Noch zwei Generationen
Zeit Der Demographie-Experte Theodor Schmidt-Kaler über die
Einwanderung, Helmut Schmidt und das "Heidelberger Manifest" (von
Moritz Schwarz)
Herr Professor Schmidt-Kaler, Altbundeskanzler Helmut Schmidt
hat es in der vergangenen Woche in einem Interview mit dem "Hamburger Abendblatt"
als "Fehler" bezeichnet, "daß wir zu Beginn der sechziger
Jahre Gastarbeiter aus fremden Kulturen ins Land geholt haben". Schmidt-Kaler:
Das ist natürlich äußerst pikant, hat er doch als Bundeskanzler
die Einwanderungspolitik seiner Vorgänger fortgesetzt. Späte Reue. Empfinden
Sie Genugtuung? Schmidt-Kaler: Darum geht es mir nicht. Übrigens habe
ich sonst immer viel von Helmut Schmidt gehalten - und seine Fähigkeit zur
Einsicht bestärkt mich darin. Sie hätten allerdings allen Grund
dazu, immerhin betrachten Sie Helmut Schmidt als mitverantwortlich für die
Lahmlegung der Initiative "Heidelberger Manifest", zu dessen Unterzeichnern
Sie 1981/82 gehörten. Des letzten Versuches aus den Reihen etablierter Eliten,
die Folgen der Einwanderung öffentlich zu diskutieren, bevor sich nun das
Thema in Folge der Ereignisse in Holland nach 22 Jahre wieder auf die offizielle
Tagesordnung der Politik gedrängt hat. Schmidt-Kaler: Angestoßen
durch den Münchner Mineralogen Helmut Schröcke hatten wir damals fünfzehn
Professoren versammelt, die das Manifest als Erstunterzeichner unterschrieben
haben, darunter übrigens auch der ehemalige CDU-Bundesminister Theodor Oberländer.
Später haben sich noch Hunderte weitere Bürger angeschlossen. Denn die
Folgen der trotz Anwerbestopps durch die an sich noble, aber verantwortungslose
Politik der Familienzusammenführung fortgesetzten Massenzuwanderung waren
damals schon deutlich vorauszusehen. Wir hatten gehofft, mit dieser Initiative
das fatale Schweigen über dieses Schicksalsthema, das doch alle Menschen
in unserem Land angeht und über das sie dennoch nicht öffentlich zu
sprechen wagten, zu durchbrechen. Leider ohne Erfolg. Der ehemalige FAZ-Journalist
und Sicherheitsexperte Udo Ulfkotte äußerte in der vergangene Woche
im Interview mit dieser Zeitung Zweifel daran, daß das Thema nun wirklich
ernsthaft diskutiert wird. Er hält es für eine der üblichen Medien-Moden,
die bald wieder vergessen sind. Schmidt-Kaler: Das befürchte ich auch.
Bezeichnend ist doch zum Beispiel, daß es sich bei der Debatte gar nicht
mehr um das "Ob", sondern nur noch um das "Wie" von Einwanderung
dreht. Die Frage "Ist Multikulti am Ende?" zielt nicht auf die Beendigung
dieses höchst zweifelhaften Gesellschaftsexperimentes - man diskutiert darüber,
wie man es doch noch retten könnte. Zum Beispiel durch "Integration
statt Assimilation" mittels einer "demokratischen Leitkultur"? Schmidt-Kaler:
Das Niveau solcher Vorschläge ist fatal! Was meint denn "demokratische
Leitkultur" mehr als Gesetzes- und Verfassungstreue? Der Begriff "Kultur"
ist hier völlig falsch verwendet! Kulturelle Integration ist nicht gleich,
sondern führt zu Gesetzestreue - das Mittel wird mit dem Ziel verwechselt.
Erstaunlich, daß ein Intellektueller wie Bassam Tibi, von dem das Konzept
bekanntlich stammt, einen solchen Erstsemester-Fehler macht. Und zum Thema Integration
kann ich nur sagen, wo ist diese jemals ohne ein kräftiges Maß an Assimilation
gelungen? Staatlichkeit ist ihrem Wesen nach stets die Frage der Loyalität.
