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Leipzig ist die erste Heimatstadt
von Hermann Schmitz.
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Bonn ist die zweite Heimatstadt
von Hermann Schmitz.
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Kiel ist die dritte Heimatstadt von Hermann Schmitz.
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An das Ende des Buches stelle ich das Problem der Freiheit. Angesichts
dieser Herausforderung erhält die philosophische Reflexion höchste
praktische und für besonnene menschliche Lebensführung unentbehrliche
Wichtigkeit, denn dabei steht einerseits die sittliche Verantwortlichkeit
der Person als solche und als Voraussetzung eines berechtigten vergeltenden
Strafens auf dem Spiel, andererseits der Lebensmut, sofern er aus dem
Vertrauen auf die eigene unabhängige Initiative geschöpft wird,
d. h. darauf, daß es für etwas auf die Person als Urheber ankommt
und nicht alles von selbst abläuft. Mit ideologischem Eifer versuchen
seit Jahrhunderten Naturalisten wie La Mettrie und Nietzsche, Juristen
wie Franz v. Liszt, Gehirnforscher und materialistische Philosophen dem
Publikum ein »neues Menschenbild« beizubringen, das den Menschen
als spontan oder determiniert mitwirkenden Automaten ohne eigene Verantwortung
beschreibt. Wenn es dafür triftige Gründe gäbe, könnte
man diese Giftpille schlucken, obwohl die Folgen viel verwirrender und
lähmender wären, als naive Deterministen es sich vorstellen.
Wenn dieses »neue Menschenbild« aber auf kurzsichtigem und
unklarem Denken beruht, hat die Philosophie allen Anlaß, die Verführung
abzuwehren, damit die Menschen nicht in ihrem Selbstverständnis um
sich selbst betrogen werden. Allerdings haben die Naturalisten für
unzulänglichkeiten ihrer Argumentation die Entschuldigung, daß
die seit Platon die Diskussion beherrschende philosophische Tradition
solche Abweichungen vom Weg der gründlichen Analyse durch die entgegengesetzte
Abweichung begünstigt hat: durch den Versuch, die Freiheit als Trumpfkarte
der selbstherrlichen Vernunft und ihres gebieterisch entscheidenden Wollens
gegen das Unwillkürliche im menschlichen Leben auszuspielen. Meine
Untersuchung des Freiheitsproblems soll die Fehler der Naturalisten und
der Idealisten gleichermaßen korrigieren. Diese Untersuchung ist
vielleicht die komplizierteste, die ich unternommen habe. Ihre Ergebnisse
sind in meinem Buch Freiheit zusammengefaßt, mit der Bitte im
Vorwort, nur noch diese Darstellung meiner Theorie als die von mir autorisierte
zu berücksichtigen. (Vgl. Hermann Schmitz, Freiheit, 2007, S. 162). Daran werde ich mich in der folgenden Skizze
halten, indem ich die Details dort nachzusehen bitte. (Hermann F.-H.
Schmitz, Die Freiheit, in: Kurze Einführung in die Neue
Phänomenologie, 2009, S. 117-118).
Ich übergehe die hinsichtlich ihrer Möglichkeit unproblematische
bürgerliche, politische und körperliche Freiheit, die in Abwesenheit
von Zwang - einer dem eigenen Bestreben unwiderstehlich entgegentretenden
Gewalt - und Verfügbarkeit eines für die Bedürfnisse hinlänglichen
Spielraumes der Beliebigkeit besteht, und eiche die Freiheit an sittlicher
Verantwortung, die ich so definiere: Ein Subjekt S hat sittliche Verantwortung
für eine Tatsache T, wenn es nur vom Verhältnis der Tatsache
T zu sittlichen Normen abhängt, ob S für T sittliches Lob oder
sittlichen Tadel verdient. Freiheit ist dann zu verstehen als Existenz
eines nicht-trivialen Äquivalents sittlicher Verantwortung, d. h.
einer für sie sowohl notwendigen als auch zureichenden Bedingung,
die nicht aus der Verantwortung logisch folgt, wie z. B. sie selbst als
ihre sowohl notwendige als auch zureichende Bedingung. Die Existenz von
Freiheit ist also bewiesen, wenn es gelingt, ein solches nichttriviales
Äquivalent - eine Gestalt der Freiheit - nachzuweisen.
(Hermann F.-H. Schmitz, Die Freiheit, in: Kurze Einführung
in die Neue Phänomenologie, 2009, S. 118).
An nächster Stelle suche ich nach einem Kriterium der Freiheit,
d. h. nach einer Instanz, die unabhängig vom eigenen Ermessen zu
entscheiden gestattet, ob ein Vorschlag einer Gestalt der Freiheit ausreicht.
