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Prägnant und möglichst knapp formulierte Gedanken

von

Ernst Manfred Schröter (1880-1973)

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„Der Zeitpunkt dieser jetzigen Veröffentlichung war dadurch bestimmt, daß der erste Band in ursprünglicher Fassung nahezu vier Jahre der Kritik vorlag  –  ein insofern abgeschlossener Zeitraum, als er nunmehr, nach Erscheinen auch des zweiten Bandes, in veränderter, endgültiger Gestalt nachfolgen soll und damit einer späteren Kritik auch eine veränderte Basis bieten wird. Für diese kommende kritische Leistung soll die hier vorliegende Durchmusterung der Kritiken des ursprünglichen ersten Bandes eine Vorarbeit und eine Forderung bedeuten. Vollständigkeit des Materials (im Sinne der Spenglerbiographie) ist nirgends angestrebt. Im Gegenteil schien uns unser Versuch nur dann berechtigt, wenn es ihm gelingen sollte, aus dem Chaos der bsiherigen Kritiken für seine bestimmten Zwecke eine prinzipiell fortschreitende Auswahl zu treffen, deren Wert auch nicht in der Erschöpfung einer einzelnen Kritik, sondern nur in der möglichst übersichtlichen Vertiefung der kritischen Frage selbst zu liegen hätte. Demgemäß versuchen die drei Teile dieser Schrift schon eine Stufenfolge aufzustellen je nach Sachinhalt und Herkunft der Kritik, so daß zugleich sich das Interesse der verschiedenen Leserkreise seinem eigentümlichen Gebiet zuwenden kann: dem Literarisch-Kritischen, dem Einzelwissenschaftlichen oder dem Philosophisch-religiösen; bezw. dem geschichtsphilosophischen Inhalt und der Antwort der Kulturschiftsteller (I. Teil), der kulturphilosophischen Formfrage der einzelwissenschaftlichen Fachkritiker (II. Teil) oder dem kulturmetaphysischen tieferen Hintergrund und seiner Kritik durch die Philosophen und die Theologen (III. Teil).“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (Vorwort), 1922, S. V-VI

„Das geschichtsphilosophische Gebiet im weiteren Sinn, zu dem das Werk SPENGLERS, zu rechnen ist, hat sich von je als Kreuzungsstelle und Gestaltungsort der Haupttendenzen des geschichtlichen Werdens erwiesen, insofern diese von den Mitlebenden als Forderung oder als kritische Erkenntnis ausgesprochen worden sind. Diese Bewußtwerdung des Zeitinhalts kann in verschiedener Formung vor sich gehen: vom Werk des großen Genius, das als reife Frucht, voll Tradition gesättigt, die Summe ganzer Generationsreihen zieht, (wie die Hochgipfel des philosophiegeschichtlichen Prozesses PLATO-ARISTOTELES, KANT-HEGEL oder die ganz andere und doch ähnlich bedeutsame Erscheinung AUGUSTINS) bis zu dem anderen Extrem der einzelnen Kulturpfadfinder und Spürgeister, wie sie die Bruchzonen der kritischen Wendezeiten ahnungsvoll und isoliert begleiten. ROUSSEAU oder NIETZSCHE sind hier überragende Beispiele eines Typus, der sich in Abstufungen bis zur täglichen Gegenwartskritik feinfühliger, doch nicht mehr eigentlich philosophischer Schriftsteller verliert. Inmitten beider steht die eigentliche Wissenschaft in ihren verschiedenen Gruppen und Schulen, in ihrer systematischen, fachlichen Arbeit unersetzlich wertvoll, mit den beiden anderen Formen mannigfach verbunden und doch prinzipiell von ihnen immer wieder scharf geschieden. Auch hierin spiegelt sich die dreistufige Unterscheidung unseres Vorwortes entsprechend wider.“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (I. Teil [Inhaltsfrage]; Einleitung [Geschichtsphilosophisch-inhaltliche Einstellung]), 1922, S. 1

„Robert MUSILS »Geist und Erfahrung« (im Neuen Merkur) und Alfred BAEUMLERS »Metaphysik und Geschichte« (in der Neuen Rundschau). Unter sich freilich noch sehr verschieden, haben sie ihren besonderen Wert in der scharf formulierten prinzipiellen Klarheit, mit der sie die außerwissenschaftliche, intuitive, künstlerische Deutung und Bedeutung Spenglers in ihrer begrenzten Eigenart hervorheben. Insonderheit die zweiten Hälften dieser beiden Aufsätze sind wiederholten Studiums wert. Der Unterschied von rationalem, hauptsächlich begriffiichem Erkennen und weit allgemeinerem, anschaulichem Erleben, der als Lieblingsthema alle Spenglerschen Darlegungen durchzieht, wird hier sehr fruchtbar untersucht und in seinen Bedingungen beleuchtet. Von R. MUSIL mehr impressionistisch, geistvoll (manchmal überspitzt entgleisend), von A. BAEUMLER strenger wissenschaftlich, in geschichtsphilosophischer Tiefe, gegen mystische Metaphysik eine heroische »regulative Idee« unseres historischen Bewußtseins fordernd. »Schopenhauerscher Metaphysik zum Trotz hat selbst Spengler die Welt als Geschichte gesehen. Es ist etwas Großes in dem Blick, den er auf das historische Geschehen richtet. Auch auf dem Gesamtaspekt seines Buches ruht trotz allem ein Schimmer dessen, was Pflicht unseres Denkens ist: von der Aufgabe einer Erkenntnis des Sinnes der Geschichte. .... Aber um die geschichtliche Welt als ,Leben im Licht des Gedankens‘ betrachten zu können, bedarf es nicht einer Metaphysik, sondern einer Logik des geschichtlichen Seins« (N. Rundschau, S. 1128). Spenglers Widerspruch: Sätze mit wissenschaftlichem Geltungscharakter aufzustellen, die betontermaßen nicht auf wissenschaftlichem Wege gefunden sind, oder »die Wissenschaft als ästhetisch-historisches Phänomen von der Wissenschaft selber aus zu betrachten«, was von BAEUMLER als die »trübe Mischung« einer unklaren Einstellung nachgewiesen wird, verzerrt und übersteigert Musil bis zu dem »klinischen Bild des durch übermäßigen, fortgesetzten Intuitionsgenuß erweichten Geistes, Schöngeistes unserer Zeit«. Aber auch er betont klar jenen prinzipiellen Unterschied, ob »je nach dem Gegenstand entweder die Begriffiichkeit oder der fluktuierende Charakter des Erlebnisses die Hauptsache am Gedanken ist«, und weiß, daß hier im zweiten Fall jene »um den belanglosen Begriffskern gelagerte Wolke von Gedanke und Gefühl« ein stärkstes geistiges Erlebnis unerkennbar und nur intellektuell umschrieben übermitteln kann, »das man sich menschlich aneignen, aber nur in intellektuellen Umschreibungen wieder ausdrücken kann« und das »man nur soweit versteht, ls man sich ähnlicher Erlebnisse erinnert«. »Den Philosophen liegt die Erforschung der Methodik eines Gebiets nicht recht, dessen Tatsachen in Erlebnissen bestehen, die den meisten von ihnen nicht in der nötigen Mannigfaltigkeit bekannt sind. .... Ich bewundere den leidenschaftlichen Vorsatz, der die ganze Weltgeschichte in neue Denkformen pressen will. Daß es nicht gelingt, ist nicht nur Spenglers Schuld, sondern liegt auch an dem Mangel jeder Vorarbeit.« (N. Merkur, S. 850).“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (I. Teil [Inhaltsfrage]; 2. Kapitel [Weiterdeutende Allgemeinkritiken]), 1922, S. 21-22

„Nur ein Schritt noch scheint es hier zu sein zu der umfassenden geistestheoretischen Stellung, die die Widersprüche Spenglers von ihrem Niveau aus überschauen und auflösen könnte, um so seinen Schwächen wie auch seinen Stärken gleichermaßen verstehend gerecht zu werden. Aber dieser Schritt  –  der zugleich den Zusammenhang einer Metaphysik und Logik der Geschichte andeutend erschließen würde  –  wird hier noch nicht getan. Vor allem deshalb, weil der Blick einseitig auf den Schwächen Spenglers haftet, statt zum Ziel des von ihm angestrebten Ganzen vorzudringen. Darum gleiten auch diese bedeutend einsetzenden und verheißungsvollen kritischen Versuche alsbald wieder ab, um sich in negative Zwischenbemerkungen zu verlieren. Freilich ist hier auch das Fundament der einzelwissenschaftlichen Beurteilung noch nicht gelegt und von den Kritikern auch gar nicht angestrebt: Doch der erforderliche, philosophisch weite Horizont öffnet sich hier bei ihnen, vor allem in dem tiefdringenden Aufsatz BAEUMLERs und erweckt darum die Sehnsucht nach Vertiefung und Erfüllung dieser Tiefe von dem Ganzen aus. Hier ist gewissermaßen schon zum erstenmal die Aussicht frei auf Art und Anstiegsroute des noch zu ersteigenden kritischen Gipfels, der vor unsliegt und zu dem wir freilich erst noch über rauhe Grate und Täler der Wissenschaften uns den Weg zu bahnen haben werden.  –  Aber diese einleitende Übersicht hat schon gezeigt, worauf es hier ankommen wird: Auf das Verständnis der spezifischen geistigen Eigenart des Spenglerschen Versuchs, dessen Bedeutung hinsichtlich seines Gesamtzieles durch »Einzelirrtümer noch nicht erschüttert wird. Zur Überwindung dieser letzteren ist die Beherschung auch der Wissenschaften notwendig, doch sie allein reicht zur Beurteilung des Zieles ihrerseits nicht aus. Hier muß die philosophische Kritik einstehen, wie sie SCHOLZ und SCHÜCK gefordert haben. Doch sie müßte, wie gesagt, im idealen Fall imstande sein, den inneren Zusammenhang von Form und Inhalt der Spenglerschen Kulturlehre zu begreifen  –  vielleicht klarer zu begreifen als er selbst; das bedeutet keine Paradoxie fur die Kritik. Damit würde auch die inhaltliche Rückanwendung seiner Kulturschau auf die Gegenwart (von uns das »geschichtsphilosophische« Problem genannt und äußerlich in die Untergangsprophezeiung eingekleidet) eben aus ihrem formalen Wesen und ihrer Struktur heraus endgültig zu erklären sein. Davon ist, wie gezeigt, bis jetzt noch keine Rede. Vielmehr zerfallen auch die besten der bisherigen Versuche darum nach diesen zwei Seiten wieder getrennt auseinander. Auch die methodisch gerichtete Kritik von BAUMLER oder MUSIL enthält jene beiden Seiten nur getrennt (und darum negativ) nebeneinander: die Einsicht in die zunächst noch außerwissenschaftlich scheinende Betrachtungsart und die demgegenüber selbständige Ablehnung der Zukunftsprophetie, die ethisch und logisch verworfen, doch in ihrer wahren Herkunft und ihrem Zusammenhang noch nicht ergründet wird.“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (I. Teil [Inhaltsfrage]; 2. Kapitel [Weiterdeutende Allgemeinkritiken]), 1922, S. 22-23

„Jenes Nebeneinanderstehen des (kultur-)philosophischen und des prophetischen Momentes prägt sich noch einmal förmlich vorbildlich in den vier Absätzen der ausgezeichneten Kritik von Erich FRANZ („Die Hilfe“ 1920) aus: Spenglers Prophetentum, Spengler als Philosoph; und die Kritik des Untergangspropheten und des Kulturphilosophen. Fast jeder Satz hiervon  –  vielleicht das Beste, was je über Spengler gesagt wurde  –  kann nur unterschrieben werden, und doch bleibt auch hier das Letzte, Wichtigste und Eiegentlichste (des begründeten Zusammenhangs) noch ungesagt. Und ganz dieselbe Erfahrung machen wir bei dem wertvollen Gegenstück, der inhaltlich gerichteten Kritik von Gräntz (»Spengler und Goethe«, Westerm. Monatsh. 1921), die »in dem metaphysischen Charakter des Spenglerschen Buches seine eigentliche Bedeutung« sieht und seiner »Metaphysik des Organismus« nachzugehen versucht. Die wesentlichen Gedankengänge dieser letzteren werden wir noch ausführlich kennen lernen, ebenso wie auch die Mißverständnisse (*), die ihre biologistische Auffassung nach sich zieht. (* Am lehrreichsten H. KLINKENBERG, »Zur Kritik der ,organischen‘ Geschichtsauffassung O. Spenglers«, Köln. Volkszeitung, 19.01.1922, Charakteristisch der Verdammungsspruch des Biologen REINKE, der (im »Roten Tag«, Nr. 18, 1922) nach Anrufung Benedetto CROCEs den Erfolg Spenglers »ein beschämendes Zeugnis für unseres Volkes Urteilskraft« nennt. Vgl. Teil II, 3. Kap. Schlußanm.Verdammungsspruch des Biologen REINKE, der (im »Roten Tag«, Nr. 18, 1922) nach Anrufung Benedetto CROCEs den Erfolg Spenglers »ein beschämendes Zeugnis für unseres Volkes Urteilskraft« nennt. Vgl. Teil II, 3. Kap. Schlußanm.) Hier dient uns GRÄNTZ nur als das letzte und weitestgehende Beispiel einer Allgemeinkritik, die ausdrücklich nun auf das Zentrum der Spenglerschen Einstellung gerichtet ist und doch diesen zentralen Inhalt nicht derartig tief erfassen kann, daß aus ihm seine notwendige Form (der Kulturanschauung) ersichtlich würde  –  das Widerspiel zu BAEUMLER und R. MUSIL, die von der Formfrage auszugehen versuchen. GRÄNTZ sieht sehr wohl den prinzipiellen Unterschied, der Spenglers Tiefe im historischen Schicksalsbegriff z. B. von der Flachheit der naturalistischen Gesetze LAMPRECHTs oder BREYSIGs trennt, aber sein Schlußurteil nennt doch Spenglers Buch einen »seltsamen Zwitter von künstlerisch intuitivem und von rationalistischem Geist  –  da beide in dieser Mischung sich nicht miteinander vertragen, trotz tiefer Einblicke in Natur, Kunst und geschichtliches Leben, zu einem sich selbst zerstöremden Relativismus verurteilt. .... Es ist eine halbe, eine steckengebliebene Metaphysik«, oder eine »seltsame, apokryphe«, wie sie Erich FRANz nennt. Die »innere Unendlichkeit des Organismus«, die (wie Polarität und Steigerung) GRÄNTZ in Spenglers Metaphysik vermißt, könnte jedoch sehr wohl in ihr, trotz Spenglers anfechtbarer Darstellung, verborgen sein und (fern jeder biologistischen Mißdeutung) eben die Erlüllungsform des reifenden Kulturgedankens innerlich bestimmen.“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (I. Teil [Inhaltsfrage]; 2. Kapitel [Weiterdeutende Allgemeinkritiken]), 1922, S. 23

