Jahre 1977 mit Hoch- oder FachschulabschluB auf 56% im Jahre
1989 gestiegen, was sowohl die gestiegene formale Qualifikation in der Generation
der Mütter belegt, als auch die durchschnittliche hohe Zahl von Kindern,
die inder DDR von Akademikerinnen geboren wurden. Vom Vorrücken der gut ausgebildeten
Frauenjahrgänge ins Alter von Studenteneltern ging ein erneuter Impuls zur
Verschärfung der sozialen Auslese aus. Bei Hochschulabschluß der Mütter
hatten 82% der Väter ebenfalls einen Hochschulabschluß, 91% mindestens
einen Fachschulabschluß. (Ebd., 2012, S. 294).Migrantenkinder
haben ein 2,5-mal höheres Risiko, Hilfschüler zu werden .... (Ebd.,
2012, S. 298).Schon ein dreitägiges Praktikum in einer »Förderschule
für gesitige Behinderte« sollte die Umweltapostel eigentlich von ihrer
Naivität heilen. Aber sie werden alles daransetzen, der Konfrontation mit
der Praxis auszuweichen. Denn sie müßten dann vor sich selbst und anderen
zugeben, daß ihre Erklärungen nicht ausreichen. Wer nur soziale Ursachen
der kognitiven Minderleistung sehen will und nicht auch genetische, schiebt die
gesamte Schuld auf die Eltern, die Erzieher und das Umfeld, denen damit dauerhaftes
Versagen vorgeworfen und damit in vielen Fällen bitteres Unrecht angetan
wird. (Ebd., 2012, S. 301).
Familienleben.Das vergangene 20.
Jahrhundert war ein Jahrhundert einer beispiellosen Individualisierung, weg von
der Familie und vom Bezug auf eine größere Gemeinschaft, wie sie in
der ersten Hälfte des Jahrhunderts mit Selbstverständlichkeit das eigene
Volk noch war. Die Höhe der erreichten Scheidungsziffern, der Anteil der
nur mit einem Elternteil aufwachsenden Kinder, die geringe Zahl von geborenen
Kindern überhaupt und die allerletzten Errungenschaften wie die »Homo-Ehe«,
lassen es als völlig unzeitgemäß erscheinen, etwas über Familienverbände
zu schreiben. Denn auch die weitere Entwicklung deutet eher auf Verstärkung
der Vereinzelung als auf eine Stärkung der Familienbande hin: Wer ein Kind
will, wird es sich (oder auch nur den fehlenden Zeugungspartner oder »Lebensabschnittsgefährten«)
vielleicht bald im Versandhaus bestellen oder klonen lassen können (falls
der Preis dafür nicht viel zu hoch sein wird; HB), mit oder ohne »Stammbaum«.
Das alles könnte so weit getrieben werden, daß es während und
nach dem Großen Chaos eine kraftvolle Gegenbewegung auslösen wird,
die wieder neue Werte setzen wird. Denn paradoxerweise bedeutet ja mehr Individuum
auch immer mehr Staat: Die Regeln, die früher in überschaubaren Gemeinschaften
gültig waren, werden heute durch Gesetze und Beamte ersetzt; die Sicherheit,
die früher die Familie gegeben hat, soll heute die Pflegeversicherung bieten.
(Ebd., 2012, S. 303).Doch ist nicht die gesamte Gesellschaft in
diesen Verfallsprozeß einbezogen, der sich unaufhaltsamer Fortschritt nennt.
Zwar löschen die über 40% der Frauen mit akademischer Ausbildung, die
heute in Deutschland kinderlos bleiben, sich und ihre persönlichen Wertevorstellungen
schon binnen einer Generation aus und damit auch ihre Gene, doch gibt es aus den
verschiedensten Gründen und Wertevorstellungen auch heute noch Mütter,
Väter und Großmütter sowie Großväter mit mehreren Kindern
und zahlreichen Enkeln. Die Wertevorstellungen dieser Minderheiten werden daher
zwangsläufig wieder an Gewicht gewinnen, weil die anderen, die Mehrheit,
die heute weitgehend die öffentliche Meinung bestimmt, sich von dieser Erde
verabschiedet haben wird. (Ebd., 2012, S. 303).Der Blick
auf die Zukunft der Familie wird durch den Blick in die Vergangenheit eher verstellt
statt erhellt. Wenn wir an die Familienverbände in der Geschichte denken,
fällt uns zuerst der alte Adel ein. Die Familienverbände der ständischen
Gesellschaft hatten den Zweck, Macht, Besitz und Rechtsansprüche innerhalb
des Namensstammes oder wenigstens innerhalb der durch Heirat verwandten Stämme
zu erhalten und zu mehren. Auf Leistung im bürgerlichen Sinne waren diese
Ansprüche nicht oder nur in geringem Maße gegründet. Das hatte
zur zwangsläufigen Folge, daß diese Familienverbände des alten
Adels mit der Entstehung der bürgerlichen Leistungsgesellschaft nicht nur
in Frage gestellt wurden, sondern ihr auch juristisch die Grundlagen entzogen
worden sind. Auch das erfolgreiche Bürgertum sah lange Zeit ein wichtiges
Ziel daran, in den Adel aufzusteigen und bildete Familienverbände, deren
Zweck sich von der des alten Adels wenig unterschied. Die Absicht dieser Verbände,
über Generationen hinweg Macht und Besitz an Erben weiterzureichen, die sie
durch eigene Leistung gar nicht verdient hatten, und die sich durch ihre eigenen
Fähigkeiten nicht oder nur in geringem Maße von der Menge abhoben,
diese Absicht zur Standesbewahrung stieß in der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts auf den entschiedenen Widerstand nicht nur der Sozialisten und
Kommunisten, sondern auch liberaler Bürger, die danach strebten, jeder solle
vor allem nur das besitzen, was er selbst geschaffen hat. In der französischen
Revolution und bei den utopischen Kommunisten galt es als ein erklärte Ziel,
das Erbrecht vollständig abzuschaffen. Jedoch kam es in der Praxis bei Revolutionen
höchstens kurzzeitig dazu, da die Sozialdemokraten das Interesse an durchgreifenden
Erbrechtsreformen aus zweierlei Gründen verloren: Erstens, weil die meisten
Proletarier sowieso kaum etwas zu vererben hatten und mit dem Thema als Wähler
kaum angesprochen werden konnten. Zweitens, weil sich die Einsicht durchsetzte,
daß eine Enteignung der Erben oder ihre zu starke Besteuerung beim Tod eines
Unternehmers zum Ruin zahlreicher Betriebe führen und die gemeinsame Kette
der Weitergabe von Begabungen und Kapital zerstören kann. Deshalb geht man
in den Industriestaaten im allgemeinen nicht über eine leichte Besteuerung
der Erben hinaus. (Ebd., 2012, S. 303-304).Die Auseinandersetzungen
um das Erbrecht führten zu einem jahrhundertelangen Kampf, in dem schließlich
nicht nur die feudalen Familienfideikommisse zerschlagen worden sind, sondern
darüber hinaus auch bürgerlichen Familienstiftungen jede vernünftige
wirtschaftliche Grundlage entzogen worden ist. Nachdem bereits von der französischen
Revolution die Fideikomisse in Frage gestellt worden waren, war in den 1849 von
der Frankfurter Paulskirchenversammlung erarbeiteten Grundrechten des Deutschen
Volkes im Entwurf der Reichsverfassung die Auflösung der Familienfideikommisse
vorgesehen. Aber erst auf der Grundlage der Weimarer Verfassung erging am 11.
August 1919 die klare Bestimmung: »Die Fideikommisse sind aufzulösen.«
Der verfassungspolitische Durchbruch zur Demokratie war damit folgerichtig mit
dem Abbau der Einrichtungen verbunden, die in der Geschichte einem Stand in Staat
und Gesellschaft ein Übergewicht über die anderen Stände verliehen
hatte, und das waren Fideikommisse und Familienstiftungen. Das Fideikommißverbot,
wie es in modernen Staaten (darunter auch in der Schweiz) durchgesetzt worden
ist, sollte das System von Erbfolgen verhindern, in der die Verfügungsfreiheit
der Erben eingeschränkt wird und Vermögenswerte in den nachfolgenden
Generationen ausschließlich zugunsten der Namens- bzw. Stammlinie sichergestellt
werden. Obwohl die Familienstiftung einem ähnlichen Zweck dient, nämlich
den Interessen einer Familie bzw. eines Nachfahrenverbandes, unterscheidet sie
sich vom Fideikommiß dadurch, daß sie kein dem allgemeinen Rechtsverkehr
entzogenes Sondervermögen darstellt, das vom jeweiligen Erben beherrscht
wird. Die Familienmitglieder haben teil an dem Vermögen der Familienstiftung
und ihren Erträgen, und zwar aufgrund ihrer satzungsmäßigen Rechte
und gewisser in der Satzung festgelegter Möglichkeiten des Einflusses auf
die Verwaltung. (Ebd., 2012, S. 304).Von der Öffentlichkeit
wenig beachtet, wurde auch die Familienstiftung ein Opfer der gleichmacherischen
antikapitalistischen Strömung, die wir als »68er« bezeichnen.
Der Übergang von Vermögen auf eine Stiftung, sei es durch Übergang
unter Lebenden oder von Todes wegen, war und ist ein besteuerbarer Vorgang. Bis
1974 war jedoch das Vermögen von Familienstiftungen nach einem solchen Vermögensübergang
über mehrere Generationen der Erbschaftsteuer entzogen, und zwar bis zum
Zeitpunkt ihrer Auflösung. 1974 jedoch ist im Zuge des Erbschaftssteuerreformgesetzes
der Bundesrepublik Deutschland die Erbersatzsteuer erfunden worden. Mit der Erbersatzsteuer
wird für Familienstiftungen alle 30 Jahre eine Schenkung in Höhe des
gesamten Stiftungsvermögens fingiert, die erstmals 30 Jahre nach Gründung
der Stiftung zu einer Steuerpflicht führt bzw. zur Wegsteuerung des Stiftungsvermögens.
Damit wurde die »systemwidrige Privilegierung« der Familienstiftung,
wie es hieß, abgeschafft, und die Institution ist seither ziemlich bedeutungslos.
Dies gilt auch für die Familienverbände, in denen noch Familientraditionen
und der Zusammenhalt von Generationen und Verwandten mehr oder weniger gepflegt
werden. (Ebd., 2012, S. 304).Die in der Folge der Novemberrevolution
(1918; HB) 1919 erlassene Bestimmung über die
Auflösung der Fideikommisse ist auch von den Nationalsozialisten umgesetzt,
ja durch das Gesetz über das Erlöschen der Familienfideikommisse vom
6. Juli 1938 sogar beschleunigt worden. Es war zwar in den Jahren ab 1933 viel
von notwendigen neuen gesetzlichen Regelungen für Familienverbände und
-stiftungen geschrieben worden, jedoch war bis 1945 nichts davon in Gesetzesform
gegossen worden; die Modernisierung zu einer Leistungsgesellschaft wurde ungebrochen
fortgesetzt. Der sozialrevolutionäre Schwung, der Teilen der durch innere
Widersprüche gekennzeichneten Nationalsozialistischen Partei eigen war, hatte
darüber hinaus noch eine ganz andere Zielrichtung, die in dieser Art und
in ihrer angestrebten Konsequenz in der Welt einmalig und erstmalig war. Der Buchtitel
»Neuadel aus Blut und Boden« (1930) von Richard Walther Darré
(1895-1953) ist kennzeichnend für ein Programm, in dem sich Elemente von
genealogisch verbrieftem Erbhof und auf Menschen angewandte Viehzucht miteinander
kombinierten. Noch klarer hat das im Heiratsbefehl der SS seinen Ausdruck gefunden,
die sich nach Himmlers und Darrés Willen als ein Orden verstehen sollte,
der auf einer ganz im Sinne der Viehzucht verstandenen Leistungszucht gegründet
werden sollte. Die Kombination dieser Ideen mit einem fanatischen Antisemitismus
und der Untergang der SS im Krieg haben dazu geführt, daß die einzelnen
Elemente dieser Ideologie bisher als untrennbar und als in verbrecherischer Weise
miteinander verknüpft erscheinen. (Ebd., 2012, S. 304-305).Das
ist ein Punkt, bei dem ich zu zweifeln wage, ob es künftigen Generationen
- also nach dem Großen Chaos - in ihrer Gänze auch stets so erscheinen
wird, daß alle diese Elemente (also Adelsgedanke bzw. geschlossener Heiratskreis,
bäuerliche Siedlung, Partnerwahl mit quasi-wissenschaftlichem Hintergrund
plus Rassismus und Organisation durch den Staat) eine untrennbare Einheit bilden
und ob sich nicht zwei oder drei der erstgenannten Elemente (also die vor dem
Plus) aus dem Ideenkonglomerat von 1932 lösen und mit anderen Vorstellungen
kombinieren lassen. Damit ich nicht falsch verstanden werde: Diese Zweifel meinerseits
sind keine Empfehlung und keine Entschuldigung, sondern nur ein geistiges Ausloten
dessen, was die Zukunft an Möglichkeiten enthalten könnte. Dieses Ausloten
erscheint berechtigt angesichts des Entwicklungsstandes, den die Humangenetik
und Reproduktionsmedizin heute erreicht haben. Eugenik als Begriff und Programm
gibt es seit etwa drei Generationen, aber wirksame Veränderungen hat die
»eugenische Bewegung« bisher kaum erreicht - schon gar nicht in dem
Umfang, den ein Francis Galton ihr gewünscht hatte. Die Eugenik konzentrierte
sich von Anfang an darauf, ihre Ziele durch den Eingriff des Staates in die Entscheidungsfreiheit
der Einzelperson zu erreichen, und Eugenik sollte durch staatliche Gesetze, Reformen
und Beihilfen befördert werden. Bei diesen Versuchen, Einfluß auf die
Gesetzgebung des Staates und damit auf die Politik zu gewinnen, geriet die Eugenik
unweigerlich in das Fahrwasser totalitärer Bestrebungen, die darauf hinausliefen,
die Freiheit des einzelnen bei der Wahl des Ehepartners und der Zahl der Nachkommen
einzuschränken. (Ebd., 2012, S. 305).Wenn es nach diesen
Erfahrungen als aussichtlos und fragwürdig erscheint, Eugenik durch staatliche
Gesetze voranzubringen, so könnte man fragen, ob es noch unbegangene Wege
gibt. Nehmen wir an, eine Gruppe Menschen - nennen wir sie kurz einen Clan (vgl.
Volkmar Weiss, Der Clan aus Geld und Genen, 2003) - wüßte heute
oder wäre sich einig, wie sie sich zu verhalten hätte, damit sie und
noch mehr ihre Nachkommen kraft ihrer Intelligenz, ihrer Kreativität und
damit ihres Einflusses, ihres Einkommens und Besitzes, ihrer Gesundheit, Langlebigkeit,
ihrer Kultur, vielleicht ihrer Religion oder Weltanschauung, ihre Werte erhalten
und ständig mehren könnte. Ihre Ziele und Werte brauchen dabei nicht
mit denen des jeweiligen Staates der Gesellschaft in Übereinstimmung zu stehen;
auch eine direkte Förderung des Clans und seiner Werte durch staatliche Gesetze
in absehbarer Zeit wäre nicht zu erwarten. Was gäbe es für Möglichkeiten?
(Ebd., 2012, S. 305-306).Positive Eugenik bedeutet immer die Veränderung
der Natürlichen Selektion und der Darwinschen Fitneß in eine bestimmte
Richtung. Theoretisch gäbe es viele Möglichkeiten, wie ein Clan sein
Evolutionstempo erhöhen und sich biologisch durchsetzen könnte: relativ
hohe Kinderzahlen, selektive Partnerwahl, selektiver Abort, Präimplantationsdiagnose,
Polygamie, heterologe Insemination und Surrogat-Mutterschaft - aber bereits diese
Beispiele enthalten Elemente, die einerseits naheliegend (selektive Partnerwahl),
andererseits fragwürdig oder gesetzlich ungeklärt wären oder für
den einen oder anderen Clan ethisch unannehmbar sein dürften (wie die heterologe
Insemination und die Surrogat-Mutterschaft). Als Mindestprogramm für einen
jeden sich selbstzüchtenden Clan bliebe der Ausschluß der Nachkommen,
die nicht den selbstgestellten Normen entsprächen. Das aber wäre nichts
anderes als der Rückgriff auf das Grundgesetz des alten Adels (in Venedig
ab 1297 durch die Eintragung ins »Goldene Buch« verwirklicht), diesmal
aber auf einer höheren Stufe, sozusagen wissenschaftlich untersetzt. Dennoch
wäre dieser Punkt als unabdingbare Forderung einer inneren Gesetzgebung zugleich
der schwierigste und problematischste, denn die Haltung zum Ausgeschlossenen wäre
zugleich der Gradmesser, an dem die Haltung des Clans zum Mitmenschen gemessen
würde. Es wären schrittweise Übergänge vorstellbar, bei denen
die Ausgeschlossenen assoziiert sind, d.h. an den Familienfeierlichkeiten u.s.w.
teilnehmen (wie das bei den Vereinen des alten Adels auch heute der Fall sein
kann), ohne die Förderung von Vollmitgliedern aus den Finanzmitteln des Clans
zu erhalten und ohne Vollerben zu sein, aber noch die Nachkommen den Status der
Vollmitgliedschaft zurückerlangen können, wenn sie wieder den Normen
entsprechen, bis hin zur völligen Schließung des Heiratskreises als
Endstadium einer möglichen Entwicklung (ein Vollmitglied kann dann nur der
sein, dessen beide Eltern Vollmitglieder waren und der selbst den Normen entspricht).
Wobei Fusionen bzw. Heiratsabkommen zwischen verschiedenen Clans vorstellbar wären,
ebenso aber Teilungen zweckmäßig, wenn eine bestimmte Zahl an Kernfamilien
überschritten worden ist. So vielfältig die Traditionen und Kulturen
sind, ebenso wären vielfältige Formen von Normen und Satzungen von sich
selbstzüchtenden Clans denkbar. (Ebd., 2012, S. 306).Ein
Clan gründet sich zweifellos auf Vermögen und Einfluß, oft auf
ein Familienunternehmen. Er würde versuchen, den Vollmitgliedern eine Unterstützung
und Förderung zu bieten, die über staatliche Maßnahmen fühlbar
hinausgeht (also Beihilfen für Familien, Stipendien, Urlaubsziele, gesellige
Veranstaltungen, Beziehungen, Alterssicherung). Als reiner Familienverband sollte
sich ein solcher Clan niemals vordergründig politisch engagieren, Abstand
zur Tagespolitik halten und für seine Satzung und Ziele nicht öffentlich
werben. Clans könnten sich aus berufsständischen Organisationen, aus
einem Freundeskreis, Vereinen wie »Mensa« oder aus schon bestehenden
Sippen- oder Familienverbänden in Verbindung mit Familienunternehmen entwickeln.
Der Unterschied zu den heute schon bestehenden Verbänden bestände in
der Selbstzucht, d.h. inder Rolle, die die Genetik und biologische Evolutionstheorie
bei derAusarbeitung der Satzung spielen könnten. (Ebd., 2012, S. 306).Die
Evolution des Menschen braucht kein vorwegbestimmtes einheitliches Wunschbild,
sondern eine Vielzahl, auf die Entscheidungsfreiheit leistungsfähiger Personen
gegründete, überschaubare Gemeinschaften, die sich selbst selektieren
und wirtschaftlich miteinander konkurrieren - so könnte irgendwann einmal
eine Zielstellung lauten. Im Gegensatz dazu wird es politische Programme geben,
die andere oder völlig entgegengesetzte Ziele stellen oder solche Glasperlenspiele
für Unsinn oder gar gefährlichen Unfug halten. (Ebd., 2012, S.
306-307).Aus dieser Sicht würde der Globalisierung eine teilweise
Tribalisierung der Welt entgegenwirken, die auch eine Art Refeudalisierung wäre.
Die Postmoderne jenseits des Großen Chaos könnte geprägt werden
durch das Wiederauftauchen von überschaubaren Gemeinschaften, jetzt aber
in einem Kontext von Spitzentechnologie und weitreichendem Austausch. Während
die Neuadelsbewegung der 1920er Jahre einem bäuerlichen Siedlungsideal nachstrebte,
das angesichts der zwei oder vier Prozent der Arbeitskräfte, die heute in
Industriestaaten noch notwendig sind, um die Nahrung für alle zu erzeugen,
bislang utopisch war, könnten die neuen Gemeinschaften sowohl auf der Grundlage
von Spitzenberufen der Hochtechnologie als auch in eher traditionellen Bereichen
entstehen; differenziert nach Ziel und gemeinsamem Glauben und sowohl lokal als
auch überregional. Die Bedeutung mancher Ideen wird an den Zeiträumen
gemessen, die zu ihrer Anerkennung gebraucht werden - wir hatten das schon in
den Anmerkungen zu Platon zitiert. (Ebd., 2012, S. 307).Doch
nun zurück von diesem hohen Gedankenflug ins Diesseits: Hat das traditionelle
Ehemodell heute ausgedient? Die voreheliche Partnerschaft ist mittlerweile fast
schon zu einer Norm geworden. Von 1972 bis 2004 stieg in Westdeutschland die Zahl
der nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit gemeinsamem Haushalt von 137.000 auf
1,8 Millionen an, im Osten im Zeitraum von 1981 bis 2004 von 327.000 auf 580.000.
Vom Heiratsjahrgang 1980 haben 85 % der Partner vor der Eheschließung als
Lebensgemeinschaft zusammengewohnt, 1970 waren es erst 10% und 1950 gar nur 4%
gewesen. »Mittlerweile gilt es - zumal angesichts steigender Scheidungsziffern
- als leichtsinnig, eine Person zu heiraten, mit der man nicht vorher eine Zeitlang
probeweise zusammengelebt hat.« (Rainer Geißler, Die Sozialstruktur
Deutschlands, 2006, S. 341). (Ebd., 2012, S. 307).Überwogen
bei diesen Lebensgemeinschaften anfangs die höheren Bildungsschichten, so
verteilen sich die Lebensgemeinschaften inzwischen über alle Soziallagen
und Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland. In Deutschland ist bei Männern
und Frauen die Heiratsneigung in wenigen Jahren sehr stark gesunken. Während
1970 von 100 ledigen Männern rund 90% eine Ehe eingingen (Frauen 97% ), waren
es 1994 nur noch 53% (Frauen 60%; seither gab es nur geringe Veränderungen),
die zumindest einmal in ihrem Leben heiraten; mit großen sozialen Unterschieden
zwischen den Bildungsschichten. (Ebd., 2012, S. 307).Das
durchschnittliche Heiratsalter ist bei Frauen im alten deutschen Bundesgebiet
von 1960 bis 2002 von 23,7 auf 28,8 Jahre gestiegen und bei Männern von 25,9
auf 31,8 Jahre. Solche Verschiebungen können nur dadurch zustande komf men,
wenn sich der Blick auf die eigene Perspektive und die einer eigenen Familie in
negativer Richtung verändert hat (oder so gedeutet
wird; HB) bzw. sich die Hoffnungen auf eine lange glückliche Ehe mit
Kindern verringert haben (oder so gedeutet werden;
HB). Männer und Frauen, die der Unterschicht angehören, heiraten
jedoch häufiger und früher als Angehörige der oberen Bildungsschichten
(aber das war nicht immer so; HB). Aus Mangel an
Weitsicht oder im Vertrauen auf die sozialen Netze? 57% der jungen Mütter
unter 25 Jahren verfügen nur über einen Hauptschulabschluß. 40
% der verheirateten Frauen der unteren Sozialschichten sind Nur-Hausfrauen. Ein
Viertel der jungen Familien ist hochgradig verschuldet. Ihre Chancen, ihre Situation
durch Erbschaft zu verbessern, sind gering. (Ebd., 2012, S. 307).An
dieser Stelle lohnt sich auch einmal ein Rückblick mit einer größeren
historischen Tiefe. Einige Historiker halten nämlich ein früheres Heiratsalter
schon im 18. Jahrhundert als eine der wichtigen Ursachen der damals einsetzenden
Bevölkerungsvermehrung. So schreibt zum Beispiel Medick (1977): »Der
Abstieg des Heiratsalters konnte in entscheidendem Maße den Anstieg der
Bevölkerung in Regionen ländlichen Gewerbes bestimmen. .... Die Tendenz
zum niedrigen Heiratsalter gilt gleichermaßen für Männer und Frauen.«
Statt dessen findet man aber andere Zusammenhänge: In ausgesprochenem Gegensatz
zu allen anderen Klassen und Schichten stand nämlich das Besitz- und Bildungsbürgertum.
Viele Männer erkauften Besitz und Bildung durch eine sehr, sehr späte
Heirat und bezahlten ihren sozialen Aufstieg in vielen Fällen mit langer
Ehelosigkeit. Bei der Heirat war ein Drittel der Männer des Besitz- und Bildungsbürgertums
um 1780 älter als 31 Jahre, 10% älter als 38 Jahre. Bald danach trat
jedoch eine neue Gruppe auf, die jungen Unternehmer. Besonders die Gründer
von Firmen heiraten früh und erfolgreich, d.h. ihre kinderreichen Ehen werden
nicht geschieden. Ihr Heiratsverhalten ähnelt dem der städtischen Handwerker,
von denen sie zum Teil auch abstammen. Zusammenfassend läßt sich feststellen,
daß, je höher der soziale Status ist, desto größer ist der
mittlere Altersunterschied zwischen den Ehepartnern. Ein einfacher Satz, der früher
richtig war und heute noch gilt. Bei Besitz- und Bildungsbürgertum betrug
der Altersunterschied zwischen Mann und Frau um 1780 über sieben Jahre, bei
Vollbauern über vier Jahre, bei Stadthandwerkern und Kleinbauern drei, bei
armen Häuslern nur zwei Jahre. Der in »reifen« Jahren um die
30 heiratende Besitz- und Bildungsbürger hatte eine Ehefrau um die 22, die
damit so jung war wie bei anderen Klassen und Schichten auch (bei den Bauern zum
Beispiel 21 Jahre). Demzufolge war auch die eheliche Fruchtbarkeit keineswegs
geringer und wegen der niedrigeren Kindersterblichkeit die Zahl der wirklich groß
gewordenen Kinder höher als bei den Armen. (Ebd., 2012, S. 308).Bei
Statusumkehr kann es indes zu einer Umkehr des üblichen Altersabstandes kommen:
Reiche Witwen heirateten früher häufig jüngere Männer oder
wurden von ihnen geheiratet; und manche gealterte Filmdiva leistet sich heute
einen viel jüngeren Partner, ohne daß dadurch die Welt aus den Fugen
gerät. Den reichen und mächtigen Mann mit einer um Jahrzehnte jüngeren
Partnerin an seiner Seite, mit der er in einer Art serieller Polygamie lebt, den
sehen wir täglich auf den Seiten der Illustrierten. (Ebd., 2012, S.
308).Auch in beiden Teilen Deutschlands gehört, wie in anderen
Industriestaaten auch, der Anstieg der Scheidungen zu den hervorstechendsten Merkmalen
einer fortschreitenden Zersetzung der Ehen und Familien. In Deutschland hat sich
die Wahrscheinlichkeit einer Eheauflösung von den Heiratsjahrgängen
1950 bis heute fast verfünffacht. Gegenwärtig werden über 40% der
in den letzten Jahren geschlossenen Ehen wieder geschieden. Die relativ niedrige
durchschnittliche Kinderzahl der Scheidungsehen von 0,75 zeigt: Kinder verringern
die Scheidungswahrscheinlichkeit. Dennoch läßt sich seit einigen Jahren
ein Trend zu steigenden Kinderzahlen in Scheidungsehen beobachten. 2004 waren
bei 52% der geschiedenen Ehen minderjährige Kinder vorhanden. Während
es 1960 45.000 Zugänge an »Scheidungswaisen« gab, hat sich deren
Zahl mittlerweile stark erhöht: Obwohl es in Deutschland immer weniger deutsche
Kinder gibt, waren 1993 bereits über 100.000 Kinder von Scheidungen betroffen.
Der größte Teil der Scheidungen findet bereits nach vier oder fünf
Ehejahren statt. Gegenwärtig werden über 65% der Scheidungen von Frauen
beantragt, und es gibt dabei einen klaren Zusammenhang mit der zunehmenden Erwerbstätigkeit
der Frauen und ihrer damit verbundenen größeren Unabhängigkeit.
(Ebd., 2012, S. 308).Eine Ursache der Scheidung wird so häufig
erwähnt, daß man unbedingt darauf eingehen muß, nämlich
geschiedene Eltern in der vorangegangenen Generation. Die Kinder von geschiedenen
Eltern haben ein erhöhtes Risiko, selbst wieder geschieden zu werden. Die
Gründe kann man sich leicht vorstellen: sie haben selbst nicht erlebt, was
eine erfolgreiche Ehe ist. Sie sehen Scheidung als eine annehmbare Möglichkeit
an. Keiner dieser Gründe hat einen direkten Zusammenhang mit der Zugehörigkeit
zu einer sozialen Schicht; nicht-kognitive Persönlichkeitsfaktoren (und Gene)
dürften dabei eine Rolle spielen. (Ebd., 2012, S. 308-309).Mittlerweile
kann man geradezu von einem sich selbst tragenden Prozeß der Scheidungsdynamik
ausgehen. Die Tradierung des Scheidungsrisikos ist auch in Deutschland durch statistische
Zahlen klar belegt: Bezogen auf eine Zeitspanne von 20 Jahren ab Eheschließung
ist in Westdeutschland das Risiko, daß die Ehe aufgelöst wird, bei
Scheidungswaisen doppelt so hoch wie bei Personen, die mit beiden Eltern aufgewachsen
sind. Vor diesem Hintergrund kann von einer sich selbst verstärkenden »Scheidungsspirale«
gesprochen werden. (Ebd., 2012, S. 309).
Unehelichkeit.
»Unehelichkeit
der Kinder, eines der zentralen sozialen Probleme unserer Zeit, steht in engem
Zusammenhang mit Intelligenzunterschieden, meinen Herrnstein und Murray (1994)
und glauben, sich dabei auf die Statistik der USA stützen zu können,
wo 1920 3% aller Kinder von alleinstehenden Frauen geboren wurden, 1990 dann 30%.
1960 gab es in den USA 73.000 Mütter im Alter von 18 bis 34 Jahren, die nie
verheiratet waren. 1980 waren es dann 1,0 Million, 1990 rund 2,9 Millionen. »Wenn
der IQ ein Faktor dabei ist, so müssen wir davon ausgehen, daß er es
... nur in Kombination mit anderen Ursachen sein kann. Denn das Intelligenzniveau
hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht so dramatisch verändert, als daß
eine solche Veränderung für das explosive Wachstum bei der Zahl der
unehelichen Kinder verantwortlich sein könnte.« An diese richtige
Einschränkung fügen aber Herrnstein und Murray die Überlegung an:
»Für die Gründe, daß Intelligenz mit der Unehelichkeit in
einem Zusammenhang stehen könnte, gibt es ein einfaches kausales Modell:
Je klüger eine Frau ist, desto wahrscheinlicher ist es, daß sie ein
Kind mit gewollter Absicht bekommt und daß sie dafür die beste Zeit
ausrechnet. Je dümmer eine Frau ist, desto wahrscheinlicher ist, daß
sie vergißt, beim Sex an die mögliche Zeugung zu denken oder daß
sie gar keine Ahnung von Schwangerschaftsverhütung hat und Geburten wenig
plant. Dasselbe gilt für ihren nicht gerade übermäßig intelligenten
Partner: Das Ergebnis sollte eine direkte und starke Korrelation zwischen IQ und
Ehelichkeit bzw. Unehelichkeit der Kinder sein.« (Ebd., 2012,
S. 309).Herrnstein und Murray meinen: »11 Weiße
Frauen bis Prozentrang 5 (**)
des IQ haben ein sechsmal höheres Risiko, als erstes Kind ein uneheliches
Kind zu bekommen, als Frauen im 5%-Spitzenbereich. Im Spitzenquartil des IQ werden
die Kinder nicht nur in der Ehe geboren, sondern auch in der Ehe gezeugt; Dampfhochzeiten
sind selten. In den höheren Bildungsbereichen gibt es fast keine weißen
Frauen, die uneheliche Kinder haben. Die traditionelle Vorstellung war, die soziale
Herkunft einer Frau sei entscheidend, ob sie ein uneheliches Kind bekommt oder
nicht. Unehelichkeit trat besonders bei den Mädchen der Unterschichten auf,
mit gelegentlichen Ausrutschern bei Mädchen der höheren Stände.«
(Ebd., 2012, S. 309).Herrnstein und Murray ergänzen an dieser
Stelle noch, daß in den USA die Zahl der hochgebildeten Frauen, die sich
mit voller Absicht dafür entscheiden, ein Kind ohne Ehe zu haben, im Ansteigen
sei. Von 1982 bis 1992 stieg in den USA die Zahl der Frauen mit einem Hochschul-Zwischenabschluß,
die ein Kind hatten, aber nie verheiratet waren, von 3 auf 6%. Bei weißen
Frauen mit einem Diplom als Hochschulabschluß waren sogar 13% der Kinder
unehelich geboren. (Ebd., 2012, S. 309-310).Daß sich
innerhalb weniger Jahrzehnte der Anteil der unehelich geborenen Kinder stark verändert
hat, ist keine Besonderheit der USA. Während bis Anfang des 18. Jahrhunderts
in Mitteleuropa der Prozentsatz der unehelich Geborenen sehr niedrig lag, kam
es in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts zu einem raschen Anstieg und
dann bereits in dieser Zeit und dann im 19. Jahrhundert zu Zahlen, hinter denen
sich die amerikanischen von heute nicht zu verstecken brauchen. Was war geschehen?
Bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden Kinder, vor allem uneheliche,
in eine Welt geboren, die durch sich ständig wiederholende Hungerkrisen gekennzeichnet
war. In dieser rauhen Welt hatten uneheliche Kinder kaum eine Chance, groß
und erwachsen zu werden, und sie starben früh. Mutter eines unehelichen Kindes
zu werden, galt als unverantwortlich. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts kam es aber
durch Kartoffeln, Kleeanbau und Sommerfütterung des Viehs zu einem Ansteigen
der landwirtschaftlichen Erträge und zu einer allgemeinen Verbesserung der
Lebensverhältnisse. Uneheliche Kinder überlebten immer häufiger.
In Notfällen konnte die Gemeinde jetzt tatsächlich helfen und war dazu
auch verpflichtet. Die Einstellung zur Geburt von unehelichen Kindern begann sich
zu wandeln, und die Kinder und ihre Mütter selbst wurden eher akzeptiert,
die drakonische Kirchenbuße für uneheliche Mütter abgeschafft.
Als nach 1900 und der Zeit der ganz großen Land-Stadt-Wanderung die Entwicklung
wieder in ruhigere Bahnen kam, verringerte sich auch wieder die Zahl der unehelichen
Kinder. Auch in Mitteleuropa galt das oben bei Herrnstein und Murray zitierte
Stereotyp, uneheliche Kinder würden vor allem von armen Dienstmädchen
geboren, und der Vater stamme entweder aus dem gleichen Milieu, sei Soldat oder
der verheiratete Arbeitgeber. Daß die Wirklichkeit möglicherweise eine
andere war, davon handelte 1996 ein Vortrag von Hermann Metzke auf der Tagung
des Arbeitskreises Historische Demographie der Deutschen Gesellschaft für
Bevölkerungswissenschaften. Metzke hatte umfangreiche Zahlen zu unehelichen
Geburten vom 17. bis 19. Jahrhundert aus Dörfern im heutigen Sachsen-Anhalt
zusammengetragen und kam zu dem überraschenden Ergebnis, daß uneheliche
Kinder als Mütter vor allem sitzengebliebene Vollbauerntöchter in etwas
reiferem Alter hatten und als Väter Angehörige der Unterschicht, die
oft jünger als die Mütter waren. Das läßt den Schluß
zu: Auch die Partnerbeziehungen, die zu unehelichen Kindern geführt haben,
sind ganz normalen »Marktmechanismen« gefolgt. (Ebd., 2012,
S. 310).Auch in der DDR waren 1982 29,3% der geborenen Kinder unehelich,
und damit hatte die DDR zu diesem Zeitpunkt einen Anteil, den die USA dann 1990
erreicht hat. In Berlin-Ost betrug der Prozentsatz sogar 40,2% (zum Vergleich
die Bundesrepublik Deutschland im seIben Jahr: 8,5%; 1970: 5,5%; 1997: 14,3% ).
Bei den Studentinnen an den Hoch- und Fachschulen war dieser Prozentsatz keinesfalls
geringer, sondern sogar noch etwas höher. Die Studentinnen und Studenten
reagierten, wie alle Betroffenen, damit in durchaus rationaler Weise auf familienpolitische
Maßnahmen, die 1976 in der DDR in Kraft getreten waren. Die Freigabe des
Schwangerschaftsabbruchs und die kostenfreie Abgabe der Pille zur Schwangerschaftsverhütung
hatten 1972 zu einem Absinken der Geburtenzahlen in der DDR geführt, denen
1976 mit ergänzenden familienpolitischen Maßnahmen erfolgreich gegengesteuert
wurde. (Ebd., 2012, S. 310).Zwiespältig in ihren Auswirkungen
sah man in der DDR auch die besondere Unterstützung der sogenannten kinderreichen
Familien mit vier und mehr Kindern. Diese Unterstützung konnte beim Bezug
einer Wohnung, durch Mietzuschüsse und durch die Versorgung mit knappen Konsumgütern
und Dienstleistungen sowie bei der Bereitstellung von Arbeitsplätzen wirksam
werden. Auch in der DDR gab es unter diesen Familien einen Teil, der sich zur
Asozialität hin bewegte und diese »besonderen Unterstützungen«
schamlos ausnutzte und ausbeutete. (Ebd., 2012, S. 311).Darüber
hinaus gab es in der DDR eine besondere familienpolitische Komponente, die ursprünglich
aus der gutgemeinten Absicht heraus Gesetz geworden war, die vorhandenen Startnachteile
von unehelichen Kindern auszugleichen. Deshalb wurden alleinstehende Mütter
und Väter, ob nun geschieden oder nie verheiratet, zum Beispiel bei der Vergabe
von Krippenplätzen bevorzugt oder längere Zeit als Verheiratete bei
der Erkrankung eines Kindes bezahlt freigestellt. (Das war also so etwas ähnliches
wie die beabsichtigte Bevorzugung der körperbehinderten Frau, die heute in
jeder bundesdeutschen Stellenannonce im öffentlichen Dienst Pflicht ist;
in den USA gilt analog die Bevorzugung der »anders befähigten«
farbigen Frau). Für die studierenden Mütter gab es noch zusätzliche
Kinderzuschläge auf die Stipendien, großzügige Krippen und Kindergärten
an Hochschulen sowie Sonderregelungen in Wohnheimen und für den Studien-
und Prüfungsablauf. Die Kombination beider Faktoren - Begünstigung von
alleinstehenden Müttern und besondere Förderung von Studenten mit Kindern
- führte ab 1976 zu einer starken Zunahme der Zahl der Studenten mit Kindern
und insbesondere der mit unehelichen Kindern. In Wirklichkeit hatte sich aber
das Partnerverhalten wenig verändert, denn sehr viele Studenten lebten in
eheähnlichen Lebensgemeinschaften zusammen und heirateten später. Als
in der DDR Mitte der 1980er Jahre die Begünstigung der alleinerziehenden
Mütter gegenüber den verheirateten wieder rückgängig gemacht
wurde, stieg auch die Zahl der unehelichen Studentenkinder nicht mehr weiter an.
(Ebd., 2012, S. 311).Zusammenfassend läßt sich sagen:
Junge Frauen reagieren auf eine großzügige Unterstützung von unehelichen
Kindern in durchaus gleichartiger Weise und nutzen staatliche Hilfen - und das
erst einmal völlig unabhängig vom IQ - und erfüllen dann ihren
natürlichen Wunsch, eigene Kinder zu haben. Ob sie nun Schwarze in den USA,
Universitätsstudentinnen in der DDR oder Frauen mit oder ohne Hauptschulabschluß
in der Bundesrepublik sind oder waren. Daß unter verschiedenen sozialen
Traditionen der Ausgang dann doch verschieden sein kann, und in den USA die junge
schwarze Mutter oft allein bleibt, die DDR-Studentinnen aber zumeist stabile Bindungen
eingegangen sind, das steht schon wieder auf einem anderen Blatt. (Ebd.,
2012, S. 311).
Abhängigkeit von Sozialhilfe.
Der Anstieg
des Prozentanteils der Personen, die von Sozialhilfe abhängig ist, läßt
sich sicher nicht durch Intelligenzunterschiede erklären oder schon gar nicht
allein dadurch. Auch in Deutschland stieg, wie in anderen europäischen Staaten,
die Zahl der Empfänger »von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt«
jahrzehntelang stetig an. Nach dem Tiefststand von 510.000 im Jahre 1969 wurde
1982 die Millionengrenze Überschritten, 1992 die Zweimillionengrenze und
1997 mit 2,51 Millionen allein in den alten Bundesländern ein bisheriger
Höchststand erreicht. »Rechnet man die Dunkelziffer zur Zahl der
Sozialhilfeempfänger hinzu, dann lebten in Deutschland Ende 2003 3,7 bis
4,7 Millionen bzw. 4,5 bzw. 5,7% der Bevölkerung an oder unter der offiziellen
Armutsgrenze.« (Rainer Geißler, Die Sozialstruktur Deutschlands,
2006, S. 204). (Ebd., 2012, S. 311-312).Damit hatte sich
in Deutschland binnen drei Jahrzehnten die Anzahl der Personen, die zur Sicherung
ihres Existenzminimums auf staatliche Hilfe angewiesen sind, mehr als vervierfacht.
War 1965 noch die Hälfte aller Empfänger älter als 50 Jahre, so
sank ihr Anteil 1997 auf 17%. 3,0% der Deutschen und 8,7% der gemeldeten Ausländer
sind auf laufende Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen (Geißler 2006,203).
(Ebd., 2012, S. 312).In früheren Auflagen seines Buches hatte
Geißler (2006) allerdings schon viel höhere Zahlen genannt, was die
Aufmerksamkeit auf ein Problem von allgemeiner Bedeutung lenkt. Warum werden Sozialstatistiken
- man lese »Sozial-« hier als »Umverteilung«, also: Umverteilungsstatistiken
- rückwirkend geschönt, frisiert oder gar gefälscht? Ganz einfach:
Regierungen in demokratischen Sozialstaaten werden vom Wähler daran gemessen,
wie erfolgreich sie im Umverteilen sind. Wie hoch dadurch die Verschuldung des
Staates und der Gemeinden getrieben wird, wie stark die Investitionsquote in der
Wirtschaft und bei den öffentlichen Ausgaben gesenkt wird, das interessiert
den Wähler erst einmal weniger oder nur dann, wenn die Auswirkungen ihn selbst
schwer treffen, also Brücken verfallen, Bäder, Theater und Museen wegen
Nichtfinanzierbarkeit geschlossen werden müssen. Die Regierenden stecken
deswegen in einer Zwickmühle: Da es mittel- und langfristig nur bergab geht,
man aber gern wiedergewählt werden möchte und dafür Erfolge vorweisen
muß, bietet sich als ein Ausweg das Frisieren der Sozialstatistiken an.
Über lange Zeiträume sind derartige Statistiken so gut wie nie vergleichbar.
Zwar ahnt auch der Politiker, daß er durch das Frisieren der Statistiken
den Maßstab für langfristige objektive Bewertungen verliert, aber was
kümmert ihn die übernächste Legislaturperiode, wenn es gilt, die
nächste Wahl zu gewinnen? Der verantwortungsvolle Beamte wird ihn zwar auf
die Gefahren aufmerksam machen, die Veränderungen der statistischen Maßstäbe
und Grundsätze mit sich bringen. Aber auch der Beamte will letztlich Karriere
machen und läßt sich etwas einfallen, wie man eine bestimmte Kategorie
aus der Arbeitslosenstatistik herausfallen lassen kann, wie man Sozialhilfe neu
definieren kann und die Zahl der Umverteilungsempfänger (»Leistungsempfänger«
heißen sie im Orwellschen Neusprech) verringern kann. Reformen - in der
Bundesrepublik etwa die Hartz-IV-Reform - erreichen vielleicht auch vorübergehend
dieses Ziel, bis sich die langfristigen Trends auf unser aller Weg ins Große
Chaos wieder durchsetzen. In Volksdemokratien ist das alles noch einfacher: Die
Regierung verbietet einfach die Erhebung oder Veröffentlichung bestimmter
Statistiken, und für die Medien sind bestimmte Themen tabu. In pluralistischen
Demokratien läuft das komplizierter ab, aber auf etwas Ähnliches hinaus.
(Ebd., 2012, S. 312).Für die Haushalte der Städte ergeben
sich wegen der Umverteilungsverpflichtungen drückende Lasten: Die Sozialhilfeausgaben
der westdeutschen Gemeinden stiegen von 13 Milliarden 1980 auf 55 Milliarden im
Jahre 1995, zugleich fiel der Anteil der Gemeinden am Gesamtsteueraufkommen von
14,1% auf 11,6%. Diese Entwicklung hat sich bis heute, mal mit einem oder zwei
Jahren kurzer Erholung dazwischen, ungebrochen fortgesetzt. Ende 1998 bezogen
bereits 15.500 Leipziger Sozialhilfe, Ende 1996 waren es erst 10.600 gewesen.
Knapp die Hälfte der Hilfeempfänger ist jünger als 18 Jahre.
(Ebd., 2012, S. 312).Von 2000 bis 2005 stieg laut Gemeindefinanzbericht
des Deutschen Städtetages der Anteil der Sozialleistungen an den Ausgaben
der Gemeinden von 17,9% auf 22,9% und blieb bis 2009 auf diesem Niveau. Der für
Sachinvestitionen verfügbare Teil sank von 18,8% 1995 auf 16,9% im Jahre
2000 und auf 12,2% 2005 und verharrte bis 2009 ebenfalls auf diesem Stand. Das
bedeutet, daß notwendige Instandsetzungen an Brücken, die Unterhaltung
der städtischen Einrichtungen oder gar ihre Neuanlage gefährdet sind
oder gar nicht mehr daran zu denken ist, gleich welche Partei im Stadtrat das
Sagen hat. Nur im Schuldenmachen oder Ausverkauf städtischer Einrichtungen
kann man sich vielerorts noch überbieten. Um irgendwie zu Geld zu kommen,
verstricken sich die Städte selbst oder ihre städtischen Betriebe in
riskante Geschäfte, aus denen unüberschaubare Zahlungsverpflichtungen
erwachsen können. In Leipzig geht es gegenwärtig um Hunderte von Millionen
Euro, die von ausländischen Banken gefordert werden. (Ebd., 2012, S.
