Das Mißverständnis
von der Elite (von Heino Bosselmann) Seit etwa zwei Jahren führt
die offizielle Politik - ausgehend gar von der vormals rot-grünen Koalition
- den Begriff Elite ins Feld und meint damit einen ganz besonders hohen Ton angeschlagen
zu haben, indem die Jahrzehntetabus von entweder egalitärer oder Dreigliederungsbildung
relativiert scheinen. Passend dazu geht ein gewichtiges Raunen durch die Bildungslandschaft,
und staatliche wie private Institutiönchen fühlen sich herausgefordert,
nun endlich elitären Herausforderungen und Maßstäben - wie immer
man sie zu verstehen meint - zu genügen. Vergleiche mit dem Taktgeber
USA werden ebenso gern bemüht wie der Verweis auf deutsche Nobelpreisträger
der wilhelminischen Ära - beides Bezüge, die allerdings in keinem Zusammenhang
zueinander stehen dürften. Notwendige prinzipielle Schulreformen stecken
indes tief in der Sackgasse eines überzogenen und überhaupt anachronistisch-kuriosen
Bildungsföderalismus, der dem Bund notwendiges Eingreifen erschwert und über
Pisa und mittlerweile sogar UN-Kontrolle miserable Noten einfuhr. Vor diesem Hintergrund
sollen schicke Eliteinstitute plötzlich singuläre, aber hochspektakuläre
Abhilfe schaffen. Deutschland fehlt es an Eliten. Der Begriff ist für
alles, was die Politik damit zu verbinden versucht, unpassend und unsinnig. Besonders
vehement wird die neue Elite - vor Zeiten noch ein gemiedener, ja verpönter
Begriff - von der allein seligmachenden Wirtschaft und deren Wachstumsfixiertheit
gefordert. Hinter der Wirtschaft der neuen Märkte verbirgt sich allerdings
wenig mehr als ein im Globalisierungsgeschmack auflackierter Krämergeist,
dessen darwinistisches Motto symptomatischerweise am stimmigsten durch die Scientology-Sekte
auf den Punkt gebracht wird: »Mach Geld, mach mehr Geld!« Von
einem solchen Denken, das auf Quantitäten und Dax-Diagramme setzt und sich
in der verlogenen Ästhetik der Werbung ausweist, kann eine Elite ebensowenig
getragen sein wie von den zur Wissenschaft erhobenen Buchhalterdisziplinen VWL
und BWL. Elite, wenn sie nicht als Finanzelite verstanden wird, kann nicht in
einem Bereich von Werteverbrauch und Geldhybris entstehen. Hält etwa Josef
Ackermann sich nach eigenem Selbstverständnis für jemanden, der im ursprünglichen
Sinne Werte schafft, so liegt er falsch. Schon gar nicht kann von Eliteansprüchen
die Rede sein in der vom Partikularismus der Kultushoheiten verzettelten Bildungsbürokratie,
die ohnehin vor allem damit beschäftigt ist, den Abbau von tradierten Bildungsinhalten
und die damit notwendig einhergehende Verzerrung von Bewertungen als Innovation
herauszustellen, und überhaupt alles Bemühen vorrangig auf die Methode
ausrichtet. Vor allem werden Bildungsprobleme mit Begriffen und Reizwörtern
kaschiert, von deren bloßer Existenz man sich bereits schamanenhaft Wirkung
verspricht. .................................. Elite ist stets individuell
und geistig inspiriert, und sie entsteht gerade nicht in einer Karriere- oder
Anpasserkultur, sondern in der Gärung von Neuansätzen, die immer vom
Substantiellen ausgehen. .................................. Wenn alles
auf die Methode und neue Zauberformeln geworfen wird, dann ist das System immer
schon gescheitert und bedarf der Gesundbeterei. Innerhalb der Schul- und Hochschulbildung
herrschen so gegenwärtig die fixesten Ideen überhaupt; und noch jeder
ist kompetent genug, dazu Beiträge zu leisten. Im modernen Pädagogikverständnis
kommt zudem vermeintliche Fähigkeitsentwicklung stets vor Wissenserwerb und
Handlungsorientierung stets vor Grundlagenbildung. Hauptsache, im Unterricht passiert
kurzläufig und kurzweilig etwas mit einem Event-Charakter, der bestenfalls
von den Medien vorgegeben wird. Aktionistische Bewegung mit kunterbuntem »Happening«
ist wichtig, Substanz längst unspektakuläre Nebensache. Wo Qualität
längst durch Quantität und System oder Kanon durch Improvisation ersetzt
sind, kann keine Bildungselite entstehen. Und dort wird auch keine gebraucht.