Ich finde diese Instanz in dem in der heutigen (»westlichen«)
Zivilisation verbreiteten normalen sittlichen Verantwortungsbewußtsein,
das ich aber nicht an den Überzeugungen der Leute ablese, die weit
voneinander abweichen und von vielen (namentlich dogmatischen) Einflüssen
bestimmt sein können, sondern an ihren typischen spontanen Beurteilungen,
denen ich entnehme, welche Merkmale zu einer Gestalt der Freiheit gehören
und welche nicht dazu gehören, obwohl die Menschen vielfach vom Gegenteil
überzeugt sind. Dies sind die Ergebnisse der Prüfung: Zur
Freiheit gehören eigene Initiative, Unabhängigkeit dieser
Initiative und Rechenschaftsfähigkeit. Eigene Initiative besteht
darin, selbst etwas zu tun oder zu lassen, so daß es nicht ohne
eigenes Zutun oder Zulassen zur Tatsache wird. Die Unabhängigkeit
besteht darin, daß die Initiative bei ihrer Ausübung nicht
von einer von ihr verschiedenen Macht, die das eigene Tun und Lassen zureichend
bedingt, gesteuert wird. Macht ist Steuerungsfähigkeit, d. h. die
Fähigkeit, einen Vorrat beweglicher Sachen (im weitesten Sinn von
»etwas überhaupt« ) in gerichtete Bewegung (im weitesten,
auch z. B. auf Gefühle bezüglichen Sinn) zu versetzen, diese
Bewegung im Verlauf zu führen und anzuhalten, sowie der Inhaber einer
solchen Fähigkeit. Rechenschaftsfähigkeit ist das Personen
vorbehaltene Vermögen, das eigene Tun und Lassen mit Überlegung
zu begleiten, die sich auf daran beteiligte einzelne Umstände, Normen
sowie die eigene Person bezieht. Nicht zur Freiheit gehören:
Macht über das eigene Verhalten, Wählenkönnen und Anderskönnen.
Nicht Macht: Wem die Fähigkeit zur Steuerung seines Verhaltens (Tuns
und Lassens) entglitten ist, der kann sich dem Unwiderstehlichen immer
noch widersetzen oder überlassen und dadurch frei sein. Nicht
Wählenkönnen: Wählen ist das Verhalten, sich in der
Überzeugung von mehreren Möglichkeiten eigenen Verhaltens wissentlich
darauf zu beschränken, von diesen höchstens einige (nicht alle)
zu verwirklichen. Nach Maßgabe des normalen sittlichen Verantwortungsbewußtseins
gibt es wenigstens zwei Möglichkeiten, ohne Wählenkönnen
frei, d. h. sittlich verantwortlich zu sein: unbewußte Fahrlässigkeit
und spontane Handlungen. Bei unbewußter Fahrlässigkeit fehlt
es an Kenntnis der einschlägigen mehreren Möglichkeiten eigenen
Verhaltens; sittlich vorwerfbar ist dann nicht ein Willensmakel, sondern
ein Gesinnungsmakel, nämlich der Leichtsinn, sich nicht mit gebührender
Sorgfalt um Kenntnis der betreffenden Möglichkeiten gekümmert
zu haben. Spontane Handlungen: Unverzügliche Reaktionen, z. B. mit
Tapferkeit oder Feigheit angesichts erschreckender Gefahren, können
dem Reagierenden sittliches Lob oder sittlichen Tadel einbringen, obwohl
er so schnell reagiert hat, daß keine Zeit zur Kenntnisnahme von
mehreren Möglichkeiten eigenen Verhaltens war. Nicht Nichtanderskönnen:
Das Anderskönnen besteht im Wählenkönnen, ergänzt
durch die beiden Merkmale der Wahrheit der Überzeugung und der Unabhängigkeit
der Selbstbeschränkung. (Hermann F.-H. Schmitz, Die Freiheit,
in: Kurze Einführung in die Neue Phänomenologie, 2009,
S. 118-120).
An dieser Stelle mag ein Seitenblick auf die Freiheitsdiskussion
in der gegenwärtigen analytischen Philosophie den vorhin erhobenen
Vorwurf unklaren Denkens der Naturalisten in einer Hinsicht bestätigen.
Die analytische Philosophie läßt es bei diesem Thema gerade
an der gehörigen Analyse, von der sie den Namen hat, fehlen. Der
Begriff des Wählens wird nicht in der angegebenen Weise unter die
Lupe genommen, sondern, soweit mir bekannt ist, undefiniert stehen gelassen;
davon ist die Folge, daß das Nichtanderskönnen mit dem kausalen
Determinismus gleichgesetzt und die Möglichkeit verkannt wird, daß
zwar der kausale Determinismus mit Freiheit unverträglich ist, weil
er die Unabhängigkeit der Initiative aufhebt, nicht aber das Nichtanderskönnen,
dem zwar das für Freiheit entbehrliche Wählenkönnen fehlt,
deswegen aber nicht schon notwendig die unabhängige Initiative.
