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Günther Deschner

- „Ende der Krise nicht in Sicht“ -

 

„Ende der Krise nicht in Sicht“ (Günter Deschner)

„Im Gespräch mit ZUERST!:  Prof. Dr. Wilhelm Hankel über den Einfluß der Privatbanken auf die deutsche Politik.

Herr Professor Hankel, derzeit ist die Bundesrepublik Deutschland mit etwa 1,7 Billionen Euro verschuldet. Wird die Luft langsam dünn?

Hankel: Sie wird bald noch dünner werden. Laut EU wird die deutsche Staatsverschuldung bis zum Jahre 2014 weiter kräftig steigen. M.E. sogar noch stärker als die EU befürchtet. Es könnten bis zu 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) werden. Andere westliche Industrieländer, wie Japan oder in der Europäischen Union (EU) England, Irland, Belgien Griechenland, Italien, Portugal und die meisten osteuropäischen Länder liegen weit darüber. Auch der neue deutsche Finanzminister lehnt es ab, »in die Krise hinein zu sparen«. Und die ins Grundgesetz geschriebene Schuldengrenze greift ohnehin nicht vor Ablauf von zehn Jahren. Wir werden uns also noch an weit höhere Schuldenberge und Schuldenbelastungen gewöhnen müssen.

Mich erschreckt auch, daß wir in der Ökonomie heute mit Zahlen rechnen, die früher der Astronomie vorbehalten waren. Noch mehr erschreckt mich aber, welch Schindluder mit dem Schuldenbegriff hierzulande getrieben wird.

Was meinen Sie damit konkret?

Hankel: Wir müssen beim Thema Schulden zwei Ebenen sehr genau unterscheiden: Schulden, die wir privat machen und Schulden, die in der Gesellschaft entstehen: öffentlichen Schulden des Staates. Und wir müssen bei privaten wie öffentlichen Schulden auseinanderhalten, ob es sich um Inlands- oder Auslandsschulden handelt. Wenn sich der einzelne Bürger zu stark verschuldet, kann das für ihn in einer Katastrophe enden. Es ist der direkte Weg in den sozialen Tod, wenn er aus seinen Schulden nicht mehr herauskommt. Doch etwas völlig anderes sind öffentliche Schulden. Das sind Schulden innerhalb der Gesellschaft, denn hier steht den Schulden des einen die Forderung, d.h. das Vermögen eines anderen gegenüber. Auch den Staatsschulden stehen Privatvermögen gegenüber: nämlich die der Geldgeber oder Gläubiger des Staates. Diese Tatsache kommt in der Debatte um die Schulden zu kurz; sie wird sogar unterdrückt.

Volkswirtschaftlich sind Staatsschulden Steuerersatz: der Staat beschafft sich sein Geld nicht über Zwang, sondern über ein – meist für die Geldgeber sogar lukratives – Zinsgeschäft mit privaten Sparern und institutionellen Kapitalanlegern: Banken, Sparkassen und Versicherungen. Und demzufolge heißt Schuldenabbau, was die meisten Kritiker der Staatsverschuldung verdrängen, Vernichtung privater Vermögen! Etwas, was sie ja gar nicht wollen.

Mit Verlaub, das klingt verwirrend.

Hankel: Soll es auch, denn Verwirrung ist die Voraussetzung, um genauer hinzusehen. Nur so kommt man zur eigenen Urteilsfähigkeit. Wann immer der Staat Schulden macht, sei es durch die Ausgabe der von mir erfundenen Bundesschatzbriefe oder Kreditaufnahme bei einer Bank oder Versicherung, schafft er als Gegenposten privates Vermögen. Anders geht es gar nicht!

Was ist mit den Auslandsschulden?

Hankel: Da sieht es etwas anders aus. Schulden Inländer (ein Unternehmen, eine Bank oder auch der Staat) Ausländern Geld (fremdes und kein eigenes), wird daraus eine Währungs- oder Transferschuld. Man muß dieses Auslandsgeld zuvor verdienen, ehe man seine Schulden tilgen kann, und das belastet nicht nur den Schuldner, sondern die gesamte Volkswirtschaft.

