"Das ist
hier normal" Warum der Wrangelkiez ein kulturelles, kein soziales
Problem ist (von Moritz Schwarz) Wer den in die Schlagzeilen geratenen
Wrangelkiez besucht, dem fällt kaum etwas Bedrohliches auf. Recht "adrett"
wirkt gar die Ecke, wo sich die Attacken gegen die Polizeibeamten ereigneten:
Einzelhändler, Kopfsteinpflaster, Bäume. Doch da sind die Jungs, die
am Straßenrand sitzen. Zunächst unauffällig, ein, zwei, offensichtlich
ausländischer Herkunft, dann ein Grüppchen, bald hat sich ein ganzer
Pulk versammelt. Das ist es, was im Wrangelkiez passiert: Nicht Tristesse und
blankes Elend, Verwüstung und Verwahrlosung des öffentlichen Raums,
wie man es aus den USA kennt, zeigen hier den Verfall der Ordnung an. Die Horde
Jungs, die plötzlich die Wrangelstraße dominiert, ist wohlgenährt,
trendig gekleidet und ausgestattet mit Mobiltelefonen. Die Situation erinnert
an den Fall der Rütli-Schule. Die Berliner Problemschule machte im April
Schlagzeilen, als die Lehrer dort aus Verzweiflung über Chaos, Anarchie und
Gewalt den Unterricht einstellten. Wer den Ort des Geschehens besuchte, war überrascht:
eine ruhige, grüne parkartige Gegend. Ein gediegener wilhelminischer Bau,
Kopfsteinpflaster, saubere Straßen. Der offensichtliche Verfall der
Ordnung findet in gepflegter Umgebung statt. Es handelt sich trotz der hohen Arbeitslosigkeit
nicht wirklich um einen sozialen Verfall, sondern um die Abwesenheit einer verbindlichen
Kultur, den Verfall einer verbindlichen Autorität. Was hier passiert, wird
klar, wenn man die Jugendlichen reden hört: "Das waren doch noch Kinder,
die die Polizei da verhaften wollte." Haben sie nicht einen anderen Jungen
überfallen? "Ach, wegen einem MP3-Spieler, das ist doch hier normal."
Da sprechen keine "Verdammten dieser Erde", sondern Menschen, die nicht
mehr wissen, was öffentliche Ordnung und Autorität überhaupt ist.
"Wir haben nichts gegen die Polizei, wir haben Respekt vor ihr, wenn sie
Respekt vor uns hat." Immerhin - in ihrer Welt sind den Beamten also noch
Höflichkeitsbesuche im Kiez erlaubt. Ob man, wie im Oktober, die Feuerwehr
im Einsatz behindert, weil die nicht so löscht, wie man es für richtig
hält, oder wie im November einen Sanitäter angreift, weil der nicht
so rettet, wie man sich das vorstellt, oder nun im Fall des Überfalls auf
die Kiezschule (siehe Seite 4), die Polizei von der Strafverfolgung für entbunden
erklärt, weil die nicht so ermittelt, wie gewünscht, immer ist diese
eigentümliche Ignoranz gegenüber jeder anderen Autorität als der
der eigenen Gruppe zu spüren - ein dem Mitteleuropäer völlig unbekannter
Tribalismus. Hier wirkt ganz offensichtlich eine gruppenbezogene kulturelle Prägung,
die in Deutschland über die Jahrhunderte durch das Entstehen staatlicher
Instutionen und einer bürgerlichen Gesellschaft ausgestorben ist. Um
so erstaunlicher, daß davon in der Mediendebatte nichts zu hören ist.
Die einzige etablierte Stimme, die diese ethno-kulturelle Größe anspricht,
ist der SPD-Mann Heinz Buschkowsky: Ursache, so der Berliner Bezirksbürgermeister,
sei zum einen "der Werteverfall, der dazu führt, daß staatliche
Ordnung nicht mehr akzeptiert wird" sowie die - wie er die kulturelle Prägung
volkstümlich nennt - "südländische Mentalität der Migranten".
Pariser Verhältnisse in Berlin? 21. April, Berlin-Kreuzberg:
Polizeibeamte werden im Wrangelkiez nach Messerstecherei von über 100 Anwohnern
bedroht und angegriffen. 25. April, Berlin-Wedding: Beamte im Einsatz wegen
einer Ruhestörung werden von 70 Jugendlichen umringt, bedroht und attackiert. 29.
April, Berlin-Wedding: 20 Männer aus einem türkischen Lokal befreien
einen eben Verhafteten aus Polizeigewahrsam. 10. Mai, Berlin-Kreuzberg:
Nach einer Festnahme müssen Beamte Schußwaffen und Schlagstöcke
gegen eine Menschenmenge einsetzen. 1. August, Berlin-Wedding: 50 Türken
beschimpfen Polizisten als "Nazi-Schweine" und attackieren sie. 11.