In einer multikulturelle Gesellschaft besteht naturgemäß kein Konsens
über den Bezugspunkt der Loyalität. Es war ein langwieriger und blutiger
Prozeß, diesen in Europa auf der Grundlage der Nationalstaaten herzustellen.
Beispiel: Während für Theo van Gogh dieser Bezugspunkt der liberale
Nationalstaat Niederlande war, war es für seinen Attentäter der Islam.
Das Ergebnis des Konfliktes: Van Gogh ist tot und Moscheen brennen. Helmut
Schmidt meint deshalb, daß "eine multikulturelle Gesellschaft nur dort
funktioniert, wo es einen starken Obrigkeitsstaat gibt ... wie zum Beispiel in
Singapur". Schmidt-Kaler: Schlechte Nachrichten für die Vertreter
der multikulturellen Gesellschaft. Aber das ist nicht die Prämisse, von der
wir in Deutschland ausgehen sollten. Bassam Tibi empfahl in einem "Spiegel"-Interview
in der vergangenen Woche Leitkultur à la Frankreich: Das Bekenntnis zur
französischen Republik integriere alle Bürger, egal welcher Herkunft. Schmidt-Kaler:
Was Tibi verschweigt: Während bei uns - und zwar gerade dank der Achtundsechziger
- Staat als reines Regelwerk und damit als Gegenmodell zur Nation verstanden wird,
ist in Frankreich die Republik das Synonym für die Nation. Dieses Konzept
setzt bei allen Beteiligten die Aufklärung voraus. Und der Islam hat bisher
weder eine Reformation noch eine Aufklärung erlebt. Sie haben dagegen
schon damals "aus rechnerischen Modellen ... bürgerkriegsähnliche
Zustände und Rassenkrawalle" als Folge der Masseneinwanderung vorhergesagt. Schmidt-Kaler:
Dieses Zitat stammt allerdings nicht aus dem Manifest. Anschläge wie in Madrid
und Amsterdam erfüllen zwar noch nicht diesen Tatbestand, deuten aber darauf
hin, daß die Prognose begründet ist. Übrigens prophezeien das
auch andere: Udo Ulfkotte ebenso wie Bassam Tibi, und auch Helmut Schmidt hat
bekanntlich schon 1981 gewarnt: "Das gibt Mord und Totschlag". Ihr
Heidelberger Manifest warnte unter anderem vor der "Unterwanderung des deutschen
Volkes durch Zuzug von vielen Millionen Ausländern und ihren Familien und
der Überfremdung unserer Sprache, Kultur und Volkstums". Schmidt-Kaler:
So hieß es in der Fassung von Professor Schröcke, daneben gab es noch
eine weitere Fassung von mir. In der statt von "deutschen Volk"
von "deutscher Bevölkerung" und statt von "Volkstum"
nur noch von "deutscher Sprache und Kultur" die Rede war. Schmidt-Kaler:
Die aufgeladene Sprache der Schröcke-Fassung drohte die erhoffte Diskussion
in einen Streit über die Formulierungen statt über die Inhalte münden
zu lassen. Ich habe beide Fassungen unterschrieben, denn andererseits war die
Schröcke-Fassung eher in der Sprache des Grundgesetzes gehalten. Inwiefern? Schmidt-Kaler:
Das Grundgesetz benennt schließlich allein das "deutsche Volk"
als Souverän, während ihm eine "deutsche Bevölkerung"
unbekannt ist. Und laut des sogenannten Teso-Urteils des Bundesverfassungsgerichtes
von 1987 ist Ziel und Zweck des Grundgesetzes "die Erhaltung des deutschen
Volkes" - nicht nur in musealer Weise, nicht nur von Sprache und Kultur,
sondern auch ganz konkret deren Verdichtung in einem lebendigen Volkstum. Welche
