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Prägnant und möglichst knapp formulierte Gedanken

von

Johann Wolfgang (von) Goethe (1749-1832)

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„Ich ging durch den Hof nach dem wohlgebauten Hause, und da ich die vorliegenden Treppen hinausgestiegen war und in die Tür trat, fiel mir das reizendste Schauspiel in die Augen, das ich je gesehen habe. In dem Vorsaale wimmelten sechs Kinder von eilf zu zwei Jahren um ein Mädchen von schöner Gestalt, mittlerer Größe, die ein simples weißes Kleid, mit blassroten Schleifen an Arm und Brust, anhatte. Sie hielt ein schwarzes Brot und schnitt ihren Kleinen rings herum jedem sein Stück nach Proportion ihres Alters und Appetits ab, gab's jedem mit solcher Freundlichkeit, und jedes rief so ungekünstelt sein: Danke!“
Johann Wolfgang Goethe, Die Leiden des jungen Werthers, 1774, S. 21

„Es ist mit der Ferne wie mit der Zukunft! Ein großes dämmerndes Ganzes ruht vor unserer Seele, unsere Empfindung verschwimmt darin wie unser Auge, und wir sehnen uns, ach! unser ganzes Wesen hinzugeben, uns mit aller Wonne eines einzigen, großen, herrlichen Gefühls ausfüllen zu lassen.“
Johann Wolfgang Goethe, Die Leiden des jungen Werthers, 1774

Oheim der schönen Seele (Pianistin) :  »Alles außer uns ist nur Element, ja ich darf wohl sagen, auch alles in uns, aber tief in uns liegt diese schöpferische Kraft, die des zu schaffen vermag, was sein soll, und uns nicht ruhen und rasten läßt, bis wir es außer uns oder an uns, auf eine oder die andere Weise, dargestellt haben.«“
Johann Wolfgang Goethe, Die Leiden des jungen Werthers, 1774, in: Sämtliche Werke, Band 8, S. 343-344

„Ich bin nun ganz eingeschifft auf der Woge der Welt – voll entschlossen: zu entdecken, gewinnen, streiten, scheitern, oder mich mit aller Ladung in die Luft zu sprengen.“
Johann Wolfgang von Goethe, in einem Brief an Johann Kaspar Lavater, 1776

„Ich schreibe nicht um euch zu gefallen, Ihr sollt was lernen.“
Johann Wolfgang von Goethe

„»Ihr folget falscher Spur, // Denkt nicht, wir scherzen! // Ist nicht der kern der Natur // Menschen im Herzen?«“
Johann Wolfgang von Goethe

„Ich habe gefunden - weder Gold noch Silber, aber was mir eine unsägliche Freude macht - das os intermaxillare am Menschen! Ich verglich mit Lodern Menschen- und Tierschädel, kam auf die Spur und, siehe, da ist es. .... Es soll dich auch recht herzlich freuen, denn es ist wie der Schlußstein zum Menschen, fehlt nicht, ist auch da! Aber wie!“
Johann Wolfgang von Goethe, Brief an Herder, 27. März 1784

„Ein jeglicher wollte als nächster neben dem Sieger sich blähren.“
Johann Wolfgang von Goethe, Reineke Fuchs, 1794

„Was ist den die Wissenschaft? Sie ist nur des Lebens Kraft.“
Johann Wolfgang von Goethe, Xenien, 1796

„Ich stehe gegenwärtig ibn eben dem Fall mit den Naturphilosophen, die von oben herunter, und mit den Naturforschern, die von unten hinauf leiten wollen. Ich wenigstens finde mein Heil nur in der Anschauung, die in der Mitte steht.“
Johann Wolfgang von Goethe, Brief an Schiller, 30. Juni 1798

Der Herr : Kennst du den Faust? // Mephistopheles: Den Doktor? // Der Herr : Meinen Knecht! // Mephistopheles: Fürwahr! er dient Euch auf besondre Weise. // Nicht irdisch ist des Toren Trank noch Speise. // Ihn treibt die Gärung in die Ferne, // Er ist sich seiner Tollheit halb bewußt; // Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne // Und von der Erde jede höchste Lust, // Und alle Näh und alle Ferne // Befriedigt nicht die tiefbewegte Brust.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (I), 1790 bzw. 1808, S. 19-20

Der Herr : Es irrt der Mensch, so lang er strebt.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (I), 1790 bzw. 1808, S. 20

„Habe nun, ach! Philosophie, // Juristerei und Medizin, // Und leider auch Theologie! // Durchaus studiert, mit heißem Bemühn. // Da steh ich nun, ich armer Tor! // Und bin so klug als wie zuvor.
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (I), 1790 bzw. 1808, S. 27

„Heiße Magister, heiße Doktor gar // Und ziehe schon an die zehen Jahr // Herauf, herab und quer und krumm // Meine Schüler an der Nase herum - // Uns sehe, daß wir nichts wissen können! // Das will mir schier das Herz verbrennen. // Zwar bin ich gescheiter als all die Laffen, // Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen; // Mich plagen weder Skrupel noch Zweifel, // Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel - // Dafür ist mir auch alle Freud entrissen, // Bilde mir nicht ein, was Rechts zu wissen, // Bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren, // Die Menschen zu bessern und zu bekehren. Auch hab ich weder Gut noch Geld, // Noch Ehr und Herrlichkeit der Welt; // Es möcht kein Hund so länger leben! // Drum hab ich mich der Magie ergeben, // Ob mir durch Geistes Kraft und Mund // Nicht manch Geheimnis würde kund, // Daß ich nicht mehr mit saurem Schweiß // Zu sagen brauche, was ich nicht weiß, // Daß ich erkenne, was die Welt // Im Innersten zusammenhält.
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (I), 1790 bzw. 1808, S. 27

Daß ich erkenne, was die Welt // Im Innersten zusammenhält.
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (I), 1790 bzw. 1808, S. 27

Schau alle Wirkenskraft und Samen // Und tu nicht mehr in Worten kramen.
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (I), 1790 bzw. 1808, S. 28

„Wie schwer sind nicht die Mittel zu erwerben, // Durch die man zu den Quellen steigt! // Und eh' man nur den halben Weg erreicht, // Muß wohl ein armer Teufel sterben.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (I), 1790 bzw. 1808, S. 33

Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit // Sind nur ein Buch mit sieben Siegeln. // Was ihr den Geist der Zeiten heißt, // Das ist im Grund der Herren eigner Geist, // In dem die Zeiten sich bespiegeln.
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (I), 1790 bzw. 1808, S. 34

Mit Eifer hab ich mich der Studien beflissen; // Zwar weiß ich viel, doch möcht ich alles wissen.
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (I), 1790 bzw. 1808, S. 34

Was du ererbt von deinen Vätern hast, // Erwirb es, um es zu besitzen. // Was man nicht nützt, ist eine schwere Last; // Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (I), 1790 bzw. 1808, S. 39

Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen // Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei, // Wenn hinten, weit, in der Türkei, // Die Völker auf einander schlagen. // Man steht am Fenster, trinkt ein Gläschen aus // Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten; // Dann kehrt man abends froh nach Haus // Und segnet Fried und Friedenszeiten.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (I), 1790 bzw. 1808, S. 45

„Ich höre schon des Dorfs Getümmel, // Hier ist des Volkes wahrer Himmel, // Zufrieden jauchzet groß und klein: // »Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein!«“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (I), 1790 bzw. 1808, S. 48

„Nur wenig Schritte noch hinauf zu jenem Stein, // Hier wollen wir von unsrer Wandrung rasten. // Hier saß ich oft gedankenvoll allein // Und quälte mich mit Beten und mit Fasten. // An Hoffnung reich, im Glauben fest, // Mit Tränen, Seufzen, Händeringen // Dacht ich das Ende jener Pest // Vom Herrn des Himmels zu erzwingen. // Der Menge Beifall tönt mir nun wie Hohn. // O könntest du in meinem Innern lesen, // Wie wenig Vater und Sohn // Solch eines Ruhmes wert gewesen! // Mein Vater war ein dunkler Ehrenmann, // Der über die Natur und ihre heil'gen Kreise // In Redlichkeit, jedoch auf seine Weise, // Mit grillenhafter Mühe sann; // Der, in Gesellschaft von Adepten, // Sich in die schwarze Küche schloß, // Und, nach unendlichen Rezepten, // Das Widrige zusammengoß. // Da ward ein roter Leu, ein kühner Freier, // Im lauen Bad der Lilie vermählt, // Und beide dann mit offnem Flammenfeuer // Aus einem Brautgemach ins andere gequält. // Erschien darauf mit bunten Farben // Die junge Königin im Glas, // Hier war die Arzenei, die Patienten starben, // Und niemand fragte: wer genas? // So haben wir mit höllischen Latwergen // In diesen Tälern, diesen Bergen // Weit schlimmer als die Pest getobt. // Ich habe selbst den Gift an Tausende gegeben: // Sie welkten hin, ich muß erleben, // Daß man die frechen Mörder lobt.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (I), 1790 bzw. 1808, S. 50-51

