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© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  http://www.Junge Freiheit.de/         28. Juli 2006

 


Gespräch mit Peter Scholl-Latour: „Ich fürchte, Israel hat sich verschätzt“. Der Nahostexperte Peter Scholl-Latour über den Angriff auf den Libanon und die Gefahr einer Ausweitung des Krieges.
(von Moritz Schwartz)

Herr Professor Scholl-Latour, droht in Nahost tatsächlich ein neuer arabisch-israelischer Krieg durch die Einbeziehung Syriens und des Iran, wie manche befürchten?

Scholl-Latour:Die Entscheidung darüber wird in Washington gefällt werden. Dort scheint man im Moment darauf aus zu sein, einen Keil zwischen Syrien und Iran zu treiben - was nicht abwegig ist, denn Syrien hat bekanntlich ein säkulares, national-arabisches Regime, das mit einem schiitischen Gottesstaat nichts zu tun haben will. Die Strategie für Syrien ist jene, die man schon im Fall Libyen angewendet hat. Was den Iran angeht, so ist Amerika de facto gelähmt: Kriegerische Aktionen gegen Teheran würden zum Eingreifen der iranischen Revolutionsgarden im irakischen Krieg führen. Darüber hinaus kann Iran - obwohl es keine ernstzunehmende Kriegsmarine hat - mit Booten, Raketen, Selbstmordkommandos die Zufahrt zum Persischen Golf sperren, und damit eine schwere Ölkrise auslösen. Denkbar ist auch, daß iranische Raketen die Erdölfelder Saudi-Arabiens treffen.

Welche Rolle spielt der Iran in dem Konflikt im Libanon tatsächlich?

Scholl-Latour:Dank des Iran könnte der Führer der Hisbollah, Scheikh Nasrallah, Israel noch tiefer im Hinterland treffen, als bisher schon. Nämlich dann, wenn er die weitreichenden und präzisen Fajr-Raketen einsetzt, die ihm von den Persern geliefert worden sind. Offenbar hat Teheran dazu aber noch nicht grünes Licht gegeben.

Ist ein Krieg der verbündeten arabischen Staaten gegen Israel wie in der Vergangenheit heute politisch noch möglich?

Scholl-Latour:Bemerkenswert ist die Passivität, die sowohl Jordanien, Ägypten und Saudi-Arabien an den Tag legen. Das rührt aus der Befürchtung dieser zutiefst sunnitischen Staaten her, daß die schiitische Glaubensrichtung, die durch den Iran zur Vormacht am Persischen Golf heranwächst, den Irak weitgehend beherrscht und im Libanon mindestens vierzig Prozent des Volkes ausmacht, zum beherrschenden Faktor in diesem Raum wird und die sunnitischen und proamerikanischen Regime dort in ihrer Existenz bedroht.

Sind die beiden entführten israelischen Soldaten tatsächlich der Kriegsgrund?

Scholl-Latour:Beide Seiten waren offenbar an einer Eskalation interessiert. Die Hisbollah wollte mit der Verschärfung des Konflikts die Position des befreundeten Iran stärken und Israel wollte die libanesische Regierung und den Westen zwingen, jene UN-Resolution umzusetzen, die die Entwaffnung der Milizen, auch der Hisbollah, im Libanon verlangt.

Werden die Israeli ihre Ziele erreichen oder wird sich die Operation am Ende als »Eigentor« herausstellen?

Scholl-Latour:Ich fürchte, daß die Israeli sich bezüglich der Auswirkungen ihrer Offensive verschätzt haben. Bisher konnten sie, wie die Großdemonstrationen in Beirut anläßlich der Ermordung des libanesischen Ministerpräsidenten Hariri im Oktober 2005 gezeigt haben, sich bei den Christen und einem großen Teil der Sunniten des Libanon auf eine proamerikanische Haltung verlassen. Seit jedoch Präsident Bush fast bedingungslos gemeinsame Sache mit den Israeli macht und die Bomben auf christliche Stadtviertel der Hauptstadt fallen, wird auch bei den maronitischen Christen die Amerikafeindlichkeit zugenommen haben.

Bush hat den Konflikt bekanntlich gegenüber Tony Blair als »Shit« bezeichnet. Deutet das darauf hin, daß sich an der Position der USA etwas ändern wird?

Scholl-Latour:Eine Karikatur dieser Tage bringt es auf den Punkt: Blair beugt sich zu Bush und sagt: »George, Du hast Dich vertan, es heißt nicht 'Shit', sondern 'Shiite' (englisch für Schiit)!«

Beobachter vermuten, Israel kommt die Massenflucht gerade recht, es ziele auf die Schaffung einer entvölkerten Sicherheitszone im Süd-Libanon.

Scholl-Latour:Die schon einmal bestehende Sicherheitszone wurde im Mai 2000 aus guten Gründen geräumt: weil die Anschläge der Hisbollah gegen die dort stationierten israelischen Soldaten zu relativ hohen Verlusten geführt haben. Das Problem der Israeli ist: Wenn die Bevölkerung gegangen ist, werden die Milizen dennoch bleiben. Und wie jeder General weiß, ist eine zerstörte Stadt ein perfektes Gefechtsfeld für Partisanen.

Wie sieht das Schicksal des Libanon zwischen Bürgerkrieg, israelischen Interventionen und syrischer Hegemonie aus?

Scholl-Latour:Der Einfluß Damaskus' ist ja durch den von den USA und Frankreich 2005 erzwungenen Abzug der syrischen Truppen ausgeschaltet worden. Heute kann man sich allerdings fragen, ob die syrische Präsenz nicht eine gewisse Sicherheitsgarantie bedeutete für den Libanon, wie für Israel.

Junge Freiheit vom 28. Juli 2006


 

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