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Josef Schüßlburner

- „Indien“ -

(Textauszüge)

 

„Indien“ (Josef Schüßlburner)

„Die bereits 60jährige Existenz der Indischen Union als größte Demokratie der Welt stellt eine erstaunliche politische Leistung dar. Man braucht dabei nur auf die Massenarmut hinzuweisen, von der trotz seit der 1991 wachsenden technisch-wirtschaftliochen Erfolge immer noch bis zu 80 Prozent der Einwohner betroffen sind. Jährlich begehen über 10000 Bauern aus Verzweiflung und wegen Überschuldung Selbstmord. Jeder kann sich selbst die Frage beantworten, ob in Europa ein demokratisches System mit derartig gravierenden Problemen hätte überleben können.“ (Ebd., Oktober 2008, S. 52).

„Nun ist Indien mit seinen 18 anerkannten, z.T. mit unterschiedlichen Alphabetsystemen geschriebenen Hauptsprachen, der geographischen Größe und seiner Bevölkerungsmasse nur mit Europa zu vergleichen, keinesfalls mit einem europäischen Einzelstaat. Katastrophale soziale Zustände wie die in Indien würden in Europa mit Sicherheit eines beenden: den anscheinend irreversiblen Weg hin zur EU in ihrem jetzigen Gewand. Vielmehr würde zur Problemlösung nach dem nächstliegenden gegriffen: Ein Rück-Zerfall in die Nationalstaaten wäre zu erwarten.“ (Ebd., Oktober 2008, S. 52).

„Wie also ist die Fortexistenz der indischen Demokratie zu erklären, die anders als die Bundesrepublik Deutschland - sieht man von der Notstandsverordnung Indira Gandhis ab - ohne Verfassungsschutz und Parteiverbote auskommt? .... Der von der indischen Bundesregierung in den 28 Bundesstaaten jeweils eingesetzte Gouverneur steht formal an der Spitze des Landes, das normalerweise von dem vom Landesparlament gewählten Ministerpräsidenten geführt wird. Der Gouverneur kann jedoch im Notstandsfall, den man bei Bedarf gezielt herbeiführen kann, durch die Bundesregierung mit der Ausübung der Regierungsbefugnisse beauftragt werden. Das Zentralparlament kann jederzeit einen neuen Bundesstaat schaffen oder die Landesgrenzen neu zuschneiden. Dieses Regierungssystem ist nur zu verwirklichen, indem der Zentralstaat die Verfassungen der Länder vorgibt, was wiederum nur durch Ausschluß von plebiszitären Elementen möglich ist. Juristisch ist dies der Kern des Kaschmirproblems, für dessen Lösung das Plebiszit der Bewohner über die Zugehörigkeit zu Indien oder Pakistan vorgesehen ist. Ein derartiges Plebiszit könnte jedoch als Präzedens angesehen werden und Signal für Abstimmungen über die Abspaltung weiterer größerer Gebiete sein.“ (Ebd., Oktober 2008, S. 52).

„Für diese Vermutung spricht die starke Zuwendung zu Regionalparteien: Sie führt im Zentralparlament zu einer Vielzahl von Parteien, die neben die ursprünglich beherrschende Kongreßpartei und die seit 1994 etablierte hinduistische Bharatiya Janata Party (BJP) treten. Im Gegensatz zum bunten Bild auf nationaler Ebene hat sich in den Ländern selbst jeweils ein Zweiparteiensystem durchgesetzt - dem angelsächsischen Mehrheitswahlsystem entsprechend. Für die mögliche Transformation dieser Regionalparteien in Unabhängigkeitsbewegungen würde sprechen, daß sich einige der 28 Länder durch die Unabhängigkeit unmittelbar einen wirtschaftlichen Vorteil ausrechnen können: Die fünf reichsten Länder Indiens erwirtschaften 40 Prozent des Bruttosozialprodukts und sind erheblichem zentralstaatlichen Umverteilungsdruck zugunsten der fünf Länder ausgesetzt, auf die sich 50 Prozent der Massenarmut konzentriert.“ (Ebd., Oktober 2008, S. 52).

