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•  Ausgewählte Zitate aus den ausgewählten Zitaten (**)  •

Martin Heidegger

•  Der Mensch als Tier - als historisches Tier  •

(Eine von mir ausgewählte Überschrift, kein Titel eines Heidegger-Buches!)

Das Mesmerhaus in Meßkirch, in dem Martin Heidegger aufwuchs
Das Mesmerhaus in Meßkirch, in dem Martin Heidegger aufwuchs.
Blick auf Heideggers Hütte oberhalb von Rütte, Todtnauberg. Hier schrieb 
er den Großteil von „Sein und Zeit“
Blick auf Martin Heideggers Hütte oberhalb von Rütte, Todtnauberg.
Hier schrieb Martin Heidegger den größten Teil von „Sein und Zeit“.

„Sehen wir jetzt das über fusiV und logoV Gesagte zusammen: die fusiV wird zur idea (paradeigma), Wahrheit und Richtigkeit. Der Logos wird zur Aussage, zum Ort der Wahrheit als Richtigkeit, zum Ursprung der Kategorien, zum Grundsatz über die Möglichkeiten des Seins. »Idee« und »Kategorie« sind künftig die beiden Titel, unter denen das abendländische Denken und Tun und Schätzen, das ganze Dasein steht. Die Wandlung von fusiV und logoV und damit die Wandlung ihres Bezugs zueinander ist ein Abfall vom anfänglichen Anfang. Die Philosophie der Griechen gelangt zur abendländischen Herrschaft nicht aus ihrem ursprünglichen Anfang, sondern aus dem anfänglichen Ende, das in Hegel groß und endgültig zur Vollendung gestaltet wird. Die Geschichte geht, wo sie echt ist, nicht zugrunde, indem sie nur aufhört und ver-endet wie das Tier, Geschichte geht nur geschichtlich zugrunde.“ (Martin Heidegger, Einführung in die Metaphysik, Vorlesung, 1935, S. 144).

„Wo soll die Technik sein? .... Ist sie der geschichtliche Weg zum Ende, zum Rückfall des letzten Menschen in das technisierte Tier, das damit sogar auch die ursprüngliche Tierheit des eingefügten Tieres verliert, oder kann sie, zuvor als Bergung übernommen, in die Da-seinsgründung eingefügt werden? “ (Martin Heidegger, Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis), 1936-1938, S. 275).

„Nietzsche stellt fest: die besondere Tierart Mensch ist nun einmal vorhanden. Eine unbedingte Notwendigkeit dafür, daß es überhaupt dergleichen Lebewesen gibt, läßt sich nicht einsehen und auch nicht als begründet nachweisen.“ (Martin Heidegger, Nietzsche I, 1936-1939, S. 533).

„Der Satz vom Widerspruch, die Regel des zu vermeidenden Widerspruches, ist das Grundgesetz der Vernunft, in welchem Grundgesetz somit das Wesen der Vernunft sich ausspricht. Der Satz des Widerspruche sagt jedoch nicht, daß in »Wahrheit«, d.h. in Wirklichkeit, neimals etwas sich Widersprechendes zugleich wirklich sein könne, er sagt nur, daß der Mensch aus »biologischen« Gründen genötigt ist, so zu denken; der Mensch muß, grob gesagt, den Widerspruch vermeiden, um der Verwirrung und dem Chaos zu entgehen bzw. dieses zu bewältigen, indem er ihm die Form des Widerspruchsfreien, d.h. Einheitlichen und je Selben auferlegt. So wie bestimte Seetiere, z.B. die Medusen, ihre Greif- und Fangwerkzeuge ausbilden und ausstrecken, so benützt das Tier »Mensch« die Vernunft und deren Greifwerkzeug, den Satz vom Widerspruch, um sich in seiner Umgebung zurechtzufinden und dabei den eigenen Bestand zu sichern.“ (Martin Heidegger, Nietzsche I, 1936-1939, S. 534-535).

„Vernunft und Logik, Erkenntnis und Wahrheit sind biologisch bedingte Erscheinungen an dem Tier, das wir Mensch nennen. Mit dieser biologischen Feststellung wäre dann auch die Besinnung auf das Wesen der Wahrheit zum Abschluß gebracht un der biologische Charakter dieser Besinnung dargetan; es müßte sich ergeben haben, daß die Besinnung in nichts anderem besteht als in der erklärenden Rückführung aller Erscheinungen auf das Leben, eine Erklärungsweise, die jeden voll überzeugt, der an das biologische, d.h. an das wissenschaftliche Denken gewöhnt ist, der Tatsachen für das nimmt, was sie sind, nämlich für Tatsachen, der alle metaphysischen Erörterungen auch sein läßt, was sie sind, nämlich Hirngespinste, die über ihre eigene und wahre Herkunft im Unklaren bleiben.“ (Martin Heidegger, Nietzsche I, 1936-1939, S. 535).

Nietzsche und die Bestimmung des Menschenwesens. (Vgl. Überlegungen X, 71 ff. [in Band 95: S. 320 ff.]).  –  Für Nietzsche ist der Mensch das »noch nicht festgestellte Thier« (Friedrich Nietzsche): Jenseits von Gut und Böse - Vorspiel einer Philosophie der Zukunft, in: Ders., Werke, Band VII, S. 88). Aber mit der Feststellung als Tier (zwon, animal) ist das Wesen schon festgestellt; nur bedarf es der zureichenden Deutung des logoV und der ratio und der Vernunft. Unzureichend wird die Deutung sogleich, wenn die ratio neuzeitlich als Bewußtsein (Selbstbewußtsein) begriffen ist; unzureichend bleibt diese Deutung auch dann, wenn man die »Triebe« und den »Willen« hinzunimmt, d.h. die Descartesche Grundstellung nicht überwindet, sondern lediglich in der Leiblichkeit dieses animal raionale verfestigt und noch mehr in das Seiende der Vorhandenheit herabdrückt, wie das in der Tat durch Nietzsche geschieht. (Vgl. S. 56 ff. [in Band 95: S. 217 ff.]). Die Feststellung des Menschen, des bisherigen und noch lange jetzigen, ist geschehen und zwar auf dem Grunde der Metaphysik. Aber was noch aussteht, ist jene Auslegung dieser Feststellung, kraft deren eine Bestimmung auf den Menschen erwacht, die ihn über sein bisheriges Wesen hinausführt. Diese Auslegung des animal rationale muß in der ratio dasjenige fassen, was ihr metaphysisches Wesen ausmacht: den Bezug zum Seienden als solchem, und sie muß diesen Bezug erkennen als den des erklärenden Vorstellens - d.h. des istorein im weitesten Sinne. (Vgl. alles über »Historie«).  –  Dann zeigt sich: das Tier Mensch ist festgestellt als das »historische« Tier - und die letzte Folge dieser Feststellung ist der Mensch als »Übermensch«“, als jener, der über den bisherigen nur insofern hinausgeht, als er mit seiner Bisherigkeit ernst macht - d.h. das »Leben«, die Tierheit schlechthin, als den wesenbestimmenden Grund in seiner ganzen Tragweite anerkennt. Die bsiherige Metaphysik hat damit schon die letze Möglichkeit ihrer Menschendeutung im voraus festgemacht, wie es auch das Wesen des Anfangs will -; der »Übermensch« ist die höchste Spitze der Vermenschung des Menschen und deshalb ein Ende, kein Anfang (vgl. S. 12 f. [in Band 95: S. 189 f.]): der Übermensch - die Umkehrung des »platonischen«-»christlichen« Menschen - und zurückgebaut in dieselben Bestimmungen des Seienden, die sich uin der allgemeinen Unterscheidung von Sein und Werden erschöpfen. Wenn die schon längst geschehene Feststellung des Menschen ihre bislang ausgebliebene Auslegung erfährt, nach der jetzt der Mensch als das historische Tier bestimmt ist, dann scheint zunächst nur ein Versäumnis nachgeholt zu sein, ohne daß hierdurch ein Überdenken der ganzen bisherigen Geschichte des Seienden eingeleitet und gar ein Übergang in Gang gebracht wäre. Allein, die Benennung »historisch« ist nicht lediglich eine Auswechslung der Bezeichnung »vernünftig« - sie soll vielmehr anzeigen, daß der Bezug zum Seienden als solchem das erklärende Erkunden bleibt (wobei die neuzeitliche Ausfaltung der Historie notwendig mitgedacht ist). Mit dem Hinweis auf den Bezug zum Seienden als solchem aber wird erinnert und zugleich vorgedacht an den ursprünglichen Bezug zum Sein - die Bestimmung des Menschen als des historischen Tieres stellt so das Menschenwesen bereits in den Übergang aus der Metaphysik in das seynsgeschichtliche Denken. Übergang meint hier immer das Gedopopelte des Hinübergehens in einen anderen Anfang (somit das Vorbereiten der Einspringung eines Ursprungs) und das Übergehen des Bisherigen in dem Sinne, daß es unmittelbar - in seiner historischen Überlieferung - das Fragen nicht mehr bestimmen kann.“ (Martin Heidegger, Überlegungen, VII-XI, 1938/’39, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 95, S. 224-225).