„O glücklich, wer noch hoffen kann, // Aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen!// Was man nicht weiß, das eben brauchte man, // Und was man weiß, kann man nicht brauchen.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (I), 1790 bzw. 1808, S. 51-52

„Du bist dir nur des einen Triebs bewußt; // O lerne nie den den andern kennen! // Zwei Seelen wohnen - ach! - in meiner Brust, // Die eine will sich von der andern trennen; // Die eine hält in derber Liebeslust // Sich an die Welt mit klammernden Organen; // Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust // Zu den Gefilden hoher Ahnen.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (I), 1790 bzw. 1808, S. 55

„Aber ach! Schon fühl ich, bei dem besten Willen, // Befriedigung nicht mehr aus dem Busen quillen. // Aber warum muß der Strom so bald versiegen // Und wir wieder im Durste liegen? // Davon hab’ ich so viel Erfahrung. // Doch dieser Mangel läßt sich ersetzen: // Wir lernen das Überirdische schätzen, // Wir sehnen uns nach Offenbarung, // Die nirgends würdiger und schöner brennt // Als in dem Neuen Testament. // Mich drängt’s, den Grundtext aufzuschlagen, // Mit redlichem Gefühl einmal // Das heilige Original // In mein geliebtes Deutsch zu übertragen. // Geschrieben steht: »Im Anfang war das Wort!« // Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort? // Ich kann das »Wort« so hoch unmöglich schätzen, // Ich muß es anders übersetzen, // Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin. // Geschrieben steht: »Im Anfang war der Sinn!« // Bedenke wohl die erste Zeile, // Daß deine Feder sich nicht übereile! // Ist es der »Sinn«, der alles wirkt und schafft? // Es sollte steh’n: »Im Anfang war die Kraft!« // Doch auch indem ich dieses niederschreibe, // Schon warnt mich was, daß ich nicht dabei bleibe. // Mir hilft der Geist! Auf einmal seh’ ich Rat // Und schreibe getrost: »Im Anfang war die Tat!«“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (I), 1790 bzw. 1808, S. 60-61

„Ich bin ein Teil von jener Kraft, // Die stets das Böse will und stets das Gute schafft. // .... Ich bin der Geist, der stets verneint! // Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, // ist wert, daß es zugrunde geht; // Drum besser wärs, daß nichts entstünde. // So ist denn alles, was ihr Sünde, // Zerstörung, kurz das Böse nennt, // Mein eigentliches Element.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (I), 1790 bzw. 1808, S. 64-67

Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war, // Ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar, // Das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht // Den alten Rang, den Raum ihr streitig macht. // Und doch gelingt's ihm nicht, da es, so viel es strebt, // Verhaftet an den Körpern klebt. // Von Körpern strömt’s, die Körper macht es schön, // Ein Körper hemmt’s auf seinem Gange; // So, hoff ich, dauert es nicht lange, // Und mit den Körpern wird’s zugrunde gehn.
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (I), 1790 bzw. 1808, S. 67

„Ich will mich hier zu deinem Dienst verbinden // Auf deinen Wink nicht rasten und nicht ruhn; // Wenn wir uns drüben wiederfinden, // So sollst du mir das Gleiche tun.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (I), 1790 bzw. 1808, S. 76

„Das Drüben kann mich wenig kümmern; // Schlägst du erst diese Welt in Trümmern, // Die andere mag darnach entstehn. // Aus dieser Erde quillen meine Freuden, // Und diese Sonnen scheinet meinen Leiden; // Kann ich mich erst von ihnen scheiden, // Dann mag, was will und kann, geschehn. // Davon will ich nichts weiter hören, // Ob man auch künftig haßt und liebt // Und ob es auch in jenen Sphären // Ein Oben oder Unten gibt.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (I), 1790 bzw. 1808, S. 77

„Werd ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen// So sei es gleich um mich getan! // Kannst du mich schmeichelnd je belügen, // Daß ich mir sebst gefallen mag, // Kannst du mich mit Genuß betrügen - // Das sei für mich der letzte Tag! // Die Wette biet ich!“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (I), 1790 bzw. 1808, S. 77-78

„Werd’ ich zum Augenblicke sagen: // Verweile doch! Du bist so schön! // Dann magst du mich in Fesseln schlagen, // Dann will ich gern zugrunde geh’n! // Dann mag die Totenglocke schallen, // Dann bist du deines Dienstes frei, // Die Uhr mag stehn, der Zeiger fallen, // Es sei die Zeit für mich vorbei!“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (I), 1790 bzw. 1808, S. 78

„Das kommt nur auf Gewohnheit an. // So nimmt ein Kind der Mutter Brust // Nicht gleich im Anfang willig an, // Doch bald ernährt es sich mit Lust. // So wird’s Euch an der Weisheit Brüsten // Mit jedem tage mehr gelüsten.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (I), 1790 bzw. 1808, S. 83-84

„Grau, teurer Freund, ist alle Theorie // Und grün des Lebens gold’ner Baum.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (I), 1790 bzw. 1808, S. 90

„Das liebe Heilge Römische Reich, // Wie hälts nur noch zusammen?“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (I), 1790 bzw. 1808, S. 92

„Ich hoffe, Sie läßt mich’s d’rum nicht büßen: // Ihr Mann ist tot und läßt sie grüßen.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (I), 1790 bzw. 1808, S. 129

„Mein Liebchen, wer darf sagen: // Ich glaub' an Gott? // Magst Priester oder Weise fragen, // Und ihre Antwort scheint nur Spott // Über den Frager zu sein. // .... // Wer darf ihn nennen // Und wer bekennen : Ich glaub' ihn! // Wer empfinden // Und sich unterwinden // Zu sagen: ich glaub' ihn nicht? “
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (I), 1790 bzw. 1808, S. 149-150

„Ihr seid noch immer da! Nein, das ist unerhört. // Verschwindet doch! Wir haben ja aufgeklärt! - // Das Teufelspack, es fragt nach keiner Regel. // Wir sind so klug, und dennoch spukt’s in Tegel.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (I), 1790 bzw. 1808, S. 183

FAUST :  Komm! Komm! Schon weicht die tiefe Nacht. // MARGARETE :  Meine Mutter hab’ ich umgebracht, // Mein Kind hab’ ich ertränkt. // War es nicht dir und mir geschenkt? // Dir auch! - Du bist’s! Ich glaub’ es kaum. // Gib deine Hand! Es ist kein Traum! // Deine liebe Hand! - Ach, aber sie ist feucht! // Wische sie ab! Wie mich deucht, // Ist Blut d’ran! // Ach Gott! Was hast du getan! // Stecke den Degen ein! // Ich bitte dich d’rum. // FAUST :  Laß das Vergangene vergangen sein! // Du bringst mich um. // MARGARETE :  Nein , du mußt übrig bleiben! // Ich will dir die Gräber beschreiben. // Für die mußt du sorgen // Gleich morgen: // Der Mutter den besten Platz geben, // Meinen Bruder sogleich daneben, // Mich ein wenig beiseit’, // Nur nicht gar zu weit! // Und das Kleine mir an die rechte Brust! // Niemand wird sonst bei mir liegen! - // Mich an deine Seite zu schmiegen, // Das war ein süßes, ein holdes Glück! // Aber es will mir nicht mehr gelingen; // Mir ist’s, als müßt’ ich mich zu dir zwingen, // Als stießest du mich von dir zurück, // Und doch bist du’s und blickst so gut, so fromm. // FAUST :  Fühlst du, daß ich es bin, so komm! // MARGARETE :  Da hinaus? // FAUST :  Ins Freie! // MARGARETE :  Ist das Grab da drauß’ // Lauert der Tod, so komm! // Von hier ins ewige Ruhebett // Und weiter keinen Schritt! - // Du gehst nun fort? O Heinrich, könnt’ ich mit! // FAUST :  Du kannst! So wolle nur! Die Tür steht offen. // MARGARETE :  Ich darf nicht fort; für mich ist nichts zu hoffen. // Was hilft es flieh’n? Sie lauern doch mir auf. // Es ist so elend, betteln zu müssen, // Und noch dazu mit bösem Gewissen! // Es ist so elend, in der Fremde schweifen - // Und sie werden mich ergreifen!“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (I), 1790 bzw. 1808, S. 203-204