Jahrzehntelang feierte ausufernde Methodenlehre innerhalb der auf das Zweite Staatsexamen
orientierenden Lehrerreferendarzeit rauschende Feste. Ohne moderne Medien, diffuse
Freiarbeit, die Einbeziehung von darstellendem Spiel und angeblich kreativer Arbeit
ging keine Prüfungsstunde durch. Nur den alten Praktikern war im stillen
klar, welche Potemkinschen Dörfer hier vor den Augen der Seminarleiter errichtet
werden mußten, während die Frage nach Inhalt, Substanz und Wissenserwerb
nicht gestellt werden durfte. Erst seit kurzem ist wieder davon die Rede,
die Lehrerstudenten schon während des Studiums vor Klassen zu stellen und
sie so mit der einfachen Praxis Erfahrungen erwerben zu lassen. Erst seit kurzem
wird bei Lehrern und Schülern wieder nach Talent, Kompetenz, Eignung und
Persönlichkeit gefragt. Plötzlich ist sogar von Durchsetzungsvermögen,
Disziplin, Haltung und Selbstüberwindung die Rede. Bildungspolitik
lebte in den letzten Jahren vor allem von Reizworten, von denen man sich schulisches
Heil versprach: Eine als antiquiert geltende und unspektakulär auf Allgemeinbildung
zielende Systematik sollte vom »exemplarischen Prinzip« und »Projektarbeit«
abgelöst werden, dann mußten »Laptopklassen« her, seit
neuestem bedarf es zuallererst einer »Ganztagsschule«, um pädagogisch
wirken zu können und die soziale wie emotionale Vernachlässigung durch
die Elternhäuser auszugleichen. Das alles sind ehrenwerte und bedingt
nachvollziehbare, ja nützliche Ansätze, die allerdings nicht über
die Lebenslügen hinwegtäuschen, an denen gerade das sogenannte Gymnasium
krankt, während die übrigen Schularten ohnehin nur noch eine Restexistenz
führen. Vierzig Prozent aller Schüler müssen zum Abitur geführt
werden, und man findet es nur modern, daß diese Ziffer stark erhöht
werden soll.
Wen wundert es da aber, daß Studienanfänger an Schwächen
in elementarsten Anforderungen wie Schreiben, Lesen, Textverständnis
und Rechnen zu knacken haben, wenn ein System latenter Überbewertung
mittels fünfzehn Notenpunkten, Abwahlmöglichkeiten von
Kernfächern (und somit Kernkompetenzen) und eine den Schwindel
überzeichnende Zahlenmystik der Punkteabrechnung zum Abitur
das Bild der tatsächlich erlangten Fähigkeiten völlig
verzerren - und verzerren müssen, da eben nicht vierzig Prozent
aller Schüler abiturabfähig sein können, jedenfalls
nicht nach einem einigermaßen traditionellen Verständnis.
Aber es geht ja nicht um Tradition, sondern immer um vermeintliche
Innovation.
Elite, die den
Namen verdient, ist stets individuell und geistig inspiriert, und sie entsteht
gerade nicht in einer Karriere- oder Anpasserkultur, sondern in der Gärung
von Neuansätzen, die immer vom Substantiellen ausgehen und nicht vom mediokren
Konsens des »Weiter so!« oder »Mehr Wachstum!». Elite
ist nicht Mainstream, sondern tritt eher aus dem Abseits ans Licht: Luther aus
Wittenberg, Kant aus Königsberg, Einstein aus Ulm, die Beatles aus Liverpool. Indem
man ein paar Massenuniversitäten mit besseren Finanzmitteln ausstattet und
sie solcherart zu vermeintlichen Exklusivinstitutionen aufpoliert, schafft man
eben noch keine Elite, sondern sichert Standards. Elite ist lebendiges Anspruchsdenken,
nicht beflissene Paukerei auf Bildungsexklaven oder privaten Business-Schulen
mit Lounge statt Mensa und Golfplatz statt Park. Hier wird nur im bewußten
Abstand zur gesellschaftlichen Wirklichkeit in teuren Kurzdurchgängen mehr
gepaukt als nachgedacht. Und das mit einem einzigen Ziel: Karriere machen! Die
Gründer von sogenannten Eliteeinrichtungen folgen einem simplen Mißverständnis.