„Aber damit greifen wir freilich schon den Problemen unseres III. Teiles vor, und hier ist ja die Absicht, eben auf die Schranken und auf die Begrenztheit hinzuweisen, die den Allgemeinkritiken selbst noch anhaftet. Es sind bedeutende, beachtenswerte Leistungen darunter, deren beide Gruppen uns gezeigt haben, daß trotz der durchgängigen Ablehnung ein mannigfach gestaltetes Bewußtsein von der eigentümlichen Bedeutung Spenglers für und in der Zeit besteht, wenn auch noch ohne endgültige Klarheit. Es lehnt die äiußerliche Folgerung seiner Kulturlehre, den Abstiegs- oder Untergangscharakter unserer abendländischen Kulturperiode ab, doch noch nicht aus dem Quellpunkt dieser Lehre selbst heraus. Darum bleibt Spengler der bisherigen Kritik noch überlegen, die sein inneres Verhältnis zu der Zeit noch unterschätzt. Wie problematisch und fragwürdig seine Lehre sein mag, ihr Erfolg hat andere Gründe als den Zufall äußerer Zeitumstände und Modeströmungen. Nicht die naive Frage, ob Spengler »Recht hat« oder nicht, sondern seine Erscheinung selbst und ihre Wirkung auf die Zeit verlangen nach noch tieferer Erklärung, als sie die Kritik bisher geliefert hat. Sie hat ihn als den Ausdruck ihrer Problematik hingestellt, ohne den Grund hievon erschöpfend anzugeben. Charakteristisch dafür ist, daß die lehrreichste und bedeutsamste Vergleichung  –  die Spenglers und NIETZSCHEs, als repräsentierendes Zeitphänomen  –  bisher noch ausgeblieben ist (Wenn auch das Thema selbst natlürlich mannigfach kurz berührt worden ist. So von A. HORNEFFER (a. a. O.), K. BREYSIG (vgl. III. Teil); jüngst auch polemisch vou A. DIETRICH (»Wissenschaftskrisis« in der »Neuen Front«, Paetel Verlag, wobei die Zusammenstellung Marx, Spengler und ~Steiner schon genug sagt.) Endlich auch von Erich FRANZ (a. a. O.: »Die Hilfe« 1920, S. 363) »Spengler ist ein Bruder Nietzsches, übergeistreich, unruhig und von einem Selbstgefllhl, das weit über Sterbliches hinaussteigt. Die flutende Lava seiner leidenschaftlichen Empfindung aber ist umgeben von harter, fester Schale, gebändigt von der unheimlichen Ruhe einer lastenden Schwermut und kühlen Resignation. Das echte Werk einer müden zerissenen Zeit«.  –  Analog ein kurzer Hinweis in der »Paideuma«-besprechung Jakob SCHAFFNERS, Neue Rundschau, Dez. 21.) Denn Martin HAVENSTEIN, dessen Buch »Nietzsche als Erzieher« (S. Mittler, Berlin 1922) auf dieses Vergleichsthema in einem längeren Kapitel eingeht, kennt eigentlich nur erst den jungen NIETZSCHE der »Unzeitgemäßen Betrachtungen«. (**) So bleibt es bei z. T. treffenden Einzelbemerkungen (**) und Gegenüberstellungen des »Jasagers« und Überwinders und des fatalistischen Verneiners und tyrannischen Relativisten, ohne doch auch nur entfernt der Weite dieser Aufgabe gewachsen zu sein. (** "Nietzsche ist als Kritiker der Gegenwart Spenglers Vorläufer. .... Spengler ist der gefährlichste Kritiker, den Nietzsche bisher gefunden hat. Er hat, so scheint es, als Betrachter des Weltlaufs eine Höhe erstiegen, der Nietzssche wohl nahe gekommen war, ohne sie indes zu erreichen.« S. 166. »Sein ganzes Buch ist ein sich als Geschichte gebendes Bekenntnis der Verzweiflung an der europäischen Kultur der Gegenwart. Es ist ein Ausdruck  –  der großartigste Ausdruck jener alexandrinischen Glaubenslosigkeit und Unfruchtbarkeit, die Nietzsche bekämpfte und die Spengler selbst als unser Schicksal, als das Schicksal einer hinsterbenden Kultur hinstellt. .... Sein Auge ist rückwärts gewandt, nicht freilich romantisch träumend und schwärmend, sondern ruhig und klar blickend, aber doch mit jener tiefen Versenkung, Liebe und vergoldenden Kraft, die ihm der Gegenwart und Zukunft gegenüber so gänzlich fehlt. .... Seine echte Liebe gilt der Vorzeit. Ihr gehören seine schaffenden, bauenden Kräfte, an ihrem geistigen Wiederaufbau betätigt und befriedigt er das tiefste Verlangen des lebendigen Geistes, das der Nichtalexandriner in der gläubigen Mitarbeit am Bau der Zukunft befriedigt. Für diese aber hat er nichts übrig, da er sich der Vergangenheit gegenüber ausgegeben hat.« S.168.) BAEUMLER hingegen, der dazu imstande wäre, deutet sie in seinem besprochenen Aufsatz (Neue Rundschau, 1920, S. 1120. ) nur flüchtig an. Er bezeichnet Spenglers Versuch »als die historische Vollendung der Kritik der Dekadenz Nietzsches .... ,Untergang des Abendlandes‘ ist nur eine emphatische Umschreibung für den europäischen Nihilismus, von dem der letzte Nietzsehe sprach«, und er zitiert den letzteren selbst: »Mein Werk soll enthalten ein Gesamturteil über unser Jahrhundert, über die ganze Modernität, über die erreichte Zivilisation. .... Was ich erzähle, ist die Geschichte der nächsten zwei Jahrhunderte. Ich beschreibe, was kommt, was nicht mehr anders kommen kann: die Heraufkunft des Nihilismus.« Schon die Vorrede zum »Willen zur Macht«, der diese Stelle entnommen ist, enthält auch NIETZSCHEs Selbstbezeugung seiner Philosophie als der »Gegenbewegung« , die »in irgendeiner Zukunft jenen vollkommenen Nihilismus ablösen wird; welche ihn aber voraussetzt, logisch und psychologisch; welche schlechterdings nur auf ihn und aus ihm kommen kann.« In diesem Nihilismus sieht NIETZSCHE »die zu Ende gedachte Logik unserer großen Werte und Ideale« und bezeichnet sich als einen »Wahrsagevogelgeist, der zurückblickt , wenn er erzählt, was kommen wird ..., der aber den Nihilismus selbst schon in sich zu Ende gelebt hat,  –  der ihn hinter sich, unter sich, außer sich hat«. (Vgl, hierzu vor allem das ganze erste Buch des »Willens zur Macht«: »Der europiiische Nihilismus«; und das berühmte achte Hauptstück (»Völker und Vaterländer«, samt Nachlaß) von »Jenseits von Gut und Böse«, vielleicht NIETZSCHES genialstes Kapitel. Hier z. B. Aph, 242, 245, 250 förmlich »Spenglersche« Bezeichnungen (... »Civilisation ..., die demokratische Bewegung, ... die langsame Heraufkunft einer nomadischen Art Mensch«.  –  »Jener große Zwischenakt, jener Uebergang Europas von Rousseau zu Napoleon und zur Heraufunft der Demokratie«  –  »... in deren Nachschimmer heute der Himmel unserer europäischen Cultur, ihr Abendhimmel glüht  –  vielleicht verglüht.«) Berührung und polarer Gegensatz zu Spengler tritt hier klar hervor. Doch das Verhältnis ihrer Aufeinanderfolge erschöpft sich nicht in diesen Gegensätzen. Um es aus der Tiefe ihrer Zeitbedingtheit zu bestimmen, dazu reichen die bisherigen kritischen Mittel noch nicht aus. Wir stellen daher zunächst Spengler auch noch außerhalb dieser Vergleichung, als Erscheinung eigener Art und eigener Kraft, von eigenem Wert und eigener Fragwürdigkeit. In einer Zeit weitgehender Formauflösung und Um- und Neubildung steht dieser mächtige, gewaltsame und eigenwillige Versuch einer vielfältigen Kultur-Formordnung im Geschichtlichen, Politischen, Ästhetischen und Religiösen. Seine Gewaltsamkeit und Eigenart wächst aus dem Wurzelgrund der Zeit, und nur durch Aufgraben der untersten Gedankenschicht kann ihr Zusammenhang verstanden oder überwunden werden, nicht durch bloße Entgegensetzung irgendeiner anderen Meinung über unsere Zeit und Zukunft.“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (I. Teil [Inhaltsfrage]; 2. Kapitel [Weiterdeutende Allgemeinkritiken]), 1922, S. 23-26

„Ist es verwunderlich, daß nun auch Spengler seinerseits vom Leder zog und in den Preußischen Jahrbüchern antikritisch nach der andern Seite ordentlich daneben hieb? Sein polternder Artikel »Pessimismus?«, dem inzwischen eine ganze Presseflut kritischer Antworten gefolgt ist, zerschneidet ingrimmig das Tischtuch zwischen sich und aller Professorenwissenschaft. Nun liegt gewißlich Spenglers Stärke weder hier noch in »Preußentum und Sozialismus«, sondern in den beiden Bänden »Untergang«, und es war zu erwarten, daß der Witz der Kritiker sich keine schwache Stelle dieser Pessimismusschrift entgehen lassen würde  –  für den Kenner oft ein ergötzliches Schauspiel.“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (II. Teil [Formfragen]; Einleitung: [Kulturphilosophisch-wissenschaftliche Einstellung]), 1922, S. 30-31

„J. J. BACHOFENs mythengeschichtliche Werke (insonderheit sein »Versuch über die Gräbersymbolik der Alten«, Basel 1859, und »Das Mutterrecht«, Basel 1861), wissenschaftliche kaum genannt, in manchen Kreisen wie ein Heiligtum gehütet und verehrt, in neuerer Zeit auch von verschiedenen Seiten in ihrer Bedeutung steigend anerkannt, sind typisch für die Wirkung von solchen, selbst zwar nicht unwissenschaftlich, doch der Wissenschaft fremd bleibenden, wertvollen Kulturanschauungsgemälden. BACHOFEN hatte das Vermögen, durch die alten, von den Griechen überlieferten Mythen hindurch in eine graue Vorzeit der Kultur zu schauen, deren mythische und religiöse Inhalte er zu erleben fähig war. Dieser Erlebniswert durchleuchtet seine Schriften, unabhängig von der wissenschaftlichen Bestätigung. Sie scheint nun in der Tat nachträglich zuzunehmen. Doch auch wenn das Gegenteil wahr wäre, ja selbst wenn alle Resultate BACHOFENs als philologisch-wissenschaftlich falsch erwiesen würden, wäre sein einziger Wert darum doch nicht geringer. Er beruht auf dem ausnehmend seltenen Glücksfall, daß einem Menschen unserer späten Gegenwart die unvorstellbare Gewalt so früher Zeiten überhaupt zugänglich ist. Fremde Kulturinhalte in ihrer ganzen religiösen oder künstlerischen Wucht nicht zu verstehen, sondern zu erleben, ist etwas grundsätzlich anderes als ihre wissenschaftliche Erforschung. Je älter diese Inhalte sind, um so kostbarer und wertvoller wird eine derartige Gabe der Einfühlung in das abgründig Menschliche. Dazu gehört eine Ursprünglichkeit und Tiefe des Empfindens, die wiederum mit dem gleichfalls notwendigen Niveau der wissenschaftlichen Beherrschung und Umfassung jener Stoffe nirgends sonst zusammentrifft. Darum sind diese seherhaften Blicke und Ahnungen BACHOFENs seltsamen Erz- und Kristallfunden aus dem Bergschacht zu vergleichen, dessen Tiefe seither niemand mehr erreicht hat. Mag die Wissenschaft in der Erforschung der Kristallgesetze vielleicht weit über die ersten Deutungen des Finders selbst hinausgewachsen sein  –  um dieses Stück heraufzuholen, war eine ahnungsvoller Mut und eine gesitige, geheime innere Verwandtschaft nötig, die vielleicht nie wiederkehrt, da kaum je wieder eine Seele diesen mythischen Mächten der frühen Menschheit offen steht. »Die höchste Dichtung«, bekennt BACHOFEN, »schwungreicher und erschütternder als alle Phantasie, ist die Wirklichkeit der Geschichte. Größere Schicksale sind über das Menschengeschlecht hinweggegangen, als unsere Einbildungskraft zu ersinnen vermag. Das gynaikokratische Weltalter mit seinen Gestalten, Thesen, Erschütterungen ist der Dichtung gebildeter, aber schwächlicher Zeiten unerreichbar .... Noch mehr als bisher fühle ich den gewaltigen Gegensatz, der meine Betrachtungsweise des Altertums von den Ideen der heutigen Zeit und der durch sie geleiteten modernen Geschichtsforschung scheidet.« (Das Mutterercht, S. XIII).“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (II. Teil [Formfragen]; 1. Kapitel [Rationalität–Irrationalität]), 1922, S. 45-46

„Um ein charakteristisches Beispiel herauszugreifen, so findet sich der von NELSON (S, 189) aus Spengler zitierte (und von NELSON als Spenglerscher Unsinn hingestellte Satz, »daß die Entropie im Weltganzen beständig zunimmt«, wortwörtlcih bei niemand anderem als eben bei R. CLAUSIUS, der von NELSON selbst an dieser Stelle, zu Spenglers Belehrung, als der Schöpfer der Entropielehre mit Recht angeführt wird. .... Wir wenden uns hier nur gegen die Darstellung NELSONs, als sei dieser Satz das bloße Mißverständnis oder die Erfindung der Spenglerschen Ignoranz, wärend er doch in Wirklichkeit ein die Forschung antreibender, gefühlsbeladener Gedanke der ursprünglichen exakten Forscher und Gelehrten selber war. (Vgl. hierzu CLAUSIUS: »Abhandlungen über die mechanische Wärmelehre«, 1850, Band I u. II. Abhandlung VIII ..., S. 323: »In diesen Sätzen ... drückt sich eine allgemein in der Natur obwaltende Tendenz zur Veränderungen in einem bestimmten Sinne aus. Wendet man dieses auf das Weltall im Ganzen an, so gelangt man zu einer eigentümlichen Schlußfolgerung .... Wenn nämlich im Weltall fortwährend Fälle der Art vorkommen ..., so muß sich das Weltall allmählich mehr und mehr dem Zustande nähern, wo die Kräfte keine neuen Bewegungen mehr hervorbringen können und keine Temperaturdifferenzen mehr existieren ..., daß, obwohl nach dem, was man von der bekannten Welt sehen kann, sie einem solchen Endzustande zuzustreben scheint, wo alle physische Energie in der Form von strahlender Wärme gleichmäßig zerstreut, die Sterne erloschen sind, und alle Naturerscheinungen aufgehört haben, dennoch die Welt, wie sie geschaffen ist, möglicherweise in sich selbst die Mittel besitzen kann, ihre physischen Energien wieder zu konzentrieren«  –  und zwar, um diese Behauptung zu entkräften. Seine Abhandlung IX, Band II, S. 43, schließt mit dem Resultat, »daß, wenn man sich dieselbe Größe, welche ich in bezug auf einen einzelnen Körper seine Entropie genannt habe, in konsequenter Weise unter Berücksichtigung aller Umstände für das ganze Weltall gebildet denkt, und wenn man daneben zugleich den anderen, seiner Bedeutung nach einfacheren Begriff der Energie anwendet, man die den beiden Hauptsätzen der mechanischen Wärmetheorie entsprechenden Grundgesetze des Weltalls in folgender einfacher Form aussprechen kann: 1. Die Energie der Welt ist konstant. 2. Die Entropie der Welt strebt einem Maximum zu.«.)“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (II. Teil [Formfragen]; 3. Kapitel [Naturwissenschaftliche Kritiken]), 1922, S. 65-66