Wie gefährlich das werden kann, sieht man jetzt in der Krise. Viele Staaten in der EU, genau genommen sogar die meisten, kämpfen mit diesem Problem. Sie sind im Ausland hochverschuldet: also nicht bei ihren eigenen Bürgern in eigenem Geld, sondern bei Geldgebern aus anderen Ländern und zumeist in deren Währung. Und damit stehen sie am Rande eines sowohl Banken- wie Staatsbankrotts, denn warum sollten diese Auslandsgläubiger ihr gutes Geld weiterhin einem zahlungsunfähigen Land und dessen Schuldnern überlassen, das erkennbar schlecht gewirtschaftet hat? So selbstlos ist niemand, jedenfalls kein Privater. Und Staaten dürfen es auch nicht sein, auch sie dürfen das Geld ihrer Bürger nicht leichtsinnig gefährden.

Das scheinen alle jene Europa-Politiker zu vergessen, die jetzt anderen EU- und Euro-Staaten großzügig Hilfen von Staat zu Staat versprechen. Denn es ist ja nicht ihr eigenes Geld, das sie da als großzügige Hilfe anbieten, sondern das ihrer Bürger. Eigentlich müßten sie es aus eigener Tasche bezahlen statt aus fremder zu Lasten ihrer Bürger! Und selbst, wenn es sich nicht um fremdes Geld, sondern den gemeinsamen Euro handelt: Auch dieser Euro ist weder ihr Geld, noch darf er als das Geld aller Bürger durch solche Hilfszusagen inflationiert werden.

Die Schulden der Bundesrepublik Deutschland bestehen zu etwa 50 Prozent aus Auslandsschulden. Ist das kein Problem?

Hankel: Ich weiß nicht, woher Sie diese Zahl haben. Die Bundesrepublik Deutschland verzeichnet seit den 1950er Jahren sehr hohe Export- und Leistungsbilanzüberschüsse. Sie summieren sich inzwischen zu einem Auslandsvermögen in Billionen-Umfang!

Wenn Ihre Information stimmt, daß die Hälfte der Schulden der Bundesrepublik Deutschland Auslandsschulden sind, dann bleibt immer noch ein Netto-Überschuß an Restvermögen übrig. Deutschland ist der wohl größte Auslandsgläubiger unter den westlichen Nationen, sowohl in Europa als auch weltweit.

Und das läßt sich einfach gegeneinander aufrechnen?

Hankel: Volkswirte müssen aufrechnen. Für sie zählt nur der Saldo aus Einnahmen und Ausgaben wie aus Vermögen und Schulden!

Wenn es nun hart auf hart käme, also die ausländischen Gläubiger ihr Geld zurückziehen würden?

Hankel: Dann hätte Deutschland immer noch weitaus mehr Auslandsguthaben, als Deutsche ausländischen Gläubigern schulden. Wir könnten einen Teil liquidieren, um unsere Schulden zu bezahlen. Aber das wäre sicherlich nicht im Interesse der ausländischen Gläubiger. Deutschland ist immer noch ein guter Investitionsstandort und sicherer Schuldner, weit davon entfernt, einen Staatsbankrott anmelden zu müssen.

Also können wir Deutschen wieder ruhig die Beine hochlegen und alles kann so weitergehen?

Hankel: Natürlich nicht! Auch wir haben unsere Sorgen: die miserable Konjunktur, die steigende Zahl der Arbeitslosen, die Löcher in der Finanzierung des Sozialstaates.

Und wir müssen uns ernsthafte Sorgen um Europa und den Euro machen. Hier gibt es die »PIGS« – ein Schelm, wer Böses dabei denkt! – also die Ländergruppe Portugal, Irland, Griechenland, Spanien. Diese Länder sind durch ihre permanenten Defizite, speziell seit der Einführung des Euro, so sehr im Ausland und gegenüber ihren Währungspartnern verschuldet, daß ihnen jetzt ein Staats- und Bankenbankrott ins Haus steht. Denken Sie an Island, wo dieses bereits geschehen ist. Diese Island-Situation besteht inzwischen, wie kürzlich die EU-Kommission festgestellt hat, für 13 der 16 Euro-Staaten!

