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© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  http://www.Junge Freiheit.de/        28. April 2006

 


Das Mißverständnis von der Elite
(von Heino Bosselmann)

Seit etwa zwei Jahren führt die offizielle Politik - ausgehend gar von der vormals rot-grünen Koalition - den Begriff Elite ins Feld und meint damit einen ganz besonders hohen Ton angeschlagen zu haben, indem die Jahrzehntetabus von entweder egalitärer oder Dreigliederungsbildung relativiert scheinen. Passend dazu geht ein gewichtiges Raunen durch die Bildungslandschaft, und staatliche wie private Institutiönchen fühlen sich herausgefordert, nun endlich elitären Herausforderungen und Maßstäben - wie immer man sie zu verstehen meint - zu genügen.

Vergleiche mit dem Taktgeber USA werden ebenso gern bemüht wie der Verweis auf deutsche Nobelpreisträger der wilhelminischen Ära - beides Bezüge, die allerdings in keinem Zusammenhang zueinander stehen dürften. Notwendige prinzipielle Schulreformen stecken indes tief in der Sackgasse eines überzogenen und überhaupt anachronistisch-kuriosen Bildungsföderalismus, der dem Bund notwendiges Eingreifen erschwert und über Pisa und mittlerweile sogar UN-Kontrolle miserable Noten einfuhr. Vor diesem Hintergrund sollen schicke Eliteinstitute plötzlich singuläre, aber hochspektakuläre Abhilfe schaffen.

Deutschland fehlt es an Eliten. Der Begriff ist für alles, was die Politik damit zu verbinden versucht, unpassend und unsinnig. Besonders vehement wird die neue Elite - vor Zeiten noch ein gemiedener, ja verpönter Begriff - von der allein seligmachenden Wirtschaft und deren Wachstumsfixiertheit gefordert. Hinter der Wirtschaft der neuen Märkte verbirgt sich allerdings wenig mehr als ein im Globalisierungsgeschmack auflackierter Krämergeist, dessen darwinistisches Motto symptomatischerweise am stimmigsten durch die Scientology-Sekte auf den Punkt gebracht wird: »Mach Geld, mach mehr Geld!«

Von einem solchen Denken, das auf Quantitäten und Dax-Diagramme setzt und sich in der verlogenen Ästhetik der Werbung ausweist, kann eine Elite ebensowenig getragen sein wie von den zur Wissenschaft erhobenen Buchhalterdisziplinen VWL und BWL. Elite, wenn sie nicht als Finanzelite verstanden wird, kann nicht in einem Bereich von Werteverbrauch und Geldhybris entstehen. Hält etwa Josef Ackermann sich nach eigenem Selbstverständnis für jemanden, der im ursprünglichen Sinne Werte schafft, so liegt er falsch.

Schon gar nicht kann von Eliteansprüchen die Rede sein in der vom Partikularismus der Kultushoheiten verzettelten Bildungsbürokratie, die ohnehin vor allem damit beschäftigt ist, den Abbau von tradierten Bildungsinhalten und die damit notwendig einhergehende Verzerrung von Bewertungen als Innovation herauszustellen, und überhaupt alles Bemühen vorrangig auf die Methode ausrichtet. Vor allem werden Bildungsprobleme mit Begriffen und Reizwörtern kaschiert, von deren bloßer Existenz man sich bereits schamanenhaft Wirkung verspricht.

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Elite ist stets individuell und geistig inspiriert, und sie entsteht gerade nicht in einer Karriere- oder Anpasserkultur, sondern in der Gärung von Neuansätzen, die immer vom Substantiellen ausgehen.

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Wenn alles auf die Methode und neue Zauberformeln geworfen wird, dann ist das System immer schon gescheitert und bedarf der Gesundbeterei. Innerhalb der Schul- und Hochschulbildung herrschen so gegenwärtig die fixesten Ideen überhaupt; und noch jeder ist kompetent genug, dazu Beiträge zu leisten. Im modernen Pädagogikverständnis kommt zudem vermeintliche Fähigkeitsentwicklung stets vor Wissenserwerb und Handlungsorientierung stets vor Grundlagenbildung. Hauptsache, im Unterricht passiert kurzläufig und kurzweilig etwas mit einem Event-Charakter, der bestenfalls von den Medien vorgegeben wird. Aktionistische Bewegung mit kunterbuntem »Happening« ist wichtig, Substanz längst unspektakuläre Nebensache.