„Mit Recht ist einmal gesagt worden, daß in der mathematisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnis nur eine Erscheinung unerklärt bleibe: diese Erkenntnis selbst als geschichtliches und geisteswissenschaftliches Phänomen. Die Tatsache der Naturwissenschaft und Mathematik in ihrer Entwicklung ist ein geschichts- und kulturphilosophisches Problem. Eben von dieser Tatsache geht auch Spengler aus, nur daß er nicht methodisch klar in ihr verharrt, sondern sie ungenügend abgegrenzt auch in die Einzelinhalte der mathematisch-physikalischen Begriffsbildung hereinträgt, wo gerade die Besonderung und Übereinanderlagerung der sytematischen und »physiognomischen« Bedeutung die äußerste Vorsicht erfordert.“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (II. Teil [Formfragen]; 3. Kapitel [Naturwissenschaftliche Kritiken]), 1922, S. 67-68

„Die beiden Eckpfeiler des Buches (Band I; HB), das I. und IV. Kapitel, Mathematik und Physik, sind, wie gezeigt, fast unbeantwortet gebliebens (von Spenglers Kritikern; HB). Die mittleren vier, mit dem Einleitungskapitel, gehören der geisteswissenschaftlichen Welt an ....“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (II. Teil [Formfragen]; 3. Kapitel [Naturwissenschaftliche Kritiken]), 1922, S. 70

„Zugeich ist aber dieser geistes- und naturwissenschaftliche, methodische Widerstreit ein durchgängies Thema Spenglers, dessen Variation seinen Gedankenaufbau großenteils bestimmt und darum auch den übrigen Kritiken noch zugrunde liegt.“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (II. Teil [Formfragen]; 3. Kapitel [Naturwissenschaftliche Kritiken]), 1922, S. 71

„Der »geistes- und naturwissenschaftliche« Gegensatz (um eine abgekürzte Formel für ein vielverflochtenes Problemgewirr zu brauchen), der in der Gegenwart zumeist zu einer bloß methodischen Streitfrage abgeblaßt ist, deutet doch in Wirklichkeit auf eine so grundsätzliche Polarität zurück, daß alle einzelnen, sich wandelnden und wechselnden Gebiete seiner kulturellen Durcharbeitung der Betrachtung immer wieder nur verschiedene Seiten einer tieferen, gemeinschaftlichen Grundstruktur zu öffnen scheinen. ....  –  Die Berührungen, Durchkreuzungen und Überschneidungen, das Ineinanderlaufen und die Vertauschung der verschiedenen Wege möglichst klar zu durchschauen, ist eine Hauptforderung der kritischen Durchforschung und und Beurteilung der geistigen Kulturinhalte und ihrer Entwicklung.“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (III. Teil [Form-Inhaltsfrage]; Einleitung: [Kulturmetaphysisch-religiöse Einstellung]), 1922, S. 72

„Auch Spengler geht von einer methodologischen Gegenüberstellung aus (zusammengedrängt etwa in seinem Satz: »Die Morphologie des Mechanischen und Ausgedehnten, eine Wissenschaft, die Naturgesetze und Kausalbeziehungen entdeckt und ordnet, heißt Systematik. Die Morphologie des Organischen, der Geschichte und des Lebens, alles dessen, was Richtung und Schicksal in sich trägt, heißt Physiognomik.« (S. 135).“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (III. Teil [Form-Inhaltsfrage]; Einleitung [Kulturmetaphysisch-religiöse Einstellung]), 1922, S. 74-75

„Otto BRAUN: »Spenglers Buch ... ist das entscheidende Werk der Geschichtsphilosophie seit Heges Gemälde.«.“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (III. Teil [Form-Inhaltsfrage]; 2. Kapitel [Philosophische Kritiken]), 1922, S. 96

„Erst der wissenschaftliche Geist läßt die Bilder zu dem Ausdruck fester Gesetzmäßigkeit erstarren, die, hypostasiert, sich in ihrem jeweiligen Bereich als eine Welt für sich abkapselt, ohne Zugang zu den übrigen und zu dem Mutterboden, dem sie doch entstammt.“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (III. Teil [Form-Inhaltsfrage]; 2. Kapitel [Philosophische Kritiken]), 1922, S. 101

„Um zu beurteilen, wieweit der letzte hier erreichte Ausblick richtig ist, fügen wir nun als Schlußinstanz der Spenglerkritiken und als Schlußstein unseres Gewölbebogens, den Ertrag der Untersuchung von Karl HEIM an, die die Fragestellung GRÜTZMACHERs noch um einen bedeutenden Grad verinnerlicht und präzisiert hat und uns damit dann Gelegenheit gibt, die hier aufgezeigten Linien kritisch zu vereinigen.  –  Auch HEIM beginnt, wie GRÜTZMACHER (und wie schon GIRGENSOHN) mit der Unausgeglichenheit »in Spenglers Gesamtposition. Spenglers Gedankenwelt bewegt sich um zwei Pole, die im Gegensatz zueinander stehen. Der negative Pol ist die kopernikanische Tat, auf deren Bedeutung Spengler immer wieder zurückkommt, die Befreiung der Geschichtswissenschaft von der perspektivischen Schranke, vom zufälligen Standort des menschlichen Betrachters.« Es ist der skeptische, relativistische Historizismus.  –  »Der positive Pol ist der Schicksalsgedanke, die Entdeckung eines neuen, dem kausalmechanischen, mathematisch-physikalischen Weltbild völlig entgegengesetzten Aspekts der Wirklichkeit; der Versuch, dieses lebendige, organische, dichterisch-künstlerische Innenbild der Wirklichkeit dem kausalmechanischen Weltbild nicht nur als gleichberechtigt gegenüberzustellen, sondern es ihm überzuordnen. In diesem schicksalshaften Ureindruck vom Weltgeschehen, wie ihn ,der frühe Mensch‘ noch hat ,und unter den späten alle wahrhaft bedeutenden, der Gläubige, der Liebende, der Künstler, der Dichter‘, liegen die verborgenen Quellen, aus denen Spengler die ethischen Kräfte schöpft, um die erschlaffenden Wirkungen seines geschichtsphilosophischen Relativismus zu überwinden.  –  Wenn wir zu Spengler Stellung nehmen wollen, müssen wir den beiden Gedanken, die bei ihm miteinander ringen, bis in ihre letzten Wurzeln nachgehen und dann versuchen, die Spannung zu lösen, die zwischen ihnen besteht.“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (III. Teil [Form-Inhaltsfrage]; 3. Kapitel [Theologische Kritiken]), 1922, S. 128-129

„Heim geht nun in der Tat am weitesten zurück in der Verfolgung dieser zwei grundsätzlichen Gedankenschichten, wenngleich seine Stärke sich nur in der einen Schicht wirklich entfalten kann. Die erste, der geschichtsphilosophische und historische Relativismus Spenglers wird von HEIM als »späte Frucht der Hegelschen Geschichtsbetrachtung« zwar in weitere Zusammenhänge eingeordnet, deren Deutung uns bei aller Tiefe doch nicht durchweg richtig scheint. Zu »dem großen Glauben Hegels: es ist der Geist, der sich den Körper baut« führt wohl der Spenglersche Kulturseelenbegriff zurück, dessen Verwirklichung »ein tiefinnerlicher Kampf um die Behauptung der Idee gegen die Mächte des Chaos nach außen, gegen das Unbewußte nach innen« ist; doch der historische Relativismus Spenglers kann in diesem Sinn nicht als »letzte Konsequenz der geschichtsphilosophischen Methode Hegels« oder als Vollendung und Durchführung von Hegelschen Ansätzen bezeichnet werden. (HEIM-GRÜTZMACHER, »Osw. Spengler u. d. Christentum«, S. 19: »Spenglers Buch ... als relativistische Vollendung der Hegelschen Geschichtsphilosophie, als konsequente Durchführung der biologlschen und morphologischen Auffassung der Kulturgeschichte, die im Keim schon bei Hegel vorhanden war«, enthält eine u. E. zu unzulängliche und einseitige Formulierung der Bedeutung HEGELs, ebenso einseitig wie ihr Gegenspiel, der jüngste programmatische Versuch, »Hegel ins Transzendentalphilosophische umzuschreiben« in der äußerst problematischen, doch sehr bedeutenden Studie H. GLOCKNERS : »Die ethisch-politische Persönlichkeit des Philosophen. Eine prinzip. Untersuch. z. Umgestalt. d. Hegelschen Geisteswelt« [Tüb. 1922. Ein Richtiges treffender, doch sehr mißverständlicher Titel).  –  Wir können hier dieser Gedankennebenlinie nicht weiter nachgehen. Manche Ergänzung bringt das soeben erscheinende Buch K. LEESES, »Die Geschichtsphilosophie Hegels« (Furche Verl. Berlin 1922), seit F. ROSENZWEIGS schönem zweibändigem Werk »Hegel und der Staat" (München 1920) wohl die wertvollste und wichtigste Neuerscheinung der aufstrebenden deutschen Hegelliteratur, da es bereits die neue Lassonsche Ausgabe der »Geschichtsphilosophie« benützen konnte. In seiner Parallele Hegel-Spengler freilich (S. 92-105) bleibt er hinter HEIM zurück. Er sieht in Hegels Geschichtsphilosophie die teilweise Erfüllung der Spenglerschen Postulate (und sieht andrerseits sehr richtig »die pluralistische Denkart Spenglers im Gegensatz zur monistischen Hegels«. Treffend erklärt er: »Die ,Seele‘ Spenglers ist nicht der ,Geist‘ Hegels«, um schließlich aber doch in das hier schon mehrfach erörterte biologische Mißverständnis einzumünden (S. 104): »Spengler fühlt das Menschenschicksal als Pflanzenschicksal. Spengler fühlt naturalistisch, um nicht zu sagen materialistisch, während Hegels Denken in religiösen Tiefen verwurzelt ist.« Andererseits S. 100: »Spenglers Programm einer allumfassenden Phänomenologie und Physiognomik der Kulturen, seine Forderung, ... die morphologischen Verwandtschaften zu erforschen, hätte Hegel nicht nur gebilligt, er hat sie selber erhoben und, so gut er bei dem damaligen Quellenmaterial vermochte, auch durchgeführt. Daß nach einem Jahrhundert historischer Forschung Spengler diese Aufgabe in noch umfassenderem Sinne als Hegel aufgerollt ..., vermag Hegels Verdienst nicht in den Schatten zu stellen, sowenig Spenglers Verdienst durch den Hinweis auf Hegel bestritten werden kann.“) Doch HEIM selber legt auf diese Seite des gedanklichen Gegensatzes kein sonderliches Gewicht. Sein eigenstes Gebiet ist erst die andere Seite, die des metaphysischen, prophetischen Schicksalsgedankens, des »Ureindrucks der Wirklichkeit«, der auch »uns Menschen eines späten, von naturwissenschaftlicher Weltbetrachtung gesättigten Zeitalters wieder jenes ehrfürchtige und gläubige Verhältnis« möglich machen müßte, in bezug auf welches HEIM sogar sagen zu dürfen glaubt: »Spenglers große Bedeutung liegt darin, daß er uns in dieser tiefsten Not der Gegenwart etwas zu sagen hat. .... Er hat einen Gedanken ausgesprochen, der unendlich weit über Kant und Hegel und den ganzen deutschen Idealismus hinausgeht, einen Gedanken, der uns in der Tat, sobald wir ihn in seiner Tiefe erlassen, über den toten Punkt des Relativismus hinwegbringt, bei dem wir jetzt auf allen Gebieten angelangt sind.« (A. a. O. S. 21).“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (III. Teil [Form-Inhaltsfrage]; 3. Kapitel [Theologische Kritiken]), 1922, S. 129-131