Und weil wir mit diesen Ländern in einer Wirtschaftszone leben, heißt es in diesem Falle »Mitgehangen, mitgefangen«?

Hankel: Das war der Grund, warum ich mit drei Kollegen Anfang 1998 gegen die Einführung des Euro geklagt habe. Im EU-Vertrag heißt es zwar lapidar: kein Staat haftet für die Schulden eines anderen. Aber das ist Makulatur, wenn man sich die Währung teilt.

Die gemeinsame Währung hat dazu geführt, daß die Länder, die Defizite aufweisen, diese mit den Überschüssen der anderen Länder verrechnen können: automatisch und geräuschlos über den Währungsverbund und das offene Kreditfenster der Europäischen Zentralbank (EZB) für diese Schuldenstaaten und ihre Banken.

Deutschland zum Beispiel gehört zu diesen automatischen Kreditgebern ....

Hankel: Richtig. Neben Deutschland gibt es nur drei weitere Überschußländer in der Euro-Zone: Niederlande, Österreich und Finnland. Deutschland bringt etwa 90 Prozent der Überschüsse der Euro-Zone. Wenn von den 16 Ländern der Euro-Zone zwölf seit langem defizitär sind und jetzt auch noch als überschuldet gelten, dann ist Deutschland nicht nur der Bankier der Euro-Zone. Der Bankier muß, so ist zu befürchten, jetzt auch noch für die Entschuldung der Euro-Bankrotteure aufkommen.

Das steht nicht im Vertrag zur Währungsunion.

Hankel: Nein. Dem Vertrag nach sollte die Euro-Zone eine »Stabilitätsgemeinschaft« sein. De facto ist sie jedoch zu einer »Haftungsgemeinschaft« geworden mit einem Hauptgaranten: Deutschland! Das ergibt sich aus der Logik des gemeinsamen Geldmarktes und der gleichen Kreditfähigkeit aller Euroländer bei der EZB.

Letztlich ist es Deutschland, das mit seiner Wirtschaftskraft und –leistung die Kreditfähigkeit der Euro-Zone und die Stärke des Euro an den internationalen Finanzmärkten ermöglicht. Doch die Frage ist: wie lange noch?

Angenommen, die Krise verschärft sich und noch mehr Länder der Euro-Zone nähern sich dem Staatsbankrott ....

Hankel: Darüber zerbrechen sich die Volkswirte in der EU-Kommission und der EZB den Kopf. Eine Möglichkeit wäre für die europäische Staatenwelt, wieder zu den alten, historischen Währungen zurückzukehren. Nur so gewinnen sie die jetzt benötigte Handlungsfreiheit in der Gestaltung ihrer nationalen Politik und Krisenbekämpfung zurück.

Der Tod des Euro?

Hankel: Der Tod des Euro ist nicht der Tod Europas. Diese Schicksalsverbundenheit oder –identität bestand nie und besteht auch jetzt nicht. Im Gegensatz zu Europa-Phantasten und -Fanatikern halte ich es für tödlich für Europa, wenn man am Unsinnsprojekt der Trennung von Staat und Währung festhält.

Das Gemeineigentum an der Währung: 16 Staaten, ein Geld, hat genau das bestätigt, wovor gute Europäer, nämlich wir, die Euro-Kritiker, von Anfang an gewarnt haben: Was allen gehört, gehört niemandem und wird von niemandem gepflegt. Im Gegenteil: Man überläßt die Pflege »den anderen« oder »der Allgemeinheit«. Genau das haben die 13 Euro-Trittbrettfahrer getan – die Pflege des Euro und die Einhaltung der feierlich beschworenen Spielregeln haben sie im wesentlichen Deutschland überlassen! Das Resultat liegt vor.

Helmut Kohl sagte, die Einführung des Euro sei eine Frage von Krieg und Frieden ....