312-313).Die statistischen Zahlen aus Österreich, der Schweiz
oder anderen Industriestaaten sehen ähnlich aus. Regionale und lokale Unterschiede
ergeben sich aus der Alters- und Sozialstruktur der Gemeinden. Nur wenige Gemeinden
mit hohen Gewerbesteuereinnahmen sind noch relativ sorgenfrei. (Ebd., 2012,
S. 313).Meine
Heimatstadt Leipzig wird von einem breiten Auwaldgürtel geteilt, mit zahlreichen
Wasserläufen und demzufolge vielen kleinen und großen Brücken.
lmmer wieder werden kleine Fußgängerbrücken wegen Baufälligkeit
auf Jahre gesperrt, was kilometerweite Umwege notwendig macht. Der Neubau einer
jeden kleinen Brücke ist inzwischen ein Kampf geworden, an dem sich sämtliche
Fraktionen und Stadträte beteiligen. Bei meinem letzten Antrag kam es sogar
zu einer Wiederholung einer Kampfabstimmung, da der Oberbürgermeister persönlich
den Neubau einer kleinen Brücke auf Jahre hinaus verschleppen wollte. Diese
Brücke ist inzwischen gebaut worden. Um des schleichenden Verfalls der lnfrastruktur
gewahr zu werden, brauche ich nur aus der Haustür zu gehen. Die breite Asphaltstraße,
in der wir seit 36 Jahren wohnen, hat seitdem noch nie eine neue Fahrbahndecke
erhalten; die Reste des Fahrbahnbelags dürften noch aus der Zeit vor dem
Zweiten Weltkrieg stammen, als die Straße angelegt wurde. Noch werden die
größten Schlaglöcher geflickt, und zwar wieder auf eine derart
oberflächliche Weise, wie uns das schon aus den letzten Jahren der DDR bekannt
war. Nach 1990 hatte man einige Jahre lang sorgfältiger gearbeitet. Was den
Zerfall der lnfrastruktur und der Qualitätsstandards anbetrifft - jeder wird
aus der Umgebung, wo er wohnt, eigene Beispiele anfuhren können. (Ebd.,
2012, S. 313).
Wie jeder weiß, sind die
Sozialhilfeempfänger in den Städten nicht gleichmäßig verteilt,
und die Unterschiede zwischen ausgesprochenen Villenvierteln und den Elendsvierteln
der Armen sind groß. Untersucht wurden diese Unterschiede zum Beispiel in
Essen und Bielefeld: 1982 reichten die Unterschiede zwischen den Essener Stadtbezirken
von einem Anteil von minimal 0,4% »Sozialhilfebetroffenen« bis maximal
18,5%.1988 betrug die Spanne schon zwischen 0,5% und 17;0%, und die Untersucher
gelangten zu der Schlußfolgerung: »Die Unterschiede der räumlichen
Verteilung von Sozialhilfebetroffenen sind enorm und vergrößern sich
zunehmend.« (Ebd., 2012, S. 313).Es ist zwar kein
Gegenstand der öffentlichen Diskussion, aber es gibt viele gute Gründe
zu der Annahme, daß Mütter, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, zum
unteren Ende der IQ-Verteilung gehören. Frauen, die auf Sozialhilfe angewiesen
sind, haben einen geringeren Bildungsgrad als Frauen, die keine Sozialhilfe brauchen,
und chronische Empfänger von Sozialhilfeunterstützung haben weniger
Bildung als nicht-chronische Empfänger. Aus den USA ist bekannt, daß
die Lesefähigkeit von Müttern, die auf Sozialhilfe bzw. Wohlfahrtsunterstützung
(in den USA auf »welfare«) angewiesen sind, drei bis vier Schuljahre
unterhalb dessen liegt, was für einen normalen Schulabschluß gefordert
wird. Schlechte Lesefähigkeit und eine nicht abgeschlossene Schulausbildung
sind aber Kennzeichen der Bevölkerungsteile mit unterdurchschnittlicher Denkkraft.
Man kann deshalb sogar ohne IQ-Testergebnisse den Schluß ziehen, daß
auf Sozialhilfe angewiesene Mütter mit unterdurchschnittlicher Intelligenz
ausgestattet sind. Je klüger eine Frau ist, mit desto größerer
Wahrscheinlichkeit wird sie eine Arbeit finden (falls sie
will! HB) oder andere Geldquellen erschließen (bei den Eltern oder
beim Vater des Kindes) und desto weitsichtiger wird sie der Gefahr vorzubeugen
versuchen, auf Sozialhilfe angewiesen zu sein, meinen Herrnstein und Murray (1994).
Das gilt selbstverständlich nicht für den Einzelfall. Zum Beispiel durch
Krankheit (etwa durch Depression) oder Unfall kann auch eine hochintelligente
Frau in die Lage geraten, Sozialhilfe beantragen zu müssen. (Ebd.,
2012, S. 313-314).60% der Familien, in denen Fälle von Kindesmißbrauch
(Daten der USA vom Jahre 1967) untersucht worden sind, waren abhängig von
Sozialhilfe. Die Hälfte der Familien befand sich unterhalb der Armutsgrenze,
die meisten nur knapp darüber. Nur in 6% der Familien war ein mäßiges
Einkommen vorhanden. Viele der Eltern in den betroffenen Familien hatten einen
IQ an der Grenze zum Schwachsinn. Das sind Ergebnisse, die auch in Deutschland
seit langem bekannt und bestätigt worden sind. Dennoch wird immer wieder
von Sozialwissenschaftlern fälschlich behauptet, Kindesmißbrauch und
-vernachlässigung und sogar Inzest beträfen alle Schichten, unabhängig
von Rasse, Religion oder wirtschaftlicher Lage der betreffenden Familien. In Fachbüchern
zu diesen Problemen sucht man das Stichwort »Intelligenz« vergeblich.
Auch zwischen der Säuglingssterblichkeit und dem Bildungsgrad - und damit
dem IQ - besteht eine klare Beziehung. Zum Beispiel starben bei weißen Müttern
im Jahre 1978 in Kalifornien von 1000 Neugeborenen bei Frauen mit weniger als
12 Jahren Schulbildung 12,2 Säuglinge, bei Frauen mit 12 Jahren Schulbildung
8,3 und bei Frauen mit 13 und mehr Jahren Ausbildung 6,3 Säuglinge.
(Ebd., 2012, S. 314).Diese Beziehung zwischen Bildungsgrad, sozialem
Status der Mutter und der Säuglingssterblichkeit besteht vermutlich schon
immer. (Und wurde nur dann in historischer Zeit einmal ins Gegenteil verkehrt,
als in Frankreich die Mode aufkam, Neugeborene von Frauen von hohem Stand zu Ammen
zu geben, wo ihre Sterblichkeit dann erschrekkend hoch war.) (Ebd., 2012,
S. 314).
Kriminalität.
Eine der am
besten gesicherten Feststellungen über Rechtsbrecher ist, daß sich
ihre IQ-Verteilung von der der Gesamtbevölkerung deutlich unterscheidet.
Wenn man die wissenschaftlicheLiteratur insgesamt überblickt, dann stellt
sich heraus: Rechtsbrecher haben einen Durchschnitts-IQ von 92, Gewohnheitsverbrecher
haben noch niedrigere Werte. Manche werden behaupten, sehr intelligente Personen
würden weniger häufig gefaßt und der Zusammenhangentstünde
auf diese Weise. Aber dafür gibt es keine statistischen Belege. (Ebd.,
2012, S. 314).Richten wir unser Augenmerk erst einmal auf eine
außerordentliche Herausforderung an die soziale Angepaßtheit: »Wegen
Fahnenflucht wurden bis 30. Juni 1944«, so der Militärhistoriker
Franz Seidler (1996), »insgesamt 13.550 Wehrmachtsangehörige verurteilt.
.... Über 6.000 wurde die Todesstrafe verhängt. .... Zu den Ermittlungsakten
aller kriegsgerichtlichen Verfahren gehörte ein Auszug aus dem Strafregister
des Angeklagten. .... Die exemplarische Durchsicht von Fahnenfluchtakten zeigt,
daß ein beträchtlicher Teil der Angeklagten, in einigen Verbänden
sogar die Hälfte, bereits im Zivilleben vorbestraft war. Unerwartet viele
hatten sogar mehrfache Gefängnisstrafen hinter sich, bevor sie eingezogen
wurden. Die meisten Soldaten stammten aus einfachen Verhältnissen, oft aus
zerrütteten Familien. Eine große Anzahl hatte keine abgeschlossene
Schulausbildung. Ohne vollständige Berufsausbildung waren sie vor ihrer Einberufung
als Hilfsarbeiter tätig gewesen. Da es im Dritten Reich keine
Kriegsdienstverweigerung und außer tür Zuchthäusler und untauglich
Gemusterte keinen Wehrdienstausschluß gab, wurden Kriminelle, häufig
sogar aus dem Strafvollzug, zusammen mit den anderen Wehrpflichtigen des aufgerufenen
Jahrgangs in die Wehrmacht eingezogen. Die Anpassungsschwierigkeiten, die die
Vorbestraften, Einsitzenden und Arbeitsunwilligen bereits im Zivilleben aufwiesen,
multiplizierten sich in der strafrechtlichen Ordnung des Truppendienstes und führten
bei einigen bereits vor dem Ende der militärischen Ausbildung zur Fahnenflucht.
.... Nur ganz wenige Deserteure handelten aus politischen Gründen. .... Überraschend
viele Soldaten wurden fahnenflüchtig, weil ihnen wegen eines strafwürdigen
Delikts wie Unterschlagung, Diebstahl, Schwarzhandel oder Raub ein Kriegsgerichtsverfahren
drohte.« (Ebd., 2012, S. 314-315).In den USA ist
es, wie in vielen anderen Industrieländern, seit 1950 zu einer starken Zunahme
von Gewaltverbrechen (Raub, Mord, gewalttätiger Überfall und Vergewaltigung)
gekommen. Insgesamt stieg in der alten Bundesrepublik Deutschland die Zahl der
erfaßten Straftaten von 1,68 Millionen 1963 auf 4,33 Millionen 1990 und
bewegt sich in Gesamtdeutschland seit 1992 bei rund 8 Millionen. Da Rentner seltener
kriminell werden als Jugendliche, bremst die Altersstruktur einen weiteren absoluten
Anstieg aus. (Ebd., 2012, S. 315).Die tatsächliche Zahl
der Straftaten liegt aber viel höher, denn die Polizeiliche Kriminalstatistik
enthält nur die der Polizei bekanntgewordenen Fälle, die jeweils bei
Abgabe des Vorgangs an die Staatsanwaltschaft erfaßt werden. 2008 wurden
in Deutschland 210.885 Personen Opfer eines bekanntgewordenen Delikts der Gewaltkriminalität.
»Besonders bemerkenswert ist (im Langzeitvergleich) die Zunahme bei den
Raubtaten sowie bei den gefährlichen und schweren Körperverletzungen«
(Hans-Dietre Schwind, Kriminologie, 2010, S. 35). Nach 1970 sanken einige
Aufklärungsquoten: bei Mord und Totschlag von 94% auf 88%, bei Raub von 58%
auf 46%, bei schwerem Diebstahl von 25% auf 13%, bei Wohnungseinbruch von 34%
auf 15%. Das Risiko, für einen leichten Diebstahl oder für einen Einbruch
büßen zu müssen, ist in Deutschland inzwischen lächerlich
gering. Die Aufklärungsquote beträgt kaum 5%. Immer häufiger kommen
leichte Diebstähle deshalb auch gar nicht mehr zur Anzeige, da den Bestohlenen,
angesichts der sehr geringen Erfolgschance, damit etwas zu erreichen, eine Anzeige
als zwecklos erscheint und die zeitliche Belastung des Bestohlenen durch die langwierigen
Prozeduren des polizeilichen Protokolls oft größer sind als der Schaden
selbst. (Ebd., 2012, S. 315).Bei einem ausländischen
Bevölkerungsanteil in Deutschland von 8,5% im Jahre 1995 betrug der ausländische
Anteil beim Rauschgifthandel als Mitglied einer Bande 72%, bei Taschendiebstahl
65%, bei Geldfälschung 58% und bei Hehlerei mit gestohlenen Kraftfahrzeugen
53% (vgl. Polizeiliche Kriminalstatistik, 1995 [die Prozentzahlen
liegen in Wirklichkeit noch sehr viel höher! HB]). Neuere Statistiken
sind nicht aussagekräftiger, da es inzwischen leichter geworden ist, die
deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben und dadurch in den Statistiken die
Unterschiede zwischen den verschiedenen Herkunftsgruppen der Bevölkerung
verwischt werden. (Ebd., 2012, S. 315).Besonders bei ausländischen
Jugendlichen (14 bis unter 18 Jahre) ist die Bereitschaft zur Gewalt erschreckend
hoch: Erfaßt wurden 1995 3603 Fälle von Raub, räuberischer Erpressung
und räuberischem Angriff auf Kraftfahrer, verglichen mit 4151 Fällen,
verursacht durch deutsche Jugendliche (auch hier ist die
Statistik pro-ausländisch, wurden die Zahlen zugunsten der Ausländer
extrem frisiert, so wurden z.B. 70% ausländische Straftaten auf durchschnittliche
0,7% reduziert, also verfälscht [**];
HB). Bei einem Ausländeranteil um 9% im Jahre 2005 betrug der Bevölkerungsanteil
der Ausländer, auf die das deutsche Jugendstrafrecht Anwendung findet, 17%.
Mit diesen Zahlen wird auch die Verschiebung der Bevölkerungsanteile innerhalb
einer Generation belegt, also fast die Verdoppelung des Ausländeranteils.
(Ebd., 2012, S. 315-316).Wenn sich die Verbrechensziffern ändern,
dann wird man die Ursache zuerst in veränderten sozialen Bedingungen und
nicht in persönlichen Eigenschaften suchen. In welcher Weise sollten da Intelligenzunterschiede
eine Rolle spielen? Herrnstein und Murray (1994) meinen, geringe Denkkraft führe
oft zu Enttäuschungen in der Schule und bei der Arbeitssuche. Wenn zum Beispiel
Personen mit niedrigem IQ keine Arbeit finden, dann gibt es Gründe für
sie zu versuchen, ihren Lebensunterhalt durch Verbrechen zu verdienen. Wenn sie
auf normale Weise keine Anerkennung erlangen können, wie zum Beispiel Ausländer,
die in Deutschland leben, aber keine Arbeitserlaubnis erhalten, aber auch nicht
ausgewiesen werden, oder die illegal eingewandert sind, dann können Verbrechen
für sie als ein Ausweg erscheinen. (Ebd., 2012, S. 316).Höhere
Intelligenz verleiht auch einen gewissen Schutz gegen Wiederholungskriminalität
selbst für Personen, die sonst als besonders gefährdet gelten. Auch
diejenigen, die in ungeordneten Verhältnissen groß geworden sind, und
bei Eltern, die selbst kriminell sind und die in der Kindheit Charakterzüge
gezeigt haben, die prognostisch mit Kriminalität korreliert sind, sind als
Erwachsener mit geringerer Wahrscheinlichkeit Verbrecher, wenn sie einen hohen
IQ haben. Nichtsdestoweniger leben die meisten Menschen mit niedrigem IQ nach
Recht und Gesetz. Am Anstieg der Verbrechensrate müssen dennoch Faktoren
beteiligt sein, für die ein Teil der Personen mit niedrigerem IQ ein höheres
Risiko aufweist. (Ebd., 2012, S. 316).
6) Die Intelligenz in der sozialen Wirklichkeit.
Intelligenzunterschiede zwischen den Völkern.
Zweifellos
sind die Unterschiede zwischen den Einzelpersonen viel größer als die
Unterschiede zwischen Gruppen. Wenn z.B. in den USA alle ethnischen Intelligenzunterschiede
über Nacht verschwänden, dann bliebe dennoch der größte Teil
der Schwankungsbreite der Denkkraft davon völlig unberührt. Die verbleibende
Ungleichheit ist auch in einheitlichen Gesellschaften, so wie das in Europa der
Fall war, so groß, daß die politischen Abläufe davon beeinflußt
und geprägt werden. (Ebd., 2012, S. 318).Der Zusammenhang
zwischen IQ und Rasse ist nicht von primär-kausaler Art, sondern entsteht
sekundär über den Sozialstatus. Hochintelligente Menschen gibt es in
allen Rassen, jedoch mit unterschiedlicher Häufigkeit, woraus die IQ-Mittelwertunterschiede
der Menschengruppen folgen. (Ebd., 2012, S. 321).
Die Juden und der Staat Israel.
Nur
22% der Einwohner Israels sind Juden europäischer Herkunft; rund 50% Mizrachim,
das sind Juden, die aus arabischen bzw. muslimischen Ländern nach Israel
ausgewandert oder geflüchtet sind. .... Der überdurchschnittliche mittlerer
IQ wurde nur bei den Aschkenasim (Askenazis; vgl. Wikipedia.en: Askenazi intelligence
[Ashekenazi bezeichnet den deutschen Juden {wö:rtlich:
Jude in Deutschland}, d.h. denjenigen Juden, dessen Vorfahren nach dem
Bar-Kochba-Aufstand {132-135} ins Rheingebiet ausgewandert waren und einen deutschen
Dialekt - das Jiddische {Juden-Deutsch, Judaeo-German} - entwickelt hatten; HB])
gefunden .... Die Juden aus arabischen Ländern,die Mizrachim, haben einen
mittleren IQ wie die Araber dieser Länder auch. Damit wäre eigentlich
schon der mittlere IQ Israels erklärt. (Ebd., 2012, S. 324).Etwa
10% der Juden in Israel bekennen sich zu den Haredim, den Gottesfürchtigen.
Zu diessen Ultraorthodoxen zählt man zahlreiche Zweige mit mehr oder weniger
unterschiedlichen Glaubens- und Wertvorstellungen, »aber ihre Geburtenzahl
ist fast dreimal so hoch wie die der Säkularen. .... Ein Viertel der jüdischen
Erstkläßler ist bereits ultraorthodox.« (Juliane von Mittelstaedt,
Im Namen der Tugend, in: Der Spiegel, 2, 2012, S. 91). Rund 60% der Väter
haben kein Einkommen aus Erwerbsarbeit. (Ebd., 2012, S. 324-325).In
Israel fehlt es nicht an Personen, die meinen: »Wenn man diesen langfristigen
Entwicklungen nicht entgegenwirkt, stellen sie eine Bedrohung für die politische,
soziale und kulturelle Position des jüdischen Staates und seine Sicherheit
dar.« (P. Ritterband [Hrsg.], a.a.O., 1981, S. 259). Bei den Aschkenasim
gibt es einen aktiven pro-eugenischen Flügel. Der Staat Israel gestattet
die künstliche Befruchtung, und die Knesset hat am 3. März 1996 die
Leihmutterschaft per Gesetz legalisiert. Auf der anderen Seite ist »die
Bevölkerungspolitik Israels darauf gerichtet, ... die Familiengröße
der Unterschichten durch Geburtenkontrolle zu verkleinern« (P. Ritterband,
ebd., S. ,267). Die Beihilfen für Kinder wurden 2004 dreimal beschnitten
und sollten bis 2009 nicht mehr angehoben werden. Nach sechs Jahren relativer
Stabilität markierte das Jahr 2003 in Israel den Beginn des Anstiegs der
Armut. Der Anteil der als arm eingestuften Familien in der israelischen Gesellschaft
schnellte auf 19% der Gesamtbevölkerung, der Anteil der als arm geltenden
Kinder stieg sogar auf 31% .Der Vergleich der beiden Prozentzahlen belegt eine
dysgenische Entwicklung. Alle wesentlichen politischen Kräfte sehen in der
Liberalisierung der Wirtschaft und der Kürzung von Subventionen das einzige
erfolgreiche Wirtschaftsprogramm. Die soziale Desintegration der Unterschichten
wird dabei einkalkuliert. (Ebd., 2012, S. 325).Jede Bevölkerung,
die ihr eigenes Dasein bewahren und sich nicht selbst auflösen will, schützt
sich auf irgendeine Weise gegen eine Überzahl von fremden Einwanderern. In
allen Kulturen waren Juden irgendwann einmal Einwanderer, die wegen ihrer einzigartigen
Religion wenig Neigung zeigten, vollkommen in der einheimischen Bevölkerung
aufzugehen. Besondere Regeln für Juden und den Umgang mit ihnen gab es deshalb
bei allen Völkern und Kulturen .... (Ebd., 2012, S. 325).Im
11. Jahrhundert stellten die Aschkenasim - das Wort bedeutet im Hebräischen
»Juden in Deutschland« (**)
- im Rheinland etwa 3% aller Juden der Welt. 1931 stammten dann 92% des Weltjudentums
von ihnen ab (vgl. Wikipedia.en: Askenazi Jews). Nur bei ihnen hatte jahrhundertelang
die Selektion stattgefunden .... (Ebd., 2012, S. 343).Bestandteil
der zionistischen Utopie war die Siedlungsbewegung, die in Palästina zur
Gründung der Kibbuzim führte. Die erste schriftliche Niederlegung der
Ideale, die sich die Kibbuzbewegung gab, wurde 1923 auf einer Konferenz festgelegt.
Analog zu anderen politischen Utopien war die Gründergeneration der Kibbuzim
davon überzeugt und gewillt, in Palästina einen neuen Menschen zu schaffen,
der abgehärtet, wehrfähig und sich selbst erziehend eine neue sozialistische
Gesellschaft errichtet. (Interessant wäre es einmal, die Parallelen und Unterschiede
mit der Siedlungsbewegung der Artamanen
herauszuarbeiten, die zur seiben Zeit in Deutschland einen Teil der Jugend unter
ihre Fahnen rief!) (Ebd., 2012, S. 343).Handlungsmaxime der
Kibbuzbewegung waren die zentrale Rolle der Gemeinschaft, der Gleichheit und der
kollektiven Kindererziehung. Neben dem Kinderhaus stand im Zentrum eines jeden
Kibbuz eine Gemeinschaftsküche mit einem großen Speisesaal, in dem
alle ihre Mahlzeiten gemeinsam einnehmen konnten. Jedes Mitglied war verpflichtet,
abwechselnd für die Gemeinschaft zu kochen, abzuwaschen und an den Tischen
zu bedienen. Gleichheit erschöpfte sich jedoch für die Siedler nicht
nur in der gleichen Verteilung der materiellen Güter, sondern man strebte
eine radikale Verwirklichung der Gleichheit in allen Lebensbereichen an. Das Geld
war als Zahlungsmittel geächtet. Das Essen und die Wohnungen waren einfach,
Luxus verboten. Es galt als bürgerlich, eigene Kleidung besitzen zu wollen.
Es wurde eine Kleiderkammer eingerichtet, in der die persönliche Kleidung
abgegeben werden mußte; sie wurde dort gewaschen und ausgebessert. Man mußte
sich einer einheitlichen Kleiderordnung fügen. Wenn in Dystopien oft Gesellschaften
geschildert werden, die in ihrer Totalität in das gesamte Leben eingreifen
und den einzelnen mit ihren Regeln beherrschen, hier haben wir eine der Vorlagen
in der Wirklichkeit! (Ebd., 2012, S. 343-344).Eine selbstverständliche
Konsequenz eines derartigen Systems war die Aufhebung des Leistungsprinzips. Jeder
Arbeit wurde die gleiche Wertigkeit zugesprochen, auch jeder körperlichen
Arbeit. Lohn und Leistung wurden vollständig voneinander entkoppelt. Strikt
wurde auch die Einhaltung der Gleichheit der Geschlechter gefordert. Männer
und Frauen mußten gemeinsam duschen. Beliebtes Mittel der sozialen Kontrolle
war der Klatsch. Jeder kannte jeden, nichts blieb verborgen. (Ebd., 2012,
S. 344).Leitungspositionen wurden rotiert, aber man hielt es für
sinnvoll, die dafür Geeigneten durch Abstimmungen auszuwählen. In der
Tatsache, daß arbeitsteilige Gemeinschaften Leitungen und Führer brauchen
und dafür Personen mit unterschiedlichem IQ auch unterschiedlich geeignet
sind, trug natürlich auch die Kibbuz-Bewegung - wie alle derartigen Utopien
- den Keim in sich, der auf längere Sicht zu ihrer inneren Zersetzung führen
mußte; es bildete sich nämlich eine »Kibbuz-Aristokratie«
heraus (vgl. Mathias Lindenau, Requiem für ein Traum?, 2007, S. 229).
Die starke soziale Kontrolle erzeugte eine Gegenbewegung und führte zum Wunsch
nach Unabhängigkeit und Abstand. Die Gleichrangigkeit der Arbeit und damit
das Prinzip der Gleichheit begannen zusehends zu erodieren. Die Trennlinie zwischen
Handarbeit und den Arbeiten einer relativ geschlossenen Verwaltungs-, Funktionärs-
und Expertenelite wurde immer schärfer. Ab 1991 wurde die kollektive Kindererziehung
endgültig aufgegeben. (Ebd., 2012, S. 344).Während
in der Generation der Staatsgründer von 1948 einige aus der Kibbuz-Bewegung
hervorgegangen waren, sind ihre Ideale heute Geschichte. (Ebd., 2012, S.
344).Was
fallt einem persönlich nicht alles ein, wenn man über den Untergang
der Kibbuz-Bewegung schreibt? ln der DDR mußten die Studenten jedes Jahr
im Herbst für wenige Wochen zur Kartoffeternte ausrücken. Unterkunft
und Essen waren an jedem Einsatzort gemeinschafttich. 1965 arbeitete ich mit Physik-Studenten
in einem Dorf des Oderbruchs. Etwa ein Dutzend Mann hildeten eine »sozialistische
Brigade«, deren Arbeitsteistung gemeinsam abgerechnet wurde. Es war ein
geselliger Ernteeinsatz, mit mäßigem Verdienst. lch hatte den Eindruck,
etwas schneller zu arbeiten als die meisten anderen, die sich wiederholt von nächttichen
Atkohotexzessen erholen mußten. lch bremste meinen Arbeitseifer, indem ich
mit einem Freund auf dem Kartoffelfetd blind Schach spielte. Zum Schluß
wurden dann drei Mann aus der Brigade exmatrikutiert, weil sie in der Kneipe den
Dorfpotizisten mit unflätigen Gesängen herausgefordert hatten.
(Ebd., 2012, S. 344).Ein
Jahr später lasen wir wieder Kartoffeln, im Nachbardorf; diesmal arbeitete
jeder einzelne indes auf eigene Rechnung. ln dem Alter hatte ich auch an körperlicher
Kraft und Ausdauer noch einiges drauf und war wieder einmal Rekord-Kartoffelleser.
Von dem Verdienst konnte ich mir einen sehr schönen Wintermantel kaufen.
An einem Tag in diesem Einsatz mußten wir unseren Lohn jedoch »freiwillig«
für den Vietnamkrieg spenden (natürtich nicht für die USA, sondern
für die Kommunisten). An diesern Tag wurde die Arbeitsteistung nicht einzeln
abgerechnet, sondern gemeinsam, und unsere Leistung lag weit unter dem Durchschnitt
der anderen Tage. Ein Chemie-Student hatte sich bei uns hervorgetan, indem er
sogar zum Langsamarbeiten aufgefordert hatte. Am Abend versammelten sich die Genossen
der Sozialistischen Einheitspartei in einer Baracke und berieten. lch belauschte
sie und erfuhr, daß der Chemie-Student Ralf X. von Exmatrikulation bedroht
war. lch bat Ra!f, mit mir allein zu sprechen, und beide gingen wir tange neheneinander
in einer sternenklaren Nacht auf einer einsamen Landstraße. lch war damals
schon von der Endtichkeit des herrschenden Systems fest überzeugt und meinte,
der Widerstand brauche keine Märtyrer, das System würde sich setbst
richten. lch brachte Ralf dazu, gegenüber den Genossen nach Ausflüchten
für sein Verhatten zu suchen, verbunden mit seinem Angebot, einen weiteren
Tageslohn für Vietnam zu spenden. Das rettete die Situation. 1990 sind wir
uns wieder begegnet. Er hatte promoviert, eine Familie gegründet, und heide
haben wir den gemeinsamen Weg damals in jener Nacht nie vergessen. (Ebd.,
2012, S. 344-345).
Als 1948 der Staat Israel
gegründet worden war, hatten die Aschkenasim die Kontrolle in allen Schlüsselpositionen.
Sie stellten die politische und kulturelle Elite des Landes. Ab Mitte der 1950er
Jahre wurden die Einwanderer der zweiten Welle aus Nordafrika nach der Einreise
oft direkt in die Entwicklungsstädte überwiesen, wo sie als Arbeiter
in den Industriebetrieben eingestellt wurden. Diese Mizrachim »wurden
von den Aschkenasim als minderwertig für den Aufbau einer modernen Gesellschaft
angesehen, nicht nur aufgrund fehlender Qualifikationen, sondern auch ,aufgrund
ihrer religiösen und kulturellen Praktiken.« (Mathias Lindenau,
Requiem für ein Traum?, 2007, S. 327). Bis 1988 erreichten die Mizrachim
durch ihre hohe Kinderzahl und damit durch ihr in einer Demokratie steigendes
Gewicht eine Quotenregelung bei der Besetzung von Ämtern und verstärkte
Beihilfen für ihre Wohngebiete. Als 1989 eine neue Einwanderungswelle aus
der Sowjetunion einsetzte, gelang es vielen dieser Russischsprechenden verhältnismäßig
rasch, Fuß zu fassen und Arbeit zu finden, während insbesondere die
äthiopischen Juden an den Rand der Gesellschaft gerieten; ihr Jude-Sein wurde
noch dazu von Teilen der Gesellschaft bezweifelt: »Sie wurden nicht selten
wie eine Herde von Schafen behandelt, und als Neger beschimpft« (Mathias
Lindenau, ebd., 2007, S. 315). (Ebd., 2012, S. 345).Die Emigranten
der Einwanderungswelle aus der alten Sowjetunion ab 1990 gehörten zu 70%
der Intellektuellen Elite an (in der Sowjetunion, wohlgemerkt!
HB). Dadurch waren bestimmte qualifizierte Arbeitsplätze in Israel
Mangelware geworden, was zu einer außerordentlich hohen Arbeitslosigkeit
unter Akademikern führte und zwangsläufig zu ihrer Wieder-Auswanderung
in Drittländer. Allein die Zahl der Ärzte war in Israel binnen dreier
Jahre von 12.000 auf 22.000 hochgeschnellt. Eine Folge ist seitdem auch, daß
die palästinensische Intelligenz im eigenen Land kaum qualifizierte Arbeitsmöglichkeiten
finden kann und auswandert. Da sich bisher in jedem entwickelten Wirtschaftsraum
der mittlere IQ aller Einwohner um 95 bewegt, bewirkt ein höherer IQ bei
einer Ethnie schon mittelfristig einen niedrigeren mittleren IQ bei einer anderen
Ethnie. (Ebd., 2012, S. 345).Ob die angestrebte Homogenisierung
der Juden in Israel bereits als gescheitert angesehen werden muß, ist eine
kluge Frage: »Die nach wie vor bestehende Ungleichheit zwischen den unterschiedlichen
ethnischen Gruppen hat zu einer signifikanten Schichtung in der israelischen Gesellschaft
geführt. Diese sozioökonomischen Disparitäten zwischen den unterschiedlichen
ethnischen Gruppierungen bergen ein enormes Konfliktpotential für die israelische
Gesellschaft in sich.« (Mathias Lindenau, Requiem für ein Traum?,
2007, S. 327). Die Ungleichheit hat in der zweiten Generation der Einwanderer
deutlich zugenommen. Das Zentralamt für Statistik berichtet seit Jahren über
ein Wachstum des Einkommens bei der Oberschicht, während die Einkommen der
Unterschicht zum Beispiel 2004 um 9% sanken. (Ebd., 2012, S. 345).Die
Wandlung Israels von einer Schmelztiegelgesellschaft zu einer Mosaikgesellschaft,
deren unterschiedliche ethnische Gruppierungen ihre Tradition behalten und pflegen
wollen, hat zur Entstehung eines Post-Zionismus beigetragen. Einige Post-Zionisten
fordern ein Ende der Sonderbehandlung der jüdischen Staatsbürger, eben
keinen jüdischen Staat, sondern einen normalen Staat für alle seine
Einwohner, mit gleichen Rechten und Pflichten. Ihre Gegner, die Neo-Zionisten
meinen, daß die Erfüllung dieser Forderung das Ende des Staates Israel
bedeuten würde. (Ebd., 2012, S. 345-346).Wenn
Intelligenz (und damit korrelierter Besitz) schon seit zig Generationen einen
großen evolutionären Vorteil gebracht hat, warum ist die Intelligenzverteilung
in der Bevölkerung nicht eine völlig andere? Menschen leben seit Jahrtausenden
in den verschiedenen Erdteilen unter verschiedenen Kulturen und unter verschiedenen
Selektionsbedingungen. Das Erstaunliche dabei ist, daß, wenn es überhaupt
Unterschiede zwischen Völkern und Rassen gibt oder geben sollte, sie hinsichtlich
der IQ-Verteilung so gering sind. Das setzt doch einen Selektionsmechanismus voraus,
der bei Spaniern, Japanern und Tamilen, trotz ihrer unterschiedlichen Geschichte
und Kultur, irgend etwas grundlegend Gemeinsames haben muß, wenn diese starken
sozialen Selektionsdifferentiale nicht zu einer viel stärker auseinanderdriftenden
Entwicklung geführt haben. Die Antwort liegt in der Universalität
der sozialen Hierarchie: Es gibt so etwas wie ein feststehendes zahlenmäßiges
Verhältnis zwischen der Anzahl der Führungspositionen und der Anzahl
der Untergegeben, die Zahl der Zwischenglieder und nachwachsenden Anwärter
auf Führungspositionen inbegriffen (die Hervorhebung
stammt von mir; HB). Dieses Verhältnis ist durch alle Zeiten hindurch
annähernd gleichgeblieben, und es gilt auch für die multiplen Hierarchien
der Staatsverwaltung und der modernen Industrie, für die bei 8-9% für
Stab und technisches Personal eine Sättigungsgrenze erreicht ist. Ändert
sich das Verhalten, so daß ein relativer Überschuß an Hochbegabten
aufwächst (wie zum Beispiel in den Familien der französischen Hugenotten
vor ihrer Vertreibung) und geht das bei einer Gruppe mit einer entsprechenden
Vermehrung von verdeckten Machtpositionen - zum Beispiel wirtschaftlichen Positionen
-einher, droht die gewaltsame Entladung der entstehendensozialen Spannung; dann
drohten bisher in der Geschichte Bartholomäusnächte und Vertreibung.
Der Teil an qualifizierten und einträglichen Stellungen, der von einem Bevölkerungsteil
besetzt ist, kann nicht gleichzeitig auch von einem anderen Bevölkerungsteil
besetzt werden. Der Spielraum, in dem soziale Systeme einen Überschuß
an Intelligenz ohne Führungskompetenz ertragen, scheint gering. Unter demokratischen
oder sonstwie geregelten Verhältnissen werden Kinderzahlen durch Steuern,
Wohnungen und Arbeitsplätze reguliert, und die Sozialdemokratie sorgt dafür,
daß eine Steuerpolitik mit qualitativen Aspekten für die Bevölkerung
keine allzu große Chance hat, je ein Thema zu sein (vgl. dazu aber auch
Michael Schwartz, Sozialistische Euegnik, 1995). Ein solches Ziel läßt
sich nur dann teilweise verwirklichen, wenn es offiziell kein Ziel ist und nicht
als solches offen diskutiert wird, sondern aus dem schweigenden Einverständnis
der politisch Handelnden überparteilich wächst. In den totalitären
Auswüchsen des Kreislaufes der Eliten (KZ, Gulag) hingegen werden die Menschen
der Gegenelite regelrecht verheizt; in Kambodscha mit einer solchen Gründlichkeit
bis zur Auszehrung des Landes. Auch die wirtschaftlichen Probleme Rußlands
und der Ukraine heute dürften darin eine wesentliche Ursache haben. Was vernichtet
worden ist und ausgerottet worden ist, sind nicht nur die Denkkräftigen,
sondern ein risikobereiter, zugleich aber verantwortungsvoller Typ von Personen,
der als Gründer in einer freien Wirtschaft unerläßlich ist. Auch
die Flucht aus dem Osten in den Westen Deutschlands hat dem Osten diesen Persönlichkeitstyp
entzogen. Natürlich ist er noch vorhanden, aber in zu geringer Zahl und mit
zu geringem Bevölkerungsanteil. (Ebd., 2012, S. 346).Das
allbekannte schöne Beispiel, daß unsere Wahrnehmungen darauf gerichtet
sind, soziale Einseitigkeiten aufzuspüren, beschönigt auch hier den
Sinn und die mögliche Brutalität dieses Mechanismus, der dazu führt,
daß die weiße Krähe von den schwarzen gehackt wird. Eine
biologische Art konkurriert nämlich nicht nur gegen die geographische Umwelt
und gegen alle anderen biologischen Arten, sondern es gibt auch Mechanismen, um
die innerartliche Varianz zu begrenzen (die Hervorhebung
stammt von mir; HB). Je größer diese Streuung ist, desto größer
ist auch die Anpassungsbreite einer Art (stellen wir uns das Berufsspektrum einer
Menschheit vor, die in ihrer Körperhöhe von 10 bis 300 cm schwanken
würde), desto größer wird aber auch die Gefahr, daß die
Art in mehrere Arten zersplittert, die dann voll gegeneinander konkurrieren. Adel
und Kasten waren bisher keine ernste Gefahr, weil sie keiner sinnvollen und völlig
durchgehaltenen genetischen Trennung entsprachen. Ob es irgendeiner sich selbst
manipulierenden Intellektuellen Elite je gelingen kann, oder ob es sinnvoll erscheint,
sich der sozialen Kontrolle der Gesamtart voll zu entziehen, kann hier nicht beantwortet
werden. Das ist aber der Stoff, aus dem die Science-Fiction lebt (vgl. Volkmar
Weiss, Der Clan aus Geld und Genen, 2003; ders., Das Reich Artam,
2011). (Ebd., 2012, S. 346-347).Für die Betroffenen
ist der angesprochene »Mechanismus des Bewahrens des Mittelmaßes«
dumm, gemein und bösartig - und dennoch unzweifelhaft vorhanden und manchmal
geradezu Alltag. Die Hexen, die auf den Scheiterhaufen verbrannt worden sind,
was mögen sie gedacht haben und was ihre Denunzianten? Wir sind aber mit
größerer Wahrscheinlichkeit die Nachkommen der letzteren. (Ebd.,
2012, S. 347).Angesichts des prozentualen Anwachsens der ultraorthodoxen
religiösen Juden, die in Israel zum Teil die aktive Wehrpflicht verweigern,
und der anderen inneren Verschiebungen der Bevölkerungsanteile und damit
des Aufreißens der IQ-Lücke, steht dem Staat Israel die eigentliche
Bewährungsprobe vor der Geschichte in diesem Jahrhundert erst noch bevor.
Der Historiker Avraham Barkai (geboren 1921), der seit 1938 in einem Kibbuz lebt,
stellt im Rückblick auf das Gesamte seit 1985 ernüchtert »eine
Senkung des Lebensstandards auf allen Gebieten« fest (vgl. Avraham Barkai,
Erlebtes und Gedachtes, 2011, S. 205) sowie »daß das Niveau
des Erziehungswesens, vom Kindergarten bis zu den Universitäten, von Jahr
zu Jahr sinkt« (S. 187). Die Auflösung strenger Kriterien für
das Jude-Sein und die Staatsangehörigkeit, das Absinken des durchschnittlichen
IQ und damit der durchschnittlichen wirtschaftlichen Tüchtigkeit, das in
einer Demokratie notwendige Buhlen um die Stimmen der Bevölkerung, die zahlreichen
Minderheiten angehört, schaffen keine allzu guten Voraussetzungen dafür,
daß Israel die Wirren des Großen Chaos unbeschadet überstehen
wird. »Israel ähnelt in vielem schon jetzt mehr Iran als Europa.
Es ist ein Land, in dem es keine Zivilehe gibt, wo Rabbis über Hochzeit und
Scheidung bestimmen, wo strenggläubige Schüler weder Mathematik noch
Englisch lernen. Wo jeder Kindergarten und jedes Kampfbataillon einen Rabbi hat.
Ein Land, wo ein Infrastrukturminister die Kraftwerke des Landes unter die Oberaufsicht
der Rabbiner stellen will, damit auch der Strom den göttlichen Reinheitsgeboten
folgt.« (Juliane von Mittelstaedt, Im Namen der Tugend, 2012,
S. 91). (Ebd., 2012, S. 348).»Ich meine, die Juden
werden immer genug Feinde haben, wie jede andere Nation. Wenn sie aber auf ihrem
eigenen Boden sitzen, können sie nie mehr in alle Welt zerstreut werden.
Wiederholt kann die Diaspora nicht werden, solange die ganze Cultur der Welt nicht
zusammenbricht.« (Theodor Herzl, Der Judenstaat, 1897). Wenn also
überhaupt, dann wird das Schicksal Israels im Großen Chaos entschieden
werden. (Ebd., 2012, S. 348).In einem Zukunftsroman habe
ich eine Oberschicht geschildert (vgl. Volkmar Weiss, Der Clan aus Geld und
Genen, 2003), die in abgeschotteten Wehrsiedlungen lebt, die in Abständen
mit Raketen beschossen werden. Am Schluß stehen die politischen Führer
der Oberschicht vor der Frage, ob und wie sie zur Sicherung ihrer Existenz die
vorhandenen Atomwaffen einsetzen sollen. Als ich den Roman »Der Clan aus
Geld und Genen« 1975 geschrieben habe - an eine Drucklegung war in der DDR
nicht zu denken -, habe ich damals nicht an Israel, die Hamas und die aus dem
Gaza-Streifen abgefeuerten Raketen denken können. Es ... droht der gesamten
Welt eine sehr gefährliche Entwicklung. Abgeschlossene Siedlungen, hinter
deren Sicherheitseinrichtungen sich die Reichen und Schönen verschanzen,
sind auch in Brasilien, Südafrika und den USA vielerorts schon eine Notwendigkeit.
(Ebd., 2012, S. 348).
Die Demographie der Intelligenz.
Im Familienverhalten
weisen die Schwarzen der USA gegenüber den Weißen und den Latinos grundlegende
Unterschiede auf. Diese Unterschiede waren in den Jahrzehnten vor 1996 sogar immer
größer geworden. 1960 wurden 24% aller schwarzen Kinder unehelich geboren,
aber nur 2% aller Weißen. 1991 waren bei den Schwarzen 68% aller geborenen
Kinder unehelich, bei den Latinos 39% und bei den nicht-hispanischen Weißen
18%. Bei den Schwarzen war die nicht-eheliche Geburt geradezu zum Regelfall geworden.
Daraufhin haben die USA laut Sarrazin (2010, S. 386) »etwas gegen die
hohe Zahl der Unterschichtgeburten in ihrem Land unternommen - mit Erfolg: Am
22. August 1996 unterschrieb Präsident Clinton den Personal Responsibility
and Work Opportunity Reconciliation Act. Damit war die einfache Möglichkeit
unterbunden, durch Kinder an Welfare-Zahlungen zu kommen. Bill Clinton mußte
sich dafür vielfach als Rassist beschimpfen lassen. .... Im deutschen System
erhalten Familien mit niedrigem oder gar keinem Einkommen Prämien für
ihre Kinder. Insoweit ist die soziale Schieflage in der deutschen Geburtenstruktur
nicht verwunderlich. .... Wer aber vom Staat alimentiert wird, soll nicht dazu
verführt werden, diese Unterstützung durch Kinder zu erhöhen.«
(Ebd., 2012, S. 358).Wenn sich die Bevölkerung eines Landes
von Generation zu Generation durch Geburten und Einwanderung erneuert, werden
die Menschen, die sterben, nicht immer im Verhältnis 1:1 durch Menschen mit
dem gleichen IQ ersetzt. Das ist das, was wir unter Demographie der Intelligenz
verstehen. Wenn Frauen mit niedrigem IQ ihre Kinder früher in die Welt setzen
als Frauen mit hohem IQ, wird auch der mittlere genotypische IQ der Bevölkerung
sinken, selbst dann, wenn die Kinderzahlen bei beiden Bevölkerungsschichten
gleich groß sein sollten. Wenn die Kinderzahl über die IQ- Verteilung
hinweg nicht gleich ist, so wird die nächste Generation eine andere Verteilung
der IQ-Werte aufweisen. Wenn man über die Zukunft eines Volkes etwas aussagen
will, dann ist die Beobachtung wichtig, ob und wie sich die IQ-Verteilung verändert.
Eine zweite Frage betrifft dann das Warum. (Ebd., 2012, S. 357-358).In
allen Industrieländern ist mit der Modernisierung ein Rückgang der Geburtenzahlen
einhergegangen; ein Vorgang, der in der Fachsprache als »demographische
Transition« (**)
bezeichnet wird. Da bei den gebildeten, den »studierten« Frauen die
Geburtenzahlen früher, rascher und stärker fallen als bei den ungebildeten
- ein Vorgang, der sich derzeit in vielen Entwicklungsländern in breiter
Front vollzieht -, kann man deswegen ein Absinken des mittleren IQ in der nächsten
Generation erwarten. Es reicht dafür auch schon aus, daß die gebildeten
Frauen ihre Kinder in einem höheren Lebensalter haben, wie das tatsächlich
der Fall ist. Im allgemeinen geht man davon aus, daß 2,1 Geburten pro Frau
das Minimum sind, um die vorhergehende Generation zu ersetzen. In den USA hatten
1992 die Frauen mit akademischen Abschlüssen 1,56 Kinder, das ist ein Kind
weniger als Frauen ohne jeden Schulabschluß. Setzt man den Durchschnitts-IQ
der Bevölkerung der USA mit 100, dann wäre er bei den Müttern knapp
98. Der genotypische Wert der nächsten Generation dürfte damit etwa
einen IQ-Punkt niedriger sein. In der für die USA repräsentativen Längsschnittuntersuchung,
die den meisten Graphiken von Herrnstein und Murray zugrundeliegt, betrug der
durchschnittliche IQ der Mütter sogar nur 96. Das mittlere Alter der Mutter,
in dem die Kinder geboren wurden, betrug bei Weißen 24,3 Jahre, bei Latinos
23,2 Jahre, bei Schwarzen 22,3 Jahre. Der mittlere IQ aller geborenen Kinder für
die Stichprobe von 4200 Personen, die 1979 auf den Mittelwert 100 genormt worden
war, betrug 1988 nur 92. Herrnstein und Murray hoffen, daß dies nicht der
endgültige Wert ist, da gerade von hochintelligenten Frauen in höherem
Lebensalter noch Kinder geboren werden und so der Mittelwert noch etwas steigen
sollte. (Ebd., 2012, S. 358).Eine genetisch reine Linie
bleibt genetisch eine reine Linie. Eltern, die für hohe Intelligenz
reinerbig M1M1 sind, haben Kinder, die alle wieder M1M1 sind (**).
Die Paarung von Homozygoten mit Homozygoten desselben Allels ergibt immer wieder
nur Reinerbige mit unveränderten wahren genotypischen Werten, unbeschadet
einer dabei auftretenden statistischen Regression der Meßwerte. Erst wenn
wir auch Nebengene betrachten, wird das alles etwas komplizierter. Jedoch werden
durch statistische Regression niemals Genhäufigkeiten verändert. Es
ist deshalb grundfalsch, Regression als einen selbständigen Mechanismus ins
Feld zu führen, der über Generationen hinweg ein allgemeines Einebnen
von Unterschieden bewirken könnte. Deutlich wird das auch durch folgende
Überlegung: Die Kinder von Eltern mit hohem IQ zeigen eine Regression ihrer
mittleren Meßwerte. Nun kehrt man die Logik und Reihenfolge um: Als Folge
zeigen nun die Eltern von Kindern mit einem hohen IQ die Regression zur Mitte.
Jetzt sind die Kinder zuerst gemessen und nach ihren Meßwerten in Gruppen
geordnet worden, danach die Eltern. Auf einmal ist die Streuung der Kinderwerte
größer als die der Elternwerte. Man könnte bei dieser Betrachtung
also von »umgekehrter Regression« sprechen. (Ebd., 2012, S.
359).
7) Die Altersstruktur der Weltbevölkerung, Einwanderung
und Politik.
Wie weit ist der Kreislauf der Verfassungen vorangeschritten?