Wo Qualität längst durch Quantität und System oder Kanon durch Improvisation ersetzt sind, kann keine Bildungselite entstehen. Und dort wird auch keine gebraucht. Jahrzehntelang feierte ausufernde Methodenlehre innerhalb der auf das Zweite Staatsexamen orientierenden Lehrerreferendarzeit rauschende Feste. Ohne moderne Medien, diffuse Freiarbeit, die Einbeziehung von darstellendem Spiel und angeblich kreativer Arbeit ging keine Prüfungsstunde durch. Nur den alten Praktikern war im stillen klar, welche Potemkinschen Dörfer hier vor den Augen der Seminarleiter errichtet werden mußten, während die Frage nach Inhalt, Substanz und Wissenserwerb nicht gestellt werden durfte.

Erst seit kurzem ist wieder davon die Rede, die Lehrerstudenten schon während des Studiums vor Klassen zu stellen und sie so mit der einfachen Praxis Erfahrungen erwerben zu lassen. Erst seit kurzem wird bei Lehrern und Schülern wieder nach Talent, Kompetenz, Eignung und Persönlichkeit gefragt. Plötzlich ist sogar von Durchsetzungsvermögen, Disziplin, Haltung und Selbstüberwindung die Rede.

Bildungspolitik lebte in den letzten Jahren vor allem von Reizworten, von denen man sich schulisches Heil versprach: Eine als antiquiert geltende und unspektakulär auf Allgemeinbildung zielende Systematik sollte vom »exemplarischen Prinzip« und »Projektarbeit« abgelöst werden, dann mußten »Laptopklassen« her, seit neuestem bedarf es zuallererst einer »Ganztagsschule«, um pädagogisch wirken zu können und die soziale wie emotionale Vernachlässigung durch die Elternhäuser auszugleichen.

Das alles sind ehrenwerte und bedingt nachvollziehbare, ja nützliche Ansätze, die allerdings nicht über die Lebenslügen hinwegtäuschen, an denen gerade das sogenannte Gymnasium krankt, während die übrigen Schularten ohnehin nur noch eine Restexistenz führen. Vierzig Prozent aller Schüler müssen zum Abitur geführt werden, und man findet es nur modern, daß diese Ziffer stark erhöht werden soll.

Wen wundert es da aber, daß Studienanfänger an Schwächen in elementarsten Anforderungen wie Schreiben, Lesen, Textverständnis und Rechnen zu knacken haben, wenn ein System latenter Überbewertung mittels fünfzehn Notenpunkten, Abwahlmöglichkeiten von Kernfächern (und somit Kernkompetenzen) und eine den Schwindel überzeichnende Zahlenmystik der Punkteabrechnung zum Abitur das Bild der tatsächlich erlangten Fähigkeiten völlig verzerren - und verzerren müssen, da eben nicht vierzig Prozent aller Schüler abiturabfähig sein können, jedenfalls nicht nach einem einigermaßen traditionellen Verständnis. Aber es geht ja nicht um Tradition, sondern immer um vermeintliche Innovation.

Elite, die den Namen verdient, ist stets individuell und geistig inspiriert, und sie entsteht gerade nicht in einer Karriere- oder Anpasserkultur, sondern in der Gärung von Neuansätzen, die immer vom Substantiellen ausgehen und nicht vom mediokren Konsens des »Weiter so!« oder »Mehr Wachstum!». Elite ist nicht Mainstream, sondern tritt eher aus dem Abseits ans Licht: Luther aus Wittenberg, Kant aus Königsberg, Einstein aus Ulm, die Beatles aus Liverpool.

Indem man ein paar Massenuniversitäten mit besseren Finanzmitteln ausstattet und sie solcherart zu vermeintlichen Exklusivinstitutionen aufpoliert, schafft man eben noch keine Elite, sondern sichert Standards. Elite ist lebendiges Anspruchsdenken, nicht beflissene Paukerei auf Bildungsexklaven oder privaten Business-Schulen mit Lounge statt Mensa und Golfplatz statt Park. Hier wird nur im bewußten Abstand zur gesellschaftlichen Wirklichkeit in teuren Kurzdurchgängen mehr gepaukt als nachgedacht. Und das mit einem einzigen Ziel: Karriere machen!

Die Gründer von sogenannten Eliteeinrichtungen folgen einem simplen Mißverständnis. Indem man Einrichtungen als elitär deklariert, um gut plaziert in die zahllosen Rankings zu gelangen, auf die der Konsument fixiert wird, hat man den Anspruch des Elitären noch nicht gerechtfertigt, sondern folgt wieder nur kommerziellen Werbestrategien. Mit dem Begriff allein ist noch nichts gerichtet und vollbracht.