Hankel: Vermutlich sagte er es wider besseres Wissen! Als Politiker wie Historiker sollte er wissen, daß seit 1945 kein Land in Westeuropa Kriegsgründe mehr hat, noch über die Ressourcen verfügt, solche zu führen. Und seit dem Ende der Sowjetunion auch kein Staat in Osteuropa.

Also keine Kriegsgefahr, wenn der Euro wieder verschwinden sollte?

Hankel: Ich sage: Unverantwortliches Gerede.

Warum?

Hankel: Weil es eher umgekehrt ist. Es sind die Probleme einer gemeinsamen Viel-Völker-Währung, die unter den Währungspartnern Spannungen und Konflikte auslösen. Eine Vielheit nationaler Währungen, die im Wettstreit und Wettbewerb miteinander stehen, tut das nie. Um die europäische Integration war es nie besser gestellt als in den Jahren vor dem Euro. Nationale Probleme, und derer gab es viele, konnten mit nationalen Mitteln, wie Zins- und Wechselkursanpassung, gelöst werden. Sie schlugen niemals auf andere Länder oder die Gemeinschaft durch, so wie jetzt!

Sie meinen, die innereuropäische Konfliktgefahr steigt durch eine gemeinsame Währung?

Hankel: Geradezu explosiv! Die Euro-Fans verwechseln bis zur Stunde Dynamik mit Dynamit!

Der Euro belohnt die Mißwirtschaft der »PIGS« und anderer EUZ- und Euro-Länder, und er verstärkt die Schuldenlast gesunder Länder wie Deutschland.

Die aber, wenn ich Sie richtig verstanden habe, derzeit noch kein Problem darstellt.

Hankel: Was noch nicht ist, kann noch werden.

Ab wann wird sie zu unserem Problem?

Hankel: Dann, wenn die laufende Zinsenbelastung des Staatshaushalts zu hoch zu werden droht: Wenn andere vorrangige Staatsaufgaben (Bildung, Infrastruktur, Soziales u.s.w.) des Zinsendienstes wegen zurückgestellt werden müssen. Dann ist das Konzept des Steuerersatzes durch Schulden am Ende. Dann muß im Haushalt mehr gespart oder die Steuerbelastung erhöht werden. Aber nur dann und nicht vorher!

Derzeit sind wir bei einer Zinsbelastung von etwa 23 bis 24 Prozent?

Hankel: Ja, aber das wäre nicht dramatisch, wenn wir keine Krise hätten. Denn ohne Krise hätte der Staat genügend Steuereinnahmen, um diese Zinslast zu verkraften. Durch die Krise reduzieren sich die Staatseinnahmen und erhöhen sich die Staatsausgaben, die Zinslast bleibt jedoch unverändert. Das ist das eigentliche Dilemma. Dazu kommt der unvertretbare »Luxus«, Banken und Unternehmen, die längst »bewiesen« haben, daß sie am Markt keine Überlebenschancen haben, auf Staats- und Steuerzahlerkosten zu retten. Das vor allem bläht jetzt und in Zukunft die Staatsschulden auf.

Und warum macht man das?

Hankel: Ich denke, daß Zerrüttung des Staatskredits und der Währung ein viel zu hoher Preis sind, um ein paar marode Großunternehmen und –banken zu retten. Man gefährdet sehenden oder richtiger blinden Auges die Marktwirtschaft, um ein paar Große (Kleine sind niemals darunter), die man gar nicht braucht, künstlich am Leben zu erhalten. Jede Regierung, gleichviel ob schwarz-rot oder schwarz-gelb wirft mit dieser Politik die Frage ihrer Glaubwürdigkeit auf.

Ist es eine Verschwörungstheorie zu behaupten, daß die Privatbanken massiv Druck und Einfluß auf die Politik ausüben 

Hankel: Der Einfluß des großen Geldes auf die Politik war schon immer ebenso groß wie geheim. Doch manchmal fällt ein erhellender Lichtstrahl darauf, wenn z.B. die Bundeskanzlerin den Chef der größten Bank in Deutschland zu einer kleinen Geburtstagsfeier ins Kanzleramt einlädt. 

»Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!«  Aber die Kanzlerin argumentiert, die Privatbanken müßten unterstützt werden, da ein Zusammenbruch des Privatbankensektors eine Systemkrise auslösen würde ....

Hankel: Das gilt für keine Bank – nur die Zentralbank. Nur wenn diese zusammenbrechen sollte, droht eine Systemkrise. Das war zuletzt im 18. Jahrhundert der Fall, als in Frankreich die Königliche Bank zusammenbrach und indirekt dazu beitrug, die französische Revolution auszulösen.

Der Zusammenbruch von »Lehman Brothers« hat keine Systemkrise in den USA herbeigeführt. Er war die Folge einer Krise, nicht ihr Auslöser.

Ist »Systemkrise« in diesem Zusammenhang vielleicht ein Kampfbegriff?

Hankel: Es scheint so. Systemkrise würde bedeuten, daß der Zahlungsverkehr zusammenbricht. Das können Sie ruhig mit der Wasser- oder Stromversorgung vergleichen: Wenn kein Wasser mehr aus dem Hahn fließt und weder das Licht angeht noch die Motoren anspringen – dann hätten wir eine Systemkrise.

Der Ausfall einiger Banken im Zahlungsverkehr oder Kreditverbund löst keine Systemkrise aus. Die Konkurrenz übernimmt die Geschäfte, und die Zentralbank (bei uns die EZB) garantiert weiterhin den Fluß des Geldes und die Kreditversorgung der Wirtschaft.

In den USA sind bis jetzt als Folge der Krise 125 Banken geschlossen worden. Auswirkungen auf Geld- und Kreditbereitstellung sowie die Zinshöhe hatte das nicht!

Gottlob haben wir in Deutschland ein grundsolides und bewährtes Bankensystem, das auf drei Säulen beruht: Privatbanken, Sparkassen und Volksbanken. Letztere, die sich an den Spekulationen der Privatbanken kaum beteiligt haben, wickeln 70 bis 80 Prozent des Zahlungs- und Kreditverkehrs ab. Es gibt genügend Konkurrenz, um den Ausfall einiger Groß- und Privatbanken auszugleichen.

Was bedeutet das?

Hankel: Es bedeutet, daß der Slogan »to big to fail« eine durchsichtige Zweckbehauptung ist. Noch gibt es keinen Marktversorger, dessen Ausfall irreparable Systemschäden verursachen könnte. Aber zu solchen Schäden könnte es kommen, wenn der Staat fortfährt, immer nur die Großen zu retten und die Kleinen ihrem Schicksal überläßt. Dann geht mit dem Mittelstand auch die Marktwirtschaft zugrunde, und wir bekämen eine Staatswirtschaft wie in der alten DDR oder im heutigen China!

Die gegenwärtige Krise ist also genaugenommen nur eine Krise der Privatbanken, die sich verspekuliert haben?

Hankel: Einiger, nicht aller. Leider zählen auch die meisten öffentlich-rechtlichen Landesbanken dazu. Aber auch deren Krise zeigt nur, daß sie im Grunde überflüssig sind. Weil sie im Inlandsgeschäft nicht mehr gebraucht werden, haben sie sich im Auslandsgeschäft getummelt und sich dabei wie die Privatbanken verspekuliert.

Zentrum und Auslöser der weltweiten Finanzkrise ist die Globalisierung der privaten Großbanken oder wie man früher sagte Hochfinanz.

Können Sie das veranschaulichen?

Hankel: Ich habe meinen Studenten vier Jahrzehnte lang beigebracht, daß sich eine Bank ihr Geld bei den Sparern und – wenn es dort mal klemmt – bei der eigenen Zentralbank beschafft. Das sind die zwei Quellen der volkswirtschaftlich legitimen und inflationsneutralen Geldbeschaffung.

Die großen Privatbanken haben sich jedoch im Zuge der Globalisierung eine dritte Quelle erschlossen: den internationalen Bankenmarkt. Dieser liegt außerhalb der nationalen Kreditaufsicht.