(Hermann F.-H. Schmitz, Die Freiheit, in: Kurze Einführung
in die Neue Phänomenologie, 2009, S. 120).
Durch den Nachweis, daß unabhängige Initiative eine
notwendige Bedingung jeder Gestalt der Freiheit ist, erweitert sich die
Tragweite des Freiheitsproblems auf die Berechtigung des Lebensmutes,
sofern dieser von dem Vertrauen des Menschen abhängt, daß auf
seinen Einsatz, seine unabhängige Initiative, etwas ankommt und das
Geschehen nicht gleichgültig gegen das, was er von sich aus tun und
lassen kann, abläuft. Die Resignation, daß eigener Einsatz
sinnlos ist, würde dem Lebensmut den Schwung und die Frische nehmen.
Dagegen hilft auch nicht der Hinweis, daß es dem eigenen Interesse
zuwiderläuft, die Hände in den Schoß zu legen: der schon
aus der Antike bekannte Einwand gegen die faule Vernunft. Dadurch kann
allenfalls ein Impuls ausgelöst werden, der sofort durch die Überzeugung
von der Sinnlosigkeit des Einsatzes gehemmt wird, und dann widerfährt
dem Menschen dasselbe wie dem Auto, wenn man zugleich Gas gibt und auf
die Bremse tritt: Er gerät ins Schleudern, er verliert die Spur.
(Hermann F.-H. Schmitz, Die Freiheit, in: Kurze Einführung
in die Neue Phänomenologie, 2009, S. 120-121).
Die naturalistische Bestreitung der Freiheit ruht heute auf zwei
Säulen. Die eine ist der von materialistischen Naturforschern mit
aggressiver Lautstärke im breiten Publikum verfochtene Determinismus
einer kausalen Steuerung alles menschlichen Verhaltens durch Vorgänge
im Gehirn. Zur Auseinandersetzung damit gehört eine grundsätzliche
erkenntnistheoretische Prüfung der Tragweite naturwissenschaftlicher
Erkenntnis; ich habe sie in Freiheit vorgelegt und begnüge
mich hier mit diesem Hinweis, da es an dieser Stelle zu weit führen
würde, die komplexe Problematik anzuschneiden. (Vgl. Hermann Schmitz,
Freiheit, 2007, S. 162). Die andere Säule besteht in dem von
der analytischen Philosophie wieder aufgenommenen Dilemma der Wahl zwischen
Determinismus und Indeterminismus, wenn dieses Paar als vollständige
Disjunktion, als unausweichliche Alternative, verstanden wird. Beide sind
nämlich für unabhängige Initiative tödlich. Der Determinismus
vereitelt die Unabhängigkeit, da die Fremdbestimmung so weit getrieben
wird, daß die Initiative selbst, sei sie auch nur Ergebung oder
Widersetzlichkeit im Verhältnis zum Unvermeidlichen, einer von ihr
verschiedenen Steuerung unterliegt. Der Indeterminismus vereitelt die
Initiative, da man ein Geschehen, das durch nichts gesteuert wird, auch
nicht selbst tun oder lassen kann, denn dann würde man es steuern,
eventuell gar durch Unterlassen. Dies gilt auch für eine durch nichts
gesteuerte eigene Initiative, ein Selbertun der Person, das nicht abermals
durch ihre Initiative gesteuert wäre, denn das wäre ein bloßer
Einfall, wie eine spontan hervorbrechende verbale Äußerung,
ein nicht selber getanes und damit vereiteltes Selbertun. (Hermann
F.-H. Schmitz, Die Freiheit, in: Kurze Einführung in die
Neue Phänomenologie, 2009, S. 121-122).
Die analytische Philosophie auf ihrem gegenwärtigen Stand
resigniert vor dem Dilemma der Wahl zwischen Determinismus und Indeterminismus,
indem sie Freiheit entweder für unmöglich erklärt oder,
da der Ausweg in den Indeterminismus ihr doch nichts helfe, beim Determinismus
unterbringt (sogenannter Kompatibilismus). Der Kompatibilist ahnt nicht,
in welche Schlinge er seinen Hals steckt, da er die begriffliche Analyse
des Wählens unterlassen hat. Deterministische Überzeugung verhindert
das Wählen, weil aus ihr folgt, daß die Person bezüglich
einer Herausforderung immer nur eine einzige Möglichkeit des Verhaltens
hat, nämlich die, zu der sie determiniert ist; zum Wählen gehört
aber die Überzeugung von mehreren Möglichkeiten eigenen Verhaltens,
und der ehrlich überzeugte Determinist müßte also angesichts
einer Herausforderung die Überzeugung haben, nur eine einzige, aber
nicht nur eine einzige Möglichkeit der Stellungnahme dazu zu haben.