„Nietzsche verkannte, daß seine Umkehrung des Platonismus, d.h. die Ansetzung »des« Lebens als der ausschließlichen Grundwirklichkeit, die auch die Unterscheidbarkeit von Diesseits und Jenseits hinfällig macht, im Grunde seiner innersten Absicht auf den höheren, wohlgeratenen Menschen (die großen Exemplare) entgegenarbeiten mußte; denn mit jener Ansetzung ist die Massenhaftigkeit des Lebenden und seines Lebensdranges an sich gerechtfertigt; die Anerkennung derselben als Boden und Widerstand für den Einzelnen aber ist nur ein Schein, weil die Einzelnen selbst sich alsbald nur als Beauftragte des »Lebens«, und d.h. für die Massen und deren Wohl und Glück, wissen können. Ihrem eigenen Willen bleibt nur das Echo »des Lebens« und seiner Steigerung, und jeder »Lebende« wird als solcher den Anspruch auf Lebensrecht anmelden, und der wachsende Anspruch wird »das Leben« steigern. Mit anderen Worten, der mögliche Spielraum eines »Übersichhinaus« des Lebens wird immer enger, weil er im Wesen schon - nach dem Ansatz des Lebens - nichts anderes ist als eine dem Leben nötige »Illusion« und selbst nur eine Erscheinung seiner, die je in dem Augenblick verschwinden kann, wo selbst dieses den Lebenden zu lästig wird. Der Mensch - als das historische Tier - wird dadurch, daß die Tierheit zur Seiendheit des Seienden erklärt ist (als Leben), sein eigenes Wesen historisch »unter« das Tier hinab entwickeln - d.h. der Wille zur Macht ist in sich notwendig Wiederkehr des Gleichen, so zwar, daß diese selbst immer mehr historisch - d.h. technisch - d.h. gleichgültig wird. Daher braucht man jetzt »Nietzschekenner«, die schlau genug sind, die eigentliche Wahrheit dieses Denkens rechtzeitig zu verschleiern unter der »Parole«, die großen Denker für das »Volk« zu retten; das will sagen: das »Volk« vor dem großen Denker in Sicherheit bringen und jeden Bereich möglicher Fragwürdigkeit als nichtvorhanden »nachzuweisen«. Das ist echte »politische« Wissenschaft.“ (Martin Heidegger, Überlegungen, VII-XI, 1938/’39, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 95, S. 247-248 ).

„Im Wesen der Historie liegt die Verzögerung der Entscheidungen und das Ausweichen vor den Entscheidungsbereichen; wenn daher die Historie das Wesen des Menschen (als des historischen Tieres) besetzt hält, zeitigt sie das Bedürfnis nach einem langen Auslauf für die »Geschichte« dieses Menschen; dieser Auslauf erscheint als die riesenhafte Zukunft und reißt alle »aufbauwilligen« Kräfte in sich hinein - aufgebaut wird ein riesiges Werk der letzten Zerstörung jedes möglichen Brückenschlages in die Not des Seyns -, dies alles aber im Gesichtskreis der befriedigten Erfahrung, daß überall die Völker im Aufstieg begriffen seien und daß die »Welt« sich verändere - die Veränderung besteht jedoch nur in der Beseitigung der noch bestehenden Verhüllungen ihres bereits entschiedenen Wesens, in dem die Machenschaft des Seienden den Vorrang hat und vom Menschen das »Erleben« des Lebens verlangt, diese muß jetzt in die grelle Helle der gemeinsamen Öffentlichkeit.“ (Martin Heidegger, Überlegungen, VII-XI, 1938/’39, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 95, S. 253).

„Ist die »Geworfenheit« des Menschen in das Da - sein schon die Vorwegnahme eines vorspringenden Denkens, dem der Mensch als historisches Tier nicht mehr zu folgen vermag, weil er seine Furcht vor dem Seyn und dessen Fragwürdigkeit längst zum »heroischen Realismus« (Ernst Jünger: Der Arbeiter - Herrschaft und Gestalt, 1932, S. 34)sich zurückgefälscht hat? Wenn das Menschenwesen sich verringert, d. h. in das Unwesen der Losgebundenheit vom Seyn verfällt, wächst die Anmaßung des »wirklichell« - »mit beiden Füßen in der Wirklichkeit stehenden« Menschen. Warum sollen ihm seine Erfolge nicht einreden, daß es den Zu-fall nicht gibt und alles nur Sache des »Willens« ist? Wenn aber das Seyn der Zu-fall für jegliches Seiende wäre, weil es das allein Not-wendige - die Not selbst - ist?“ (Martin Heidegger, Überlegungen, VII-XI, 1938/’39, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 95, S. 259).

„Entsteht dann Bildung - (d.h. ursprüngliche - gestaltende Beschränkung in das so erst erringbare Wesen), wenn man die Gebildetheit der »Gebildeten« in den entsprechenden Formen auch dem bisher Un-gebildeten zugänglich macht, oder wird so die Umbildung nicht erst zum gemeinschaftlichen »Erlebnis« gemacht? Wird da nicht jedes Bedürfnis nach Besinnung auf die Bildung ausgerottet? Warum sind wir so weit abgewichen von dem, was im Zeitalter des deutschen Idealismus als Bildung gesucht und entworfen wurde? Weshalb war auch jenes schon kein Ursprüngliches mehr, sondern nur der deutsche Versuch, über die Neuzeit innerhalb ihrer und für sie Herr zu werden? Aus welchem Grunde gehört »Bildung« mit »Kultur« zuammen als Bestimmung des neuzeitlichen Menschentums? Warum liegt in beiden - gerade wo sie wesentlich gedacht und gewollt sind - eine Abdrängung der ursprünglichen Entscheidungen? Weil das neuzeitliche Wesen des Menschen schon in der Bestimmung seiner als des historisch-technischen Tieres vorgebildet und damit der Vorbeigang an der Zumutung der Not des Seyns entschieden ist.“ (Martin Heidegger, Überlegungen, VII-XI, 1938/’39, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 95, S. 281-282).

„Die Machtentfaltung des historischen Menschen, d. h. des bisherigen Menschen als des historischen Tieres, bedeutet die Erhebung seines Wesens in das Selbstverständliche. Das Wesen aber ist die her-stellende Vorstellung des Seienden in seine Gegenständlichkeit. Die letzte Folge der Herrschaft des historischen Menschen kündigt sich dann an, wenn er beginnt, seine eigene Gegenwart schon »historisch« her-zustellen, will sagen: als Geschichte zuzubereiten und ihre Einfügung in das Gedächtnis und in die Überlieferung im voraus berechnend zu leiten. Die Folge dieser Herrschaft der »Historie« über das historische Tier bringt dann die völlige Vernichtung einer Möglichkeit des Kampfes um Ursprünge, das goldene Zeitalter des ungehinderten Vorrechts des gesunden Menschenverstandes beginnt seine »Ewigkeit« - das seiner historischen Herrlichkeit gewiß gewordene und so Descartes' ego cogito - ergo sum nun erst vollendende historische Tier braucht nicht einmal es über sich zu bringen, ja noch an Solches zu erinnern, was in seinen eigensten geschichtlichen Raum der Einzigkeit hinweggegangen ist. Man kann jetzt alle Vorläufer auslöschen, weil Vorläuferschaft ohnedies nur noch Jenes bedeutet, was sich der Vollendung der Nicht-mehr- mit-gekommenen als ein Wahngebilde vielleicht noch aufdrängt. Alsbald werden die sogenannten Deutschen Hölderlins Werk einstampfen, weil ja, was dieser angebliche Romantische Klassizist nur ersehnte, längst eingetroffen. Dem Unglücklichen blieb es versagt, mitzugehen; also muß er »eingehen«. Das ist das Schrittgesetz für den Fortschritt im Zeitalter der beginnenden Geschichtslosigkeit. Wohl ihm, daß es kraft seiner Instinktsicherheit nichts ahnt von seiner Verworfenheit durch das ihm sich verweigernde Seyn.“ (Martin Heidegger, Überlegungen, VII-XI, 1938/’39, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 95, S. 285).