„Dein bin ich, Vater! Rette mich! // Ihr Engel! Ihr heiligen Scharen, // Lagert euch umher, mich zu bewahren! // Heinrich! Mir graut’s vor dir.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (I), 1790 bzw. 1808, S. 208

„Nicht vor Irrtümern zu bewahren, ist die Pflicht des Menschenerziehers, sonern der Irrenden zu leiten, ja ihn seinen Irrtum aus vollen Bechern ausschlürfen zu lassen, das ist Weisheit der Lehrer.“
Johann Wolfgang von Goethe, Die Wahlverwandtschaften, 1808

„Tun und Denken, das ist die Summe aller Weisheit, von jeher anerkannt, von jeher geübt, nicht eingesehen von einem jeden.“
Johann Wolfgang von Goethe, Die Wahlverwandtschaften, 1808

„Der Kreis, den die Menschheit auszulaufen hat, ist bestimmt genug und ungeachtet des großen Stillstandes, den die Barbarei machte, hat sie ihre Laufbahn schon mehr als einmal zurückgelegt. Will man ihr auch eine Spiralbewegung zuschreiben, so kehrt sie doch immer wieder in jene Gegend, wo sie schon einmal durchgegangen. Auf diesem Wege wiederholen sich alle wahren Ansichten und alle Irrtümer.“
Johann Wolfgang von Goethe, Materialien zur Geschichte der Farbenlehre, 1810

„Die Menschen werden durch Gesinnungen vereinigt, durch Meinungen getrennt.“
Johann Wolfgang von Goethe, Brief an Friedrich Heinrich Jacobi, 06.01.1813

„Schleppt ihr Holz herbei, so tut’s mit Wonne, denn ihr tragt den Samen ird’scher Sonne.“
Johann Wolfgang von Goethe, Buch der Parsen, in: Westöstlicher Diwan, 1819

„So mußt du sein, dir kannst du nicht entfliehen. // So sagten schon Sibyllen, so Propheten; //Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt // Geprägte Form, die lebend sich entwickelt.“
Johann Wolfgang von Goethe, Urworte - orphisch, 1820

„Eines nur sei hier ausgesprochen: daß wir sogar anerkannte Irrtümer aus der Wissenschaft nicht loswerden.“
Johann Wolfgang von Goethe, Wilhelm Meistes Wanderjahre, 1821-1829

„Die Erfahrung nutzt erst der Wissenschaft, sodann schadet sie, weil die Erfahrung Gesetz und Ausnahme gewahr werden läßt. der Durchschnitt von beiden gibt keineswegs das Wahre.“
Johann Wolfgang von Goethe, Wilhelm Meistes Wanderjahre, 1821-1829

„Es wäre nicht der Mühe wert, 70 Jahre alt zu werden, wenn alle Weisheit der Welt Torheit wäre vor Gott.“
Johann Wolfgang von Goethe, Wilhelm Meisters Wanderjahre, 1821-1829

„Reichtum und Schnelligkeit ist, was die Welt bewundert und wonach jeder strebt. Eisenbahnen, Schnellposten, Dampfschiffe und alle mögliche Facilitäten der Communication sind es, worauf die gebildete Welt ausgeht, sich zu überbilden und dadurch in der Mittelmäßigkeit zu verharren.“
Johann Wolfgang von Goethe, Brief an Carl Friedrich Zelter, 06.06.1825

„Eigentlich ist es das Jahrhundert für die fähigen Köpfe, für leichtfassende praktische Menschen, die, mit einer gewissen Gewandtheit ausgestattet, ihre Superiorität über die Menge fühlen, wenn sie gleich selbst nicht zum höchsten begabt sind.“
Johann Wolfgang von Goethe, Brief an Carl Friedrich Zelter, 06.06.1825

„Laß uns soviel als möglich an der Gesinnung halten, in der wir herankamen; wir werden, mit vielleicht noch Wenigen, die Letzten seyn einer Epoche, die so bald nicht wiederkehrt.“
Johann Wolfgang von Goethe, Brief an Carl Friedrich Zelter, 06.06.1825

„So wenig nun die Dampfwagen zu dämpfen sind, so wenig ist dies auch im Sittlichen möglich: die Lebhaftigkeit des Handels, das Durchrauschen des Papiergeldes, das Anschwellen der Schulden, um Schulden zu bezahlen, das alles sind die ungeheuern Elemente, auf die gegenwärtig ein junger Mann gesetzt ist ....“
Johann Wolfgang von Goethe, Brief an seinen Großneffen Alfred Nicolovius, November 1825

MEPHISTOPHELES :  Wo fehlts nicht nirgendwo auf dieser Welt?, // Dem dies, dem das, hier aber fehlt das Geld. // Vom Estrich zwar ist es nicht aufzuraffen; // Doch Weisheit weiß das Tiefste herzuschaffen. // In Bergesadern, Mauergründen // Ist Gold gemünzt und ungemünzt zu finden, // Und fragt ihr mich, wer es zutage schafft: // Begabten Manns Natur- und Geisteskraft.
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 21-22

KANZLER :  Natur und Geist - so spricht man nicht zu Christen. // Deshalb verbrennt man Atheisten, // Weil solche Reden höchst gefährlich sind. // Natur ist Sünde, Geist ist Teufel, // Sie hegen zwischen sich den Zweifel, // Ihr mißgestaltet Zwitterkind. // Uns nicht so! - Kaisers alten Landen // Sind zwei Geschlechter nur entstanden, // Sie stützen würdig seinen Thron: // Die Heiligen sind es und die Ritter; // Sie stehen jedem Ungewitter // Und nehmen Kirch' und Staat zum Lohn. // Dem Pöbelsinn verworrner Geister // Entwickelt sich ein Widerstand: // Die Ketzer sind's! die Hexenmeister! // Und sie verderben Stadt und Land. // Die willst du nun mit frechen Scherzen // In diese hohen Kreise schwärzen; // Ihr hegt euch an verderbtem Herzen, // Dem Narren sind sie nah verwandt.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 22

MEPHISTOPHELES :  Daran erkenn' ich den gelehrten Herrn! // Was ihr nicht tastet, steht euch meilenfern, // Was ihr nicht faßt, das fehlt euch ganz und gar,// Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr, sei nicht wahr, // Was ihr nicht wägt, hat für euch kein Gewicht, // Was ihr nicht münzt, das, meint ihr, gelte nicht.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 22-23

KAISER :  Dadurch sind unsre Mängel nicht erledigt, // Was willst du jetzt mit deiner Fastenpredigt? // Ich habe satt das ewige Wie und Wenn; // Es fehlt an Geld, nun gut, so schaff es denn.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 23

MEPHISTOPHELES :  Ich schaffe, was ihr wollt, und schaffe mehr; // Zwar ist es leicht, doch ist das Leichte schwer; // Es liegt schon da, doch um es zu erlangen, // Das ist die Kunst, wer weiß es anzufangen? // Bedenkt doch nur: in jenen Schreckensläuften, // Wo Menschenfluten Land und Volk ersäuften, // Wie der und der, so sehr es ihn erschreckte, // Sein Liebstes da- und dortwohin versteckte. // So war's von je in mächtiger Römer Zeit, // Und so fortan, bis gestern, ja bis heut. // Das alles liegt im Boden still begraben, // Der Boden ist des Kaisers, der soll's haben.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 23

SCHATZMEISTER :  Für einen Narren spricht er gar nicht schlecht, // Das ist fürwahr des alten Kaisers Recht.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 23