„Es ist das Grundproblem seines eigenen kampfzerwühlten Denkens von dem Jugendwerk (*) bis zu den großen Schlußkapiteln seiner »Glaubensgewißheit« (**) -, das er hier bei Spengler in dem Versuch wiederfindet, dem äußeren Weltaspekt »des Erstarrungszustandes des Gewordenen« das aus der »Weltsehnsucht« geborene, schicksalshafte Innenbild der Wirklichkeit »im feuerflüssigen Zustand des Werdens« überzuordnen. (* »Das Weltbild der Zukunft«, S, 297: »Jene relativistische Betrachtung der Dinge, in der sich das unentschiedene Stadium des Uebergangs zur Entscheidung spiegelt, und diese absolute Position, in der die Entscheidung selbst ihre Allmacht dekretiert, stehen miteinander in Spannung. Diese Spannung ist normal. Denn sie ist das Leben. Sie wird um so prachtvoller, je mehr in einer Persönlichkeit die volle Glut des Glaubens und die volle Leidenschaft des Gedankens sich die Wage halten.«) (** »Glaubensgewißheit«, S. 183-189: »Die Schicksalsfrage ist nicht erst durch menschliche Bedürfnisse erzeugt. Die Spannung zwischen Schicksal und Reflexion ist in den fundamentalen Voraussetzungen der Wirklichkeit selbst begründet. Niemand kann darum dem Problem aus dem Wege geben, das in dieser Spannung enthalten ist. Es ist ein kosmisches Problem.« »Die erste Gesamtauffassung ist der Standpunkt der Reflexion, die von der irrationalen Wirklichkeit abstrahiert. .... Die zweite Gesamtauffassung ist der Standpunkt des Schicksals, der von den Möglichkeiten absieht, die ,an sich‘ vorhanden wären, und sich auf den Boden der irrationalen Tatsächlichkeit stellt. .... In diesem Ringen zwischen zwei Gesamtanschauungen, die, theoretisch betrachtet, beide gleich möglich sind, sind alle Probleme der Weltanschauung zusammengefaßt. Von der Entscheidung dieses Kampfes hängt die Antwort ab auf die Frage nach dem Sinn des Daseins. Solange ich mein Schicksal reflektierend von außen betrachte, erscheint es mir wie ein sinnlos berausgegriffenes Glied aus einer Reihe von Möglichkeiten. Sobald ich es aber von innen sehe, geht mir seine innere Notwendigkeit auf ....« –  »Das Weltgeheimnis schließt sich uns nur dann auf, wenn wir diese verborgene Innenseite der Wirklichkeit ins Auge fassen, die majestätischen Ursetzungen und unverrückbaren Grundsteine, die die Erfahrungswelt tragen. .... ,Nach innen führt der geheimnisvolle Weg‘. Wir müssen in das Zentrum des Erfahrungsbildes eindringen, uns in den überkausalen Schöpfungsakt versenken, dem unser eigenes Ich in seiner bestimmten raumzeitlichen Stellung sein Dasein verdankt. Dann tut sich uns der Schacht auf, der in die Herzkammer der Welt führt. Aus dieser Wertung der Schicksalssetzungen ergibt sich aber eine neue Auffassung des gesamten Weltgeschehens. .... Das innerste Wesen des Weltprozesses ist nicht Natur, sondern Geschichte. .... Für die geschichtliche Betrachtung sind diese energetischen Aequivalenzverhältnisse, die die exakte Naturwissenschaft untersucht, etwas Nebensächliches. Sie sind nur die äußere Erscheinungsform des Weltgeschehens. Der innere Kern des Gesamtgeschehens liegt in jenen Schicksalsgebilden beschlossen. In diese können wir nicht durch Berechnung und exakte Beschreibung des wechselnden energetischen Kleides eindringen, in dem sie durch die Zeiten gehen, sondern nur durch Intuition und kongeniale Vertiefung in den eigenartigen Gehalt jener Ursetzungen.«  –  Vgl. hierzu auch die [von ganz anderer Seite her] tiefdringenden Kapitel Vll und X von Ludwig KLAGES’ Studie »Vom Wesen des Bewußtseins« [Leipzig 1921. S, 49 u. 84. »Was er webt, das weiß kein Weber«], sowie vor allem TROELTSCHS bedeutsames Schlußwort in seiner Ausführung zu SCHELER über die zu fordernde Intuitionsmetaphysik des inneren Werdestroms [Schluß unserer Anm. S. 121].) Was er (Heim; HB) dabei an ihm (Spengler; HB) aussetzt, ist die kontemplative Zurückbiegung dieses letzteren in den Aspekt des bloß Zuschauenden (statt des gläubigen Handelnden). »Wie finden wir die Kraft, zu unserem Schicksal Ja zu sagen, die Last einer erdrückenden weltgeschichtlichen Bestimmung zu tragen und auch dem Untergang einer ganzen Kultur mit erhobenem Haupt und starkem Herzen entgegenzugehen? Das ist offenbar nur möglich, wenn wir das Wort ernst nehmen, das Spengler als höchsten Ausdruck für die bildgewordene Idee der Notwendigkeit des Schicksals bezeichnet, nämlich das Wort Gott. Die Vorstellung von Gott entsteht nach Spengler ebenso notwendig wie die Zahl. .... Der Gottesglaube ist der reine Ausdruck jedes kraftvollen Seelentums von seiner Jugend an bis zu seiner Mittagshöhe. Die Weltangst und die Weltsehnsucht nehmen im Urstadium immer den religiösen Ausdruck an: Gott fürchten und lieben. .... Neben diesen religiösen Ausdruck des Lebensgefühls tritt das kausal-mechanische Weltbild als zweiter Niederschlag derselben Kulturseele. Solange der Höhepunkt der Kultur noch nicht überschritten ist, bestehen beide Weltaspekte in gleicher Stärke nebeneinander. Die Seele hat noch die Kraft, die beiden ,Formensprachen‘, die sich ,niemals zur Einheit verbinden‘ lassen, die Spannung zwischen beiden Weltbildern, die nicht miteinander verwirrt werden dürfen, zu ertragen, ja beide in ihrem Gegensatz zu einer Einheit zusammenzuschauen. .... Erst wenn sich der Zerfall einer Kultur ankündigt, beginnt als Alterserscheinung der Zweifel an Gott, d. h. das Überlagert- und Erdrücktwerden des ,astrologischen‘ Weltaspekts durch den mathematisch-physikalischen. .... Sobald aber die greisenhaft gewordene Kulturseele ins Grab gesunken ist, um einer neuen Offenbarung des Urseelentums Platz zu machen, erlebt auch der Gottesglaube wieder einen neuen Frühling.  –  Spengler schildert dieses periodische Aufblühen und Verwelken des Gottesglaubens als neutraler geschichtsphilosophischer Zuschauer. .... Allein hier ist der Punkt, wo diese göttlich uninteressierte Geschichtsbetrachtung an der Grenze ihrer Durchführbarkeit steht. Denn praktische Neutralität gegenüber Gott bedeutet Verneinung Gottes. .... Dann ist offenbar die eigentümliche Stellung unhaltbar, die Spengler der ,gläubigen Intuition‘ gegenüber einnimmt, wenn er sie als Blüte des zur höchsten Entfaltung gekommenen Seelentums wertet. Er muß entweder hinter diese Wertung wieder zurückgehen auf die von ihm überwundene Stufe des sensualistischen Illusionismus, oder er muß noch um einen Schritt darüber hinausgehen.« (A. a. O. S. 29, 30).“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (III. Teil [Form-Inhaltsfrage]; 3. Kapitel [Theologische Kritiken]), 1922, S. 131-133

„Diesen Schritt über jede (Hegelsche oder Spenglersche) Geschichtsphilosophie hinaus macht nach HEIM erst S. KIERKEGAARD mit seiner letzten, innersten Vergeistigung des Gegensatzes zur Dualität des Weltbildes der »Objektiven«, »die das Weltgeschehen so sehen, wie es losgelöst von ihrer eigenen Existenz aussieht« und jenes Innenbildes eines Kierkegaardschen »Glaubens«  –  »Innewerden des Weltgeheimnisses durch eine uneudlich um ihr ewiges Schicksal bekümmerte Subjektivität. Spengler sieht das Schicksal nur in der Nichtumkehrbarkeit der Zeit. Diese schicksalshafte Setzung des Jetzt läßt sich aber gar nicht loslösen vom Bewußtsein der eigenen Existenz, die ebenso unerbittlich und unwiderruflich gesetzt ist, wie das Jetzt. Die Nichtumkehrbarkeit der Zeitrichtung steht in engem Zusammenhang mit der Nichtumtauschbarkeit des Ich, d. h. mit der Unmöglichkeit, das eigene Ich mit dem Ich irgendeines anderen zu vertauschen. Spengler erwähnt an einer bedeutsamen Stelle das Zeitgefühl Augustins. .... Aber dieses mystische Zeitgefühl Augustins hängt eng zusammen mit seiner Ehrfurcht vor dem unerklärlichen Empfang der eigenen Seele. In te anime meus, tempora metior. (In dir, mein Geist [meine Seele], messe ich die Zeiten; HB]). Beides läßt sich nicht voneinander loslösen, die Unmöglichkeit, den Jetztpunkt nach rückwärts zu verschieben und die Unmöglichkeit, sich selbst loszuwerden. .... Deum et animam scire cupio. Nihilne plus? Nihil omnino. [Gott und die Seele begehre ich zu erkennen. Nichts anderes? Überhaupt nichts; HB].« (A. a. O., S. 36. Unwillkürlich schweift hier die Erinnerung zu einem quälend grüblerischen, echten religiösen Metaphysiker unserer Zeit: O. WEININGER.  –  Zu dem hier berührten Geheimnis der Individuation vgl. auch die tiefsiunigen Variationen der Seite 178 von HEIMS »Glaubensgewißheit« über das Thema: »Die Ursetzung des Schicksals liegt außer der Zeit. Sie ist in jedem Punkt der zeitlichen Entwicklung gleich gegenwärtig. [An einer überzeitlichen Setzung, die auf den Zeitstrom projiziert ist, haben alle Elemente des Zeitstroms gleichen Anteil.] Die Urentscheidung fällt in jedem Augenblick. An dieser überzeitlichen Setzung habe ich aber selbst unmittelbaren Anteil. Denn auch mein Ich und der jetzige Augenblick, in welchem ich meine Entscheidung treffen muß, stammt aus derselben überzeitlichen Quelle. .... In jedem Wollen nehm ich teil an dem überkausalen Schöpfungsakt, in welchem eine Ordnung der Dinge aus einer Flille anderer Möglichkeiten auserkoren wird.«)“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (III. Teil [Form-Inhaltsfrage]; 3. Kapitel [Theologische Kritiken]), 1922, S. 133-134

„Von hier aus fordert nun HEIM auch für die Spenglersche Kulturbetrachtung die letzte Synthese: Auch für sie muß »zum Außenbild das Innenbild hinzutreten. Dieses schließt sich nur dann auf, wenn die Zeitrichtung des Weltgeschehens nicht nur in ihrer tragischen Nichtumkehrbarkeit gefühlt, sondern auch auf die ebenso unverrückbar gegebene eigene Existenz bezogen, also als persönliches Innenschicksal in seinem tiefen Sinn visionär erfaßt wird. Für diesen Aspekt schließt sich dann das, was die Morphologie der Weltgeschichte in einzelne voneinander unabhängige Kulturperioden zerlegt, wieder zu einem Organismus zusammen, dessen Seele Gott ist, in dem darum jedes Glied im Lebenszusammenhang des Ganzen seinen notwendigen Sinn hat. Von diesem Standpunkt aus gesehen hat also Hegel gegen Spengler wieder Recht, wenn er glaubt, im Geist könne nichts verloren gehen; auch das Untergegangene bleibe ewig in ihm aufgehoben. .... In einem wachsenden Organismus gibt es keinen absoluten Untergang. .... Erst wenn wir diese letzte Konsequenz ziehen, ist die lähmende Wirkung überwunden, die der Gedanke an den Untergang des Abendlandes ausübt. Was von außen wie eine sinnlose Aufeinanderfolge aufblühender und verwelkender Vegetationen erscheint, das ist dann von innen gesehen eine zusammenhängende Kette von Schöpfungsakten Gottes.« (A. a. 0. S. 37, 38).“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (III. Teil [Form-Inhaltsfrage]; 3. Kapitel [Theologische Kritiken]), 1922, S. 134

„An dieser höchsten von der bisherigen Spenglerkritik erreichten Stelle ist sehr lehrreich eine Korrektur des Spenglerschen Gedankenbaues zu beobachten, mit der sein eigentlichster Sinn der Kritik wieder zu entgleiten droht. Dies wird an dem jüngsten Aufsatz HEIMS (*), vielleicht seinem bedeutendsten, noch klarer, weil hier jene Korrektur (das ins Metaphysische überhöhte Gleichgewicht der beiden Weltaspekte durch die Überordnung eines von ihnen zu ersetzen) fast vermieden ist, bezw. doch die Möglichkeit ihrer Vermeidung wenigstens aufleuchtet. (* »Gedanken eines Theologen zu Einsteins Relativitätslehre«. Zeitschr. f. Theol. u. Kirche XXIX,. S. 330. Hier ist die merkwürdige Tatsache zu buchen, daß der geisteswissenschaftlich bedeutendste Beitrag zu der allgemeinen  –  (nur mit dieser haben wir uns hier selbstredend zu beschäftigen)  –  Einsteinliteratur von einem Theologen stammt. EINSTEIN, der wohl am richtigsten nicht eigentlich als Mathematiker, sondern als einer der genialsten schöpferischen (die mathematischen Hilfsmittel ebenso genial beherrschender) Erschauer und Neuordner mathematisch-physikalischer Prinzipien- und Theorienbildung zu bezeichnen ist, ist selber philosophisch ganz uninteressiert, woraus er nie ein Hehl gemacht hat. Andrerseits wuchert bekanntermaßen in der allgemeineren Einsteinliteratur der philosophische Dilettantismus grauenhaft. Wie Leuchttürme über der Flut stehen hier überragend die philosophischen Meisterschriften von M. GEIGER (Halle 1921) und vor allem E. CASSIRER (Berlin 1921). Wenn wir ihnen hier ergänzend HEIMS Aufsatz zur Seite stellen, so geschieht es wegen seiner tiefen Auffassung der geisteswissenschaftlichen Bedeutung und Auswirkung jener Theorie. Die Eigenart seiner theologischen Einstellung ... beeinträchtigt weder Richtigkeit noch Schärfe seines Urteils, so fremdartig es für die Naturwissenschaft auch klingen mag.  –  Diese so schwer übersteigbare Mauer der verschiedenen Begabung zeigte sich als prinzipieller Uebelstand schon bei der wissenschaftlichen und philosophischen Spenglerkritik, wenn immer erst das Urteil des »Kollegen von der anderen Fakultät« noch abzuwarten blieb. Erklärt sich doch selbst TROELTSCH für mathematisch urteilslos, indes die meisten Mathematiker und Physiker sich geisteswissenschaftlichen Inhalten gegenüber infantil erweisen. Dieses Verhältnis, mit der steigenden Differenzierung der Kultur entschuldigt, ist jedoch nur in dem persönlichen Mangel der Veranlagung- begründet. Die Gesamteinstellung NEWTONS, PASCALS, LEIBNIZ’ ist im prinzipiellen Sinn jedem universal Begabten auch noch heute möglich, wenn ihm nur auf seinem schweren Weg zu systematischer Ganzheit ähnlich gerichtete, bedeutende Vertreter jeder Wissenschaft entgegenkämen. Das Fehlen dieser letzteren erklärt die Forderung der Jugend nach »Revolution der Wissenschaft« (KRIECK, E. v. KAHLER), die den Fakultätskastengeist zu verachten gelernt hat. Sie erklärt Auswüchse der Spenglerkritik wie der Spenglerschen Wirkung, ohne doch schon Korrektur herbeizuführen.) HEIM richtet hier seine naturphilosophischen, erkenntnistheoretischen und logischen Erwägungen, die schon in seinem Jugendwerk wurzeln und dann in einzelnen Kapiteln der »Glaubensgewißheit« durch die Einbeziehung der Einsteinschen Relativitätslehre vertieft wurden, nun noch einmal auf EINSTEINS allgemeine Relativitätstheorie und zugleich auch in sehr eigenartiger, geistreicher Weise  –  die mit falscher Analogisierung nicht das mindeste zu tun hat  –  auf Spenglers Kulturlehre. Er setzt Spenglers »kopernikanisches Programm« (der »Befreiung der Geschichtsbetrachtung vom perspektivischen Punkt, vom zufälligen Standort des menschlichen Betrachters«) in Parallele zu der (galileischen) »Neuorientierung der Astronomie und Physik, die zum klassischen, Relativitätsprinzip geführt hat«. In Anbetracht der »Relativität aller kulturellen Wertzentren« löst die neue Geschichtsauffassung »darum die Geschichte in eine Reihe gleichberechtigter Kulturperioden auf, deren jede ihr eigenes Wertzentrum und darum auch ihr eigenes Seelenbild und Weltbild hat.« (A. a. 0. S. 335: »Was uns in diesem Zusammenhang interessiert, ist aber nicht die allbekannte, vielumstrittene Durchführung dieses Programms der Geschichtsphilosophie, die Spengler versucht hat, sondern die Tatsache, daß er diese geschichtsphilosophische Neuorientierung in Zusammenhang mit Kopernikus bringt, also mit dem ersten Stadium des physikalischen Relativierungsprozesses, mit dem Uebergang von Ptolemäus zu Kopernikus, Galilei und Newton. Obwohl Spengler die Einsteinsche Theorie natürlich kennt und erwähnt, zieht er doch keine Verbindungslinie zwischen dem Einsteinschen Relativitätsprinzip und seiner Morphologie der Weltgeschichte [in der die Verschiebung des Geschichtsbildes zu einem gewissen Abschluß gekommen ist], sondern greift, wo er eine Parallele sucht, auf die kopernikanische Umwälzung zurück. Damit hat Spengler, natürlich ohne es zu beabsichtigen, die Grenze angedeutet, die sein geschichtsphilosophischer Relativismus nie überschreitet.)“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (III. Teil [Form-Inhaltsfrage]; 3. Kapitel [Theologische Kritiken]), 1922, S. 134-136