„Das historische Tier ist als Subjectum auf »sich« bezogen, aber so, daß es mehr und mehr sein Wesen in das schon Vorhandene, die Tierheit - »das Leben« - zurückverlegt und das »historische« Verhalten selbst als ein »Organ« und eine »Funktion« des Lebens erklärt. Dieser letzte Schritt bringt die Subjektivität zur ausschließlichen Herrschaft, so daß alles »Ichhafte« und »Einzelmäßige« als Abirrung erscheint und die größte Gewalttätigkeit und jeder Fanatismus sich ihr »gutes Gewissen« holen aus ihrer Zugehörigkeit zum Subjectum, zum »Lebensstrom«, der unter aller Vereinzelung her und durch jede hindurchfließt. Die Zurückweisung der ursprünglichen Selbstheit unter dem Vorwand, sie sei Ichheit, entspringt nicht der Bejahung der »Gemeinschaft« - sondern diese selbst ist die Folge und der letzte Ausweg der Verlegung des Menschenwesens in die Subjektivität des Vorhandenen - was sich zu unterst als »Leben« und Massenhaftigkeit enthüllt und sich rechtfertigt, indem es alles in sich einbezieht und keinen anderen Bereich mehr zugesteht, der seine Wirklichkeit nicht von der selbstverständlichen Tatsache zu sehen trüge, daß auch er »Ausdruck« eben dieses Lebens ist.“ (Martin Heidegger, Überlegungen, VII-XI, 1938/’39, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 95, S. 289).

„Das historische Tier muß schließlich bei der Verrechnung und Rechtfertigung seiner Tierheit und deren Bedürfnisse und Instinkte ankommen und das besagt: bei einer wechselweisen Durchdringung des Historisch - Technischen mit dem Tierischen. Der Mensch wird so mehr und mehr daran gewöhnt, aus dem Besitzen und Befriedigen seine Zielsetzungen zu nehmen. Das Nichtbesitzen erscheint ihm als Mangel; und Alles, was gar ein Verzichten fordert, oder gar den Bezug zum Verweigerten als Wesensgrund des Menschen ansetzt, muß ihm verwerflich erscheinen und als Vernein~ng »des« (d. h. seines) Lebens. Sehnsucht (auch die nicht sentimentale im Sinne des Erfragens des Fragwürdigsten) erscheint als Schwäche oder als Blindheit gegenüber dem bereits errungenen Besitz. Das historische Tier vermag nicht, eine einfache Entschiedenheit zum Verweigerten als das einzuschätzen, was ihm doch allein als besitzwert erscheint - als Macht. Das historische Tier weiß nicht das Wesen der Macht weil es - der Metaphysik botmäßig - die Macht als ein Seiendes (vorhandene Kraft) versteht - statt als die Verwahrung des Seyns selbst, die nichts umzuwerfen vermag, weil sie der Spielraum aller Geworfenheit selbst ist.“ (Martin Heidegger, Überlegungen, VII-XI, 1938/’39, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 95, S. 293).

„Wir bestimmen den Menschen nicht als den »historischen« Menschen, sondern als das historische Tier: Der historische Mensch ist jener, den die Historie noch daran hindert, auf das Wesen der Historie aufmerksam zu werden und ihre Angewiesenheit auf das Tierhafte als Wesensgrund zuzugeben.“ (Martin Heidegger, Überlegungen, VII-XI, 1938/’39, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 95, S. 293).

„So wenig ist der historische Mensch noch eines Wissens fähig, daß ihm jene Erkenntnis, die Hölderlin erstmals erlitten und die Nietzsche in seiner Weise errungen hat: zwei Jahrtausende und kein einziger Gott (Friedrich Nietzsche: Der Fall Wagner. Götzen-Dämmerung. Nietzsche contra Wagner. Umwerthung aller Werte (Antichrist). Dichtungen. Werke. S. 235): »Zwei Jahrtausende beinahe und nicht ein einzigerneuer Gott!«) - daß ihm diese Erkenntnis kein Wissen zu werden vermag; daß er daran nichts findet, es sei denn eine übertriebene und nur verneinende Feststellung - bei der länger oder gar unausgesetzt zu verweilen sich nicht »lohnt«. Geschähe hier eine Besinnung, dann müßte eine Stunde kommen, da sich diese scheinbare Feststellung verwandelte in die Frage, wer denn ein Gott sei? -; diese Frage aber ist keine »theologische« - sondern höchstens der Schrecken aller »Theologie«, die sich im Bezirk der Machenschaft des Seienden, d. h. im Umkreis des historischen Tieres am besten gesichert weiß.“ (Martin Heidegger, Überlegungen, VII-XI, 1938/’39, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 95, S. 302).

„Wer ist der - ein Gott? Was vermag der Mensch noch diesem Namen an Nennkraft zu leihen? Belegt er mit ihm nur noch eine unbestimmte Aushilfe in zufälligen Bedürfnissen und Befriedigungen - die Bestätigung und Erklärung, die Erlösung und Tröstung dieser? - Meint der Mensch immer noch, den Gott dann am unmittelbarsten zu »erleben«, wenn er ihn für seine »Erlebnisse« bemüht - und geradezu ihn auf sich und so sich auf ihn bezieht -? Wann begreift der Mensch, daß der Gott durch die lange Brücke des Seyns von ihm geschieden und in sein eigenes (des Gottes) Wesen gewiesen bleibt - ? Das historische Tier wird dies nie begreifen und immer in irgendeiner Form danach trachten, seinen »Gott« zur Verrechnung seines Glücks und seines Unglücks, seiner Erfolge und Niederlagen als »Faktor« einzurechnen. Deshalb wird auch der »historische« Mensch leicht und überzeugend nachweisen können, daß jener Ausspruch Nietzsches und das Da-sein Hölderlins ein Irrtum sei, da ja auch andere Große Menschen »das Göttliche« sehr wohl »erlebt« hätten, allen voran Goethe, und daß ja jetzt jedermann zu solchem »Erleben« Gelegenheit genug finde.“ (Martin Heidegger, Überlegungen, VII-XI, 1938/’39, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 95, S. 302-303).

„Mit dem historischen Tier wird ein fragendes Gespräch über jene Frage nie möglich sein, da dieses historische Tier ja zugleich die Idealform der »Theologen« ist - und wo sind die Götter besser »aufgehoben« als bei diesen?“ (Martin Heidegger, Überlegungen, VII-XI, 1938/’39, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 95, S. 303).

Das Geheimnis der Sprache: »Erfolg« verstehen wir als die Wirkung, die auf eine Ursache folgt; aber ist nicht der Erfolg jetzt dasjenige, was dem vorausgeht, das als »Wahres« soll gelten dürfen? Der Erfolg ist nicht so sehr das Bewirkte, sondern das erst eigentlich rückwärts Wirkende, sofern durch ihn alle anderen Möglichkeiten ausgelöscht werden, die dann Erfolg hätten, das Anrecht darauf, das Wahre zu sein, versagen [zu] können. Die Schätzung des Erfolgs ist nur die letzte Folge der Herrschaft des Menschen als des historischen Tieres; durch diese Schätzung wird nicht nur der Fortschritt als solcher geheiligt, sondern vor allem eine Rückwirkung auf das Vergangene in Gang gebracht, durch die alle Geschichte völlig der Historie preisgegeben ist - dies bedeutet: Der Mensch treibt sich und sein Wesen immer mehr in die Vermenschung, weil jetzt auch das Vergangene »Seiende« völlig aus dem Gesichtskreis der Planung und Nutzung bestimmt wird und der Mensch abgeriegelt ist von allem Seyn. Sein AllesKennen und Berechnen wird zu einer grenzenlosen Unwissenheit. Vielleicht findet der neuzeitliche Mensch damit die Mittel, mit deren Hilfe er zum Erfinder des »Glücks« (Nietzsche: Also sprach Zarathustra. Werke. Bd. VI. a.a.O., S. 20: »›Wir haben das Glück erfunden‹ - sagen die letzten Menschen und blinzeln.«) wird - er, der vom Erfolg Verfolgte - und schlechthin Folgenlose und daher in seine »Ewigkeiten« Vernarrte.“ (Martin Heidegger, Überlegungen, VII-XI, 1938/’39, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 95, S. 316).

