 | | Die Seeschäumer und der solide Kleinkredit (von
Günter A. Zehm)Von "Seeschäumern" einerseits, "Landtretern"
andererseits sprach einst Carl Schmitt, als er in seinem Buch "Land und Meer"
eine grundsätzliche Differenz zwischen Angelsachsen und Kontinentaleuropäern
markieren wollte. Pankraz fühlt sich in diesen Tagen und Wochen der Finanzkrise
intensiv daran erinnert. Die Medien, gerade auch die offiziellen, halboffiziellen
und "führenden", bibbern geradezu vor Eifer, einen schwerwiegenden,
ja anthropologisch fixierten Unterschied zwischen "drüben" und
"hüben" zu beschwören. Soviel plötzliches Umdenken war
nie. Da ist kaum noch etwas von "atlantischer Wertegemeinschaft",
"gemeinsamem westlichem Lebensstil", "wechselseitiger Verwurzelung
in abendländischer Tradition" u.s.w. Der Ton ist voll auf Abgrenzung
eingestellt. Wenn's ans Geld geht, hört eben jede Gemütlichkeit auf.
Der schnöde Coup der Wallstreet, hausgemachte oberfaule Kredite über
die ganze Welt zu verstreuen und damit riesige Verheerung in faktisch sämtlichen
Volkswirtschaften anzurichten, hat dauerhaft Zorn und Wut etabliert. So hat man
sich die "Globalisierung" nicht vorgestellt. Wohlgemerkt: Es geht
nicht um die alte Scheinalternative zwischen Kapitalismus und Sozialismus. In
die stumpfsinnige, völlig ineffektive sozialistische Planwirtschaft möchte
niemand zurück. Alle wissen, daß zum guten und auch nur zum erträglichen
Leben eine freie Wirtschaft und ein vielfältiger, Angebot und Nachfrage regelnder
Markt gehören. Das mag man "Kapitalismus" nennen, aber dieser Kapitalismus
ist kein "System", das man "anwenden" oder auch nicht anwenden
kann. Er ist nur ein anderes Wort für modernes Wirtschaften und Kommunizieren
insgesamt. Zu fragen ist dann freilich, wie man sich im Rahmen modernen
Wirtschaftens und Kommunizierens verhält, bedachtsam oder rücksichtslos,
fair oder frech, den anderen Marktteilnehmer respektierend oder ihn brutal übers
Ohr hauend. Der Markt regelt dergleichen nicht von selbst, er hat keine unsichtbare
Hand, die am Ende alles zum Guten fügt. Adam Smith, der Urvater der freien
Marktwirtschaft, ging ganz selbstverständlich von der Tugendhaftigkeit der
Marktteilnehmer aus. Sie mußten christliche Gentlemen sein, sonst verwandelte
sich der Markt in eine Räuberhöhle. Wenn man den aktuellen Medien
hierzulande lauscht, dann ist genau dies während der letzten Zeit in den
USA passiert: Wallstreet hat sich in eine Räuberhöhle verwandelt, in
eine Ansammlung wüster Abzocker und Kaputtmacher, denen jeder Sinn für
Ausgewogenheit und konstruktives Wirtschaften abgeht. Und dieser Tatbestand, so
vernimmt man weiter, komme nicht von ungefähr, er sei angelegt in der "Spezifik
des angelsächsischen Kapitalismus", in der ungehemmt ausgreifenden Mentalität
jener Seeschäumer eben, über deren Traditionen Carl Schmitt so eindrucksvoll
Kunde gegeben hat. Ziemlich starker Tobak dies. Aber es ist richtig: Seefahrende
Nationen neigen (neigten zumindest in der Vergangenheit) zur Herausbildung einer
penetranten Überheblichkeit anderen Kulturen gegenüber. Während
die Landtreter, wenn sie über ihre Heimatregion hinausgriffen, ständig
unmittelbar mit anderen Kulturen konfrontiert wurden, mit denen sie sich messen
und arrangieren mußten, pflügten die Seeschäumer zunächst
einmal weite, schier unendliche Meere, auf denen gar nichts war, "leerer
Raum". Und das hatte Folgen. Die neuen Völker, bei denen sie schließlich
anlandeten, gehörten in der Sicht der Ankömmlinge selber zum leeren
Raum, zur "offenen Grenze", waren leicht unterwerfbar oder gar schlicht
ignorierbar. Sie waren weder ernsthafte Verhandlungspartner noch ebenbürtige
Gegner, die in harter Schlacht niedergerungen werden mußten, sie waren bloße
Manövriermasse im Kalkül der "Kolonisatoren". Gut möglich,
daß sich manches von dieser originären Seeschäumer-Mentalität
heute im aktuellen Finanzgebahren von Wallstreet fortsetzt und modern potenziert. Die
Welt in all ihren Differenzierungen und Variabilitäten ist zur bloßen
Manövriermasse für Seeschäumer geworden, zum leeren Raum im Kalkül
von Leuten, die zu lange nur Meer, im aktuellen Fall also: nur Geldscheine und
nichts als Geldscheine, gesehen haben und die nun alle konkreten Formen des Lebens
ebenfalls für nichts als Geld halten. So etwas tut keinem gut. Es ist
wie in dem berühmten Gleichnis von Aristoteles in der Antike, der sich als
erster mit der Geldwirtschaft befaßte: König Midas, dem sich alles,
was er berührt, in Geld verwandelt, muß am Ende verhungern, da sich
Geld als solches nicht essen läßt. Leider liest man bei Aristoteles
nicht, ob das "Berühren" sich auch auf die inneren Organe des Königs
bezog. Er hätte ja, falls nicht, nur den Mund aufsperren und seine Diener
anweisen brauchen, ihm die Leckerbissen in denselben zu werfen. So wäre er
nicht verhungert. Aber er wäre doch immerhin zum hilflosen Patienten geworden,
genau wie heute Wallstreet zum Weltpatienten geworden ist. Ist Wallstreet
deshalb hilflos? Zur Zeit sitzt es noch wie der Kuckuck im Grasmückennest,
sperrt den Schnabel sperrangelweit auf und läßt sich ohne Selbstberührung
die Leckerbissen in den Schlund stopfen. Die stopfenden Grasmücken sind allerdings
schon sichtlich überfordert. Ihre Haushalte halten dergleichen nicht mehr
lange aus. Und die Wut der Steuerzahler wächst, und die kritischen Medientöne
gegen Wallstreet werden immer lauter. Am Ende werden wohl alle Seeschäumer
wieder zu Landtretern werden müssen. Sie passen einfach nicht mehr in die
sogenannte Globalisierung. Denn die globalisierte Welt kennt keine "offene
Grenze" mehr und keine Inseln, die noch kolonisiert werden könnten.
Sie ist bekanntlich zum Dorf geworden, wo jeder der direkte Nachbar des anderen
ist und auf diesen wie auf dessen Eigentum und auf das Dorf im ganzen Rücksicht
zu nehmen hat. Solide Kleinkredite sind da allemal besser als faule Großkredite.
Junge
Freiheit vom 10. Oktober 2008
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