Es
hat und wird immer wieder Versuche gegeben, die politischen Entscheidungsmöglichkeiten
auf solche zwischen nur zwei Polen zurückzuführen, und rechts und links
sind dafür die üblichen Begriffe (**).
Sich nur scheinbar davon abhebend, schreibt Radnitzky (1998): »Unser
Jahrhundert ist gekennzeichnet durch den Gegensatz zweier politischer Philosophien:
die kollektivistische Gesellschaftstheorie einerseits und des klassischen Liberalismus
auf der anderen Seite. .... Seit dem Zerfall der Sowjetunion ist freilich der
bekennende, fundamentalistische Sozialismus unverkäuflich geworden. Der Sozialismus
tritt daher nur mehr in der Form des schleichenden Sozialismus auf, unter dem
Deckmantel der Demokratie. .... Nahezu alle westlichen Demokratien sind teilweise
sozialistisch. .... Ein grober, aber brauchbarer Indikator
für den Grad von sozialistisch ist die Staatsquote: der Anteil
von Steuern und anderen Zwangsabgaben am Volkseinkommen. Die Besteuerungsquote
stieg ständig. 1960 betrug sie 33 Prozent, heute liegt sie weit über
50 Prozent (**|**|**|**|**).
Ein anderer wichtiger Indikator ist die Abgabenquote (**).
Sie ist definiert als der Anteil vom Durchschnittseinkommen eines Arbeitnehmers,
der ihm in Form von Steuern und Sozialversicherungsabgaben abgezogen wird. Sie
liegt in Deutschland ebenfalls höher als 50 Prozent. .... Sie ist ein Indikator
für das Ausmaß, in dem der Staat seinen Bürgern ansieht, ihre
eigenen Geschäfte verantwortungsvoll zu führen. Die Abgabenquote ist
eine Art Entmündigungskoeffizient oder Gängelungskoeffizient. Nicht
minder wichtig ist die Regelungsdichte, aber sie ist schwierig zu messen. In Deutschland
bildet sie eine Art Dschungeldickicht - von Baugenehmigungsverfahren ... bis zu
den Ladenschlußzeiten. .... Ein anderer wichtiger Indikator
ist die staatliche Schuldenquote (**).
Sie ist eine Art Leben-auf-Pump-Koeffizient. Der kreditfinanzierte
Ausbau des Wohlfahrtstaates hat uns eine interessante Entwicklung beschert: Die
Schuldenquote stieg in raschem Takt: 1970 waren es 20 Prozent, 1981 schon 35 Prozent,
1996 rund 60 Prozent. .... Gleichzeitig hält die Tendenz zur Nivellierung
an. .... Ideologische Pfadfinder ... konstruieren den Begriff der Umverteilungsgerechtigkeit.
.... Der Effekt der Umverteilungsmaßnahmen besteht vor allem darin, daß
die Verbindung zwischen Beitrag und Leistung einerseits und Nutzen oder Belohnung
andererseits verdünnt und im Endeffekt zerschnitten wird.« Auf
längere Sicht führt das stets zwangsläufig dazu, daß die
Wirtschaft und letztlich der Staat zerstört werden, wenn nicht irgendwann
zuvor das Steuer herumgerissen wird. Radnitzky geht dann darauf ein, wie schwer
das sei, da das Zusammenwirken von Massenmedien, der Erwartungshaltung von weiten
Kreisen der Bevölkerung und die Parteipolitik eine solche Wende praktisch
unmöglich machten und in demokratischen Wahlen der verlöre, der den
notwendigen »Sozialabbau« entweder eingeleitet habe oder einleiten
wolle. Die Krise muß schon sehr weit fortgeschritten sein, ehe eine demokratische
Mehrheit zu einem zeitweiligen Umdenken bereit ist. In der Regel korrigiert sie
angesichts der Zumutungen, denen sie ausgesetzt wird, diese Entscheidung bei den
nächsten oder übernächsten Wahlen, und der Sozialstaat entwickelt
sich weiter. (Ebd., 2012, S. 361-362).Radnitzkys Begriffspaar
kollektivistisch gegen liberal erweist sich bei näherem Hinsehen nur als
eine Lesart von egalitär gegen anti-egalitär, sozialistisch gegen nicht-sozialistisch,
Freiheit gegen Gleichheit. Das ist nicht völlig deckungsgleich mit dem Begriffspaar
rechts gegen links, da wir auf der rechten Seite auch das Phänomen der nationalen
Sozialismen haben, die antiliberale und totalitäre Tendenzen aufgewiesen
haben oder aufweisen. Von links gesehen wird »rechts« stets in diesen
totalitären Zusammenhang gestellt und »bekämpft«; umgekehrt
- die Tendenz gibt es bereits in den eben zitierten Sätzen von Radnitzky
- wird linken Positionen die verborgene Neigung zu totalitärkommunistischen
Positionen unterstellt. Dennoch scheint das Begriffspaar rechts und links im Verständnis
der meisten Menschen etwas auszudrücken, was einen tiefen und erstaunlich
klaren Sinn hat. (Ebd., 2012, S. 362).Politik gibt es eigentlich
nur, weil es Ungleichheit gibt, die sich wiederum aus dem Kampf um knappe Nahrung,
begrenzten Raum und Geschlechtspartner ergibt. Ameisen brauchen und haben keine
politischen Parteien. Aber schon bei höheren Tieren, die in sozialen Verbänden
leben, gibt es Rangordnung und Ansätze zur Politik. Jüngere Tiere schließen
sich zusammen, um gemeinsam gegen das ältere Leittier vorzugehen. Eine Mehrzahl
von statusniederen Tieren kann dahinterkommen, wie sie durch ihre größere
Zahl dem statushöheren Vorrechte streitig machen kann. Ist in einem Hühnerhof
erst einmal die Hackordnung an der Spitze in Frage gestellt worden, muß
sie zwischen vielen Tieren neu bestimmt werden. Der Ausfall des Leitwolfs führt
in einem Wolfsrudel zu Rangordnungskämpfen, desgleichen der Rücktritt
eines Parteivorsitzenden. Darüber hinaus haben Menschen das Erbrecht erfunden.
(Ebd., 2012, S. 362).Daß es sich lohnen kann, dem Volk aufs
Maul (und damit in den Kopf und in die Gedanken) zu schauen, haben die Meinungsforscher
bewiesen. Es war eine große Überraschung für sie (vgl. Elisaebeth
Noelle-Neumann, Später Sieg des linken Zeitgeistes, 1998), als sich
bei der »Internationalen Wertestudie« herausstellte, daß es
»in allen Ländern der Welt weitgehend verwandte Werte gibt, die
von den Linken hochgehalten werden, und eine ähnliche Übereinstimmung
findet man unter denjenigen in der ganzen Welt, die sich als rechts eingestellt
beschreiben. .... 1978 erscheint zum ersten Mal in einem Allensbacher Interview
die Frage: Parteien werden ja manchmal danach eingestellt, ob sie links,
in der Mitte oder rechts stehen. Ich habe hier ein Blatt, auf dem ein Bandmaß
aufgezeichnet ist. (Interviewer überreicht Bildblatt mit Bandmaß.)
Wie würden Sie ihren eigenen politischen Standort beschreiben, wo auf
diesem Bandmaß würden Sie sich selbst einstufen? Das Bandmaß
zeigte Werte von 0 = ganz links bis 100 = ganz rechts.« 1981 wurde der
Fragebogen mit diesem Maß für die »Internationale Wertestudie«
in allen teilnehmenden Ländern eingesetzt, 1990 dann bei der ersten Wiederholung
der Wertestudie in 43 Ländern auf fünf Erdteilen. Bis dahin war es für
die empirische Sozialforschung ein ungelöstes Rätsel, warum die Frage
nach dem eigenen politischen Standort - links oder rechts - in mehr als vierzig
Ländern der Welt von fast 100% der Bevölkerung mit einer konkreten Angabe
beantwortet wurde. Wir möchten an dieser Stelle die Auffassung vertreten,
daß dieses Selbstverständnis - links oder rechts - in sehr starkem
Maße darauf beruht, ob der Befragte bereit ist, die »natürliche
Sozialstruktur« als gegeben hinzunehmen,oder ob er sie ändern will.
Da Denkkraft, Persönlichkeitsstruktur, Beruf und soziale Stellung miteinander
in einem klaren Zusammenhang stehen, kann man das als gegeben hinnehmen oder dagegen
Sturm laufen. .... Rechts und links sind deshalb keine verrotteten Wegmarken der
politischen Landschaft, sondern ihre grundlegenden Marken. Wenn rings um den Erdball
repräsentative Bevölkerungsquerschnitte zu über 90% den eigenen
politischen Standort mit den Begriffen rechts und links beschreiben, dann muß
diesen Begriffen ein sehr wichtiger Sachverhalt zugrundeliegen. Leider fehlt aber
den Daten der Meinungsforscher gerade dieser Bezug zu den »harten Fakten«,
also zum IQ der Befragten, ihrem Einkommen, ihrem Beruf und ihrer sozialen Herkunft,
so daß im Moment nur eine indirekte, aber keine direkte Argumentation möglich
ist, die als Beweis gelten kann. »Als wichtigstes Ziel nennen Recht
und Ordnung aufrechterhalten im Durchschnitt der sechs europäischen
Länder Westdeutschland, den Niederlanden, England, Frankreich, Spanien und
Italien die Linksstehenden zu zwölf Prozent, die Rechtsstehenden zu 44 Prozent,
in den USA und Kanada die Linksstehenden zu neun Prozent, die Rechtsstehenden
zu 33 Prozent.« (Elisaebeth Noelle-Neumann, ebd., 1998). Wie sollte
es auch anders sein, bedeutet Linksstehen doch Veränderung des Bestehenden,
und das läßt sich in der Regel nur über den Durchgangszustand
der Unordnung erreichen, die jeder richtige junge Linke offen oder heimlich begrüßen
muß, wenn sich seine eigene Chancen zur Machtteilhabe oder Machtübernahme
verbessern sollen. (Ebd., 2012, S. 362-363).Noelle-Neumann
stellt die Hypothese auf, »daß der Polarität von links und
rechts zwei Werte entsprechen müssen, die in einem antagonistischen Verhältnis
zueinander stehen, so daß je höher der eine Wert in der Gesellschaft
rangiert, desto tiefer der andere angesiedelt ist und umgekehrt. Dies trifft nun
genau auf die Werte von Gleichheit und Freiheit zu. .... Wenn man nun prüft,
wie die empirisch mit Umfragen in der ganzen Welt festgestellten linken Werte
zu diesem antagonistischen Werte-Paar stehen, so kann man mühelos erkennen,
daß die linken Werte die als soziale Gerechtigkeit verstandene Gleichheit
befördern - nicht Chancengleichheit, wie oft schnell unterstellt wird, sondern
faktische Gleichheit, Gleichheit des sozialen Ranges, Gleichheit der Einkommen,
Gleichheit der äußeren Erscheinung (also Mao-Look), um nur einige
Stichwörter zu nennen.« Noelle-Neumann erkennt richtig: Es handelt
sich um das uralte, in seinem innersten Wesen kommunistische Wunschbild, daß
viele Menschen seit eh und je aufgrund ihrer Wahrnehmung der biologischen und
sozialen Ungleichheit entgegensetzen. Das zentrale Problem, um das sich jede Politik
dreht, ist, wie man mit der sozialen Ungleichheit umgeht und wie damit, daß
die Mitmenschen sich in ihrer Denkkraft unterscheiden. (Ebd., 2012, S. 363).»Am
anderen Ende der politischen Polarität läßt sich die Nähe
zwischen den rechten Werten und dem Grundwert der Freiheit erkennen: nicht so
leicht wie die Nähe der linken Werte zum Wert der Gleichheit, aber dennoch
ganz unverkennbar. Alle gesellschaftlichen Modelle, bei denen dem Individuum so
viel Entscheidungsfreiheit wie möglich eingeräumt wird - Wettbewerb,
Schutz des Eigentums, Übernahme von Verantwortung, Risiko, Betonung von Rangunterschieden,
Distanz, Unterschieden des religiösen Glaubens -, beinhalten rechte Werte,
wobei hier unterschieden werden muß zwischen den Werten rechtsgerichteter
Demokraten ... und dem rechtsextremistischen Weltbild, das in weiten Teilen auf
fundamental anderen Grundwerten beruht«, meint Noelle-Neumann weiter.
Es gibt eine einfache Fassung für das Wunschbild der politischen Rechten:
Freiheit zur Ungleichheit, auf den Punkt gebracht in der einprägsamen Antithese:
Freiheit statt Sozialismus! Das heißt, die Freiheit, verschiedene soziale
Ränge zu erreichen und diesen Rang und seine Leistung nicht verheimlichen
zu müssen; die Freiheit, verschiedene Bildungswege gehen zu können;
die Freiheit, viel verdienen zu können und der Schutz des Eigentums; die
Freiheit zur Mode, die Freiheit zum Wettbewerb und vieles mehr. Wer hingegen kommunistische
Vorstellungen ernst nimmt und sie verwirklichen will, muß - da er die natürliche
Ungleichheit und die unterschiedliche Denkkraft der Menschen nicht aus der Welt
schaffen kann - zu Methoden der Unfreiheit und der Unterdrückung greifen.
Einheitsschule, Abschaffung der Zensuren, einheitliches Kindergeld, übermäßige
Besteuerung und Reglementierung, Beschränkung der Freizügigkeit (die
wurde in allen kommunistischen Staaten beschränkt), Abschaffung der Gewerbefreiheit,
praktische Einschränkung der Religionsfreiheit, Enteignung von Betrieben
u.s.w.. Das ist und das war stets das Repertorium der Gleichmacherei und der Unfreiheit.
(Ebd., 2012, S. 363-364).Die Kommunisten, auch die Genossen der
SED in der DDR, wollten den »Unterschied zwischen geistiger und körperlicher
Arbeit« aufheben, d.h. im Grunde genommen die Arbeitsteilung durch Berufe
und den »Unterschied zwischen Stadt und Land« (Karl Marx, Das Manifest
der Kommunistischen Partei, 1848). Da das mit einer modernen Wirtschaftsweise,
die im Gegensatz dazu auf immer größere Differenzierung der Berufe
und der Siedlungsstruktur hinausläuft, unvereinbar war, gab es die unterschiedlichsten
Arten von geistiger Verrenkung, um Theorie und Praxis irgendwie aufeinander zu
beziehen. Für den Verfasser, der selbst jahrzehntelang in gesellschaftswissenschaftlichen
Forschungseinrichtungen der DDR gearbeitet hat, waren diese geistigen Verrenkungen
der Kollegen so sehr ernstgemeinter Alltag, daß man staunt, wie rasch man
die Erinnerung daran bis fast zur Unwirklichkeit verdrängen kann. Die angestrebte
Gleichmacherei war aber von den kommunistischen Dogmatikern ernst gemeint, für
die eher sozialdemokratisch gesinnten SED-Genossen hingegen ein ideologisches
und ritualisiertes Glasperlenspiel, mehr nicht. (Ebd., 2012, S. 364).Die
Aufhebung der erblichen Standesschranken in der französischen Revolution
bedeutete, daß fortan stärker das Prinzip der eigenen Leistung gelten
sollte. Die Modernisierer von damals versprachen »Freiheit, Gleichheit und
Brüderlichkeit«. Goethe bemerkte dazu: »Gesetzgeber oder Revolutionäre,
die Gleichheit und Freiheit zugleich versprechen, sind entweder Phantasten oder
Scharlatane.« (Ebd., 2012, S. 364).Zu den Mechanismen,
die der Erhaltung der sozialen Gruppenidentität dienen, gehören auch
Formen der erzieherischen Aggression, die Gleichförmigkeit erzwingen und
damit der Erhaltung der jeweiligen Gruppennormen dienen. Mitglieder von traditionellen
Kleinverbänden, die einander gut kennen, nehmen Anstoß am deutlich
abweichenden Aussehen oder Verhalten eines Gruppenmitgliedes. Individualität
ist nur innerhalb einer bestimmten Schwankungsbreite erlaubt. Wer von der Schwankungsbreite
abweicht, wird Zielscheibe kollektiver Aggressionen. Der Außenseiter wird
ausgelacht, verspottet, ja sogar angegriffen. Das veranlaßt ihn in der Regel,
sein Verhalten wieder nach der Gruppennorm auszurichten. (**).
Vermag er das nicht, dann droht ihm der Ausschluß. (Ebd., 2012, S.
364).
Dem
gleichen Mechanismus sieht sich auch der kreative, hochintelligente Wissenschaftler
oder Erfinder ausgesetzt. Nur erwartet man von ihm, daß er sich durchsetzen
sollte. Das ist aber eine rein ideale Forderung. Je origineller seine Theorien
und seine Erfindungen sind, desto länger dauert der Zeitraum, in dem sie
Anerkennung finden werden. Außerordentliche Kreativität kann deshalb
einen Lebensweg mit ständig neuen Konflikten mit sich bringen. Dem ruhigen
Beamten bleibt das erspart. (Ebd., Anmerkung 20). |
Dieses
Anstoßnehmen hat mit der Normangleichung auch eine angleichende Wirkung.
Ähnliche Wirkungen hat auch das Streben nach »political correctness«.
Während in Orwells »1984« Sprachregelungen durch ein totalitäres
Regime erzwungen werden, erleben wir einen ähnlichen Vorgang durch die Selbstzensur,
die sich in einer »Freien Welt« in immer stärkerem Maße
etabliert. Wer abweicht, hat zum Beispiel keine Chance mehr, jemals in einem ordentlichen
Berufungsverfahren an einer Hochschule von einer Mehrheit der Berufungskommission
akzeptiert zu werden. (**).
(Ebd., 2012, S. 365).
Schwanitz
in »Der Zirkel« (1998) ließ noch die Berufung eines Rene Schneiders
mit abweichenden Ansichten zu; in Wirklichkeit ist der Fall so schon unmöglich.
(Ebd., Anmerkung 21). |
Man
muß sich schon die Augen reiben, wenn man in einer für Studenten bestimmten
Zeitschrift (»Unicum. Das Hochschulmagazin«, 16, 1998, Nr. 1, S. 12)
liest: »Zufrieden ist (der) Asta- Vorsitzende an der Fachhochschule Münster/Steinfurt
trotzdem nicht. Schort seit Jahren sei (seine) rassistische und antidemokratische
Gesinnung bekannt gewesen. Er habe ... eine Reihe geschichtsrevisionistischer
Bücher aus dem Programm einschlägiger Verlage bestellt. .... Die
Bücher würden seitdem unter Verschluß liegen.«
Man mag über die Sache denken, wie man will - und die Kritik an dem FH-Professor,
auf dessen Namen es hier nicht ankommt, kann berechtigt sein -, der letzte, hier
von mir unterstrichene Satz sollte aber, allein für sich gesehen, für
jeden Demokraten Anlaß sein, Sturm zu laufen, genauso, als hätte man
irgendwo ein Haus mit Ausländern angezündet. Was war das doch 1990 für
die DDR-Bürger für eine Errungenschaft, als die jahrzehntelang gesperrte
und verbotene Literatur auf einmal frei zugänglich wurde! (**).
Und dann rühmt .sich 1998 eine Studentenzeitschrift, daß man Bücher
freiwillig »unter Verschluß legt«? Bücher, an deren Inhalt
man seine kritische Meinung bilden sollte, was man erwachsenen Menschen mit Abitur
in einer demokratischen Gesellschaft ja zutrauen könnte und sollte. Aber
mir ist zu dem Fall kein Aufschrei der Empörung, der durch alle Nachrichtenmittel
hätte laufen müssen, bekannt geworden. Die selbst verordnete Unfreiheit
war 1998 schon Normalität und ist in der deutschsprachigen Wikipedia inzwischen
zur Institution geworden. (Ebd., 2012, S. 365).
Von
den ersten Reisen nach Westen brachte ich mir und den Verwandten Orwells »1984«
und »Animal Farm«, Solschenizyns »Archipel Gulag«. Bauers
»Soweit die Füße tragen« und andere Bücher mit, deren
Besitz, Lektüre und Weiterverbreitung in der DDR mit mehreren Jahren Zuchthaus
bedroht waren, was insbesondere für Orwell galt. Und in den wissenschaftlichen
Bibliotheken wurden die »Giftschränke« geöffnet und die
bisher gesperrte Literatur, darunter zum Beispiel Augenzeugenberichte (Heinz Esser,
Die Hölle von Lamsdorf - Dokumentation über ein polnisches Vernichtungslager;
Leidensweg der Deutschen im kommunistischen Jugoslawien; Freya Klier, Verschleppt
bis ans Ende der Welt - Schicksale deutscher Frauen in sowjetischen Arbeitslagern
) über die Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten und über
Erlebnisberichte (Hermann Melcher, Die Gezeichneten - Das Erleben eines sechzehnjährigen
Kriegsfreiwilligen der Waffen-SS beim Endkampf um Prag und in sowjetischer Kriegsgefangenschaft
1945-1950; Hildebrandt 1993) in Zwangsarbeits- und Kriegsgefangenenlagern.
Das heißt, Bücher über Sachverhalte, über die man bisher
nur unter vorgehaltener Hand etwas erfahren hatte können. wurden frei zugänglich.
(Ebd., Anmerkung 22). |
|
 |
Für den altbundesrepublikanischen Teil Deutschlands ließ
sich indes schon im Zeitraum 1990 bis 1998 eine dramatische Verschiebung
im Ringen um die Werte Freiheit und Gleichheit feststellen. (Vgl. Elisaebeth
Noelle-Neumann, Später Sieg des linken Zeitgeistes, 1998 [da
es aber hierbei sehr auf die Linguistik ankommt und demzufolge die Fragen
so rhetorisch gestellt sein können, daß das jeweilige »Umfrageergebnis«
lediglich die jeweilieg Macht bestätigt und rechtfertigt, ist Große
Vorsicht angesagt bei allen »Umfragen«, »Umfrageergebnisse«
und »Statistiken«, die Menschen betreffen! HB). Am
Beginn des Wahljahres 1998 hatte zum erstenmal der Wert »Gleichheit,
soziale Gerechtigkeit« (dito - denn »soziale
Gerechtigkeit« ist NICHT »Gleichheit«! HB)
einen Vorsprung vor dem Wert »Freiheit«. Für nur noch
54% der Menschen im Westen hatte Freiheit seinen klassischen Sinn behalten:
»Freiheit bedeutet, für sich selbst verantwortlich zu sein,
sich frei für einen bestimmten Beruf zu entscheiden, für ein
Land, eine Stadt, in der man leben möchte, und sich für ein
Ziel einsetzen zu können, das man erreichen möchte.« Die
Politik reagiert darauf mit einer fortschreitenden Sozialdemokratisierung
der ursprünglich bürgerlichen Parteien. (Ebd., 2012, S.
365).
Wenn man die Wähler
in allen Ländern der westlichen Welt fragen würde, wie sie die Parteien
auf der Rechts-Links-Skala einstufen, so käme ein ähnlich klares Ergebnis
zustande wie bei der Einstufung der Einzelpersonen selbst. Die Parteien bedienen
sich sogar bewußt dieser Skalierung. Fast keine Partei versäumt, ihren
Standort im Parteienspektrum anzugeben: rechte Mitte, linke Mitte, linkssozialistisch,
rechtsliberal oder sonstwie. Traditionell verstehen sich linke oder sozialistische
Parteien eher als Arbeiterparteien, selbst dann noch, wenn die Arbeiter in der
Mitgliedschaft nur noch eine Minderheit stellen, so wie das bei der SED der DDR
in der Schlußphase ihrer Herrschaft der Fall war. Linke Parteien bringen
aber mehr oder weniger klar zum Ausdruck, daß sie ihre Wähler eher
in den einkommensschwächeren und »unterprivilegierten« Teilen
der Gesellschaft suchen oder vermuten und tragen den Erwartungen und Wertevorstellungen
ihrer Wähler in ihren politischen Forderungen Rechnung, die in irgendeiner
Weise und mehr oder minder deutlich auf eine Verringerung der sozialen Ungleichheit
hinauslaufen. Das sollte dazu führen, daß die Wähler der großen
Volksparteien, die links wählen, einen im Durchschnitt 5 bis 10 Punkte niedrigeren
mittleren IQ haben als Wähler, die rechts wählen. (Ebd., 2012,
S. 366).Statistische Zahlen aus Deutschland, die den Zusammenhang
IQ zu Wahlverhalten eindeutig belegen, gibt es nicht, dafür aber eine ganze
Menge Hindergrundstatistiken, die belegen, daß die Aussage im wesentlichen
richtig sein dürfte. Gleiches dürfte auch für die USA gelten und
für Großbritannien oder für andere Länder, in denen die politischen
Lager mehr oder weniger klar beschrieben sind. Anschauliche Zahlen sind bisher
nur in Großbritannien veröffentlicht worden, wo ja die Unterscheidung
Labour-Partei zu Konservativen der Unterscheidung Sozialdemokraten zu Christdemokraten
in Deutschland ähnelt. (Ebd., 2012, S. 366-367). |
 | | 1
= Elite, 2 = Mittelschicht, 3 = Unterschicht; 111 = der Wähler selbst, sein
Vater und sein Schwiegervater gehören zu 1;222 = Der Wähler selbst,
sein Vater und sein Schwiegervater gehören zu 2 usw. + 56 bedeutet: Der Stimmenanteil
für die Konservative Partei liegt 56% über dem Stimmenanteil für
die Labour Party (im konkreten Fall für 111 70% der Stimmen für die
Konservativen, 14% für Labour).Stichprobe:
Oxford Social Mobility Group; 10.000 Männer im Alter von 25 bis 65 Jahren
Die absoluten Zahlen in jedem Rechteck sind: 111-86;112-85;121-65; 122-159;113-67;123-150;
132-122;133-261;211-34; 212-67;221-67;222-345; 213-74;231-55;223-384; 232-304;
233-755; 311-7; 312-24;313-42;331-75; 322-218;323-502;332-533; 333-2371.Quelle:
Anthony Heath Social Mobility, 1981, S. 240 |
In
einer Sozialstudie der Universität Oxford wurden im Jahre 1972 10.000 Männer
befragt, die für die gesamte Bevölkerung repräsentativ waren. Anthony
Heath, der das Material aufbereitet hat, hat die stärker differenzierte Gliederung
der ursprünglichen Untersuchung zu drei großen Sozialschichten zusammengefaßt.
In der folgenden Abbildung werden diese Sozialschichten so bezeichnet: 1 Oberschicht,
2 Mittelschicht, 3 Unterschicht. (Ebd., 2012, S. 367).Hat
ein Mann der Oberschicht einen Vater und Schwiegervater der Oberschicht, so ist
er in Gruppe 111 zu suchen; d.h. die zweite Ziffer bezeichnet stets die Sozialschicht
des Vaters, die dritte des Schwiegervaters. Die Abbildung macht es möglich,
den vermuteten Auswirkungen der eigenen sozialen Herkunft und der Herkunft der
Ehefrau nachzugehen und beides in Zusammenhang mit der eigenen Stellung zu sehen.
Da die eigene soziale Stellung und die Herkunft wieder mit dem eigenen IQ, dem
der Ehefrau und der beiderseitigen Väter korrelieren, läßt sich
so indirekt auch auf die Auswirkungen des IQ schließen. Die Ergebnisse liegen
genau in der erwarteten Richtung: Die Zahl + 56 bedeutet, daß die Konservative
Partei bei der Gruppe 111, wo die Befragten (deren mittlerer IQ mindestens 115
sein dürfte, wenn nicht deutlich höher), deren Väter und Schwiegerväter
alle der sozialen Oberschicht angehören, einen Vorsprung von 56% der Wählerstimmen
gegenüber dem Anteil der Labour-Partei hat. Im konkreten Falle gingen 70%
der Stimmen an die Konservativen und 14% an Labour. Die Größe der Rechtecke
steht für die absolute Anzahl der Personen. Erwartungsgemäß stimmt
die Gruppe 333, unqualifizierte Arbeiter und Facharbeiter mit ebensolchem sozialem
Hintergrund, deren mittlerer IQ bei 90 oder darunter liegen dürfte und die
fast ein Viertel aller Befragten ausmacht, in ihrer überwiegenden Zahl für
die Labour-Partei. Immer dort, wo man einen Effekt des sozialen Hintergrunds vermuten
kann, gehen die Abweichungen in die erwartete Richtung. Aber selbst bei den Absteigern
bis in die Unterschicht, also der Gruppe 311 oder den anderen in dieser Zeile,
überwiegen die Labour-Stimmen. Man sieht auch, nebenbei bemerkt, daß
ein solcher Abstieg zwei Schichten hinunter binnen einer Generation ein sehr seltenes
Ereignis ist. Wer selbst einmal eine solche Berufs- und Sozialklassifikation bei
einer großen Zahl von Personen durchgeführt hat, weiß, daß
eine solche Arbeit immer mit unzureichenden oder ungenauen Angaben bei Einzelfällen
zu kämpfen hat und sich deshalb eine gewisse Unschärfe der Ergebnisstatistiken
nie ganz vermeiden läßt. Da die Fehler bei Befragtem, Vätern und
Schwiegervätern der Schichten 1 und 3 immer nur in eine Richtung gemacht
werden können, nämlich hin zu 2, tragen diese Fehler zu einer Nivellierung
der Ergebnisse bei. Die tatsächlichen Unterschiede sind stets größer,
im Falle der von Heath veröffentlichten Untersuchung aber groß genug,
um langgehegte Vermutungen klar zu bestätigen. (Ebd., 2012, S. 367-368).In
welch starkem Maße der Nationalsozialismus eine zweifellos linke Komponente
hatte (vgl. Ernst Niekisch, Hitler, ein deutsches Verhängnis, 1932),
soll an zwei Zitaten aus Hitlers »Mein Kampf« (1925) verdeutlicht
werden: »Daß ich (Hitler selbst über seine Jugend) mittellos
und arm war, schien mir noch das am leichtesten zu Ertragende zu sein, aber schwerer
war es, daß ich nun einmal zu den Namenlosen zählte. .... Dazu kam
noch die Schwierigkeit, die sich aus meinem Mangel an Schulen ergeben mußte.
Die sogenannte Intelligenz sieht ja ohnehin immer mit einer wahrhaft
unendlichen Herablassung auf jeden herunter, der nicht durch die obligaten Schulen
durchgezogen wurde und sich das nötige Wissen einpumpen ließ. Die Frage
lautet ja doch nie: Was kann der Mensch, sondern was hat er gelernt? Diesen Gebildeten
gilt der größte Hohlkopf, wenn er nur in genügend Zeugnisse eingewickelt
ist, mehr als der hellste Junge.« (S. 243) »Im allgemeinen
sind es die Kinder höherstehender, zur Zeit gut situierter Eltern, die wieder
einer höheren Ausbildung tür würdig erachtet werden. Fragen des
Talents spielen dabei eine untergeordnete Rolle. .... Ein Bauernjunge kann weit
mehr Talente besitzen als das Kind von Eltern aus einer seit vielen Generationen
gehobenen Lebensstellung. .... Würde der talentierte Bauernknabe von klein
auf ebenfalls in solcher Umgebung herangewachsen sein, so wäre seine geistige
Leistungsfähigkeit eine ganz andere. .... Unerträglich ist der Gedanke,
daß alljährlich Hunderttausende vollständig talentlose Menschen
einer höheren Ausbildung gewürdigt werden, während andere Hunderttausende
von großer Begabung ohne jede höhere Ausbildung bleiben. .... Wenn
in den letzten Jahrzehnten der Reichtum an bedeutenden Erfindungen besonders in
Nordamerika außerordentlich zunahm, dann nicht zuletzt deshalb, weil dort
wesentlich mehr Talente aus untersten Schichten die Möglichkeit einer höheren
Ausbildung finden, als dies in Europa der Fall war. .... Der völkische Staat
... hat nicht die Aufgabe, einer bestehenden Gesellschaftsklasse den maßgebenden
Einfluß zu wahren, sondern die Aufgabe, aus der Summe aller Volksgenossen
die fähigsten Köpfe herauszuholen und zu Amt und Würden zu bringen.
Er hat nicht nur die Verpflichtung, dem Durchschnittskind in der Volksschule eine
bestimmte Erziehung zu geben, sondern auch die Pflicht, das Talent auf die Bahn
zu bringen, auf die es gehört. Er hat es vor allem als seine höchste
Aufgabe zu betrachten, die Tore der staatlichen höheren Unterrichtsanstalten
jeder Begabung zu öffnen, ganz gleich, aus welchen Kreisen sie stammen mögen.
.... Es wird die Aufgabe eines völkischen Staates sein, in seinem Unterrichtswesen
dafür Sorge zu tragen, daß eine dauernde Erneuerung der bestehenden
geistigen Schichten durch frische Blutzufuhr von unten stattfindet.« (S.
481) (Der letzte Nebensatz könnte auch von Mao Tse-Tung in der Zeit der »Kulturrevolution«
geäußert worden sein.) (Ebd., 2012, S. 368-369).Eine
tiefergehende Analyse von Hitlers auszugsweise zitierten Gedanken sollte die Mischung
aus linkem Revolutionär und rechter Grundhaltung, letztere ja verbunden mit
der Anerkennung von natürlicher Hierarchie und ererbter Begabung, noch deutlicher
herausarbeiten können. (**).
(Ebd., 2012, S. 369).
Ausgelassen
habe wir einige Sätze dazwischen, in denen Hitler einen gebildeten Neger
als »Wunderdressur eines ... gebildeten Halbaffen« bezeichnet, und
den »schlauen Juden« dafür verantwortlich macht, daß er
den Völkern die »Theorie von der Gleichheit der Menschen« eintrichtern
wolle, d.h. jüdisch ist für Hitler faktisch gleich kommunistisch.
(Ebd., Anmerkung 23). |
Das Ungewöhnliche an der Sozialstruktur der Ostblockstaaten
1989.
Die kommunistischen Parteien der Ostblockstaaten
in Europa und Asien ... gerieten in die Zwickmühle aller linken Ideologen,
der Orwell in seiner Satire »Animal Farm« (»Die Farm der Tiere«)
eine zeitlose und so klassische Form gegeben hat, daß man ihr eigentlich
kaum etwas hinzufügen braucht. (**).
Das Dilemma besteht vor allem darin, daß zur Ausübung hochqualifizierter
und leitender Funktionen selbst in einem Staat mit kommunistischer Ideologie ein
überdurchschnittliches Maß an Denkkraft ein Vorteil ist, und sei es
auch nur darum, um seine Intelligenz zu benutzen, Intrigen zu schmieden und seinen
eigenen kritischen Standpunkt zu verbergen. (Ebd., 2012, S. 369).
Wenn
Sie das Büchlein noch nicht als Schulkind gelesen haben sollten, sollten
sie es rasch nachholen. (Ebd., 2012, S. 369).war 1998 schon Normalität
und ist in der deutschsprachigen Wikipedia inzwischen zur Institution geworden.
(Ebd., Anmerkung 24). |
Meine
erste Arbeitsstelle nach Abschluß eines naturwissenschaftlichen Studiums
war 1970 die dem Zentralinstitut für Philosophie in Berlin angeschlossene
Forschungsabteilung Soziologie der Akademie der Wissenschaften der DDR; und Philosophie,
das hieß im wesentlichen Marxismus-Leninismus. Ich war zu deiesem Zeitpunkt
der einzige Wissenschaftliche Mitarbeiter der Instituts, der nicht der sozialistisch-kommunistischen
Einheitspartei SED angehörte. (Ebd., 2012, S. 369-370).
Als Lötsch ... sich bei den Soziologen im Westen umsah, was
die nach der »Soziologischen Wende« zur Ungleichheit sagten,
las und zitierte er: »In seinem neuesten Beitrag zur Theorie
sozialer Schichtung ... stellt Talcott Parsons (1970) die These aut egalitäre
Prinzipien seien in modernen Gesellschaften in einem solchen Grade institutionalisiert,
daß sich die Beweislast. ..umgekehrt habe. Habe man Ungleichheiten
früher grundsätzlich anerkannt und Egalisierungen nur gefordert,
um exzessive Privilegierungen und Unterprivilegierung abzubauen, so müsse
nun jegliche Form sozialer Ungleichheit legitimiert werden. Nicht Veränderungen
gegebener Ungleichheitsstrukturen in Richtung größerer Gleichheit
müßten gerechtfertigt werden, sondern Abweichungen vom Zustand
sozialer Gleichheit. .... Die Institutionalisierung von größerer
sozialer Gleichheit ist notwendig geworden, um die Zustimmung zur Gesellschaftsordnung
sicherzustellen. .... A u c h Z i e l s e t z u n g e n ,
d i e d i e S t r u k t u r
u n d d e n G r a d
b e s t e h e n d e r
U n g l e i c h h e i t
e r h a l t e n o d e r
g a r v e r g r ö ß e r n
w o l l e n , m ü s s e n
i n d i e R h e t o r i k
v o n G l e i c h h e i t s f o r d e r u n g e n
v e r k l e i d e t
s e i n . (hervorgehoben durch
V. W.). .... Die demokratischen Leidenschaften lodern dann gerade am
stärksten aut wenn sie am wenigsten Nahrung findenDer Grund tür
diese Erscheinung: Sind die gesellschaftlichen Bedingungen alle ungleich,
so fällt keine noch so große Ungleichheit kränkend auf,«
wogegen der kleinste Unterschied inmitten der allgemeinen Gleichförmigkeit
Anstoß erregt. .... Alle sozialen Werte und Güter ...sind in
gleicher Weise zu verteilen, es sei denn, eine ungleiche Verteilung einiger
oder aller dieser Werte und Güter sei zu jedermanns Vorteil.«
(zitiert nach: Karl-Ulrich Mayer, Soziale Ungleichheit und Mobilität,
1977, S. 151 f.). Die letztgenannte Form der Ungleichheit beansprucht
natürlich stets die herrschende Kaste für sich, da sie bekanntlich
zu keinem anderen als zu jedermanns Vorteil regiert. Diese zwingende Logik
der Mächtigen mußte Lötsch bekannt vorkommen. Heute sprechen
die Politiker zum Beispiel von der »Verlagerung des Verkehrs von
der Straße auf die Schiene«. Dabei werden seit Jahrzehnten
die Güterbahnhöfe abgebaut. Der Finanzminister verkündet
in der Haushaltsdebatte den »Schuldenabbau« als sein Hauptziel.
Dabei nimmt er gerade wieder Milliarden neue Schulden auf und hat fast
noch nie welche abgebaut. Doch wem fällt das schon auf oder wer kann
etwas dagegen tun? (Ebd., 2012, S. 371).
Nicht immer jedoch ziehen sich Verfallsvorgänge länger
als die Dauer eines Menschenlebens hin. Lötsch bekam deswegen nach
1989 Gelegenheit, auch seine tieferen Einsichten zu veröffentlichen
(und damit das zu bestätigen, was ich schon 20 Jahre früher
dachte, aber keinesfalls öffentlich sagen durfte): »Letzten
Endes scheiterte das Gesellschaftsexperiment Sozialismus wegen
seiner Unfähigkeit zu wissenschaftlich-technischen und technologischen
Innovationen. .... Der eigentliche und verhängnisvollste Effekt bestand
darin, daß ...die sozialen Träger wissenschaftlicher, technischer
und gesellschaftlicher Innovationsprozesse ... an den Rand der gesellschaftlichen
Wertehierarchie gedrängt wurden. So verloren wissenschaftliche Karrieren,
um dies an einem instruktiven Beispiel darzutun, immer mehr an sozialem
Prestige und damit an unmittelbarer Attraktivität. .... Das sowjetische
Konzept ging von der Annahme aus, daß soziale Gleichheit künstlich
herstellbar sei. .... Soziale Unterschiede galten summarisch als zu überwindende
historische Relikte. .... Der Grundprozeß der Intelligenzentwicklung
wurde als Annäherung an die Arbeiterklasse definiert,
... [was] letztlich zu einer Aufhebung der sozialen und kulturellen Eigenheiten
der Intelligenz .führen müsse. .... Was sich aus heutiger Sicht
so augenscheinlich als blanker Unfug darstellt, stützte sich ...
darauf, daß (alle) auf dem Wege zur sozialen Gleichheit
wären« (Manfred Lötsch, Intelligenzprobelamatik in
der DDR, 1995). Und Lötsch an anderer Stelle: »Wenn
nun erstens der Kommunismus als Gesellschaft definiert wird, in der soziale
Gleichheit bestehen wird, und zweitens der Sozialismus als erste
Phase der kommunistischen Gesellschaftsformation, dann muß
logischerweise der Grad des gesellschaftlichen Fortschritts im Grad der
Annäherung an diese zweite Phase gesehen werden. .... Sozialstrukturell
galt dann folgerichtig das Maß an Unterschiedslosigkeit als Maß
des gesellschaftlichen Fortschritts.« Auf diese besondere Weise
sind die Staaten des Ostblocks in die IQ-Falle getappt. (Ebd., 2012,
S. 372).
Es gab in den letzten zwei, drei Jahrzehnten
stets bestimmte Floskeln und Seitenhiebe, an denen sich »SED- Realos«
wie Hansgünter Meyer und Manfred Lötsch gegenseitig erkannten und auch
für Parteilose erkennbar waren, ohne daß dazu offene oder geheime Absprachen
notwendig gewesen wären. (Ebd., 2012, S. 373).
Lohnnnebenkosten, Altersstruktur der Bevölkerung und
gegenwärtige Kinderzahlen.
|
 | | Diese
Abbildung stammt nicht von Weiss, sondern von mir; HB. |
Wenn
man die mittlere Lebenserwartung in allen Ländern der Erde auf einer Achse
abträgt und die mittleren Kinderzahlen pro Frau auf einer anderen, dann versammeln
sich in der Abbildung alle hochindustrialisierten Länder der Welt in einer
Ecke: Es sind die Länder mit einer mittleren Lebenserwartung von 75 und mehr
Jahren und einer mittleren Kinderzahl pro Frau deutlich unter zwei. Das sind fast
alle europäischen Länder, aber auch Japan, Südkorea und weitere.
Der Zusammenhang kann deshalb kein Zufall sein und kein vorübergehender,
sondern eher einer von einer fast naturgesetzlichen Art. Sobald die mittlere Lebenserwartung
eine bestimmte Schwelle überschreitet, steigen in all diesen Ländern
die Sozialausgaben in einem bisher nicht bekannten Maße an. (Ebd.,
2012, S. 376).Wissenschaftler sind der Frage nachgegangen, ob Lebenserwartung
und Zahl der Nachkommen in einem bestimmten optimalen Verhältnis zueinander
stehen. Aus Forschungen bei Tieren ist der Zusammenhang schon längst bekannt,
und er durfte also auch beim Menschen erwartet werden. Tatsächlich zeigt
sich der in nationalen Statistiken nachgewiesene Zusammenhang auch in statistischen
Untersuchungen, die das Leben von Einzelpersonen bzw. Familien auswerten: Etwa
bei einer Lebenserwartung von 75 und mehr Jahren sinkt die mittlere Zahl der Kinder
wieder deutlich ab. (**). Das Optimum
liegt zwischen 60 und 70 Jahren. (Ebd., 2012, S. 373).
Man
hätte auch die zahl der Enkel zur Lebenserwartung ihrer Großeletern
in Beziehung stellen sollen. (Ebd., Anmerkung 26). |
Langfristig
gute Perspektiven haben die Länder, in denen es religiöse Minderheiten
wie Mennoniten und Rutteriten gibt, in denen junge Paare mit etwas gedrosselten
Ansprüchen noch immer große Familien haben, die auf diese Weise zeigen,
daß ein selbstbestimmtes erfülltes Dasein unterhalb des letzten Standes
der Technik noch möglich und sinnvoll sein kann. Denn nach der Verlängerung
der Lebenserwartung ist die steigende Produktivität nicht nur Segen, sondern
droht zum Fluch zu werden. (Ebd., 2012, S. 373).Eine gebildete
Generation, die in Wohlstand aufgewachsen ist, sieht keinen Sinn darin, ihre Einkommenserwartungen
herunterzuschrauben und in verhältnismäßiger Bescheidenheit selbst
Kinder in die Welt zu setzen und großzuziehen. Ein Drittel aller Frauen
und Männer bleiben kinderlos und beuten die Arbeit und die Leistungen der
Familien aus. In der Bundesrepublik wird mehr Geld für Hundefutter (und Silvesterknaller)
ausgegeben als für Babynahrung. Die Weltvorstellungen, an denen die Kulturvölker
der Industriegesellschaft noch festhalten, stammen aus der Generation ihrer Eltern
und Großeltern, deren durchschnittliche Lebenserwartung immer noch anwächst
und die bei ziemlich guter Gesundheit die Schaltstellen der Macht und der Wirtschaft
nicht nur lange und allzulange besetzt halten, sondern auch mit der größten
Selbstverständlichkeit. (Ebd., 2012, S. 377). |
 |
Aus
folgender Tabelle lassen sich die Ergebnisse der Förderung der Studentenkinder
in der DDR ablesen, noch dazu im Vergleich mit der alten Bundesrepublik Deutschland.
Diese Tabelle beweist: Die DDR war zwischen 1972 und 1990 der einzige Staat der
Neuzeit gewesen, in dem es gelungen war, eine außerordentlich erfolgreiche
qualitative Bevölkerungspolitik durchzusetzen. Von der Geburtskohorte 1950-1959
hatten 2005 Faruen mit Hochschulabschluß in den alten Bundesländern
im Durchschnitt 1,38 Kinder, ohne beruflichen Abschluß 2,32 Kinder, Frauen
dieser Kohorte mit Hochschulabschluß haben häufig kein Kind oder aber
zwei und mehr Kinder, während die Ein-Kind-Familie eine vergleichsweise geringe
Rolle spielt. .... Aus den Daten der Tabelle läßt sich schätzen,
daß in der alten Bundesrpublik der IQ der von dieser Alterskohorte geborenen
Kinder 7 IQ-Punkte niedriger lag als der von dieser Alterskohorte geborenen Kinder
in der DDR. (Ebd., 2012, S. 378-379).1989/90 brachte auch
für die Menschen in der DDR die ersehnte Demokratie die Freiheit. Das ging
mit dem Fall der Geburtenrate 1991 auf 1990 (um 40%) und 1992 auf 1991 (um 19%)
einher. Dieser Absturz war in den neuen Bundesländern bei Studenten noch
stärker als bei anderen, nahezu total. Die Studentin mit Kind verschwand
wieder von der akademischen Bildfläche. Die Kinderwagen in den Seminargebäuden,
an die man sich längst gewöhnt hatte, waren plötzlich weg, vom
Winde des gesellschaftlichen Wandels verweht. Der Anteil von Studentenkindern
fiel sogar unter Westniveau. (Ebd., 2012, S. 384).Sowohl
aus den Augen der Öffentlichkeit als auch für die Sozialwissenschaftler
war das Thema Studieren mit Kind verschwunden. In der deutschsprachigen Wikipedia
findet man zwar seitenlange Ausführungen übel »Arbeiterkinder«
und ihre tatsächlichen und angeblichen Benachteiligungen, nicht aber das
Stichwort »Studentenkinder«. Erst in jüngster Zeit wird vereinzelt
und vorsichtig wieder an einen Beitrag der Studentenschaft zur Geburtenzahl, an
die Reproduktion der Intelligenz (vgl. Thilo Sarrazin, 2010), an die Vereinbarkeit
von Studium und Elternschaft gedacht. (Ebd., 2012, S. 384-385).»Das
Studieren mit Kind gehört zu den eigenartigsten Phänomenen der deutschen
Hochschulgeschichte. Ob es eine Fußnote bleibt, ... ist noch nicht entschieden.