KANNZLER :  Der Satan legt euch goldgewirkte Schlingen: // Es geht nicht zu mit frommen rechten Dingen.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 23

MARSCHALK :  Schafft' er uns nur zu Hof willkommne Gaben, // Ich wollte gern ein bißchen Unrecht haben.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 23

HEERMEISTER :  Der Narr ist klug, verspricht, was jedem frommt; // Fragt der Soldat doch nicht, woher es kommt.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 23

MEPHISTOPHELES :  Und glaubt ihr euch vielleicht durch mich betrogen, // Hier steht ein Mann! da, fragt den Astrologen! // In Kreis' um Kreise kennt er Stund' und Haus; // So sage denn: wie sieht's am Himmel aus?“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 24

GEMURMEL :  Zwei Schelme sind's - Verstehn sich schon - // Narr und Phantast - So nah dem Thron - // Ein mattgesungen - Alt Gedicht - // Der Tor bläst ein - Der Weise spricht -“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 24

ASTROLOG :  Die Sonne selbst, sie ist ein lautres Gold, // Merkur, der Bote, dient um Gunst und Sold, // Frau Venus hat's euch allen angetan, // So früh als spat blickt sie euch lieblich an; // Die keusche Luna launet grillenhaft; // Mars, trifft er nicht, so dräut euch seine Kraft. // Und Jupiter bleibt doch der schönste Schein, // Saturn ist groß, dem Auge fern und klein. // Ihn als Metall verehren wir nicht sehr, // An Wert gering, doch im Gewichte schwer. // Ja! wenn zu Sol sich Luna fein gesellt, // Zum Silber Gold, dann ist es heitre Welt; // Das übrige ist alles zu erlangen: // Paläste, Gärten, Brüstlein, rote Wangen, // Das alles schafft der hochgelahrte Mann, // Der das vermag, was unser keiner kann.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 24

MEPHISTOPHELES :  Ein solch Papier, an Gold und Perlen Statt, // Ist so bequem, man weiß doch, was man hat; // Man braucht nicht erst zu markten, noch zu tauschen, // Kann sich nach Lust in Lieb' und Wein berauschen. // Will man Metall, ein Wechsler ist bereit, // Und fehlt es da, so gräbt man eine Zeit. // Pokal und Kette wird verauktioniert, // Und das Papier, sogleich amortisiert, // Beschämt den Zweifler, der uns frech verhöhnt. // Man will nichts anders, ist daran gewöhnt. // So bleibt von nun an allen Kaiserlanden // An Kleinod, Gold, Papier genug vorhanden.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 79

KAISER :  Das hohe Wohl verdankt euch unser Reich; // Wo möglich sei der Lohn dem Dienste gleich. // Vertraut sei euch des Reiches innrer Boden, // Ihr seid der Schätze würdigste Kustoden. // Ihr kennt den weiten, wohlverwahrten Hort, // Und wenn man gräbt, so sei's auf euer Wort. // Vereint euch nun, ihr Meister unsres Schatzes, // Erfüllt mit Lust die Würden eures Platzes, // Wo mit der obern sich die Unterwelt, // In Einigkeit beglückt, zusammenstellt.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 79-80

BACCALAUREUS :  Anmaßend find ich, daß zu schlechtsten Frist // Man etwas sein will, wo man nichts mehr ist // Des Menschen Leben lebt im Blut, und wo // Bewegt das Blut sich wie im Jüngling so? // Das ist lebendig Blut in frischer Kraft, // Das neues Leben sich aus Leben schafft. // Da regt sich alles, da wird was getan, // Das Schwache fällt, das Tüchtige tritt heran. // Indessen wir die halbe Welt gewonnen, // Was habt ihr denn getan? Genickt, gesonnen, // Geträumt, erwogen, Plan und immer Plan! // Gewiß, das Alter ist ein kaltes Fieber // Im Frost von grillenhafter Not. // Hat einer dreißig Jahr vorüber, // So ist er schon so gut wie tot. // Am besten wärs, euch zeitig totzuschlagen. // MEPHISTOPHELES :  Der Teufel hat hier weiter nichts zu sagen.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 111-112

Die Glocke tönt, die fürchterliche, // durchschauert die berußten Mauern. // Nicht länger kann das Ungewisse // der ernstesten Erwartung dauern. // Schon hellen sich die Finsternisse: // Schon in der innersten Phiole // erglüht es wie lebendige Kohle, // ja, wie der herrlichste Karfunkel, // verstrahlend Blitze durch das Dunkel: // Ein helles weiches Licht erscheint! // O daß ich’s diesmal nicht verliere! - // Ach Gott! was rasselt an der Türe?
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 113-114

MEPHISTOPHELES :  Was gibt es denn? // WAGNER (leiser) :  Es wird ein Mensch gemacht.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 114

WAGNER :  So muß der Mensch mit seinen großen Gaben // Doch künftig höher’n, höher’n Ursprung haben.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 114

HOMUNCULUS (in der Phiole zu Wagner) :  Nun, Väterchen! wie steht's? es war kein Scherz // Komm, drücke mich recht zärtlich an dein Herz.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 114

WAGNER (betrübt) :  Am Ende hängen wir doch ab // Von Kreaturen, die wir machten.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 122

LYNKEUS DER TÜRMER :  Zum Sehen geboren, // Zum Schauen bestellt, // Dem Turme geschworen // Gefällt mir die Welt. // Ich blick' in die Ferne,// Ich seh' in der Näh' // Den Mond und die Sterne, // Den Wald und das Reh. // So seh' ich in allen // Die ewige Zier, // Und wie mir's gefallen, // Gefall' ich auch mir. // Ihr glücklichen Augen, // Was je ihr gesehn, // Es sei, wie es wolle, // Es war doch so schön! // – Pause. Nicht allein mich zu ergetzen, // Bin ich hier so hoch gestellt; // Welch ein greuliches Entsetzen // Droht mir aus der finstern Welt! // Funkenblicke seh' ich sprühen // Durch der Linden Doppelnacht, // Immer stärker wühlt ein Glühen, // Von der Zugluft angefacht. // Ach! die innre Hütte lodert, // Die bemoost und feucht gestanden; // Schnelle Hülfe wird gefodert, // Keine Rettung ist vorhanden. // Ach! die guten alten Leute, // Sonst so sorglich um das Feuer, // Werden sie dem Qualm zur Beute! // Welch ein schrecklich Abenteuer! // Flamme flammet, rot in Gluten // Steht das schwarze Moosgestelle; // Retteten sich nur die Guten // Aus der wildentbrannten Hölle! // Züngelnd lichte Blitze steigen // Zwischen Blättern, zwischen Zweigen; // Äste dürr, die flackernd brennen, // Glühen schnell und stürzen ein. // Sollt ihr Augen dies erkennen! // Muß ich so weitsichtig sein! // Das Kapellchen bricht zusammen // Von der Äste Sturz und Last. // Schlängelnd sind, mit spitzen Flammen, // Schon die Gipfel angefaßt. // Bis zur Wurzel glühn die hohlen // Stämme, purpurrot im Glühn. // – Lange Pause, Gesang :Was sich sonst dem Blick empfohlen, // Mit Jahrhunderten ist hin!“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 339-340

FAUST auf dem Balkon, gegen die Dünen :  Von oben welch ein singend Wimmern? // Das Wort ist hier, der Ton zu spat. // Mein Türmer jammert; mich, im Innern,// Verdrießt die ungeduld'ge Tat. // Doch sei der Lindenwuchs vernichtet // Zu halbverkohlter Stämme Graun, // Ein Luginsland ist bald errichtet, // Um ins Unendliche zu schaun. // Da seh' ich auch die neue Wohnung, // Die jenes alte Paar umschließt, // Das, im Gefühl großmütiger Schonung, // Der späten Tage froh genießt.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 342