„Damit aber ist (um im Vergleich zu bleiben) Spengler nur bis an die Grenze von Newtons, nicht bis an die von Einsteins Relativitätsprinzip gegangen. »Die Relativierung der Grundbegriffe ist auch bei Spengler noch nicht zu Ende geführt. Es sind noch einige absolute Maßstäbe stehen geblieben, die es möglich machen, trotz der Verschiebbarkeit des Orientierungspunkts doch noch ein objektives und allgemeingfütiges Gesamtbild des Weltlaufs zu gewinnen: Zunächst liegt die Zeitstrecke objektiv fest, der unerbittlich immer im gleichen Tempo in einer Richtung vorwärtsdrängende Gang der Zeit. Diese Zeitstrecke trägt die Kulturen, die nacheinander auftreten. Jede derselben hat ihre Dauer, die ihr zugemessene Zeit. Die Kulturen haben ihr Kindheitsstadium, ihre Lebenshöhe und ihre winterliche Erstarrungsperiode. Alle diese Aussagen sind unabhängig vom zufälligen Standort des Beobachters, von der ,Wahl des Koordinatensystems‘. .... Daß das Seelenerlebnis der jeweiligen Kultur auf einem gewissen Höhepunkt jung, stark und von höchster Intensität ist, daß es dann im späteren Stadium der Zivilisation schwach, herbstlich und greisenhaft wird, auch das sind absolute Aussagen, die von der Wahl des Standorts unabhängig sind. Dadurch wird es möglich, losgelöst von aller Perspektive die Aufeinanderlolge der aufblühenden und verwelkenden Kulturen als objektives Schaupiel zu genießen und absolute Werturteile zu fällen über die Stärke und Reinheit, mit der der Lebensstil einer Kultur in irgendeiner wissenschaftlichen, politischen oder künstlerischen Kraftleistung zum Ausdruck kommt.« (S. 336).“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (III. Teil [Form-Inhaltsfrage]; 3. Kapitel [Theologische Kritiken]), 1922, S. 136

„Wie aber nun, wenn die Relativierung »in das zweite Stadium eintritt und auch dieser konsequentere Relativismus auf die zentralere Forschungsgebiete übertragen wird?« (Ebenda, S. 341: »Schauen wir von Einstein aus rückwärts, so haben wir den Eindruck, daß hier ein Ziel erreicht ist, dem die Naturwissenschaft seit dem Zusammenbruch des ptolemäischen Weltbildes in stetigem Fortschritt zustrebte. Bei Ptolemäus war der ruhende Weltmittelpunkt und mit ihm alle räumlichen und zeitlichen Urmaßstäbe absolut gegeben. Bei Newton liegen nur noch diese Urmaßstäbe und damit die Grundlagen der Geschwindigkeits- und Kraftberechnung objektiv fest. Der ruhende Mittelpunkt ist vom Standpunkt des Beobachters abhängig geworden. Bei Einstein sind auch die raumzeitlichen Urmaße, diese letzten Geberreste des ptolemäischen Weltbildes, zu Funktionen des Bezugskörpers geworden. Als objektiver, vom Beobachter unabhängigen Rest sind nur noch mathematische Formeln zurückleblieben, die das gegenseitige Verhältnis der unendlich vielen möglichen Orientierungssysteme ausdrücken und es möglich machen, diese ineinander umzurechnen.)  –  »Die ganze Wirklichkeit verwandelt sich in ein Kontinuum von Aspekten, die von stetig wechselnden Beobachtungsposten aus gewonnen werden. Damit aber gerät  –  das ist die philosophische Bedeutung dieser physikalischen Erkenntnis  –  der ganze bisherige Begriff des objektiven Gegenstandes ins Schwanken. .... Dieser der perspektivischen Einstellung gegenüber neutrale Gegenstand existiert jetzt nicht mehr. Er besteht nur noch in einer abstrakten Formel, in einem Inbegriff von möglichen Gesamtbildern, deren jedes einer bestimmten perspektivischen Einstellung entspricht, in einem mathematisch formulierbaren Verhältnis zwischen verschiedenen möglichen Aspekten. .... Sobald mit dem Zeitmaß vollends die letzten Maßstäbe der Wirklichkeitsbeschreibung ihre Konstanz verloren haben, ist überhaupt kein anschauliches Bild des Weltprozesses mehr denkbar, das dem perspektivischen Standpunkt gegenüber neutral wäre.«  –  Damit aber taucht bedeutungsvoll wieder der andere Pol auf: »Das erkennende Ich, das die Wirklichkeit von einem bestimmten Standorl aus betrachtet, gehört als zweiter konstituierender Faktor notwendig mit zur Wirklichkeit.« Und »hinter dem erkennenden Beobachter steht ja immer das wollende und wertende Ich. Dieses läßt sich vom erkennenden Subjekt immer nur durch eine Abstraktion loslösen.« Mit dem erkennenden Subjekt ist also »auch die wollende und wertende Persönlichkeit, also die Seele, in ihre weltkonstituierende Stellung eingesetzt. .... Der perspektivische Standpunkt des Bewußtseins ist nicht ein trübendes Medium, das als Fehlerquelle ausgeschaltet werden müßte, sondern ein Koeffizient der Wirklichkeit, der die Grundlage aller Berechnungen bilden muß. Schalten wir diesen Koeffizienten aus, so ist überhaupt keine Wirklichkeit mehr vorhanden. Seelentum und Naturbild gehören unzertrennlich zusammen. Nur solange uns noch das Phantom eines neutralen, der Perspektive entrückten Gegenstandes irreführt, erscheint uns ein von der Subjektivität mitbedingtes Weltbild wissenschaftlich minderwertig. Wenn dieser falsche Begriff der Objektivität überwunden ist, ist der vom Seelenturn getragene Kosmos die letzte Realität, die uns gegeben ist, in die wir mit unserer Forschung immer tiefer eindringen müssen.« (S. 345).“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (III. Teil [Form-Inhaltsfrage]; 3. Kapitel [Theologische Kritiken]), 1922, S. 136-137

„Die Anwendung dieser tiefsinnigen Rückschau und Selbsterkenntnis des wechselbedingten Subjekt-Objekts auf die Lehre Spenglers folgt unmittelbar: »Damit hat sich herausgestellt, daß die Spenglersche Idee eines von jeder perspektivischen Einstellung unabhängigen Gesamtbildes der Geschichte, von dem aus dann eine an einem absoluten Weltziel orientierte Geschichtsauffassung als befangen entwertet wird, eine Unmöglichkeit ist. Sobald der anschauende Geist mit seiner perspektivischen Orientierung ausgeschaltet ist, verschwindet auch der Gegenstand. Es kommt kein anschauliches Bild der Weltentwicklung mehr zustande. Ohne Perspektive ist es unmöglich, Kulturen als aufeinanderfolgende Zeitabschnitte zu betrachten und kulturelle Kraftentfaltungen festzustellen, die wie eine Kurve anwachsen, ihren Höhepunkt erreichen und dann wieder abnehmen. Der betrachtende Geist mit seinen raumzeitlichen Maßstäben und seiner Wertorientierung ist eine notwendige Bedingung für das Zustandekommen irgendeines Geschichtsbilds.«  –  Und wie kommt es zu der »Wahl des Standorts, der für die Gestaltung des Gesamtbilds von entscheidender Bedeutung ist? Solange wir noch in der alten Vorstellung eines perspektivisch neutralen Erkenntnisgegenstandes befangen sind, erscheint die Bestimmung des Standorts als willkürliche Auswahl aus einer unendlichen Reihe von Möglichkeiten. Sobald aber jener falsche Begriff der Objektivität überwunden ist, wird uns sofort deutlich: einen solchen neutralen Standpunkt, von dem aus wir wählen könnten, gibt es ja gar nicht. Um wählen zu können, um im Geist eine ,Transformation‘, eine Verschiebung des Ruhepunktes vornehmen zu können, muß uns immer schon ein ganz bestimmter Standort als Ausgangspunkt der Standpunktsveränderung gegeben sein. .... Dieses Vorfinden eines ,primären Koordinatensystems‘ als Grundlage der Weltorientierung ist ein Urerlebnis, das das letzte Welträtsel in sich birgt.« (Ebenda, S. 347; »Die Physik kann nur die Irrationalität des Urdatums feststellen. Und doch kann unser Denken mit seiner Warumfrage bei diesem Urdatum nicht haltmachen. So führt das Nachdenken über die letzten Voraussetzungen der Physik auf einen Weltgrund, der das geschlossene raumzeitliche Kontinuum trägt, in dem die Ursetzungen wurzeln, die alles andere erst möglich machen. Die Relativierung der naturwissenschaftlichen Grundbegriffe schließt uns also ein neues Verständnis auf für Empfänge aus der Sphäre des Absoluten, für die schlechthinige Abhängigkeit der ganzen Bewußtseinswirklichkeit von Gott. Man könnte darum vom naturwissenschaftlichen Relativismus, der in einer langen Entwicklung von Ptolemäus bis Einstein die absoluten Fundamente des alten Weltbilds stückweise abgetragen hat, dasselbe sagen, was der Naturforscher Bacon von der Philosophie überhaupt gesagt hat; Philosophia obiter delibata deducit a Deo, penitus exhausta reducit ad Deum.)“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (III. Teil [Form-Inhaltsfrage]; 3. Kapitel [Theologische Kritiken]), 1922, S. 137-138

„Jetzt endlich, nach der letzten harten Probe, auf die wir die Geduld des geneigten Lesers stellen mußten, haben wir die nötigen Prämissen alle in der Hand für unsere kritische Konklusion. Wir brauchen nur die letzten Argumente rückwärts zu durchlaufen, um im ihrer Anwendung auf Spengler auch die Lösung unserer Frage vor Augen zu haben. Der Gedankengang HEIMs mündete ein zweites Mal ins Religiöse und erinnerte mit diesem Ausgang unwillkürlich auch an das Schlußresultat der Einsteinstudien von GEIGER udn CASSIRER, die ihrerseits aus der vollendeten Relativierung des naturwissenschaftlichen Weltbildes nur desto tiefere formale Bindungen zurückgewannen: das reine Gesetz (GEIGER, S. 46) und die »echte Systemform der Natur und ihrer Gesetze« (CASSIRER, S. 73) als den (unbewußten) letzten Zielpunkt auch jenes relativierenden Versuches. Und doch wäre es ganz falsch, das Resultat dieser erkenntnistheoretischen und logischen Fundamentierung der Einsteinschen Theorie mit jener religiösen Ausdeutung aus der »Sphäre des Absoluten« durch HEIM gleichzusetzen! Dieser letzteren ist erst die metaphysische Auswertung parallel; aber für diese ist das naturwissenschaftliche (mathematisch-physikalische) Weltbild doch nur die künstliche und einseitige Konstruktion einer Erkenntnisform allein. Neben ihr stehen die ganz andersartigen »organischen« und »geschichtlichen« Formungen, und erst auf der Korrelation von ihnen allein ruht das wirklich metaphysische Substrat »Natur« auf, das dann, als in gleicher Höhe, mit dem religiösen selbst vergleichbar wird. Der Fehler oder die Gefahr HEIMs ist, daß er nur dieses Stückwerk des bloß physikalischen Weltbildes kennt und diesem die religiös-metaphysische Überhöhung der Geschichtsformung (durch die Schicksalskategorie) entgegenstellt. In Wirklichkeit ist der letzte metaphysische Halt, der dem religiösen durchaus ebenbürtig, ja nur eine andere Form desselben ist, aus dem lebendigen Substrat der Gesamtnaturformung gleichfalls zu gewinnen.“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (III. Teil [Form-Inhaltsfrage]; 3. Kapitel [Theologische Kritiken]), 1922, S. 138-139

„Diese »Kompetenzverschiebung« tritt nun bei der Heimschen Beurteilung Spenglers eigentümlich klar hervor: Er setzt (in der Broschüre) Spenglers Geschichtsbetrachtung, als dem »objektiven« Bild, die religiöse »Innenansicht« gegenüber, die, subjektiv orientiert, in Gott das Schicksalszentrum selbst als unerschütterlichen Halt erfaßt. Andererseits jedoch sieht er (in seinem Zeitschriftenaufsatz) in Spenglers Geschichtsbild sehr richtig die absoluten Grenzen der Relativierung  –  die ihn zu dem treffenden Vergleich veranlassen, daß Spengler nur bis Newtons, nicht bis Einsteins Relativitätsgrenze gegangen sei. Es sind dies die »vom Standort unabhängigen Maße des Kulturverlaufs: Tempo und Dauer des Kulturaufstiegs und -untergangs, Stärke und Reinheit der in diesem reifenden Prozeß zunehmenden, gipfelnden und wieder vergehenden Kulturintensität. Mit einem untrüglichen Feingefühl hat HEIM hier in der Tat genau den Punkt getroffen, an dem Spengler dem Programm der »perspektivelosen« Geschichtsansicht untreu wird, das er selbst aufgestellt hat (»... wie die Gipfelreihe eines Gebirges am Horizont, als ob man selbst gar nicht zu ihr gehörte ...«). Das Extrem dieses Programms ist, wie HEIM nachweist (und wie auch schon HAERING seinerseits betont hat), erkenntnistheoretisch unmöglich. Der wertorientiert betrachtete Geist ist notwendige Voraussetzung der Kulturerfassung überhaupt.  –  Aber ist denn Spenglers Werk dieser Unmöglichkeit verfallen?  Hat nicht HEIM (vgl. unsere Anm. S. 136 [am unteren Ende des Absatzes von S. 134-136; HB]) gerade selbst »die Grenze angedeutet, die sein geschichtsphilosophischer Relativismus nie überschreitet«? Warum ist denn Spengler nur »bis Newton« und nicht bis Einstein« gegangen und hat (vielleicht unbewußt) doch »absolute Kulturmaße« aufgestellt und angewendet? Ist seine extrem relativistische Theorie von HEIM exakt verstanden, so muß diese ihre Darstellung unrichtig oder unzulänglich sein und Spenglers Leistung selbst aus viel gesicherteren und lebenswahreren Tiefen unbewußt emporgestiegen sein  –  ein Fall, der jedem geistesgeschichtlich Bewanderten von den verschiedensten Beispielen her vertraut sein wird.“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (III. Teil [Form-Inhaltsfrage]; 3. Kapitel [Theologische Kritiken]), 1922, S. 139-140

„Auch Spengler würde so zu jenem Typus zählen, dessen Leistung tiefer ist als seine eigene Theorie, da er nachtwandlerisch bei jener »Newtonschen« Grenze schon innehielt  –  und zwar nicht im Bewußtsein, hier bei einem vorläufigen Stadium der Theorienbildung notgedrungen zu verharren, das ein künftiger geschichtsphilosophischer »Einstein« noch zu überschreiten hätte, sondern in der Empfindung von der hier drohenden Sinnwidrigkeit des jenem analogen Standpunkts. Gerade HEIMs letzte Erkenntnisse (von der Unzertrennlichkeit von »Seelentum und Naturbild«, von dem »vom Seelentum getragenen Kosmos« als letzter gegebener Realität, »in die wir mit unserer Forschung immer tiefer eindringen müssen«) hat Spengler nicht nur ausgesprochen, sondern, was viel mehr ist, nicht mit seiner Theorie, sondern mit seiner schöpferischen Leistung selbst bestätigt, deren Wesen und innerste Kraft, wie nachzuweisen ist, eben in jener von HEIM formulierten Wechselwirkung und Wechselbedingtheit wurzelt und aus ihren tiefgeheimen Quellen sich ernährt. Mit anderen Worten, Spenglers Werk in seinem besten Kern erwächst, jenseits der Widersprüche seiner Theorien, letzten Grundes aus einer Metaphysik, die HEIM niemals bezweifelt, doch in ihrer Tragweite noch unterschätzt hat.“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (III. Teil [Form-Inhaltsfrage]; 3. Kapitel [Theologische Kritiken]), 1922, S. 140-141

