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Unter der Herrschaft des Verdachts (von Wolfgang Saur) Arne Hoffmann untersucht bundesdeutsche Antisemitismusdebatten und
entdeckt einen McCarthyismus, der immer mehr eine "Gesinnungsdemokratie" etabliert Totalitäre Theorien verfügen über ein Immunsystem, das jede Kritik
sofort zum Anwendungsfall der Theorie macht. Die ist - wie der Igel "allhier"
- schon immer da, behält stets recht. Daß Terrorregime dies praktizieren, leuchtet
ein. Daß auch liberale Gesellschaften solche Steuerungsinstrumente einsetzen,
überrascht. Doch haben zahllose Skandale, Affären, Kampagnen uns inzwischen darüber
belehrt, wie eng die Meinungsspielräume der "offenen Gesellschaft" werden können,
wie schnell die "Grenzenlosigkeit" zum Strich eines rigorosen Konformismus verkommt. Die Frage, wieso Anspruch und tatsächliches Verhalten der "freien
Welt" so auseinanderklaffen, bewegt Arne Hoffmann in seinem neuen Buch. Es fokussiert
mit "Antisemitismusdebatten in Deutschland" mutig das heikelste Thema deutscher
Öffentlichkeit. Ein riskantes Terrain, verdichteten die letzten Jahrzehnte doch
Drittes Reich, Krieg und Holocaust zu einem universalen geschichtsphilosophischen
Passepartout. Für viele "starb Gott in Auschwitz". Sein Tod "verstrahlt" nun unsere
Gegenwart, bleibt doch ein monotheistisches Phantom zurück - und eben die Shoa
als das "zentrale Kraftwerk der Moralwirtschaft". Die bestimmt den sozialen Code
durch Begriffe wie: Schuld, Täter-Opfer, Sühne, Erinnerung. All das macht deutsche Gedenkpolitik zu einer "überdeterminierten
Institution" im Sinne Gehlens. Zu ihr gehören "Totem", "Tabu", und "Ritual". Dieses
Raster legt Hoffmann nun seiner Analyse zugrunde. Minutiös rekonstruiert er die
Skandale der letzten Jahre im Spiegel der Medien. Kommunikationswissenschaftliche
Deutung, so Kepplingers Skandalthese zur modernen "Erregungsgesellschaft", ergänzt
seine Überlegung. Neben Rückblenden behandelt seine Themenreihe: Jürgen Möllemann,
Michel Friedman, Martin Hohmann, Reinhard Günzel, Johannes Rogalla von Bieberstein,
Roland Koch, Norbert Blüm, Martin Walser, Ted Honderich, Attac, Hans Leyendecker,
"Panorama", die Bundeszentrale für politische Bildung, Konrad Löw und Johannes
Paul II. - Personen also, Medien und Organisationen, die seit 2001 in den Strudel
diffamierender Kampagnen gerieten. Die Folgen für die Betroffenen variieren, sie reichen von Zensur
und Medienhetze über Stigmatisierung, Statusverlust und Berufsverbot bis hin zum
Suizid. Vorteil der aktuellen Studie: Der Autor hat einschlägige Webadressen und
Internetforen ausgewertet, methodischer Reflex auch seiner Beobachtung zweier
Meinungslager im Sinn der "Schweigespirale". Das Internet zeichnet er optimistisch
als Spielraum informeller Gegenöffentlichkeit. Leitmedien und politische Eliten
indes befördern die soziale Gleichschaltung. Hier erscheint ein struktureller
McCarthyismus, der eine "Gesinnungsdemokratie" etabliert, in der auf Tabuthemen
"nur noch mit Empörung, Hysterie, Einforderung von Buße oder Sanktionen" reagiert
wird. Jüngste Vorgänge in Berlin haben einmal mehr die totale Enthemmung
und rhetorische Brutalisierung der öffentlichen Skandalmaschine bezeugt. Sie eskaliert,
inflationiert und fatalisiert den Antisemitismusvorwurf, was Hoffmanns schrille
Belege abstoßend schildern. Ein typisches Eskalationsprofil zeigt der "Fall Hohmann".
Er verdeutlicht, wie sehr dabei die moralische Fanfare umgekehrt und dem Beschuldigten
selbst alle Gerechtigkeit entzogen wird. Der Diffamierte wurde als "Tier" verachtet,
dann zum "Nichts" erklärt. So inflationär die sprachpolitische Raserei damit wucherte,
verschleißt sich doch ihr Stigmatisierungspotential nicht. Kritiker irren, die
den Kurs der heißen Münze im Fall glauben. Es geht ihr nämlich wie dem ewig kochenden
Topf im Märchen. Diese elende Praxis wird noch gestützt durch die furchtbare Verdachtsausweitung:
"Sekundäre", "larvierte", "chiffrierte", "latente", "strukturelle" Antisemitismen
ermöglichen alles einzuschüchtern, was je inopportun erscheint. Sage keiner, ihn
werde es nicht treffen. Wenn die Süddeutsche als "Hetzblatt" mit Stürmer und Völkischem
Beobachter verglichen und die Bundeszentrale als "Hort des Antisemitismus" diffamiert
wird, endlich die Washington Post behauptet, der Antisemitismus in Europa entwickele
sich zur "zweiten und finalen Phase der 'Endlösung der Judenfrage'", dann offenbart
dies Umrisse eines Wahns, der alle konventionellen Verschwörungstheorien sprengt. Das verantwortungslos hysterische Hochschreiben des Antisemitismus
geht aufs Konto einer zynischen Mediengesellschaft, wurzelt freilich zudem in
handfesten Interessen. Israel ist an der Abwehr von Kritik interessiert, die jüdisch
säkulare Diaspora am Zusammenhalt durch Konfrontation und innerdeutsche Eliten
am Machterhalt im Generationskonflikt. Hinzu kommt der "Kampf gegen Hitler" als
mythisches Regulativ atlantischer Außenpolitik. Vor diesem Hintergrund kann es eng werden: Wie da die Rekonstruktion
deutscher Identität positiv möglich sei, bleibt unersichtlich. Die wurde zur Geisel
einer ausufernden Sozialpathologie. Deren inquisitorisches System versteht Hoffmann
mit Kepplinger zu Recht als die "demokratische Variante von Schauprozessen".
Dazu paßt die Wut, wenn "Delinquenten" sich "bloß distanzieren",
statt um "Vergebung zu bitten", was der Band häufig zitiert. Der schuldtheologische
Kern des Verdachtsyndroms wird hier offenbar. Christlicher Versöhnung entgegen
hat man die Rechtfertigung Gott entrissen, ihn politisch zu beerben. Angesichts
des Versuchs, "die Deutschen hinter einem Tabu einzumauern", befürchtet Konrad
Löw, daß wir "am Anfang einer großen Kampagne gegen die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit
stehen". Arne Hoffmann: Warum Hohmann geht und Friedman bleibt. Antisemitismusdebatten
in Deutschland von Möllemann bis Walser. Edition Antaios, Schnellroda 2005, 302
Seiten, broschiert, 24 Euro. Junge Freiheit vom 21. Oktober 2005 | |  |