Indem man Einrichtungen als elitär deklariert, um gut plaziert in die zahllosen
Rankings zu gelangen, auf die der Konsument fixiert wird, hat man den Anspruch
des Elitären noch nicht gerechtfertigt, sondern folgt wieder nur kommerziellen
Werbestrategien. Mit dem Begriff allein ist noch nichts gerichtet und vollbracht. Bei
den Elitebildern, auf die verwaschene Politikervorstellungen abzielen, handelt
es sich offenbar um naturwissenschaftliche und ingenieurtechnische Hochbegabungen,
die jedoch Selbstverständnis und Leistungsvermögen nicht aus erfundenen
Bildungskonzepten und Methodenzirkus schöpfen, sondern aus eigener Individualität
und Potenz. Sie begeistern sich an Inhalten, die ihnen im Ansatz ein anregender
und seine Dimensionen aufzeigender Unterricht anbot, der ihr waches Interesse
zu wecken verstand. Elite, das ist nicht Allgemeinheit, sondern Auslese, die sich
überall dort bildet, wo Herausforderung auf Talent trifft. Die immer wieder
in Rede stehenden und gern mystifizierten deutschen Nobelpreisträger der
Naturwissenschaften gingen durch die straffe Forderungen stellenden humanistischen
und Realgymnasien einer als obrigkeitsstaatlich und antidemokratisch verschrienen
Ära, die auf Qualität, Inhaltlichkeit und Systematik allergrößten
Wert legte, ohne überhaupt von Methodik zu reden. .................................. Elite
traut es sich zu, längst vermiedene Fragen jenseits von Kulturverboten neu
zu stellen. Kurzläufige Professorenideen und Fixiertheit auf Ökonomismus
fördern keine Elite, sondern nur neue Artigkeit und alte Inkonsequenz. .................................. Hier
wurde auf die Anziehungskraft der Fächer selbst gesetzt und eine Lust an
der Anstrengung kultiviert, die heutiger Bildung völlig fremd geworden ist.
Es wurde mit Gründlichkeit und nach klaren Curricula unterrichtet, statt
Moden hinterherzulaufen. Es wurde hart gefordert und hart bewertet, statt sich
den kritischen Blick auf Defizite mit einem illusionären Menschenbild zu
verhängen. Echte Elite kann sich gegenwärtig nur in der Kritik an herrschender
Seichtheit, Konturlosigkeit und Unverbindlichkeit durchsetzen. Sie kann sich nicht
mit Umständen, sondern immer nur gegen Umstände etablieren. Die Ausgangsbedingung
ihrer Existenz ist die Krise, die von den Protagonisten der Kultur nicht mehr
überwunden werden kann, weil es denen an Potenz fehlt. Jedes Ranking - wer
ist beste Schule oder Hochschule? - liefert bislang nur Ergebnisse
innerhalb eines fragwürdigen System. Neues und Elitäres tritt
ursprünglich inspiriert in die Welt, während Mangel an Inspiration zum
Kulturverlust führt. Man kann sich die Lektüre eilig gestrickter Modephilosophien
wie von Samuel Huntington und Francis Fukuyama sparen, wenn man genau bei Oswald
Spengler nachliest. Daß es Europa an Inspiration mangelt, zeigt sich eben
an der relativen Sprachlosigkeit gegenüber einem sich totalitär gebärdenden
Islamismus und einer nicht zu integrierenden Parallelgesellschaft. Was eigentlich
ist heutzutage »Verfassungspatriotismus»? Wer denn verkörpert
ihn mit Standvermögen über die lauen Statements offizieller Politik
und vielleicht noch das Feuilleton hinaus? Die notwendige Orientierung auf
Werte, Geschichte, Philosophie, Religion, abendländische Kunst und klare
nationale Identität im Sinne einer Leitkultur sowie die kritische Herausbildung
von aufgeklärter Haltung und Urteilskraft anstatt eines zurückgelehnten,
selbstgefälligen Erwartungsdenkens entstehen nicht in faden Seminaren zur
politischen Bildung oder im Medienschnickschnack, sondern aus einem Krisenbewußtsein
heraus, das nach neuer Identifizierung und Sinngebung drängt. Elite
ist insofern immer die Bewegung des couragierten Trotzdem, die weniger nach Tabus
und alten Binsenweisheiten fragt als neue Orientierungen zu geben versteht. Sie
ist nicht hinter Glas auf offizielle Direktiven hin synthetisch heranzubilden,
indem ein paar Bedingungen verändert und Etats besser ausgestattet werden,
sie ist vielmehr die Zugluft, die den Staub etablierter Lebenslügen aufwirbelt. Elite
traut es sich zu, längst vermiedene Fragen jenseits von Kulturverboten und
Political Correctness neu zu stellen. Veränderte Kultusrichtlinien, kurzläufige
Professorenideen und Fixiertheit auf Ökonomismus fördern keine Elite,
sondern nur neue Artigkeit und alte Inkonsequenz. Elitäres Denken entsteht
in der Langweiligkeit und Überlebtheit des Alternden und Verbrauchten. Es
bedarf dazu des neuen Mutes, nicht der aufpolierten Exegese des Überlebten.
»Elite ist lebendiges Anspruchsdenken, nicht beflissene Paukerei
auf Bildungsexklaven oder privaten Business-Schulen mit Lounge statt Mensa und
Golfplatz statt Park. Hier wird nur im bewußten Abstand zur gesellschaftlichen
Wirklichkeit in teuren Kurzdurchgängen mehr gepaukt als nachgedacht. Und
das mit einem einzigen Ziel: Karriere machen!« Junge Freiheit vom 28. April 2006 |