In der Illegalität?

Hankel: So kann man es ausdrücken. Dazu kommt: Die Privatbanken haben sich unkontrollierte Ableger geschaffen in Form von Fonds (Investment-Hedgefonds u.s.w.) und sogenannter »Zweckgesellschaften«, die sie an Orten plazieren, an denen es, wenn überhaupt, nur laxe Kontrollen und Gesetze gibt. Da wären z.B. die Kaimaninseln in der Karibik oder die britischen Kanalinseln nebst vielen anderen zu nennen.

Der Journalist Jürgen Elsässer bezeichnet diese Inseln als »Pirateninseln« ....

Hankel: Nicht zu Unrecht. Die Privatbanken schufen sich an diesen Finanzoasen eigene Geldbeschaffungsmärkte und dazu Produkte, die man an solchen Plätzen im großen Stil handeln konnte. Dies haben die nationalen Aufsichtsbehörden zwar immer gesehen, aber niemals verhindert.

Warum ist das nicht geschehen?

Hankel: Jede Krise im Finanzsektor ist die Folge von neuartigen, »innovativen« Finanzprodukten und -geschäften, die man bislang nicht kannte und deren Folgen man deswegen auch nicht abschätzen konnte. Jede Aufsicht orientiert sich rückwärts an den Erfahrungen aus der letzten Krise. Da es aber bei der letzten Krise diese neuen Produkte noch nicht gab, war die Aufsicht überfordert. So einfach ist das.

Welche politischen Einflußmöglichkeiten haben die Privatbanken heute?

Hankel: Sie sollten besser fragen, ob die Banken diesen Einfluß nicht schon immer hatten ....

Hatten sie ihn?

Hankel: Vermutlich. Macht und Einfluß haben zu allen Zeiten den Siegeszug der Geldwirtschaft begleitet und gefördert. Macht und Einfluß zu erringen oder zu behalten, kostet immer Geld, gleichviel ob man Kriege oder Wahlkämpfe gewinnen oder seine Privilegien verteidigen will. Warum soll das heute anders sein?

Wie problematisch ist dieser Einfluß heute, und wie wird er sichtbar?

Hankel: Macht und Liebe sind, wie Sie wissen, sehr diskret. Die Macht in aller Regel noch diskreter als die Liebe. Leider habe ich kein Schlüsselloch, um Ihnen Authentisches von der Verquickung von Macht und Geld zu berichten. Doch Sie können ja mal einige Schlüsselbanker dazu befragen.

Vor der Bundestagswahl verkündete die Bundesregierung, die Krise sei so gut wie überstanden, nach der Wahl sagte Bundeskanzlerin Merkel, es sei noch nicht vorbei ....

Hankel: Jetzt sagt sie, das Schlimmste sei überstanden.

Die Frau hat es schwer: Einerseits braucht sie die Angst vor der Krise und ihren Folgen, um ihr Konzept der »Bad Banks«, der Verwandlung fauler Bankschulden in Staatsbeteiligungen und -garantien, zu rechtfertigen. andererseits muß sie den Leuten Mut machen, damit sie nicht durch Kaufzurückhaltung, Angstsparen und Investitionsverweigerung alles noch schlimmer machen als es ist. Da muß man doch lavieren – oder? Geht die Krise weiter oder verschlimmert sich, kann noch vieles an neuen Bank- und Staatsschulden nachkommen.

Wie erklärt sich das?

Hankel: Wir sprechen über Wertpapiere, deren Wert einzig und allein darin besteht, daß eine Bank mit ihnen handelt. Fällt der Käufer aus, ist das Papier wertlos und muß abgeschrieben werden. Und niemand kennt den noch ausstehenden Abschreibungsbedarf. Selbst die Banken machen sich vielfach Illusionen, denn sie hoffen, daß der Markt wieder anspringt und dann gewinnen diese »Un-Wertpapiere« wieder an Wert. Die Banken haben also möglicherweise noch einiges abzuarbeiten.

Abzuarbeiten?