Es müßte sich viel ändern, nicht nur an den Hohen Schulen, sondern
in der gesamten Gesellschaft und ihrer reproduktiven Kultur«, stellt
Starke abschließend fest (vgl. Kurt Starke, Kinderwagen im Seminargebäude,
2007, S. 90). Es ist ja nicht so, daß die Studentinnen und Hochschulabsolventinnen
in der DDR Kinder wollten, die in der Bundesrepublik Deutschland und anderen Ländern
hingegen nicht. Nein, es ist die Furcht, nach Abschluß des Studiums auf
dem freien Arbeitsmarkt keine Chance zu haben, die in der Freien Welt die Kinder
verhütet. Wenn es zu Änderungen kommen soll, dann kann das nur dadurch
geschehen, daß sich die Wettbewerbssituation für die Mütter im
Arbeitsleben grundlegend verbessert. In einer freien Wirtschaft, in der ein Arbeitgeber,
der eine Mutter von kleinen Kindern beschäftigt, die Risiken, zum Beispiel
durch erhöhte Ausfallzeiten bei Krankheit der Kinder und geringere Disponibilität
der Frau, voll zu tragen hat, entsteht - allen Beteuerungen zum Trotz - ein kinderfeindliches
Klima. Würden die Risiken des Arbeitgebers bei der Beschäftigung von
Müttern kompensiert und überkompensiert, in Deutschland wäre das
zum Beispiel durch eine starke Verringerung des Arbeitgeberanteils bei den Lohnnebenkosten
möglich, sollte sich auch in einer freien Wirtschaft das kinderfeindliche
Klima mildern lassen. Der Vorschlag wurde von mir schon früher gemacht (vgl.
Volkmar Weiss, Die IQ-Falle, 2000, S. 248). Er scheint aber derart abseits
der eingefahrenen Gleise zu liegen, daß ihn Abgeordnete politischer Parteien
bisher noch nicht aufgegriffen haben. (Ebd., 2012, S. 385).Wenn
man je in einer Demokratie etwas in dieser Richtung erreichen will, so sollte
man ohne viel Aufheben einen parteipolitisch übergreifenden Konsens der Vernünftigen
anstreben. Begriffe wie Bevölkerungspolitik, Eugenik oder Dysgenik sind da
fehl am Platze. Die Wirkungen des Sarrazin-Buches (2010) sind das krasse Gegenbeispiel:
Viel Staub wurde aufgewirbelt und den linken Umverteilern, die jede Förderung
von Mittel- und Oberschichtgeburten als »Eugenik« in Verruf bringen
möchten, wurde Wasser auf ihre Mühlen gegossen. (Ebd., 2012, S.
385).Dabei scheint jeder Gedanke an Bevölkerungsqualität
(vgl. Rudolf Goldscheid, Höherentwicklung und Menschenökonomie,
1911) reine Zeitverschwendung. Schon der bloße Begriff läuft so sehr
dem Zeitgeist zuwider, daß er gar nicht mehr gedacht werden oder mit ihm
argumentiert werden kann. Er wird auch gar nicht mehr verstanden. Als Beispiel
nehme man die Einführung des Elterngelds in Deutschland. Die statistischen
Daten, daß hochqualifizierte Frauen nur sehr wenige Kinder haben, mögen
für die ursprüngliche Idee bei einigen eine Rolle gespielt haben; auch
die Überlegung, daß das - aus welchen Gründen auch immer - für
die Gesellschaft nicht gut sein kann (vgl. Ulrich Pfeiffer und Reiner Braun, Private
Lebensökonomie und staatlicher Einfluß, 20054). Man braucht das
ja nicht genetisch zu begründen; auch das Fehlen qualifizierter Mütter
als Erzieherinnen ihrer Kinder kann man ja bedauern und Abhilfe für wünschenswert
halten. Also entschloß man sich, ein Elterngeld für bis zu einem Jahr
nach der Geburt auszuloben, das bis zu einem Höchstbetrag proportional dem
Arbeitseinkommen der Mutter entsprechen sollte. Rasch meldete sich dann aber das
»soziale« Gewissen: Also zahlte man auch einen Sockelbetrag für
alle die Mütter, die gar keine Arbeit haben. Für die wird das so eine
lockende Einnahmequelle, mit der Folge, daß der Großteil der Zahlungsempfänger
die Mütter mit mehreren Kindem sind, die sowieso von Sozialhilfe leben; darunter
wieder viele muslimische Familien (vgl. Thilo Sarrazin, 2010). Ergebnis: Ende
2010 strich man die Zahlungen an die nicht-berufstätigen Mütter.
(Ebd., 2012, S. 385-386).Da man wegen der fehlenden Einsicht ja
nicht leise über Bevölkerungsqualität denken und schon gar nicht
laut darüber diskutieren kann, ist man inzwischen in eine zweite IQ-Falle
getappt: Da sich die Höhe des Elterngelds nach dem Einkommen der Frau richtet,
lohnt es sich für die, erst einmal richtig Geld zu verdienen und erst dann
ein Kind zu bekommen. Neben der Kinderzahl ist aber das Alter, in dem die Kinder
geboren werden, ein wichtiger und unabhängiger Faktor der menschlichen Evolution.
Jetzt bekommen diejenigen, die sowieso nur wenig verdienen und auch keine großen
Einkommenssteigerungen zu erwarten haben, ihre Kinder früher, qualifizierte
Frauen möglichst spät. Wenn das Elterngeld überhaupt einen Sinn
haben sollte, ist er damit als Masseneffekt wieder in sein Gegenteil verkehrt.
Was man von Anfang an hätte beschließen sollen: Eltern, die ein Abitur
haben oder eine gleichwertige Bildung, sollten ab 18 Jahre bis meinetwegen 30
Jahre (in höherem Alter aber weniger) einen recht beträchtlichen Sockelbetrag
ausgezahlt bekommen, unabhängig von jedem Einkommen, also auch als Studenten
und für Hausfrauen; sowohl Väter als auch Mütter (Väter vielleicht
weniger, aber das sind nebensächliche Details). Das würde frühe
Geburten bei jungen und intelligenten Müttern fördern. Aber es scheint
in einer freien und sozialen Gesellschaft undenkbar, eine so einfache Überlegung
in Gesetze zu gießen und diese folgerichtig umsetzen. Denn alle Menschen
sind ja gleich. An einem bestimmten Punkt erreicht eine Demokratie einen Entwicklungsstand,
an dem sich auch ursprünglich gute Ideen bei ihrer Anwendung ins Gegenteil
verkehren (vgl. Peter Nitschke, Der Tod der demokratischen Ordnung, 2007).
(Ebd., 2012, S. 386).Es ist ein sehr altmodischer Zopf, daß
Studenten von ihren Eltern unterhalten werden oder Ausbildungshilfe (BAFÖG)
nach dem Einkommen ihrer Eltern erhalten. Es wäre ein Zeichen der Modernität,
endlich an alle - und wirklich alle - Stipendien zu zahlen und Leistungszuschläge.
Nicht mehr die Eltern sollten im Vordergrund stehen, sondern ab einem bestimmten
Lebensalter sollte der junge Staatsbürger mit seinen Leistungen die Höhe
der Zuzahlungen und Stipendien selbst beeinflussen können und damit auch
den Grad seiner Abhängigkeit vom Elternhaus. Gymnasiasten und die Eltern
von Gymnasiasten sollten demzufolge höhere Zahlungen erhalten als gleichaltrige
Nicht-Gymnasiasten, Studenten in anspruchsvolleren Studienrichtungen höhere
Stipendien und Leistungszulagen als solche in Fächern mit durchschnittlich
geringeren geistigen Anforderungen. (Gerade dieser leistungsfähige Personenkreis
wird ja später als Steuerzahler noch kräftig zur Kasse gebeten.) Derartige
Vorstellungen sind jedoch utopisch. Sie zielen darauf, den Kreislauf der politischen
Verfassungen zu sprengen. In einer Demokratie wird der Aufschrei nach »sozialer
Gerechtigkeit« stets ihre politische Verwirklichung verhindern. (Ebd.,
2012, S. 386).Wenn inzwischen in der Bundesrepublik für Akademiker
eine durchschnittliche Ausbildungsdauer von 20 Jahren erreicht worden ist und
das mit Recht beunruhigend gefunden wird, dann ist es bisher den Kultusministerkonferenzen
dennoch keine Bemerkung wert gewesen, es könnte ein Unterschied sein, ob
das Männer oder Frauen betrifft. Das Durchschnittsalter der Absolventinnen
in der DDR war zwei Jahre niedriger als in der alten Bundesrepublik. (Ebd.,
2012, S. 386).
Wie die muslimische Einwanderung im allgemeinen
und die der Türken im besonderen die IQ-Lücke weitet.
»In
Deutschland arbeiten ein Heer von Integrationsbeauftragten, Islamforschern, Soziologen,
Politologen, Verbandsvertretern und eine Schar von naiven Politikern Hand in Hand
und intensiv an Verharmlosung, Selbsttäuschung und Problemleugnung«,
meint der bekannte SPD-Politiker Thilo Sarrazin (2010, S. 279). (Ebd., 2012,
S. 393).»Die besondere Problematik islamischer Einwanderer«,
so stellt Sarrazin fest, »ist nicht auf England beschränkt. In allen
betroffenen Ländern - ob England, Frankreich, Deutschland, Niederlande, Belgien,
Dänemark oder Norwegen - macht man bei der Gruppe der muslimischen Migranten
vergleichbare Beobachtungen, nämlich: | unterdurchschnittliche
Integration in den Arbeitsmarkt; | | überdurchschnittliche
Abhängigkeit von Sozialtransfers; | | unterdurchschnittliche
Bildungsbeteiligung; | | überdurchschnittliche
Fertilität, | | räumliche
Segregation mit der Tendenz zur Bildung von Parallelgesellschaften; | | überdurchschnittliche
Religiosität mit wachsender Tendenz zu traditionalen beziehungsweise fundamentalistischen
Strömungen des Islam; | | überdurchschnittliche
Kriminalität, von der einfachen Gewaltkriminalität auf der
Straße bis hin zur Teilnahme an terroristischen Aktivitäten. | Überall
in Europa ging man zunächst ... davon aus, daß diese Migranten das
abendländische Wertsystem ... teilen und daß sich die Unterschiede
in zwei, spätestens drei Generationen verwischen würden. Das geschah
nicht, im Gegenteil: Unter den eingewanderten Muslimen und ihren Nachkommen nahm
die Tendenz zu, sich kulturell und räumlich abzugrenzen. .... Die traditionalen
autoritären Familienstrukturen blieben erhalten. Der soziale Druck auf Mädchen
und Frauen, Kopftuch zu tragen, sich zu verhüllen und traditionell zu kleiden,
stieg, und die optische Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft trat immer deutlicher
hervor. Das hatte zur Folge, daß in allen betroffenen europäischen
Ländern die Aggressionen der autochthonen Mehrheitsbevölkerung gegen
diese fremde Bevölkerungsgruppe wuchsen. ....Das
westliche Abendland sieht sich durch die muslimische Immigration und den wachsenden
Einfluß islamistischer Glaubensrichtungen mit autoritären, vormodernen,
auch antidemokratischen Tendenzen konfrontiert, die nicht nur das eigene Selbstverständnis
herausfordern, sondern auch eine direkte Bedrohung unseres Lebensstils darstellen.
.... Das alles haben wir eigentlich gar nicht
nötig. Wirtschaftlich brauchen wir die muslimische Migration in Europa nicht.
In jedem Land kosten die muslimischen Migranten aufgrund ihrer niedrigen Erwerbsbeteiligung
und hohen Inanspruchnahme von Sozialleistungen die Staatskasse mehr, als sie an
wirtschaftlichem Mehrwert einbringen. Kulturell und zivilisatorisch bedeuten die
Gesellschaftsbilder und Wertvorstellungen, die sie vertreten, einen Rückschritt.
Demographisch stellt die enorme Fruchtbarkeit der muslimischen Migranten eine
Bedrohung für das kulturelle und zivilisatorische Gleichgewicht im alternden
Europa dar.« (Ebd., 2012, S. 394-395).In einer demokratischen
Gesellschaft erhöht sich das politische Gewicht einer Zuwanderergruppe, wenn
ihre Kinderzahl auf längere Zeit höher ist als die des Einwanderungslandes.
Die Geschichte kann mit 0% beginnen und dort enden, wo der Kosovo um 2000 stand
- denn dort ist eine solche Entwicklung abgelaufen. Die Zuwanderer, deren Ausgangsposition
am Anfang immer zu wünschen übrig lassen wird, sollten oder könnten
also mittelfristig ein Interesse haben, mehr Kinder und größere Familien
zu haben, auch wenn das ihren raschen sozialen Aufstieg eher bremst. Nun sind
von der sinkenden Fruchtbarkeit alle europäischen Staaten betroffen, weswegen
die Zuwanderer in das christlich geprägte Europa und nach Deutschland auch
weiterhin vor allem aus Nordafrika und Vorderasien kommen dürften -also aus
vorwiegend vom Islam geprägten Gebieten. Es gab schon seit langem Anzeichen,
daß ein militanter Islam Fuß zu fassen beginnt, der auch mit dem Mittel
des Bevölkerungsdruckes agiert. (Ebd., 2012, S. 395).Sarrazin
... (2010, S. 278 f.): »Wir dulden das Anwachsen einer kulturell andersartigen
Minderheit, deren Verwurzelung in der säkularen Gesellschaft mangelhaft ist,
die nicht unsere Toleranzmaßstäbe hat und die sich stärker fortpflanzt
als ihre Gastgesellschaft. Wir dürfen die widersprüchlichen Bewegungen
in der islamischen Welt und die Tendenz zur Ausbreitung von Radikalisierung nicht
ausblenden, die übrigens nichts mit Armut und Unbildung zu tun hat, wie immer
wieder suggeriert wird. Die Geschichte des islamischen Terrorismus zeigt vielmehr,
daß gerade gebildete junge Männer aus wohlhabenden muslimischen Familien
- und zunehmend auch Konvertiten aus europäischen Ländern - besonders
anfällig sind für radikale Positionen bis hin zur Unterstützung
von Terror. Aus 285 Biographien von Märtyrern ergibt sich: Sie
kommen selten aus armen Familien und haben vielfach ein College oder eine Universität
besucht.« (Ebd., 2012, S. 396).»Parallelgesellschaften
... nehmen dort leicht einen Ghettocharakter an, wo die Bevölkerung bei hoher
Unterbeschäftigung großenteil von Sozialtransfers lebt«, hat
Sarrazin beobachtet (2010, S. 296). »Das gilt für das nördliche
Neukölln mit seiner türkischen und arabischen Bevölkerung. ....
Nur 3% der jungen Männer und 8% der jungen Frauen mit türkischem Migrationshintergrund
heiraten einen deutschen Partner. ....Von den
muslimischen Migranten kehrt kaum einer in sein Heimatland zurück. Dort sind
nämlich die Löhne niedriger als hierzulande Arbeitslosengeld II (Hartz
IV! HB) und Kindergeld. Nur von den Qualifizierten kehrt ein Teil dorthin
zurück, weil die in Deutschland erworbene Ausbildung auch in der alten Heimat
Chancen bietet. Das Ergebnis ist eine negative Auslese innerhalb der muslimischen
Parallelgesellschaft.« (Ebd., 2012, S. 397).Sarrazin
weiß (2010, S. 322 f.): »In der Türkei gibt es keine Grundsicherung
oder Sozialhilfe, wie in Deutschland, in anderen muslimischen Ländern auch
nicht. Wer es irgendwie nach Deutschland oder in ein anderes westeuropäisches
Land schafft und dort einen legalen Status erreicht, der sichert sich allein durch
die Sozialtransfers ohne Arbeit ein Einkommen, das weit über dem liegt, was
er im Herkunftsland mit Arbeit erwerben könnte. Das gilt noch mehr, wenn
man Familie hat. Unsere Form finanzieller Familienförderung ist in den Herkunftsländern
gänzlich unbekannt. .... Die migrantischen Haushalte, die Grundsicherung
beziehen, ... kommen durch die Größe der Familie häufig auf Transferzahlungen
von 3000 Euro und mehr im Monat, weit mehr als das, was man angesichts niedriger
Bildung und mangelhafter Sprachkenntnisse am Arbeitsmarkt erzielen und weitaus
mehr, als man jemals im Herkunftsland verdienen könnte. .... Das System ist
pervers .... Aufgrund der üppigen Zahlungen des deutschen Sozialstaats ziehen
wir eine negative Auslese von Zuwanderern an. Das Transfersystem setzt auf deren
Fruchtbarkeit hohe Prämien aus und zieht so die migrantische Unterschicht
von morgen heran.« (Ebd., 2012, S. 399).Sarrazin stellt
mit Bedauern fest (2010, S. 327): »Bei uns muß sich niemand integrieren.
Es reicht, wenn er jemanden findet, der ihm den Antrag auf Grundsicherung ausfüllt
und bei der Wohnungssuche behilflich ist. Die Integration, die in klassischen
Einwanderungsländern durch die Teilnahme am Arbeitsleben erzwungen wird,
wird für muslimische Migranten in Deutschland zum Luxus, den man sich leisten
kann, aber nicht leisten muß.« (Ebd., 2012, S. 399).Beim
Blick über die Landesgrenzens fällt Sarrazin auf (2010, S. 309): »In
kleineren Ländern, wie Holland, Belgien und Dänemark, ist das Gefühl
der Bedrohung bereits stärker als in Deutschland, darum sind dort die Diskussionen
schärfer, die Einwanderungsgesetze strenger, und rechtsnationale Strömungen
haben stärker an Boden gewonnen.« (Ebd., 2012, S. 399).Da
in Demokratien Parteien, die auf die Umverteilungswünsche der Wähler
setzen und sich Sozialisten, Linke, Grüne oder anders nennen, in den von
der Umverteilung abhängigen Migranten ein Wählerreservoir sehen, setzen
sie sich für eine ziemlich rasche Einbürgerung ohne große Hindernisse
ein. So versprechen sie, wenn der Neubürger sie wählt, nicht nur mehr
Geld für das Integrationsgewerbe locker zu machen, sondern auf diese Weise
das Füllhorn der Transferleistungen auszuweiten statt es in Frage zu stellen.
Anschließend an den Abschnitt »Sozialstaat und Integration«
lesen wir in Sarrazins Buch eine ganze Reihe Vorschläge, was man tun könne
und müsse, um die Integration voranzubringen. In Deutschland ist aber keine
aus demokratischen Wahlen hervorgehende Regierungskoalition erkennbar, die gewillt
wäre, derartige Vorschläge in die Tat umzusetzen. Vielmehr ist das Gegenteil
der Fall: Heutige Regierungen meinen, sich nur mit Versprechungen und weiterer
Umverteilung an der Macht halten zu können. Das Buch Sarrazins wird heute
von einer gebildeten Minderheit zur Kenntnis genommen, die in demokratischen Wahlen
durch keine in Deutschland als koalitionsfähig geltende politische Partei
repräsentiert wird und demzufolge auch ohne den Einfluß ist, die das
immer weitere Aufreißen der IQ-Llicke verhindern könnte. Die Aufmerksamkeit,
die das Sarrazin-Buch bisher gefunden hat, dürfte somit im Kreislauf der
politischen Verfassungen nur eine Fußnote der Geschichte bleiben.
(Ebd., 2012, S. 399).Sarrazin (2010, S. 330) schließt sein
Kapitel über »Zuwanderung und Integration« mit den Sätzen:
»Wenn wir den Zuzug nicht steuern, lassen wir letztlich eine Veränderung
unserer Kultue, unserer Zivilisation und unserer Volkscharakters in eine Richtung
zu, die wir gar nicht wünschen. Es würde nur wenige Generationen dauern,
bis wir Minderheit im eigenen Land geworden sind. Das ist nicht nur ein Problem
Deutschlands, sondern aller Völker Europas.« (Ebd., 2012, S.
399-400).
Bevölkerungswandel.
Die
Menschen gehen mit wenigen Ausnahmen an einer der hervorstechendsten Eigenschaften
der Natur vorbei, nämlich der inneren Abgeschlossenheit der Arten bei sämtlichen
Lebewesen dieser Erde und einer teilweisen Abgeschlossenheit von Populationen
innerhalb der Arten als Voraussetzung ihrer weiteren Entwicklung. Abgrenzung als
Grundlage jeder weiteren Entwicklung beobachten wir auf allen Ebenen des Lebendigen.
Der Reviergesang der männlichen Singvögel signalisiert in unermüdlicher
Wiederholung: »Hier ist ein Mann mit Wohnung. Das Revier ist besetzt.«
(Ebd., 2012, S. 401).Der Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt
hat sich auf besonders treffende Weise über Territorialität und Vorbehalte
gegen Fremde geäußert: »Menschen besetzen und verteidigen ebenfalls
Territorien, und zwar bereits auf der Stufe der Jäger und Sammler: Das Heim
einer Familie ist bereits auf dieser Stufe ein von anderen als Eigentum respektierter
und notfalls auch gegen sie verteidigter Privatbezirk. Die verschiedenen Lokalgruppen
beanspruchen Rechte auf das Land, von dem sie leben, und verteidigen diese auch.
.... Im Laufe der Geschichte wuchsen die Kleinverbände zu größeren
Gemeinschaften heran. Grund für diese Entwicklung war wohl die Tatsache,
daß eine Gruppe in Konkurrenz mit anderen Vorteile hat, wenn sie mehr Personen
als der Gegner zur Verteidigung oder für Eroberungskriege rekrutieren kann.
.... Die Lokalgruppen der Naturvölker umfassen selten mehr als 100 Personen,
dann teilen sich die Gruppen wegen innerer Reibereien. Die Hutterer in Nordamerika,
die nach einem christlich-egalitären Ethos leben, wissen, daß für
diese Art Leben eine Gruppengröße von 150 Personen nicht überschritten
werden sollte. Nur in einer kleinen Gruppe funktioniert die persönliche Normenkontrolle.
Eine Schlüsselerfindung in der kulturellen und intellektuellen Entwicklung
der Menschheit ist sicher die Führungshierarchie. Erst durch sie wird es
möglich, größere Gemeinschaften auf der Basis persönlicher
Verbundenheit zu regieren.« (Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Wider die
Mißtaruensgesellschaft, 1994). Im Prinzip funktioniert das auch in großen
Betrieben, in Vereinen und in der Verwaltung der modernen Staaten auf solche und
ähnliche Weise. (Ebd., 2012, S. 401-402).Die Abgrenzung
der Arten, die Territorialität der Arten und auch der Populationen innerhalb
einer Art, also der Völker, ist ein lebenswichtige Sache. Der geographische
Raum ist in mehrfacher Hinsicht strukturiert. Bevölkerungen, die in verschiedenen
Räumen leben, ob nun Tier oder Menschen, sind nicht gleich, sondern ungleich,
und unterscheiden sich mehr oder weniger voneinander und bilden geographische
oder ökologisch - d.h. auch sozial - verschiedene Bevölkerungen, Völker
und Rassen. Die Amseln in Korea sehen etwas anders aus und singen etwas anders
als die Amseln in Frankreich. Auch Bevölkerungsgruppen innerhalb einer Art,
und nicht nur Bayern und Preußen, sondern auch größere Völker
leben in einer ständigen Konkurrenz miteinander, die zuweilen auch unfriedlich
ausgetragen werden kann. Die Geschichte der europäischen Völker ist
die Geschichte von vielen Jahrhunderten Rangordnungskämpfen, Kriegen, Gebietsabtretungen
und Wanderungen, vor allem in den letzten zwei Jahrhunderten der ausgesprochen
nationalen Kämpfe. Manche meinen, das hätte heute ein Ende, da man eine
europäische Friedensordnung vereinbart hätte. Da man aber die grundlegenden
Ursachen des Wandels nicht ausschalten kann, als da wären unterschiedliches
Wirtschaftswachstum, unterschiedliche Kinderzahlen und Ein- und Auswanderung,
kommt es mittelfristig zu neuen Unruhen und Kriegsherden, auch in Europa und erst
recht in der weiten Welt. Der Bevölkerungswandel des einst serbischen Amselfelds
in das albanische Kosovo ist das jüngste Beispiel. Wenn man in so einem Fall
einen Frieden verordnet, kann der Moment kommen, an dem die ständige Aufrechterhaltung
des Friedens bzw. des friedlichen Anscheins der multiethnischen Utopie teurer
zu stehen kommt, als wenn ein siegreicher Krieg für die eine oder andere
Seite ausgefochten oder ein Schiedsspruch und eine Teilung zur rechten Zeit vereinbart
worden wäre. Ist so ein Streit erst einmal offen ausgebrochen, hat es früher
oder später stets Krieg gegeben, und es wäre ein Wunder, wenn die Welt
anders geworden wäre. Wer glaubt, ein glückseliger Zustand ewigen Vorfriedens
sei schon erreicht, der hat sich aus der Geschichte freiwillig abgemeldet. Und
wer seine Augen zuhält und glaubt, daß die Verhältnisse so stabil
seien, daß sich eine Gemengelage aus sozialen und ethnischen Konflikt nicht
zu einem inneren Krieg ausweiten könne (wie gegenwärtig in Nordkaukasien),
der schafft Tag für Tag die Grundlagen für kommende schwere Konflikte.
(Ebd., 2012, S. 404).
8) Zum Kreislauf der Bevölkerungsqualität: Betrachtungen
und Schlußfolgerungen.
Kapiteleinführung.
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In
den Industriestaaten steigt die Zahl der eingeborenen Bevölkerung nicht mehr,
sondem fällt. Wieviele Generationen lang die Zahl fallen wird und wie die
Welt dann aussehen wird, weiß niemand. (Vgl. Richard Korherr, Geburtenrückgang,
1927; Korte, Bevölkerungsbewegungen als Beispiel ungeplanter Prozesse,
1977). Die etablierten Demographie-Professoren (vgl. Tilman Mayer, Die demographische
Krise, 1989) haben dafür keine Theorie, wenn auch der Beginn des Geburtenrückgangs
sofort erfaßt und seine unmittelbaren Folgen richtig vorhergesagt wurden.
(Vgl. M. Westergaard, The Horoscope of the poulation in the 20th Century,
1908; Julius Wolf, Der Geburtenrückgang, 1912). Die Alterspyramide
und daraus sich ergebenden Probleme, die Burgdörfer (1932) bereits für
1975 prognostiziert hatte (vgl. Friedrich W. Burgdörfer, Volk ohne Jugend
- Geburtenschwund und Überalterung des deutschen Volkskörpers, 1932),
entsprechen etwa denen um 2005 (mehr aber denen um 2050
[**] !
HB). Das heißt, von 1934 bis etwa 1970 sind mehr Kinder geboren worden,
als Burgdörfer voraussehen konnte, danach aber setzte sich die krisenhafte
demographische Entwicklung wieder durch. (Ebd., 2012, S. 417).
Jahrzehntelang begnügte man sich mit der Theorie des demographischen
Übergangs (**),
die behauptet, es käme irgendwann zu einem Gleichgewicht. Doch zum Erstaunen
der Professoren, die nicht bemerkt haben wollen, daß es in Natur und Gesellschaft
wenig Gleichgewichte, vielfach aber Zyklen gibt, stürzen die Geburtenziffern
immer weiter ab. Warum stürzen sie und wohin? (Vgl. Gerhard Mackenroth, Bevölkerungslehre,
1953) Die etablierten Demographen liefern ihnen dazu zwar hundert Antworten und
Meinungen, Stellgrößen und Ursachen scheinen ihnen aber verborgen zu
bleiben. (Ebd., 2012, S. 418). Die Lösung des Rätsels
findet man in den Arbeiten einiger Ökonomen, denen folgendes aufgefallen
ist: Es gibt für den Sachverhalt, daß die Wohlhabenden von einem bestimmten
Punkt an weniger Kinder haben als andere, bisher keine allgemein anerkannte Theorie
(insbesondere dann, wenn man zum Beispiel Fritz Lenz, Menschliche Auslese und
Rassenhygiene, 1931; Erwin Baur, Der Untergang der Kulturvölker im
Lichte der Biologie, 1932; R. A. Fisher, The Social Selection of Human
Fertility, 1932; H. J. Muller, The Dominance of Economics over Eugenics,
1933 nicht zur Kenntnis nimmt). Eine Erklärung haben die Ökonomen darin
gefunden, daß in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, gleichlaufend
mit dem Rückgang der Kindersterblichkeit, in einem Zyklus ein Umschlag eingesetzt
haben muß, von dem ab die Armen mehr Kinder haben als die Reichen. Fortgesetzter
wirtschaftlicher Aufstieg ist möglich geworden, weil - anstatt in die Geburt
weiterer Kinder - in die Bildung der überlebenden Kinder investiert worden
ist und investiert wird. Das ist zweifellos richtig. (Ebd., 2012, S. 418).
Kinderarmut der Eltern war und ist oft der Preis für den sozialen Aufstieg
der Begabten. Auch die Ökonomen hoffen, daß diese Entwicklung einen
Gleichgewichtszustand ansteuert und sehen nicht, daß ein noch tiefergehender
Zyklus der wirtschaftlichen Beschleunigung und der Umwertung der Werte - die genotypische
Wertigkeit der Bevölkerung darin eingeschlossen - einen verhängnisvollen
Kreislauf steuert. Die Ökonomen haben aber begriffen, daß der demographische
Umschlagpunkt ... auch ein politischer Umschlagpunkt war, von dem ab sich die
Gesellschaft von größerer Ungleichheit zu größerer Gleichheit
in der Ausübung der politischen Rechte entwickelt. Wenn wir heute immer wieder
davon hören, daß sich Reichtum immer stärker bei wenigen konzentriert,
so ist das nur ein scheinbares Paradox. Dazu trägt auch bei, daß sich
durch die geringen Kinderzahlen der Mittel- und Oberschicht) die Vermögen
immer stärker konzentrieren, während die Massen relativ zahlreicher
und ärmer werden. Am Beispiel einiger Originalarbeiten wollen wir belegen,
wie sich die Zusammenhänge zwischen sozialer Stellung und Kinderzahl entwickelt
haben. (Ebd., 2012, S. 417).
Die Demographie der Standesgesellschaft und ihr Ende.
Bis
etwa 1800 blieb das Gesamtwachstum der Bevölkerung sehr gering. Die Energie,
die menschlichen Bevölkerungen zur Verfügung stand, stammt ziemlich
direkt von der Sonne, die die Pflanzen zum Wachsen brachte; deren jährlich
Ernte gewährleistete das Überleben von Mensch und Tier. Wind- und Wasserkraft
waren nur eine Ergänzung, aber auch sie sind Abkömmlinge der Sonne die
den Wetter- und Wasserkreislauf antreibt. Während jede biologische Art und
damit auch der Mensch das Vermögen hat, sich zahlenmäßig über
seinen Nahrungsspielraum hinaus zu vermehren, fielen die Ernten von Jahr zu Jahr
unterschiedlich aus; Kriege, Unruhen, Seuchen, Mißernten und Zusammenbrüche
der politischen Ordnung bewirkten, daß sich die Einwohnerzahlen in Grenzen
hielten, die mit derTragfähigkeit eines Landes übereinstimmten, wie
in England Malthus 1798 zutreffend feststellte. Darauf aufbauend zog Darwin den
Schluß, es sei die Natürliche Selektion, die den Ausgleich zwischen
zu großer Vermehrung und Tragfähigkeit des Raumes schafft, wobei die
Selektion die Ungeeigneten, Kranken und Kinderlosen aussondert. (Ebd., 2012,
S. 420). Doch gerade als zu Malthus Lebzeiten England begann,
sich von den Fesseln der sonnenenergiebegrenzten Wirtschaftsweise freizumachen
und fossile Energie in Form von Kohle in immer größerem Maße
(auch dank der Erfindung der Dampfmaschine; HB) einsetzte,
lieferte Irland ein klassisches Beispiel dafür, wohin eine Bevölkerungsvermehrung
führt, die ihren Nahrungsspielraum gesprengt hat. Das Hauptnahrungsmittel
der irischen Volksmassen waren um 1840 Kartoffeln. Sie ließen sich leicht
anbauen, und mit ihnen ließ sich eine Familie bereits mit einem kleinen
Stück Land ernähren. Das war die Grundlage, auf der sich von 1800 bis
1840 die irische Bevölkerung von 4 auf 8 Millionen verdoppelt hatte. Doch
1845 kam es zu einer schlimmen Mißernte, verursacht durch den Pilz Phytophtora
infestans, der die Kartoffeln faulen ließ und fast die gesamte Ernte vernichtete.
Das wiederholte sich in den nächsten Jahren und führte in dem überbevölkerten
Land zu einer furchtbaren Hungerkatastrophe, in deren Folge die Bevölkerung
der Insel sich von über 8 auf 4 Millionen verminderte - auch infolge Auswanderung
und Ehelosigkeit. Irland schien damit ein Paradebeispiel für eine Katastrophe
im Sinne von Malthus zu sein. Nur ganz allmählich begann sich Irland davon
zu erholen und schien lange Zeit von der Dynamik der Industriegesellschaft abgekoppelt.
(Ebd., 2012, S. 420). Die Kindersterblichkeit und die Zahl der
überlebenden Nachkommen pro Erwachsenen sind die entscheidenden Faktoren
der Natürlichen Selektion im Sinne Darwins. In einem vielbeachteten Buch
hat Clark Statistiken aus England zusammengestellt, die belegen, daß in
der Zeit von 1500 bis 1800, wahrscheinlich sogar schon seit 1250 - weiter reichen
geeignete Quellen nicht zurück - die wirtschaftlich Erfolgreicheren auch
die höheren Kinderzahlen hatten. Wenn Persönlichkeitsmerkmale auch durch
erbliche Eigenschaften mit bedingt sind, dann bedeutet das - so schließen
Clark und Hamilton -, daß sich seit 1500 in England auch die Genfrequenzen
verändert haben müssen. Da wirtschaftlicher Erfolg in England (und überall
in der Welt) mit einem höheren IQ korreliert ist, müssen sich folglich
seit 1500 die Gene, die einen höheren IQ mit bedingen, angereichert haben.
So einleuchtend und selbstverständlich diese Logik für einen Genetiker
ist, so revolutionär ist die Veröffentlichung dieser Einsicht in einem
nach 2000 veröffentlichen, einflußreichen Buch der Wirtschaftsgeschichte.
Nach Clark war diese Veränderung der Genfrequenzen eine entscheidende und
notwendige Voraussetzung, daß England im 19. Jahrhundert als Folge der Industriellen
Revolution die Weltmacht Nummer eins werden konnte. (Ebd., 2012, S. 420-421).
So weit, so richtig. Wenn Clark, der nur englische Quellen zitiert, auch
die deutsche, niederländische, französische und skandinavische Literatur
zur Kenntnis genommen hätte, so hätte er feststellen können, daß
auch in den später industrialisierten Ländern eine zu England parallele
demographische Entwicklung stattgefunden hat . Wir gehen im folgenden darauf ein.
Und es ist zu vermuten, daß auch in Japan und China und anderswo in bestimmten
historischen Epochen ähnliche Selektionsmechanismen gewirkt haben.
(Ebd., 2012, S. 421). Bereits in der Mitte des 16. Jh. bestand
in vier besonders gewerbefleißigen Dörfern der Kirchgemeinde Markersbach
im sächsischen Erzgebirge fast die Hälfte der Bevölkerung aus Handarbeitern
und landarmen Häuslern, die andere Hälfte aus Bauern und anderen Erbbegüterten.
Von 1547 bis 1791 wurden in Erst-Ehen der Häusler 4,8 Kinder geboren, von
denen zwei Drittel vor Erreichen des Heiratsalters starben und im Mittel nur 1,6
heirateten. Im Gegensatz dazu wurden in den Bauernfamilien 6,8 Kinder geboren,
von denen die Hälfte, das sind 3,4, heirateten. War auch der Schwiegervater
ein Bauer, so wurden sogar 7,6 Kinder geboren. In Markersbach starben in 83% der
Unterschichtfamilien Vater oder Mutter oder beide, ehe die Mutter 45 Jahre alt
war, d.h., die Kinder wurden Halbwaisen oder Waisen, ehe sie selbst das Heiratsalter
erreichten. Da die Verwandten dieser Kinder vielfach auch arm waren, hatten sie
in Hungersnöten keine Unterstützung zu erwarten. Die frühen Todesfälle
betrafen sowohl Männer als auch Frauen. Besonders auffällig sind die
häufigen Arbeitsunfälle der Väter; sie verunglückten tödlich
in den Hämmern und Schmieden, in den Bergwerken, unterwegs mit Fuhrwerken
oder bei der Waldarbeit. Da wohlhabende Witwer eine weit größere Chance
hatten, beim zweiten (oder wiederholten) Male eine viel jüngere Frau zu heiraten
als arme Witwer, wurden durch Wiederverheiratung die sozialen Unterschiede noch
verschärft. (Ebd., 2012, S. 421). In drei Dörfern
bei Birmingham in England konnte Skipp herausfinden, daß in einer Hungerkrise
drei Phasen aufeinanderfolgten: In der ersten werden bei den Armen noch Kinder
geboren, die jedoch wegen Unterernährung als Säuglinge sterben. In der
zweiten Phase sind die Frauen der Armen so schlecht dran, daß es zu keinen
weiteren Konzeptionen mehr kommt; in der dritten Phase werden auch arme Frauen
wieder schwanger, aber es kommt zu vielen Fehlgeburten. Ähnliche Verhältnisse
finden wir heute in den Entwicklungsländern vor. (Ebd., 2012, S. 421).
In den von Adler untersuchten Gemeinden Aach und Schönmünzach
in Württemberg ergab sich folgendes Bild: »In Aach galt vom Ende des
17. Jahrhunderts bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, daß die Geburtenzahl
mit der sozialen Schicht stieg. Auch in Schönmünzach ließ sich
für die Zeit vor der Mitte des 19. Jahrhunderts feststellen, daß die
Wohlhabenden mehr Kinder als die weniger Begüterten hatten. ...Verursacht
wurden diese sich stark unterscheidenden Geburtenzahlen wohl nicht zuletzt durch
das unterschiedliche Heiratsalte/; verehelichten sich doch die Oberschichttöchter
wesentlich früher als jene der Unterschicht. Dadurch verlängerte sich
ihre gebärfähige Phase innerhalb der Ehe, und zwar um jene Jahre, in
denen die Fruchtbarkeit am höchsten wal: ...Da der Zeitpunkt der Heirat aber
bewußt gesteuert werden konnte, mußte bei der Oberschicht auch die
Bereitschaft dagewesen sein, viele Kinder zu bekommen. ...Bei den ab 1880 geschlossenen
Ehen verkehrte sich das während der vergangenen zwei Jahrhunderte in Aach
festgestellte Verhaltensmuster, demzufolge die Kinderzahl mit dem sozialen Status
einer Familie stieg, ins Gegenteil. Die Kinderzahlen der Oberschicht- und Bauernfamilien
verringerten sich stark, während die Taglöhnerfamilien mit :;:'8 Kindern
pro vollendete Erst-Ehe so fruchtbar wie nie zuvor waren. ...Parallel dazu senkte
sich das Heiratsalter der Aacher Unterschicht ab. .... Diese Geburtenfreudigkeit
in der Unterschicht hielt freilich nur etwa zwei Jahrzehnte an. Danach glich sich
deren Verhalten dem anderer Schichten an.« (Renate K. Adler, Demographie
und Familiengeschichte der beiden Schwarzwalddörfer Aach und Schönmünzach
im Kreis Freudenstadt, 1991). Insbesondere in der Zeit der beginnenden und
bewußten Geburteneinschränkungen um 1850 bis 1900 schränken in
vielen Gegenden die Bauern und generell die soziale Oberschicht - auch in den
Städten, dort sogar lokal noch früher - die Geburten früher ein
als die Unterschicht. Dadurch werden, wie eben beispielhaft zitiert, soziale Unterschiede,
die oft jahrhundertelang bestanden hatten, in ihr Gegenteil verkehrt. (Vgl. Peter
Mersch, Hurra, wir werden Unterschicht!, 2007 **).
(Ebd., 2012, S. 422).Die seit Jahren wiederkehrende und dabei von
großen Teilen der Bevölkerung in den jeweiligen Ländern mit Angst
und Sorge geführte Debatte um das Aussterben ... hat historische Vorläufer.
Schon im Jahr 1849 prophezeite der friesische Privatgelehrte Heinrich Georg Ehrentraut
(1798-1866) das Aussterben der reichen Marschbauern wegen ihrer wenigen Kinder
(vgl. Eckart Voland, Die Evolution der reproduktiven Selbstbeschränkung,
1985, S. 31). Er hat bis heute nicht recht bekommen. Dennoch scheint es ein Rätsel:
Was bewegt Menschen, trotz ausgezeichneter wirtschaftlicher Verhältnisse,
in denen sie leben, ihre Kinderzahl zu beschränken, auf nur zwei oder gar
nur ein Kind, auch wenn es ihnen gar nicht schwerfiele, eine größere
Kinderschar großzuziehen, so wie ihre ärmeren Nachbarn, mit denen sie
zur selben Generation gehören? Wissenschaftler haben diesem Rätsel die
Bezeichnung »Demographisch-ökonomisches Paradoxon« (**|**|**|**|**|**)
gegeben. Paradox ist es schon, denn nach Malthus und Darwin setzen Lebewesen so
viele Nachkommen wie möglich in die Welt. An dem Überschuß setzt
dann die Natürliche Selektion an. Nicht anders war es im Frühstadium
der Industriegesellschaft, wie wir hier belegt haben. (Ebd., 2012, S. 424).
Dann aber, zu einem bestimmten Zeitpunkt, geschieht etwas anderes. Die Wohlhabenden
und später alle Schichten beschränken ihre Kinderzahlen. Wird damit
auch die Natürliche Selektion außer Kraft gesetzt? Was tritt an ihre
Stelle oder kehrt sich gar die Selektionsrichtung um? Kann man von nun an Darwin
und seine Lehre in bezug auf die menschliche Evolution als überholt ansehen
und beiseite schieben? Oder besteht die Selektion und Natürliche Evolution
fort und wird nur eingebettet in einen größeren Rahmen, der fortan
die Bedingungen stellt? Liegt es daran, daß energetische Grenzen erreicht
sind und anstelle des zahlenmäßigen Bevölkerungszuwachses die
Bevölkerungsqualität stärker gefragt ist? Oder auch nicht?
(Ebd., 2012, S. 424).Die Zukunftsorientierung der Kinderzahlen
mündet in der allgemeinen Frage: Wie reagieren Paare, wenn sie zu der Meinung
gelangen, daß weiterer gesellschaftlicher Aufstieg immer schwerer wird,
undmöglich ist oder gar der Abstieg droht? (Ebd., 2012, S. 425).Die
hohen Kinderzahlen des Landadels hatten ab 1830 dazu geführt, daß die
Zahl derjenigen, die ein Landgut kaugfen wollten, größer war als die
Zahl der verfügbaren Güter. Um 1850 war es deshalb bereits schwierig,
ein adliges Landgut zu kaufen. Drie Viertel der Landadelsfamilien waren deshalb
um 1860 auf Zusatzeinkünfte angewiesen .... Die absolute Zahl der englischen
Adligen, die nur von ihrem Landbesitz lebten, sank von 31261 im Jahre 1851 auf
25510 im Jahre 1871. Von 1871 bis 1880 hatten die Landadeligen noch 3,47 Geburten
pro Ehe, von 1881 bis 1890 nur noch 2,18 Geburten und damit die niedrigste Zahl
aller Berufsgruppen. (Ebd., 2012, S. 425-426).Sozialer Aufstieg
und soziale Platzbehauptung der Nachkommen verlangte jedoch entsprechende Bildung,
was bei sinkender Kindersterblichkeit immer mehr Paare veranlaßte, auf diese
Karte zu setzen. Dabei wurde es immer kostspieliger, die Kinder sttandesgemäß
auszubilden. (Ebd., 2012, S. 426).Die höchsten Kinderzahlen
hatten oder haben in den Industrieländern noch lange Zeit Gruppen der Unterschicht,
die keinen sozialen Abstieg zu fürchten haben, weil sie schon ganz unten
sind, und zwar insbesondere dann, wenn die der Sozialstaat alimentiert (vgl. Peter
Mersch, Irrweg Bürgergeld, 2007 **).
(Ebd., 2012, S. 426-427).
Die soziale Dichte als Regulationsfaktor der Kinderzahlen.
Die
Denkmodelle von Malthus und Darwin können die geringen Kinderzahlen der siebenbürgischen
Vollbauern, der weißen Bevölkerung Südafrikas wie auch, in der
Gegenwart, der wohlhabenden Bevölkerung aller Industrieländer nicht
erklären. Um dieses Verhalten zu deuten und das Ergebnis einer solchen Entwicklung
vorherzusagen, brauchen wir Einsichten, die uns weiterführen als die Spenglerschen
Analogien vom Wachsen, Reifen und Vergehen aller Kulturen (**|**|**|**|**|**|**|**).
Es gibt zahlreiche Erklärungsversuche von Bevölkerungsökonomen
und aus verwandten Disziplinen, die mehr oder weniger zutreffen. Den eigentlich
springenden Punkt kann man aber bei der Bevölkerungswissenschaftlerin Virginia
D. Abernethy lesen (1999): P a a r e b e g r e n z e n
d a n n i h r e K i n d e r z a h l e n
, w e n n s i e b e f ü r c h t e n ,
d a ß i h r e N a c h k o m m e n
d e n s o z i a l e n
S t a t u s d e r E l t e r n
n i c h t m e h r h a l t e n
k ö n n e n , wenn sozialer Aufstieg
unwahrscheinlich ist und Auswege durch Auswanderung oder Neulandbesiedlung ausfallen.
Da Oberschichtplätze nun einmal seltener sind als die Plätze weiter
unten, beginnt die Geburtenbeschränkung in der Oberschicht. W e n i g e r
d i e a b s o l u t e
B e v ö l k e r u n g s d i c h t e
i s t v o n B e d e u t u n g ,
s o n d e r n d i e
r e l a t i v e s o z i a l e
D i c h t e . Karl Valentin Müller
hatte die Geburtenkontrolle auf Furcht vor »dem spezifischen sozialen
Elend eines Unterliegens im verschärften Sozialwettbewerb« zurückgeführt.
»Das trifft sowohl die wirtschaftliche Führungsschicht im letzten Drittel
des 19. Jh., die mit dieser Übung begann, wie die bedrängten Mittelschichten-Angestellte
und qualifizierte Arbeiter -, die nach der Jahrhundertwende kinderarme Klassen
wurden, um ihre spezifischen sozialen Ziele sichern zu können. .... Es handelt
sich demnach um die Wirkungen jeweils sozial differenzierter Überbevölkerungstatsachen
und -empfindungen.« (Karl Valentin Müller, Bevölkerungslehre,
1957; S. 1225 f.). Die gefundene Regel erklärt das Verhalten der Vollbauern
in Dithmarschen und Siebenbürgen, des englischen Landadels und der Oberschicht
in allen Industrieländern. Sie erklärt auch, warum die Gründer
der großen Industriebetriebe im 19. Jahrhundert oft jung geheiratet haben
und kopfstarke Familien hatten. Denn sie waren der berechtigten Überzeugung,
ihren Kindern stünde mit dem vorhandenen Schwung der Firma und der Familie
die Welt offen. Noch heute gibt es einige Superreiche, die große Familien
haben. Für die demographische Gesamtsituation hat das aber kaum Bedeutung.