MEPHISTOPHELES UND DIE DREIE unten :  Da kommen wir mit vollem Trab; // Verzeiht! es ging nicht gütlich ab. // Wir klopften an, wir pochten an, // Und immer ward nicht aufgetan; // Wir rüttelten, wir pochten fort, // Da lag die morsche Türe dort; // Wir riefen laut und drohten schwer, // Allein wir fanden kein Gehör. // Und wie's in solchem Fall geschicht, // Sie hörten nicht, sie wollten nicht! // Wir aber haben nicht gesäumt, // Behende dir sie weggeräumt. // Das Paar hat sich nicht viel gequält, // Vor Schrecken fielen sie entseelt. // Ein Fremder, der sich dort versteckt // Und fechten wollte, ward gestreckt. // In wilden Kampfes kurzer Zeit // Von Kohlen, ringsumher gestreut, // Entflammte Stroh. Nun lodert's frei, // Als Scheiterhaufen dieser drei.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 342-344

FAUST :  Wart ihr für meine Worte taub? // Tausch wollt' ich, wollte keinen Raub. // Dem unbesonnenen wilden Streich, // Ihm fluch' ich; teilt es unter euch!“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 344

CHORUS :  Das alte Wort, das Wort erschallt: // Gehorche willig der Gewalt! // Und bist du kühn und hältst du Stich, // So wage Haus und Hof und – dich.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 344

FAUST auf dem Balkon :  Die Sterne bergen Blick und Schein, // Das Feuer sinkt und lodert klein; // Ein Schauerwindchen fächelt's an, // Bringt Rauch und Dunst zu mir heran. // Geboten schnell, zu schnell getan! – // Was schwebet schattenhaft heran?“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 344

ERSTE :  Ich heiße Mangel. // ZWEITE :  Ich heiße die Schuld. // DRITTE :  Ich heiße die Sorge. // VIERTE :  Ich heiße die Not.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 344-345

ZU DREI :  Die Tür ist verschlossen, wir können nicht ein; // Drin wohnet ein Reicher, wir mögen nicht 'nein.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 345

MANGEL :  Da werd ich zum Schatten. // SCHULD :  Da werd ich zunicht. // NOT :  Man wendet von mir das verwöhnte Gesicht. // SORGE :  Ihr Schwestern, ihr könnt nicht und dürft nicht hinein. Die Sorge, sie schleicht sich durchs Schlüsselloch ein. Sorge verschwindet.
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 345

MANGEL :  Ihr, graue Geschwister, entfernt euch von hier. // SCHULD :  Ganz nah an der Seite verbind' ich mich dir. // NOT :  Ganz nah an der Ferse begleitet die Not.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 345

ZU DREI :  Es ziehen die Wolken, es schwinden die Sterne! Dahinten, dahinten! von ferne, von ferne,Da kommt er, der Bruder, da kommt er, der – – – Tod.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 344

FAUST im Palast :  Vier sah ich kommen, drei nur gehn; // Den Sinn der Rede konnt' ich nicht verstehn. // Es klang so nach, als hieß' es – Not, // Ein düstres Reimwort folgte – Tod. // Es tönte hohl, gespensterhaft gedämpft. // Noch hab' ich mich ins Freie nicht gekämpft. // Könnt' ich Magie von meinem Pfad entfernen, // Die Zaubersprüche ganz und gar verlernen, // Stünd' ich, Natur, vor dir ein Mann allein, // Da wär's der Mühe wert, ein Mensch zu sein. // Das war ich sonst, eh' ich's im Düstern suchte, // Mit Frevelwort mich und die Welt verfluchte. // Nun ist die Luft von solchem Spuk so voll, // Daß niemand weiß, wie er ihn meiden soll. // Wenn auch ein Tag uns klar vernünftig lacht, // In Traumgespinst verwickelt uns die Nacht; // Wir kehren froh von junger Flur zurück, // Ein Vogel krächzt; was krächzt er? Mißgeschick! // Von Aberglauben früh und spat umgarnt: // Es eignet sich, es zeigt sich an, es warnt. // Und so verschüchtert, stehen wir allein. - // Die Pforte knarrt, und niemand kommt herein. // Erschüttert. Ist jemand hier?“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 345-347

SORGE :  Die Frage fordert Ja! // FAUST :  Und du, wer bist denn du? // SORGE :  Bin einmal da. // FAUST :  Entferne dich! //  SORGE :  Ich bin am rechten Ort. // FAUST erst ergrimmt, dann besänftigt, für sich :  Nimm dich in acht und sprich kein Zauberwort. // SORGE :  Würde mich kein Ohr vernehmen, // Müßt' es doch im Herzen dröhnen; // In verwandelter Gestalt // Üb' ich grimmige Gewalt. // Auf den Pfaden, auf der Welle, // Ewig ängstlicher Geselle, // Stets gefunden, nie gesucht, // So geschmeichelt wie verflucht. – // Hast du die Sorge nie gekannt? // FAUST :  Ich bin nur durch die Welt gerannt; // Ein jed' Gelüst ergriff ich bei den Haaren, // Was nicht genügte, ließ ich fahren, // Was mir entwischte, ließ ich ziehn. // Ich habe nur begehrt und nur vollbracht // Und abermals gewünscht und so mit Macht // Mein Leben durchgestürmt; erst groß und mächtig, // Nun aber geht es weise, geht bedächtig. // Der Erdenkreis ist mir genug bekannt, // Nach drüben ist die Aussicht uns verrannt; // Tor, wer dorthin die Augen blinzelnd richtet, // Sich über Wolken seinesgleichen dichtet! // Er stehe fest und sehe hier sich um; // Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm. // Was braucht er in die Ewigkeit zu schweifen! // Was er erkennt, läßt sich ergreifen. // Er wandle so den Erdentag entlang; // Wenn Geister spuken, geh' er seinen Gang, // Im Weiterschreiten find' er Qual und Glück, // Er, unbefriedigt jeden Augenblick!“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 347-349

SORGE :  Wen ich einmal mir besitze, // Dem ist alle Welt nichts nütze; // Ewiges Düstre steigt herunter, // Sonne geht nicht auf noch unter, // Bei vollkommen äußern Sinnen // Wohnen Finsternisse drinnen, // Und er weiß von allen Schätzen // Sich nicht in Besitz zu setzen. // Glück und Unglück wird zur Grille, // Er verhungert in der Fülle; // Sei es Wonne, sei es Plage, // Schiebt er's zu dem andern Tage, // Ist der Zukunft nur gewärtig, // Und so wird er niemals fertig.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 349

FAUST :  Hör auf! so kommst du mir nicht bei! // Ich mag nicht solchen Unsinn hören. // Fahr hin! die schlechte Litanei, // Sie könnte selbst den klügsten Mann betören.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 349

SORGE :  Soll er gehen, soll er kommen? // Der Entschluß ist ihm genommen; // Auf gebahnten Weges Mitte // Wankt er tastend halbe Schritte. // Er verliert sich immer tiefer, // Siehet alle Dinge schiefer, // Sich und andre lästig drückend, // Atemholend und erstickend; // Nicht erstickt und ohne Leben, // Nicht verzweiflend, nicht ergeben. // So ein unaufhaltsam Rollen, // Schmerzlich Lassen, widrig Sollen // Bald Befreien, bald Erdrücken, // Halber Schlaf und schlecht Erquicken // Heftet ihn an seine Stelle // Und bereitet ihn zur Hölle.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 349-350

FAUST :  Unselige Gespenster! so behandelt ihr // Das menschliche Geschlecht zu tausend Malen; // Gleichgültige Tage selbst verwandelt ihr // In garstigen Wirrwarr netzumstrickter Qualen. // Dämonen, weiß ich, wird man schwerlich los, // Das geistig-strenge Band ist nicht zu trennen; // Doch deine Macht, o Sorge, schleichend groß, // Ich werde sie nicht anerkennen!“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 350

SORGE :  Erfahre sie, wie ich geschwind // Mich mit Verwünschung von dir wende! // Die Menschen sind im ganzen Leben blind. // Nun, Fauste, werde du`s am Ende! Sie haucht ihn an.
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 350

FAUST erblindet Die Nacht scheint tiefer tief hereinzudringen, // Allein im Innern leuchtet helles Licht: // Was ich gedacht, ich eil es zu volbringen; // Des Herren Wort, es gibt allein Gewicht. // Vom Lager auf, ihr Knechte! Mann für Mann!// Laßt glücklich schauen, was ich kühn ersann! // Ergreift das Werkzeug! Schaufel rührt und Spaten! // Das Abgesteckte muß sogleich geraten. // Auf strenges Ordnen, raschen Fleiß // Erfolgt der allerschönste Preis; // Daß sich das größte Werk vollende, // Genügt Ein Geist für tausend Hände.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 350-352