„Der neuzeitliche Mensch dreht sich selbst in eine Verdrehung seines vermeintlichen Wesens hinein, welche Verdrehung sein »wahres« Wesen ist, sofern sie ihn unausweichlich zur Ansetzung der Tierheit als der eigentlichen Macht seines »Lebens« zwingt rund ihn auf die Anstrebung von »Kraft« und »Schönheit« (will sagen Lusterregung - Wagnersche Musik als Sinnbild) als die einzigen und höchsten »Ziele« einschränkt.“ (Martin Heidegger, Überlegungen, VII-XI, 1938/’39, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 95, S. 317).

„Der Mensch - bedenken wir es recht, daß der abendländische Mensch sich selbst seit zwei Jahrtausenden als Tier bestimmt - (animal rationale). Und wenn Nietzsche meint, sei das »noch nicht festgestellte Tier« (Jenseits von Gut und Böse, N. 62). - dann übernimmt er gerade die Grundfeststellung - übersieht aber zugleich, daß die Feststellung, die er vermißt, schon vollzogen ist und nur nicht - auch für Nietzsche nicht - sichtbar wird, solange man sich an die Formel des animal rationale hält und übersieht, daß sich die »ratio« als Subjectum bestimmt hat, das gerade die Tierheit bejaht. (Vgl. Überlegungen IX, S. 67 ff. [in Band 95: S. 224 ff.]) Das Tier ist so endgültig festgestellt, daß gerade die Feststellung des Menschen als des im wesentlichen historischen Tieres die vollständige Bewahrung der Tierheit in sich schließt und entfaltet und deshalb eine ursprüngliche Frage nach dem Wesen des Menschen verhindert. Die Feststellung des Tieres »Mensch« besteht gerade darin, daß der bereits seit Jahrhunderten (Descartes) festgemachte Mensch gar nicht mehr anders kann und will, denn sich als Tier zu bestimmen und für bestimmt zu halten. Nietzsche selbst ist daher der letzte Zeuge - für diese Festsetzung »des« Menschen, den wir den neuzeitlichen nennen.“ (Martin Heidegger, Überlegungen, VII-XI, 1938/’39, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 95, S. 320).

„Dann könnte abert die Bestimmung des Menschen als animal rationale - auf der auch alle christliche Lehre vom Menschen beruht - ein Irrtum sein und seit mehr denn zwei Jahrtausenden den Menschen in der Irre herumtreiben? Aber was bedeuten schon zweitausend Jahre für einen Irrtum in einer so wesentlichen Frage - vollends wenn ein Irrtum etwas Wesentlicheres ist als eine bloße »Unrichtigkeit«, etwas Abhründiges gegenüber der Oberflächle eines bloßen »Fehlers«. So daß ein Irrtum solcher Art einem Menschentum doch seine Geschichte zu gewähren vermag - weil der Anspruch des Menschen auf die Wahrheit - weil das Recht zur Verwahrung ihres Wesens nicht entschieden ist. Wenn also in der Umgrenzung des Menschen als zwon, animal, Tier, ein Irrtum walten sollte - wir fragen hier nur - dann bestünde die Möglichkeit, ja vielleicht sogar einmal die Not für die Notwendigkeit, das Wesen des Menschen ursprünglicher zu bestimmen - also nicht zuerst und in der Gattung als Tier, dann aber auch nicht zuerst als Leib und demzufolge auch nicht als Seele und deshalb auch nicht als Geist und »Herz« und erst recht nicht als das Mischgebilde von Leib, Seele, Geist.“ (Martin Heidegger, Überlegungen, VII-XI, 1938/’39, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 95, S. 320-321).

„Vielleicht ist jenes Weltzeitalter gar nicht so fern, da der längst festgestellte Mensch - das vernünftige Tier - an seiner Vernnftigkeit und an seiner Tierheit zugleich zugrunde geht - und das in der verfänglichsten Form, die es dafür gibt - daß er nämlich diese seine Wesensfestsetzung, das vernünftige Tier zu sein, für die ewige, unantastbare Wahrheit hält und in ihr sich endgültig ansiedelt. Denn so zerstört er sich jede Möglichkeit, sein eigenes Wesen in die Verwandlungsgefahr unerschlossener Wesensentfaltungen hinauszutragen. Statt dessen sichert er sich eine immer beständigere Dauerfähigkeit, die ihm vor allem das Größte versagt, was dem Großen allein beschieden ist - der Untergang; denn nur das Große besitzt die Höhe, um in eine Tiefe zu stürzen. Die Tiefe des Sturzes bekundet die Reichweite der Verehrungskraft, die das Große in sich trägt für - das Seyn. Das Kleine bleibt auf der flachen Fahrbahn der breiten Straßen.“ (Martin Heidegger, Überlegungen, VII-XI, 1938/’39, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 95, S. 321).

„Bedenken wir es genug, daß der Mensch sich immer noch als Tier bestimmt?“ (Martin Heidegger, Überlegungen, VII-XI, 1938/’39, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 95, S. 321).

„Solange das Wesen des Menschen durch die Tierheit (animalitas) vorbestimmt bleibt, kann immer nur gefragt werden, was der Mensch sei. Nie ist die Frage möglich: wer der Mensch sei? Denn diese Wer-frage ist als Frage schon die ursprünglich andere und einzigartige Antwort auf die Frage nach dem Menschen - dieses Fragen selbst setzt den Menschen in seinem Wesen an als die Inständigkeit in der Wahrheit des Seyns. Sie ist jene Frage nach dem Menschen, die nicht etwa nur über ihn hinaus fragt nach seiner Ursache und dergleichen, sondern die überhaupt nicht nach ihm, des Menschen wegen fragt, sondern um des Seyns willen, da dieses in die Entgegnung zum Menschen als dem Gründer der Wahrheit versetzt. Erst diese Frage überwindet die neuzeitliche anthropologische Bestimmung des Menschen und mit ihr alle voraufgegangene, christliche hellenistische - jüdische und sokratisch - platonische Anthropologie.“ (Martin Heidegger, Überlegungen, VII-XI, 1938/’39, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 95, S. 322).

„ Die bis jetzt »höchste« Stufe, die in der neuzeitlichen Bestimmung des Wesens erreicht wurde: der Mensch als das kulturpolitiktreibende Tier.“ (Martin Heidegger, Überlegungen, VII-XI, 1938/’39, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 95, S. 323).

„Aber auch Nietzsche »denkt« als Künstler und d. h. hier aesthetisch - wagnerisch - schopenhauerisch, wenn er den »Genius« als Ziel der Menschheit - ansetzt - er bleibt in der Umzäunung der biologischen Metaphysik hängen,und deshalb kann man mit dem gleichen Recht auf dem Boden dieser Metaphysik auch in der Umkehrung »das Volk« als den Zweck seiner selbst ansetzen - beides ist »dasselbe« - und erst damit erreichen wir den Bereich, von dem das nur zunächst vordergründlich genommene Kulturtreiben stets und einzig seine Begründung empfängt und ohne sein Wissen die eigentlichen Anstöße: die Herrschaft der neuzeitlichen Metaphysik in der Endform der Vermenschung des Menschen. Alle Kulturpolitik und Kultur der Kultur sind die Sklaven dieser ihnen verborgenen Herrschaft des Subjectum (des Menschen als des historischen Tieres).“ (Martin Heidegger, Überlegungen, VII-XI, 1938/’39, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 95, S. 324).

„In Zeitaltern, da der Mensch zum historischen Tier geworden ist, braucht er die historischen Schriftstellereien, die das Historische der Geschichte des Denkens zu einem scheinbar »neuen« und in der Tat auch noch nie »dagewesenen« Aufschwung der »Philosophie« zusammenrechnen. Die Maßstäbe gehen dann völlig verloren: Heraklits Denken ist trotz allem Verlust wesentlich durch 20 Seiten einer kleinen Schrift; die 7 und 8000 Seiten eines Philosophiegelehrten sind durchaus gleichgültig und nur ein Gegenstand der Verzeichnisse von »Neuerscheinungen«. Was bedeutet ein solches Verschwinden der Maßstäbe? Die Entwurzelung des geschichtlichen Wesens des Menschentums, dem gehörig es der Historie verfallen muß oder aber zum gründer der Wahrheit des Seyns werden kann. Denker sind Denker »des« Seyns, oder aber der Name nennt Schauspieler auf der öffentlichen Bühne der Historie. Bezeugen können sich die wesentlichen Denker nur durch die Art ihres Seins und vor allem ihres Nicht-Seins - nämlich als Denkende des Seyns - (nicht etwa wie der historische Bürger sich das ausrechnet durch die Art, wie sie ihre vermeintliche »Weltanschauung« inder sogenannten »Praxis«, d.h. in der Anbiederung an das »Ordinäre« »verwirklichen«).“ (Martin Heidegger, Überlegungen, VII-XI, 1938/’39, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 95, S. 332).

