 | | „Es
geht um die historische Wahrheit“ Thomas Mehner über die deutsche Atomforschung
im Dritten Reich / Wurde in Thüringen eine Atom-Bombe gezündet? Alexander
Barti Herr Mehner, wie sind Sie dazu gekommen, über die deutsche Atomforschung
zu recherchieren? Mehner: Nun, ich interessiere mich seit vielen
Jahren für Technikgeschichte, ich suche die Quellen für Dinge, die in den Lehrbüchern
zwar behandelt werden, aber wo mitunter die Erfinder nicht eindeutig zu finden
sind. Hinzu kommt, daß das Jonastal, worauf ich mich konzentriert habe, sozusagen
vor meiner Haustür liegt. Haben Sie ein Ingenieurwissenschaftliches Studium
oder ähnliches absolviert? Mehner: Nein, ich komme aus der Informatik
und habe mit Physik wenig zu tun. Daß ich mich auf das Thema gestürzt habe, hängt
damit zusammen, daß ich in spanischen Publikationen erfahren habe, daß wenigstens
eine der Bomben, die auf Japan abgeworfen wurde, deutscher Herkunft gewesen ist. Wieso
ist es wichtig, ob es eine deutsche Atombombe gewesen ist? Mehner:
Es geht grundsätzlich um die historische Wahrheit. In den bisherigen Darstellungen
haben die Amerikaner aufgezeigt, daß sie in Konkurrenz mit oder in Furcht vor
einer deutschen Atombombe eine eigene Entwicklung - das „Manhatten Project“ -
anlaufen ließen. Sie haben zwei verschiedene Waffensysteme gebaut, eine Plutonium-
und eine Uranbombe, und als dann Deutschland erobert wurde, hat die ALSOS-Mission
festgestellt, daß hier angeblich nichts gelaufen ist. Die deutschen Forscher sind
sozusagen in die zweite Reihe geschoben worden. Nun frage ich mich aber, wieso
man sich nach 1945 so sehr für deutsche Experten interessiert hat, wenn die doch
angeblich so wenig gewußt haben. Wenn sich herausstellen sollte, daß das Dritte
Reich die Atombombe besessen hat, tauchen natürlich eine ganze Reihe von Fragen
auf. Warum, zum Beispiel, ist sie nicht eingesetzt worden? Bekanntlich
hielt Hitler nichts von der Einsteinschen Physik, weil er sie, da vom „jüdischen
Geist“ ersonnen, für irrelevant ansah. Außerdem wurden die meisten Atomforscher
als Soldaten an die Front geschickt. Wie sollte unter solchen Bedingungen ein
deutsches Atom-Projekt entstanden sein? Mehner: Ja, das ist schon
problematisch. Hitler hat in der Tat gesagt, daß er mit der „jüdischen Physik“
- er meinte damit Einstein - nichts zu tun haben wolle. Er hat auch Atomphysiker
an die Front geschickt. Nach neuesten Erkenntnissen hat der Minister der Reichspost,
Dr. Ohnesorge, schon früh erkannt, daß die Atomtechnologie auch seinem Ministerium
weiterhelfen kann; er hat 1942 ein Papier verfaßt, in dem er darauf hinweist,
daß die Amerikaner die Atomforschung vorantreiben, und daß es sich Deutschland
nicht leisten könne, auf dem Gebiet zurückzustehen. Es ist auch bekannt, daß Ohnesorge
bei Hitler gewesen ist, und der hat daraufhin gesagt, „jetzt will mir schon die
Reichspost was von der Atombombe erzählen“. Nach diesem etwas unglücklichen Ausgang
der Unterredung ist Ohnesorge zu Himmler gegangen, und dieser hat ihn mit offenen
Armen empfangen. Nachdem, was wir heute wissen, ist die Grundlagenforschung der
Atombombe von der SS und der Reichspost betrieben worden. Ist das Gerede
um die „Geheimwaffen“ nicht ein Propagandatrick gewesen, um die Bevölkerung und
die Verbündeten in einem immer aussichtsloseren Krieg bei Laune zu halten? Mehner:
Ich sehe das wirklich so, daß der Einsatz der Waffe kurze Zeit nach dem Zusammenbruch
möglich gewesen wäre. Ob sich der Kriegsverlauf dadurch geändert hätte, weiß man
natürlich nicht, aber es hätte mit Sicherheit noch mehr Tote gegeben. Selbst amerikanische
Quellen geben zu, daß, wenn die Deutschen ein halbes Jahr mehr Zeit gehabt hätten,
sie in der Lage gewesen wären, eine ganze Reihe von neuen Luftkampfwaffen einzusetzen.