MEPHISTOPHELES als Aufseher voran :  Herbei, herbei! Herein, herein! // Ihr schlotternden Lemuren, // Aus Bändern, Sehnen und Gebein // Geflickte Halbnaturen.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 352

LEMUREN im Chor :  Wir treten dir sogleich zur Hand, // Und wie wir halb vernommen, // Es gilt wohl gar ein weites Land, // Das sollen wir bekommen. // Gespitzte Pfähle, die sind da, // Die Kette lang zum Messen; // Warum an uns der Ruf geschah, // Das haben wir vergessen.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 352

MEPHISTOPHELES :  Hier gilt kein künstlerisch Bemühn; // Verfahret nur nach eignen Maßen! // Der Längste lege längelang sich hin, // Ihr andern lüftet ringsumher den Rasen; // Wie man's für unsre Väter tat, // Vertieft ein längliches Quadrat! // Aus dem Palast ins enge Haus, // So dumm läuft es am Ende doch hinaus.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 352

FAUST aus dem Palaste tretend, tastet an den den Türpfosten:  Wie das geklirr derSpaten mich ergetzt! // Es ist die Menge, die mir frönet, // Die Erde mit sich selbst versöhnet, // Den Wellen ihre Grenze setzt, // Das Meer mit strengem Band umzieht.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 354

MEPHISTOPHELES :  Du bist doch nur für uns bemüht // Mit deinen Dämonen, deinen Buhnen; // Denn du bereitest schon Neptunen, // Dem Wasserteufel, großen Schmaus. // In jederArt seid ihr verloren; -// Die Elemente sind mit uns verschworen, // Und auf Vernichtung läufts am Ende doch hinaus.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 354

FAUST :  Arbeiter, schaffe Meng auf Menge, // Ermuntere durch Genuß und Strenge, // Bezahle, locke, presse bei! // Mit jedem Tage will ich Nachricht haben, // Wie sich verlängt der unternommene Graben.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 354

MEPHISTOPHELES :  Man spricht, wie man mir Nachrhicht gab, // Von keinem Graben, doch vom Grab.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 356

FAUST :  Ein Sumpf zieht am Gebirge hin. // Verpestet alles schon Errungene; // Den faulen Pfuhl auch abzuziehn, // Das letzte wär das Höchsterrungene. // Eröffn ich Räume vielen Millionen, // Nicht sicher zwar, doch tätig-frei zu wohnen. // Grün das Gefielde, fruchtbar; Mensch und Herde // Sogleich behaglich auf der neuesten Erde, // Gleich angesiedelt an des Hügels Kraft, // Den aufgewälzt kühn-emsige Völkerschaft! // Im Innern hier ein paradiesisch Land, // Da rase draußen Flut bis auf zum Rand, // Und wie sie nascht, gewaltsam einzuschießen, // Gemeindrang eilt, die Lücke zu verschließen.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 356

FAUST :  Ja, diesem Sinne bin ich ganz ergeben, // Das ist der Weisheit letzter Schluß: // Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, // Der täglich sie erobern muß.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 356

FAUST :  Und so verbringt, umrungen von Gefahr, // Hier Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig Jahr. // Solch ein Gewimmel möcht ich sehn, // Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn!“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 356

FAUST :  Zum Augenblick dürft ich sagen: // »Verweile doch, du bist so schön! // Es kann die Spur von meinen Erdentagen // Nicht in Äonen untergehn.« - // Im Vorgefühl von solchem hohen Glück // Genieß ich jetzt den höchsten Augenblick.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 356

MEPHISTOPHELES : Mißtöne hör’ ich, garstiges Geklimper, // Von oben kommt’s mit unwillkommnem Tag; // Es ist das bübisch-mädchenhafte Gestümper, // Wie frömmelnder Geschmack sich’s lieben mag.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 361

MEPHISTOPHELES :  Ihr wißt, wie wir in tief verruchten Stunden / Vernichtung sannen menschlichem Geschlecht; // Das Schändlicste, was wir erfunden, // Ist ihrer Andacht eben recht.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 361

MEPHISTOPHELES : Sie kommen gleißnerisch, die Laffen! // So haben sie uns manchen weggeschnappt, // Bekriegen uns mit unsern eignen Waffen; // Es sind auch Teufel, doch verkappt. // Hier zu verlieren wär’ euch ew’ge Schande; // An’s Grab heran und haltet fest am Rande!“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 361

ENGEL schwebend in der höheren Atmosphäre :  Faustens Unsterbliches tragend. // Gerettet ist das edle Glied // Der Geisterwelt vom Bösen: // Wer immer strebend sich bemüht, // Den können wir erlösen.“
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 376

CHORUS MYSTICUS :  Alles Vergängliche // Ist nur ein Gleichnis; // Das Unzulängliche, // Hier wirds Ereignis; // Das Unbeschreibliche, // Hier ist es getan; // Das Ewig-Weibliche // Zieht uns hinan. Finis.
Johann Wolfgang von Goethe, Faust (II), 1832, S. 383-384

„Das Christentum steht mit dem Judentum in einem weit stärkern Gegensatz als mit dem Heidentum.“
Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, postum, 603

„Die christliche Religion ist eine intentionierte politische Revolution, die, verfehlt, nachher moralisch geworden ist.“
Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, postum, 603

„Es gibt Theologen, die wollten, daß es nur einen einzigen Menschen in der Welt gegeben hätte, den Gott erlöst hätte; denn da hätte es keine Ketzer geben können.“
Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, postum, 603

„Alle Gesetze sind Versuche, sich den Absichten der moralischen Weltordnung im Welt- und Lebenslaufe zu nähern.“
Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, postum, 605

„Der Wolf im Schafpelze ist weniger gefährlich als das Schaf in irgendeinem Pelze, wo man es für mehr als einen Schöps nimmt.“
Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, postum, 607

„Zum Tun gehört Talent, zum Wohltun Vermögen.“
Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, postum, 607

„Beim Zerstören gelten alle falschen Argumente, beim Aufbauen keineswegs. Was nicht wahr ist, baut nicht.“
Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, postum, 612

„Die gegenwärtige Welt ist nicht wert, daß wir etwas für sie tun; denn die bestehende kann in dem Augenblick abscheiden. Für die vergangne und künftige müssen wir arbeiten: für jene, daß wir ihr Verdienst anerkennen, für diese, daß wir ihren Wert zu erhöhen suchen.“
Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, postum, 612

„Wie viele Jahre muß man nicht tun, um nur einigermaßen zu wissen, was und wie es zu tun sei!“
Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, postum, 612

„Der Historiker kann und braucht nicht alles aufs Gewisse zu führen; wissen doch die Mathematiker auch nicht zu erklären, warum der Komet von 1770, der in fünf oder eilf Jahren wiederkommen sollte, sich zur bestimmten Zeit noch nicht wieder hat sehen lassen. Es ist mit der Geschichte wie mit der Natur, wie mit allem Profunden, es sei vergangen, gegenwärtig oder zukünftig: je tiefer man ernstlich eindringt, desto schwierigere Probleme tun sich hervor. Wer sie nicht fürchtet, sondern kühn darauf losgeht, fühlt sich, indem er weiter gedeiht, höher gebildet und behaglicher. Die Geschichte wie das Universum, das sie repräsentieren soll, hat einen realen und idealen Teil. Zum idealen Teile gehört der Kredit, zum realen Besitztum physische Macht pp. Der Kredit ist eine durch reale Leistungen erzeugte Idee der Zuverlässigkeit.“
Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, postum, 615

„In der Gesellschaft sind alle gleich. Es kann keine Gesellschaft anders als auf den Begriff der Gleichheit gegründet sein, keineswegs aber auf den Begriff der Freiheit. Die Gleichheit will ich in der Gesellschaft finden; die Freiheit, nämlich die sittliche, daß ich mich subordinieren mag, bringe ich mit. Gesetzgeber oder Revolutionärs, die Gleichsein und Freiheit zugleich versprechen, sind Phantasten oder Charlatans. Eingebildete Gleichheit: das erste Mittel, die Ungleichheit zu zeigen. Jede Revolution geht auf Naturzustand hinaus, Gesetz- und Schamlosigkeit. (Pikarden, Wiedertäufer, Sansculotten.) Sobald die Tyrannei aufgehoben ist, geht der Konflikt zwischen Aristokratie und Demokratie unmittelbar an.“
Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, postum, 615