„Zum viertenmal stehen wir so vor jener Frage, vor der jedesmal der Umkreis unserer Wanderung auf höherem Niveau wieder geendigt hat, und der wir auf der wissenschaftlichen, der philosophischen, der theologischen Stufe unseres Läuterungsberges nacheinander immer schärfer und kritischer nachgegangen sind. Der letzte Rest der Geduld unserer Leser wird erschöpft sein, wenn sich nicht endlich die Antwort findet.  –  Doch sie ist auch schon bereit; sie folgt aus der Beantwortung der Einwände HEIMs gegen Spengler selbst.“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (III. Teil [Form-Inhaltsfrage]; 4. Kapitel [Metaphysische Beurteilung]), 1922, S. 141

„Es wird hier darauf ankommen, die Absolutheit, die HEIM unter der relativistischen Geschichtseinstellung aufgespürt hat, richtig und in ihrer ganze Tiefe zu bestimmen. Was HEIM auf dem Umweg über die Sinnwidrigkeit des extremen Geschichtsrelativismus aus der religiösen Sphäre neu zurückgewinnt: den schicksalshaft-göttlichen Halt als Urerlebnis der tatsächlichen Irrationalität, dies ruht gerade auf dem Grunde der Spenglerschen Konzeption des Kulturablaufs (und wird hier von Heim als »absoluter Maßstab« mitempfunden); eben dies ruht in der zeitlichen Weltlebensauffassung selbst mitten inne als das tragende, beharrende göttliche Zentrum, das hier seine Kraft nicht religiöserseits zu Leben trägt, sondern geschlossen in der absoluten Sphäre des Abstrakten in sich kreist als Sinn und Inhalt der Bewegung. Eine Metaphysik der Zeit scheint damit aufzudämmern, die aus der Flucht des Werdens und Vergehens selbst den Klang der Ewigkeit heraushört und so die Notwendigkeit des Werdens und Vergehens gleichmäßig begreift, ja eben im Gesetz der Reife und ihres Vorüberwandelns den geheimsten Sinn des Seins rechtfertigend erlebt. (Als »Ruhe auf der Flucht«  –  quies in fuga, um ein schönes musikalisches Wortspiel A. SCHAEFFERs aufzugreifen  –  freilich in dem tieferen Sinn, der die erlösende und heiligende Ruhe auf der Flucht schon im Gesetz des Flüchtens und Vorüberreifens selbst unmittelbar erfüllt erlebt und diese Flucht des Seins darum bejahen und ertragen kann, versöhnt auch mit der äußerlich unmöglichen, doch innerlich zurückgewonnenen Erfüllbarkeit der tiefsten, wehmütigsten Bitte aller Kreatur: »Verweile doch, du bist so schön. ...«).“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (III. Teil [Form-Inhaltsfrage]; 4. Kapitel [Metaphysische Beurteilung]), 1922, S. 141

„Gerade die zwei Seiten, die HEIM unterscheidet und tiefsinnig auseinanderhält, um ihre Spannung durch die Überordnung seines religiösen »Innenbildes« auszugleichen, gerade diese beiden Seiten wären hier (wie in jeder wirklich bedeutenden Metaphysik) in ihrer Wechselbedingtheit unlöslich eng verknüpft und so das Absolute eben in die Spannung ihres Mit- und Ineinanderseins hereingenommen, um hier den Halt aufzurichten, den die religiöse Formung aus dem Reich des Göttlichen empfängt. Das ist der letzte Untergrund der »absoluten Maßstäbe« der Spenglerschen Kulturbetrachtung, die HEIM der Spenglerschen Relativität als Widerspruch entgegenhält, und die vielmehr die Widersprüche aufzulösen helfen können, die jede nicht tief genug reichende Auffasssung in diesem metaphysischen Geschichtsbild wahrzunehmen glaubt. Als schicksalsgläubig sucht HEIM Spengler zu begreifen, doch selbst er sieht von dem religiösen Standpunkt aus die metaphysische Gestalt dieses Schicksalsgedankens nicht in ihrer reinen Eigenform. So tritt er aus dem Gleichgewicht und Mittelpunkt der Wechselbedingtheit (der eigentlichen metaphysischen Heimat) wieder heraus: Das Schicksalszentrum liegt für jede Religion in Gott, indes diese Metaphysik das Zentrum im Schicksalsgeschehen faßt und hier die Relativität selbst in das Absolute (in den Sinn dieses Geschehens) aufhebt.“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (III. Teil [Form-Inhaltsfrage]; 4. Kapitel [Metaphysische Beurteilung]), 1922, S. 141-142

„Eigentümlich wiederholt sich hier jene Verschiedenheit der Aufstiegswege, die wir früher schon im Grenzbezirk des Wissenschaftlichen und Metaphysischen zu beobachten hatten und die nun gesteigert zu dem Gegensatz der religiösen und der metaphysischen Einstellung abermals hervortritt. Die Schicksalskategorie, die dauernd als immanente Erfüllungsform nur auf dem zentral ansteigenden Weg der Metaphysik zu behaupten ist, wird so bei HEIM zu einer freilich unendlich vergeistigten Analogie jenes »biologischen« Mißverständnisses. Er sieht im Metaphysischen notwendig die Einseitigkeit des »Objektiven«, dem er darum eine Kierkegaardsche »Subjektivität« ergänzend überordnen will, indes gerade doch der eigentlichste Wert des metaphysischen Erlebens (und sein Weg zum Absoluten) die vollkommene, gleichmäßige Verflochtenheit von Objektivität und Subjektivität voraussetzt  –  im Weltbild des notwendig vorüberwandelnden Daseins, des »vom Seelentum getragenen Kosmos«, wie im Schicksalserlebnis seines in der Flucht sich ewig erfüllenden, ewig beharrenden Sinnes. Und ganz dieselbe Ursache führt auch zu dem echt religiösen Vorwurf HEIMs gegen Spenglers geschichtsphilosophische »Neutralität Gott gegenüber«, die praktisch der Verneinung Gottes gleichkomme. Religiös gesehen ist diese Stellung in der Tat unhaltbar; metaphysisch unterbaut bleibt sie widerspruchslos und unangreifbar: Die Umsetzung der allgemeinen höchsten Kulturformen ineinander macht den Wandel, den Aufstieg und das Verblühen jeder einzelnen (einschließlich auch der Religion) verständlich, ohne daß der Inhalt dieser Formen irgend preisgegeben werden müßte ....“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (III. Teil [Form-Inhaltsfrage]; 4. Kapitel [Metaphysische Beurteilung]), 1922, S. 142-143

„Der Inhaltsfrage ... erwächst ... aus dem Zentrum des Formalen selbst die Antwort  –  als dessen eigener Ertrag. Auch die Kultur, als heiligstes Geschehen: als Lebensprozeß verstanden, schließt in ihrer Form den höchsten Inhalt ein; nicht in dem biologisch flachen Sinn der sich vollendenden Persönlichkeit, die noch im Greis und in der Heiligkeit des Greisentums, dem Tode nahe, die Vollendung ihrer Möglichkeiten als Erfüllung segnen und bejahen kann.“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (III. Teil [Form-Inhaltsfrage]; 4. Kapitel [Metaphysische Beurteilung]), 1922, S. 146

„Diesen Daseinsaspekt nicht nur intuitiv, anschaulich, als Empfindung des Geschichtlichen auf die Kulturen übertragen, sondern vielmehr seinen eigenen Gehalt in seiner eigenen Form verfestigt zu haben  –  nicht in ausgebauter Systematik, doch in unbeirrbarem Instinkt  –,  darin scheint uns die innere Überlegenheit Spenglers wenigstens über die bisherige Kritik begründet. Weil der Inhalt seiner Lehre, der Sinn des geschichtlichen Geschehens, sich in der Form dieses (reifenden) Geschehens selbst erfüllt, ist er in der Spenglerschen Fassung vor den oberflächlichen Angriffen jeder Optimismusforderung geschützt. Jener dämonisch durchdringende Blick auf das Vergehen der Kulturen ist, jenseits von Optimismus oder Pessimismus, als Verkünder des Geheimnisses der Zeit von unbezwinglicher, elementarer Kraft.“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (III. Teil [Form-Inhaltsfrage]; 4. Kapitel [Metaphysische Beurteilung]), 1922, S. 146

„Der Vorwurf der »Selbstaufhebung«, der Spenglers Buch gemacht wird, ist die entsprechende Steigerung und Fortsetzung jenes bekannten Vorwurfs gegen HEGEL, daß nach seiner Lehre kein Fortgang des philosophischen Prozesses, ja der Weltgeschichte selbst mehr möglich sei. Daß die Absurdität dieser wörtlichen Folgerung doch auch dem Philosophen selbst wohl gegenwärtig gewesen sein dürfte und eben darum, als Mißverständnis der Kritik, noch eine andere Erklärung fordere, müßte doch selbstverständlich sein. Der Widerspruch erklärt sich auch bei HEGEL aus der Selbsteinordnung in die Zeit, aus seinem Selbstbewußtsein, auf dem Scheitelbogen eines einheitlich gereiften Entwicklungszusamenhanges zu stehen, dessen Ziel »der in der Fülle seiner historischen Erscheinung sich selber wissende Mensch« ist (*), während in Spenglers Problem das prinzipielle Selbstbewußtsein einer späteren Zeit des »absteigenden Bogens« intuitiv zum entsprechenden Durchbruch kommt. (* Alfred BAEUMLER .... »Hegels Geschichte der Philosophie« .... Vgl. S. 33 sowie den Schluß der ausgezeichneten Einleitung BAEUMLERs: »Es ist ein ungeheures Verdienst Hegels, dem Gedanken vom Ende der Kunst ohne Scheu ins Auge gesehen und ihn ohne Pessimismus ausgesprochen zu haben. Die Kunst löst sich nicht in Nichts auf. Der lange Weg ins Innere, den die aesthetische Entwicklung seit den Griechen zurückgelegt hat, endet bei einem tieferen Begriff des Menschen. Die klassische Skulptur stellt das Bild des Menschen auf. Die gotische Kunst entwickelte in unruhigen, dem unendlichen Gehalt nie völlig angemessenen Produkten die Seele, die endlich frei für sich, als der zum unendlichen historischen Selbstbewußtsein erwachte Mensch hervortritt.«) Grenzen und Art dieses Entwicklungsbogens zu bestimmen, ist die Aufgabe der gegenwärtigen und zukünftigen Wissenschaft. Wir sind hier weit entfernt, ihn mit dem Ablauf der »abendländischen Kultur« oder ähnlichen, verfrühten Synthesen gleichzusetzen, sondern weisen nur auf den Zusammenhang und die innere Folgerichtigkeit eines sich hier durchsetzenden Prozesses hin, dessen Fortschreiten gleichsam an der Skala eines sich steigernden Relativitätsbewußtseins abgelesen werden kann.“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (III. Teil [Form-Inhaltsfrage]; 4. Kapitel [Metaphysische Beurteilung]), 1922, S. 147-148

„Der wertvolle Beitrag, der sich aus dem Unterschied der Hegelschen und Spenglerschen Einstellung hier ergibt  –  gewissermaßen ihre »Phasendifferenz«  –  ist von der Kritik noch nicht eigentlich beleuchtet worden, so bedeutsam er doch für die Beurteilung Spenglers ist. Kurt LEESE (*), dessen Werk wir schon erwähnten, sieht einmal (a. a. O., S. 105) mit tiefem Recht in dem ethisch-religiösen Moment, »das Hegel mit dem logisch-dialektischen und biologisch-organischen zu einer untrennbaren Einheit verknüpft« habe, zugleich den Wurzelboden Hegelschen Denkens  –  ohne doch hinzuzufügen, daß das philosophische (aus dieser Dreiheit erwachsene) System dauernd der Religion die Metaphysik herrschend überbaue. (* »Die Geschichtsphilosophie Hegels«, Berlin 1922. Eine Kritik der Leeseschen darstellung [S. 92] einer »eigentümlichen Verschlungenheit einer biologisch-organischen und einer logisch-dialektischen Gedankenreihe« im Geistbegriff HEGELs [deren erstern Spengler ausschließlich fortgefürht habe], wie überhaupt der Leeseschen Deutung der Dialektik HEGELs [S. 89] ist in unseren früheren Ausführungen anläßlich HEIMs mitenthalten. Vgl. hierzu BAEUNLERs Formulierung [a. a. O., S. 33]: »Ziel der Menschheit ist immer nur der konkrete Mensch, der all diese Momente [das religiöse, ästhetische, wissenschaftliche] in sich vereinigt«; ferner die schon erwähnte auch hier wichtige Studie H. GLOCKNERs, sowie unsere Aufsätze: »Hegels Gegenwartsbedeutung« [Münch. N. Nachr. 1922, Nr. 9] und »Hegels Kulturgedanke«, Juliheft 1917 des »Unsichtbaren Tempels«.) Bei Spengler ist  –  soweit man die prinzipielle Einstellung mit dem systematischen Ausbau überhaupt vergleichen darf  –  von dieser Herrscherrolle der Philosophie sowenig wie von der Religion die Rede. Die Entthronung dieser letzteren (die HEIM als Irreligiosität empfunden hat und der wir den Ausgleich des Metaphysischen auch bei Spengler entgegenzuhalten versuchten) wiederholt sich hier in der Methodik seines Werks also bewußt auch für den philosophischen Bereich und droht so noch einmal von hier aus auch den letzen Halt ins Relativistische zu verflüchtigen. HEGEL behauptet sich, trotz jenes Paradoxes der Geschichtsphilosophie, unangreifbar im Philosophischen. Doch wo befinden wir uns hier, wenn bei der paradoxen Selbstaufhebung der relativistisch-skeptischen Philosophie auch der geheime Halt, den uns die Selbsteinordnung in die Zeit noch darzubieten schien, auch philosophisch nicht mehr faßbar begründbar wird?  –  Auch die letzte und abschließende Antwort hierauf ist wenigstens in Spuren angedeutet. Spengler unterscheidet: »Das Geheimnis der Welt erscheint nacheinander als Erkenntnisproblem, Wertproblem, Formproblem« und fühlt das letztere selbst als sein eigenes, entsprechend der vielsagenden Betonung der »Morphologie«. Die Dreiheit dieser Problemgrundformen wirkt aber nicht nur in der Aufeinanderfolge, sondern ebenso gleichzeitig in der gegenseitigen Verflechtung, in der nochmals die berührte Strukturtrilogie zum Ausdruck kommt. Dadurch, daß sich Spenglers Instinkt bedeutsam für das mittlere Gebiet, das Formproblem, entschieden hat, hat er sich auch vor dem methodologischen Forum wenigstens dem Prinzip nach auf ein letztes, in sich ruhendes Bezugssystem zurückgezogen, das in der Auflösung und Relativierung der einzelnen Kulturformen selbst beharrt: Die Kultursystematik mit ihrem Zusammenhang der Formen unter sich vermag trotz der Relativierung der Kulturformen eine gesetzmäßig bindende Ordnung aufzurichten, deren Erkenntniserträge, insofern sie begrifflich gefaßt sind, freilich »geschichtsphilosophisch« im weitesten Sinn zu nennen wären, doch der eigentlichen Philosophie nicht angehörten. In ihnen vollendete sich die hier früher schon angedeutete »Struktur«form der Daseinserfassung, und ihre höchstmögliche Erweiterung umschlösse dann das Menschliche in der Totalität seiner formalen Bildungen. Eine derartige Prinzipien- und Erscheinungslehre der Kultur würde das systematische, haltbare Fundament abgeben für die Spenglersche Forderung einer »Morphologie des Werdens aller Menschlichkeit, die auf ihrem Wege bis zu den letzten und höchsten Ideen vordringt; die Aufgabe, das Weltgefühl nicht nur der eigenen, sondern das aller Seelen zu durchdringen, in denen große Möglichkeiten überhaupt bisher erschienen und deren Verkörperung im Bereiche des Wirklichen die einzelnen Kulturen sind«  –  einer »Physiognomik des Weltgeschehens« als »letzter, faustischer Philosophie«.“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (III. Teil [Form-Inhaltsfrage]; 4. Kapitel [Metaphysische Beurteilung]), 1922, S. 148-150