„Das historisch Dauerfähige stützt sich auf die Ansprüche des gewöhnlichen Meinens des historischen Tieres, das vordergründlich »denkt« und das Gängige zum Maßstab des Ständigen macht. Deshalb ist das eigentlich Dauerfähige in der historischen (von der Historie her vergegenständlichten) Geschichte die Anekdote, die Legende, die Propaganda - kurz der Schein, der freilich gerade nicht als ein solcher ins Wissen kommt. Der Versuch der historischen Wissenschaft gegen diesen Schein, das »objektiv« Wahre sicherzustellen, ist nur die kehrseitige Anerkennung jenes Scheins als Wille, ein Bleibendes aus der Geschichte für die künftigen Zeiten zu retten - jenes - wie es »eigentlich« gewesen -; hier fehlt jedes Wissen vom Seyn, das gerade nicht in der Richtung des Suchens nach dem Beständigen angetroffen wird.“ (Martin Heidegger, Überlegungen, VII-XI, 1938/’39, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 95, S. 335-336).

„Der neuzeitliche Mensch hat die Sicherung seines Wesens darauf angelegt, einstmals ein Teil der Maschine zu werden, damit er im Dienst für die Sachlichkeit und Berechnetheit ihres Laufens seine mühelose Sicherheit, seine Antriebe und seine Lust finde. Dieses Sicheinlassen auf das Maschinenwesen ist etwas Wesentlich Anderes als der bloße Gebrauch »technischer« Möglichkeiten; hier begibt sich die äußerste Anverwandlung des Menschenwesens in die Rechenhaftigkeit des Seienden. Mit all dem kommt erst der Geist (d.h. das Verstand- und Rechenhafte der Tierheit) zu seiner höchsten Macht; die Herrschaft des Maschinenwesens ist weder »Rationalismus« noch »Materialismus« - nicht die Verödung des leeren Verstandes und nicht die Heiligung des bloßen Stoffes. Vielmehr vollzieht sich in dieser Anverwandlung an das Maschinenwesen jenes Sichloslassen in das Seiende, das keiner »Bilder« mehr bedarf für einen »Sinn« - weil die Anschaulichkeit sich zur völligen Berechenbarkeit ausgefaltet hat und in ihr stets gegenwärtig ist, weil der »Sinn« in der sich fortzeugenden Planmäßigkeit zu einer einzigartigen Beweglichkeit verfestigt hat. Der neuzeitliche Mensch bedarf keiner Sinnbilder mehr, nicht weil er den Sinn verleugnet, sondern ihn beherrscht als die Ermächtigung des Menschen selbst zu der rechnenden Mitte aller Einrichtungen jeglicher Machenschaft für das Seiende im Ganzen. Der neuzeitliche Mensch braucht das Sinnbild nicht mehr, weil er das Anschauliche und Schaubare ganz in die Macht seines Herstellens alles Machbaren (und nirgends Unmöglichen) eingezwungen hat. Sinnbild ist nur dort möglich und nötig, wo die Metaphysik das Sein über das Seiende stellt und durch dieses jenes darstellen muß -; sobald aber, wie im Zeitalter der Vollendung der Metaphysik das Seiende selbst alles Sein übernimmt und nur Seiendes : in seiner Vor- und HersteIlbarkeit kennt, wo das »Wirkliche« und »Lebendige«, die »Tat« und der Erfolg das »Wahre« ausmachen, entfällt jede Möglichkeit und Notwendigkeit eines Sinnbilds. Wer solches neuzeitlich - d. h. auf dem Wege der historischen Nach rechnung und Nachmachung - wieder einführen möchte, täuscht einen flachen Tiefsinn vor und verkennt gerade die eigentliche Wesenstiefe des eigenen Zeitalters.“ (Martin Heidegger, Überlegungen, VII-XI, 1938/’39, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 95, S. 360-361).

„»Sinnbilder« sind jetzt in mehrfachem Sinne unmöglich: 1.) weil das, was ihr Wesen ist, in einem tieferen Sinne und entschiedener geschieht (die Gleichsetzung von Sinn und Bild in der einrichtbaren Berechnung des Seienden und d. h. der Rechenhaftigkeit seines Seins); 2.) weil, wenn man schon eine Sinnbildschaffung für nötig halten möchte, diese einen bildlosen und bildfordernden Sinn voraussetzt - d. h. eine Wesensbestimmung des Seins, das erst im ganz Anderen eines Seienden sich darstellen müßte. Aber gerade diese Voraussetzung wird nicht mehr gesetzt und kann nicht mehr gesetzt werden, wenn der Mensch selbst sich als Tier (Rasse - Blut) zum Ziel seiner selbst gesetzt und die Planbarkeit seiner Geschichte in seinen Willen genommen hat. Wo der Sinn in das Sinnlose gelegt wird, wo das Seiende jegliches Sein überflüssig gemacht hat, fehlt jede Quelle für eine sinnbildende Kraft; 3.) weil selbst dann, wenn auch noch dem Sinnlosen und Seinsverlassenen eine Spur sinnbildender und bildschaffender Kraft zugestanden werden dürfte (was unmöglich ist), die Bildschaffung nie erweckt und vollzogen werden könnte durch ein historisches Ausgraben vergangener Symbole und Symbolwelten auf dem Wege der Volkskunde. Die angeblich Heutigen wissen gar nichts von der Gegenwart ihrer Geschichte, sondern erfinden sich »romantisch« mit den romantischen Mitteln der Historie (»Volkskunde« und »Vorgeschichte«) ein Gewesenes als Ideal einer Zukunft.“ (Martin Heidegger, Überlegungen, VII-XI, 1938/’39, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 95, S. 361).

„Es muß der Subjektivismus (daß der Mensch das Subjektum alles Seienden sei) ins Riesenhafte, jedermann gleich angehende und gemeinschaftlich Betreibbare und Eingängie ausgeweitet sein, erst muß jedermann in den Segnungen der Kulturbeförderung und ihrer Nachmachungen mitspeilen dürfen und dadurch seine Mittelmäßigkeit als unentbehrlich bestätigt finden, erst muß der Geschmack eine durchschnittliche Güte und das »Gesunde« und »Kräftige« des Üblichen seinen Vorrang erkämpft haben, erst muß der Auslauf der bisherigen abendländischen Geschichte ganz breit und flach geworden sein, daß ein Beliebiger darin stehen und dadurch als »Persönlichkeit« und als »einsatzbereiter« Zeitgenosse sich bezeigen kann - und erst muß alles dieses in einer riesigen Rückwendung auf sich selbst (Vorgeschichte - Volkskunde - Rassen- und Vererbungslehre) zum »erlebbaren« »Erlebnis« gesichert sein - bis der Mensch als das vernünftige Tier »rastlos« sich um sich selbst drehen kann und der Verlust jeder Möglichkeit der Wesenserfragung als Gewinn und Erfolg verzeichnet werden darf und die Verzwingung in diese Drehung den Anschein von Freiheit hervorbringt.“ (Martin Heidegger, Überlegungen, VII-XI, 1938/’39, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 95, S. 364-365).

„Die »Zeitlichkeit« des Da-seins (in »Sein und Zeit«) liest man, nimmt man als Bestimmung der »Vergänglichkeit« des Menschen; man gibt ihr so eine »anthropologische« und überdies »christliche« Auslegung, statt zu sehen, daß »Anthropologie« und »Christlichkeit« und Metaphysik hinfällig geworden durch die Frage - allein schon durch die Fragehaltung - nach der Wahrheit des Seins, die zunächst als »Zeit« faßbar gemacht werden muß (in der Erinnerung an die Auslegung des Seins als Seiendheit innerhalb der gesamten abendländischen Metaphysik). »Zeitlichkeit« des Da-seins nennt vielmehr die Wahrheit des Seins, in der stehend der Mensch sein Wesen als Tierheit verwandelt in die Inständigkeit im Da-sein, das die Wächterschaft dieser Wahrheit ist - »Zeitlichkeit« nennt den Wesensgründenden »Bezug« des Menschen zum Seyn und stellt damit den Menschen vor eine ganz andere Geschichte - von der wir »nur« den Ab-grund wissen, in dem sie sich bewegen muß im Unterschied zu der immer flacher werdenden Oberfläche der Subjektivität, in der das Menschentum sich eingefangen und zum Bereich und Maß, zur Mitte und Vollzugsform alles »Seienden« aufgesteigert hat.“ (Martin Heidegger, Überlegungen, VII-XI, 1938/’39, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 95, S. 367).