Oktober, Berlin-Reinickendorf: Als Beamte eine Massenschlägerei beenden wollen,
werden sie von 30 Jugendlichen angegriffen. 27. Oktober, Berlin-Kreuzberg:
200 Ausländer bedrängen die Feuerwehr im Einsatz. Löscharbeiten
können nur mit Polizeischutz fortgesetzt werden. 14. November, Berlin-Kreuzberg:
Im Wrangelkiez werden Beamte bei einer Verhaftung aus einer vorwiegend ausländischen
Menge attackiert. 15. November, Berlin-Moabit: Nach einem Verkehrsunfall
werden Feuerwehr und Polizei im Einsatz aus einer Menschenmenge bedrängt.
"Die Hoffnung aufgegeben" Albrecht Derf*
wohnt im Berliner Problemstadtteil Wrangelkiez, wo letzte Woche Anwohner Polizisten
angriffen (von Moritz Schwarz) Herr Derf., Sie leben seit 36 Jahren im
Wrangelkiez. Wie ist die Lage dort wirklich? Derf: Zum Beispiel: Um nach
Hause zu kommen, muß ich lediglich über die Kreuzung hier, ich kann
aber altershalber nicht so schnell, und so werde ich regelmäßig beschimpft.
Allerdings nicht nur von Ausländern, auch von Deutschen. Wenn es dunkel ist,
gehen alte Leute wie ich nicht mehr auf die Straße. Ich bin in den letzten
Jahren zweimal zusammengeschlagen worden. Einmal auf dem kurzen Weg von der Kirche,
die Sie da drüben sehen, nach Hause. Die Täter waren Punker, die mich
mit dem Pfarrer verwechselt haben, weil ich im Gottesdienst aushelfe und ein Meßgewand
trug. Das zweite Mal hier in meinem eigenen Laden. Die Täter waren Ausländer.
Warum sie das mit mir gemacht haben, weiß ich bis heute nicht, denn gestohlen
haben sie nichts. Keiner Ihrer Geschäftsnachbarn war bereit, sich in
einem Interview mit uns zu äußern. Einer berichtete hinter vorgehaltener
Hand, daß er für seinen Versuch, bei der Polizei Anzeige zu erstatten,
mit dem Demolieren seiner Schaufenster bestraft wurde. Derf: Viele hier
fürchten sich, öffentlich zu sagen, was ihnen auf dem Herzen liegt.
Ich bin zu diesem Gespräch auch nur bereit, weil Sie garantieren, meine Anonymität
zu wahren. Offiziell dementiert die Polizei die Existenz rechtsfreier Räume
in Berlin. Derf: Die Polizei streift nun immerhin regelmäßig
durch den Wrangelkiez. Und als am Mittwoch letzter Woche eine Gruppe von achtzig
bis hundert ausländischen Jugendlichen durch die Wrangelstraße zog,
um nach der Auseinandersetzung mit der Polizei am Dienstag zu zeigen, wem die
Straße gehört, war sie auch da, wenn auch auf Distanz. Die Polizei
ist zwar da, aber viel zu zahm. Wie hat sich der Wrangelkiez seit 1970 verändert? Derf:
Der Kiez ist multikulti geworden. Also das, was die Politik von den Grünen
bis zur CDU sich inzwischen als gesellschaftspolitisches Ziel vorstellt. Derf:
Die Politiker müssen ja hier nicht leben, sie sollten mal herkommen und sich
das Ergebnis anschauen. Mit der Gegend ist es in den letzten Jahren massiv bergab
gegangen. Die Deutschen, die es sich leisten können, ziehen weg. Das ist
auch deshalb schlimm, weil damit unsere Kundschaft wegzieht. Bei uns gibt es Tage,
da setzen wir in den zehn Stunden, die wir offen haben, keine 25 Euro um! Die,
die im Kiez bleiben, sind Hartz-IV-Empfänger und Ausländer. Denn wo
hier ein Deutscher auszieht, zieht ein Türke oder Araber ein. Auch
die alteingesessenen Türken klagen: Ein Verkäufer des Gemüse-Ladens,
vor dem sich der Angriff auf die Polizei am Dienstag abgespielt hat, klagte uns
hinter vorgehaltener Hand sein Leid. Derf: Die erste Generation von Türken
war eben noch anders. Das waren Leute, die nach Deutschland kamen, um zu arbeiten,
und die Sitten hier respektierten. Mit unseren türkischen Nachbarn, die hier
ordentliche Geschäfte betreiben, kommen wir auch gut aus. Diese Leute wußten
noch, daß, wenn man in ein anderes Land kommt - oder dort geboren wird -,
man sich anpassen muß. Aber das interessiert die junge Generation nicht
mehr. Die junge Ausländergeneration hat keinen Respekt. In der Heimat sind
sie "Deutsche", hier Türken. Multikulti hat heimatlose Menschen