(Ebd., 2012, S. 427).Nicht nur in allen Industriestaaten -also
auch in Japan, Taiwan und Südkorea, auch bei der weißen Bevölkerung
Nordamerikas, Australiens und Südafrikas - haben die Geburtenzahlen pro Frau
die magische Zahl Zwei schon lange unterschritten (vgl. Patrick Buchanan, Der
Tod des Westens, 2002); in den letzten Jahren folgten mit rasanter Beschleunigung
die industriellen Schwellenländer. Selbst in der arabischen Welt in Tunesien
und im einstmals kommunistisch regierten Bundesstaat Kerala in Indien werden von
den Frauen weniger als zwei Kinder geboren. Diese Entwicklung war von keiner demographischen
Theorie vorhergesagt worden. (Ebd., 2012, S. 427).In den
letzten 30 Jahren sind in Frankreich, Deutschland und anderswo mehrere Bücher
erschienen, in denen eine staatliche Bevölkerungspolitik gefordert wird,
die sich gegen den drohenden Bevölkerungsschwund richtet. In diesen Studien
wird die Schuld für die Entwicklung oft den regierenden Politikern und ihrem
tatsächlichen oder angeblichen Nicht-Handeln zugewiesen. Jedes Industrieland
hätte also seine eigenen Schuldigen. In Deutschland wird vor allem darauf
hingewiesen, die seit Jahrzehnten stattfindende Umverteilung von den Familien
mit Kindern auf die Kinderlosen setze seit Jahrzehnten falsche wirtschaftliche
Anreize (vgl. Hans-Werner Sinn, Ist Deutschland noch zu retten?, 2003;
Hermann Adrian, Kinderlosigkeit - die ungleiche Lastenverteilung, 2005;
Christan Schmitt & Ulrike Winlkelmann, Wer bleibt kinderlos?, 2005).
Die Rentenversicherung und die daraus folgende Umverteilung machten Kinder praktisch
zu einem Allgemeingut, zu einer Allmende. Am meisten profitiert der von Kindern,
der keine hat. Die Kritik daran ist zweifellos richtig, und bei einer anderen
Politik dürfte die demographische Lage deutlich besser sein. Aber grundsätzlich
anders? Müßte man bei einem anderen Rentensystem heute nicht für
die armen und kinderlosen Alten zusätzliche Unterstützungen auszahlen,
die auf eine ähnliche Umverteilung hinausliefen? In Ländern mit anderer
Altersversorgung ist die Situation doch um keinen Deut besser als in Mitteleuropa!
(Ebd., 2012, S. 428).Sieht man sich die Kurven an, mit denen in
den Industriestaaten und in den Schwellenländern die Geburtenzahlen fallen,
die Altersverteilungen, in denen von den Frauen Kinder geboren werden, das Heiratsalter
und ähnliche demographische Kennziffern, so ist die Konvergenz der Kurvenverläufe
zwischen Osteuropa, dem katholischen sowie protestantischen Europa so groß,
daß sich der Gedanke aufdrängt, es walte eine Gesetzmäßigkeit.
Aber welche? Wenn alle Industriestaaten - und inzwischen auch die industriellen
Schwellenländer - trotz aller Unterschiedlichkeit in ihrer Geschichte von
einem einheitlichen Rückgang der Geburten weit unterhalb des Selbstreproduktionsniveaus
betroffen sind, dann muß die Ursache viel tiefer liegen als in der jeweiligen
Landespolitik, die sich - wie schon in Sparta und im Alten Rom - als fast völlig
machtlos erweist. (Vgl. Heinrich Schade, Völkerflut und und Völkerschwund,
1974). (Ebd., 2012, S. 428).Eine Begleiterscheinung des Bevölkerungszyklus
ist stets die fortschreitende Konzentration der Einwohner in den großen
Städten. »Das kulturfähige Menschentum wird von der Spitze
her abgebaut, zuerst die Weltstädte, dann die Provinzstädte, endlich
das Land, das durch die über alles Maß anwachsende Landflucht seiner
besten Bevölkerung eine Zeitlang das Leerwerden der Städte verzögert«,
schrieb Spengler in seinem Buch »Der Untergang des Abendlandes« (**|**),
indem er in typologischer Weise und mit Blick auf die Antike wesentliche Elemente
der Spirale richtig erfaßt hat, ohne die Gesetzmäßigkeiten im
einzelnen statistisch zu belegen. Bis weit ins 19. Jahrhundert - also auch in
der (modernen [i.e.S. **] !
HB) Aufstiegsphase Europas - starben in allen großen Städten
mehr Menschen als in ihnen geboren wurden. Die großen Städte wachsen
und blühen also stets auf Kosten des Umlandes (Gerhard Schweizer, Zeitbombe
Stadt, 1987), und im Gedränge einer großen Stadt gedeihen seit
jeher zwar Kultur, Wirtschaft und der Sexrummel, weniger aber die menschliche
Fortpflanzung. Inzwischen leben eine Milliarde Menschen in städtischen Slums
Wie weiter vorn schon ausgeführt, hatte die vollbäuerliche Bevölkerung
in Mittel-, West- und Nordeuropa in der Aufstiegsphase vom 16. bis zur Mitte des
19. Jahrhunderts weit mehr Kinder, die das Heiratsalter erreichten, als die Armen
in Land und Stadt, in deren Familien oft weniger als zwei Kinder groß wurden.
Da in Europa - im Unterschied zu den damaligen Siedlungsräumen der Weißen
in Übersee - die vollbäuerlichen Stellen aber im 19. Jahrhundert alle
besetzt waren, setzte in dieser Sozialschicht und ebenso bei der städtischen
Oberschicht die bewußte Geburtenbeschränkung zuerst ein. (Ebd.,
2012, S. 428-429).Vielleicht kommen wir weiter, wenn wir jede soziale
Klasse oder Schicht, jede Glaubensgemeinschaft oder in ihrem Eigeninteresse handelnde
Struktur - damit auch die Staatsbürokratie - einmal abstrakt als eine biologische
Art betrachten, die auf Kosten aller anderen ihre Zahl und ihren Anteil am gesellschaftlichen
Kuchen maximieren will. Da der Mensch zu den Arten zählt, bei denen bewußte
Geburtenkontrolle möglich ist, würden demnach die Gruppen bzw. Strukturen,
bei denen der Gedrängeeffekt der steigenden sozialen Dichte zuerst spürbar
wird und für die Abwanderung als Ventil keine große Rolle mehr spielt,
auch zuerst mit der Geburtenbeschränkung einsetzen. Da die Geburtenbeschränkung
in den verschiedenen Sozialschichten zu verschiedenen Zeiten einsetzt, verschieben
sich ihre zahlenmäßigen Gewichte. Als das um 1900 offensichtlich wurde,
veranlaßte es Francis Galton, die Eugenik anzupreisen. Angesichts der geringen
Kinderzahlen der Oberschicht, sagte Galton ein Absinken des geistigen Leistungsniveaus
vorher. Das Gegenteil war aber der Fall: Die verbesserten Lebensbedingungen und
die bessere Schulbildung führten nach 1900 in allen Industrieländern
zu einem deutlichen Anstieg der IQ-Testwerte, im Mittel etwa um 15 IQ-Punkte.
Bei diesem Anstieg handelt es sich zwar um einen phänotypischen, nicht um
einen genotypischen Anstieg; aber durch ihn erschienen der breiten Öffentlichkeit
die Befürchtungen Galtons und seiner Anhänger als übertrieben und
unglaubwürdig. Wie wir heute wissen, macht sich der von Galton vorhergesagte
Abfall der IQ- Werte in den phänotypischen, d.h. den wirklich getesteten
Werten, erst zwei bis drei Generationen später bemerkbar, also bis zu einem
Jahrhundert später. In dieser Zeit hat sich aber das politische Klima grundlegend
geändert. Heute, reichlich 100 Jahre nach Galton, gilt seine politische Zielstellung,
die Kinderzahlen bei den Begabten zu fördern, als nicht mehr zeitgemäß,
da ja alle Menschen in ihrer geistigen Begabung als genetisch gleich angesehen
werden müssen. Galtons Zielstellung hat deshalb nicht die geringste Chance,
irgendwo in größerem Rahmen als eine staatliche Politik durchsetzbar
zu sein, geschweige denn, daß mit Galtons Erkenntnissen der Marsch der Lemminge
ins »Große Chaos« noch aufgehalten werden könnte.
(Ebd., 2012, S. 432). Als die Einsicht einsetzte, hatte sie noch
nicht die erwarteten Folgen; wenn dann schließlich die Folgen eintreten,
sind sie politisch nicht mehr vermittelbar. Der frühere Staatschef von Singapur,
KuanYew Lee, dürfte in den letzten Jahrzehnten das einzige erfolgreiche Regierungsoberhaupt
gewesen sein, für den Galtons Argumente kein absoluter Blödsinn waren
(vgl. Lee Kuna Yew, From Third World to First, 2000). Aber selbst in der
eigenen Regierung und im eigenen Land blieben seine Einsichten nicht unwidersprochen.
Auch Singapurs hochentwickelte Forschung befaßt sich im übrigen nicht
mit IQ-Genetik. (Ebd., 2012, S. 432).Bei Nagetieren - aus
denen sich ja das Säugetier Mensch entwickelt haben soll - gibt es bei Überbevölkerung
Regulationsmechanismen, die zu einem ständigen Auf und Ab führen, von
einer Mäuse- und Rattenplage bis zum katastrophalen Zusammenbruch der Population.
(Vgl. Wilhelm Schäfer, Der kritische Raum, 1971; Heinrich von Loesch,
Stehplatz für Milliarden?, 1974)Bei soziallebenden Säugetieren,
die in der Regel eine soziale Hierarchie aufbauen, wird der Zusammenbruch der
Population und der Neuanfang durch eine von der Natur vorgegebene Ereigniskette
erzwungen: Das Gedränge der Überbevölkerung -die innerartliche
Konkurrenz -führt zu einem Streben nach Gleichheit und zur Zerstörung
der sozialen Hierarchie (vgl. Paul Leyhausen, Soziale Organisation und Dichtetoleranz
bei Säugetieren, in: ders & Konrad Lorenz, Antriebe tierischen
und menschlichen Verhaltens, 1968). Indem diese Hierarchie zerstört wird,
wird die Population handlungsunfähig und die in Not geratenen Individuen
fallen übereinander her. In einem überfüllten Rhesusaffenkäfig
kommt es zu Mord und Totschlag, bei Nagetieren schließlich zu Apathie, Sterilität
und Kannibalismus (vgl. Fritz Frank, Untersuchungen über den Zusammenbruch
von Feldmausplagen, 1953). Solche Erscheinungen werden beim Menschen aus überfüllten
und schlecht versorgten Gefangenenlagern berichtet. Nicht nur auf der Osterinsel
hat sich dieser Zyklus in allen seinen Phasen und schrecklichen Ausprägungen
vollzogen, sondern auch wie- derholt und mehrfach in komplexen menschlichen Gesellschaften.
(Vgl. Hans-Dieter Striening, Das Osterinsel-Syndrom, 2001; Nicolas Werth,
Die Insel der Kannibalen - Stalins vergessener Gulag, 2006). (Ebd.,
2012, S. 433). Entscheidend ist, daß mittels dieser Regulation
Bevölkerungsdichte und Verhaltensänderungen ständig rückgekoppelt
(vgl. Karl Kälin, Populationsdichte und soziales Verhalten, 1972)
sind und der volle Ablauf des Zyklus die vollständige Zerstörung der
sozialen Hierarchie (vgl. L. Peter und R. Hull, Das Peter-Prinzip oder die
Hierarchie der Unfähigen, 1972) und die totale Desorientierung der weiblichen
Individuen voraussetzt (vgl. Eckart Knaul, Das biologische Massenwirkungsgesetz,
1985). Desorientierung meint hier ihre Ablenkung von einer erfolgreichen Fortpflanzung
und Jungenaufzucht, die Menschen nennen es Emanzipation und Feminismus. Je länger
eine Frau außer Haus ist und arbeiten geht, desto weniger hat sie Zeit,
sich um ihre Kinder zu kümmern. Je mehr die Frauen erwerbstätig werden,
desto stärker sinken die Geburtenzahlen in diesen Ländern. Je höher
eine Frau qualifiziert ist, desto größer ist ihr Bestreben, ihr Wissen
und Können auch im Berufsleben anzuwenden. Je mehr eine Frau auf völlige
Gleichstellung pocht, desto geringer sind ihre Chancen, Kinder und Beruf in Einklang
zu bringen und eine glückliche Ehe zu führen. Fast stets kinderlos sind
deshalb linksorientierte Journalistinnen (vgl. Fritz Frank, APO und Establishment
aus biologischer Sicht, 1969), um so größer aber ihr Anteil an
der Bildung der öffentlichen Meinung. Nichtsdestoweniger könnte die
Natürliche Selektion bewirken, daß ihre Generation durch die Nachkommen
der unterwürfigen kopftuchtragenden Frauen ersetzt wird. (Ebd., 2012,
S. 433-434). Im Normmalfall dienen die Zurschaustellung von Potenz
- die kraftkostende Brunft der Hirsche und das Balzen der Hähne, beim Menschen
die Zurschaustellung von Sozialprestige und der teure Prestigekonsum - dazu, den
sozialen Status sowie die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe zu unterstreichen
und sein Revier, seinen Lebensraum abzugrenzen (vgl. Edward T. Hall, Die Sprache
des Raumes, 1976; Wolfgang Wieser, Vom Sein zum Werden, 1986). In aufsteigenden
Gesellschaften haben die Männer mit der größten Potenz, der größten
Antriebsenergie, also die Erfolgreichsten, auch die attraktivsten Frauen und die
meisten Nachkommen. In Gesellschaften jedoch, die den Wendepunkt des Zyklus überschritten
haben, wird das Balzen von Mann und Frau, ihr Modebewußtsein, ihre Automarke,
ihre Prestigereise auf die Seychellen und ihr Gurren auf den Fernsehschirmen,
immer mehr zum Selbstzweck und hat immer weniger Zusammenhang mit der Anzahl und
der Qualität der Nachkommen. Die gebildeten Frauen werden im Berufsleben
unter einen Leistungsdruck gesetzt, der - wenn überhaupt - nur noch ein Kind
zuläßt. Die wenigsten können Dienstpersonal bezahlen, das Beruf
und eine kopfstarke Familie vereinbar macht. So schön das Wunschbild der
voll berufstätigen Mutter ist: Bei drei Kindern ist eine Unterbrechung der
Berufstätigkeit von wenigstens sechs bis acht Jahren einl Segen für
Mutter und Kinder, da sich oft nur so die wiederkehrenden Erkrankungen bei Kleinkindern
in Kindereinrichtungen beherrschen lassen. (Ebd., 2012, S. 434). Wenn
eine biologische Art den ihr zustehenden Raum übernutzt, dann richtet sich
die Natürliche Selektion gegen die Art als Ganzes und reguliert sie durch
eine Katastrophe auf eine Größe herunter, die einen Neuanfang möglich
macht. Während in der Aufstiegsphase die Individualselektion eine große
Rolle spielt und die Genfrequenzen für Gene, die mit Leistungsparametern
positiv korreliert sind - also insbesondere mit dem IQ - steigen, so überwiegt
in derAbstiegsphase die negative Selektion und die Gruppenselektion. Dieses Umschalten
von Individualselektion auf Gruppenselektion ist der entscheidende Punkt in unserem
Gedankengang, der über Darwin und Marx hinausführt. Es ist wie bei einem
Heer nach verlorener Schlacht. Die Besiegten werden als Gruppe vertrieben, umgebracht
oder versklavt; die Gruppe, der Stamm, das Volk dezimiert oder ausgelöscht.
Das hat sich in der Geschichte tausendfach abgespielt. So als sei die Erde einer
Population, die sie übernutzt, überdrüssig, so versucht die Evolution
die im Überlebenskampf unterlegene Population in die Schranken zu weisen
und programmiert sie von einem bestimmten Umschlagpunkt an in Richtung Katastrophe.
Bisher waren alle derartigen Katastrophen, wenn sie menschliche Populationen betrafen,
regionaler Natur. Zum ersten Mal hat jetzt die Menschheit im Zeitalter der fossilen
Kohlenstoffverbrennung die Weichen für eine globale Katastrophe der Art Mensch
gestellt, wobei sich die verschiedenen Weltregionen noch in verschiedenen, aber
immer rascher konvergierenden Phasen des Zyklus befinden. (Ebd., 2012, S.
434). Wenn wir davon ausgehen, daß der Mensch durch Jahrhunderttausende
von Jahren der Evolution seines Gehirns in die Lage versetzt wurde, logisch zu
denken, erfinderisch und einfallsreich zu sein, so daß er die vorhandenen
natürlichen Lebensbedingungen in mehreren großen Schritten für
sich verbessern konnte, was, insbesondere nach dem Schritt der Industrialisierung,
seine - aus der Sicht der Erde - übermäßige Vermehrung zur Folge
hatte, so ist diese Entwicklung für die geschundene Erde und Natur eine Fehlentwicklung,
die es zu korrigieren gilt. Die Erde ist der vielen Menschen überdrüssig
und muß, um sich selbst vor Verschmutzung, Klimawandel und schrankenloser
Ausbeutung ihrer Ressourcen zu schützen, einen Großteil der Menschen
binnen kurzer Frist vernichten. Das geschieht voraussichtlich im Großen
Chaos (Manfred Wöhlcke, Das Ende der Zivilisation, 2003; Peter Mersch,
Ich beginne zu glauben, daß es wieder Krieg geben wird, 2011).
(Ebd., 2012, S. 434 - 435). Der knapper werdende Raum bewirkte,
daß in Mitteleuropa bereits während des 19. Jahrhunderts der Prozentsatz
der auf Unterstützung und Hilfe Angewiesenen unaufhaltsam zu steigen begann.
Die Dörfer, in denen sie Heimatrecht hatten, waren verpflichtet, Alte und
Erwerbsunfähige zu unterstützen. Als die Zahl der Menschen, die in das
Umland der großen Städte abgewandert waren, über alle Maße
wuchs, sahen sich die Dörfer außerstande, den Verpflichtungen des Heimatrechts
nachzukommen. Um das Elend der verstädterten Massen zu lindern, erließ
Bismarck die ersten Sozialgesetze, um den Forderungen der nach allgemeiner Gleichheit
drängenden Sozialisten und Kommunisten die Spitze zu nehmen. Hatten die Leistungsschwachen
Kinder, so forderten und erhielten sie für sie staatliche Unterstützung;
je leistungsschwächer die Mutter war, desto mehr Unterstützung erhielt
sie und erhält sie. Auf diese Weise begann die Züchtung der Dummheit
- die « Verkuckuckerei« - , vor der Townsend schon 1788 gewarnt hatte.
Seit etwa 1900 haben die Armen im Durchschnitt die meisten Kinder. (Ebd.,
2012, S. 435). Beim Menschen ist es nicht anders als bei den Tieren.
Fördert man die Vermehrung von Ackergäulen, erhält man Ackergäule
und keine Rennpferde. Die Leistungskraft eines Volkes steht aber in einem direkten
Verhältnis zur Prozentzahl der vorhandenen Klugen und Tüchtigen. Die
Klugen und Tüchtigen lassen sich nicht durch Schule und Ausbildung je nach
Bedarf erzeugen, ihre Zahl ist vielmehr genetisch angelegt (wie die der Rennpferde
auch). Es ist der Irrglaube der 68er, daß dumme, kranke und schwächliche
Nachkommen, wenn sie nur gut genährt und gebildet würden, später
in der Lage seien, das erreichte hohe Niveau der abendländischen Kultur zu
halten oder gar weiter auszubauen. (Ebd., 2012, S. 435). Mangel
an Nahrung wird sofort bemerkt. Der Mangel an genügendem Raum, der die Menschen
hinderte, ihre Reichweite zu erproben, entwickelte sich hingegen langsam. Er wird
von allen Angehörigen eines Volkes als unangenehm empfunden, und zwar proportional
zur bestehenden Enge. Als sich um 1880 die Menschen vom Land und den Kleinstädten
auf der Suche nach Arbeit und Brot in den gewerbefleißigen Dörfern
rund um die großen Städte ballten, da war mit dieser Ballung der Menschen
der Aufstieg der Sozialdemokratie verbunden, die Forderung nach Gleichheit und
dem allgemeinen Stimmrecht. Die ersten sozialistischen Reichstagsabgeordneten
wurden in Sachsen gewählt, in dem industriellen Ballungsgebiet zwischen Chemnitz
und Zwickau mit der damals größten Bevölkerungsdichte weltweit.
Selbst noch während der Kampagne 1878 gegen die »rote Gefahr«
stieg die Zahl der sozialdemokratischen Stimmen dort weiter an. 1903 bereits waren
bis auf einen alle 23 sächsischen Wahlbezirke an die Sozialdemokraten gegangen.
(Ebd., 2012, S. 435). Der Leipziger Vorort, in dem ich wohne, war
um 1885 - selbst in einem internationalen Vergleich - ein außerordentlich
gewerbefleißiges sächsisches Dorf. Auf den Wiesen in den Schrebergartenanlagen
tummelten sich große Kinderscharen. Damals baute man eine große neue
evangelisch - lutherische Kirche. Heute steht die Kirche zwar noch, in ihr findet
aber nur noch selten ein Gottesdienst statt. Ist Gott drauf und dran, das Land
zu verlassen? .... Ist diese Entwicklung begrenzt oder eine allgemeine Regel?
Götter sind gestiftet worden, um mit Nachdruck darauf hinzuweisen, daß
es einige gibt, die größere Rechte haben als andere, um Regeln und
Ziele zu setzen und um Gefolgschaft einzufordern. Zu der Zeit, in der man die
soziale Hierarchie in Frage stellt, beginnt auch stets der Niedergang der bis
dahin herrschenden Religion. Das Einsetzen von Kirchenaustritten ist - wie der
Abfall der Römer von ihren alten Göttern - ein weiteres untrügliches
Kennzeichen dafür, daß eine Gesellschaft den Scheitelpunkt überschritten
und die gleichmacherische Abstiegsphase begonnen hat. Wer keinen Herrn mehr über
sich dulden will, braucht auch keinen Gott mehr. (Ebd., 2012, S. 435 - 436).
Unter der Losung »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit«
dezimierte die französische Revolution, die erste Revolution in unserem gegenwärtigen
... Zyklus, nicht nur die Aristokratie, sondern köpfte alsbald auch die aus
der Masse herausragenden Geister (vgl. Eduard Spranger, Die Kulturzyklentheorie
und das Problem des Kulturverfalls, 1926). Danach sanken erstmals die Geburtenzahlen
in Frankreich dramatisch. Dumont und Spengler (**|**)
haben dieses Ineinandergreifen der Entwicklung, diese gesetzmäßige
Parallelität zwischen politischen, wirtschaftlichen und demographischen Abläufen,
in seiner vollen Tragweite begriffen. Das Rad der Geschichte, das im Sinne Aristoteles'
den Kreislauf der Verfassungen treibt (vgl. Wilhelm Roscher, Politik, 1892;
Heinrich Ryffel, Der Wandel der Staatsverfassungen, 1949), äußert
sich in einer gesetzmäßigen Sukzession (vgl. u.a. Rolf Peter Sieferle,
Das Ende der Fläche, 2006) des Zeitgeists, der sozialen Ordnungen,
der politischen Verhältnisse und der Zahl der in den Sozialschichten geborenen
Kinde. (Ebd., 2012, S. 436). Die Judenpogrome in der Ukraine,
die Hunderttausende Juden nach Mitteleuropa trieben, sind nichts anderes als eine
weitere Erscheinungsform des Kampfes gegen das Ungleiche im enger werdenden Raum
gewesen. Waren in der sozialen Oberschicht die Angehörigen einer anderen
Rasse oder eines anderen Volkes besonders häufig, so wurden sie früher
oder später zwangsläufig zur Zielscheibe, nicht nur die Juden. Regionale
Wirtschaftseliten wie die Chinesen in Südostasien, die Libanesen in Westafrika,
die Inder in Ostafrika, die vor 1941 zahlreichen Deutschen in Osteuropa, die Armenier
in Kleinasien - sie alle wurden früher oder später zum Gegenstand von
Terror und Vertreibung, ja Ausrottung. Wer bei demokratischen Wahlen die Masse
gegen eine rassisch, ethnisch und sozial abgehobene Wirtschaftselite aufbringt,
hat gute Chancen, die Wahlen und die Macht zu gewinnen (vgl. Jürgen Schwab,
Die Mitschuld der Rechten am Volkstod, 2009). Nach ihrer Vertreibung oder
Ausrottung standen die »befreiten« Regionen mittel - und langfristig
zwar stets wirtschaftlich schlechter da als zuvor, aber das Untergangszenario
war in seiner inneren Logik einen notwendigen Schritt vorangekommen. (Ebd.,
2012, S. 436). 1941 lebten in Indien 114.000 Parsen. Diese 0,03%
der Bevölkerung Indiens stellten vor 1940 7% aller Ingenieure und 5 % der
Ärzte des Riesenlandes. 98% aller Parsen können lesen und schreiben,
mehr als jeder andere Bevölkerungsteil Indiens. Seit Generationen schon sind
auch ihre Frauen gebildet und ins geistige Leben einbezogen. Seit 1953 ist die
Geburtenzahl bei den Frauen der Parsen unter die magische Zahl Zwei gesunken.
Um 1980 wurde ein Stand erreicht, wie er für die europäische Bildungsschicht
typisch ist. In Indien wurden um diese Zeit aber pro Frau durchschnittlich vier
Kinder mehr geboren. Ab 2000 sank bei den Parsen die Geburtenzahl pro Frau unter
ein Kind - wie wir das aus unseren großstädtischen, sonnenenergiehungrigen
Bildungsmilieus auch kennen. Demzufolge war die Gesamtzahl der Parsen auf 69.000
im Jahre 2001 geschrumpft. Ihr Altersaufbau ähnelt der eines alten Industrielandes
und steht damit in krassem Gegensatz zu der noch klassischen Alterspyramide Gesamtindiens.
Eine wachsende Zahl der Parsen bleibt unverheiratet oder heiratet spät. 2050
wird es deshalb voraussichtlich nur noch etwa 39.000 Parsen in Indien geben. Viele
fähige Leute sind auch ausgewandert; unter dem ständig weiter schrumpfenden
Rest häufen sich die Fälle für die Sozialhilfe. Die Parsen sind
- noch ausgeprägter als die säkularisierten Juden - damit das Sinnbild
für das Schicksal der Industriegesellschaft und der sie tragenden Eliten
(vgl. Wilhlem Stahl, Der Elitekreislauf in der Unternehmerschaft, 1973;
Robert Scheithauer, Deutschland nach Verlust seiner Eliten, 2003), die
wie in einem Meer untergehen; die Parsen sind unter den inzwischen weit über
eine Milliarde zählenden Indem im Zeittakt nur eine Generation fortschrittlicher.
Den Parsen, die 1974 ein Buchtitel als »Motoren des sozialen Wandels«
(Kulke 1974) bezeichnet hat, geht es damit wie den kinderlosen Feministinnen.
Haben sie sich eines Tages selbst ausgerottet (vgl. Susanne Gaschke, Die Emanzipationsfalle,
2005), wird auch der von ihnen verkörperte Wandel wieder verschwunden sein.
(Ebd., 2012, S. 436-437).Das volle Durchlaufen eines Zyklus der
Verfassungen setzt voraus, daß sich in einer langen Aufschwungsphase der
mittlere IQ der Bevölkerung deutlich erhöht, die Hexenverbrennungen
eingestellt werden und der Rechtsstaat entsteht, der eine Voraussetzung der Industriegesellschaft
ist. Preußen, Sachsen, England und andere Staaten waren Rechtsstaaten, ehe
sie Demokratien wurden. Den Scheitelpunkt ihres wirtschaftlichen Aufstiegs erreichten
diese Staaten vor 1890 (vgl. Ehrhardt Bödecker, Preußen und die
Marktwirtschaft, 2006) zu einer Zeit, in der sie nach heutigem Verständnis
keine entwickelten Demokratien waren. (Ebd., 2012, S. 437).Staaten
mit viel zu kurzen Aufschwungsphasen und niedrigem mittleren IQ haben keine Chance,
das Stadium einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung überhaupt zu erreichen,
sondern oszillieren zwischen Oligarchie und Tyrannis, ehe sie in den Strudel gerissen
werden. So simpel diese Einsicht ist, so versperrt ist sie den Politikern, die
Milliarden Dollar an Militärausgaben sparen könnten, mit denen sie Menschen
eine politische Ordnung aufzwingen möchten, in die diese aus sich selbst
heraus nur in sehr langen Zeiträumen hineinwachsen könnten. Wer meint,
heute zum Beispiel im Kongo mit einer Abstimmung eine Demokratie errichten zu
können, die diese Bezeichnung auch nur annähemd verdient, zeigt damit
nur, daß er - ebenso wie mit der Handlungsunfähigkeit gegenüber
der Masseneinwanderung und fehlgeleiteter Welthungerhilfe - hoffnungslos den Denkschablonen
des Zeitgeists und der sich daraus ergebenden Serie von Fehlentscheidungen und
Entwicklungen verhaftet ist, aus denen das weltweite Katastrophenszenario folgt.
Wirtschaftlicher Aufschwung hat in den letzten Jahrzehnten, ebenso wie in Europa
vor 1890, vor allem in Staaten mit autoritären Regierungen und hohem mittleren
IQ der Bevölkerungen stattgefunden: in Südkorea, Taiwan, Singapur, Malaysia.
(Ebd., 2012, S. 437).Während des Aufschwungs kommt es in allen
Staaten zu einer Phase, in der eine sehr junge Bevölkerung lebt, mit zahlreichen
jungen Männem - drittgeborene, viertgeborene, fünftgeborene Söhne
- die nach einem Lebensinhalt suchen. Wie zahlreiche Statistiken bestätigt
haben, führt eine derartige Bevölkerungsstruktur fast zwangsläufig
zu einer expansiven kriegerischen Politik der betreffenden Staaten. Wo diese scheiterte
und mit dem Ventil der überseeischen Auswanderung nicht genügend Dampf
abgelassen worden war, brach sich die Gleichheitsideologie ... in Europa Bahn.
(Ebd., 2012, S. 437-438).Für die Stunde, die das Zeigerblatt
der Geschichte 2030 in Europa zeigen wird, macht es fast keinen Unterschied, ob
England, das Deutsche Reich, Italien oder Rußland sich im Ersten oder Zweiten
Weltkrieg auf der Seite der Sieger befanden oder nicht. In den wesentlichen Krisensymptomen
sind sie sich ähnlich, und im Abgrund der Geschichte ist Platz für alle
(vgl. Heinrich Karl Erben, Leben heißt sterben, 1981). (Ebd.,
2012, S. 438).
Entstehung und Erschöpfung des Sozialstaates.
Der
Kreislauf, den wir erleben und der etwa am Ende des 17. Jahrhunderts begann und
bis in die Mitte des 21. Jahrhunderts dauern wird, besteht aus Auf- und Abstieg,
jedoch niemals geradlinig abwärts, sondern unter Beibehaltung der Grundrichtung
wellenförmig, manchmal beschleunigt, manchmal gebremst. Wann war dabei der
Umkehrpunkt erreicht, von dem an es kein Zurück mehr gibt? Es ist im übertragenen
Sinne der Punkt, an dem der Brennsatz der Rakete erlischt. Von diesem Punkt an
verläuft der Flug nach Gesetzen einer ballistischen Kurve, anfänglich
noch steigend, dann aber langsam umkippend und schließlich immer rascher
abwärts führend. Für das Deutsche Reich lag dieser Punkt zweifellos
bereits zwischen den Jahren 1880 und 1890. Dieser Punkt ist nicht zu verwechseln
mit dem Gipfelpunkt einer Kultur, von dem es dann mehr oder wenig schnell, aber
ständig abwärts geht (vgl. Edgare Julius Jung, Die Herrschaft der
Minderwertigen, 1927). Dieser Gipfelpunkt, erkennbar vor allem an der Weltgeltung
der deutschsprachigen Wissenschaft, lag nach 1918 (diese
Weltgeltung - den 1. Weltrang [mit weitem Abstand, in allen Bereichen Weltmeister
{**}]
- hatte Deutschland auch schon im19. Jahrhundert! HB). (Ebd., 2012,
S. 438).Vor 1820 betrug die Armenunterstützung in allen späteren
Industriestaaten weniger als 3% des Bruttosozialprodukts, in England 1776 zum
Beispiel 1,6%. Noch 1910 war im Deutschen Reich die Marke von 1% nicht überschritten.
Unterstützungen dieser und ähnlicher Art - sie tragen in den einzelnen
Ländern zu verschiedenen Zeiten verschiedene Bezeichnungen - belaufen sich
heute in den meisten entwickelten Demokratien auf etwa 20% des Bruttosozialprodukts,
wobei seit etwa 1980 eine weitere Steigerung mehr möglich war; in einigen
Ländern sind die Leistungen seit diesem Zeitpunkt gekürzt worden. Was
trieb im 20. Jahrhundert die Politik vorwärts und veranlaßte eine derartige
Steigerung der Umverteilung? (Ebd., 2012, S. 438).Der Umschlagpunkt,
von dem an es kein Entrinnen mehr aus dem Kreislauf der Verfassungen gibt, ist
die Einführung des allgemeinen und gleichen Stimmrechts. In England wird
dieser Zeitpunkt durch den Second Reform Act 1867 markiert, von dem an der Einfluß
der Sozialisten auf die Gesetzgebung zunahm. Der Historiker Willibald Steinmetz
hat die Parlamentsdebatten im Vorfeld dieser Entscheidung eingehend analysiert:
»Seit 1831/32 beschleunigte sich also der paradox erscheinende
Prozeß, daß die Politiker praktisch und in kleinen Schritten immer
neue Machbarkeitsansprüche formulierten oder zuließen, während
sie in der Theorie jedoch weiterhin mehrheitlich eine Ideologie vertraten, die
gegen jede gewollte Expansion staatlicher Daueraufgaben und entsprechender Finanzzuweisungen
gerichtet war.« (Willibald Steinmetz, Das Sagbare und das Machbare,
1993, S, 320). Und weiter: »Wir beobachten also, daß zwischen fortschreitender
Demokratisierung und einhergehender Expansion der staatstätigkeit ein ursächlicher
Zusammenhang bestand« (Ebd., S. 377). (Ebd., 2012, S. 438-439).Dadurch
verringerte sich zwar einige Jahrzehnte lang die Ungleichheit, aber um den Preis
höherer Steuern. Ohne daß den Massen die Folgen bewußt sind,
bejubeln sie in einer Demokratie mit allgemeinem Stimmrecht, so als wären
sie biologisch gesteuert, stets jene Maßnahmen, die ihre momentane Lage
erleichtern. Diese jedoch führen mit Sicherheit mittel- und langfristig zu
einer Zuspitzung der gesamtwirtschaftlichen Lage, bringen eine Verschlechterung
der Lebensbedingungen mit sich und münden letztlich in eine Katastrophe.
Der Politiker, der eine Wahl und damit die Macht gewinnen will, muß in der
Regel zur Heilung der Mißstände die verstärkte Gabe des Mittels
anpreisen, das die Übel erst verursachte, nämlich die progressive soziale
Umverteilung. Versucht eine Partei gegenzusteuern, scheitert sie spätestens
bei der übernächsten Wahl. Nach der Einführung des allgemeinen
Wahlrechts führt der politische Wettbewerb um Wählerstimmen unweigerlich
zur Ausweitung der Staatsausgaben und vor allem ihres unmittelbar wählerwirksamen
Teils, den Sozialausgaben. (Ebd., 2012, S. 439).»Die
persönliche Gleichheit als Grundprinzip der modernen Demokratie, etwa die
Gleichheit aller im Wahlrecht oder aber die Gleichheit aller vor dem Gesetz ...
sind der sozialen Gleichheitsforderung vorangegangen«, stellte der Sozialwissenschaftler
und Volkswirtschaftler Hans Achinger fest (vgl. ders., Sozialpolitik als Gesellschaftspolitik,
1958, 55 f.). »Der Glaube an die Gleichheit von Personen ungleicher sozialer
Stellung führt notwendigerweise zu der Ansicht, daß die Mehrung sozialer
Ungleichheit immer ein Übel, die Minderung sozialer Ungleichheit immer ein
Fortschritt sei. Wie lebhaft diese Konsequenzen gezogen werden, hängt freilich
zunächst davon ab, welchen Rang im Wertsystem überhaupt die sozialen
Zustände, die ,irdischen Güter: einnehmen, wieweit also das diesseitige
Leben mit seinem Herr- oder Knechtsein Gewicht hat. Die soziale Gleichheitsforderung
gewinnt deshalb erst den richtigen Schwung, wenn die Säkularisierung weit
genug fortgeschritten ist. Die für diese Säkularisierung entscheidenden
Jahrzehnte sind zugleich die Entstehungszeit des Sozialismus und der sozialen
Frage, wie sie auch von den Gegnern des Sozialismus verstanden wurde. .... Ist
also der Ausgleich sozialer Unterschiede ein ernsthaftes Ziel, ist einmal der
Glaube gefestigt, daß soziale Unterschiede nicht aus Wertunterschieden der
Subjekte hervorgehen, so muß die Gleichheitspolitik sehr bald darauf gerichtet
werden, daß das, was an der jetzigen Ordnung, unter den jetzt Erwachsenen
an bedauerlicher Ungleichheit nicht mehr auszugleichen ist, wenigstens an den
Kindern ausgeglichen werde. Die Gleichheitsforderung geht damit über in die
Forderung nach gleichen Startchancen.« (Ebd., 2012, S. 439).Der
Wirtschafts - und Sozialwissenschaftler Eduard Heimann war schon 1929 zu dem Schluß
gekommen: »Die Wucht, mit der die Masse der arbeitenden Menschen von
der sozialen Idee ergriffen ist, äußert sich in der Stellung der aufWahlstimmen
angewiesenen Parteien zur Sozialpolitik,. die sozialpolitischen Bekenntnisse sind
Anpassungserscheinungen« (Eduard Heimann, Soziale Theorie des
Kapitalismus, 1929, 180). Und: »Sozialpolitik ist der
institutionelle Niederschlag der sozialen Idee im Kapitalismus und gegen den Kapitalismus.«
(Ebd., 1929, S. 290). (Ebd., 2012, S. 439).Die im 19. Jahrhundert
gereifte Einsicht, der Staat solle fortan der Gestaltung der gesellschaftlichen
Bedingungen und somit allen zugute kommen, ftihrte an der Schwelle zum 20. Jahrhundert
zur Entstehung des Sozialstaats, der die bürgerliche Gesellschaft veränderte
und liberale Gegenströmungen zurückdrängte. Wenn wir uns noch einmal
vergegenwärtigen, daß »sozial« in der Regel »umverteilen«
bedeutet, dann ist auch hier wieder der Gleichklang beeindruckend, mit dem die
Entwicklung in allen entwickelten Industriestaaten abgelaufen ist. »Im
ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts gab es im nordatlantischen Wirtschaftsraum
kein einziges Parteiensystem, das nicht von der neuen Sozialpolitik tieferschüttert
worden wäre«, merkte der US-Historiker Daniel T. Rodgers an und
führte weiter aus: »In Großbritannien verabschiedete die liberale
Regierung der Jahre 1906 bis 1914 eine ganze Reihe von Gesetzen, die Franklin
Roosevelt noch 25 Jahre später ihrer Kühnheit wegen im Gedächtnis
geblieben waren. Für die mittellosen Alten führte sie ein aus Neuseeland
übernommenes Rentensystem ein. Aus Deutschland übernahm sie die obligatorische
Krankenversicherung für Lohnempfänger. .... Eine Reihe von Lohnkommissionen
nach australischem Vorbild stattete sie mit der Befugnis aus, zugunsten der am
stärksten ausgebeuteten Arbeiter gesetzliche Mindestlöhne festzulegen.
Zur Herstellung steuerlicher Gerechtigkeit führte sie eine progressive Grund-
und Einkommensteuer ein. Für die Arbeitslosen gab es von nun an wie in Deutschland
ein Netzwerk von staatlich betriebenen Arbeitsämtern, sowie für Arbeiter
in Berufen mit besonders unsicheren Beschäftigungsverhältnissen den
bisher noch unerprobten Versuch, durch eine staatlich verwaltete Versicherung
die Risiken der Arbeitslosigkeit zu vergemeinschaften. Die Koalitionen von Radikalen,
die zwischen 1899 und 1914 Frankreich regierten, hatten ähnlich Ziele: eine
progressive Einkommenssteuer, staatliche medizinische Unterstützung für
die älteren Armen, eine gesetzlich festgelegte maximale Dauer eines Arbeitstages,
Steuersubventionen für gewerkschaftliche Arbeitslosenunterstützung,
staatliche Vermittlung in Arbeitskonflikten und ... eine obligatorische Altersversicherung
nach deutschem Vorbild. ....Auf beiden Seiten des Atlantiks nutzten Politiker
die neuen Themen, um zu Macht und Popularität zu gelangen. David Lloyd George
und der junge Winston Churchill in Großbritannien, Georges Clemenceau in
Frankreich, Theodore Roosevelt und Woodrow Wilson in den Vereinigten Staaten.
Parteien und Interessengruppen formulierten radikale soziale Programme. .... Für
den Rest des 20. Jahrhunderts konnte keine Politik mehr ohne Berücksichtigung
sozialpolitischer Aspekte gemacht werden.« (Ebd., 2012, S. 439-440).Walter
L. Bühl führte mit Blick auf den Wohlfahrtsstaat aus: »Die
Wohlstandsgesellschaft wird gesichert vom Wohlfahrtsstaat, insofern der Staat
die Garantie für ein bestimmtes Mindesteinkommen bzw. für die Daseinsvorsorge
im Falle von Krankheit und Unfall, von schulischer und beruflicher Ausbildung
oder Altersrente, von Arbeitslosigkeit oder Wohnungsmangel übernimmt und
schließlich auch noch in die Angleichung und Umverteilung des Arbeitseinkommens
einzugreifen versucht. .... Wenn die Leistungen des Wohlfahrtsstaates genutzt
werden, ohne daß dieser Nutznießung vergleichbare eigene Anstrengungen
gegenüberstehen (bzw. wenn der Staat diejenigen, die zusätzliche produktive
Leistungen hervorbringen, überproportional zu Steuern und Abgaben heranzieht,
während er seine sozialen Leistungen großzügig. ..verteilt), dann
gerät der wohlfahrtsstaat in das Dilemma der massenhaften Ausbeutung kollektiver
Güter, d. h. die vom Staat bereitgestellten Güter dienen nur noch zum
Teil der kollektiven Daseinsvorsorge, während sie zu einem beträchtlichen
Teil durch Schwarz- und Trittbrettfahrer genutzt werden, die selbst durch Leistungsrückhalt
glänzen. ...Die Kombination von Wohlfahrtsstaat und Konsumgesellschaft trägt
so ein Moment der Selbstzerstörung in sich.Der
unbestrittene Sinn des Wohlfahrtsstaates - und auch der Ausgangspunkt seiner Krise
- liegt im Versicherungsprinzip und im Schutze des Bürgers vor nichtverschuldeten
Unglücksfällen und Belastungen durch die Versicherungsgemeinschaft aller
Staatsbürget: ...Private Versicherungsgesellschaften staffeln ihre Leistungen
und Beiträge nach versicherungsmathematischen Prinzipien, eine staatliche
Zwangsversicherung aber hat die Tendenz, die Versicherten ohne Ansehen der Risiken
und der zu erwartenden Beitragsleistungen zu versichern und den Kreis der Mitglieder
( oder/und ihre Beitragszahlungen) laufend zu erhöhen, ... je stärker
der politische Einfluß der sozialistischen oder sozialdemokratischen Parteien
ist. Doch mit zunehmender wirtschaftlicher Höhe verschwinden selbst die Unterschiede
zwischen verschiedenen politischen Systemen und Regierungskoalitionen: Das ...
Dilemma ist für alle Wohlfahrtsstaaten schließlich das gleiche. Die
übermäßige Ausweitung des Versicherungsangebotes führt einerseits
zu einer dauerhaften und für das Staatsganze schädlichen Verhaltensänderung
bei den Staatsbürgern, komplementär dazu (als Ursache wie als Folge)
führt es aber auch zu einer überproportionalen Vergrößerung
des öffentlichen Sektors und zu einer Schwächung der Marktkräfte.
Die nächste Konsequenz auf seiten der Verhaltensänderung ist die Förderung
des Anspruchsdenkens und - in der weiteren Folge - dann auch die Unselbständigkeit
und psychische Abhängigkeit von den Wohlfahrtsleistungen und - einrichtungen
des Staates. Zunächst, d.h. in Zeiten der wirtschaftlichen Expansion, erfolgt
eine exzessive Steigerung der Erwartungen und desto größer wird seltsamerweise
die Differenz zwischen dem tatsächlichen schon erreichten und dem für
erreichbar gehaltenen Stand. Den Politikern wie den Wählern aber ist in der
Zeit der Expansion entgangen, daß die Ausweitung der Wohlfahrtsleistungen
nicht umsonst zu haben wal; sondern durch (relativ gleichbleibende, aber absolut
gestiegene) Steuereinnahmen finanziert worden ist. Erst in einer Zeit der Rezession
wird ihnen wieder klal; daß der Staat nicht mehr geben kann, als er einnimmt
- und sogar einiges wenigel; wenn die nicht geringen Verwaltungskosten des Staates
in Abzug gebracht werden. Umgekehrt glauben die Politiker an den Erfolg ihrer
bisherigen Wohlfahrts - und Umverteilungspolitik, oder sie glauben jedenfalls,
daß die Höhe ihrer Wahlstimmen ... von der Höhe der Wohlfahrtszahlungen
bzw. der Aufrechterhaltung der falschen Hoffnungen abhängig ist. .... In
gewisser Weise ist der Wohlfahrtsstaat ein Opfer seines Erfolgs geworden: Indem
er nämlich die an ihn gestellten Erwartungen zunächst voll erfüllt
hat, hat er neue und schwerer zu erfüllende Bedürfnisse geweckt, die
selbst in einer Wachstumsphase kaum und in einer Rezessionsphase schon gar nicht
mehr zu erfüllen sind.« (Walter Ludwig Bühl, Ökologische
Knappheit, 1981, S. 106 ff.). (Ebd., 2012, S. 440-441).Bühl
an anderer Stelle: »In Wirklichkeit hat der Wohlfahrtsstaat nur in Friedenszeiten
und bei wirtschaftlichem Wachstum funktioniert; gerade in dieser Zeit aber wurde
die Logik des Wohlfahrtsstaates umgekehrt: der Staat hat seine Wohlfahrtsleistungen
aufgestockt, weil und wann immer er es sich leisten konnte, nicht weil eine Aufstokkung
nötig gewesen wäre. .... Die Grenze ist dort erreicht - in der Krankenversicherung
wie in der Arbeitslosenversicherung -, wo die Selbstbeteiligung oder der durch
individuelle Anstrengungen zu erreichende Differenzbetrag zu gering ist, als daß
eigene Anstrengungen noch lohnend erscheinen würden. Das Gesetz vom abnehmenden
Nutzenzuwachs gilt eben auch für die Sozialversicherung. ....Mehr
oder weniger zu einem öffentlich geförderten und gerechtfertigten Betrug
aber wird der Wohlfahrtsstaat, wenn er seine Bürger für Versicherungsleistungen
bezahlen läßt, die er tatsächlich nicht erbringen kann. Das gilt
vor allem für die ... Geldwertstabilität: denn wenn die Ansprüche
über die Mittel hinausgehen, dann müssen die Mittel rationiert werden,
und die Ansprüche werden ihre inflationäre Wirkung nicht verfehlen.
