Kniffelige
Paragraphen. Rechtspolitik: Der 1960 eingeführte Straftatbestand der Volksverhetzung
ist in seiner Geschichte mehrmals erweitert worden (von Eike Erdel) Volksverhetzung
wird mit Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet. Der Straftatbestand
wurde erst 1960 als Paragraph 130 in das Strafgesetzbuch aufgenommen. Davor stellte
der Paragraph 130 die »Anreizung zum Klassenkampf« unter Strafe. Zunächst
bestand die Strafnorm nur aus einem Satz und bedrohte denjenigen mit Strafe, der
die Menschenwürde anderer dadurch angreift, daß er zum Haß gegen
Teile der Bevölkerung aufstachelt, zur Gewalt- oder Willkürmaßnahmen
gegen sie auffordert oder sie beschimpft, böswillig verächtlich macht
oder verleumdet. In dieser Form bestand die Strafnorm bis 1994. Dann wurde
der Straftatbestand erheblich erweitert. Seitdem steht auch die Verbreitung, öffentliche
Ausstellung, das öffentliche Anschlagen, die Vorführung und das Zugänglichmachen
von Schriften unter Strafe, die zum Haß gegen Teile der Bevölkerung
oder gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte
Gruppe aufstacheln. Besondere Bedeutung erhielt die Erweiterung des Straftatbestandes
der Volksverhetzung durch die Anfügung des dritten Absatzes, der von da an
die Billigung, Leugnung und Verharmlosung des Völkermordes an den Juden während
des Dritten Reiches unter Strafe stellte. Die Einführung dieses Absatzes
geht auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zurück, in dem die Leugnung
des Holocaust als unwahre Tatsachenbehauptung nicht als vom Recht auf Meinungsfreiheit
geschützt angesehen wurde, da sie nicht zur verfassungsmäßig vorausgesetzten
Meinungsbildung beitragen könne. Bis zur Erweiterung des Straftatbestandes
der Volksverhetzung war die Leugnung des Volkermordes an den Juden bereits als
Beleidigung strafbar. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs haben Juden
Anspruch auf Anerkennung des Verfolgungsschicksals der Juden während des
Dritten Reiches. Mit der Einführung des Straftatbestandes der Volksverhetzung
im Jahr 1960 sollte in erster Linie der öffentliche Friede und die Würde
des Einzelmenschen geschützt werden. Dahinter steckt der Rechtsgedanke, daß
eine direkt zu Haß, Gewalt oder Willkür aufstachelnde Äußerung
keine vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckte Meinung, sondern
eine Straftat darstellt, die weiteres illegales Handeln bewirken kann. Einschränkung
der Meinungsfreiheit Auch wenn schon damit die grundrechtlich garantierte
Meinungsfreiheit eingeschränkt worden ist, bestanden an der Verfassungsmäßigkeit
des ursprünglichen Straftatbestandes keine ernsthaften Bedenken. Solche Bedenken
hegen Kritiker aber gegen die Erweiterung von 1994, soweit sie sich auf die Strafbarkeit
der Holocaustleugnung beziehen. Die grundrechtlich geschützte Meinungsfreiheit
kann nämlich nur durch ein allgemeines Gesetz eingeschränkt werden.
Kritiker meinen nun, daß der dritte Absatz kein allgemeines Gesetz sei,
sondern ein speziell auf den Einzelfall bezogenes Gesetz, das eine ganz bestimmte
Meinung verbiete. Gleichwohl hat das Bundesverfassungsgericht auch den Straftatbestand
der Volksverhetzung in der Fassung von 1994 für verfassungsgemäß
gehalten, weil es die Menschenwürde der durch solche Meinungsäußerungen
verletzten Personen als das höherwertige Rechtsgut einstufte. Zu den
Kritikern der Vorschrift zählt auch der Historiker Ernst Nolte. Die Geschichte
ist nach seiner Auffassung kein Rechtsgegenstand. In einem freien Land sei es
weder Sache des Parlaments noch der Justiz, geschichtliche Wahrheiten zu definieren.
Zu denken gibt, daß zwar das Leugnen, Billigen und Verharmlosen von unter
dem Nationalsozialismus begangene Verbrechen bestraft wird, nicht aber das Leugnen,
Billigen und Verharmlosen anderer Völkermorde. So können etwa Verbrechen
während der Vertreibung der Deutschen aus dem Osten straflos geleugnet, gebilligt
oder verharmlost werden, ohne daß ein Staatsanwalt dadurch die Menschenwürde
der Betroffenen verletzt sieht. Kritisch sehen einige Juristen auch, daß
bereits die Verharmlosung des Holocaust strafbar ist. Damit kann sich strafbar
machen, wer den Völkermord zwar nicht leugnet, aber die Zahl der Opfer bezweifelt
oder die Bedeutung des Holocaust sonst irgendwie relativiert. Die Bestrafung auch
der Verharmlosung des Holocaust hat Auswirkungen auf die Forschung: So hat etwa
der Wiener Militärhistoriker Heinz Magenheimer sein Manuskript zur Militärstrategie
Deutschlands von 1940 bis 1945 vor dem Druck von einem Rechtsanwalt prüfen
lassen, da er keine Bestrafung wegen einer möglichen Verharmlosung des Holocaust
riskieren wollte. Erst im vergangenen Jahr wurde der Straftatbestand der
Volksverhetzung um einen weiteren Absatz ergänzt. Seitdem wird auch mit Geldstrafe
oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft, wer öffentlich oder in
einer Versammlung oder mit Schriften den öffentlichen Frieden in einer die
Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, daß er die nationalsozialistische
Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt. Auch
mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber das Grundrecht auf Meinungsfreiheit
ganz erheblich eingeschränkt. Am Montag bestätigte das Bundesverfassungsgericht
das Verbot einer unter dem Motto »Gedenken an Rudolf Heß« für
diesen Sonnabend in Wunsiedel geplanten Demonstration mit Hinweis auf den entsprechenden
Absatz 4 des Paragraphen 130. Kritik läßt sich übertragen Die
Kritik an der vorangegangenen Gesetzesnovelle läßt sich auch auf diese
Erweiterung übertragen. Strafbar ist nach dem Wortlaut damit alles, was die
nationalsozialistische Gewalt und Willkürherrschaft rechtfertigt. Der Wortlaut
sieht keine Beschränkung auf die Bestrafung von Rechtfertigungen nationalsozialistischer
Verbrechen vor. Bestraft wird schon die Rechtfertigung der Gewalt- und Willkürherrschaft.
Auch hier werden Historiker aufpassen müssen, wie sie sich zur Entstehung
der NS-Herrschaft äußern. Junge Freiheit vom 18. August 2006 |