Diesen glatten Widerspruch in seiner Überzeugung kann man ihm nicht
zutrauen. Also kann er nicht wählen, nicht einmal im Restaurant von
der Speisekarte. Dann kann er sich aber auch nicht rational verhalten,
sondern nur noch sich treiben lassen wie ein Betrunkener. Nichtig ist
auch die Gegenbehauptung, er müsse sich entscheiden, da er nicht
vorhersehen könne, wie er sich entscheiden wird. Er braucht sich
ja nicht zu entscheiden, sondern kann geschehen lassen, was kommt. Der
konsequente Indeterminist hätte etwas bessere Chancen als der Determinist.
Zunächst hindert ihn nichts, an mehrere Möglichkeiten seines
Verhaltens zu glauben. Die Entscheidung, welche er wählt, kann er
zwar nicht selbst in die Hand nehmen, da sie nicht mehr indeterminiert
wäre, wenn er die Initiative dazu ergriffe, aber er kann in einem
eingeschränkten Sinn sich selbst beschränken, indem er die Entscheidung
einem -vielleicht guten -Einfall überläßt, der ihm nach
seiner Einschätzung ohne jede Steuerung kommt. (Hermann F.-H.
Schmitz, Die Freiheit, in: Kurze Einführung in die Neue
Phänomenologie, 2009, S. 122-123).
Wenn die Freiheit zwischen der Skylla Determinismus und der Charybdis
Indeterminismus durchkommen sollte, wird sie als unabhängige Initiative
jedenfalls in einer Kausalität bestehen. Daher vermengt sich das
Freiheitsproblem mit dem Problem der Kausalität. Diese ist ein sehr
undurchsichtiger, begrifflich nicht vollständig aufklärbarer,
aber unentbehrlicher Bestandteil der normalen Lebenserfahrung. Zu einer
Ursache gehören die beiden Merkmale des aktiven Bewirkens als unbestreitbare
Erfahrung gegeben in der erlittenen Kausalität der Halbdinge (aufdringlicher
Schmerz, Wind, reißende Schwere, elektrischer Schlag) - und das
Zureichen des Bewirkens für den Erfolg. Ursache und Erfolg oder Effekt
- man sagt auch »Wirkung«, was aber zweideutig auf Einwirkung
und auf Erfolg bezogen werden kann - müssen, wenigstens im Zusammenhang
mit dem Freiheitsproblem, als Tatsachen, nicht als Dinge oder Ereignisse
verstanden werden. Dafür gibt es zwei Gründe:
1. |
Der Zusammenhang zwischen
Ursache und Erfolg läßt sich nur in einem Kausalsatz
darstellen, der zwei Aussagen mit Konjunktionen wie »weil«
oder »da« zusammenstellt; jede dieser Aussagen stellt
eine Tatsache dar, und nur auf diese Weise ist genau abzugrenzen,
was zur Ursache und zum Erfolg gehört. |
2. |
Sittliche Verantwortung
gibt es auch für Unterlassungen, also müssen auch diese,
wenn es Freiheit gibt, unabhängige Initiativen und Ursachen
sein, aber das können sie nur als Tatsachen; denn kein Ereignis,
kein Ding, wohl aber ein Sachverhalt kann darin bestehen, daß
etwas nicht getan wird. In übertragenem Sinn können aber
auch Ereignisse Ursachen sein, wenn nämlich die Ursache in
der Tatsache besteht, daß das Ereignis existiert. |
Eine Person kann nicht direkt Ursache sein, sondern nur Urheber durch eine
Beschaffenheit, die die Ursache ist. Diese Beschaffenheit muß, um
zur Initiative zu reichen, der Person in hinlänglich intimer Weise
angehören; sie darf nicht in irgendeiner Äußerlichkeit
wie der Anzahl der Haare auf dem Kopf bestehen. Nicht intim genug wäre
auch eine Initiative, die sich gänzlich unbewirkt einstellte, ohne
kausalen Zusammenhang mit der Person, von ihr abermals getan zu sein.
Dadurch wird das Konzept der Täterkausalität entwertet, das
die sittliche Verantwortung einer solchen unbewirkten Initiative zuschreibt.
Zwischen den beiden Merkmalen der Ursache, dem aktiven Bewirken und dem
Zureichen für den Erfolg, besteht meist ein großer Unterschied
im erforderlichen Ausmaß der Ursache. Für das Zureichen ist
außer dem aktiven Kern meist eine große Menge weiterer Umstände
erforderlich, im Fall der Ermordung Caesars z. B. außer dem mörderischen
Tun der Verschwörer die Beschaffenheit des von Luft erfüllten
Zwischenraumes und die Verletzlichkeit von Caesars Körper. Der aktive
Kern ist dagegen im Fall der Initiative, daß jemand etwas selber
tut, auf ihn als Urheber und seine Urheberschaft eingeschränkt. Für
das Zureichen zum Erfolg ist diese auslösende Ursache aber in den
meisten Fällen nur ein kleiner Teil der vollständigen Ursache.