Was der Staat auf diese Weise erreichen kann, das ist allein die öffentliche
Verschuldung, die durch Erhöhung von Steuern und Abgaben und schließlich
durch die Geldentwertung unter Kontrolle gebracht werden soll. ....Die
Fortentwicklung der Wohlfahrtspolitik wird vor allem durch die in den Verbänden
organisierten (und mit den Parteien und Bürokratien verbundenen) Interessengruppen
... bestimmt, die im Vertrauen auf die Aufrechterhaltung des sozialen Netzes
durch den Staat, die Interessen ihrer Klientel auf Biegen und Brechen verfolgen
können oder die - noch schlimmer - den größten Teil der Mittel
für den paternalistischen Apparat von Sozialarbeitern und -beratern ... verbrauchen.
Diese Tendenz wird noch dadurch verstärkt, daß diese Interessen zunehmend
von Funktionären in beamtenähnlichen Stellungen und mit starken bürokratischen
Apparaten verfochten werden, von Funktionären also, die von den negativen
Konsequenzen ihres Handelns ... selbst nicht betroffen werden. Der Fehler der
Wohlfahrtsdemokratie liegt ... in der unzureichenden Kontrolle, der Verteilung
und Effektivität der Leistungen, die von den organisierten Gruppen beansprucht
und durchgesetzt werden, ohne daß damit ... das Entwicklungspotential des
Gesamtsystems verbessert würde.« (Walter Ludwig Bühl, Krisentheorien,
1984, S. 156 ff.). (Ebd., 2012, S. 441-442).Im Verlaufe des
20. Jahrhunderts sind alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union Sozialstaaten
geworden. Je weiter eine Nation auf dem Wege zur Industriegesellschaft vorangeschritten
ist, desto stärker mußte sich der Staat sozialpolitisch engagieren
und desto mehr mußte sich der Staat die Umverteilung kosten lassen, desto
mehr mußte er deshalb Steuern eihtreiben. Hierzu nochmals Achinger: »Unter
den umfassendsten gesellschaftlichen Auswirkungen der Sozialpolitik ist wohl die
augenfälligste Erscheinung das Anwachsen der Staatsaufgaben. .... Der moderne
Staat unternimmt es, in jedem einzelnen Haushalt mitzureden, dafür Beträge
und Steuern abzuziehen, an anderer Stelle Renten auszuwerfen; und das nicht um
irgendwelcher Staatszwecke willen, um die es früher ging, sondern um dem
einzelnen beim Leben zu helfen, das er allein nicht mehr meistern kann.«
(Hans Achinger, Sozialpolitik als Gesellschaftspolitik, 1958, S. 155).
(Ebd., 2012, S. 442).Als diese Sätze 1958
gedruckt wurden, betrug die Staatsquote noch um die 30%, gegenüber mehr als
50% heute (**|**|**|**|**).
Dennoch ahnten Weitblickende wie Achinger schon die Probleme: »Offensichtlich
wird die Kunst, die Gesellschaft mit politischen Mitteln zu gestalten, in großem
Umfang geübt. Aber diese Kunst ist noch nicht in ihren Voraussetzungen erkannt
oder gar in den Weiterwirkungen des Handelns berechnet, vielfach sind sich die
Akteure ihrer Reichweite kaum bewußt. .... Daher auch die heute international
dominierende Meinung, das einfachste Mittel, die Einkommensverteilung nämlich,
sei tatsächlich das dominierende Werkzeug des sozialen Fortschritts. Es ist
unmöglich, die bisherige Entwicklung ohne große Sorgen zu betrachten.«
(Hans Achinger, Sozialpolitik als Gesellschaftspolitik, 1958, S. 158 f.).
(Ebd., 2012, S. 442).Eine Erfindung der Demokratien mit allgemeinem
Stimmrecht, die den Umschlagpunkt vom Aufstieg zum Abstieg einer Gesellschaft
ebenfalls nachhaltig markiert, ist die Steuerprogression. Wie richtig diese Einschätzung
ist, sollen einige Kernsätze belegen, die schon im 19. Jahrhundert geschrieben
worden sind: »Kein finanzwissenschaftliches Prinzip ist heute so populär
wie das der Steuerprogression. Die demokratische und sozialistische Strömung
der Zeit spendet begreifticherweise einem Satz der Wissenschaft Beifall, dessen
Tendenz die Ueberwälzung der Steuerlast von den Schultern der Minderbemittelten
auf die der Reichen ist.« (Max Grabein, Beiträge zur Geschichte
der Lehre von der Steuerprogression, in: Finanzarchiv, 12, 1895, S. 471).
(Ebd., 2012, S. 442).»Die Verknüpfung mit den kommunistischen
Theorien und Massnahmen des Revolutionszeitalters war in der That die Veranlassung
geworden für die so verbreitete Auffassung der Steuerprogression als Mittel
zur Vermögensnivellierung. .... Vor allem kommt hinzu, dass unsere heutige,
auf dem Gleichheitsprinzip beruhende Kultur zu einer gewaltigen Steigerung der
Macht der unteren Klassen geführt hat. .... Das allgemeine gleiche Wahlrecht,
... und Schulunterricht geben den unteren Klassen einen enormen Einftuß.«
(Max Grabein, Beiträge zur Geschichte der Lehre von der Steuerprogression,
in: Finanzarchiv, 13, 1896, S. 115 ff.). (Ebd., 2012, S. 442).Manchmal
hatten zwar Staaten Gesetze erlassen, um die Reichen besonders stark zu belasten
oder gar zu enteignen, aber das nur in ausgesprochenen Kriegs- und Notzeiten,
und die Gesetze wurden nach Beendigung des Krieges wieder außer Kraft gesetzt.
Als 1891 dem Preußischen Haus der Abgeordneten zum ersten Mal ein Gesetzentwurf
über Steuerprogression zur Zustimmung vorlag, veranlaßte das den nationalliberalen
Abgeordneten Rudolf von Gneist (1816-1895) zu einer grundsätzlichen Rede
dagegen (1891,907 f.): »Der Vorschlag ist das Schlimmste, was je von diesem
Haus beschlossen werden könnte. ...Unsere Zeit ist ja durchdrungen mehr und
mehr von der Idee der Gleichheit und Gleichberechtigung für alle Schichten
der Gesellschaft. Die allerheiligsten politischen Grundsätze der Gleichheit
werden sich aber untreu, wenn wir an die Frage der Progressivsteuer herangehen.
Da verleugnet selbst die absolute Demokratie. .. ihre Grundsätze, wenn es
sich darum handelt, den Reichen schärfer zu treffen. ...Verlassen wir aber
den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz auf diesem Gebiet, so machen wir uns
keine Illusionen darüber, daß damit jeder Halt gegen die Begehrlichkeit
und die Maßlosigkeit der besitzlosen Klassen uns aus den Händen geht.
...Von dem Moment ab, wo Sie den Grundsatz der Gleichheit verlassen, wird Ihnen
die Sozialdemokratie sofort beweisen, daß man ebensogut 10 Prozent (statt
4 Prozent) nehmen kann. ...Und wenn Sie dann wirklich die 10 Prozent erlangt hätten,
so würde die Sozialdemokratie sagen, man kann auch 30 und 40 Prozent Einkommensteuern
geben. ...Ich h öre schon die Wahlreden bei den nächsten Reichstags
- und Landtagswahlen, wie man da dorthin hinaufweisen wird, wo noch viel mehr
zu holen sei, und wie man die Armen und Bedrückten von ihrer Steuerlast immer
noch mehrerleichtern kann. ...Denn bei den Wahlen kommt es auf das Urtheilder
Massen an, und sobald die Massen auf diesen Wegweiser hingewiesen sind, so siegen
stets die extremen Forderungen. Einen Historiker, der diese Verhandlungen mit
anhört, könnte ein unheimliches Gefühl beschleichen in Erinnerung
an ähnliche Vorgänge der Girondisten. ...Sie glaubten, man könne
jeden Rechtsgrundsatz beiseite legen, wenn man nur nach Möglichkeit entgegenkäme
der Begehrlichkeit der besitzlosen Klassen.« (Heinrich Rudolf Hermann Friedrich
von Gneist, Rede auf der 35. Sitzung vom 17. Februar 1891 - Stenographische
Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten,
1891. S. 907 f.). (Ebd., 2012, S. 442-443).Um diese Zeit
galt die Forderung von Obermüller (1840), den Spitzensteuersatz der Reichen
bis auf 50% anzuheben, noch als reine Utopie. Heute ist aber in einigen Industrieländern
dieser Spitzensteuersatz nahezu erreicht, ohne daß damit allein schon dem
»Elend der arbeitenden Volksklassen« abgeholfen worden wäre,
wie das Obermüller bei seinem Vorschlag vorschwebte. Über seinen Realismus
kann man anderthalb Jahrhunderte später dennoch staunen. Obermüller
hielt nämlich die vollständige GÜtergleichheit, wie sie die utopischen
Kommunisten Babeuf (1760-1797), Robert Owen (1771-1858) und Charles Fourier (1772-1837)
wollten, für unmöglich: »Auf diese Art wären diejenigen,
welche ein reines Einkommen von solcher Größe haben, gezwungen, am
Ende fast ihr ganzes Einkommen abzugeben, so daß sie weniger übrig
behielten, als wenn sie nur halb so reich gewesen wären. Die notwendige Folge
davon wäre, daß sich Jedermann hüten würde, so reich zu werden.
.... Es gibt aber Leute, deren produktive Talente so groß sind, daß
sie allein 100 Mal mehr leisten, als eine Menge Anderer zusammen. Es wäre
kein geringer Verlust, ihren Eifer durch eigensinnige, pedantisch durchgeführte
Gütergleichheit zu lähmen. Bloß die Hoffnung großen Gewinnes
treibt die Menschen zu gewaltigen Anstrengungen, sobald erstere genommen und Jedem
schon zum Voraus sein Ziel gesteckt ist, hat alle besondere Lust und Regsamkeit
zum Erwerb ein Ende. Es geht dann Alles so den Schlendriansweg. .... Die Progression
darf nie das gesamte Einkommen verschlingen.« (Wilhelm Obermüller,
Das Gütergleichgewicht, 1840, S. 29 ff.). Obermüller erkannte,
daß ein Spitzensteuersatz über 50% die Spitzenkönner zur Auswanderung
treiben würde. Und tatsächlich wird heute der Spitzensteuersatz durch
den Wettbewerb der Staaten untereinander unter diesem Prozentsatz gehalten (Razin
und Sadka 2005). (Ebd., 2012, S. 443).Obermüller erteilte
aber auch noch einen anderen Ratschlag: »Der Staat lasse sich nie verleiten,
aufs Betteln und Kinderzeugen Prämien zu setzen« (Wilhelm Obermüller,
Das Gütergleichgewicht, 1840, S. 73). Dagegen wurde nun gründlich
verstoßen. Auf derselben Parlamentssitzung, auf der 1891 in Preußen
die Steuerprogression verabschiedet wurde, lag auch ein allererstes Gesetz zur
Abstimmung vor, durch das Geringverdiener mit Kindern von Steuern befreit wurden.
Wir wissen heute: An diesem Tag begann die Züchtung der Dummheit. In der
gesamten Menschheitsgeschichte war bis dahin die wirtschaftliche Tüchtigkeit
der Eltern die voraussetzung, daß ihre Kinder aufwachsen konnten. Waren
die Eltern untüchtig, so sollten oder durften sie nicht heiraten; hatten
sie dennoch Kinder, so war deren Schicksal meist beklagenswert und ihre Überlebenschance
gering. Das änderte sich fortan und bis auf den heutigen Tag. Es wird sich
wieder ändern, wenn niemand mehr die Kraft haben wird, denen zu helfen, die
sich nicht selber helfen können, und zwar nicht nur in Ostafrika oder in
Haiti. (Ebd., 2012, S. 444).Das Ende der Ständegesellschaft
brachte damit nicht nur die Demokratie und die Leistungsgesellschaft, sondern
auch die Einführung der Steuerprogression und des Wohlfahrtsstaates mit Kinderprämien
für Habenichtse. Lebten in den Gutshäusern Preußens bis dahin
kopfstarke Adelsfamilien, die Beamte, Gelehrte und Offiziere stellten und kopfstarke
Familien in den Häusern der tüchtigen Bauern und Bürger, so begann
sich das umzustellen - bis hin zur Situation heute, in der mancher, der keine
Arbeit hat, aber ein große Hecke Kinder, über mehr Geld aus Sozialleistungen
verfügt als ein anderer, der arbeitet und wenige Kinder hat (vgl. Thilo Sarrazin,
2010). (Ebd., 2012, S. 444).Die Steuerprogression begann
fortan den Geldüberschuß umzuverteilen, der einst überall Rittergüter,
Gutsparks, Stiftungen und Investitionen aller Art getragen oder ermöglicht
hatte). Der Staat glaubt heute, das Geld gerechter verwenden zu können. In
Mitteldeutschland reichen diese Einnahmen in den meisten Gemeinden aber nicht
dafür aus, um die Kultur weiterzutragen, die das Landesbild geprägt
hat. Nur einige Orte erfreuen sich an Unternehmerfamilien, die trotz Steuerprogression
so wohlhabend sind, daß sie über die eigene Familie und Firma hinaus
wirken können. (Ebd., 2012, S. 444).Vor 1891 haben die
sehr großen, durch keine Steuerprogression erfaßten Einkommen bei
der Finanzierung des wirtschaftlichen Fortschritts eine große Rolle gespielt,
insbesondere beim Erproben technischer Neuerungen. Fast jede Neuerung, die nach
und nach auch den großen Massen zur Selbstverständlichkeit geworden
ist, von den sanitären Anlagen über Radio und Fernsehen bis hin zum
Auto, haben einst als teure Luxusartikel begonnen, die nur sehr wenigen erschwinglich
waren. Die starke Steuerprogression verringert heute die mögliche Gewinnspanne
und mindert damit die Risikobereitschaft der Unternehmer, aber auch die Anreize
zum sozialen Aufstieg. In einer gefestigten Demokratie wird jedoch das als nachgeordnete
Folge der Einkommensangleichung in Kauf genommen. Steuerfreiheit des Existenzminimums
bzw. Degression in den unteren Einkommensbereichen sind getarnte Formen der Steuerprogression.
»Die finanzielle Gleichmachungspolitik«, so der Volkswirt Bruno
Molitor »hat eine kommunistische Fiktion zur Voraussetzung, nämlich
die, daß alle Einkommen letztlich staatliche Dotationen darstellen, über
die nach politischen Maßgaben bestimmt werden kann, und daß alles
Vermögen und alle wirtschaftlichen Positionen eigentlich unter dem Vorbehalt
einer Art staatlichen Lehens stehen, das bei Bedarf und dann immer wieder für
Interventionen verfügbar ist. Diese Fiktion widerspricht jedoch schlankweg
der Moral, wie sie in den Grundrechten unserer Verfassung ihren Niederschlag gefunden
hat. Man darf sich da nichts vormachen, zumindest in seinen sozio - psychischen
Wirkungen hat uns der Mythos bereits dahin gebracht, daß sich die Beweislasten
nahezu umkehren: Die überdurchschnittliche Einkommenshöhe wird scheel
angesehen und bedarf der Rechtfertigung, nicht dagegen der stets hungrige Fiskus,
der sie wegsteuert. Wer erfolgreich Vermögen bildet, darf kein gutes Gewissen
haben. .... Es gibt gewichtige politische Gruppen, die an den Sätzen der
geltenden Steuerprogression, die bekanntlich bereits die Masse der Einkommensbezieher
trifft, nichts anderes auszusetzen finden, als daß sie zu niedrig seien.
.... Wer Ergebnisgleichheit sicherstellen will, muß Zwang anwenden. ....Unternehmen,
die Zugeständnisse in der Hoffnung machen, dann unbehelligt weiterproduzieren
zu können, sehen sich ... bald einer neuen Runde von Forderungen gegenüber.
Und so wird der Ring von Fesseln immer enger.« (Bruno Molitor, Der
Sozialstaat auf dem Prüfstand, 1984, S. 11 f.) (Ebd., 2012, S.
444-445).Das Zusammenwirken von Steuerprogression einerseits und
Steuererleichterungen oder direkten Zuzahlungen andererseits führt im Sozialstaat
dazu, daß die ursprünglichen Einkommensunterschiede bei kinderreichen
Familien nicht nur stark ausgeglichen, sondern sogar ins Gegenteil verkehrt werden.
(Ebd., 2012, S. 445). |
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1960
mußten die schwedischen Steuerzahler etwa 30% des in der Volkswirtschaft
erarbeiteten Bruttosozialprodukts an Staat, Gemeinden und Sozialversicherungen
abführen, 1970 dann bereits 41% und 1977 51% (vgl. Dorothea Strömberg,
Krise des Wohlfahrtsstates - Beispiel Schweden, 1981, S. 8). Die Sozialleistungsquote
betrug in Schweden 1960 11% (die deutsche im selben Jahr 21%),1993 dann 38% (die
deutsche 28% und 2009 31% ). Die Folgen für Arbeitsmoral und Wirtsl;:haftskraft
blieben nicht aus. Bei dem ursprünglich vierfachen Unterschied im Nominaleinkommen
einer Familie mit zwei Kindern reduzierte sich 1981 nach der Besteuerung der Unterschied
im verfügbaren Einkommen auf rund 25% (siehe Abbildung links bzw. ebd., 1981,
S. 35). (Ebd., 2012, S. 446).Staaten der EU mit einer sehr
kurzen demokratischen Tradition, wie die baltischen Republiken Estland (das ja
sogar die Staatsfinanzen noch im Griff hat), Lettland und Litauen, aber auch Rumänien,
Bulgarien und die Slowakei, hatten 2007 eine Sozialschutzquote von nicht höher
als 16% des Bruttoinlandprodukts. Staaten, in denen sich die demokratischen Parteien
schon seit Generationen in Versprechungen überbieten, hatten viel höhere
Anteile: Frankreich 30,5%, Schweden 29,7% (das 2004 mit 32,9% an der Spitze lag).
(Ebd., 2012, S. 446).Während sich bei den Geringverdienern
durch Zuwendungen das Einkommen erhöht, wird es bei den höheren Gehaltsgruppen
weggesteuert, so daß nur noch geringe Unterschiede bleiben. (Ebd.,
2012, S. 446).Ebenso lehrreich ist die Entwicklung der durchschnittlichen
Krankheitstage in Schweden:Wie man sieht: Mit
der Erhöhung des Krankengeldes stieg die Zahl der durchschnittlichen Krankheitstage.
Statistiken mit dieser inhaltlichen Aussage lassen sich in allen Sozialstaaten
finden, und die Aussage gilt für alle möglichen Umverteilungen. Werden
Armenunterstützungen ausgezahlt, so erhöht sich die Anzahl der Armen;
und erhöht man irgendwelche Unterstützungen, so wächst die Zahl
der Unterstützungsempfänger. Zahlt man Wohngeldzuschüsse, so beginnt
die Zahl der Anträge und der geforderten Beträge zu steigen. Es erhöht
sich damit auch stets die Zahl der Wähler, die von Kürzungen oder Verbesserungen
betroffen wären und damit der Anreiz für demokratische Parteien, mit
Wahlversprechungen Aufmerksamkeit zu erregen (vgl. Hans-Olaf Henkel, Der Kampf
um die Mitte, 2007). Zahlt man Kindergeld und Unterstützungen für
Bedürftige und unehelich geborene Kinder, dann wächst die Zahl der Unterstützungsempfänger
immer weiter. Die Paare heiraten auch gar nicht mehr, da sie ja dann die Unterstützungen
für ihre formal unehelich geborenen gemeinsamen Kinder verlören. In
der DDR führte das dazu, daß die Mehrzahl der Kinder als unehelich
geboren galt, bis man versuchte umzusteuern. (Ebd., 2012, S. 446).»Das
Streben nach Stimmenmaximierung treibt die Regierung dazu, die zahlenmäßig
stärksten Gruppen von Einkommensempfängern - die Empfänger niedriger
Einkommen - zu begünstigen. Daher zeigt sie die Tendenz ..., das Einkommen
umzuverteilen, indem es der Gruppe mit höherem Einkommen entzogen wird. ....
Je wirksamer die Demokratie praktisch wird, desto größer ist das Ausmaß
der Regierungseingriffe in den normalen Ablauf der Wirtschaftsvorgänge«,
hatte Downs schon 1957 in seiner klassischen Arbeit über »Die Ökonomische
Theorie der Demokratie« erkannt. »Wer Macht erringen oder erhalten
will«, so der Staatsrechtler Walter Schmitt Glaeser (in: ders., Der freiheitliche
Staat des Grundgesetzes, 2008, S. 234 f.), »muß die Mehrheit der
Wähler gewinnen, und die Mehrheit ist bei den Geringverdienern und Vermögenslosen,
nicht bei den Besserverdienenden und Vermögenden zu holen, so daß jenen
zu geben und diesen zu nehmen ist. Und weil jede politische Partei Mehrheiten
und Macht will, übertrifft man sich gegenseitig bei den Geschenken, so daß
die Kosten des Sozialstaats immer höher werden und schließlich explodieren.
Man mag dieses Verhalten der Politiker verantwortungslos nennen, aber es ist auch
nicht zu leugnen, daß es rational ist. .... Demokratische Politiker lieben
es, fremden Menschen das Geld aus der Tasche zu ziehen und es an andere fremde
Menschen zu verteilen.« (Ebd., 2012, S. 446-447).Der
wachsende Bedarf an Umverteilung ist somit ein gesetzmäßiger Prozeß,
dem sich auf die Dauer in der Industriegesellschaft kein Staat und keine Demokratie
entziehen kann. Die Schweiz hatte 1913 eine Staatsquote von nur 2,7%, eine Zahl
die uns heute unfaßbar niedrig erscheint, die USA lagen damals sogar nur
bei 1,8% ; nach 1995 erreichte auch die Schweiz über 30%, während Deutschland
schon bei über 50% lag (**|**|**|**|**).
Gerd Habermann (1997) definierte den Wohlfahrtsstaat vor diesem Hintergrund als
»eine politische Veranstaltung mit dem Ziel, die Gesamtheit der Staatsbürger
mit ihren eigenen Mitteln von staatlichen Zahlungen abhängig zu machen«.
(Ebd., 2012, S. 447).Erst in der Weimarer Republik, also in der
Demokratie und eine Generation nach dem Umschlagpunkt der gesamtgesellschaftlichen
Entwicklung, beginnen sich Wesen und Begriff des Wohlfahrtsstaates zu formen.
In England und den skandinavischen Ländern meinte man, Vollbeschäftigung
und Sicherheit der Arbeitsplätze könnten nur vom Staat garantiert werden.
Man erwartete dort nach der Weltwirtschaftskrise 1929/32, »daß
es zu den Aufgaben des Staates gehöre, die industrielle Massengesellschaft
wirtschaftlich und sozial zu gestalten, wirtschaftlich Schwache in Schutz zu nehmen
und soziale Leistungen zu verteilen«, wie der Jurist Rudolf Zorn feststellte
(in: ders., Illusion und Wirklichkeit des Wohlfahrtsstaates, 1963), der
dann weiter ausführte: »Die Minderbemittelten forderten vor allem,
daß der Staat einen Mindestlebensstandard garantiere. .... Durch progressive
Besteuerung müßten die Einkommen neu verteilt werden. Jeder Bürger
sollte sicher sein, in Notfällen eine entsprechende Hilfe zu erhalten, gleichgültig,
ob diese durch Krankheit, Alter, Arbeitslosigkeit oder andere Wechselfälle
des Lebens nötig wäre, ... während die Wohnungssuchenden billige
Wohnungen wünschten. .... Man war der Meinung, daß es eine veraltete
Anschauung wäre, vom Staate nur die Aufrechterhaltung der Ordnung zu verlangen,.
er müsse vor allem kollektive Leistungen für die Gesellschaft bringen,
die jeden Bürger vor Not und Sorgen schützen sollten.« (Ebd.,
2012, S. 448).Der tiefe Sinn des Bibelwortes des Apostels Paulus,
der im 2. Brief an die Thessaloniker (3,10) schrieb »Wer nicht arbeiten
will, soll auch nicht essen«, entzog sich mehr und mehr dem Verständnis.
(Ebd., 2012, S. 448).Wenn dem durchschnittlichen Facharbeiter in
Deutschland gegenwärtig die Hälfte seines Einkommens für Umverteilungszwecke
abgenommen wird, so wird ihm damit die Möglichkeit entzogen, selbst gegen
die Standardrisiken von Einkommensverlusten durch Alter und Krankheit vorzusorgen.
Der Angestellte, der heute etwa ein Fünftel seines Einkommens an die Bundesversicherungsanstalt
zwangszahlen muß, hätte den Betrag vor 1880 für seine Zukunftsvorsorge
kapitalisiert. Wenn sich heute ein Sozialminister der Höhe seines Budgets
rühmt, weil es das weitaus höchste im Staatshaushalt ist, so ist das
in etwa so, als wenn sich die Feuerwehr die Zahl ihrer Einsätze rühmte,
dabei aber verschwiege, daß sie die Brände selber hat legen helfen.
In einer Demokratie ist der Staat aber kein Abstraktum (vgl. Erwin K. Scheuch
und Ute Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, 1992). Die Gesetzgeber
sind die Parteien, die sich mit Umverteilungsversprechen die Wählerstimmen
erkaufen; und die Verursacher letztlich die Wähler, die dem Meistbietenden
ihre Stimme geben. Die langfristigen Folgen werden nur von wenigen durchschaut,
und die Stimmen der wenigen zählen wenig. Ein beträchtlicher Teil der
zweiten Nachkriegsgeneration hat sich darauf verlassen, daß ihre Altersrente
von anderer Leute Kinder bezahlt werden wird und man selbst keine Kinder mehr
haben braucht oder höchstens eins. Der Sozialstaat zehrt auf diese Weise
immer stärker von seiner Substanz. (Ebd., 2012, S. 448).Die
Demokratisierung von Volk und Staat »zieht als letzte wirtschaftliche
und soziale Konsequenz mehr oder weniger automatisch die wohlfahrtsstaatlichen
Maßnahmen nach sich. Als Grundlage unserer Demokratie wird ... das Gleichheitsprinzip
gepriesen. Es hat sich allerdings im Laufe der Zeiten erheblich gewandelt. Die
Forderung nach Gleichheit hatte zu der Zeit, als sie das erste Mal erhoben wurde,
lediglich die Gleichheit vor dem Gesetz und die Einräumung gleicher Chancen
zum Inhalt. Heute ist sie zu einer sozialökonomischen Forderung geworden,
die keine gesellschaftliche Gliederung, kein Oben und Unten mehr anerkennen will.
....Auch die modernen Regierungsmethoden
... fördern die wohlfahrtsstaatlichen übertreibungen. .... Zu den verfassungsmäßigen
Gewalten hat sich im Laufe der letzten Jahre eine neue Macht gesellt, nämlich
die Volksmeinung, die durch die Meinungsforschungsinstutute festgestellt wird
(oder durch die Massenmedien artikuliert wird). Die politischen Entscheidungen
richten sich in den meisten modernen Staaten weitgehend nach derern Feststellungen.
.... Die Demoskopen (und Journalisten) stellen auch fest, welche Wahlgeschenke
den größtmöglichen Nutzen bringen und an welche Adresse sie geleitet
werden müssen. Der hat am meisten Chancen, an der Macht zu bleiben oder sie
zu erobern, der die Wähler am besten zu beeinflussen versteht. .... Die oppositionelle
Kritik beschränkt sich im wesentlichen auf Versprechungen, die Leistungen
der Regierungen zu übertreffen. Die Parlamente in ihrer Gesamtheit zügeln
die Ausgabefreudigkeit der Regierungen nicht mehr, sie bestärken sie vielmehr
darin und treiben sie vorwärts. Da die Abgeordneten ja schließlich
wiedergewwählt werden wollen, wirken sie meist nur als Motor der Wohlfahrtspolitik.«
(Rudolf Zorn, Illusion und Wirklichkeit des Wohlfahrtsstaates, 1963).
(Ebd., 2012, S. 448-449).Konrad und Zschäpitz fassen das in einem
Satz zusammen: »Vor der Wahl polieren dann die Politiker ihr Image durch
höhere schuldenfinanzierte Ausgaben.« (Kai A. Konrad & Holger
Zschäpitz, Schulden ohne Sühne, 2010)) (Ebd., 2012, S.
450). Bühl führt dazu aus: »Die weitgehende
Ausrichtung der Politik auf die Massenmedien und die Funktionsweise der Massenmedien
-mit ihrer schnellen Verbreitungsgeschwindigkeit, aber auch der Trivialisierung
der Politik zum Spektakel- machen die Politik zu einer Art Massenbewegung oder
auch Modeerscheinung, in der Stimmungen und Werturteile dominieren. ...Der Wahlzyklusscheint
in dieser Massenpolitik noch der Zyklus der längsten Dauer zu sein. Für
einen demokratisch regierten Staat mit periodisch wiederkehrenden Wahlen und instabilen
Mehrheitsverhältnissen gibt es kaum einen anderen Weg als den in ein System
der permanenten Staatsverschuldung. .... Die Politiker haben keine Mittel in der
Hand, in guten Jahren einen Abbau der Schulden herbeizuführen und Rücklagen
zu bilden. Im Gegenteil wird eine längerfristige und den Wirtschaftszyklen
angepaßte Wirtschaftspolitik den relativ kurzfrisligen Wahlzyklen untergeordnet.
.... Die Inflation ist die Krankheit der wohlfahrtsstaatlich organisierten Demokratie.«
(Walter Ludwig Bühl, Ökologische Knappheit, 1981, S. 160
f.). (Ebd., 2012, S. 450). Und Schmitt Glaeser dazu: »Steigen
die Beitragssätze, ist es rational, noch mehr Sozialkosten nachzufragen,
weil auf diese Weise oft mehr hereingeholt werden kann, als mehr an Beiträgen
bezahlt werden muß. Selbst höhere Beiträge können also den
Verbrauch nicht drosseln, sondern führen im Gegenteil zu einer verstärkten
Nachfrage sozialer Leistungen. .... Der Sozialstaat muß das Geld, das er
den einen zukommen läßt, den anderen wegnehmen. Das geschieht hauptsächlich
über Abgaben und Steuern, vornehmlich über die progressive Besteuerung
der mittleren und höheren Einkommen, seit einigen Jahrzehnten auch über
Schulden, die inzwischen so hoch geworden sind, daß der Schuldendienst den
Staatshaushalt zu erdrücken droht. Selbstverständlich muß auch
der Schuldendienst und ebenso die Schuldenrückzahlung (irgendwann) wiederum
in erster Linie von den Besserverdienenden aufgebracht werden. Je mehr der Staat
zum Umverteilungsstaat ... wird, desto mehr (direkte und indirekte) Steuern braucht
der Staat und desto höher muß auch die Progression der Besteuerung
angesetzt werden. .... 2003 zahlten (in Deutschland) ... die oberen 20 Prozent
( ab 48.960 Euro Einkommen) knapp 70 Prozent der gesamten Einkommenssteuer.«
(Walter Schmitt Glaeser, Der freiheitliche Staat des Grundgesetzes, 2008,
S. 239 ff.). Es gilt also auch hier annähernd die Pareto-Regel.
(Ebd., 2012, S. 450-451).»Einen ernsthaften Versuch, die
Widersprüche innerhalb des Systems der sozialen Leistungen zu beseitigen
und die Ausgabendynamik des Wohlfahrtsstaates mit der sinkenden Ertragskraft ...
der Wirtschaft in Einklang zu bringen, hat bisher noch keine Regierung unternommen«,
konnte Michael Jungblut noch 1983 feststellen. Er sah aber damals schon weiter:
»Der moderne Sozialstaat droht zur Plage der Nation zu werden und sich
selbst wieder zu zerstören. .... Jedesmal, wenn sich herausstellte, daß
zwischen Ausgaben und Einnahmen eine anders nicht zu überbrückende Kluft
entsteht, setzten die ... von den Lobbyisten hart bedrängten Politiker den
Rotstift da an, wo sie die schwächste Interessevertretung vermuten ... -
bei den Rentnern oder gar beim Taschengeld für Altersschwache und bettlägerige
Bewohner von Pflegeheimen. .... Nicht der Widersinn, die Unzweckmäßigkeit
oder fehlerhafte Gestaltung bestehender sozialer Leistungen, sondern der geringste
politische Widerstand wird so in fast allen europäischen Ländern immer
wieder zum Kriterium einer von leeren Kassen diktierten Reformpolitik.«
(Michael Jungblut, Der Wohlstand entläßt seine Kinder, 1983,
S. 168 f.). (Ebd., 2012, S. 450-451).Einige Leser könnten
meinen, bei den zitierten Äußerungen über die drohende Selbstzerstörung
des Sozialstaats handele es sich um Außenseitermeinungen, die der Verfasser
mit Eifer zusammengetragen hat, um seine Einsicht oder Vorahnung zu stützen,
wir befänden uns auf einem geradezu naturgesetzlichen Weg (vgl. Peter Mersch,
Ich beginne zu glauben, daß es wieder Krieg geben wird, 2011) ins
Große Chaos. Lassen wir deshalb mit Manfred G. Schmidt (geboren 1948) noch
einmal einen gestandenen Professor für Politikwissenschaft zu Wort kommen,
der zweifellos zu den angesehensten Persönlichkeiten seines Faches gehört,
noch dazu in Sachen Sozialstaat. Schmidt geht »von der sehr starken Nachfrage
nach sozialer Sicherheit auf Seiten eines Großteils der Bevölkerung
aus. Infolge der demographischen Entwicklung, insbesondere der Alterung der Gesellschaft
und anhaltend hoher Arbeitslosigkeit, wird diese Nachfrage auch in der Zukunft
in den meisten oder allen fortgeschrittenen Wohlfahrtsstaaten stark bleiben. Demokratische
Institutionen stärken diese Nachfrage, insbesondere der Parteienwettbewerb,
die Dauerbeobachtung der Politik durch die Medien und die häufigen Wahlen,
bei denen Regierung und Opposition gleichermaßen danach streben, mit der
Sozialpolitik einen möglichst großen Ertrag in Form von Wählerstimmen
zu erzielen. Das ist eine lohnende Strategie, weil die Wohlfahrtsstaatsklientel
eine der größten Gruppen auf dem Wählerstimmenmarkt ist. Die Schätzungen
ihrer Größe variieren, doch kann man davon ausgehen, daß rund
30 bis 50 Prozent der Wählerschaft in den westlichen Industrieländern
mittlerweile den größten Teil ihres Einkommens aus Sozialleistungen
oder aus der Beschäftigung im Wohlfahrtsstaat bestreiten und deshalb elementar
an der Beibehaltung oder dem Ausbau der Sozialpolitik interessiert sind.«
(Manfred G. Schmidt, Wirkungen der Sozialpolitik, 2007, S. 420). In unaufgeregten
Worten hätten wir damit noch einmal eine Aussage, die die weiter oben zitierten
Meinungsäußerungen unterstützt. (Ebd., 2012, S. 451).
Es gab ja bereits vor der Einführung des Euros Stimmen, die warnten,
die Gemeinschaftswährung müsse bereits mittelfristig wegen der unterschiedlichen
Sozial- und Steuerpolitik der Mitgliedsstaaten scheitern. Denn ein Mitgliedsland
»profitiert vom Umverteilungsprozeß, wenn es schneller inflationiert,
d.h., wenn es höhere Defizite hat als andere«. Auf diese Weise
»tendiert das System zur Selbstsprengung« (Philipp Bagus, Die
Tragödie des Euros, 2011, S164). Bei wirtschaftsschwachen Staaten, die
sich in den ersten Jahren der Gemeinschaftswährung Vorteile verschafft haben,
zweifeln inzwischen nicht nur die Rating-Agenturen, ob die Staatsschulden je zurückzahlbar
sind. Die betroffenen Staaten drängen auf immer mehr Umverteilung, diesmal
von den wirtschaftsstarken oder wenig verschuldeten Ländern auf die tiefverschuldeten
Länder. Als Folge der europäischen Schuldenkrise gehen inzwischen die
Beschneidungen des Sozialstaats, die einige Regierungen beschließen müssen,
schon ans Eingemachte. Am Wettbewerb der Parteien um die Gunst der Wähler,
jetzt aber nur noch um die Einschnitte, die bestimmte Schichten am wenigsten treffen,
ändert das erst einmal nichts. Wenn aber alle Parteien und alle Regierungen
nur noch Verschlimmbesserungen anzubieten haben, hat irgendwann ihre letzte Stunde
geschlagen. Wann ist eine revolutionäre Situation herangereift? Das war die
Standardfrage meiner Geschichtslehrer in der DDR. Wenn die Not der Massen über
das bis dahin bekannte und erträgliche Maß angestiegen ist, mußte
und wußte ich dann zu antworten. Diese Lektion scheint haftengeblieben zu
sein. (Ebd., 2012, S. 451-452). Die Ausweitung der Abiturienten-
und Studentenzahlen hat noch ganz andere Folgen, auf die wir bisher noch nicht
eingegangen sind. Der Prozentanteil der Hochintelligenten überschreitet in
den Industrieländern kaum die Fünfprozentmarke, wie vorn belegt worden
ist (siehe S. 220). Solange der Anteil der Abiturienten und Studenten an der Bevölkerung
nicht die Zehnprozentmarke übersteigt, stellen die Hochintelligenten bei
Abiturienten und Studenten die Mehrheit. Nach 1960 ist der Anteil der Abiturienten
an einem Jahrgang aber auf 20% und heute auf 40% angestiegen. Die Hochintelligenten
sind damit unter den formal Gebildeten zu einer Minderheit geworden. Nach ihrem
Abitur studieren die Hochintelligenten bevorzugt Naturwissenschaften und technische
Fächer (und Mathematik [einschließlich Informatik]
HB) oder werden in der Wirtschaft tätig. In ihrem Tagesablauf stehen
sie oft unter einem starken Leistungsdruck. Viele sind zwar politisch interessiert,
aber Zeit zu aktivem politischem Engagement verbleibt den meisten kaum. Ein solches
Engagement erscheint ihnen auch nicht besonders attraktiv. Denn das Feld ist bereits
besetzt. Von wem? Von denen, die aus ihrer Altersgruppe Geistes- oder Sozialwissenschaften
studiert haben und in der Schule nicht zu den Besten gehört haben.
(Ebd., 2012, S. 452). Machen Sie die Erfahrung und versuchen Sie
bitte doch einmal in der deutschsprachigen Wikipedia für politisch strittige
Themen, wie sie von Sarrazin (2010) angesprochen worden sind, eine ausgewogene
Darstellung zu schreiben! Nach kurzer Zeit werden Sie feststellen müssen,
daß Sie nie die Zeit aufbringen können, um gegen die Mehrheit recht
dummer Beiträge und Beiträger, gegen den »digitalen Maoismus«,
einen in der Sache zutreffenden Text durchzusetzen. Man wird ihren Beitrag todsicher
löschen, Sie bei stärkerem Widerstand wegen »Vandalismus«
verteufeln und sperren. »Verdampfen« nannte das Orwell. (Ebd.,
2012, S. 452). Der gleiche Mechanismus beherrscht aber auch die
Medienlandschaft insgesamt! »Wir haben seit den späten 1960er Jahren
immer eine deutliche linke Mehrheit unter den Journalisten«, bestätigt
der Kommunikationsforscher Hans M. Kepplinger und schreibt weiter: »Ahnliche
Ergebnisse liegen aus Amerika vor: Das hat im wesentlichen zwei Ursachen: Die
eine Ursache ist die Selbstselektion im Journalismus. Junge Linke wollen eher
in den Journalismus und verwandte Berufe, junge Rechte wollen eher in die Wirtschaft.
Von daher gibt es einen Drang von jungen begabten Linken in die Medien. Und die
Medien nehmen sie natürlich auch deshalb gerne, weil sie schon links sind
und halten sie aus dem gleichen Grund für besonders entwicklungsfähig.
Der zweite Grund besteht darin, daß die Mehrheit der Menschen, die sich
für Politik intensiv interessieren, linksliberale Meinungen hat. Das sind
die Jüngeren, die Hochgebildeten, die in den Großstädten Lebenden.
Der Markt der politisch relevanten Medien bietet im linken Meinungsspektrum mehr
Chancen. Das zeigt sich daran, daß die meisten großen überregionalen
Tageszeitungen auf dem linken Spektrum lokalisiert sind. Auch das ist international
so. Beide Faktoren, auf der einen Seite der Drang der jungen Linken in die Medien,
auf der anderen Seite die größeren Marktchancen linker Medien, führt
zu einer relativ stabilen linken Mehrheit unter Journalisten.« (Hans
M. Kepplinger, Die grünen Medienlieblinge, 2011). (Ebd., 2012,
S. 452).Unter den heute formal Gebildeten, den »Akademikern«
der heute beruflich aktiven Generation, stellen die Hochintelligenten in allen
hochentwickelten Industrieländern nur noch eine Minderheit. Die Mehrheit
stellen die Mittelmäßigen, formal jedoch Hochgebildeten, die zum Teil
schlecht bezahlt und unterbeschäftigt sind, am Tropf der Förderprogramme
hängen oder völlig arbeitslos sind und das Intelligenzproletariat bilden,
das die Umverteilung und die Zerstörung des kapitalistischen Systems auf
seine Fahnen geschrieben hat. An den geisteswissenschaftlichen Fakultäten
der Universitäten werden Zehntausende Soziologen, Psychologen, Historiker
usw. zu »Intellektuellen« ausgebildet, während in den naturwissenschaftlichen,
technischen und ingenieurwissenschaftlichen Fächern die Zahl der Studenten
sinkt. Während in diesen volkswirtschaftlich wichtigen Fächern der prozentuale
Anteil derjenigen, die in der Lage sind, ein derart anspruchsvolles Studium erfolgreich
abzuschließen, geringer wird, erhöhen die geisteswissenschaftlichen
Disziplinen ihre Studentenzahlen Jahr für Jahr. Und sogar der Notendurchschnitt
der Studenten wird ständig besser, da die geistigen Anforderungen für
eine sehr gute Note ständig heruntergeschraubt werden, ihre Professoren sich
aber dadurch einbilden können, auch jedes Jahr besser zu werden. Was sie
aber in Wirklichkeit lehren und ihre Studenten studieren, ist ihre Massenarbeitslosigkeit.
Dafür hassen die Intellektuellen die kapitalistische Gesellschaft, die Unternehmer,
die Ingenieure und Erfinder und mißtrauen ihnen, und erdenken sich ihrerseits
immer neue Visionen einer idealen Gesellschaft, in der alle Menschen zwar gleich
sind, die Denker, die selbst nicht produzieren und erfinden, jedoch die Macht
haben. Daß diese Gesellschaften bisher immer totalitäre waren, stört
die Intellektuellen dabei nicht. Um der aktuellen Arbeitslosigkeit zu entgehen,
müssen die Intellektuellen - gemeinsam mit der ebenfalls wachsenden Zahl
von Juristen - sich immer neue gesellschaftliche Aufgaben ausdenken, mit der sie
dem produktiven Sektor knebeln und Mittel entziehen. Neben der Bewältigung
der Vergangenheit, der Kontrolle der politischen Korrektheit, der Erforschung
des Friedens und aller psychischen Probleme sind es nicht nur die Gefahren der
Gentechnik, sondern die Gefahren jedweder Technik und Veränderung, die nach
der Gründung von Vereinen, Stiftungen, Kommissionen und Lehrstühlen
rufen, die sich gegenseitig in ihrer Wichtigkeit als Bedenkenträger bestätigen.
Besonders begehrt sind Dauerarbeitsplätze im öffentlichen Dienst und
Abgeordnetenmandate. Von dort aus läßt sich die bürokratische
Hemmung jedweden unternehmerischen und wissenschaftlichen Fortschritts am besten
betreiben. Nur der Kapitalismus kann sich bisher leisten, ein akademisches Proletariat
in wachsender Zahl auszubilden, stellt Baader (in: ders., Totgedacht, 2002)
richtig fest. Aber wie lange noch, ohne daß die gesamtwirtschaftlichen Schäden
dieser Entwicklung offensichtlich sind und kaum noch zu reparieren, fragt sich
der Leser. .... Denn die Zahl der Studenten pro Professor wird immer größer,
weil eben auch das nicht mehr wie bisher vom produktiven Sektor bezahlt werden
kann. Und die Hälfte dieser Akademikerinnen bleibt kinderlos, und verläßt
sich auch in diesem Punkt auf die anderen. Diese Intellektuellen und die von ihnen
beherrschten Medien treiben die Parteien und mit ihnen die Mehrheit des Volkes
vor sich her. Sie sind fester Bestandteil des Regulationskreislaufs, des Umschaltens
der Evolution auf negative Selektion, der die demokratischen Systeme der Industriestaaten
ins Große Chaos treibt. Es ist kein Mittel erkennbar, wie dem beizukommen
wäre. Elitäre Schulbildung und elitäres Studium nach reinen Leistungskriterien?
Das kann man nirgendwo politisch durchsetzen, der Zug ist schon vor Generationen
abgefahren. Die Zahl der Eltern und damit die Zahl der Wähler, deren Kinder
eher mittelmäßig sind, aber dennoch zum Abitur und zu einem studium
drängen, ist fünf- bis zehnmal höher als die Zahl der Eltern mit
hochintelligenten Kindern. Allein daraus ergibt sich, daß die Entwertung
der Bildungsgrade in einer Demokratie auf die Dauer durch nichts aufzuhalten ist.
Wenn alle Abitur haben, hat keinermehr Abitur. Der Vorgang ist somit ein wesentlicher
Teil des SelbstzerstÖrungsmechanismus, der den Kreislauf der politischen
Verfassung vorantreibt (vgl. Eckart Knaul, Das biologische Massenwirkungsgesetz,
1985). (Ebd., 2012, S. 452-453). An dem Tag, an dem ich diese
Zeilen schreibe, melden die Nachrichten aus Thüringen die neuesten Ergebnisse
der Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD: längere gemeinsame Schulzeit
aller Schüler, ehe der Wechsel aufs Gymnasium möglich wird; gemeinsame
erste Schuljahre ohne Zensuren und mit wahlweiser Versetzung in eine höhere
Klassestufe; kein Sitzenbleiben in bestimmten Klassenstufen mehr usw. Auf diese
Weise läßt die bürgerliche Leistungsgesellschaft Schritt für
Schritt ihre Zerstörung zu. Es gibt keine Partei mehr, die es wagt, den Vorgang
offen beim Namen zu nennen, denn die Zahl der Wähler mit hochintelligenten
Kindern ist eine wahlarithmetisch verschwindende Größe. Ohne viel Aufheben
versucht man in Bayern und Sachsen noch gegenzusteuern - noch. Denn kein Koalitionspartner
läßt es sich nehmen, auf »Fortschritte« in der Bildungspolitik
zu drängen. (Ebd., 2012, S. 453). Man könnte meinen,
daß die Hochintelligenten trotz ihrer geringen Zahl durch ihre Berufe, ihre
Stellungen und ihren Einfluß Gelegenheit hätten, wirksam für bürgerliche
Werte einzutreten. Gewiß, das war einmal so, vor 1960. Doch nur ein Teil
der Hochintelligenten ist politisch engagiert, viele sind desinteressiert oder
entmutigt und alle Kinder der Gesellschaft, in der sie leben und damit den Massenmedien
und den herrschenden Mehrheitsmeinungen ausgesetzt. Modern und fortschrittlich
zu sein, ist »schick« und »geil«. Und wer hat schon das
Rückgrat, anders sein zu wollen? Zu widersprechen, wenn gerade ein linksliberaler
Homosexueller meint, er wisse über die Zukunftsthemen am besten Bescheid?
(Ebd., 2012, S. 454). Wenn man eigene intelligente Kinder hat,
dann zieht man in ein Wohngebiet - wenn man nicht schon längst da wohnt -,
wo die Schulbedingungen noch gut oder sehr gut sind. Eine Gemeinschaftsschule
in einem Wohnviertel mit hohem Durchschnittseinkommen, das kann eine sehr feine
Sache sein. Die Schule kann sich dort auch nennen, wie sie will. In anderen Wohnvierteln
und Schulen werden die Lehrer desto häufiger Patienten der Psychiater sein.