Wahrheit. - Woher nehmen wir das Wesen der Wahrheit? Was verbürgt uns die Bestimmung zur Wesensfindung und Behütung? Vielleicht nur das Wagnis unseres eigenen Wesens? Warum dieses Wagenmüssen? Ist zuvor und allem zuvor dies schon das Wesen des Menschen, das er sich uneingestanden stets verschleiert und nur in Mißdeutungen zuläßt, die seiner festgesetzten Tierheit keine Gefahr mehr bereiten? Was heißt dies, daß wir uns meist und geradezu auf unser Vorhandenes und das fraglose Meinen darüber berufen und im An- und Zugeschwemmten des bIoßen lebenssüchtigen Betriebs das Genügen finden? (Vgl. S. 79 f. [in Band 95: S. 411 f.]).“ (Martin Heidegger, Überlegungen, VII-XI, 1938/’39, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 95, S. 377).

„Weshalb ist die Besinnung so schwer und so selten der entscheidenden Einsicht gewachsen: daß das Seyn in seiner Wahrheit niemals dem Seienden entnommen werden kann? Weil diese Einsicht eine Verwandlung des Menschen fordert, die alles Bisherige unendlich übersteigt und gleichwohl das Einfachste und Einzige zum Würdigsten erhebt, aus dessen Enthaltsamkeit gegenüber aller Macht und Ohmacht die vermenschung des Menschen in die Tierheit zernichtet wird. Das Austragen jener Einsicht ist der andere Anfang der Philosophie;um dieser Austragung bis in die kühne Klarheit der wesentlichen Fragen zu genügen, muß die Vorbereitung der Philosophie auf alles Lehrhafte verzichten aus der Langmut zu einem verborgenen Reifen. Was weiß das erfüllte Wogen der goldenen Ähre im Glanz der Sommersonne von der Nacht der Verschlossenheit des Samenkorns in der harten Erde?“ (Martin Heidegger, Überlegungen, VII-XI, 1938/’39, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 95, S. 422).

„Kein Zufall ist es und keine pesönliche Übertreibung Nietzsches, daß in der Vollendung der abendländischen Metaphysik, die zu ihrem Gründungsbestand die Bestimmung des Menschen aus der vorhandenen (anwesenden) Tierheit und Lebendigkeit hat, nun auch diese Tierheit in der Vollendung des Raub-tierhaften der schweifenden Bestie herauskommt; das Raub-tier, das nach Sieg und Macht lüsterne, entspricht der in Nietzsches Metaphysik vollzogenen Umkehrung des »Platonismus«. Daß der Mensch als dieses Raub-tier zum weniger oder mehr ausgesprochenen und verratenen »Ideal« des Menschentums wird, ist nur die Erfüllung jener Wesensforderung, daß eines Tages der als Tier bestimmte Mensch sein Wesen - das ist die Tierheit - als Ideal verlangt. Deahalb darf auch nicht verwundern, wenn christliche Theologen heute sich darauf ein Gutes tun, die »biologische« Bedngtheit alles menschlichen Denkens voll anzuerkennen; denn alles Christentum ist nur als »Metaphysik« möglich und kann sich deshalb mit allen Formen einer solchen zurechtfinden; dieses zu »leisten«, ist ja seine »kulturelle« Sendung.“ (Martin Heidegger, Überlegungen, VII-XI, 1938/’39, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 95, S. 422-423).

„Historie ist die Zerstörung der Geschichte - die Untergrabung der Entscheidung zum Seyn durch die Betreibung des vergangenen Seienden. Gemäß dieser notwendigen Flucht vor jeder Entscheidungsnotwendigkeit bleibt der Historie jede Möglichkeit einer Wesensprägung versagt - sie ist ohne »Charakter« - ist Illustrationsbetrieb, der sich für »das Leben selbst« hält - und endlose Gelegenheiten zur »geistigen« Beschäftigung bietet. Der wachsende Einfluß der verlegerischen Unternehmen, der Zustrom mißglückter »Wissenschaftler« in diese, das Bedürfnis nach rascher und handlicher »Orientierung« über die geistigen »Belange« führt zur Planung neuer Handbücher und Übersichten; die »Historie« gelangt jetzt erst in das ausgeprägte Stadium der »Durchorganisierung« - die Frage ist nicht mehr, was einer der »Forscher« geleistet hat, sofern es hier noch etwas zu leisten gibt, sondern ob er mitzählt und beim Unternehmen mit dabei und »aufgefordert« ist. Die »Forscherpersönlichkeiten«, zumal die »jungen«, merken gar nicht mehr, an welche Gängelbänder sie genommen sind. Oder sollten sie es doch merken, aber schon so weit in der Wurschtigkeit gekommen sein, daß ihnen gleichgültig bleibt, was sie noch als Gelegenheit und Mittel benutzen, um sich zu einer »Geltung« zu bringen. Das Alles soll nicht »moralisch« bewertet werden; wesentlich ist immer nur wieder der Vorgang - sofern in ihm jetzt unweigerlich das metaphysische Wesen der Historie als »Technik« zum Vorschein kommt; und zwar gilt dies nicht etwa nur von der Historie in der »Gestalt« der »Wissenschaft« - sondern von jeder Art der vor- und her-stellenden Vergegenwärtigung des Vergangenen in den Gegenwartszustand des Menschen als des Subjektums alles Seienden -, welches Subjekt dadurch den Menschen (das animal rationale) als das historische Tier entlarvt, ohne jedoch diese Entlarvung als eine solche zu erkennen.“ (Martin Heidegger, Überlegungen, VII-XI, 1938/’39, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 95, S. 436-437).

„Nietzsches Über-mensch ist die letzte und erste Fest-setzung des noch nicht vollends festgestellten Tieres »Mensch« - die äußerste Bejahung der Metaphysik in ihrer Umkehrung als ihrer Vollendung und endenden Rückkehr in den geendeten - nicht anfänglichen - Anfang der Geschichte des abendländischen Menschen.“ (Martin Heidegger, Überlegungen, VII-XI, 1938/’39, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 95, S. 437-438).

„Das Erste ist die Geschichtslosigkeit seiner Dichtung - will sagen: die Leib - und Tierversunkenheit des Menschen, der nur ein aus diesem Bezirk Ausgewichener bleibt. Das andere ist die Vermenschung des Tieres- was dem ersten nicht widerspricht -. Das Dritte ist das Fehlen wesentlicher Entscheidungen, wenngleich der christliche Gott überwunden ist. Rilke steht, obwohl wesentlicher und dichterischer in seinem Eigentlichen, so wenig wie Stefan George in der Bahn der von Hölderlin gegründeten, aber noch nirgends übernommenen Berufung »der Dichter«. Rilke hat nicht - und noch weniger George - dichterisch-denkend den abendländischen Menschen und dessen »Welt« bewältigt- er trägt für sich - »heroischer« als viele der heute lauten »Helden«, die Heroismus mit der bloßen Brutalität eines Straßenkampfes verwechseln- ein ungeklärtes - in das Vorgeschichtliche - Kind" hafte Zurückwollendes »Schicksal«. Trotzdem wird sein »Werk« bleiben, wenn auch Manches Artistische, das bei George noch ganz anders wuchert, abfallen muß. Wenn nur die zudringlichen »Interpretationen« der Heutigen anderen Beschäftigungen sich zuwenden wollten.“ (Martin Heidegger, Überlegungen, VII-XI, 1938/’39, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 95, S. 438-439).