(Hermann F.-H. Schmitz, Die Freiheit, in: Kurze Einführung
in die Neue Phänomenologie, 2009, S. 123-124).
Jetzt ist die Untersuchung reif zur Prüfung der entscheidenden
Frage, ob die Freiheit gerettet werden kann: ob es gelingt, sie zwischen
Skylla und Charybdis, Determinismus und Indeterminismus, durchzubringen.
Wenn das nicht glückt, ist es um die sittliche Verantwortung geschehen,
und ebenso um den Lebensmut der Menschen, sofern er auf dem Vertrauen
beruht, daß es für etwas darauf ankommt, daß die Person
etwas selber tut und nicht bloß mit sich geschehen läßt.
Falls nur der Determinismus übrig bleibt, wäre mit der Überzeugung
von seiner Richtigkeit jedes Wählen und damit jedes rationale Verhalten,
jede willkürliche Selbststeuerung unmöglich geworden. (Wenn
sogenannte Deterministen keine solchen Mängel erkennen lassen, beweist
das nur, daß sie von ihrem Bekenntnis zum Determinismus nicht wirklich
durchdrungen sind.) Der Determinismus blockiert die Unabhängigkeit
der Initiative dadurch, daß jede Tatsache von anderen Tatsachen
gesteuert wird; der Indeterminismus vereitelt die Initiative selbst, denn,
wenn eine Tatsache gänzlich unbewirkt ist, kann sie auch nicht ihr
Urheber selber tun. Es gibt aber noch eine dritte Möglichkeit, nämlich
die Selbstbewirkung, daß eine Tatsache Ursache ihrer selbst ist.
In diesem Fall ist sie nicht unbewirkt im Sinne des Indeterminismus, aber
sie braucht auch nicht von anderen Tatsachen bewirkt zu sein. Für
solche Selbstbewirkung gibt es im Bereich der objektiven Tatsachen nicht
den geringsten Anhaltspunkt. Im besonderen ist der Wille für solche
Selbstbewirkung ungeeignet, weil das Wollen immer über sich hinaus
auf einen Erfolg strebt. Freiheit als Selbstbewirkung der unabhängigen
Initiative kann also keine Willensfreiheit sein, jedenfalls keine spezifische;
durch andere Merkmale als die begrifflich zum Wollen gehörigen könnte
eventuell auch dieses frei sein. Im Bereich der objektiven Tatsachen und
bei der Eigenart des Wollens ist die Freiheit also nicht zu finden.
(Hermann F.-H. Schmitz, Die Freiheit, in: Kurze Einführung
in die Neue Phänomenologie, 2009, S. 124-125).
Viel besser wird die Aussicht, wenn wir uns zu den subjektiven
Tatsachen des affektiven Betroffenseins wenden. Affektives Betroffensein
hat die passive Seite, von etwas betroffen zu werden. Bloß passive
Betroffenheit wäre aber nicht affektiv; das wird sie erst dadurch,
daß der Betroffene in Anspruch genommen wird, d. h., daß er
in irgendeiner Weise mitmachen, sich auf das betroffen Machende einlassen
muß. Für das affektive Betroffensein von Gefühlen, die
Ergriffenheit, habe ich in der fünften Stunde gezeigt, daß
sogar ein anfängliches Verfallen an den Impuls des Gefühls dazu
gehört, ehe die Person mit Preisgabe und/oder Widerstand eingreifen
kann. Im Fall leiblicher Regungen ohne Ergriffenheit ist der Spielraum
des anfänglichen Mitmachens meistens größer, aber es fehlt
keineswegs, z. B. im Fall des Hungers, indem man ihn mürrisch, geduldig,
jammervoll oder aggressiv erträgt. Diese aktive Seite des affektiven
Betroffenseins, die mit dem Erleiden der Betroffenheit unzertrennlich
verschmolzen ist, bezeichne ich als die in das affektive Betroffensein
investierte Gesinnung. Erst durch sie wird die Subjektivität des
affektiven Betroffenseins gezündet oder gestiftet. Ohne diese ursprünglich
unbeliebige, zusätzlich vom Belieben der Person überformbare
Selbstverstrickung wäre das Betroffensein ein neutrales Geschehen,
dem der Betroffene wie ein fremder Beobachter nur zusehen könnte.