Bei den Elitebildern, auf die verwaschene Politikervorstellungen abzielen, handelt es sich offenbar um naturwissenschaftliche und ingenieurtechnische Hochbegabungen, die jedoch Selbstverständnis und Leistungsvermögen nicht aus erfundenen Bildungskonzepten und Methodenzirkus schöpfen, sondern aus eigener Individualität und Potenz. Sie begeistern sich an Inhalten, die ihnen im Ansatz ein anregender und seine Dimensionen aufzeigender Unterricht anbot, der ihr waches Interesse zu wecken verstand. Elite, das ist nicht Allgemeinheit, sondern Auslese, die sich überall dort bildet, wo Herausforderung auf Talent trifft. Die immer wieder in Rede stehenden und gern mystifizierten deutschen Nobelpreisträger der Naturwissenschaften gingen durch die straffe Forderungen stellenden humanistischen und Realgymnasien einer als obrigkeitsstaatlich und antidemokratisch verschrienen Ära, die auf Qualität, Inhaltlichkeit und Systematik allergrößten Wert legte, ohne überhaupt von Methodik zu reden.

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Elite traut es sich zu, längst vermiedene Fragen jenseits von Kulturverboten neu zu stellen. Kurzläufige Professorenideen und Fixiertheit auf Ökonomismus fördern keine Elite, sondern nur neue Artigkeit und alte Inkonsequenz.

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Hier wurde auf die Anziehungskraft der Fächer selbst gesetzt und eine Lust an der Anstrengung kultiviert, die heutiger Bildung völlig fremd geworden ist. Es wurde mit Gründlichkeit und nach klaren Curricula unterrichtet, statt Moden hinterherzulaufen. Es wurde hart gefordert und hart bewertet, statt sich den kritischen Blick auf Defizite mit einem illusionären Menschenbild zu verhängen. Echte Elite kann sich gegenwärtig nur in der Kritik an herrschender Seichtheit, Konturlosigkeit und Unverbindlichkeit durchsetzen. Sie kann sich nicht mit Umständen, sondern immer nur gegen Umstände etablieren. Die Ausgangsbedingung ihrer Existenz ist die Krise, die von den Protagonisten der Kultur nicht mehr überwunden werden kann, weil es denen an Potenz fehlt. Jedes Ranking - wer ist beste Schule oder Hochschule?  -  liefert bislang nur Ergebnisse innerhalb eines fragwürdigen System.

Neues und Elitäres tritt ursprünglich inspiriert in die Welt, während Mangel an Inspiration zum Kulturverlust führt. Man kann sich die Lektüre eilig gestrickter Modephilosophien wie von Samuel Huntington und Francis Fukuyama sparen, wenn man genau bei Oswald Spengler nachliest. Daß es Europa an Inspiration mangelt, zeigt sich eben an der relativen Sprachlosigkeit gegenüber einem sich totalitär gebärdenden Islamismus und einer nicht zu integrierenden Parallelgesellschaft. Was eigentlich ist heutzutage »Verfassungspatriotismus»? Wer denn verkörpert ihn mit Standvermögen über die lauen Statements offizieller Politik und vielleicht noch das Feuilleton hinaus?

Die notwendige Orientierung auf Werte, Geschichte, Philosophie, Religion, abendländische Kunst und klare nationale Identität im Sinne einer Leitkultur sowie die kritische Herausbildung von aufgeklärter Haltung und Urteilskraft anstatt eines zurückgelehnten, selbstgefälligen Erwartungsdenkens entstehen nicht in faden Seminaren zur politischen Bildung oder im Medienschnickschnack, sondern aus einem Krisenbewußtsein heraus, das nach neuer Identifizierung und Sinngebung drängt.

Elite ist insofern immer die Bewegung des couragierten Trotzdem, die weniger nach Tabus und alten Binsenweisheiten fragt als neue Orientierungen zu geben versteht. Sie ist nicht hinter Glas auf offizielle Direktiven hin synthetisch heranzubilden, indem ein paar Bedingungen verändert und Etats besser ausgestattet werden, sie ist vielmehr die Zugluft, die den Staub etablierter Lebenslügen aufwirbelt.

Elite traut es sich zu, längst vermiedene Fragen jenseits von Kulturverboten und Political Correctness neu zu stellen. Veränderte Kultusrichtlinien, kurzläufige Professorenideen und Fixiertheit auf Ökonomismus fördern keine Elite, sondern nur neue Artigkeit und alte Inkonsequenz. Elitäres Denken entsteht in der Langweiligkeit und Überlebtheit des Alternden und Verbrauchten. Es bedarf dazu des neuen Mutes, nicht der aufpolierten Exegese des Überlebten.

»Elite ist lebendiges Anspruchsdenken, nicht beflissene Paukerei auf Bildungsexklaven oder privaten Business-Schulen mit Lounge statt Mensa und Golfplatz statt Park. Hier wird nur im bewußten Abstand zur gesellschaftlichen Wirklichkeit in teuren Kurzdurchgängen mehr gepaukt als nachgedacht. Und das mit einem einzigen Ziel: Karriere machen!«

Junge Freiheit vom 28. April 2006


 

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