Beweise haben Sie dafür, auch den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt
für das Scheitern des Manifestes verantwortlich zu machen? Schmidt-Kaler:
Bert Rürup kam 1981 zu einer Tagung der Deutschen Gesellschaft für Bevölkerungswissenschaft
- heute Deutsche Gesellschaft für Demographie - in Bad Königstein im
Taunus und sorgte dafür, daß dort die "Pro-Natalisten", also
alle, die wie wir "Heidelberger" für ein Ende der Masseneinwanderung
und für die Anhebung der deutschen Geburtenziffern eintraten, ausmanövriert
wurden. Methode: Zuckerbrot und Peitsche. Er ließ durchblicken: Wer sich
widersetzt, mußte mit Schwierigkeiten bei seiner Karriere rechnen, wer dagegen
kooperiere, könne auf Belohnung hoffen. Wer oder was ermächtigte Rürup
dazu? Nun, er war damals Berater im Bundeskanzleramt. Es war aber nicht
allein Helmut Schmidt, wie Sie vermuten? Schmidt-Kaler: Was die unterschwellige
Stimmungsmache einer Regierung so alles anrichten kann, haben wir spätestens
beim sogenannten "Aufstand der Anständigen" gesehen. Insgesamt
aber sind wir an der schon im Entstehen begriffenen Political Correctness gescheitert,
die bereits damals Vertreter mißliebiger Meinungen Haß, Verachtung
und Terrormaßnahmen aussetzte. Terrormaßnahmen? Schmidt-Kaler:
Ich bekam zum Beispiel Drohbriefe, inklusive Morddrohungen. An der Universität
liefen diverse Flugblatt-Kampagnen gegen mich, unsere Bürotüren wurden
mit Parolen wie "Institut für Rassismus" beschmiert. Schließlich
wurden wir von einem Putztrupp überfallen und mein Vertreter so schlimm zusammengeschlagen,
daß er zum Arzt mußte und noch Wochen später blau und gelb leuchtete.
Auch mein Wohnhaus wurde wiederholt mit Parolen beschmiert, Fenster eingeworfen
und ich schließlich in aller Öffentlichkeit geohrfeigt. Einige Kollegen
zogen sich unter solchem Druck schließlich zurück. Danach wollte sich
- bis auf Einzelkämpfer wie den Soziologen Robert Hepp - niemand mehr dem
aussetzen, und das Thema wurde nur noch an den politischen Rändern aufgegriffen.
Was natürlich ganz im Kalkül der Meinungsterroristen lag, denn damit
hatte es endgültig das Gütesiegel "rechtsextrem". Immerhin
druckten sowohl die "Frankfurter Rundschau" als auch die katholische
"Tagespost" das Manifest als Dokumentation ab. Das Südwestfunkfernsehen
in Baden-Baden lud Sie in eine Diskussionssendung im Regionalprogramm, der Bayerische
Rundfunk in eine Sendung im ARD-Fernsehen ein. Schmidt-Kaler: Es war erfreulich,
daß sie mir als Gegenüber einen Mann wie den SPD-Politiker Heinz Kühn,
bis 1978 Ministerpräsident von NRW, eingeladen hatten. Aber es war auch die
Sendung, in der ich von einer herbeistürmenden Zuschauerin - offensichtlich
aus dem linksextremen Milieu bestellt - vor laufender Kamera geohrfeigt wurde.
Aber abgesehen von diesen Ausnahmen liefen die Pressereaktionen fast überall
ab, wie zuletzt im Fall Hohmann. So wie dort aus "Die Juden sind kein Tätervolk",
"Hohmann nennt Juden Tätervolk" wurde, so wurde aus Einwanderungsstopp
"Ausländerfeindlichkeit" gemacht. Daß es völlig absurd
ist, Einwanderer pauschal mit jeder Art von Ausländern in Deutschland gleichzusetzen
oder "Begrenzung" mit "Feindlichkeit", störte dabei nicht.
