Lebensrecht Eine Schwelle ist überschritten (von
Dieter Stein) Am vergangenen Samstag hat sich eine 79jährige
Frau in Würzburg das Leben genommen. Auf einer Pressekonferenz in Hamburg
präsentierte sich danach der Hamburger Ex-Justizsenator Roger Kusch als Sterbehelfer
und rühmte sich, der Frau »beratend« zur Seite gestanden zu haben:
einer Frau, die nicht todeskrank, sondern offenbar nur einsam war und Angst vor
dem Altersheim hatte. Es gibt empörte Reaktionen in der Öffentlichkeit,
Vertreter der Kirchen und Politik äußern sich entsetzt. Doch der jüngste
Vorstoß folgt einer gewissen Logik nach all den Türen, die im Zuge
des Vormarsches der »Kultur des Todes« (Papst Bendeikt XVI.) in unserer
Gesellschaft bereits aufgestoßen wurden. Wenn es nicht zu völlig
neuen Widerstandsformen gegen diese Aufweichung ethischer Schranken kommt, dann
muß man kein Pessimist sein, um vorherzusagen, daß in wenigen Jahren
die »Tötung auf verlangen« ebenso zum Alltag unserer Kultur zählt
wie die seit afst vierzig Jahren praktizierte massenhafte Tötung von ungeborenen
Kindern im Mutterleib. Das Lebensrecht wird in einer Zangenbewegung immer weiter
eingeschränkt: Die Mehrheit hat sich offenbar damit abgefunden, daß
seit der Liberalisierung des Paragraphen 218 1974 rund neun Millionen Kinder durch
Abtreibung nicht das Licht der Welt erblickt haben. Zu einem fürchterlichen
Automatismus ist darüber hinaus die vorgeburtliche Selektion durch die Pränataldiagnostik
geworden, so daß bei Indizierung einer möglichen Behinderung des Kindes
zur Regel geworden ist, notfalls durch Spätabtreibung (nach der 22. Schwangerschaftswoche)
die Geburt eines solchen Kindes zu verhindern. Gerade ist eine Einigung in der
Großen Koalition über eine Erschwerung von Spätabtreibungen wieder
gescheitert. Wenn eine Industrienation wie Deutschland jährlich offiziell
über 130000 gezeugte Kinder zur sozial unerträglichen Belastung erklärt
und tötet, dann kann man ahnen, wie lange es dauern wird, bis es angesichts
explodierender Gesundheitskosten und zerfallender Familienstrukturen genauso normal
wird, Tausenden alten Menschen »freiwillig« das Leben »abzukürzen«,
weil sie einer lebensfeindlichen Gesellschaft nicht länger zur Last fallen
wollen. Auch bei der in den 1970er Jahren von Feministinnen forcierten
Liberalisierung des Abtreibungsrechts führte man spektakuläre Einzelfälle
von Frauen in Notsituationen an und sang das Hohelied von der selbstbestimmten
Entscheidung der Frau. In der Praxis ist daraus ein menschenverachtender gesellschaftlicher
Zwang entstanden, so daß das sioziale Umfeld inzwischen häufig bei
»unpassenden Schwangerschaften« nichts anderes mehr erwartet als die
Abtreibung, die als eine Art Verhütungsmethode betrachtet wird. Nicht anders
wird es bei der Sterbehilfe sein: Unter dem wachsenden Kostendruck »für
Alte« wird aus dem »Recht zum Selbstmord« dann »unvermeidlich
eine Pflicht« (Robert Spaemann). Roger Kusch ist der Prophet dieser Entwicklung. Junge
Freiheit vom 04. Juli 2008
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