„Wir sagen nicht, daß Spengler dieses Fundament schon irgend gelegt habe. Wohl aber, daß seine metaphysisch konzipierte Problemstellung ihm unbewußt entgegenkomme, wie daß umgekehrt diese Problemstellung von der Systematik einer solchen Kulturlehre entscheidendes Licht empfangen würde. Die Strukturlehre der kulturellen Mannigfaltigkeit (der Abfolge, wie des Gegeneinanderwirkens der Momente (näheres in unserer Studie »Die Kulturmöglichkeit der Technik«, Berlin 1920) steht in ihren systematischen Einsichten, die nach DILTHEYS tiefem Wort Entwicklung »als Struktur in Tätigkeit gedacht« begreifen, ihrerseits vor dem Geheimnis des Aufblühen- und Verwelkenmüssens, der Notwendigkeit der Reife als Grundform der Daseinswirklichkeit jedes Strukturzusummenhangs, und d. h. des Lebendigen, des Lebens selbst in seiner ganzen, unerschöpflich reichen Tiefe und furchtbaren Majestät. Die Unerbittlichkeit des »Vorbeiwandelns«, des Vorübergehens und Vergehens auch der reichsten Daseinsform, der Kulturordnung höchsten Grades  –  eben als Lebendiges und also als Lebensprozeß begriffen  –  ist hier nur ein anderer Ausdruck für das innere Vollendungs- und Erfallungsgesetz des sich verwirklichenden, strukturbedingten Formzusammenhangs. Hier würde die Kulturgeschichte in ihren hinangetürmten und wieder versinkenden großen Bergzügen gleichsam wie ein ungeheures Trümmerfeld erscheinen, von einzelnen Gipfeln aus nur wie durch Blitze bis in ihre Abgründe hinein plötzlich erhellt. Denn auch die Notwendigkeit des Werdens bricht sich an der Unvollkommenheit und Gegensätzlichkeit der ihr gegebenen Bedingungen und läßt die übergreifenden, ihren Zielen zudrängenden Kulturprozesse allzufrüh fragmentarisch erstarren und zerfallen. »Nur wie aus Bruchstücken und Ahnungen ist jene höchste wirkliche Geschichte der Menschheit erkennbar, die in den verrauschenden Epochen der historisch faßbaren Welt nur als ein dumpfes, unvonendetes Ringen aufzuckt, und gleichwohl das heiligste Geschehen und Gesetz des Daseins ist.«“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (III. Teil [Form-Inhaltsfrage]; 4. Kapitel [Metaphysische Beurteilung]), 1922, S. 150-151

„Von einer ganz anderen Seite fällt hier Licht auf dunkle Deutungen und Fassungen der Spenglerschen Gedankenwelt, auf ihre Tiefe wie auf ihre Überlegenheit als Lehre von den Kulturuntergängen, deren fatalistische Schwermut hier von einem allgemeineren und prinzipiellen Standort aus verständlich wird. Sie reift als eine notwendige, späte Frucht des kulturenen Werdens und des alternden Kulturbewußtseins selbst  –  reif fällt die Frucht vom Baum, zu deren Bildung die Wachstumsgesetze und organischen Prozesse allenthalben drängen: die herbstliche Einsicht in die Kulturabstiegsmöglichkeiten, in die kühlen abendlichen Schatten, die der ferndämmernden Nacht entgegenstreichen.  –  Was die Kultursystematik dem hinzuzufügen haben wird, ist einerseits das ergänzende Verständnis der Auflösungsvorgänge eben infolge des Strukturgefüges, andrerseits die vorsichtigere Kritik und Wahl unter den Formen in dem vielfach möglichen Zusammenspiel der »sich entmischenden und mischenden« Kulturgestaltungen, die nicht durch allzu einfache Hauptlinien endgültig zu ordnen sind. Es bleiben hier die Aufstiegs- und Abstiegsbedingungen der einzelnen Komplexe, ihre wechselseitige Korrelation und ihr Zusammenwirken ungeklärt. Auf eine wichtigste Erscheinung strukturell begreifbarer Zersplitterung haben wir verschiedentlich hier hingewiesen in den Andeutungen über die dreifache Möglichkeit, die sich im philosophischen Verhalten, aber auch in der Philosophie und in der Religion selber bemerkbar machte. (Vgl. die Anmerkungen über RICKERT, HEILER, SÖDERBLOM u. a..) Gerade die Verselbständigung und »Selbstreinigung« der einzelnen Kulturfunktionen, die sich in der Gegenwart bedeutsam anbahnt  –  denn genau der gleiche Vorgang wie in der Philosophie und Religion ist auch in der Kunst zu beobachten (*)  –  läßt aus dem wieder angestrebten schöpferischen funktionellen Eigenzentrum selbst die ursprüngliche, gegensätzliche Differenzierung neu hervorgehen, die dann letzten Endes in der großen prinzipiellen Dreiheit von Philosophie - Kunst - Religion nur abermals die ungelöste Frage der Kulturtotalität zum Ausdruck bringt. (* Auf das ganze für jede Kulturkritik zentrale Gebiet der Kunstproblematik  –  von dem aus die gleichen Fragen wie von der Philosophie und Religion aus aufzurollen wären  –  können wir hier nicht mehr eingehen, da es von der Spenglerkritik selbst noch kaum berührt ist. Nur CURTIUS zeigt bedeutsame Ansätze [vgl. unseren II. Teil, S. 51], die in der Gedankenrichtung FIEDLERs, WÖLFFLINs, STRICHs, aber auch H. NOHLs und WORRINGERs [mit ihrer ganz verschiedenen Typenlehre] weiter zu verfolgen wären, um dann mit der Spenglerschen Einstellung kritisch verglichen zu werden. Zum Prinzipiellen vgl. auch das Vorwort u. S. 148 unserer Studie über Michelangelo, Leipzig 1913.) Die tiefe strukturelle Kulturproblematik, die sich in diesem Verhalten ausspricht, kämpft mit dem weitdeutenden Gedanken der Einzelautonomie jedes Kultursystems, dessen »schöpferische geistige Energien in sich das Bewußtsein ihres Grundgesetzes finden«, um eben hierauf den »neuen geistigen Zusammenhang« synthetischer Kultur erst »wahrhaft zu begründen«. (Vgl. Ernst CASSIRER: »Freiheit und Form, Studien zur deutschen Geistesgeschichte«, Berlin 1916, S, 30. Fortgesetzt in der Aufsatzsammlung »Idee und Gestalt«, Berlin 1921; zusammen mit dem Vortrag »Goethe und Platon« v. Nov. 1920 (jetzt in der Zeitschr. »Sokrates« XLVIII, 1) sechs kostbare Aufsätze, die den großen, systematisch-philosophischen Geschichtsdarsteller der Marburger Schule auch vor allgemeineren kulturkritischen Fragen zeigen und uns einen übergreifenden und wertvollsten Ersatz der von COHEN nicht mehr geschriebenen systematischen »Kulturpsychologie« erhoffen lassen.)“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (III. Teil [Form-Inhaltsfrage]; 4. Kapitel [Metaphysische Beurteilung]), 1922, S. 151-152

„Dies erst ist die letzte, abstrakteste Spiegelung und Fassung der Kulturantinomie der Gegenwart  –  ihrer sich kreuzenden Formreihen und Formmöglichkeiten des »Aufgangs« und »Untergangs«. Erst ihrer systematischen Beherrschung wäre die endgültige Beantwortung der Frage Spenglers möglich, die über das einfltche Ja und Nein hinausgeht  –,  und von diesem systematischen Standort aus wäre es erst möglich, auch die mannigfaltigen Gedankenfäden, die hier ausgebreitet wurden, mit dem einheitlichen »Einschlag« einer zusammenfassenden Antwort zu durchschießen. Dieses haltbare Gewebe einer Gesamtbeurteilung ist hier, nur von den bisherigen Kritiken aus und von der Kraft eines einzelnen, noch nicht anzuknüpfen. Wir begnügen uns statt dessen hier zum Schluß, nur noch einige Querfäden zu ziehen, die (um im Vergleich zu bleiben) ein vorläufiges Netz spannen, um den relativistischen »Proteus der Geschichtsphilosophie« nicht zwar zu fangen  –  wozu stärkere Künste notwendig werden  –,  aber doch in den gewonnenen Zusammenhang hier für den Augenblick anschaulich einzuordnen. “
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (III. Teil [Form-Inhaltsfrage]; 4. Kapitel [Metaphysische Beurteilung]), 1922, S. 152