„Aber »Sinn« ist ihm wieder »Ziel« und »Ideal«, »Erde« der Name für das leibende Leben und das Recht des Sinnlichen. Der »Übermensch« ist ihm die Vollendung des bisherigen letzten Menschen, die Fest-stellung des bislang noch nicht festgemachten, des immer noch nach vorhandenen, »an sich wahren« Idealen süchtigen und ausbrechenden Tieres. Der Übermensch ist die äußerste rationalitas in der Ermächtigung der animalitas, ist das animal rationale, das sich in der brutalitas vollendet. Die Sinnlosigkeit wird jetzt zum »Sinn« des Seienden im Ganzen. Die Unerfragbarkeit des Seins entscheidet darüber, was das Seiende sei. Die Seiendheit ist sich selbst als der losgelassenen Machenschaft überlassen. Der Mensch soll jetzt nicht nur ohne »eine Wahrheit« »auskommen«, sondern das Wesen der Wahrheit ist in die Vergessenheit entlassen, weshalb denn Alles nur auf ein »Auskommen« und auf irgendwelche »Werte« abgestellt wird.“ (Martin Heidegger, Nietzsche II, 1939-1946, S. 16).

„Ist nicht die jeweilge Auslegung des Menschen und damit das geschichtliche Menschsein jeweils nur die Wesensfolge des jeweiligen »Wesens« der Wahrheit und des Seins selbst? Sollte es so stehen, dann kann des Wesen des Menschen niemals zureichend ursprünglich bestimmt sein durch die bisherige, d.h. metaphysische Auslegung des Menschen als animal rationale, mag man dabei die rationalitas (Vernünftigkeit und Bewußtheit und Geistigkeit) in den Vorrang setzen oder die animalitas, die Tierheit und Leiblichkeit, oder mag man zwischen beiden je nur einen erträglichen Ausgleich suchen.
Die Einsicht in diese Zusammenhänge ist der Anstoß für die Abhandlung »Sein und Zeit«. Das Wesen des Menschen bestimmt sich aus dem Wesen (verbal) der Wahrheit des Seins durch das Sein selbst.
In der Abhandlung »Sein und Zeit« ist der Versuch gemacht, auf dem Grunde der Frage nach der Wahrheit des Seins, nicht mehr nach der Wahrheit des Seienden, das Wesen des Menschen aus seinem Bezug zum Sein und nur aus diesem zu bestimmen, welches Wesen des Menschen dort in einem fest umgrenzten Sinne als Da-sein bezeichnet wird. Trotz der gleichzeitigen, weil sachlich notwendigen Entfaltung eines ursprünglicheren Wahrheitsbegriffes ist es (in den abgelaufenen 13 Jahren) nicht im geringsten gelungen, auch nur ein erstes Verständnis für diese Fragestellung zu wecken Der Grund für das Nichtverstehen liegt einmal in der unausrottbaren, sich verfestigenden Gewöhnung an die neuzeitliche Denkweise: der Mensch wird als Subjekt gedacht; alle Besinnung auf den Menschen wird als Anthropologie verstanden. Zum anderen aber liegt der Grund des Nichtverstehens in dem Versuch selbst, der, weil er vielleicht doch etwas geschichtlich Gewachsenes und nichts »Gemachtes« ist, aus dem Bisherigen kommt, aber von ihm sich losringt und dadurch notwendig und ständig noch in die Bahn des Bisherigen zurückweist, dieses sogar zu Hilfe ruft, um ein ganz Anderes zu sagen. Vor allem aber bricht dieser Weg an einer entscheidenden Stelle ab. Dieser Abbruch ist darin begründet, daß der eingeschlagene Weg und Versuch wider seinen Willen in die Gefahr kommt, erneut nur eine Verfestigung der Subjektivität zu werden, daß er selbst die entscheidenden Schritte, d.h. deren zureichende Darstellung im Wesensvollzug, verhindert. Alle Wendung zum »Objektivismus« und »Realismus« bleibt »Subjektivismus«: die Frage nach dem Sein als solchem steht außerhalb der Subjekt-Objekt-Beziehung.
.... Daß und wie das Wesen der Wahrheit und des Seins und der Bezug zu diesem das Wesen des Menschen bestimmen, so daß weder die Tierheit noch die Vernünftigkeit, weder der Leib noch die Seele, noch der Geist, noch alle zusammen hinreichen, das Wesen des Menschen anfänglich zu begreifen, davon wiß die Metaphysik nichts und kann sie nichts wissen.“ (Martin Heidegger, Nietzsche II, 1939-1946, S. 172-173).

„Erst wenn dergestalt die Vernunft metaphysisch als die unbedingte Subjektivität und somit als das Sein des Seienden entfaltet ist, kann die Umkehrung des bisherigen Vorrangs der Vernunft in den Vorrang der Tierheit selbst eine unbedingte, d.h. nihilistische werden. Die nihilistische Verneinung des metaphysischen, das Sein bestimmenden Vorrangs der unbedingten Vernunft - nicht ihre völlige Beseitigung ist die Bejahung der unbedingten Rolle des Leibes als der Befehlsstelle aller Weltauslegung. »Leib« ist der Name für jene Gestalt des Willens zur Macht, in der dieser dem Menschen als dem ausgezeichneten »Subjekt« unmittelbar zugänglich, weil stets zuständlich ist. Daher sagt Nietzsche: »Wesentlich: vom Leib ausgehen und ihn als Leitfaden zu benutzen.« (»Der Wille zur Macht«, N. 532; vgl. N. 489, N. 659.) Wenn aber der Leib zum Leitfaden der Weltauslegung wird, dann sagt dies nicht, das »Biologische« und »Vitale« sei in das Ganze des Seienden hineinverlegt und dieses selbst »vital« gedacht, sondern es heißt: der besondere Bereich des »Vitalen« ist metaphysisch als Wille zur Macht begriffen. »Wille zur Macht« ist nichts »Vitales« und nichts »Geistiges«, sondern »Vitales« (»Lebendiges«) und »Geistiges« sind als Seiendes durch das Sein im Sinne des Willens zur Macht bestimmt. Der Wille zur Macht bringt die Vernunft im Sinne des Vorstellens unter sich, indem er dieses als das rechnende Denken (Wertesetzen) in seinen Dienst nimmt. Der bisher dem Vorstellen dienstbare Vernunftwille wandelt sein Wesen in den Willen, der als das Sein des Seienden sich selbst befiehlt.“ (Martin Heidegger, Nietzsche II, 1939-1946, S. 270).

„Das Wort ist die einzig dem Griechentum gehörige und dessen Wesen anvertraute Weise der entbergenden Bewahrung der Unverborgenheit und der Verbergung des Seienden. Im Wort und als Wort gibt sich das Sein des Seienden aus diesem Bezug zum Menschen dergestalt, daß das Sein des Seienden aus diesem Bezug zum Menschen dessen Wesen aufgehen und zu derjenigen Bestimmung gelangen läßt, die wir die greichische nennen. Nach ihr ist der Mensch to zoon logon exon - dasjenige von sich selbst her aufgehende Seiende, das dergestalt aufgeht, daß es in diesem Aufgehen (FusiV) und für den Aufgang das Wort hat. Im Wort verhält sich das Seiende, das wir den Menschen nennen, zum Seienden im Ganzen, inmitten dessen der Mensch er selbst ist. Zoon heißt »Lebendes«. Aber zoon, »Leben«, dürfen wir hier weder spätgriechisch noch römisch noch neuzeitlich »Biologisch« im Sinne der »Zoologie« verstehen. Das »Lebende« ist fusei on, Seiendes, dessen Sein durch die fusiV, das Aufgehen und das Sichaufschließen bestimmt wird. Alsbald freilich wird diese griechsische Wesensbestimmung des Menschen römisch umgedeutet: zoon wird zu animal, logoV wird zu ratio. Der Mensch ist das animal rationale. Im neuzeitlichen Denken ist die ratio, die Vernunft, das Wesen der Subjektivität, d.h. der Ichheit des Menschen. Deshalb ist für Kant der Mensch dasjenige »Vieh« (animal), das »Ich« sagen kann. Wenn wir zoon modern-biologisch als das »Tier« und als »Lebewesen« überhaupt denken, denken wir römisch-neuzeitlich und ungriechisch. Alle Anthropologie, die philosophische und die wissenschaftlich-biologische, faßt den Menschen als das »denkende« Tier. Weil nun aber in den Zeitaltern der Metaphysik vor Nietzsche das Wesen des »Lebens« und der »Tierheit« noch nicht als Wille zur Macht begriffen und der Mensch noch nicht zur reinen Selbstermächtigung seiner selbst zu aller Macht gelangt und also noch nicht »über« die bisherige Wesensbestimmung hinausgekommen ist, ist der jetzige Mensch noch nicht »über« den bisherigen Menschen hinausgegangen. Er ist noch nicht Über-mensch.“ (Martin Heidegger, Parmenides, 1942/’43, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 54, S. 100-101).