Das ist wirklich der Fall bei der zuerst von Bälz und auch von anderen
beschriebenen Emotionslähmung. () Bei überwältigenden Katastrophen,
die wie Erdbeben, Kriegsereignisse, Flugzeugabstürze das affektive
Betroffensein überfordern, setzt dieses manchmal aus; der Mensch
steht bei klarem Verstand, über sich orientiert, gleichsam neben
sich und, was geschieht, geht ihn nichts mehr an. Das Betroffensein wird
noch erlebt, aber der Betroffene läßt sich nicht mehr darauf
ein; die Gesinnung hakt oder klinkt gleichsam aus. Sie ist also die aktive
Bewirkerin der Subjektivität für den Betroffenen im affektiven
Betroffensein und damit der für ihn subjektiven Tatsachen. Eine davon
ist sie selbst, verstanden als Tatsache ihrer Existenz. Für die für
jemanden subjektiven Tatsachen reicht seine Gesinnung (als Tatsache) im
Allgemeinen nicht zu, wohl aber für sich selbst; denn jede Tatsache
ist für sich selbst zureichend. Im Verhältnis der Gesinnung
zu sich selbst verbinden sich also die beiden zum Bewirken gehörigen
Merkmale, kausale Aktivität für alle subjektiven Tatsachen des
Gesonnenen und damit für sich selbst und Zureichen. Damit ist die
gesuchte Selbstbewirkung gefunden. Die Gesinnung eignet sich als unabhängige
Initiative dessen, der sie hat, zur Selbstbewirkung im Gebiet der subjektiven
Tatsachen und erfüllt, falls er überdies als Person rechenschaftsfähig
ist, die Ansprüche an eine Gestalt der Freiheit, so daß behauptet
werden darf: Der personale, rechenschaftsfähige Mensch ist durch
seine Gesinnung für seine Gesinnung sittlich verantwortlich.
(Hermann F.-H. Schmitz, Die Freiheit, in: Kurze Einführung
in die Neue Phänomenologie, 2009, S. 125-127).
Dieser Schluß wäre voreilig, wenn die für jemanden
subjektiven Tatsachen durch seine Gesinnung im affektiven Betroffensein
nicht selbst gestiftet und hervorgebracht, sondern nur mit einem Zusatz
von Subjektivität zu übrigens objektiven Tatsachen versehen
würden. Das ist aber unmöglich, wie sich schon unter (III) gezeigt
hat. Die für jemanden subjektiven Tatsachen sind immer reicher als
die nur durch Abschälung der Subjektivität erreichbaren objektiven
Tatsachen, aber nicht von diesen her durch Zusätze zu erreichen.
Das gilt sogar für die Kausalität. Keine subjektive Tatsache
kann eine objektive zur Ursache haben, weil sie dann als deren Effekt
gekennzeichnet werden könnte, und das Zutreffen dieser Kennzeichnung
wäre wieder eine objektive Tatsache, von der offen bliebe, ob es
sich um mich und das Meinige handelt; denn, wie ich in der dritten Stunde
gesagt habe, liegt in allen objektiven Tatsachen über mich nichts,
das mehr auf mich hinwiese als auf Alexander den Großen. Nur indem
ich mich in den subjektiven Tatsachen meines affektiven Betroffenseins
vor allen objektiven Tatsachen finde und aus diesen subjektiven Tatsachen
durch Abschälung der Subjektivität für mich sich objektive
Tatsachen herausstellen, gibt es einen Rechtsgrund, zu sagen, daß
ich Hermann Schmitz und nicht irgendein anderer bin. Diese Sachlage ist
zur Abweisung eines Einwandes geeignet, den man mir gemacht hat: die Gesinnung
könne doch ebenso kausal gesteuert werden wie irgendein anderes Ereignis
in der Welt. Als Beispiel dient immer wieder der amerikanische Bauarbeiter
Phineas Gage, dem bei einer Explosion eine Eisenstange durch sein Stirnhirn
getrieben wurde. Danach verwandelte er sich aus einem soliden, zuverlässigen
Arbeiter in einen unberechenbaren, verlogenen, betrügerischen Außenseiter,
ohne daß sein Verstand gelitten hätte. Die objektive Tatsache,
daß in einem Komplex von Ereignissen und Zuständen, die man
mit dem Namen »Phineas Gage« versieht, durch den Unfall eine
andere Gesinnung bewirkt worden ist, ist unbestreitbar. Das gilt aber
nicht für die subjektive Tatsache, die Gage und nur er mit den Worten
hätte aussagen können: »Ich, Phineas, war früher
ein Mann von zuverlässiger Gesinnung, aber nun hat der Unfall diese
gründlich verschoben.« Diese für Phineas Gage subjektive
Tatsache ist von ganz anderer Art und durch die objektive Tatsache des
Unfalls kausal nicht erreichbar. (Hermann F.-H. Schmitz, Die
Freiheit, in: Kurze Einführung in die Neue Phänomenologie,
2009, S. 127-128).