Die auszubildenden Betriebe werden immer häufiger die Hände ringen,
da ja schon für qualifizierte Facharbeiterberufe geeignete Bewerber immer
mehr zur Mangelware werden. Doch der Fortschritt ist nicht aufzuhalten. Die Käufer
des Sarrazin-Buches (2010) sind - sofern sie im Inhalt Resonanz auf eigene Gedanken
und Befürchtungen finden - trotz ihrer großen Zahl eine Minderheit
unterhalb jeder Fünfprozenthürde, und sie werden demzufolge durch keine
etablierte politische Partei vertreten. Das Buch wird deswegen schon auf mittlere
Sicht nicht mehr als eine Fußnote der politischen Geistesgeschichte bleiben.
(Ebd., 2012, S. 454). »Nach der letzten Repräsentativbefragung
unter deutschen Journalisten«, so noch einmal Kepplinge, »bekennen
sich 34 Prozent zu Bündnis 90/Die Grünen, weitere 25 Prozent zur SPD.
Das sind also weit über 50 Prozent. Nur der Vollständigkeit halber:
acht Prozent fühlen sich der CDU/CSU nahe, sechs Prozent der FDP. Wenn man
diese Zahlen als Basis nimmt, kann man davon ausgehen, daß mehr als dieHälfte
der Journalisten Präferenzen für eine rot-grüne Koalition hat.
Und ein erheblicher Teil der angesprochenen Journalisten hat die Chance ergriffen,
die das Erdbeben und der Tsunami geliefert hat, um die Kernenergierisiken auch
deshalb hochzuspielen, weil es den Grünen nutzt. .... Was ist zuerst da,
der Wertewandel oder der Wandel des Medientenors? Beides bedingt sich gegenseitig.
Aber soweit man hier Ursache und Wirkung trennen kann, zeigen unsere über
viele Jahrzehnte laufenden Vergleiche zwischen dem Tenor der Medienberichterstattung
und der Entwicklung der Bevölkerungsmeinung, daß der Tenor der Medienberichterstattung
in der Regel ein bis drei Jahre dem Meinungswandel in der Bevölkerung vorausläuft.
Mir ist auch aus der internationalen Forschung kein Fall bekannt, in dem der Meinungswandel
der Bevölkerung dem Tenor der Medienberichterstattung vorausgelaufen ist.
Das deutet darauf hin, daß der Wandel in den Einstellungen, Meinungen, Sichtweisen
der Bevölkerung nicht alleine, aber doch wesentlich durch die Medien verursacht
wird. Das aktuellste Beispiel ist zweifellos die Entwicklung der Meinungen zur
Kernenergie. Die deutschen Medien haben die Kernenergie Ende der 1960er, Anfang
der 1970er Jahre sehr positiv dargestellt. Danach wurde die Darstellung immer
negativer. Hierbei sind die Meinungen der Journalisten, die in der Berichterstattung
deutlich wurden, den Meinungen der Politiker vorangegangen, die in der Berichterstattung
zu Wort kamen. Der Tendenzwandel der Medienberichterstattung ist wiederum ungefähr
zwei bis drei Jahre dem Meinungswandel in der Bevölkerung vorangegangen.
Die Bevölkerungsmeinung ist dem Medientenor gefolgt, der von einem Meinungswandel
im Journalismus initiiert war.« (Hans M. Kepplinger, Die grünen
Medienlieblinge, 2011). (Ebd., 2012, S. 454-455). Mit
einem ins Unvernünftige gesteigerten Druck auf die Energiepolitik und damit
die Energiepreise wird ein hochentwickelter Industriestaat ins Mark getroffen.
Diese Wechselwirkung zwischen Intelligenzproletariat, Massenmedien und Parteien
ist Teil des Selbstzerstörungsprozesses, in dem die Dummheit der Halbintelligenten
schon seit langem die Regie führt. In allen demokratischen Sozialstaaten,
d.h. in allen Umverteilungsstaaten, vollzieht sich eine ähnliche Wechselwirkung
zwischen Wahlvolk, Intelligenzproletariat, Berufspolitik und Massenmedien. Was
hier mit deutscher Politik (vgl. Hans-Olaf Henkel, Der Kampf um die Mitte,
2007) belegt worden ist, dafür ließen sich ebenso Zitate aus Frankreich,
Großbritannien, Spanien, Griechenland und anderswo finden. Die Verschuldungskrise
der Staaten schreitet mit der ihr innewohnenden Beschleunigung fast überall
und unaufhaltsam voran und droht bekanntlich schon längst, jeder politischen
Kontrolle zu entgleiten. Seit etwa 1980 ist jedoch die Sozialleistungsquote der
europäischen Industrieländer bemerkenswert stabil oder zeigt eine leichte
Zunahme, verursacht durch die Kosten der hohen Arbeitslosigkeit. Selbst in ihrem
Programm anti-wohlfahrtsstaatlich eingestellte Parteien sehen sich gezwungen,
soziale Wohltaten zu verteilen, wenn sie ihre Wahlchancen wahren wollen. Auch
nach einem Regierungswechsel lassen sich höchstens 5% der Staatsausgaben
umschichten, so starr und beständig ist inzwischen der wohlfahrtsstaatliche
Rahmen aller Politik. Aber irgendwann folgen Zusammenbruchs-Vorszenarien mit stärkeren
Einsparungen, wie sie 2010 schon in Griechenland, Irland und Portugal auf der
Tagesordnung stehen. Und die Seuche wird weiter um sich greifen, wer zweifelt
noch daran? (Ebd., 2012, S. 455). Michael N. Ebertz formulierte
das in dem Sammelband »Endzeitfieber« so: »Die Eigendynamik
der Sozialstaatsentwicklung scheint sogar dahin zu wirken, ihre eigenen Voraussetzungen
aufzubrauchen und sozusagen eine Art Selbsttötungsmechanismus zu aktivieren:
So trug die Entfaltung des Sozialstaats (Krankenversicherung,. Rentenversicherung)
selbst zu demographischen und sozialen Verschiebungen bei (Erhöhung der durchschnittlichen
Lebensdauer; Rückläufigkeit der Geburten; Individualisierung). Diese
wiederum untergraben die Bedingungen der Fortsetzung einer Sozialpolitik erster
Ordnung, ja die Voraussetzungen der bestehenden sozialen Sicherungssysteme. Stehen
wir vor einer Krise des Rechts- und Sozialstaats? Kann der Staat die Gewährleistung
der von ihm verwalteten Güter ... noch garantieren? Selbst nüchterne
Soziologen weisen darauf hin, daß das gegenwärtige Unvermögen
der Politik einer Entwicklung Vorschub leistet, in deren Verlauf die konstruktiven
Potentiale des Wertewandels blockiert und seine destruktiven verstärkt werden.
Und die Frage gewinnt an Brisanz, was die moderne Gesellschaft überhaupt
noch zusammenhält bzw. in Zukunft zusammenhalten kann.« (Michael
N. Ebertz, Anfällig für apokalyptische Rufer?, 1997, a.a.O. S.
198). (Ebd., 2012, S. 455). Der Historiker Wolfgang Reinhard,
der sich tiefgründig mit der Entwicklung der verfassungsgeschichte der modernen
Staaten befaßt hat, hat daraus die unvermeidlichen Schlußfolgerungen
gezogen: »Der demokratische Sozialstaat erweckt zwar mit seiner Allzuständigkeit
immer noch den Eindruck von Stärke, ist aber im Hinblick auf seinen Handlungsspielraum
längst zum schwachen Staat geworden. Er wurde zum Opfer der Anspruchsdynamik
der von ihm selbst geschaffenen sozialpolitischen Besitzstände und der Verschuldungsdynamik.
.... Unter diesen Umständen ist der Sozialstaat in seiner hergebrachten Form
am Ende. .... Weltweit ist wegen des allgemeinen Überangebots an Arbeitskraft
unter den Bedingungen eines enthemmten Kapitalismus eine in neuer Weise polarisierte
Gesellschaft zu erwarten. Ein Teil der Bevölkerung, der in der jeweils gerade
gefragten Weise qualifiziert ist, wird in Reichtum und Luxus leben. Dem Rest bleibt
die Wahl zwischen planmäßig ausgeweiteter Niedriglohnarbeit und Arbeitslosigkeit
.... Das politische Problem wird binnenstaatlich im Zahlenverhältnis der
beiden Gruppen bestehen. Eine Zweidrittelgesellschaft von Reichen und einigermaßen
Wohlhabenden hätte die Mehrheit und könnte bei der Demokratie bleiben.
In einer Gesellschaft mit zwei Dritteln Armen hingegen würde Demokratie die
rücksichtslose Bereicherung gefährden, sie müßte zu einem
autoritären Regime oder Schlimmerem übergehen. Weitsichtige Strategen
rüsten bereits für neuartige Konflikte, die der Planet der Slums
hervorbringen wird. .... Die Ausgestoßenen haben die Götter des Chaos
auf ihrer Seite.« (Wolfgang Reinhard, Geschichte des modernen Staates,
2007; 114 ff.). Mit seinen Einsichten und diesem düsteren Schlußsatz
steht der Verfasser keineswegs allein auf weiter Flur (zum Beispiel Schmölders
im selben Sinne schon 1983). Der kritische Beobachter der tagespolitischen Meldungen
fürchtet, ihm recht geben zu müssen. (Ebd., 2012, S. 456).
Es gibt vereinzelt durchaus Politiker, die den Teufelskreis durchschauen
und ihn durchbrechen möchten, Männer und Frauen gegen die Zeit.
Sie haben aber keine Chance, sich dauerhaft durchzusetzen. Die Transformation
der Gesellschaft ist ein unaufhaltsamer politischer Prozeß, in dem
alle Schlagwörter-Säkularisierung, Modernisierung, Globalisierung,
Feminismus u.s.w. u.s.f. - ihren richtigen Platz haben, mit denen die
Gesellschaft unentrinnbar ihrem Ziel zuzustreben scheint: dem Großen
Chaos. (Ebd., 2012, S. 456).
Es ist dabei
keinesfalls die Frauenerwerbstätigkeit an sich, die mit zur Zerstörung
der Gesellschaft beiträgt. Von alters her trugen die Frauen der Bauern und
Handwerker nach Kräften zum Familienerwerb bei, tauchten aber in keiner Erwerbsstatistik
auf. Die Industrie trennte jedoch für die Mehrzahl der Menschen Arbeitsplatz
und Familie und macht für die meisten Frauen eine sinnvolle Verbindung von
Kleinkinderbetreuung und beruflicher Arbeit schwer oder unmöglich.
(Ebd., 2012, S. 456). Einer der herausragenden Markierungspunkte
im Kreislauf der Verfassungen ist die Einführung des Frauenwahlrechts. Der
Liberale Robert von Mohl bemerkte noch 1874: »Der völlige Ausschluss
des weiblichen Geschlechts kann selbst bei Solchen, welche die Theilnahme an staatlichen
Wahlen als ein natürliches Recht ansehen, kaum einem verständigen Zweifel
begegnen. Auch sie müssen einsehen, dass ein Hereinziehen der Weiber in das
politische Leben gegen deren Natur ist und von den verderblichsten Folgen für
alle wäre.« (Robert von Mohl, Über Staatsdienstprüfungen,
1874, S. 539). Im Eisenacher Programm 1869 der Sozialdemokraten wird das Frauenwahlrecht
nicht erwähnt. Als August Bebel es 1875 beim Gothaer Kongreß beantragte,
wurde er überstimmt. Erst 1891 änderte sich das; 1918 und 1919 wurde
in Österreich und in Deutschland das allgemeine Wahlrecht auf Frauen ausgedehnt.
Die Schweiz folgte erst 1971. Auch heute noch haben Frauen in Saudi-Arabien, Brunei
und Bhutan kein Stimmrecht. Wenn sich mit den Kinderzahlen pro Frau der Entwicklungsstand
einer Gesellschaft kennzeichnen läßt, dann ebenso durch die Zusammenhänge
mit Frauenerwerbstätigkeit und Frauenstimmrecht. (Ebd., 2012, S. 456-457).
In den demokratischen Massengesellschaften ist das Funktionieren des politischen
Apparats nicht wesentlich verschieden von den Vorgängen auf dem Warenmarkt.
Die Massen hören auf die Reklametrommeln, und Tatsachen bedeuten wenig im
Vergleich zu dem suggestiven Lärm, mit dem gehämmert wird. Die Parteien
stellen für die Wahlkämpfe Manager ein, die in der Wirtschaft gelernt
haben, wie man die Massen dazu bringt, alles zu kaufen, für dessen Reklame
genügend Geld vorhanden ist. Diese Manager benutzen das Fernsehen, um das
Bild eines politischen Führers in der gleichen Art populär zu machen,
wie sie ein Waschmittellancieren. Worauf es ankommt, ist wirksamer Dummenfang,
indem irgendeine Umverteilung in Aussicht gestellt wird, nicht aber die Vernünftigkeit
oder gar langfristige Nützlichkeit. Bei demokratischen Wahlen sinkt der Durchschnittsbürger
in ruhigen Jahren auf ein geistiges Niveau herab, das noch niedriger ist als sein
sonst schon niedriges. Der Bürger gibt seine Stimme ab, und er soll in der
Illusion leben, er sei der Urheber von Entscheidungen, während sie in Wahrheit
weitgehend von Kräften bestimmt werden, die sich seiner Kontrolle und seiner
Kenntnis zunehmend entziehen. Kein Wunder, daß sich in politischen Dingen
ein tiefes Gefühl der Ohnmacht des Durchschnittsbürgers bemächtigt.
Sobald sich jedoch eine Gelegenheit ergibt, wählt der Wutbürger Protest.
Wenn eine Protestpartei die Fünfprozenthürde überspringt, dann
stellt sie in einem deutschen Bundesland einen unfähigen Haufen völlig
überforderter Abgeordneter, die - von ihrer Wahl überrascht - weder
über die Kenntnisse noch die Persönlichkeit verfügen, irgend etwas
dauerhaft zu verändern, und die in der Regel schon bei der nächsten
Wahl wieder von der politischen Bühne verschwunden sind. (Ebd., 2012,
S. 457). Joseph A. Schumpeter (1883-1950) äußerte sich
dazu schon 1942 in seinem Hauptwerk »Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie«:
»Die Art und Weise wie Probleme des öffentlichen Lebens und der Volkswille
manipuliert werden, ist den Methoden der geschäftlichen Reklame völlig
gleich. Wir finden dieselben Versuche, das Unterbewußtsein zu erreichen.
Wir erkennen die gleiche Technik, günstige und ungünstige Assoziationen
zu schaffen, die um so wirksamer sind, je weniger rational die Begründung
ist. Wir beobachten dasselbe Ausweichen und Verschweigen und den gleichen Trick,
durch die Wiederholung von Behauptungen eine bestimmte Meinung herzustellen, der
genau in dem Maße erfolgreich ist, als er rationale Argumente vermeidet
und die kritische Urteilskraft einschläfert. Und so fort. .... Die demokratische
Methode besteht in denjenigen institutionellen Vorkehrungen zur Erreichung politischer
Entscheidungen, dank welchen gewisseJ Personen mittels des Konkurrenzkampfes um
die Stimmen der Wähler die Macht erhalten, Entscheidungen zu treffen.«
(Joseph A. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 1940).
(Ebd., 2012, S. 457). Wenn man die Ergebnisse der Arbeitsgruppe
betrachtet, die sich damit befaßt hat, die Entwicklung der westlichen Wohlfahrtsstaaten
zu vergleichen, dann kann man sich dem Schluß nicht entziehen, daß
es sich um einen gesetzmäßigen Ablauf handelt, bei dem ein Schritt
früher oder später den anderen nach sich zieht, sich aber sowohl die
Handelnden als auch die das Geschehen untersuchenden Wissenschaftler im unklaren
sind, worauf das alles hinauslaufen soll. Das übergreifende Stichwort lautet
»Modernisierung«, mit dem der Glaube an den linearen sozialen Fortschritt
eine Bezeichnung bekommen hat. (Ebd., 2012, S. 457). Ein
funktionierender Staat verlangt die Erhebung von Steuern, ursprünglich geschah
das fast nur zur Abwehr äußerer Feinde (also etwa die »Türkensteuer«
der frühen Neuzeit). Wenn das Militär effektiver werden soll, so braucht
es mehr Geld und eine Steuerbürokratie, die es eintreibt. Eine energiegeladenere
dynamische Wirtschaft wird dann zur Voraussetzung der Kriegsmaschinen, die sich
Nationen nennen und die um die Vorherrschaft kämpfen. Das Gegenstück
zur allgemeinen Wehrpflicht, ist die Massendemokratie, die ihrerseits den Wohlfahrtsstaat
nach sich zieht. (Ebd., 2012, S. 458). Bürgerliche liberale
Demokratien mit einem durch Besitz-, Steuer- oder Sozialstatus-Kriterien eingeschränkten
Wahlrecht neigen dazu, die staatlichen Eingriffe im allgemeinen und die öffentliche
Fürsorge im besonderen einzuschränken, und sie wünschen sogar,
die Wohlfahrtsausgaben trotz wachsender sozialer Probleme zu verringern. Sie erhalten
oder entwickeln verhältnismäßig einfache und lokale Wohlfahrtseinrichtungen
und beschränken die Fürsorgeleistungen in der Regel auf arbeitsunfähige
Personen. Sie widersetzen sich der Einführung von Pflichtversicherungen.
(Ebd., 2012, S. 458). Weil sie einem organisierten Druck der Arbeiterklasse
ausgesetzt sind und ein Wettbewerb um die Stimmen der breiten Volksmassen stattfindet,
tendieren Massendemokratien dazu, ausgedehnte, differenzierte und zentralisierte
Wohlfahrtssysteme auf der Grundlage von sozialen Rechten und Zwangsbeiträgen
zu entwickeln. Heute deuten »liberal« oder »sozial« in
Namen von Parteien nur noch auf Nuancen im Umverteilungskampf hin. Wenn es heute
um Wählerstimmen geht, dann wird auch eine liberale Partei Steuersenkungen
in Aussicht stellen und gegen »soziale Unsicherheit« agitieren.
(Ebd., 2012, S. 458). Wenn noch jemand Zweifel hatte, daß
die Demokratie zwangsläufig den Sozialstaat nach sich zieht, der den Staatshaushalt
ruiniert, dem sollten sie durch das Buch von Carles Boix über Demokratie
und Umverteilung (2003) ausgeräumt worden sein. In einer weltweiten Analyse
stellt Boix (Figure 2.1.) fest, daß 1950 20% aller unabhängigen Länder
Demokratien waren, nach 1990 dann über 50%. Bitter, aber zugleich überzeugend,
ist sein Ergebnis, daß das Ausmaß der Umverteilung in Demokratien
von der Wahlbeteiligung abhängt. (Ebd., 2012, S. 458). |
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Autoritäre
Regierungen teilen von Besserverdienenden etwa ein Drittel der Summe um, im Vergleich
mit Demokratien mit einer Wahlbeteiligung von über 50%; Demokratien mit einer
Wahlbeteiligung unter 50% ein Drittel weniger als Demokratien mit hoher Wahlbeteiligung
(siehe Abbildung). Das heißt, der Zulauf der Parteien hängt davon ab,
wieviel Umverteilung sie versprechen. Und ist die Umverteilung einmal in Gang,
dann strömen die Wähler zu den Urnen, um sie aufrechtzuerhalten und
zu verstärken:. Das ist genau das, durch Boix mit genauen Zahlen belegt,
was andere hier in diesem Buch Zitierte behaupten und was mit der Alltagsbeobachtung
politisch wacher Menschen übereinstimmt. Boix belegt dann auch, wohin das
letztlich führt: Während in autoritären Herrschaftssystemen das
Verhältnis der Einkommen zwischen Arm und Reich lange Zeit verhältnismäßig
stabil bleiben kann, kommt es in einer Demokratie zu einer relativen Angleichung
bis zu einem Umschlagpunkt, von dem alle Einkommen stetig und unaufhörlich
fallen. Dieser Umschlagpunkt dürfte in der Bundesrepublik Deutschland im
Jahre 1994 überschritten worden sein (vgl. Thilo Sarrazin, 2010). (Ebd.,
2012, S. 458-459). Die Umverteilung geschieht nicht immer oder
nur von oben nach unten. Daß höhere Bildung in den meisten Staaten
und zum größten Teil noch frei von direkter Bezahlung oder Zuzahlung
ist, ist eine historische Folge des Strebens nach Chancengleichheit. Sobald der
tiefverschuldete Staat versucht, diese Privilegien aus der meritokratischen Traumzeit
anzutasten, gehen die Studenten dagegen auf die Straße. Wieviel und für
wen Bildung finanziert wird, darum kämpfen in Demokratien alle politischen
Richtungen. (Ebd., 2012, S. 459). In einer Stadt wie Leipzig
werden die Einnahmen des Stadthaushalts in drei Richtungen umverteilt: der weitaus
größte Teil nach unten in soziale Leistungen, ein beträchtlicher
Teil in die Hochkultur (Oper, Gewandhaus, ...), die nur von einem kleinen und
gebildeten Teil geschätzt und genutzt wird, und ein dritter Teil in Prestigebauten,
wie zum Beispiel Anlagen für Wassersportler, die von noch einer geringeren
Anzahl benutzt werden. Für notwendige Investitionen und Reparaturen bei Brücken,
Straßen, öffentlichen Bädern usw. steht jedes Jahr relativ weniger
Geld zur Verfügung, und die Schulden der Stadt steigen von Jahr zu Jahr.
Wehe dem oder derjenigen demokratischen Partei, die ernsthaft versuchen sollte,
an dieser Entwicklung etwas Grundsätzliches zu ändern. Es ist unmöglich,
und das gilt für die allergrößte Zahl der Gemeinden. (Ebd.,
2012, S. 459).Vergangenes
Frühjahr hörten wir bei einer Exkursion im Wollmatinger Ried am Bodensee
mehr Kuckucksrufe als je zuvor. Auch die Teichrohrsänger machten ihrem Namen
Ehre. Der Kuckuck baut kein eigenes Nest, sondern legt sein Ei in die Nester kleiner
freihrütender Singvögel Der kleine Kuckuck wirft dann, wie jeder weiß,
»in unmenschlicher Weise« die Jungen seiner Stiefeltern aus dem Nest
und wird von ihnen als einziger großgefuttert. Das spielt sich in 9% aller
Teichrohrsängernester ab (vgl. Schulze-Hagen, Parasitierung und Brutverluste
durch den Kuckuck [Cuculus canorus] bei Teich- und Sumpfrohrsängern [Acrocephalus
scirpaceus, A. palustris] in Mittel- und Wetseuropa, in: Kournal für
Ornithologie, 133, 1992; eine Übersichtsarbeit über 34 Untersuchungen;
n = 15461 Teichrohrsängerbruten). An manchen Teichen enthalten his zu zwei
Drittel aller Teichrohrsängernester ein Kuckucksei. Darüber hinaus verwüsten
die Kuckucksweibchen viele Nester, wenn sie an dem Tag kein Ei mehr legen können,
und fressen die fremden Eier, wodurch sie die Rohrsänger zu Nachgelegen zwingen
und sich dadurch die Chancen des Kuckucks erhöhen, an einem späteren
Tag nochmals ein geeignetes Nest zu finden. Wenn man es den Kindern in der Schule
erzählt und einen Film dazu zeigt, kann es schon vorkommen, daß ein
vorwtziges Kind fragt, warum sich das die kleinen Singvögel gefallen lassen
und warum sie nicht das Kuckucksei oder den geschlüpften Kuckuck aus dem
Nest werfen. Erinnern Sie sich an die Antwort, die lhnen der Lehrer gegehen hat?
Verriet er lhnen sogar, daß ein Teil der Rohrsänger es ablehnt, das
Kuckucksei zu hebrüten oder es hinauswirft? ln Flandern schaffen das 9% der
betroffenen Teichrohrsänger, im Elsaß 32%; Sumpfrohrsänger hingegen
sind bei der Kuckucksabwehr viel energischer und erfolgreicher: 79% der Sumpfrohrsänger
werfen das fremde Ei aus dem Nest. Unter den Rohrsängern einer Art finden
sich demzufolge auch Unterschiede: Es gibt kuckucksfreundliche, naive Rohrsänger,
die ihre eigenen Gene zugunsten der Vermehrung des Kuckucks opfern; und es giht
kuckucksunfreundliche kluge, die ihre eigenen Jungen großziehen und ihre
eigenen Gene bewahren. Die Vogelkundler nehmen an, der Unterschied zwischen den
heiden Rohrsängerarten hestehe deswegen, weil der Teichrohrsänger insgesamt
gesehen noch ein junger und naiver Kuckuckswirt sei, hei dem die Natürliche
Selektion noch nicht lange gegensteuern konnte, der Sumpfrohrsänger hingegen
sich schon viel länger der Kuckucke erwehren muß.ln England fand man
1835 keine Kuckuckseier in Teichrohrsängernestern, erst seit etwa 1940kam
es zu einem steilen Anstieg his auf etwa 7% aller Teichrohrsängerbruten.
(Ebd., 2012, S. 460).Vermehren
sich die Kuckucke immer stärker, dann muß die Zahl der Rohrsänger
sinken. Die Kuckucksweibchen finden keine Nester, in die sie ein Ei legen können,
und im nächsten Jahr giht es weniger Kuckucke. Das begünstigt nun wieder
den Bruterfolg der Rohrsänger, bei denen inzwischen zugunsten der Gene selektiert
worden ist, die zur Kuckucksabwehr befähigen. So wie sich die Zahlenverhältnisse
von Kuckucken zu Rohrsängern in Wellen entwickeln, also zwischen Brutparasiten
und Wirten, so allgemein auch zwischen Wirten und Parasiten, zwischen Füchsen
und Hasen, zwischen Räubern und Beute, zwischen Dieben und Besitzern. ln
der Populationsdynamik läßt sich das mit Gleichungen heschreiben, nach
Nicholson-Bailey und Lotka-Volterra, die man in jedem Ökologie-Lehrhuch nachlesen
kann und die Schulstoff der Gymnasien sind. Bei soziallebenden Tieren - also auch
heim Menschen - kommt hinzu, daß der Schwächere und Unterlegene durch
Unterwerfungsgesten gegenüber dem Überlegenen eine Beißhemmung
auslösen kann, wonach der Schwächere in die Nahrungsverteilung einbezogen
werden kann und bei manchen Arten sogar zur Fortpflanzung gelangt. Die Kuckucke
können sich nur behaupten, weil ein Großteil der Teichrohrsänger
nicht fähig oder willens ist, gegen das Kuckucksei vorzugehen. Bei den meisten
Rohrsängern überwiegen die Antriebe der Brutfürsorge, und das Kuckucksei
wird bebrütet und der Kuckuck gefüttert, egal ob und wie viele junge
Teichrohrsänger dadurch das Lehen verlieren.. (Ebd., 2012, S. 460).
Zu
jedem menschlichen Gemeinwesen gehören zahlreiche Personen, die nicht oder
nicht unmittelbar zum Nahrungserwerb beitragen, zeitweise - also Kinder, Alte,
Erkrankte - oder ständig, also Schwerbehinderte und andere. Zu den anderen
gehören auch Personen, die sich auf Kosten der Mehrheit unterhalten und vermehren
(vgl. auch: Tragik
der Allmende; HB). Je nach wirtschaftlichem Entwicklungsstand oder
Notsituation kann jede menschliche Gemeinschaft mehr oder weniger viele Nicht-Produktive
aushalten und unterhalten, das war schon immer so. Die Ausnutzung fossiler Brennstoffe
in der Industriegesellschaft hat in der Aufschwungsphase diesen Spielraum sehr
stark vergrößert und zur Entstehung des Sozialstaats geführt.
So wie die meisten Teichrohrsänger nicht fähig und willens sind, die
Kuckuckseier aus dem Nest zu werfen, so sind auch die Mehrheiten, die in Demokratien
das Sagen haben, uneinsichtig und unfähig, der Parasitierung des Gemeinwesens,
seiner Verkuckuckerei, Einhalt zu gebieten. Mögliche wirksame Abwehr, die
vielen Sozialarbeitern den Job kosten würde, wird als »unmenschlich«
definiert. Der Sachverhalt ist tabu, schon seine bloße Nennung. So bleibt
nur als gemeinsamer Ausweg das Versinken im Großen Chaos, durch das die
negative Selektion eine Neujustierung der Anzahlen und Wertvorstellungen erzwingt.
Während sich die wellenförmigen Bewegungen in der relativen und absoluten
Anzahl von Parasiten und Wirten, von Räubern und Beute über Zyklen von
einigen Jahren oder wenigen Jahrzehnten erstrecken, dauern die Regulationszyklen
großer Gesellschaftsformationen (vg. Oswald Spengler, Der Untergang des
Abendlandes, 1917 und 1922 **)
oder großer Reiche mehrere Jahrhunderte. (Ebd., 2012, S. 460-461).Wer
an Arme Brot ohne nennenswerte Gegenleistung verteilt - wie im Alten Rom - oder
Geld an Mütter mit unehelichen Kindern, wird stets und überall auf der
Welt erreichen, daß die Zahl der Bedürftigen rasch und ständig
steigt. Im Frühjahr 2011 fand auf den Seiten der »Leipziger Volkszeitung«
(LVZ) eine heftige Polemik zwischen den Verantwortlichen der städtischen
Drogenpolitik und ihren Kritikern auf seiten der Polizei statt. Leipzig rühmt
sich einer vorbildlichen Betreuung der Drogenabhängigen, an die innerhalb
eines Jahres kostenlos 29.943 Spritzen und 31.472 Kanülen (so die LVZ am
13. Mai 2011, S.17) abgegeben wurden. Da die Betreuung in Leipzig großzügiger
ist als in anderen Städten, wirkt die Stadt auf Drogensüchtige wie ein
Magnet. Sieben Suchtberatungsstellen betreuen über 4000 Klienten junger Altersgruppen,
und das bei rund einer halben Million Einwohner. Aufgabe der Polizei ist es, den
Drogenhandel zu verhindern und Drogen zu beschlagnahmen. Da sie dieser Aufgabe
nachkommt, sinkt das Angebot im Drogenhandel, und bei dem hohen Bedarf steigen
die Preise für illegale Drogen kräftig. Das ist nach Meinung der Polizei
wiederum die Ursache für das Ansteigen der Beschaffungskriminaliät und
der fast 300 Raubüberfälle allein im ersten Halbjahr 2011. Der von der
Mehrheit der Stadtverordneten gewählte Sozialbürgermeister, nach Meinung
der Polizei ein »Sozialromantiker«, bestreitet einen jeden derartigen
ursächlichen Zusammenhang. Die von der Stadt bezahlten Streetworker warnen
Drogensüchtige, deren Vertrauen ihnen wichtig ist und von denen die Allerwenigsten
noch einen Arbeitsplatz haben, vor bevorstehenden Polizeirazzien. Die nicht-süchtige
arbeitende Bevölkerungsmehrheit bezahlt alles, Suchtberatung und Strafverfolgung,
aus dem bereits mit Hunderten von Millionen Euro überschuldeten Stadthaushalt,
wozu die Schäden aus den Raubüberfällen hinzukommen. Es ging hier
aber nicht darum, der einen oder anderen Seite recht zu geben in dem Streit, wie
man den Drogenkonsum eindämmt, sondern darum, die wirtschaftlichen Auswirkungen
einer Politik mit Beißhemmung aufzuzeigen, die Teil eines Regulationszyklus
ist, der wiederum zum Gesamtzyklus der Industriegesellschaft gehört. Die
Zahl der Kuckucke verringert sich letztlich nicht durch eine ideologische Wende
unter den Teichrohrsängern, sondern durch den Schaden, den sie der Vermehrung
der gutmütigen Rohrsänger zufügen. (Ebd., 2012, S. 461).In
den gegenwärtigen Finanzkrisen wird immer häufiger die Meinung laut,
es sei nicht nur die Begehrlichkeit der nach Umverteilung lechzenden Massen, sondern
auch die Maßlosigkeit und Verantwortungslosigkeit der Reichen und Verantwortlichen,
die Wirtschaft und Staat ruinierten. Hat sich seit der Revolution der Manager
tatsächlich etwas Grundsätzliches geändert? Ja! In der Ständegesellschaft
hafteten die Mächtigen bei ihrem Scheitern nicht nur mit ihrem eigenen Leben
und oft mit ihrem gesamten Besitz, sondern auch mit der Existenz ihrer Familie.
In der Gegenwart gibt es hingegen unzählige Fälle, daß Personen,
die für Milliardenverluste ihrer Firmen oder die Schuldenkrisen der Staaten
verantwortlich sind, sich mit Abfindungen, ihren Einnahmen und früheren Gewinnen
zurückziehen können, ohne daß ihnen vollständige Enteignung,
Todesstrafe und Existenzverlust der Familie droht. In Demokratien werden Abgeordnete
und Politiker in Regierungsverantwortung in der Regel nur für kurze Zeiträume
gewählt, die im historischen Rückblick noch viel kürzer erscheinen.
Auch haften sie nicht für schwerwiegende Schäden, die durch ihre Tätigkeit
ausgelöst worden sind. Die schlimmste Bestrafung ist die Nicht-Wiederwahl
und der Verlust der Macht. Es gilt als eine Errungenschaft der geordneten Demokratie,
daß ihnen und ihrer Familie Jahre nach ihrer politischen Tätigkeit
keine Strafe an Leib und Leben droht. Und doch hat diese fehlende existentielle
Dauerbedrohung - wie sie für einen Monarchen in Krieg und Krisen besteht
- ihre Kehrseite. Nicht in den Demokratien, doch aber in einigen von Managern
geführten Firmen sind ernsthafte Überlegungen und Bestrebungen erkennbar,
wie man wenigstens die Bezahlung und den Lebensstandard der Familien mehr vom
langfristigen Erfolg abhängig machen könnte, als vom Börsenkurs
am nächsten Jahresende. Ein Unternehmer wie Trigema-Chef Wolfgang Grupp ist
eine Ausnahmeerscheinung und wird eher belächelt als begriffen. Auch an diesem
Punkt ist, anstatt einer auf Höherentwicklung des Menschen gerichteten Evolution
im Sinne Darwins, eine auf Zerstörung gerichtete Gegenregulation in vollem
Gange, die von den allerwenigsten begriffen wird. Noch besitzt aber gerade der
deutsche Sprachraum eine größere Zahl Unternehmen, die auf ihrem klug
beschränkten Gebiet Weltmarktführer sind. Wie lange wird Deutschland
diesen Platz als Exportweltmeister noch behaupten können? Wann wird die IQ-Lücke
bei Unternehmern und Belegschaft aufreißen? (Ebd., 2012, S. 462).In
einer reifen freiheitlichen Demokratie ist allem Denken und Handeln ein bestimmter
Rahmen vorgegeben, der so gefaßt ist, daß die Gesellschaft aus der
demokratischen Entwicklungsrichtung nicht mehr ausbrechen kann, bevor sie nicht
an ihrem Ziel angelangt ist. Ein Journalist, der aus diesem Rahmen ausbricht,
verliert seine Stellung; ein Hochschullehrer ebenso, oder er wird erst gar nicht
berufen; und für einen Politiker der Volksparteien reicht ein falscher Zungenschlag.
»Ich kenne kein Land, in dem im allgemeinen weniger geistige Unabhängigkeit
und weniger wahre Freiheit herrscht als in Amerika. .... Die Mehrheit umspannt
inAmerika das Denken mit einem erschreckenden Ring«, schrieb Alexis
de Tocqueville schon 1835, und setzt fort: »Innerhalb dessen Begrenzung
ist der Schriftsteller frei, aber wehe ihm, wenn er ihn durchbricht. .... Er ist
allen möglichen Verdrießlichkeiten und täglichen Verfolgungen
ausgesetzt.« Was wir heute als politische Korrektheit bezeichnen, ist
damit keinesfalls eine neue Erscheinung, sondern das Wesensmerkmal einer demokratischen
Gesellschaft (vgl. Elisabeth Noelle-Neumann, Die Schweigespirale, 2001).
Doch »kein politisches System existiert ewig. Jede politische Ordnung stirbt
einmal- das gilt auch fiir die demokratische Ordnung«, bestätigt ein
Professor für Politikwissenscha!t (vgl. Peter Nitschke, Der Tod der demokratischen
Ordnung, 2007, S. 161). (Ebd., 2012, S. 462-463).
Wann schlägt eine demographische Krise in eine
nationale Existenzkrise um?
1971 hatte sich Hans Harmsen (1899-1989),
ein herausragender Vertreter der deutschen Bevölkerungswissenschaft in der
Nachkriegszeit, zum Thema »Zum Geburtenrückgang in der Bundesrepublik
Deutschland« geäußert: »Eine beachtliche Zahl von ausländischen
Arbeitskräften sind bereits 7 oder mehr Jahre in der BRD - sie sind Einwanderer
geworden, deren Probleme hinsichtlich Wohnung und Erziehung der Kinder nicht allein
mit ausländerpolizeilichen Maßnahmen geregelt werden können.«
Diese erstmalige gedankliche Verknüpfung von eigenem Geburtenrückgang
mit der Notwendigkeit einer qualifizierten Einwanderungspolitik brachte nicht
nur den deutschen Blätterwald zum Rauschen, der gerade begann, die »politische
Korrektheit« zu installieren und die Nähe von Harmsen zur nationalsozialistischen
Bevölkerungspolitik entdeckte, sondern auch die Auflösung der Deutschen
Akademie für Bevölkerungswissenschaft. Die einzige erlaubte politische
Lesart war damals, die ausländischen Arbeitnehmer würden wieder in ihre
Ursprungsländer zurückkehren. (Ebd., 2012, S. 463).In
den folgenden Jahrzehnten war bei den beamteten deutschen Demographen Anpassung
an den Zeitgeist die erste Bürgerpflicht. Nur Personen, die sich außerhalb
dieses engeren Zirkels bewegten, konnten es wagen und wagten es, ihre Stimme zu
erheben. So unterzeichneten 1981 zwanzig deutsche Universitätsprofessoren
das »Heidelberger Manifest« (siehe Theodor Schmidt-Kaler, Das Heidelberger
Manifest von 1981, 2003), das im selben Jahr zur Gründung des »Schutzbundes
für das deutsche Volk« führte. (Ebd., 2012, S. 463).Alle
Warnungen in den 1970er oder 1980er Jahren über die eine Generation später
drohende Gefährdung der Sozialsysteme, die wir nun endlich erleben dürfen
- wir sind ja damit erst am Anfang, da kommt noch viel, viel mehr auf uns zu -,
sind in den Wind geschlagen worden. Auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft
für Demographie in Bielefeld 2004 waren sich alle Experten einig: Bis 2030
verschlechtern sich die demographischen Rahmenbedingungen ständig, weswegen
schließlich die gegenwärtige Rentenhöhe halbiert werden muß,
um den Beitragssatz zu halten, oder der Beitragssatz muß auf 40% erhöht
werden, wenn die Rentenhöhe gehalten werden soll. Schmidt-Kaler hatte dazu
eigentlich schon in seiner Rede auf der Politischen Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung
1988 alles gesagt, was zu sagen war: »Als ich 1973 erstmals (in einem
Memorandum an Regierung und Opposition) darauf hinwies, daß die Rechnung
fehlender Geburten auch im Bereich der Renten und Altersversorgung präsentiert
werden wird, erntete ich nichts als Unglauben und Anfeindungen. Inzwischen ist
die Erkenntnis Allgemeingut geworden, daß die Verwirklichung von heute erarbeiteten
Rentenansprüchen davon abhängt, wie sich die Geburtenzahlen entwickeln.
.... Die einzige natürliche Lösung des Dilemmas heißt: wieder
mehr Kinder zur Sicherung des Generationenvertrages und zur sozialen Versorgung.
Nur dies führt zu einer dauerhaften Stärkung des sozialen Systems.«
(Ebd., 2012, S. 463).Inwieweit kann man langfristige demographische
Entwicklungen und Risikofaktoren, aus denen geschichtliche Brüche folgen,
überhaupt vorhersagen? (Ebd., 2012, S. 464).1879 hatte
sich der in seiner Zeit als sehr bedeutend geltende Historiker Heinrich von Treitschke
(1834-1896) unter dem bezeichnenden Titel »Unsere Aussichten« einmal
mit Gesellschaftsprognose versucht und geschrieben: »Die Zahl der Juden
in Westeuropa ist so gering, daß sie einen tühlbaren Einfluß
auf die nationale Gesittung nicht ausüben können; über unsere Ostgrenze
dringt aber Jahr tür Jahr aus der unerschöpflichen polnischen Wiege
eine Schar strebsamer hosenverkaufender Jünglinge herein, deren Kinder und
Kindeskinder dereinst Deutschlands Börsen und Zeitungen beherrschen sollen;
die Einwanderung wächst zusehends, und immer ernster wird die Frage, wie
wir dieses fremde Volkstum mit dem unseren verschmelzen können.«
(Heinrich von Treitschke, Unsere Aussichten, 1879, S. 572). Daß er
damit als Historiker früh auf ein mögliches Konfliktpotential aufmerksam
gemacht hat, das in den folgenden Jahrzehnten tatsächlich große Bedeutung
erlangen sollte, dafür hat er die Kritik von allen Seiten erfahren, die auf
jeden einbricht, der den Mut hat, sich zu grundlegenden Problemen in vorausschauender
Weise zu äußern. Denn für die später organisiert auftretenden
Antisemiten war die Assimilation der Juden kein Thema; für die Zionisten
ebenso nicht, denn sie wollten die Auswanderung nach Palästina. Mir kam es
an dieser Stelle nur darauf an zu belegen, wie Treitschke 1879 eine sich anbahnende
Überschichtung erfaßt und nicht nur die künftige Machtstellung
der jüdischen Minderheit in Finanzwirtschaft und Zeitungswesen richtig erahnt
hat, sondern auch das sich daraus ergebende mögliche Konfliktpotential.
(Ebd., 2012, S. 464).Wann wird der kritische Punkt erreicht, von
dem ab die Zeichen unwiderruflich auf Krieg, Bürgerkrieg und Vertreibung
des einen Bevölkerungsteiles deuten, auch wenn der Ausbruch von blutigen
Auseinandersetzungen noch Jahrzehnte auf sich warten lassen kann? Wie viele Jahrzehnte
sind dann noch Zeit? Und wie lange noch gibt es Spielraum zum Gegensteuern?
(Ebd., 2012, S. 464).Der schon zitierte Gewährsmann aus Böhmen
schrieb 1912: »Es war ein Fehlel; die nationale Bedeutung des Reichtums
zu überschätzen. .... Wir haben ... zu viele Leute mit höheren
Ansprüchen an die Lebensführung, daher an höheren Löhnen,
kürzerer Arbeitszeit, Leute mit größerem Selbstbewußtsein
und geringerer Fügsamkeit. .... Für niedrige Arbeit sowie für persönliche
Dienste mußte man nach tschechischen Arbeitskräften greifen.«
(Franz Jesser, Das Wesen des nationalan Kampfes in den Sudetenländern,
1912). Im Frühjahr 1914 schauten gebildete und wohlhabende deutsche Bürger
in Prag, Riga, in Laibach und Preßburg auf ihre ungebildeten Mitbürger
herab, ebenso wie ... der US-Amerikaner in Los Angeles im Jahre 2000 auf die eingewanderten
Mexikaner herabschaut - und wie manche vielleicht auf die Türken in Berlin,
Hamburg und Düsseldorf herabschauen. (Ebd., 2012, S. 466).Die
PISA-Studie hat zweifelsfrei belegt: Die bei uns eingewanderten Türken sind
nicht nur weniger qualifiziert, sondern haben auch einen durchschnittlichen IQ
von nicht höher als 85. An den höheren Bildungseinrichtungen sind die
Einwanderer, insbesondere die aus der Türkei, nur halb so stark vertreten,
wie es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht. Aber sie sind vertreten! Und
nun rechnen sie einmal bitte, und es ist eine ganz einfache Rechnung ....
(Ebd., 2012, S. 466).lm geschichtlichen Rückblick ist das
Tempo eindrucksvoll, in dem ein vollständiger Bevölkerungswandel in
an und für sich voll besiedelten Räumen vor sich gehen kann. Wir hatten
vorn (S. 430 und S. 429) die Beispiele Kosovo und Siebenbürgen. Ein Wandel,
der in den ersten Jahrzehnten zumeist völlig friedlich verläuft. Der
Wechsel von der Dominanz des einen Volkes bis zu seiner Vertreibung oder Ausgrenzung
braucht oft weniger als ein Jahrhundert. In Palästina bzw. Israel brauchte
es, beschleunigt durch die außerordentlichen Umstände und Folgen des
Antisemitismus in zahlreichen Ländern, von 1890 bis 1948 58 Jahre, um die
Araber zu Flüchtlingen zu machen. Auch die Geschwindigkeit des vollständigen
Elitenwechsels hat man bisher stark unterschätzt. Bei manchen Völkern,
wie etwa den Slowenen, hat es deutscher Hochmut kaum für möglich gehalten,
sie könnten sich selbst regieren und wirtschaftlich behaupten. Man kann sich
aber schwer vorstellen, wie sich Niederländer, Dänen, Tschechen und
Schweizer durch außereuropäische Einwanderer allmählich aus ihrer
Heimat verdrängen lassen, ohne von einem bestimmten Punkte an energischen
Widerstand zu leisten. (Ebd., 2012, S. 467).»Die
Höhe unserer materiellen Kultur steht in untrennbarem Zusammenhang mit der
nationalen Zersetzung unseres Lebensraumes«, schrieb unser, hier schon
mehrfach zitierter weitsichtiger böhmischer Gewährsmann im Jahre 1912.
Und er setzt fort: »Wir Deutsche ... haben kein für unsere nationale
Existenz notwendiges Interesse an einer Verzögerung der Modernisierung des
tschechischen Wirtschafts- und Gesellschaftslebens. Im Gegenteil: Je differenzierter
und moderner die wirtschaftliche und soziale Struktur des tschechischen Volkes
wird, ... desto geringer wird das Ausbreitungsbedürfnis der tschechischen
Nation.« (Franz Jesser, Das Wesen des nationalan Kampfes in den Sudetenländern,
1912). (Ebd., 2012, S. 467).Eine große Chance besteht
für unsere nationale und europäische Existenz darin, daß die bei
uns schon vorhandenen Einwanderer und weiter Hinzukommenden keine national geschlossene
Einheit bilden, sondern sich auf viele Herkunftsländer verteilen. Gelingt
es, die Vielfalt aufrechtzuerhalten, dann sollten wir optimistisch sein. Was Geburtenschwund
und Masseneinwanderung anbetrifft, hat uns Frankreich einige Jahrzehnte an Erfahrungen
voraus. Bis heute ist Frankreich noch nicht (aber fast!
HB) untergegangen, auch wenn seine Probleme mit den Einwanderern aus Nordafrika
immer komplizierter werden und irgendwo jede Nacht einige oder viele Autos in
den Vorstädten ausbrennen .... Die einzige Nation, die in Mitteleuropa zahlenmäßig
schon so stark ist, daß die Assimilation der schon Anwesenden Vorrang vor
jedem weiteren Zuzug haben sollte, sind die Türken. Jahrhundertelang sah
sich das Alte Rom dem Einwanderungsdruck seiner Nachbarvölker ausgesetzt
und ist damit viele Jahrhunderte ganz gut fertiggeworden (vgl. Alexander Demandt,
Der Fall Roms, 1984); es konnte immer neue Zuwandererströme in sein
Reich einbinden. Durch eine kluge Politik, die die Fremden niemals als eine Einheit
betrachtet hat, sondern immer zwischen Personen von großer Nähe und
weiter Ferne unterschieden hat, so daß aus den Nahestehenderen gute Staatsbürger
geworden sind. Ein gewisses Maß an Bevölkerungsaustausch, an Einwanderung
und Auswanderung, ist etwas ganz Normales und hat stets und immer stattgefunden.