Man wollte auch gar nicht verstehen, denn es ging darum, nicht zuzulassen, daß
wir unsere vernünftigen Argumente überhaupt vorbringen. Im übrigen
enttäuschte uns besonders das Schweigen von FAZ und Welt. Das Heidelberger
Manifest hat auf beide Seiten des Problems hingewiesen, die zunehmende Immigration
von Ausländern einerseits, die abnehmende Natalität der Deutschen andererseits. Schmidt-Kaler:
Ja, und wir waren damit bereits an einem Punkt, an dem die Diskussion heute noch
nicht wieder angelangt ist. Denn kommen diese beiden Faktoren zusammen, haben
wir es nicht mehr mit der Art Einwanderung zu tun, wie wir sie von Einwanderungsländer
wie den USA oder Kanada kennen. Dann entspricht Einwanderung im Effekt dem, was
wir in der Geschichte mit dem Begriff "Völkerwanderung" ausdrücken,
nämlich die Veränderung der Grundbedingungen des Lebens ganzer Völker. Im
Moment haben wir sieben Millionen Ausländer bei 83 Millionen Deutschen, das
klingt noch verkraftbar. Schmidt-Kaler: Das sind nominelle Zahlen, die schon
"dank" der großzügigen Einbürgerungspraxis, Sonderregelungen
wie Asyl und illegalen Aufenthalten längst nicht mehr die Wirklichkeit beschreiben.
Aber der Punkt ist, daß man die Einwanderungsfrage verzerrt, wenn man sie
statisch darstellt. Denn Einwanderung ist keine Situation, sondern ein Prozeß.
Fixe Zahlen transportieren nicht die eigentliche Information, diese ist erst in
den Faktoren enthalten, die auf die Zahlen wirken. Und der entscheidende Faktor
ist die Natalität. Die eigentliche Einwanderung findet bei uns längst
nicht mehr "sichtbar" über die Grenzen statt, sie vollzieht sich
"unsichtbar" über die Kreißsäle. Und ebenso "verschwindet"
das deutsche Volk nicht sichtbar über die Grenzen wie bei einer Vertreibung,
sondern ebenfalls unsichtbar: Kindergärten werden dichtgemacht, Friedhöfe
erweitert. Die Union fordert jetzt verschärfte Maßnahmen wie
etwa einen Eid auf die Verfassung bei der Einbürgerung. Was erwarten Sie
von einem eventuellen CDU-Wahlsieg 2006? Schmidt-Kaler: 1986 habe ich für
Bundeskanzler Kohl eine internationale bevölkerungswissenschaftliche Tagung
in Bonn organisiert. Zur Vorbereitung empfing er mich zum Gespräch unter
vier Augen im Bundeskanzleramt. Er wollte über das Problem der Demographie
reden. Wann immer ich die Einwanderung ansprach, winkte er ab. Was also soll ich
von der Politik erwarten? Wir haben de facto nur Einwanderungsparteien in Deutschland.
Ebenso ist es mit den "relevanten" gesellschaftlichen Gruppen, ob Kirchen
oder die angeblich arbeitnehmerfreundlichen Gewerkschaften. Ich frage mich auch,
warum etwa der Zentralrat der Juden in Deutschland uns hierzulande stets dringend
eine unterschiedslose Einwanderungspolitik empfiehlt, während er die extrem
völkische Einwanderungspolitik in Israel nicht kritisiert. Nun, wenn in den
nächsten Jahren der EU-Beitritt der Türkei bei voller Freizügigkeit
für dann 90 Millionen Türken beschlossen wird, hat sich die Diskussion
sowieso erledigt. Dann gebe ich Deutschland noch maximal zwei Generationen.
Prof. Dr. Theodor Schmidt-Kaler ist einer der letzten noch lebenden Unterzeichner
des Heidelberger Manifestes, mit dem 1981/82 vierzehn deutsche Professoren und
ein Bundesminister a.D. vor den Folgen der Masseneinwanderung warnten und - vergeblich
- versuchten, eine öffentliche Diskussion darüber zu entfachen. Schmidt-Kaler
beriet mehrfach Ministerien während der Kabinette Schmidt und Kohl zu demographischen
und rentenpolitischen Fragen, ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für
Demographie und veröffentlichte zahlreiche Artikel zum Thema, etwa in Bevölkerungswissenschaft
oder aus Politik und Zeitgeschichte. Der 1930 im oberfränkischen Seibelsdorf
geborene Naturwissenschaftler lehrte in Bonn, Toronto und Bochum, war Präsident
der Astronomischen Gesellschaft und ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen
und der Europäischen Akademie der Wissenschaften. Junge Freiheit vom 3. Dezember 2004 |