Menschliche Freiheit ist also nicht Willensfreiheit,
sondern Gesinnungsfreiheit, wobei allerdings der Wille, sofern er am affektiven
Betroffensein teilhat und von der Gesinnung durchzogen ist, gleichfalls
frei sein kann, aber nicht mehr als der Hunger oder der Schmerz. Man hätte
längst schon darauf aufmerksam werden können, daß sittliche
Verantwortung als Verdienen von Lob und Tadel, und damit Freiheit als
deren nicht-triviales Äquivalent, keineswegs nur an Betätigungen
des Willens haften, sondern auch die Gesinnung ohne Beteiligung des Willens
betreffen können. Das gilt für genüßliche Schadenfreude,
neidische Herabsetzung, Spaß an fremdem Elend (auch ohne Schadenfreude),
die sittlichen Tadel für üble Gesinnung verdienen, während
man sich schon sehr verrenken müßte, um sie in Wollungen umzudeuten
(mit denen sie allerdings verbunden sein können). Ausgeschlossen
ist solche Umdeutung bei unbewußter Fahrlässigkeit, denn das
Unbewußte besteht ja darin, daß die Person sich das, was sie
sollte, gar nicht klar gemacht hat, so daß sie es erst recht nicht
wollen kann. Dennoch kann unbewußte Fahrlässigkeit schwere
Schuld sein, aber als Gesinnungsmakel durch Leichtsinn oder Rohheit. Nicolai
Hartmann gebührt das Verdienst, daß er die Einschränkung
sittlicher Freiheit auf Willensfreiheit als zu eng empfunden und dafür
an die Gesinnung erinnert hat, aber nur, um über diesen Einfall gleich
wieder hinwegzugehen, weil sich der Ausdruck »Willensfreiheit«
nun einmal eingebürgert habe, und nicht mehr darauf zurückzukommen.
(vgl. Nicolai Hartmann, Ethik, 1926, S. 622 f.). (Hermann
F.-H. Schmitz, Die Freiheit, in: Kurze Einführung in die
Neue Phänomenologie, 2009, S. 128-129).
Nachdem nun eine Gestalt der Freiheit nachgewiesen ist, bleibt
noch das Verhältnis der Freiheit zur Macht zu prüfen. Dabei
kann es sich nicht mehr um die Macht des Willens handeln, sondern nur
um die Macht der Gesinnung. Diese hängt davon ab, ob sie etwas, das
ohne sie nicht eingetreten wäre, außer ihr selbst bewirken
kann. Wenn dies nicht der Fall ist, ist die freie Gesinnung zwar ohnmächtig,
aber immer noch frei und Quelle sittlicher Verantwortung, denn der rechenschaftsfähige
Mensch bleibt durch seine Gesinnung für seine Gesinnung sittlich
verantwortlich. Aber mit der Ermutigung aus der Resignation, daß
alles mit der Person geschieht, ohne daß es für etwas auf ihren
frischen Einsatz aus eigener Initiative ankommt, wäre es vorbei.
Wirkungen der Gesinnung und nur der Gesinnung eines Menschen lassen sich
nicht erweisen, aber es spricht auch kein triftiger Grund dagegen, sie
anzunehmen. Als solcher Grund käme ein Determinismus in Betracht,
der der Initiative die Unabhängigkeit rauben und durch Fremdsteuerung
ersetzen würde. Den totalen Determinismus, daß in der Zukunft
alles bis ins Letzte hinein bestimmt ist, habe ich in Freiheit
(S. 88-94) mit einem Argument widerlegt, das auf dem auch in der vierten
Stunde (**)
geführten Beweis dafür, daß nicht alles einzeln ist, beruht.
Offen bleibt ein partieller Determinismus, z. B. bezüglich naturwissenschaftlich
meßbarer Eigenschaften. Der Anspruch der Naturwissenschaft auf kausale
Erklärung ( statt nur Prognose) der Vorgänge in der Lebenswelt
unserer unwillkürlichen Lebenserfahrung ist aber sehr fragwürdig.