(Ebd., 2012, S. 468).Die Völker Europas, die für das
Entstehen ihrer Nationalstaaten einen hohen Preis gezahlt haben, stehen jetzt
vor der Entscheidung, ob sie ihre relativ geschlossenen und christlich geprägten
Nationalstaaten aufs Spiel setzen. Schrumpfende Bevölkerungen, und das sind
mit Ausnahme der Albaner derzeit alle europäischen Völker, besiedeln
»Unterdruckgebiete«, auf die ein Einwanderungsdruck mit ständig
wachsenden Kosten (für Grenzschutz, Asylbewerber usw.) ausgeübt wird.
1995 hatten die Europäische Union 375 Millionen Einwohner und der islamisch
geprägte Nahe Osten und Nordafrika zusammen 313 Millionen. Nach der UN-Prognose
(von 1996) soll bis 2050 die Zahl der EU-Einwohner auf 338 Millionen sinken, die
im Nahen Osten und Nordafrika hingegen auf 661 Millionen steigen. Diese Prognose
ist naiv, denn die ausgleichende Wanderungsbewegung ist bereits in vollem Gange.
Der gegenwärtige Zustand in Mitteleuropa mit sinkenden Rüstungslasten
und relativer politischer Ruhe und Stabilität ist ein Übergangszustand,
der - wenn der gegenwärtige Trend nicht gebrochen wird - mittelfristig in
einen Zustand mit schweren inneren und vielleicht auch damit zusammenhängenden
äußeren Konflikten übergehen kann (vgl. Alexander Demandt, Endzeit?,
1993). (Ebd., 2012, S. 468-469).Im produzierenden Sektor
verschieben sich die Anteile der Weltproduktion zuungunsten der europäischen
Länder. In jedem Jahr, in jedem Monat, an jedem Tag wird Europa kleiner;
nicht nur sein Anteil an der Weltbevölkerung, sondern auch sein Anteil an
der Weltindustrieproduktion und am Welthandel wird geringer. Die Gewinner sind
Völker und Staaten in Übersee, bei denen die Lebenserwartungen des Einzelnen,
der Anteil der Alten an der Gesamtbevölkerung, die Sozial- und Gesundheitsausgaben
und die Ausgaben für den Umweltschutz und die Rechtspflege noch viel geringer
sind. Bei ihnen gibt es keine Arbeitslosen- und schon gar keine Pflegeversicherung
sowie kein Gesetz, das jedem Kind einen Kindergartenplatz garantiert. Bei ihnen
wird die Hochschulreife auch nicht erst nach 13 Schuljahren erworben. Die Gewinner
sind Völker und Staaten in Übersee, die sich in einem ähnlichen
Stadium der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung befinden, wie
Deutschland vor 200 Jahren, als es steil zur Weltmacht aufstieg (**).
Damals kannte Deutschland noch keine Arbeitslosen- und schon gar keine Pflegeversicherung,
keinen wochenlangen Erholungsurlaub, keine Auslandstouristik für jedermann
und keine staatlich garantierten Kindergartenplätze. Statt dessen gab es
Kinder in jeder Straße und in jedem Haus und eine Zusammensetzung der Alterspyramide
wie heute in Brasilien. Schon haben selbst Bayern und Baden-Württemberg 10%
ihrer Industriearbeitsplätze verloren. Und das ist nur der Anfang.
(Ebd., 2012, S. 469).Wie wäre es denn einem deutschen Spitzenpolitiker
in den letzten Jahren gegangen, der unverblümt die Wahrheit ausgesprochen
hätte, es müsse zu einer fundamentalen Umverteilung zuungunsten der
Rentner und Kinderlosen und zugunsten der deutschen (Nicht-Unterschicht-)Familien
mit Kindern kommen und zu einer Umverteilung zuungunsten des Konsums, aber zugunsten
von Investitionen und Forschungsinvestitionen? Dieser Politiker wäre am längsten
Spitzenpolitiker gewesen, die Mehrheit des Wahlvolkes hätte ihm, wenn sie
die Auswirkungen am eigenen Leib zu spüren bekommen hätten, bei der
nächsten besten Gelegenheit seine Stimme entzogen. Nein, es geht dem deutschen
Volk und den (west)europäischen Völkern noch viel zu gut für ein
Umdenken. Erst wenn der weltumspannende Wettbewerb die Lebenshaltungskosten noch
stärker erhöhen wird und wenn die Kosten für die Bekämpfung
von Armut und Kriminalität im Land immer unbezahlbarer werden, erst dann,
wenn der Bürgerkrieg, der schleichend mit der Polizeirazzia gegen Drogendealer,
der Kameraüberwachung von öffentlichen Plätzen, dem Abhören
von Privattelefonen im Kampf gegen das organisierte Verbrechen, dem Aufspüren
von illegalen Einwandereren und Arbeitern schon längst begonnen hat, erst
wenn das alles so sehr Alltag wird, daß es für sehr viele zu einer
alltäglichen Last und Bedrohung geworden ist:. so wie es heute schon in einigen
Städten und Stadtvierteln Last und Bedrohung ist -, erst dann werden Politiker
sich Gehör verschaffen können, die Abhilfe fordern und wirksame Verhaltensänderungen
vorschlagen; Politiker wohlgemerkt, die für neue oder sehr alte Werte eintreten
werden. Wenn man die Trends von heute richtig deutet, dann wird dieser Zustand
in etwa 10 bis 15 Jahren eintreten. Erst nach 2020 wird die zahlenmäßige
Schrumpfung des deutschen Volkes im besonderen und der europäischen Völker
im allgemeinen ihre volle Eigendynamik entfalten. (Ebd., 2012, S. 469).Zu
einem ernsten Problem wird der Bevölkerungsrückgang erst dann, wenn
es mit einem Verlust an Bevölkerungsqualität einhergeht .... (Ebd.,
2012, S. 470).Der Wille zum Kind ist der Wille zum Leben.
(Ebd., 2012, S. 470).Wir zitieren noch einmal Spenglers Weitsicht:
»Das kulturfähige Menschentum wird von der Spitze her abgebaut,
zuerst die Weltstädte, dann die Provinzstädte, endlich das Land, das
durch die über alles Maß anwachsende Landflucht seiner besten Bevölkerung
eine Zeitlang das Leerwerden der Städte verzögert.« (Oswald
Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 1917-1922, S. 681 **).
In der Phase, die wir jetzt erleben, stimmt das aber noch nicht: Die großen
Städte werden (noch! HB) nicht einfach leer,
sondern füllen sich zuvor mit anderssprachigen Flüchtlingen aus den
Notstandsgebieten aller Weltteile und aller Hautfarben, die - wenn sie so unqualifiziert
sind wie die Türken in Berlin - die Städte wirtschaftlich ruinieren,
allein schon durch die notwendigen Ausgaben für Sozialhilfe (vgl. Thilo Sarrazin,
Klasse statt Masse, 2009). Der Verfasser der vierbändigen »Deutschen
Gesellschaftsgeschichte«, Professor Hans-Ulrich Wehler, brachte es in einem
Interview ... am 10. September 2002 auf den Punkt: »Die Bundesrepublik
hat kein Ausländerproblem, sie hat ein Türkenproblem. Diese muslimische
Diaspora ist im Prinzip nicht integrierbar. Man soll sich nicht freiwillig Sprengstoff
ins Land holen.« (Ebd., 2012, S. 471).Wir sollten
jedoch nicht zu pessimistisch sein: Wenn es uns gelingt, qualifizierte Zuwanderer
in eine freie Wirtschaft und freie Gesellschaft zu integrieren, dann braucht uns
vor der Zukunft nicht bange zu sein. Bisher waren alle Prognosen der Demographen
von sinkenden absoluten Bevölkerungszahlen falsch, sofern es sich um wirtschaftlich
blühende Staaten handelte. Die Einwohnerzahl wurde stets durch Einwanderer
ergänzt und mehr als ergänzt, wenn es wirtschaftlich vorwärts ging.
Es gibt aber ... Regionen, in denen es wirtschaftlich und nit den Einwohnerzahlen
bergab geht. Wird sich das noch umkehren? (Ebd., 2012, S. 471).Mittelfristig
gäbe es nur eine gesunde Möglichkeit: Ein Wiederanstieg der deutschen
Geburtenzahlen um mindestens 15%. Aber selbst das erscheint eher als eine Wunschvorstellung
als eine wirklichkeitsnahe Zielstellung irgendeiner Bevölkerungspolitik.
Etwa 10% Einwanderer pro Generation kann eine wirtschaftlich intakte Gesellschaft
integrieren. Ein Viertel zu niedrige Geburtenzahlen md ihre zahlenmäßige
Ergänzung durch Einwanderer - für dieses Szenario gibt es noch kein
Beispiel, wie das ohne tiefgreifende Existenzkrise abgehen kann. Wenn Familienpolitik
erfolgreich sein sollte, dann müßte sie nicht nur einen neuen geistigen
Rahmen setzen, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht.1. | die
Belastungen von den Familien mit Kindern auf die Kinderlosen umverteilen (denn
bislang profitiert von Kindern derjenige am meisten, der keine hat); | 2. | die
Arbeitgeber, die Frauen mit Kindern beschäftigen, vom Arbeitgeberanteil der
Lohnnebenkosten befreien; | 3. | die
Familienbildung bei jungen Frauen mit Abitur fördern und das auch schon während
eines Studiums oder ohne; | 4. |
für junge Frauen mit akademischen Abschlüssen Arbeitsstellen
mit einer Laufzeit von sieben bis zehn Jahren schaffen und fördern -mit entsprechender
Verlängerung, wenn in dieser Zeit Kinder geboren werden. Denn jede Gesellschaft
gebiert sich die Zukunft, die ihr zusteht. (Ebd., 2012, S. 471). |
Die Zukunftsszenarien der Psychohistorik.
Einige
Variablen sind in ihrer Bedeutung unstrittig, nämlich Energie, Informationsentropie
der Strukturen, Bevölkerungszahlen, Bevölkerungsdichte, Rohstoffe und
Entfernungen. Diese Variablen sind alle quantifizierbar und modellierbar. Künftige
reale Modelle der Psychohistorik dürften noch eine ganze Reihe weiterer Variable
enthalten: Klima, Preise, Aktienkurse, Wechselkurse, Goldvorräte u.s.w.,
die zumeist bei aktuellen Ereignissen im Vordergrund stehen. Sie sind so sehr
Gegenstand der Tagespolitik, daß sie oft die Aufmerksamkeit von den langfristigen
Veränderungen im Hintergrund ablenken, mit denen wir uns hier in diesem Buch
befaßt haben. (Ebd., 2012, S. 472-473).
Die Phase, die im Kreislauf der politischen
Verfassungen erreicht worden ist, bestimmt die nächste Phase, bei
der die Freiheitsgrade des politischen Handelns nicht mehr vollständig,
sondern eingeschränkt sind. Die Massengesellschaft in ihrem Streben
nach immer größerer Gleichheit erzeugt eine sich selbst verstärkende
Ideologie, die selbst dann, wenn Minderheiten die Ursachen der krisenhaften
Entwicklung durchschauen, einem Gegensteuern solange durch Meinungsterror
entgegenwirkt, bis es zu spät ist und der Absturz ins Große
Chaos unabwendbar geworden ist. (Ebd., 2012, S. 473).
Wozu dann überhaupt Psychohistorik?
Die Motive könnten oder sollten ähnlich wie bei Seldon (Science-Fiction-Figur
von Isaac Asimov; HB) und Meadows et al. liegen, nämlich katastrophale
Niedergangsszenarien durch frühe Erkenntnis und durch unmittelbare oder mittelbare
politische Beeinflussung zu vermeiden oder wenigstens abzumildern. Wer aber könnte
Psychohistorik bis zur Anwendungsreife betreiben? In Demokratien, wie sie sich
in reifen Industriegesellschaften ausbilden, stehen sowohl die kurze Zeit, für
die Abgeordnete gewählt werden, als auch die ideologische Struktur, die bestimmte
wichtige Variablen, etwa der erblichen Bevölkerungsqualität als gar
nicht wichtig oder nicht vorhanden definiert, einer langfristigen wirklichkeitsnahen
Modellierung entgegen (weshalb Müller-Benedict 2004 scheitern muß).
Auch unabhängige Institute dürften dafür kaum die notwendige langfristige
Finanzierung erlangen. Wer aber könnte solche langfristigen Interessen haben?
Große Energiekonzerne? Vielleicht, aber kennen Sie ein Beispiel? Eher darf
man bei den Geheimdiensten der großen Staaten je eine Abteilung oder zugeordnete
Forscher vermuten, die sich mit langfristigen Prognosen der Machtstrukturen und
Machtrelationen befassen, so wie Hari Seldon geduldet oder gar gefördert
wurde, weil sich die Mächtigen von der Vorausschau seiner Modelle einen wichtigen
Beitrag zu Machterhalt oder Machtzuwachs erhofften. (Ebd., 2012, S. 473).Ob
mit oder ohne Hari Seldon, ob mit oder ohne Thilo Sarrazin (2010) - der große
Rahmen der geschichtlichen Abläufe bleibt dadurch unverändert. Ein Buch
oder eine Person hat darauf so gut wie keinen Einfluß, weder im Vordergrund
des politischen Alltags und der Wirtschaft noch im Hintergrund der Forschung.
Die möglichen Aussagen der Psychohistorik gelten nur für große
statistische Massen, eine persönliche Einzelmeinung oder Tat zählt fast
nichts. (Ebd., 2012, S. 473).Aus
verständlichen Gründen waren es mathematisch Gebildete und Denkende,
die eine Modellierung des Geschichtsablaufs für erstrebenswert und möglich
hielten. Solche Äußerungen, Hoffnungen oder Vermutungen lassen sich
bei einigen bedeutenden Männern des 19. Jahrhunderts nachweisen .... Das
wäre jedoch ein Thema für sich. .... In die Fußstapfen der »Sozialen
Physik« ... traten die Kybernetiker und treten heute diejenigen, die in
den Disziplinen Soziophysik, Ökonophysik und Soziodynamik - oder wie sie
sich noch nennen werden - die Voraussetzung für die mathematische Modellierbarkeit
von Wirtschaft und Gesellschaft schaffen wollen. In der Physik sind alle Teilchen
eines Gases gleich; Prognosen über das Verhalten der Einzelteilchen führen
zu keinen Verhaltensänderungen. Menschen sind jedoch ungleich, und Prognosen
verändern ihr Verhalten. Wenn die Physiker Ernst machen würden und in
hierarchische Modelle der Sozialstruktur und der Struktur der Siedlungsräume
die genetische Ungleichheit der Einzelmenschen, auch hinsichtlich ihres IQ, einführen
würden, müßten sie um ihre Lehrstühle bangen. Deshalb scheuen
die Soziophysiker und Soziodynamiker die Modellierung der wirklichen Wirklichkeit
wie der Teufel das Weihwasser, und ihre Modelle bleiben bisher nur Glasperlenspiele.
Etwas mehr Wagemut als bisher das Projekt Futur-ICT beweisen da schon einige Ökonomen.
(Ebd., 2012, S. 476).Mit »Culturomics« hat eine spannende
Entwicklung begonnen. Begriffe und Schlagwörter tauchen dann auf und werden
dann verwendet, wenn für brennende Fragen nach treffenden Bezeichnungen gesucht
wird. Man kann also aus dem Entstehen von Begrif fen und der Häufigkeit ihrer
Verwendung auf gesellschaftliche Entwicklungen und ihren Brennwert schließen.
Sucht man zum Beispiel mit dem Google-Books-Ngram-Viewer in deutschsprachigen
Büchern der Jahre 1800 bis 2000 nach dem Begriff »Begabung«,
dann erhält man fast eine Normalverteilung, deren Anstieg und Abfall die
einstige Weltgeltung deutscher Wissenschaft widerspiegelt (den
1. Weltrang, denn Deutschland war in allen Bereichen Weltmeister [**]!
HB). (Ebd., 2012, S. 476).»Monarchie«
und »Demokratie« beschäftigen die Bücherschreiber um 1850
und 1920 besonders, also in zeitlichem Einklang mit den revolutionären Ereignissen
1848 und 1918. Die Monarchie wird dabei bis 1910 mindestens doppelt so häufig
genannt wie die Demokratie. Dann aber, um 1930 kreuzen sich die Häufigkeitskurven,
und die Monarchie spielt seitdem eine immer geringere Rolle. (Ebd., 2012,
S. 476-477).»Kommunismus« erreichte seinen Gipfel kurz
nach 1960, und mit dem Verfall seiner Macht verfiel auch die vordergründige
Beschäftigung mit der Idee. Aber auch die »Demokratie« erlebte
ihren Gipfel um 1970 und verliert seitdem an Bedeutung, mit einem kurzen Zwischenhoch
um 1990. Was tritt an ihre Stelle? Als neue geistige Klammer dient der »Antifaschismus«,
der erst seit etwa 1990 so richtig in Schwung kommt. Ich erinnere mich: In der
Sowjetischen Besatzungszone war von 1945 bis 1949 die »antifaschistischdemokratische
Umwälzung« die Vorstufe zur »Volksdemokratie«, womit man
die Abschaffung der freiheitlichen Demokratie bezeichnete. (Ebd., 2012,
S. 477).Immer häufiger lesen wir »sozial« (seit
1880 verwendet) und »Sozialstaat«, dessen Anwendung seit 1940 stetig
und exponentiell wächst. Wenn man die im Titel unseres Buches und in den
Überschriften seiner Kapitel und Abschnitte verwendeten Begriffe nachschlägt,
bekommt man die schon früher getroffenen Feststellungen noch einmal in eindrucksvoller
Weise bestätigt: »Zentralisierung« und »Bürokratisierung«
wachsen seit 1880 exponentiell, »Steuergerechtigkeit« seit 1860, der
»Energiepreis« seit 1900. Vom »Leistungsprinzip« ist erst
seit 1920 die Rede, da es vorher für das Bürgertum selbstverständlich
war. Die »Einheitsschule« wird erstmals um 1880 gefordert. Und man
schlage »Bildungswachstum«, «Frauenwahlrecht«, »Kinderzahl«,
»Lohnnebenkosten«, »Sozialhilfe«, »Reichensteuer«,
»Überbevölkerung«, »Bevölkerungsdichte«,
»Unterwanderung«, »Staatsverschuldung« und vieles andere
mehr nach, und man wird die grundlegenden Entwicklungen bestätigt bekommen,
mit denen wir uns in diesem Buch hier befaßt haben. Wörter sind klingende
Waffen, wenn man die Sachverhalte dazu verändern will oder sich von Veränderungen
bedroht sieht und dagegen ankämpfen will. Weswegen hätte irgend jemand
vor 1920 etwas über »Altersstruktur« schreiben sollen? Man schrieb
statt dessen über »Wehrfähige«. Wenn es gelingt, in Büchern
und Nachrichten aller Art nicht nur den einzelnen Begriff, sondern auch den Sinnzusammenhang
zu erschließen, in dem er verwendet worden ist, dann lassen sich tief- und
hintergründige Veränderungen auf diese Weise messen. Schon ist es gelungen,
auf diese Weise politische Unruhen einige Zeit vorher zu erkennen. Wenn aber die
Modelle so weit entwickelt worden sind, daß man damit den Zusammenbruch
des Ostblocks einige Jahre vorher ziemlich jahresgenau hätte berechnen können,
wird man auch über den Zeitpunkt des Großen Chaos etwas sagen können.
(Ebd., 2012, S. 477).Wohlgemerkt, an keiner Stelle wurde von mir
behauptet, Bevölkerungsdichte oder Bevölkerungsqualität würden
den Gang der Geschichte bestimmen. Sie sind jedoch Teil eines Kreislaufs von Wirtschaft
und Verfassung, der bei jedem Schritt mit Dichte, Ausbildung und Qualität
der Bevölkerung rückgekoppelt ist. Die Politik ist der Schaum, der dabei
auf den Wellen geschlagen wird, mehr nicht. Die Politiker indes halten sich für
die Treibenden der Geschichte, sind aber 'nur Getriebene und versuchen etwas zu
regeln, was sich allein regelt. Mögen sie als Einzelne durchaus zu richtigen
Einsichten fähig sein, so ist ihnen in einer Massengesellschaft die Macht
und die Fähigkeit versagt, den statistischen Gesetzen der Geschichte wirkungsvoll
und dauerhaft entgegenzutreten. Obwohl ein Teil der Gesellschaft die verhängnisvollen
Zusammenhänge durchschaut (so wie ein Teil der Leser von Sarrazin 2010) und
eine Gegensteuerung anstrebt, sind die Entscheidungen der gewählten Politiker
in das ideologische Korsett des Zeitgeistes gepreßt, der den Spielraum der
Handlungsmöglichkeiten einengt. (Ebd., 2012, S. 477-478).Die
Extremisten aller politischen Richtungen verkünden mit voller Überzeugung:
Unsere Zeit wird kommen! Sie werden alle recht bekommen, nur die Reihenfolge,
der Zeitpunkt und die Dauer der Zwischenschritte bleibt die offene Frage. Auch
künftige Zeiten werden ihre Robespierres und Napoleons haben. (Ebd.,
2012, S. 478).»Es sind vor allem zwei innerlich verwandte
Erscheinungen«, so Domarus, »die wir in den Verfallszeiten der
Nationen immer wiederfeststellen können. Die eine ist der Ersatz des Persönlichkeitswertes
durch einen nivellierenden Begriff in der Demokratie. Die andere ist. ..die Verneinung
der Verschiedenartigkeit der Veranlagung, der Leistung. .... Es ist nur logisch,
daß die Demokratie, die im Inneren eines Volkes den besonderen Wert des
einzelnen negiert ..., im Völkerleben genau so verfährt und dort zum
Internationalismus ausartet. Im großen heißt es: Es gibt keine angeborenen
Volkswerte, sondern es treten höchstens vielleicht augenblickliche Erziehungsunterschiede
in Erscheinung. ... Diese Auffassung, die die Basis unserer ganzen heutigen internationalen
Gedankenwelt ist, ... führt zwangsläufig in der weiteren Konsequenz
dahin, daß man gleicherweisen erst recht innerhalb eines Volkes Unterschiede
im Werte der einzelnen Angehörigen dieses Volkes negiert. Damit kann natürlich
auch jede vorhandene besondere Fähigkeit, jeder vorhandene Grundwert eines
Volkes praktisch wirkungslos gemacht werden. Denn die Größe eines Volkes
ergibt sich nicht aus der Summierung aller Leistungen, sondern letzten Endes aus
der Summierung der Spitzenleistungen. .... Dieses ganze Kulturgebäude ist
in den Fundamenten und in allen Steinen nichts anderes als das Ergebnis der schöpfe~ischen
Fähigkeit, der Leistung der Intelligenz, des Fleißes einzelner Menschen,
in den größten Ergebnissen auch die große Schlußleistung
einzelner gottbegnadeter Genies, in den Durchschnittsergebnissen die Leistung
der durchschnittlich fähigen Menschen und im Gesamtergebnis zweifellos das
Resultat aus der Anwendung der menschlichen Arbeitskraft zur Verwertung der Schöpfung
von Genies und Talenten. Damit aber ist es natürlich, daß, wenn immer
die in der Minderzahl befindlichen fähigen Köpfe einer Nation wertmäßig
gleichgesetzt werden all den anderen, damit langsam. ..eine Majorisierung der
Fähigkeit und des Persönlichkeitswertes einsetzen muß, eine Majorisierung,
die man fälschlicherweise dann als Volksherrschaft bezeichnet. Denn dies
ist nicht Volksherrschaft, sondern in Wirklichkeit Herrschaft der Dummheit, der
Mittelmäßigkeit, der Unzulänglichkeit. .... Damit aber wird die
Demokratie praktisch zur Aufhebung der wirklichen Werte eines Volkes führen.
Es ist daher auch erklärlich, daß Völker mit einer großen
Vergangenheit, von dem Zeitpunkt an, da sie sich unbegrenzter demokratischer Massenherrschaft
hingeben, langsam ihre frühere Stellung einbüßen: denn die vorhandenen
und möglichen Spitzenleistungen Einzelner auf allen Gebieten des Lebens werden
nunmehr dank der Vergewaltigung durch die Zahl praktisch unwirksam gemacht. Damit
aber wird ein solches Volk allmählich nicht nur an kultureller, nicht nur
an wirtschaftlicher Bedeutung, sondern an Gesamtbedeutung überhaupt verlieren.
....Das Privateigentum ist nur dann moralisch
und ethisch zu rechtfertigen, wenn ich annehme, daß die Leistungen der Menschen
verschieden sind. .... Wenn aber die Ergebnisse der Leistungen der Menschen verschieden
sind, ist es zweckmäßig, auch die Verwaltung dieser Ergebnisse ungefähr
im entsprechenden Verhältnis den Menschen zu überlassen. .... Dies jedoch
zugegeben, ist es jedoch Wahnsinn zu sagen: Auf wirtschaftlichem Gebiete sind
unbedingt Wertunterschiede vorhanden, auf politischem Gebiete aber nicht! Es ist
ein Widersinn, wirtschaftlich das Leben auf dem Gedanken der Leistung, des Persönlichkeitswertes
... aufzubauen, politisch aber diese Autorität der Persönlichkeit zu
leugnen und das Gesetz der größeren Zahl, die Demokratie, an dessen
Stelle zu schieben. Es muß damit langsam ein Zwiespalt zwischen der wirtschaftlichen
und politischen Auffassung entstehen. .... Wenn aber behauptet wird, daß
auf politischem Gebiet besondere Fähigkeiten nicht nötig seien, ...
dann wird man eines Tages diese selbe Theorie von der Politik auch auf die Wirtschaft
übertragen. .... In einem Staat, in dem das ganze politische Leben sich auf
den Gedanken der Demokratie aufbaut, muß die Armee allmählich ein Fremdkörper
werden. .... Zwei Prinzipien stehen sich schroff gegenüber: das Prinzip der
Demokratie ... und das Leistungsprinzip.« (Max Domarus, Hitler -
Reden und Proklamationen 1932-1945, 1962, S. 71 ff.). (Ebd., 2012, S.
478-479).
Für den Weitsichtigen geht es heute
jedoch nicht mehr um Staaten, Staatspolitik oder das Überleben von
Völker, sondern nur noch darum, welche Minderheiten überleben
werden, und zwar wo, warum und wozu. In aller Regel verbindet ein Prophet
des Untergangs seine Botschaft zugleich mit einer Heilslehre. Man müsse
nur schnell das und jenes ändern und das und jenes glauben, dann
würde schon alles noch gut werden. Ich habe nichts dergleichen anzubieten.
Das Große Chaos bedeutet nicht den Weltuntergang. Wenn sich der
Kreis geschlossen hat, werden für einen neuen Anfang neue Werte gesetzt
werden. Es wird in den einzelnen Weltregionen unterschiedliche Neuanfänge
geben. In einer untergehenden Ordnung zeichnen sich bereits die ersten
Umrisse der Zukunft ab. Im untergehenden Römischen Reich gewann das
Christentum allmählich und lange an Boden, ehe es reif war, den Staat
zu beherrschen. Heute bekennen sich immer mehr Menschen nicht nur zum
Islam, sondern zum Beispiel in Lateinamerika auch zu den protestantischen
Freikirchen. In den Katastrophen verschwanden stets die großen und
hochspezialisierten Tiere, die kleineren und anspruchslosen Arten überlebten.
Wenn Sie in den nächsten Jahren wissen wollen, mit welcher Geschwindigkeit
wir uns dem Großen Chaos nähern, dann verfolgen Sie aufmerksam
die nach oben weisende Kurve der weltweiten Statistik der großflächigen
Stromausfälle. Elektrischer Strom ist das Blut der Industriegesellschaft,
wenn er ausfällt, bricht unsere Zivilisation zusammen. Indem die
Politik und die Medien Druck auf die Netzbetreiber ausüben, Kraftwerke
abschalten, den Bau neuer Kraftwerke und überlandleitungen behindern
und verzögern und damit die Stromnetze an ihre Belastungsgrenze bringen,
erhöhen sie - so Gott will - die Wahrscheinlichkeit des unausbleiblichen
Zusammenbruchs. Man blicke nach Südafrika. (Ebd., 2012, S.
479).
In dem Buch
hier bin ich dem Thema Atomkraft und Atomausstieg aus dem Wege gegangen. Aus gutem
Grund: So wie die fossilen Brennstoffe, so ist auch die Atomenergie eine endliche
Energiequelle, noch dazu mit schwer einzuschätzenden Risiken. Ihre Verwendung
oder Nicht-Anwendung schafft keine völlig neuen Tatsachen. Dennoch kann sie
als Brückentechnologie gerade dann, wenn sich die fossilen Brennstoffe in
den nächsten Jahrzehnten stark verteuern, eine große Bedeutung erlangen.
Nach Fukushima forcieren einige wenige Länder den Atomausstieg so, als wollten
sie das Eintreffen des Großen Chaos beschleunigen und seine Auswirkungen
verstärken. In Deutschland sind es insbesondere die Umverteilungsparteien,
die in dieser Richtung agieren. Sie beschwören die rettenden Innovationskräfte,
die sie - und das ist das Erstaunliche und dabei Erfreuliche - weniger bei staatlicher
Planung als im freien Unternehmertum vermuten. Die Umverteilungsparteien glauben
mit ihrer Politik, deutsche Unternehmer zum Weltmarktführer bei Technologien
für »erneuerbare Energien« (Anführungszeichen
von mir, weil es »erneuerbare Energien« nicht gibt [**];
HB) und Energieeinsparungen zu machen. Gott gebe, sie mögen recht
behalten! Wenn die Energiekosten steigen -und sie steigen in jedem Falle -, dann
wird es die Wähler der Volksparteien am stärksten treffen. Ob sie dann
noch die Begeisterung und Meinung der Parteiführungen teilen, werden wir
alle erleben. Andere Länder und Parteien kennen vernünftige Gründe,
die Atomenergie weiterhin zu nutzen. Wann wirbt in Mitteleuropa eine Partei um
die Wählerstimmen, die sich solchen Gründen nicht verschließt?
(Ebd., 2012, S. 479-480).Die »erneuerbare Energien«
(Anführungszeichen von mir, weil es »erneuerbare
Energien« nicht gibt [**];
HB) sollte man zutreffender als unzuverlässige Energien bezeichnen.
Stellen Sie sich eine sehr kalte, stabile Hochdruck-Wetterlage im November oder
Februar vor, in der wochenlang kein Lüftchen weht und dicker Hochnebel die
Sonne verdeckt. Bei solchen Wetterlagen erreicht der Energiebedarf in ganz Mittel-
und Osteuropa ein Maximum. Wenn Deutschland dann in dieser Situation in erheblichem
Maße auf Sonnen- und Windenergie angewiesen sein sollte, so kann man sich
ausmalen, was sich abspielen wird, wie verwundbar und erpreßbar das Land
werden wird. Um den wochenlangen Fast-Totalausfall von Sonne und Wind zu kompensieren,
müßte dann eine Überkapazität an Speichern und Kraftwerken
auf anderern (d.h. aber fossiler) Energiebasis bereitstehen, deren Bau in der
Gegenwart ja gerade auch politisch verhindert werden soll. (Ebd., 2012,
S. 480).»Ohne Gott und Sonnenschein, bringen wir die Ernte
ein!«, meinten in den 1950er Jahren die Kommunisten in der DDR. Ohne Atom
und Kohle, aber auf Sonne und Wind und einige anderen Zutaten, darauf will oder
muß man/frau in Zukunft setzen. Einerseits ist man technik- und fortschrittsgläubig
..., andererseits traut man bewährten und seit Jahrzehnten ohne Katastrophe
laufenden Kraftwerken keine weiteren Verbesserungen der Sicherheit zu und malt
den Teufel an die Wand. Wie von einem Wahn befallen, gibt man ohne zwingende Not
Sicherheiten und Alternativen preis, schaltet Anlagen ab und zerstört sie,
auf die man in tatsächlicher Not wieder setzen könnte und müßte.
Planung und Aufbau neuer Kraftwerke dauern stets mehrere Jahre, und die entstandenen
Schäden am wirtschaftsleben werden sich dann so schnell nicht mehr beheben
lassen. Wie viele Menschen werden überhaupt in der Lage sein, die »sauberen«
»Energien« (die letzten Anführungszeichen
von mir, weil es die Pluralform für »Energie« nicht gibt [**];
HB) noch zu bezahlen? So sauber, daß man weltweit nach den seltenen
Rohstoffen suchen muß, die man zur Fertigung einer Solarzelle braucht. Wer
hat Kenntnis davon, wieviel Energie in Konstruktion, Material und Bau eines wirksamen
Windrades gesteckt werden muß, ehe es die Vögel am Himmel schrecken
kann? Wie oft es gewartet und wie rasch es ersetzt werden muß? (Ebd.,
2012, S. 480).
Die Frage ist eigentlich nur, ob auf das
Große Chaos ein lange währendes neues Mittelalter folgen wird,
in dem ein großer Teil unser Zivilisation verlorengeht und technischwissenschaftlicher
Fortschritt erst nach sehr langer Zeit wieder möglich sein wird.
Oder wird unser Wissen im wesentlichen erhalten bleiben? Werden genügend
fähige Ingenieure ausgebildet werden und überleben? Der klare
nüchterne-Blick in den Abgrund, der sich vor uns auftut, kann deshalb
für Minderheiten, die sich vorbereiten wollen und können - und
um die geht es eigentlich nur noch -, eine Überlebenshilfe sein.
Die utopische Literatur empfiehlt bei weltweiten Katastrophen Bergregionen
und Inseln für Überlebensentschlossene. Auch ist die Abfolge
der Ereignisse und die Tiefe des Sturzes ins Chaos keineswegs heute schon
vorgezeichnet, sondern kann durch unser aktives Handeln zeitlich gestreckt
und gemildert werden, mit sich daraus ergebenden besseren Aussichten im
Hinblick auf die Bewahrung geistiger und materieller Werte. Wer meint,
daß die Erde am Ende dieses Jahrhunderts nur noch zwei Milliarden
Einwohner haben wird, gegenüber neun Milliarden um 2040, der möchte
nicht recht behalten, sondern gern widerlegt werden. (Ebd., 2012,
S. 480-481).
Wer British-Columbia oder Australien bereist,
der begreift, daß eine hochentwickelte Zivilisation auch mit einer geringen
Bevölkerungsdichte möglich ist. Keine Katastrophe bisher konnte die
Menschheit bis auf den Faustkeil zurückwerfen. Die technische Entwicklung
vollzog sich nicht als Kreislauf, sondern als Spirale. Die Welt danach könnte
also eine hochtechnisierte sein - viel, viel höher als die unsere heute -,
und eine Welt, in der viel weniger Menschen leben. Die Frage, ob diese Menschen,
die in einen neuen Kreislauf eintreten, auch eine Sozialstruktur erfinden, die
dauerhaft einen durchschnittlich höheren IQ erträgt oder gar voraussetzt,
kann niemand beantworten. Denn einer patriarchalischen Gesellschaft mit einer
nicht-egalitären Religion könnte das nächste Imperium so lange
gehören, bis auch sein Zerfall wieder einsetzen wird. Fritz Lenz ahnte das:
»Die abendländischen Völker werden voraussichtlich durch kinderreichere
ersetzt werden. .... Das Erdreich werden voraussichtlich jene besitzen, die entweder
eine naive Fortpflanzung bewahren oder denen die Kultur der Familien im Mittelpunkt
der religiösen Bindung steht.« (Fritz Lenz, Diesseits von Gut
und Böse, 1931, S. 10). (Ebd., 2012, S. 481).Im
Schoße unserer alten Welt ist die neue daran zu erkennen, daß durch
die neue Technik Millionen Geringqualifizierte freigesetzt und dauerhaft arbeitslos
werden. In vielen Situationen sind die nationalen Regierungen nichts weiter mehr
als die von den international handelnden Konzernen, Spekulanten und Banken Getriebenen,
von einer Krise in die nächste. Weltweit werden Milliarden Menschen überflüssig
und fallen oft ohne persönliche Schuld, in die Sozialsysteme, sofern vorhanden.
Ausgerechnet in dieser Entwicklungsphase - um 2035 - kulminieren dann auch die
Altenanteile in den Industrieländern und das Ansteigen der Energie- und Rohstoffpreise,
ehe sinkende Bevölkerungszahlen nach 2050 eine Entlastung verheißen.
Die Geschichte muß sich durch ein Nadelöhr zwängen; der Gang durch
das Fegefeuer des Großen Chaos wird uns und unseren Kindern und Enkeln kaum
erspart bleiben. (Ebd., 2012, S. 481).»Der molekulare
Bürgerkrieg beginnt unmerklich, ohne allgemeine Mobilmachung. Allmählich
mehrt sich der Müll am Straßenrand. Im Park häufen sich Spritzen
und zerbrochene Bierflaschen. An den Wänden tauchen überall monotone
Graffiti auf. .... Im Schulzimmer werden die Möbel zertrümmert, in den
Vorgärten stinkt es nach Scheiße und Urin. Es handelt sich um winzige,
stumme Kriegserklärungen, die der erfahrene Städtebewohner zu deuten
weiß. .... Reifen werden zerstochen, Nottelefone mit der Drahtschere unbrauchbar
gemacht, Autos angezündet. .... Die Jugendlichen sind die Vorhut des Bürgerkriegs.
.... Doch ist alles, was sie exekutieren, latent auch bei ihren Eltern vorhanden:
eine Zerstörungswut, die nur notdürftig in gesellschaftlich geduldeten
Formen kanalisiert wird, als Autowahn, Arbeits- und Freßsucht, Alkoholismus,
Habgier, Prozeßwut, Rassismus und Familiengewalt. ....Wenn
ich spät abends in die S-Bahn steige, passiert folgendes. .... Der Zug hält,
und es steigen vier Kerle um die zwanzig ein. Die üblichen Lederjacken, die
üblichen Stiefel. Sie sind ziemlich laut und reden in einer Sprache, die
ich nicht verstehe, vielleicht Arabisch. Ihre Haltung ist herausfordernd, sie
bewegen sich durch den Wagen, als seien sie auf der Suche nach Opfern. Sie kommen
näher, und sofort fühle ich mich bedroht. Sie fixieren mich. .... Dann
gehen sie weiter, und mein Blick fällt auf die Gesichter der anderen Passagiere.
Sie sind verbittert, wuterfüllt, von einer eigentümlich verzerrten Häßlichkeit.
Die Sätze, die sie hervorstoßen, kenne ich nur zu gut. Sogar der alte
Mann ist aufgewacht und murmelt etwas von Aufhängen und Abknallen. ....Der
Schulausflug meiner Tochtern ... scheitert daran, daß es in ihrer Klasse
drei Türkinnen gibt; die Eltern verbieten die Teilnahme, weil ihnen das Risiko
zu groß ist. Das ist ein Indiz dafür, daß es öffentliche
Räume gibt, ... die man nicht mehr ungefährdet betreten kann. Neu ist
das nicht. Schon vor Jahren wurde Berlin-Kreuzberg von zweihundert Personen beherrscht,
die sich Autonome nannten. .... In manchen Stadtteilen gilt das Faustrecht. Die
Polizei, die sich unterlegen fühlt, wagt sich nicht mehr hinein und wird
damit zum stillen Komplizen. ....Unter solchen
Bedingungen kommt es zu einer doppelten Migration: zur Zuwanderung von Schlägerbanden
im rechtsradikalen Kostüm, und zur Flucht der Gefährdeten, zu denen
anfangs Ausländer und Andersdenkende zählen, letzten Endes aber alle,
die sich dem Terror nicht unterwerfen wollen. Die Perspektive ist der Zerfall
des Territoriums. Ein wesentlicher Faktor bei solchen Prozessen ist, wie in den
USA, die Deindustrialisierung. Es entstehen geschützte Gebiete mit eigenen
Sicherheitsdiensten auf der einen, Slums und Ghettos auf der anderen Seite. In
den preisgegebenen Stadtteilen haben Ämter, Polizeistreifen und Gerichte
nichts mehr zu sagen. ....Ein Sonderfall sind
die Grenzregionen mit ihren eigenen Spielregeln und Turbulenzen. Schmugglen, Schleppergeschäft
und Kriminalität haben dort die Standards des Umgangs bereits gründlich
verändert. Dazu tragen auch die illegalen Zuwanderer bei, die ... für
die üblichen Verkehrsformen kaum Verständnis aufbringen. Aber auch von
den Einheimischen fallen die Normen der Zivilisation rasch ab. .... Am Ende zählt
nur noch die Knarre. ....Wer nicht flieht, mauert
sich ein. .... Auch im Innern der Metropolen bilden sich Archipele der Sicherheit,
die verteidigt werden. In den großen amerikanischen, afrikanischen und asiatischen
Städten gibt es längst Bunker der Glückseligen, die von hohen stacheldrahtbewehrten
Mauern umgeben sind. Manchmal sind es ganze Viertel, die nur mit Sonderausweisen
betreten werden können. Schranken, elektronische Kameras und scharf dressierte
Hunde kontrollieren den Zugang. Maschinengewehrschützen auf Wachtürmen
sichern die Umgebung. ....Werden Polizei und Justiz der Lage nicht mehr Herr,
sofern überhaupt noch verhaftet wird, verwandeln sich die überfüllten
Gefängnisse in Trainingslager für die Kombattanten. .... Immer mehr
Menschen werden in den Strudel von Angst und Haß gezogen, bis der Zustand
völliger Asozialität erreicht ist.« (Hans Magnus Enzensberger,
Aussichten auf den Bürgerkrieg, 1993 S. 10 ff.). (Ebd., 2012,
S. 481-482).Zum Abschluß bleibt uns nur noch übrig,
zwei Szenarien zu umreißen: Im ersten Szenario führt, wie eben angedeutet,
katastrophaler Niedergang im Großen Chaos zum Zusammenbruch der Zivilisation.
Der Welthandel erlischt. Kriege, Bürgerkriege, Pogrome, Hungersnöte
und Seuchen dezimieren die Einwohnerzahlen. Alle großen Städte verfallen.
Es bleiben nur noch wenige Kerne in entlegenen Gebieten verhältnismäßig
intakt. Sie stehen aber untereinander nicht mehr im Austausch, so daß die
wissenschaftliche und technische Entwicklung abbricht. Erst nach Jahrhunderten
setzt eine neue Höherentwicklung wieder ein. (Ebd., 2012, S. 482).Im
zweiten Szenario droht alles wie im ersten Szenario abzulaufen. Jedoch wird der
Niedergang gebremst, weil rechtzeitig neue Energiequellen zu erschwinglichen Preisen
erschlossen werden und die Verteufelung und Behinderung der bewährten Energiegewinnung
in einigermaßen vernünftigen Schranken gehalten werden kann. Auf dem
brandwichtigen Feld der Energiewirtschaft gelangen einige bahnbrechende Entdeckungen
und Erfindungen bis zur Anwendung. Auch im zweiten Szenario verringert sich die
Weltbevölkerung dramatisch, viele große Städte und ganze Gebiete
versinken irn Großen Chaos, jedoch bleiben einige Kerne mehr oder weniger
intakt und stehen weiterhin im Austausch von Gütern und Ideen. Obwohl das
Entwicklungstempo zeitweise stark gebremst ist, setzt sich die Entwicklung von
Technik und Wissenschaft fort. Durch neue Technologien, wie Gentechnik und Nanotechnik,
entstehen völlig neue Felder wirtschaftlicher Betätigung. Jeder vernünftige
Mensch wird danach streben, seinen Beitrag zu leisten, damit dieses zweite Szenario
eine größere Wahrscheinlichkeit hat als das erste. (Ebd., 2012,
S. 483).Mit dem allergrößten Fragezeichen für eine
globale Entwicklung und Prognose ist die künftige Rolle Chinas verbunde.
Als Außenstehender, der nicht Chinesisch kann, ist mir jedoch kein qualifizierter
oder gar kritischer Einblick in die inneren Probleme Chinas möglich. So wie
sich die meisten Kremlkenner gründlich geirrt haben, so kann auch das Expertenwissen
über China irreführend sein. Die energetischen Grundlagen, auf denen
sich der Aufstieg Chinas zur neuen Hegemonialmacht vollzieht, sind heute vor allem
kohlegetrieben und endlich. Auch China droht deshalb wieder einmal der innere
Verfall und Zerfall. Aber in welcher zeitlichen Relation wird dieser Verfallsprozeß
zu dem stehen, der in den USA abläuf? Ob das eine Land zwanzig Jahre früher
oder später irn Chaos versinkt, wenn der Gegenspieler zu dem Zeitpunkt noch
verhältnismäßig stabil ist, das kann der entscheidende Unterschied
sein. Um diese Frage beantworten zu können, müßte die Psychohistorik
die Realität so gut modellieren können, wie es vielleicht frühestens
im nächsten Zeitalter, also nach der Industriegesellschaft, der Fall sein
könnte. (Ebd., 2012, S. 483).Bei einem meiner Vorträge
äußerte ein Zuhörer, er ziehe es trotz meiner Ausführungen
vor, Optimist zu bleiben. Was unterscheidet Optimisten (nd Pessimisten? Als mir
vor dreizehn Jahren ein Arzt beibringen wollte, ich hätte nur noch drei Monate
Lebenserwartung, lehnte ich seine Diagnose rundweg ab, lachte und blieb Optimist.
Durch das Fortschreiten der Krankheit eines Besseren belehrt, unterzog ich mich
dann doch der notwendigen Chemotherapie, die mich an einen Punkt führte,
an dem ich den baldigen Zusammenbruch der eigenen Verteidigungskräfte vorhersah,
und ich war Pessimist. Der Arzt versicherte mir, mein Körper besitze noch
eine letzte Verteidigungslinie, die er nun aktivieren würde, was auch geschah.
(Ebd., 2012, S. 483).Der Arzt war in keiner Situation Optimist
oder Pessimist, sondern zog nur aus seinen mir weit überlegenen Fachkenntnissen
die richtigen Schlüsse. So verstehe ich mich mit diesem Buch hier als ein
Arzt am Krankenbett der Geschichte. Aber als einer, der kein Heilmittel kennt,
sondern der nur diagnostiziert. (Ebd., 2012, S. 483).»Man
hat die Demokratie eine Vollendung nennen wollen«, stellte
der Soziologe Robert Michels fest und setzte dem entgegen: »Das aber
ist pure Ideologie. Es muß erklärt werden, daß es keine Vollendungstheorie
geben kann. Die Entwicklung hat keine erkennbaren Ziele; die Geschichte vollzieht
sich nicht in einer geraden Linie. Sie stellt sich, ganz besonders in den Staatsformen
und Massengefühlen, umgekehrt in wahrnehmbarem Gewoge des Hin und Her dar:
.... Die Geschichte besteht aus in ewiger Aufeinanderfolge einander abwechselnden
demokratischen und aristokratischen, sozialen und nationalen Perioden. Wohin führt
uns letztlich die Geschichte? Zur Erkaltung der Erde? Zu Gottes ewigem Gericht?
Wir wissen es nicht; aber das können wir schon sagen: genau wie die Aristokratie,
so ist, historisch gesprochen, auch die Demokratie, als Staatsform wie als Massengesinnung,
nicht eine Vollendung.« (Robert Michels, 1928, Grundsätzliches
zum Problem der Demokratie, S, 290). (Ebd., 2012, S. 483-484). |