Hankel: Im Klartext heißt das, sie müssen Verluste ausweisen. Sind diese Verluste größer als ihr Eigenkapital, ist die Bank pleite.

Es sei denn, es kommt der nächste »Rettungsschirm« seitens der Bundesregierung.

Hankel: Kein Staat kann seine Bürger endlos belasten. Irgendwann und irgendwo ist die Grenze erreicht, schon aus Gründen der Handlungsfähigkeit des Staates. Er darf nicht zur Zins-Bedienungs-Maschine werden!

Ein weiteres Problem kommt hinzu: die Kreditklemme. Die Banken bekommen zwar billiges Geld nachgeworfen, fast zum Nulltarif, aber sie verleihen es teuer. Der auf Bankkredite angewiesene, eigenkapitalschwache Mittelstand kann sich keine Zinsen zu sieben und mehr Prozent leisten. Er bleibt im Regen stehen; denn die Hilfe wird nur den Großen, denen ohnehin die Börse zur Kapitalaquise offensteht, gewährt. Die Wirtschaftskrise wird zur Systemkrise, weil nur die Großen gerettet werden und überleben.

Ich sagte schon: Am Ende steht nicht die Marktwirtschaft, sozial oder weniger, sondern die Staatswirtschaft à la China.

War die Finanzhilfe für die ins Straucheln geratenen Privatbanken aber nicht auch dazu gedacht, daß diese weiter Kredite vergeben? Wurde das Rettungspaket nicht so begründet?

Hankel: Man hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Auch die Banken denken an sich selbst zuerst, wie jeder in der Krise. Man hat es versäumt, die Finanzhilfe an die Banken unter Auflagen zu stellen, wie die: die Hilfe muß weitergegeben werden. Oder an Alternativen zu denken: Wenn die Banken statt den Kredithahn aufzudrehen, an die Börse gehen und die Aktienhausse anheizen, dann muß der Staat darauf reagieren und Staatshilfen direkt an die Wirtschaft geben: über die staatseigene KfW oder die im Mittelstand führenden Banken des Sparkassen- und Volksbankensektors.

Hat dieses Finanzrettungspaket für die Privatbanken dann irgend etwas mit dem Allgemeinwohl zu tun?

Hankel: Es ist den vom selbst verschuldeten Konkurs bedrohten Banken gelungen, ihre Regierungen jenseits wie diesseits des Atlantik von der Interessenidentität von Gemeinwohl und ihrem Fortbestand als Banken zu überzeugen. Eine großartige Leistung! Und die Masse der Ökonomen (ihre Nobelpreisträger eingeschlossen), Regierungs- und Medienexperten bejaht diese Identität ohne Einschränkungen. Doch die schlichte Wahrheit ist: Banken sind nicht die Caritas, und sie sind als Einzelinstitute alle miteinander ersetz- und austauschbar; das System ist auf keine Einzelbank angewiesen.

Man hat von Washington über London, Brüssel und Berlin statt der Opfer der Krise – den existenzbedrohten Mittelstand, die um ihren Arbeitsplatz bangenden Arbeitnehmer und die geschädigten Anleger und Sparer – die Verursacher der Krise belohnt und tut es noch immer. Dabei zeigt eine simple Überschlagsrechnung, daß Staat und Steuerzahler weitaus billiger weggekommen wären, hätte man auf Staatskonto nicht alle Bankschulden übernommen (einschließlich der spekulativen aus den Interbankgeschäften), sondern nur die Guthaben und Einlagen der Wirtschaft und der privaten Haushalte. Eine solche, auf die echten Opfer der Krise beschränkte Hilfe wäre nicht nur billiger gewesen – finanziell wie sozial – sie wäre auch effizienter. Sie würde nämlich unmittelbar auf die Konjunktur einwirken und diese beleben. Aber an so etwas haben nicht einmal die Linken gedacht!

Wann werden wir die Krise überstanden haben?

Hankel: Die letzte Weltwirtschaftskrise, die nach dem »Schwarzen Freitag« vom Oktober 1929, kam nie zu Ende. Erst der Zweite Weltkrieg setzte einen Schlußpunkt – doch um welchen Preis!