Sogar der Chef des US-Generalstabes, George Marshall, hat Ende 1945 in einem großen
Zeitungsartikel den Leuten ganz deutlich gesagt, wie groß die Gefahr gewesen ist. Normalerweise
denkt man, das Raketenprogramm in Peenemünde, mit der V1 und V2, sei die „Wunderwaffe“
des Reiches gewesen. Hatten beide Projekte, „Atom“ und „Rakete“, etwas miteinander
zu tun? Mehner: Ich denke, daß beide Programme miteinander gekoppelt
waren Ich habe gerade ein britisches Dokument bekommen, dem zu entnehmen ist,
welche Entwicklungen im deutschen Raketensektor gelaufen sind. In der seriösen
Fachliteratur findet man höchstens 40 bis 50 Raketentypen, von der Panzerabwehrrakete
bis zur geflügelten A4B, der Weiterentwicklung der V2. Das britische Dokument
spricht aber von über 400 Raketentypen! Interessant ist, daß nicht nur die V1
weiterentwickelt wurde, sondern auch die auch die A9, A10 muß laut diesem Dokument
sehr weit gewesen sein, denn es gab schon Nachfolgeentwicklungen. Es klingt verrückt,
aber bis zur dreistufigen Mondrakete war vieles in Arbeit! Hier in Thüringen gibt
es deutliche Indizien dafür, daß die Entwicklung der Atombombe gekoppelt war mit
der Enwicklung eines Trägersystems. Von beiden gab es mit großer Wahrscheinlichkeit
Prototypen. Kammler, der im Januar 1945 zum Bevollmächtigten der „Strahlwaffe“
- damit war die Atombombe gemeint - ernannt worden ist, wurde im März 1945 auch
zum Bevollmächtigten der „Strahljäger“ ernannt. Eine solche Ernennung wurde immer
erst dann vorgenommen, wenn die Serienproduktion bevorstand. Sie sagen,
Kammler sei einer der mächtigsten Männer im Dritten Reich gewesen, mächtiger als
Albert Speer mit seiner Organisation Todt. Wer war dieser Dr. Hans Kammler? Mehner:
Kammler kam aus der Baubranche. Er war zuerst Mitglied der Luftwaffe und ist dann
später zur SS gewechselt. Dort war er vor allem mit der Realisierung von unterirdischen
Bauvorhaben beschäftigt. Dabei hat er sein Organisationstalent bewiesen. Er war
ein rücksichtsloser Mann der Tat, so daß man ihm immer mehr Projekte gegeben hat.
Sein Name taucht auch im Zusammenhang mit der V1, V2 und anderen Geheimwaffensystemen
auf; er hatte zum Schluß alle Fäden in der Hand. Er betreute nicht nur Forschungszentren
im Protektorat, in Pilsen, sondern auch die Anlagen „Zement“ (Ebensee) und „Quarz“
(Roggendorf) in Österreich, die auch mit der Produktion von Raketen und Atomtechnologie
zu tun hatten. Nach dem Krieg ist er verschollen, aber ich glaube nicht, daß er
sich - wie manche Historiker behaupten - umgebracht hat. Am 4. März 1945
soll auf dem Truppenübungsplatz Ohrdruf/Thüringen eine Atombombenexplosion stattgefunden
haben. Warum kann man nicht die üblichen Folgen einer solchen Explosion feststellen,
wie z. B. Radioaktivität, Mißbildungen, Leukämie? Mehner: Man
muß sich von der Vorstellung lösen, der Test sei mit einer Waffe im Format von
Hiroshima geschehen. Nach Zeugenaussagen war es nur eine kleine Waffe, angeblich
eine 100 Gramm Ladung. Natürlich haben mich Physiker angesprochen und gesagt,
daß das unmöglich sei. Allerdings gibt es eine wissenschaftliche Arbeit, die eindeutig
bestätigt, daß die kleinste Ladung, die man zünden kann, eine 100 Gramm Plutoniumladung
ist. Es ist auch logisch, daß, wenn man eine neue Waffe testet, mit kleinen Mengen
begonnen wird. Die fertige Ladung für den Bombeneinsatz sollte acht Kilo wiegen.