„Dieses Wort, im Sinne der Metaphysik Nietzsches gedacht, meint nicht, wie die populäre Meinung annimmt, einen über das Normalmaß hinausgewachsenen Menschen mit riesigem Knochengerüst und möglichst viel Muskeln und niedriger Stirn, sondern »Über-mensch« ist ein wesentlich metaphysisch-geschichtlicher Begriff und bedeutet den in den Wesensbereich des Willens zur Macht als der Wirklichkeit alles Wirklichen übergegangenen bisherigen Menschen, der immer schon als animal rationale bestimmt worden ist. Deshalb kann Nietzsche sagen, der noch nicht zum Über-menschen gewordene Mensch sei das »noch nicht festgestellte Tier«, d.h. das Tier, dessen Wesen noch nicht endgültig metaphysisch entschieden ist. Gemäß dieser letzten metaphysischen Bestimmung des Menschen schrieb O. Spengler in der viel gelesenen Schrift »Der Mensch und die Technik. Beitrag zu einer Philosophie des Lebens«, 1931, S. 54: »Der Charakter des freien Raubtieres ist in wesentlichen Zügen vom einzelnen auf das organisierte Volk übergegangen, das Tier mit einer Seele und vielen Händen.« Anmerkungsweise wird dem Satz beigefügt: »Und mit einem Kopf, nicht mit vielen.«“ (Martin Heidegger, Parmenides, 1942/’43, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 54, S. 101).

„In unserer Frage handelt es sich nicht darum, ob die beiden Wesensformen des Blickens, der begegnende und der erfassende, bekannt sind oder nicht, sondern die Frage geht dahin, welches Blicken, ob der Blick der Anwesung oder der Blick des Erfassens den wesenhaften Vorrang hat bei der Auslegung des Erscheinens, und von woher dieser Rang bestimmt bleibt. Gemäß dem Vorrang der Subjektivität im neuzeitlichen Menschentum ist hier das Blicken als Akt des Subjekts entscheidend. Sofern nach Nietzsche der Mensch das als der Übermensch festgestellte Tier ist, das im Willen zur Macht sein Wesen findet, ist der Blick des Subjekts der Blick des rechnend vorgehenden, d.h. erobernden, überlistenden, überfallenden Wesens. Der Blick des modernen Subjekts ist, wie Spengler in der Nachfolge Nietzsches gesagt hat, der Raubtierblick: das Spähen.“ (Martin Heidegger, Parmenides, 1942/’43, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 54, S. 159).

„Wenn wir aber schon von »untergegangenen« Völkern und vom »untergegangenen« Griechentum reden, was wissen wir denn vom Wesen des geschichtlichen Untergangs? Wie, wenn der Untergang des Griechentums jenes Ereignis wäre, wodurch das anfängliche Wesen des Seins und der Wahrheit in seine eigene Verborgenheit zurückgeborgen und damit erst zukünftig wird? Wie, wenn »Untergang« nicht Ende, sondern Anfang sein müßte? Jede griechische Tragödie sagt den Untergang. Jeder dieser Untergänge ist ein Anfang und Aufgang des Wesenhaften. Wenn Spengler, ganz im Gefolge der Metaphysik Nietzsches und diese überall noch vergröbernd und verflachend, vom »Untergang des Abendlandes« redet, dann redet er nicht und nirgends von der Geschichte. Denn er hat im voraus die Geschichte zu einem »biologischen Prozeß« herabgewürdigt und aus der Geschichte ein Gewächshaus von »Kulturen« gemacht, die pflanzenhaft gedeihen und verkümmern. Spengler denkt, wenn er überhaupt denkt, die Geschichte geschichtslos. Er versteht »Untergang« im Sinne des bloßen Zuendegehens, d.h. als biologisch vorgestellte Verendung. Tiere »gehen unter«, indem sie verenden. Geschichte geht unter, sofern sie in der Verborgenheit des Anfangs zurückgeht -, d.h. sie geht, im Sinne der Verendung gedacht, deshalb gerade nicht unter, weil sie so nie »untergehen« kann. Wenn wir hier zur Aufhellung des daimonion das Wesen des griechischen Göttertums andeuten, dann meinen wir nicht antiquarische Sachen und nicht Gegenstände der Historie, sondern Geschichte. Es ist das Ereignis der Wesensentscheidung des Wesens der Wahrheit, welches Ereignis stets das Kommende ist und nie das Vergangene. Im Vergessen aber sind wir am härtesten an das Vergangene verknechtet.“ (Martin Heidegger, Parmenides, 1942/’43, in: Ders., Gesamtausgabe, Band 54, S. 167-168).

„Das Wesen der Technik kommt nur langsam an den Tag. Dieser Tag ist die zum bloß technischen Tag ungefertigte Weltnacht. Dieser Tag ist der kürzeste Tag (vgl. 21.12. auf der Nordhälfte der Erde; HB). Mit ihm droht ein einziger endloser Winter. Jetzt versagt sich dem Menschen nicht nur der Schutz, sondern das Unversehrte des ganzen Seienden bleibt im Finstern. Das Heile entzieht sich. Die Welt wird heil-los. Dadurch bleibt nicht nur das Heilige als die Spur zur Gottheit verborgen, sondern sogar die Spur zum Heiligen, das Heile, scheint ausgelöscht zu sein. Essei denn, daß noch einige Sterbliche vermögen, das Heillose als das Heillose drohen zu sehen. Sie müßten ersehen, welche Gefahr den Menschen anfällt. Die Gefahr besteht in der Bedrohung, die das Wesen des Menschen in seinem Verhältnis zum Sein selbst angeht, nicht aber in zufälligen Fährnissen. Diese Gefahr ist die Gefahr. Sie verbirgt sich im Abgrund zu allem Seienden. Um die Gefahr zu sehen und zu zeigen, müssen solche Sterbliche sein, die eher in den Abgrund reichen.  –  »Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.« (Hölderlin, IV, 190).  –  Vielleicht ist jede andere Rettung, die nicht von dort kommt, wo die Gefahr ist, noch im Unheil. Jede Rettung durch einen nochso gut gemeinten Befehl bleibt für den im Wesen gefährdeten Menschen auf die Dauer seines Geschickes ein bestandloser Schein. Die Rettung muß von dort kommen, wo es sich mit den Sterblichen in ihrem Wesen wendet. Sind Sterbliche, die eher in den Abgrund des Dürftigen und seiner reichen? Diese Sterblichsten der Sterblichen wären die Gewagtesten. Sie wären noch wagender als das sich durchsetzende Menschenwesen, das schon wagender ist als Pflanze und Tier.  –  Rilke sagt ...: »Nur daß wir, // mehr noch Pflanze oder Tier // mit diesem Wagnis gehn, es wollen, ....«  –  Und Rilke fährt in derselben Zeile fort: »manchmal auch // wagender sind (und nicht aus Eigennutz), //, als selbst das Leben ist, um einen Hauch // wagender ....«  –  Der Mensch ist nicht nur im Wesen wagender als Pflanze und Tier. Der Mensch ist zu Zeiten sogar wagender, »als selbst das Leben ist«. .... Der Mensch ist zu Zeiten wagender als das Wagnis, seiender als das Grund des Seienden. Wer wagender ist als der Grund, wagt sich dorthin, wo es an allem Grund gebricht, in den Abgrund. Wenn aber der Mensch der Gewagte ist, der mit dem Wagnis geht, indem er es will, dann müssen die Menschen, die manchmal noch wagender sind, auch noch wollender sein. Allein, gibt es eine Steigerung dieses Wollens über das Unbedingte des vorsätzlichen Sichdurchsetzens hinaus? Nein.Dann können diejenigen, die manchmal wagender sind, nur insofern wollender sein, als ihr Wollen in seinem Wesen anders ist. Dann wäre Wollen und Wollen nicht sogleich das Selbe. Sie, die aus dem Wesen des Wollens wollender sind, bleiben dem Willen als dem Sein des Seienden gemäßer. Sie entsprechen dem Sein, das sich als Wille zeigt, eher. Sie sind wollender, insofern sie williger sind.“ (Martin Heidegger, Wozu Dichter?, 1946, in: Ders., Holzwege, S. 295-297).

 

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