Gottlob drohen diesmal weder ein Hitler noch ein neuer Weltkrieg. Deswegen ist auch ein rasches Ende der Krise nicht in Sicht – jedenfalls so lange nicht, wie der eigentliche Krisengrund fortbesteht und künstlich am Leben gehalten wird: die enorme Überkapazität eines Finanzsektors, der laufend mehr Finanzmittel erzeugt als die reale Wirtschaft braucht. Denn es waren diese überschüssigen Finanzmittel, die diese Krise heraufbeschworen haben und die sie uns jetzt erhalten. Denn die »gerettete« Bankwelt legt auch jetzt wieder ihr Geld an der Börse an, statt es in der realen und Werte schaffenden Wirtschaft arbeiten zu lassen.

Die Krise wird so lange andauern, bis die westlichen Regierungen diesen Zusammenhang begreifen – oder ihre Wähler sie dazu zwingen, daraus die Konsequenzen zu ziehen. Der Finanzsektor kann und darf kein unkontrolliertes Eigenleben führen, sondern hat der Realwirtschaft zu »dienen«. Doch bis diese alte und keineswegs neue Einsicht wieder zur Richtschnur der Politik wird, kann noch viel Zeit vergehen. Die Bankenlobby wird deren Verbreitung nicht forcieren, und die Lernfähigkeit von Wissenschaftlern und Medienexperten war schon immer und ist auch jetzt wieder begrenzt. Doch mit jeder Krise wächst die Einsicht, wie man sie richtig bekämpft und die nächste Krise vermeidet. Daher ist auch das Ende dieser Krise programmiert, nur nicht ihr Datum.

Herr Hankel, vielen Dank für das Gespräch.

Prof. Dr. Wilhelm Hankel, geboren 1929 bei Danzig, begann seine Karriere 1952 bei der Bank deutscher Länder, dem Vorläufer der Deutschen Bundesbank. Später wechselte er ins Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Von 1959 bis 1967 diente Hankel als Direktor und Leiter der Abteilung Volkswirtschaft und Planung der Kreditanstalt für Wiederaufbau. 1967 wechselte er in das Bundesministerium für Wirtschaft (BMWi) von Karl Schiller (SPD) als Leiter der Abteilung Geld und Kredit und wurde einer seiner engsten Mitarbeiter. Er war maßgeblich an der Entwicklung der Bundesschatzbriefe beteiligt. Der ehemalige Sozialdemokrat Wilhelm Hankel war von Anfang an ein entschiedener Gegner der Einführung des Euro.“

(Ebd., 1. Januar 2010).

Mehr zum Thema:
Globale Finanzkrise 2008

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Anmerkungen:

Wilhelm Hankel (*1929), Wilhelm Nölling (*1933), Joachim Starbatty (*1940) und Karl Albrecht Schachtschneider (*1940) reichten 1997 Klage beim Bundesverfassungsgericht gegen den Vertrag von Amsterdam zur Einführung des Euro ein. - Ganz besonders Wilhelm Hankel ist seit beginn der Euro-„Idee“ ein Euro-Kritiker. Hankel betont, daß die Gemeinschaftswährung für Europa und Deutschland der falsche Weg ist, um zur erstrebten politischen Union zu gelangen, und daß sie Deutschland einseitig als Wachstumslokomotive belastet und zum Schlußlicht im innereuropäischen Expansionsprozeß macht. Mit dem Verzicht auf die DM hat Europa seinen Stabilitätsanker verloren, während die deutsche Volkswirtschaft ihre Chance verspielt, ihr hohes Lohnniveau und ihren für die übrigen EU-Staaten beispielhaften Sozialstandard über niedrige Realzinsen und hohe Aufwertungsgewinne auszugleichen, weiß Hankel. Aus Hankels Sicht verliert Deutschland also zusätzlich den Doppelvorteil seiner hohen Sparquote sowie seiner Export- und Leistungsbilanzüberschüsse, der höchsten der Welt.

Zur benutzten und empfohlenen Literatur von:

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