„Gerechtigkeit: Eigenschaft und Phantom der Deutschen.“
Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, postum, 621

„Der echte Deutsche bezeichnet sich durch mannigfaltige Bildung und Einheit des Charakters.“
Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, postum, 621

„Was ist das für eine Zeit, wo man die Begrabenen beneiden muß?“
Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, postum, 625

„Begriff ist Summe, Idee Resultat der Erfahrung; jene zu ziehen, wird Verstand, dieses zu erfassen, Vernunft erfordert.“
Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, postum, 642

„Was uns so sehr irremacht, wenn wir die Idee in der Erscheinung anerkennen sollen, ist, daß sie oft und gewöhnlich den Sinnen widerspricht. Das Kopernikanische System beruht auf einer Idee, die schwer zu fassen war und noch täglich unseren Sinnen widerspricht. Wir sagen nur nach, was wir nicht erkennen noch begreifen. Die Metamorphose der Pflanzen widerspricht gleich falls unsren Sinnen.“
Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, postum, 642

„Begriff ist Summe, Idee Resultat der Erfahrung; jene zu ziehen, wird Verstand, dieses zu erfassen, Vernunft erfordert.“
Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, postum, 642

„Denken ist interessanter als Wissen, aber nicht als Anschauen. Das Wissen beruht auf der Kenntnis des zu Unterscheidenden, die Wissenschaft auf der Anerkennung des nicht zu Unterscheidenden. Das Wissen wird durch das Gewahrwerden seiner Lücken, durch das Gefühl seiner Mängel zur Wissenschaft geführt, welche vor, mit und nach allem Wissen besteht. Im Wissen und Nachsinnen ist Falsches und Wahres. Wie das sich nun das Ansehn der Wissenschaft gibt, so wird's ein wahr-lügenhaftes Wesen. Wir würden unser Wissen nicht für Stückwerk erklären, wenn wir nicht einen Begriff von einem Ganzen hätten. Die Wissenschaften so gut als die Künste bestehen in einem überlieferbaren (realen), erlernbaren Teil und in einem unüberlieferbaren (idealen), unlernbaren Teil. In der Geschichte der Wissenschaften hat der ideale Teil ein ander Verhältnis zum realen als in der übrigen Weltgeschichte. Geschichte der Wissenschaften: der reale Teil sind die Phänomene, der ideale die Ansichten der Phänomene. Vier Epochen der Wissenschaften: (1) kindliche, poetische, abergläubische; (2) empirische, forschende, neugierige; (3) dogmatische, didaktische, pedantische; (4) ideelle, methodische, mystische. »Nur die gegenwärtige Wissenschaft gehört uns an, nicht die vergangne noch die zukünftige.« Im sechzehnten Jahrhundert gehören die Wissenschaften nicht diesem oder jenem Menschen, sondern der Welt. Diese hat sie, besitzt sie pp., der Mensch ergreift nur den Reichtum. Die Wissenschaften zerstören sich auf doppelte Weise selbst: durch die Breite, in die sie gehen, und durch die Tiefe, in die sie sich versenken.“
Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, postum, 643-644

„Alles, was man (in Wissenschaften) fordert, ist so ungeheuer, daß man recht gut begreift, daß gar nichts geleistet wird. Was die Wissenschaften am meisten retardiert, ist, daß diejenigen, die sich damit beschäftigen, ungleiche Geister sind.“
Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, postum, 645

„Der Fehler schwacher Geister ist, daß sie im Reflektieren sogleich vom Einzelnen ins Allgemeine gehen, anstatt daß man nur in der Gesamtheit das Allgemeine suchen kann.“
Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, postum, 645

„In der Geschichte der Naturforschung bemerkt man durchaus, daß die Beobachter von der Erscheinung zu schnell zur Theorie hineilen und dadurch unzulänglich, hypothetisch werden.“
Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, postum, 645

„Nachdem man in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts dem Mikroskop so unendlich viel schuldig geworden war, so suchte man zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts dasselbe geringschätzig zu behandeln. Nachdem man in der neuern Zeit die meteorologischen Beobachtungen auf den höchsten Grad der Genauigkeit getrieben hatte, so will man sie nunmehr aus den nördlichen Gegenden verbannen und will sie nur dem Beobachter unter den Tropen zugestehen.“
Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, postum, 646

„Der gemeine Wissenschäftler hält alles für überlieferbar und fühlt nicht, daß die Niedrigkeit seiner Ansichten ihm sogar das eigentlich Überlieferbare nicht fassen läßt.“
Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, postum, 646

„Wenn in Wissenschaften alte Leute retardieren, so retrogradieren junge. Alte leugnen die Vorschritte, wenn sie nicht mit ihren früheren Ideen zusammenhängen; junge, wenn sie der Idee nicht gewachsen sind und doch auch etwas Außerordentliches leisten möchten.“
Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, postum, 647

„Die Phänomene sind nichts wert, als wenn sie uns eine tiefere, reichere Einsicht in die Natur gewähren oder wenn sie uns zum Nutzen anzuwenden sind. Die Konstanz der Phänomene ist allein bedeutend; was wir dabei denken, ist ganz einerlei. Kein Phänomen erklärt sich an und aus sich selbst; nur viele, zusammen überschaut, methodisch geordnet, geben zuletzt etwas, das für Theorie gelten könnte. Theorie und Erfahrung/Phänomen stehen gegeneinander in beständigem Konflikt. Alle Vereinigung in der Reflexion ist eine Täuschung; nur durch Handeln können sie vereinigt werden. Etwas Theoretisches populär zu machen, muß man es absurd darstellen. Man muß es erst selbst ins Praktische einführen, dann gilt's für alle Welt. Man sagt gar gehörig: das Phänomen ist eine Folge ohne Grund, eine Wirkung ohne Ursache. Es fällt dem Menschen so schwer, Grund und Ursache zu finden, weil sie so einfach sind, daß sie sich dem Blick verbergen. Der denkende Mensch irrt besonders, wenn er sich nach Ursach und Wirkung erkundigt: sie beide zusammen machen das unteilbare Phänomen. Wer das zu erkennen weiß, ist auf dem rechten Wege zum Tun, zur Tat. Das genetische Verfahren leitet uns schon auf bessere Wege, ob man gleich damit auch nicht ausreicht. Der eingeborenste Begriff, der notwendigste, von Ursach und Wirkung wird in der Anwendung die Veranlassung zu unzähligen, sich immer wiederholenden Irrtümern. Ein großer Fehler, den wir begehen, ist, die Ursache der Wirkung immer nahe zu denken wie die Sehne dem Pfeil, den sie fortschnellt, und doch können wir ihn nicht vermeiden, weil Ursache und Wirkung immer zusammengedacht und also im Geiste angenähert werden. Die nächsten faßlichen Ursachen sind greiflich und eben deshalb am begreiflichsten; weswegen wir uns gern als mechanisch denken, was höherer Art ist.“
Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, postum, 652-654