Außerdem haben wir Luftaufnahmen, die das Testgelände vor und nach dem Einsatz
zeigen, und da sieht man eine geradezu abrasierte Fläche nach der Explosion. Ich
habe sogar den Verdacht, daß der Boden abgetragen wurde. Es gibt Aussagen von
im dortigen Umkreis lebenden Menschen, die berichten, daß sie von einem aus dem
Ufer gelaufenen Experiment gehört haben; diese Leute hatten Kopfschmerzen, Nasenbluten
und andere Symptome, die auf eine leichte Verstrahlung hindeuten, und man erzählte
ihnen, es wäre eine Epidemie ausgebrochen. Die Betroffenen wurden, was ebenfalls
ungewöhnlich war, von SS-Auml;rzten behandelt. Was die Radioaktivität anbelangt, so
haben oberflächliche Untersuchungen nichts erbracht. Eine Information seitens
des Strahlenschutzes hat ergeben, daß nach einer Kleinstexplosion wenig zurückbleibt,
weil vor allem kurzlebige Nukleide entstehen. Außerdem hat durch den Unfall in
Tschernobyl eine Überlagerung stattgefunden. Aber wir werten gerade Luftbilder
aus, um weitere Anhaltspunkte zu finden. Erste Ergebnisse - soviel kann ich schon
sagen - sind positiv. Ihr Buch ist eher kritisch von der Fachwelt aufgenommen
worden. Der Historiker Jens-Christian Wagner spricht im Zusammenhang mit Ihren
Ergebnissen von einer „diffusen Mixtur aus historischer Halbwahrheit, Sensationsstory,
Spekulation, Mystifizierung und Verschwörungstheorie“. Wie gehen Sie damit um? Mehner:
Mir geht es um die Wahrheit. Wenn die Deutschen keine Atombombe gehabt hätten,
dann dürfte es auch keinen einzigen Hinweis darauf geben. Ich bin kein ausgebildeter
Historiker, aber Herr Wagner mußte zugeben, daß die Geschichte des KZ-Außenlagers
S3 nicht aufgearbeitet ist, oder überhaupt irgendetwas zu dem Projekt S3, das
von der SS unter Kammler betrieben wurde. Nicht mal ansatzweise! Ich nehme also
die Aussage von Herrn Wagner zur Kenntnis, glaube aber nicht, daß er mehr als
seine eigene Meinung widergibt. Ich bin überzeugt, daß wir den Beweis für die
deutsche Atombombe erbringen werden. Gibt es Anfragen von öffentlichen
Stellen? Mehner: Von für Behörden arbeitenden Bekannten habe
ich die Information, daß die Region Jonastal beobachtet wird. Ein großes Interesse
an der Aufarbeitung der Thematik besteht aber nicht, weil da Dinge hochkommen
könnten, die man lieber nicht wissen will. Schon allein wegen der vielen tausend
Todesopfer, die die Arbeiten bei S3 forderten, wäre das aber wichtig: Die Wahrheit
muß ans Licht! Thomas Mehner geboren 1961 in Suhl, Informatikausbildung;
ab 1992 Verleger und Autor. Im Kopp-Verlag (Rottenburg) erschien 2001, zusammen
mit Edgar Mayer, sein Buch: Das Geheimnis der deutschen Atombombe.
Junge
Freiheit vom 11. Januar 2002 | |  |