aus ihnen gemacht. Täglich versammeln sie sich an der Ecke Wrangel-/ Oppelner
Straße, und dann gehen die Pöbeleien los. Wenn sie kein Geld haben,
stehlen sie, auch hier bei uns im Laden. Warum nehmen die Ausländer
das Multikulti-Konzept nicht an? Derf: Ich weiß nicht, warum sollten
sie? Die halten untereinander ja zusammen, wie sie bei diesem Zwischenfall ja
gesehen haben. Deutsche Mädchen hier haben zum Beispiel durchaus türkische
Freunde, aber türkische Mädchen so gut wie nie deutsche. Die meisten
haben keine Arbeit, keine Ausbildung. Bekommen sie keine Stellen? Derf:
Ach, die bemühen sich doch gar nicht. Wir hier bei uns im Laden haben Ausbildungsplätze
angeboten - aber da besteht kein Interesse. Man muß sagen, die türkischen
Mädchen bei uns, die sind anders. Die bemühen sich meist, eine Stelle
zu bekommen und Fuß zu fassen. Welche Rolle spielt der Islam hier
im Kiez? Derf: Die Bedeutung des Islam nimmt zu. Erst kamen die türkischen
Arbeitskräfte, dann haben sie - menschlich verständlich - ihre Familien
nachgeholt. Und nun kommt sozusagen auch noch ihre Religion nachgezogen. Es gibt
im Wrangelkiez bereits eine Moschee, jetzt aber soll zusätzlich noch eine
zweite gebaut werden. Jüngst drohten ausländische Jugendliche
des Wrangelkiezes vor der Presse: "Nicht mehr lange, und es ist hier wie
in den Pariser Vororten." Ist das realistisch? Derf: Noch ist das wohl
übertrieben. Ich fürchte allerdings schon, daß das auch einmal
auch hier so kommen könnte. Glauben Sie, die Politik wird sich früher
oder später doch noch einmal um Ihre Probleme kümmern? Derf: Diese
Hoffnung habe ich schon lange aufgegeben. Albrecht Derf* wurde 1946
in Norddeutschland geboren und betreibt seit 1970 ein Einzelhandelsgeschäft
im Wrangelkiez. *Hinweis: Name von der Redaktion geändert Stichwort
"Wrangelkiez": Gelegen am nördlichen Rand des Berliner Problembezirks
Kreuzberg. Hier leben etwa 12.500 Menschen. Fast vierzig Prozent sind nichtdeutscher
Herkunft, die Arbeitslosenquote liegt bei rund dreißig Prozent. Stichwort
"Gewalt gegen Polizisten": Nach Angaben der Gewerkschaft der Polizei
(GdP) wurden 2005 in Berlin knapp 800 Beamte durch gezielte Angriffe oder Widerstand
verletzt. Damit hat sich die Zahl in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Eine
Aufschlüsselung der Täter nach Staatsangehörigkeit ergab auf den
ersten drei Plätzen: Libanesen, Täter mit ungeklärter Staatsangehörigkeit
und Vietnamesen. Türken liegen an siebter, Deutsche an 14. Stelle. Die
jüngste Attacke in Berlin auf Polizisten im Einsatz aus einer ausländischen
Menschenmenge heraus rückt ein lang verdrängtes Problem ins Rampenlicht.
Bereits seit geraumer Zeit häufen sich solche Vorfälle (siehe Kasten
unten links). Gehen auch bei uns die Stadtbezirke der Parallelgesellschaften ins
Stadium der rechtsfreien Räume ("No-Go-Area") über, wo die
Polizei keine Kontrolle mehr hat? Sind Aufstände wie vor einem Jahr in Paris
auch in Berlin oder Frankfurt möglich? Am 14. November nahmen Beamte im Ausländerproblembezirk
Wrangelkiez in Kreuzberg zwei 12jährige ausländischstämmige Kinder
fest, die im Verdacht stehen, einen 15jährigen Deutschen überfallen
und geschlagen zu haben, als der sich nicht wehrlos berauben ließ. Sofort
bildete sich eine überwiegend türkische und arabische Menschenmenge,
aus der heraus die Polizisten beschimpft und angegriffen wurden (siehe Seite 4).
Jetzt wurde der Vorwurf des Rassismus gegen die Polizei laut. Immer wieder kommt
es mittlerweile in Berliner Ausländerbrennpunkten wie Kreuzberg, Wedding
oder Moabit zum sonst nur aus dem südosteuropäischen Ausland bekannten
Phänomen sich spontan zusammenrottender Menschenmengen, die gegen die Ordnungskräfte
vorgehen. (Vereinzelt werden solche Übergriffe auch von seiten linker und
rechter Extremisten sowie von Fußballanhängern gemeldet.) (JF)
Junge Freiheit vom 24. November 2006 |