„Indem wir der Einbildungskraft zumuten, das Entstehen statt des Entstandenen, der Vernunft, die Ursache statt der Wirkung zu reproduzieren und auszusprechen, so haben wir zwar beinahe nichts getan, weil es nur ein Umsetzen der Anschauung/Vorstellung ist, aber genug für den Menschen, der vielleicht im Verhältnis zur/gegen die Außenwelt nicht mehr leisten kann. Es gibt jetzt eine böse Art, in den Wissenschaften abstrus zu sein: man entfernt sich vom gemeinen Sinne, ohne einen höhern aufzuschließen, transzendiert, phantasiert, fürchtet lebendiges Anschauen, und wenn man zuletzt ins Praktische will und muß, wird man auf einmal atomistisch und mechanisch. Der Granit verwittert auch sehr gern in Kugel- und Eiform; man hat daher keineswegs nötig, die in Norddeutschland häufig gefundenen Blöcke solcher Gestalten wegen als im Wasser hin- und hergeschoben und durch Stoßen und Wälzen enteckt und entkantet zu denken. Fall und Stoß: dadurch die Bewegung der Weltkörper erklären zu wollen, ist eigentlich ein versteckter Anthropomorphismus; es ist des Wanderers Gang über Feld. Der aufgehobene Fuß sinkt nieder, der zurückgebliebene strebt vorwärts und fällt, und immer so fort vom Ausgehen bis zum Ankommen. Wie wäre es, wenn man auf demselben Wege den Vergleich von dem Schrittschuhfahren hernähme, wo das Vorwärtsdringen dem zurückbleibenden Fuße obliegt, indem er zugleich die Obliegenheit übernimmt, noch eine solche Anregung zu geben, daß sein nunmehriger Hintermann auch wieder eine Zeitlang sich vorwärts zu bewegen die Bestimmung erhält? Das Zurückführen der Wirkung auf die Ursache ist bloß ein historisches Verfahren, zum Beispiel die Wirkung, daß ein Mensch getötet, auf die Ursache der losgefeuerten Büchse. Induktion habe ich zu stillen Forschungen bei mir selbst nie gebraucht, weil ich zeitig genug deren Gefahr empfand. Dagegen aber ist mir's unerträglich, wenn ein anderer sie gegen mich brauchen, mich durch eine Art Treibejagen mürbe machen und in die Enge schließen will. Mitteilung durch Analogien halt ich für so nützlich als angenehm: der analoge Fall will sich nicht aufdringen, nichts beweisen; er stellt sich einem andern entgegen, ohne sich mit ihm zu verbinden. Mehrere analoge Fälle vereinigen sich nicht zu geschlossenen Reihen, sie sind wie gute Gesellschaft, die immer mehr anregt als gibt. Irren heißt, sich in einem Zustande befinden, als wenn das Wahre gar nicht wäre; den Irrtum sich und andern entdecken, heißt rückwärts erfinden. Die Kreise des Wahren berühren sich unmittelbar; aber in den Intermundien hat der Irrtum Raum genug, sich zu ergehen und zu walten. Die Natur bekümmert sich nicht um irgendeinen Irrtum; sie selbst kann nicht anders als ewig recht handeln, unbekümmert, was daraus erfolgen möge. Die Natur füllt mit ihrer grenzenlosen Produktivität alle Räume. Betrachten wir nur bloß unsre Erde: Alles, was wir bös, unglücklich nennen, kommt daher, daß sie nicht allem Entstehenden Raum geben, noch weniger ihm Dauer verleihen kann.
Alles, was entsteht, sucht sich Raum und will Dauer; deswegen verdrängt es ein anderes vom Platz und verkürzt seine Dauer. Das Lebendige hat die Gabe, sich nach den vielfältigsten Bedingungen äußerer Einflüsse zu bequemen und doch eine gewisse errungene entschiedene Selbständigkeit nicht aufzugeben. Man gedenke der leichten Erregbarkeit aller Wesen, wie der mindeste Wechsel einer Bedingung, jeder Hauch gleich in den Körpern Polarität manifestiert, die eigentlich in ihnen allen schlummert. Spannung ist der indifferent scheinende Zustand eines energischen Wesens in völliger Bereitschaft, sich zu manifestieren, zu differenzieren, zu polarisieren.“
Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, postum, 655-657

„Alle Männer vom Fach sind darin sehr übel dran, daß ihnen nicht erlaubt ist, das Unnütze zu ignorieren. »Wir gestehen lieber unsre moralischen Irrtümer, Fehler und Gebrechen als unsre wissenschaftlichen.« Das kommt daher, weil das Gewissen demütig ist und sich sogar in der Beschämung gefällt; der Verstand aber ist hochmütig, und ein abgenötigter Widerruf bringt ihn in Verzweiflung. Daher kommt, daß offenbarte Wahrheiten erst im stillen zugestanden werden, sich nach und nach verbreiten, bis dasjenige, was man hartnäckig geleugnet hat, endlich als etwas ganz Natürliches erscheinen mag.“
Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, postum, 658

„Der Newtonische Irrtum steht so nett im Konversationslexikon, daß man die Oktavseite nur auswendig lernen darf, um die Farbe fürs ganze Leben los zu sein.“
Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, postum, 646

„Eine tätige Skepsis: welche unablässig bemüht ist, sich selbst zu überwinden, um durch geregelte Erfahrung zu einer Art von bedingter Zuverlässigkeit zu gelangen.“
Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, postum, 649

„Die Weisheit ist nur in der Wahrheit.“
Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, postum

„Immer glaubt ich gutmütig, von anderen etwas zu lernen; / Vierzig Jahr war ich alt, da mich der Irrtum verließ. / Töricht war ich immer, daß andre zu lehren ich glaubte; / Lehre jeden du selbst, Schicksal, wie es bedarf.“
Johann Wolfgang von Goethe, Gedichte aus dem Nachlaß, Epigramme

„Die Gottheit ist wirksam im Lebendigen, aber nicht im Toten; sie ist im Werdenden und sich Verwandelnden, aber nicht im Gewordnen und Erstarrten. Deshalb hat auch die Vernunft in ihrer Tendenz zum Göttlichen es nur mit dem Werdenden, Lebendigen zu tun, der Verstand mit dem Gewordnen, Erstarrten, daß er es nutze.“ (Später sah Oswald Spengler hierin seine „ganze Philosophie“ [vgl. die Anmerkung auf Seite 69 in seinem Hauptwerk].)
Johann Wolfgang von Goethe (zu Eckermann), in: Johann Peter Eckermann, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens (1822-1832), 1836-1848

„Man muß das Wahre immer wiederholen, weil auch der Irrtum um uns her immer wieder gepredigt wird, und zwar nicht von einzelnen, sondern von der Masse. In Zeitungen und Enzyklopädien, auf Schulen und Universitäten, überall ist der Irrtum oben auf, und es ist ihm wohl und behaglich, im Gefühl der Majorität, die auf seiner Seite ist.  –  Oft lehrt man auch Wahrheit und Irrtum zugleich und hält sich an letzteren.“
Johann Wolfgang von Goethe (zu Eckermann), in: Johann Peter Eckermann, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens (1822-1832), hier: 16.12.1828, 1836-1848

Wenn im Unendlichen dasselbe // Sich wiederholend ewig fließt, // Das tausendfältige Gewölbe // Sich kräftig ineinander schließt; // Strömt Lebenslust aus allen Dingen, // Dem kleinsten wie dem größten Stern, // Und alles Drängen, alles Ringen // Ist ewige Ruh in Gott dem Herrn.
Johann Wolfgang von Goethe

„Die Gestalt ist ein Bewegliches, ein Werdendes, ein Vergehendes. Gestaltenlehre ist Verwandlungslehre. Die Lehre von der Metamorphose ist der Schlüssel zu allen Zeichen der Natur.“
Johann Wolfgang von Goethe

„Es gibt Urphänomene, die wir in ihrer göttlichen Einfalt nicht stören und beeinträchtigen sollten.“
Johann Wolfgang von Goethe

„Man suche nur nichts hinter den Phänomenen; sie selbst sind die Lehre.“
Johann Wolfgang von Goethe

„Das Anschauen ist vom Ansehen sehr zu unterscheiden.“
Johann Wolfgang von Goethe

„Die Menschheit? Das ist ein Abstraktum. Es hat von jeher nur Menschen gegeben und wird nur Menschen geben.“
Johann Wolfgang von Goethe (zu Luden)

„Das Menschenpack fürchtet sich vor nichts mehr als vor dem Verstande; vor der Dummheit sollten sie sich fürchten, wenn sie begriffen was fürchterlich ist; aber jener ist unbequem, und man muss ihn beiseite schaffen, diese ist nur verderblich, und das kann man abwarten.“
Johann Wolfgang von Goethe (zu Luden)

„Funktion, recht begriffen, ist das Dasein in Tätigkeit gedacht.“
Johann Wolfgang von Goethe

„Nach Preßfreiheit schreit niemand, als der sie mißbrauchen will.“
Johann Wolfgang von Goethe

„Im gemeinen Leben kommen wir mit der Sprache notdürftig aus, weil wir nur oberflächliche Verhältnisse bezeichnen; sobald von tieferen Verhältnissen die Rede ist, tritt sogleich eine andere Sprache ein, die poetische.“
Johann Wolfgang von Goethe

 

 

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