(Vgl. Hermann Schmitz, Freiheit, 2007, S. 162). Man hat Experimente
ausgeführt (und ist noch dabei), die beweisen sollen, daß Willensentscheidungen
durch vorausgegangene Gehirnvorgänge determiniert sind; wie aber
ein Experiment aussehen sollte, mit dem man zeigen könnte, daß
alle möglichen Folgen der für jemanden subjektiven Tatsachen seiner
Gesinnung (auch nur im Gebiet der objektiven Tatsachen) durch naturwissenschaftlich
meßbare Steuerung aus dem Gehirn oder anderer Quelle abgefangen
werden könnten, ist gänzlich unerfindlich. Daher gibt es keinen
triftigen Grund zur Entkräftung des zum Lebensmut gehörigen
Glaubens, daß der Mensch durch sein freies Handeln die Welt verändern
kann. Aber er kann es sicher nicht durch die Macht eines in der Entscheidung
freien willens. Diese Aussicht wird versperrt durch das Dilemma der Einklemmung
des Willens zwischen Determinismus und Indeterminismus. Wenn die Freiheit
überhaupt Macht hat, dann nur so: Nicht, was der Mensch sich vornimmt,
sondern das, was er frisch im Augenblick als Gesinnung in sein affektives
Betroffensein einsetzt, und damit die Art, wie er als affektiv Betroffener
jeweils bei der Sache ist, gibt ihm kausale Macht aus eigener unabhängiger
Initiative. (Hermann F.-H. Schmitz, Die Freiheit, in:
Kurze Einführung in die Neue Phänomenologie, 2009, S.
129-130).
Mit diesem Satz ist diese kurze Darstellung der Grundgedanken
der Neuen Phänomenologie am Ziel. Wenn ich auf den Ertrag der Neuen
Phänomenologie blicke, sehe ich ihn in zwei Hauptrichtungen ausgebreitet.
Die eine enthält die Befreiung der von der Introjektion versteckten
wichtigsten Massen der Lebenserfahrung aus dem Gefängnis der psychologistisch-reduktionistisch-introjektionistischen
Vergegenständlichung: des spürbaren Leibes, der leiblichen Kommunikation,
der Gefühle als Atmosphären, der bedeutsamen Situationen und
vielsagenden Eindrücke, der Halbdinge. Die andere Hauptrichtung ist
die Verankerung der Subjektivität in den subjektiven Tatsachen und
sonstigen subjektiven Bedeutungen (untatsächliche Sachverhalte, Programme,
Probleme). Damit wird dem immer gefährlicher um sich greifenden ironistischen
Zeitalter zwar nicht die Lebensluft, aber der theoretische Boden entzogen.
Dieses Zeitalter brach aus, als dem Menschen sein Erleben und er selbst
als Bewußthaber durch den naturwissenschaftlichen Singularismus
so sehr atomisiert und neutralisiert wurden (zu einem bloßen Bündel
von Perzeptionen nach Hume), daß er sich darin nicht mehr wiederfand.
Da fragte er sich: Wo bleibe eigentlich ich? Diese Frage stellte in der
Philosophie zuerst Johann Gottlieb Fichte. Da aber er und seine Zeitgenossen
alle Tatsachen für objektive oder neutrale Tatsachen hielten, in
denen sie sich nicht wiederfinden konnten, gerieten sie selbst in ein eigentümliches Schweben (das Schweben der Einbildungskraft nach
Fichte) über oder zwischen allen Tatsachen. Daraus machte Friedrich
Schlegel die romantische Ironie als Wendigkeit, sich von allem abwenden
und eben deshalb auch allem zuwenden, jeden Standpunkt wählen zu
können. Damit läutete er das ironistische Zeitalter ein, das
im 19. Jahrhundert in aristokratischer Zurückhaltung vom Dandy gelebt
wurde, inzwischen aber zur Coolneß vor dem Fernseher und Computer
vulgarisiert worden ist. Die Entdeckung der subjektiven Tatsachen des
affektiven Betroffenseins korrigiert den Irrtum am fundierenden Ursprung
dieser Entwicklung und eröffnet damit einen Ausblick auf ein mögliches
Ende des ironistischen Zeitalters, freilich nicht schon auf einen gangbaren
Weg, dessen Fortschreiten zu vollendeter Frivolität in den Spuren
Max Stirners aufzuhalten. Außerdem bietet die Entdeckung der subjektiven
Tatsachen Gelegenheit zu der hier vorgelegten Lösung des jahrtausendealten
Freiheitsproblems, das von hochmütigen, allzu vernunftstolzen Idealisten
so verdreht worden ist, daß sich Naturalisten zu der umgekehrten
Verdrehung, die Freiheit ganz zu bestreiten oder sie dem sie verderbenden
Determinismus kompatibilistisch in den Rachen zu werfen, herausgefordert
fanden. Da die begründete Aufklärung des Menschen über
seine Freiheit von größter Bedeutung für sein Lebenkönnen
ist, sowohl für seinen Lebensmut als auch für seinen Glauben
an sittliche Verantwortung (einschließlich der Bereitschaft zum
vergeltenden Strafen), ist es gerechtfertigt, dieses Buch mit einer der
Freiheit gewidmeten Stunde zu schließen. (Hermann F.-H. Schmitz,
Die Freiheit, in: Kurze Einführung in die Neue Phänomenologie,
2009, S. 130-131).


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