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Ernst Jünger: Stoff für jugendliche Gemüter, nicht
für Bürger auf der Suche nach einem Ersatz-Goethe Der erste deutsche
Raver (von Jürgen Hatzenbichler / Manuel Ochsenreiter) Seit
es Hollywood gibt, werden alle Bestseller verfilmt. Daß es nach Ernst Jüngers
Weltkriegs-Tagebuch "In Stahlgewittern" noch keinen Action-Film gibt,
ist ein Manko, das demnächst aufgeholt werden soll. Ein Film über Menschen
in Sturmtruppen anstatt über "Starship Troopers"? Der deutsche
Filmproduzent Thomas Schühly will ein solches Projekt angehen. Man sollte
ihm aber empfehlen, sich nicht an die Maßstäbe Hollywoods zu halten,
sondern an die radikale Ästhetik des japanischen Film-Altmeisters Akira Kurosawa,
den auch Jünger äußerst schätzte. Ernst Jünger,
am Dienstag voriger Woche mit 102 Jahren verstorben, ist längst nicht nur
Stoff für den bürgerlichen Leser, der stets auf der Suche nach einem
Ersatz-Goethe ist: möglichst gut geschriebene Texte, brav, ein zu verehrender
Klassiker. Das sollte man Jünger nicht antun. Ernst Jünger ist etwas
für jugendliche Gemüter, die einen Hang zu jenem "Lebe gefährlich"
haben, dessen sich auch der Wilflinger Literat immer befleißigte. Diejenigen,
die nur zu gerne in verrauchten Hinterzimmern über die Revolution schwadronieren,
diejenigen, die sich damit brüsten, jedes noch so kleine Zitat des Schriftstellers
auswendig zu können, haben ihn nicht verstanden. Ganz im Gegenteil, bei den
Möchtegern-Intelligenzlern verkommt der rebellische Akt zur lächerlichen
Mutprobe und das Selbstverständnis des Anarchen zum introvertierten Dahinvegetieren
mit "erbauender Lektüre". Nein, ihnen darf Jünger auf keinen
Fall überlassen werden. Vielmehr ist er für die Menschen aktuell,
die sein Prinzip tatsächlich leben und sich nicht in verkauzter Zwanziger-Jahre-Romantik
vor der Realität verstecken. Bei Ernst Jünger bekommen die heutigen
konservativen Breitcord- und Jankerträger ihr Fett ab: "Daher die Vorliebe
für konventionelle Musik, Malerei, Banausenarbeit überhaupt. Das gehört
zur jakobinischen Redlichkeit." Keine Frage, Jünger ist ein Autor für
die Menschen, die tatsächlich im Hier und Jetzt leben. So ist es auch
kein Wunder, daß man Jünger nicht nur auf dem bedruckten Papier des
Stuttgarter Edel-Verlags Klett-Cotta in vollständiger Werksedition erwerben
kann und auch eine entsprechende Homepage im Internet findet. Wer eine musikalische
Hommage an den Soldaten, Anarchen und Schriftsteller hören will, der greift
zur CD "The Gospel of Inhumanity" der amerikanischen Brutalo-Band Blood
Axis, wo in einem Lied der "Storm of Steel" besungen wird: "Rejoice
in an Eternity of endless pain! For their world of insanity left us sane".
Und auf dem Sampler "Im Blutfeuer" vertonten Blood Axis mit "The
Storm Before the Calm" einen Ausschnitt aus Ernst Jüngers Widerstandsnovelle
"Auf den Marmorklippen". Beides ist sehr gut anhörbar. Wer aber
ein unkonventionelleres Ohr mit Neigung zu Industrial-Tönen hat, greift jetzt
zur CD "Spur 2" von Söldnergeist und findet dort elektronisch nachempfunden
das mahlende Stampfen des Trommelfeuers. Und man darf hoffen, daß so wie
jetzt ein dem italienischen Philosophen Julius Evola gewidmeter Sampler beim Leipziger
Label "Eis&Licht" erscheinen wird, die Dark-Wave-Szene auch Ernst
Jünger ein musikalisches Denkmal errichten wird. Hoffentlich aber nicht in
so unreflektierter Art, wie der nette, aber nicht ganz gelungene Riefenstahl-Sampler
(VAWS) sich der großen alten Dame des deutschen Films widmete. Ernst
Jünger, den man nicht zur rechten Krieger-Ikone verkommen lassen darf, ist
was für junge Leser, die seine Aktualität verstehen, wenn er über
die Gesellschaft seiner Jugend schreibt: "Im Schoße versponnener Kultur
lebten wir zusammen Doch unter allen Gewändern blieben wir nackt und roh
wie die Menschen des Waldes und der Steppe." Jünger bezog das auf den
Ersten Weltkrieg, wir sollten es als Beschreibung unseres Ist-Zustandes lesen,
als ob es zum Beispiel um Techno ginge: "Da entschädigt sich der Mensch
in rauschender Orgie für alles Versäumte. Da wurden seine Triebe, zu
lange schon durch die Gesellschaft gedämmt, wieder das einzig Heilige."