„Neben der rein formalen Herrschaftsorganisation muß es noch andere Gründe geben, die den Zusammenhalt Indiens als demokratisch regiertes Vielvölkerregime gewährleisten. Diese lassen sich eindeutig in der Religion, dem Hinduismus, und dem mit diesem verbundenen Kastensystem finden. .... Der Hinduismus ist tendenziell ohnehin ein Konstrukt, das aus politischen Gründen sich widersprechende religiöse Glaubensvorstellungen zusammenfaßt, nämlich im Kern drei an sich unvereinbare Monotheismen. Zunehmend konnte die ursprünglich mehr von außen kommende Zusammenfassung als »Hinduismus« gesamtindisch zur politischen Selbstdefinition verwendet werden.“ (Ebd., Oktober 2008, S. 53).

„Dieser politische Ausgangspunkt erklärt den Inklusivismus, der den Hinduismus gegenüber anderen Religionen kaum nach dogmatischen Gesichtspunkten abgrenzen kann, sondern mehr durch eine religiöse Praxis, wie eben durch Beachtung der Kastenregeln. Sollen jedoch Kasten nicht mehr existieren - der Reformhinduismus gesteht zu, daß es sich hierbei um eine Fehlentwicklung handle -, dann muß der Hinduismus, und zwar notwendigerweise politisch, anders definiert werden. Dafür bietet sich dann etwa der Säkularismus an, der auf der Vorstellung gründet, der Hinduismus schließe ohnehin alle Religionen unter Einschluß von Atheismen ein und verschaffe damit als gesamtindischer Nationalismus dem Säkularismus eine religöse Basis.“ (Ebd., Oktober 2008, S. 53).

„Dieser Inklusivismus ist natürlich nur scheinbar tolerant, weil er andere Religionen auf sein spezifisches Vorverständnis reduziert: Jesus erscheint dann als Avatar einer Hindugottheit, darf aber nicht in seiner christlichen Exklusivität als »eingeborener Sohn« verstanden werden, weil dies »intolerant« wäre. Diese Art von Religiosität, die doch über das hinausgeht, was normalerweise unter »Zivilreligion« verstanden wird, war mit dem indischen »Säkularismus« stillschweigend schon immer verbunden und hat sicherlich, auch und gerade weil sein Inklusivismus Muslime und Christen in eine prekäre Lage zu bringen vermag, zum Überleben der Indischen Union als demokratisch regierter Vielvölkerstaat wesentlich beigetragen. Dem säkularen Staat wurde damit gesamtindisch eine religiöse Ideologie verschafft, die aber Indien zur bislang erfolgreichen Integration der eigenen Moslems gegenüber dem islamischen Pakistan immer noch als säkular erscheinen läßt.“ (Ebd., Oktober 2008, S. 53).

„Die Indische Union erlaubt instruktive Folgerungen auf die Voraussetzungen des Gelingens eines demokratischen Vielvölkerstaates »Europa«: Neben Relativierung des Demokratieprinzips auf nationaler Ebene, etwa Plebiszitverbot, wären Parallelgesellschaften als Ersatz für ein Kastensystem zu fördern, die einen z.B. in Saarbrücken wandernden Europäer türkischer Abstammung kreieren, zu dessen Gunsten europademokratisch interveniert wird. Der »Europäer« fühlt sich als säkular, indem er unter »Abrahamismus« drei sich widersprechende Monotheismen religionspolitisch zusammenschweißt und dabei zu eindeutige religiöse Glaubensbekundungen als »intolerant« ächtet. Die sozialstaatliche Finanzierung des Ganzen auf kontinentaler Ebene führt dann Massenarmut nach indischem Muster herbei. Trotz voller Anerkennung für die politische Leistung der Indischen Union: Müssen dies die Europäer wirklich nachahmen?“  (Ebd., Oktober 2008, S. 53).

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