Ernst Jünger: der erste deutsche Raver? Jemand, der das einblendet, was eine
aufgeklärte Gesellschaft allzu gerne ausblendet? Fast zustimmend wirkt
da der deutsche Techno-DJ Westbam (= Maximilian Lenz), der in seinem Buch "Mix,
Cuts und Scratches" über die großen Raves schreibt: "Die
Leute reiben sich da ja auch auf. Die wollen ja irgendwo auch dann da für
etwas gekämpft haben. Die After-Hours, das sind für die auch ihre Schützengräben
bei Verdun. Man gibt das Letzte für seine Überzeugung." Und Jünger
hat das Prinzip erkannt. "Ein neuer Tanz kann bedrohlicher werden, als jede
Kritik", schreibt er in seinem Werk "Minima-Maxima." Angesichts
der unberechenbaren Menschenmassen der Love Parade und anderer Großraves,
die sich einen feuchten Kehricht um die Konventionen etablierter Autoritäten
scheren, erlangt dieser Satz brandaktuelle Bedeutung. "Die Freiheit ist am
besten, von der am wenigsten geredet wird." Von der Freiheit des Ravers,
des berauschten Tänzers und Rebellen gegen eine durchrationalisierte Welt
ohne Zauber und Emotionen, wird nicht geredet. Er befreit sich sowohl von althergebrachten,
inhaltsleeren Spießigkeiten als auch von volkspädagogischem Gutmenschentum.
Der Raver hebt sich über diese Nichtigkeiten hinweg und versinkt gleichzeitig
im Rausch der Gemeinsamkeit, er geht auf im Rhythmus der hämmernden Bass-Töne.
Das ist seine Freiheit, mit der weder Bürgerliche noch aufgeklärte Linke
etwas anfangen können. Und in der Tat: Es geht um das Menschliche
in der täglich-nüchternen High-Tech-Welt und ihrer Kontrollgesellschaft,
um die Behauptung und Erfahrung des Lebens. So ist auch Ernst Jüngers Essay
"Der Waldgang" kein Handbuch für angehende Ökologen, sondern
erzählt vom Anarchen, der sich gegen jeden Totalitarismus stellt. Der Anarch
verteidigt das Menschliche. Er ist weder ein Konservativer noch ein linker Verneiner,
weil er für beides zu klug ist. Der Anarch ist einsam. Sein Gang im Wald
der Gesellschaft ist ein Widerstandskampf für Werte gegen die nackten Tatsachen
einer technoiden Welt. Seine Wirklichkeit ist Ruhe und Rausch. Auch die
Verwirklicher der ravenden Sehnsucht nach Ekstase sollten Ernst Jüngers "Annäherungen
Drogen und Rausch" lesen. "Getrennt vom Genuß ist das geistige
Abenteuer zu betrachten", mahnt der Drogenkonsument Jünger, der das
Erleben unterschiedlicher Stoffe beschreibt, gegen das blanke Konsumbewußtsein
an. Der Rausch nehme Zeit vorweg. "Der Flut folgt Ebbe, den Farben
Blässe, die Welt wird grau, wird langweilig", zeigt Jünger die
After-Hour-Logik auf. Denn, so erinnert der Waldgänger, in Drogen seien Gefahren:
"Das einmal lebt ich wie Götter muß bezahlt werden."
Aber auch hier war Ernst Jünger so jung, daß er mehr der heutigen Generation
angehört als denjenigen, die das deutsche Bier als alleinseligmachendes Rauschmittel
anpreisen.
Junge
Freiheit vom 27. Februar 1998
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