Richtlinien Zu diesem Zweck ziehen wir drei schematische Verbindungslinien, deren Konvergenz im Schnittpunkt S den Spenglerschen Problemstandort bezeichne. Wir besetzen sie  –  im ungefähren Abstand von je fünfzig Jahren  –  mit herausgegriffenen Namen, deren Träger ungefähr um diese Zeit die Höhe ihres Lebens oder ihrer ersten Produktion durchschritten haben. (Ein Jahrzehnt Spielraum muß zugestanden werden, wie überhaupt das Schema, fern aller Zahlenspielerei, natürlich nur eine ganz ungefähre zeitliche Orientierung geben soll. Rousseau wäre ein wenig früher anzusetzen; die Romantikergeneration, einschließlich des frühgestorbenen NOVALlS, wäre um 1820 etwa in dem Scheitelbogen ihres Lebens; gegen 1870 DlLTHEYS erstes großes Werk, das »Leben Schleiermachers«, NlETZSCHES Erstlingswerk, BURCKHARDTs Vorlesungen: »Weltgeschichtliche Betrachtungen«.) Dabei überlassen wir die »Vertikalbeziehung« einer jeden Gruppe der Betrachtung des hierzu geneigten Lesers  –  die Beziehungen dieses sehr lehrreichen Tableaus würden zu den verschiedensten Exkursen Anlaß bieten  –  und verfolgen unserseits hier nur die ganz verschiedenartigen Diagonalen KANT-HEGEL-DlLTHEY, HERDER-SCHLEGEL-BURCKHARDT, ROUSSEAU-SCHOPENHAUER-NlETZSCHE bis zu ihrem Treffpunkt SPENGLER, um wenigstens in kurzen Thesen die Beurteilung Spenglers aus diesen Sehrichtungen anzudeuten, die zusammenfassende systematische Resultate vorwegnehmen sollen.  –  Ersichtlich ist, daß Spengler der obersten Linie, die, von LEIBNIZ kommend, Höhepunkte des geschichtlichen Verlaufs der systematisch-philosophischen Arbeit in ihren Wandlungen verbindet, selber nicht unmittelbar mehr angehört. Er selbst zwar glaubt in seiner Pessimismusschrift (*) LElBNIZ und HEGEL als Vorväter seiner Denkungsart beanspruchen zu können. (Inwiefern mit Recht, wird sich auch noch von unserem Gesichtspunkt aus ergeben.) (* Preußische Jahrbücher, April 1921, S. 74: »Es geht ein mächtiger Strom deutschen Denkens von Leibniz über Goethe und Hegel der Zukunft zu. Wie alles Deutsche hatte er das Schicksal, gleichsam unterirdisch und unbeachtet durch die Jahrhunderte fließen zu müssen, während fremde Denkweisen an der Oberfläche des Denkens selbst bei diesen Männern die Herrschaft führten. .... Der gewaltige Hegel war der letzte, dessen Denken, von politischen Wirklichkeiten ausgehend, noch nicht ganz durch Abstraktionen erstickt wurde. Dann kam Nietzsche, der dem Darwinismus verfiel und trotzdem weit über das englisch-darwinistische Zeitalter hinausgreifend, uns allen den Blick verlieh, mit dem wir heute dieser lebendigen Richtung des Denkens den Sieg verschaffen können.  –  So sehe ich heute die geheimen Voraussetzungen, die meiner Denkweise unbewußt zugrunde lagen. Hier findet sich nirgends ein Gebäude von Allgemeinheiten. Das Einmalig-Wirkliche mit seiner ganzen Psychologie, das bei Kant und Schopenhauer keine Rolle spielt, beherrscht die historischen Sammlungen von Leibniz ebenso vollständig, wie die Naturbetrachtung Goethes und die Vorlesungen Hegels über Weltgeschichte. Deshalb steht hier das Tatsächliche in einem ganz anderen Verhältnis zum Gedanken, wie bei allen Systematikern. Bei diesen bildet es ein totes Material, aus dem Gesetze gezogen werden. Bei mir sind es Beispiele, die einen erlebten Gedanken beleuchten, der nur in dieser Form eigentlich mitteilbar ist.«) Zunächst ist er von jeder Systematik weit entfernt, und auch zu DILTHEY, dessen skeptischen Relativismus wir hier mit Bedacht gerade zwischen Hegel und Spengler einsetzen, besteht gar keine Beziehung, Die zentrale Veranlagung Spenglers sehen wir vielmehr ganz auf der Mittellinie unseres Schemas, die von HERDER über die Romantik (**) weiterführt: hier ist die Heimat seiner eigenen kulturanschauenden, nachfühlenden Genialität und unvergleichbar weit umspannenden Auffassungs- und Spürkraft für alle menschlichen Erscheinungsformen. (** Friedrich SCHLEGELS kulturkritische Gedanken (»cyklische Philosophie«, wie er sie gern genannt hat) sind so gut wie unbekannt, trotz der schönen zweibändigen Neuausgabe seiner prosaischen Jugendschriften von J. MINOR (Wien 1906). Das Bedeutendste was über ihn und überhaupt wohl über die Romantik neuerdings gesagt ist, in dem wundervollen Nachlaßband des frühverstorbenen Erwin KIRCHER: »Philosophie der Romantik« (Jena 1906). Ein ähnlich früh dahingeraffter feinsinnigster Kenner der romantischen Gedankenbewegung ist Siegbert ELKUSS (»Zur Beurteilung d. Romantik u. z. Kritik ihrer Forschung«, Bd. 39 der »Historischen Bibliothek«, Oldenbourg Verl. Münch. 1918). Vgl. auch Fritz STRICH, »Die Mythologie i. d. deutschen Literaturgesch.«, Halle 1910, und »Deutsche Klassik u- Romantik«, München 1922, sowie die beiden früher schon genannten Studien von Carl DYRSSEN. Auf der Linie, die von CREUZER über BACHOFEN bis zur Gegenwart führt und sich, nach einer Abspaltung in den Gedankenstrom NIETZSCHES, merkwürdigerweise bis in die an sich ganz andersartigen Kreise Stefan GEORGES fortsetzt, steht die eigentümliche, einsame Gestalt Ludwig KLAGES’ (hierhergehörig seine Aufsätze »Menschheit u. Erde«, München 1919, und »Der kosmogonische Eros«, München 1922). Ueber dessen Berührung mit Spenglerschen Gedanken vgl S. 132 Anm.) Diese Linie steigt in Spengler zu dem Maximum an, das wohl überhaupt jemals an Kulturanschauungsgewalt und -fülle von einem einzelnen erreicht worden ist. Die Tatsache dieses Phänomens allein  –  ganz abgesehen noch von der Beurteilung seiner ordnenden Kräfte  –  hätte unseres Erachtens die Kritik, bei aller Ablehnung, zu einem Niveau des Respekts verpflichten müssen, unter das sie bedauerlich oft hinabgesunken ist.  –  Doch Spenglers Stellung wird auch noch von einer anderen Sehrichtung aus deutlich, die die eingangs schon erwähnten »Spürgeister der Kulturwendezeit« verbindet und deren spezifisches, sich steigerndes Bewußtsein von der Problematik ihrer Zeit und von dem inneren Stand des Kulturablaufs, kenntlich macht, ROUSSEAU als erster Sturmvogel verkündet den inneren Bruch der (in »Zivilisationserstarrung« übergehenden) Kultur; in SCHOPENHAUER (***) kommt die Ruhelosigkeit des heimatlos gewordenen, entwerteten Kulturgefühls in der geschichtlichen Zweck- und Sinnwidrigkeit zu metaphysischem, grandiosem Ausdruck. (*** Es bedarf für jeden Einsichtigen nicht erst der Erwähnung, daß hiermit für unsere Zwecke nur eine Seite an SCHOPENHAUER herausgegriffen ist und daß wir ihn im übrigen hier nicht beurteilen. Gleichwohl scheint uns mit eben dieser Seite letzten Grundes auch seine zentrale Bedeutung getroffen, die nicht in der Linie der großen philosophischen Tradition liegt. Die Einschätzung SCHOPENHAUERs [den O. LIEBKANN »einen Schriftsteller ersten und Philosophen zweiten Ranges« genannt hat] wird stets ein feiner Gradmesser sein, wie weit der Urteilende die eigentliche, klassische Philosophie wirklich beherrscht. [Treffende Bemerkungen hierzu auch in H. KEYSERLINGs geistvollem Büchlein: »Schopenhauer als Verbilder«, Leipzig 1910.] Aehnlich ist hier Jacob BURCKHARDT, der natürlich in gewaltigen Bezirken seiner Arbeit der strengen Wissenschaft angehört, nur in dem Kernpunkt seines Wesens hierher zu beziehen. Dieser scheint uns allerdings durchaus im künstlerisch-anschauendem Bereich zu liegen, so mächtig die Reflexion auch ausgebildet war. [»Was einst Jubel und Jammer war, muß nun Erkenntnis werden.«] Ungemein lehrreich wäre ein prinzipiell umfassender Vergleich zwischen BURCKHABDT und DILTHEY, den zwei tiefsten und geheimnisreichsten Geistern dieses ganzen Zeitalters. Die an sich wertvolle Studie Karl JOELS (»J. Burckhardt als Geschichtsphilosoph«, Festschr., Basel 1910) bleibt noch im Material selbst stecken.  –  GOETHE ist in unser Schema absichtlich nicht eingesetzt. Zeitlich und sachlich müßte er zwischen HERDER und SCHLEGEL auf der Mittellinie stehen; doch kann ihn die Geschichtsphilosophie eigentlich kaum in Anspruch nehmen; die Gesamtheit seines Wesens übergreift und sprengt naturgemäß das ganze Schema.) NIETZSCHE gibt dem sich aufwärts entwickelnden Leben zwar leidenschaftlich seinen Sinn zurück, doch seine Ewigkeitsbejahung (im Mysterium der Wiederkunft) ist gleichsam nur ein krampfhafter Halt über den Abgrund hinweg, in den dieser durchaus ethisch gerichtete Denker mit seiner aburteilenden Kulturkritik hineinblickt.  –  Spengler ist in einem tiefen Sinn der Fortsetzer und Vollender auch dieser Linie (jener »Seismographen« des Kulturprozesses). Hier verstehen wir erst jene (im I. Teil berührte) übermächtige Gewalt, die seiner Kulturschau gegenüber der NIETZSCHEs innewohnt: Sie stammt nicht nur aus der um abermals einhalbjahrhundert älteren, kühleren Reife des Kulturbewußtseins, dessen skeptische, eisige Klarheit bis zur Selbsteinordnung in die abermals gealterte, absteigende Zeitphase vorgeschritten ist, sondern sie strömt aus dem noch tieferen, unmittelbareren Ewigkeitsblick, den Spengler auf das Dasein richtet. Wir haben hier (durch unseren Hinweis auf seine Metaphysik der Reife) diese wichtige Übergangsstelle aufgezeigt, wo der »Prophet des Unterganges« sich in den Anschauenden der Ewigkeitsform der Kultur verwandelt; wo die Blickrichtung auf die Zerfallsnotwendigkeit und -bereitschaft der Gegenwartskultur sich weitet zur Umspannung und Erfassung des Kulturwerdens, -entstehens und -vergehens als der höchsten Allgemeinform des lebenden Daseins überhaupt; wo also die beiden unterschiedenen Linien  –  die der zeitlichen Kulturkritik, von ROUSSEAU her, und die der allgemeinen Kulturschau und -auffassung, von HERDER her  –,  in einem Geist zusammentreffen. Wir haben diesen Vorgang bisher nur, vor allem anläßlich der letzten theologischen Kritiken, mehr abstrakt verfolgt und ihn nur an dem Paradox der Relativität und ihrer Überwindung mehrfach anschaulich gemacht. Hier sehen wir nun in eine ganz andere, ergänzende Bedeutung dieses Vorgangs, die zugleich den prinzipiellen Fortschritt auf der Linie SCHOPENHAUER-NIETZSCHE noch einmal beleuchtet. SIMMEL hat in seiner hellsichtigen Art gerade den Gedanken und die »Bedingung der Ewigkeit« als Mittelglied wie auch als Unterscheidungsmerkmal der zeitphilosophischen Einstellung SCHOPENHAUERs und NIETZSCHEs bezeichnet. (»Sie muß mindestens als Ideal und als symbolischer Ausdruck der Vernunftform des Daseins zur Verfügung stehen, wie ein Rahmen, in den sich allein der Erlösungs- und Zweckprozeß der Welt fassen kann. Sie ist die Brücke, über die hin Nietzsche von seinem pessimistischen Ausgangspunkt zu einem Optimismus gelangt.« .... Der Ewigkeitsgedanke ist die Wasserscheide, an der die aus dem gleichen Urquell entsprungenen Ströme des Schopenhauerschen und Nietzscheschen Denkens die Entgegengesetztheit ihres Laufes offenbaren.«) (Georg SIMMEL, »Schopenhauer und Nietzsche«. Leipzig 1907, S. 14: »Denn sie gibt die ins Absolute gesteigerte Möglichkeit, das Nein gegenüber jedem Gegebenen, für jetzt Wirklichen, mit dem Ja gegenüber dem Dasein überhaupt zu verbinden.« Ebda, S. 15 die tiefgreifenden Worte über SCHOPENHAUER, die unseres Erachtens auch genau für den Unterschied [des als Metaphysiker verstandenen] SPENGLERs gegenüber NIETZSCHE gelten: »... mit Nietzsche verglichen ist er unzweifelhaft der größere Philosoph. Er besitzt die geheimnisvolle Beziehung zum Absoluten der Dinge, die der große Philosoph nur noch mit dem großen Künstler teilt, so daß er, in die Tiefen der eigenen Seele hineinhörend, den tiefsten Grund des Seins in sich zum Klingen bringt. Auch dieser Ton mag subjektiv gefärbt sein und nur in den von vornherein ebenso gestimmten Seelen weitertönen; das Entscheidende ist das Tiefenmaß des Hinunterreichens überhaupt, die Leidenschaft für das Ganze der Welt, während der nicht metaphysische Mensch an ihren Teilen hängen bleibt. Eben dieses Sichstrecken des subjektiven Lebens bis zum Boden des Daseins überhaupt geht Nietzsche ab. Ihn bewegt nicht der metaphysische Trieb, sondern der moralistische, er sieht nicht nach dem Wesen des Seins hin, sondern nach dem Sein der menschlichen Seele und ihrem Sollen. .... Aber mit allem Adel seines Wollens und aller funkelnden Beweglichkeit seines Geistes fehlt ihm der große Stil Schopenhauers, der aus seinem Gerichtetsein auf den absoluten Grund der Dinge  –  nicht nur des Menschen und seines Wertes  –  hervorgeht und der gerade den Menschen der äußersten psychologischen Verfeinerung versagt zu sein scheint.«) In der Einstellung Spenglers nun sind diese beiden Momente in einer förmlich Hegelschen Synthese »aufgehoben«, insofern sein pessimistisch klarer Blick auf das Kulturvergehen eben dort, eben in ihm keine Sinnlosigkeit, sondern die heilige, daseinsbejahende Ewigkeitsform erschaut und (wenigstens der Möglichkeit nach) diese zu der vertiefungs- und wandlungsfähigsten Kulturerfassung ausgestaltet hat, die je menschliche Wirklichkeiten überspannt hat.  –  Aber diese innere Verbindung jener beiden Linien, die wir hier in Spenglers Stellung nachzuweisen suchten, ergibt noch ein anderes, merkwürdiges Schlußresultat, in dem wir nun die ausgespannten Fäden noch ein letztes Mal zusammenziehen. (Dem nachdenklichen Leser wird es ohnedies vielleicht schon aufgefallen sein, daß die drei unterschiedenen Linien zugleich der Dreiteilung unserer Arbeit selbst entsprechen: der »geschichtsphilosophisch« zeitkritischen Beurteilung, der »kulturphilosophisch« anschaulichen Gesamtauffassung und der »kulturmetaphysisch« systematischen Synthese höchster Art. Wir wiederholen so im Schema konzentriert den prinzipiellen Aufbau unserer Studie, behufs rascher Orientierung und einheitlicher Zusammenordnung der Ergebnisse.) Dadurch daß sich in Spengler die beiden ersten Richtungslinien vereinigen, wird er nämlich auch zu der dritten Linie unbewußt in eine tiefere, organischere Beziehung gesetzt, als seine eigene methodische Veranlagung vermuten ließe. Um zu sehen, daß die letztere an sich von der Wissenschaft wegweist, dazu bedarf es nicht erst seiner Selbstzeugnisse. Der Traditionszusammenhang der systematisch-philosophischen Arbeit reicht in seine bewußten, reflexiv ordnenden Aufstellungen nicht hinein. Und gleichwohl hat doch, wie sich zeigte, eben die Verbindung des geschichts- und kulturphilosophischen Moments in Spengler ein echt metaphysisches Verhalten aufgewiesen, das aus der zentralen Tiefe seines ganzen Wesens steigt. Diese Tatsache ließ sich aus der Übersicht über die bisherige Kritik schon feststellen. Was übrig bleibt, ist die Aufgabe, das gewissermaßen unterirdische Verhältnis dieser Spenglerschen Metaphysik zu jener dritten Linie, der Verlaufsrichtung des großen philosophischen Prozesses selber zu bestimmen und sie auch aus diesem weitesten Zusammenhang heraus endgültig zu begreifen. Diese Aufgabe einer zukünftigen Kritik, in welche wir auch unsere eigene systematisch-kritische Studie einzureihen haben werden, setzt naturgemäß die Kenntnis dieser nur erst angedeuteten Metaphysik und das Verständnis ihrer Bedeutung voraus, was bisher durch ihren Charakter gefühlsmäßiger Intuition hintangehalten worden ist. Es wird sich aber zeigen, daß sie einer systematischen und begrifflichen Analyse sehr wohl zugänglich und einer solchen, wegen ihrer wertvollen Ergebnisse, auch sehr wohl würdig ist. Wie wir hier, vom äußeren Umkreis beginnend, in immer engeren Zirkeln zu dem eigentlichen Höhepunkt des metaphysischen (Korrelations-)Problems hinangestiegen sind, so müßte diese Analyse in kritischer Untersuchung eben dort einsetzen, um in dem allmählichen Abstieg über die konsequenten, ihrerseits erklärten Fehler Spenglers wieder bei seinen, dann erst verstandenen Voraussetzungen und Anwendungen zu endigen, die damit in die gegenwärtige Entwicklung kritisch eingeordnet wären.  –  In unserem graphischen Schema ließe sich dieser zukünftige Verlauf durch die über den Kreuzungspunkt hinaus verlängerten Richtlinien abermals verbildlichen. Der Raum zwischen der »systematischen« und der »kulturkritischen« Linie stellt den Ort der sich durchdringenden gesamtkritischen Forderungen dar. Wie schon zu Ende unseres zweiten Teiles angedeutet, zeigt unseres Erachtens dieses Zukunftsbild der systematisch-philosophischen Entwicklung als unzweifelhafte Tatsache die prinzipielle »Wiederholung« des Problemfortgangs der deutschen klassischen Philosophie. (****) Nicht in der kindischen Mißdeutung als einer bloßen Reproduktion vergangener Geistesbewegungen, die an sich und historisch uns belanglos bleiben könnten, sondern aufgefaßt als die allmähliche Bewußtwerdung und schöpferische Aneignung des größten metaphysisch-philosophischen Kosmos unserer (vielleicht aller bisherigen) Kultur, der sich, aufruhend auf der Riesenarbeit des LEIBNIZschen Geistes, in der Geniusfolge von KANT-FICHTE-SCHELLING-HEGEL als einen einheitlichen Prozeß der höchsten, umfassendsten geistigen Totalität offenbart hat. (**** Diese Auffassung ist keine Neuentdeckung. Ihre erste Andeutung liegt schon in der bekannten Forderung R. HAYMs, Hegels Metaphyjik »ins Transzendentale umzuschreiben«. [Vorlesungen über »Hegel und seine Zeit«, Berlin 1857, S. 13 u. 468: »Es ist das Zurücksteigen in die Tiefen des menschlichen Geistes, die erneute Sammlung im Innern, das Sichfinden des Menschen im Menschlichen, wodurch allezeit dem geistigen Leben neue Impulse geworden sind. Die größte Tat der neueren Philosophie ist von dieser Art gewesen. .... Schon recht, wenn man nicht müde wird, auf den ehrlichen Weg Kants zurückzuweisen, und gleich Recht, wenn man fordert, daß nichts von den tiefen Intentionen, nichts von dem konkreteren Charakter der Hegelschen Philosophie verloren gehen dürfe.  –  Die Wahrheit der absoluten Idee ist der lebendige Mensch in der ganzen Konkretion seiner Innerlichkeit und in der Totalität seiner historischen Erscheinung und Entwicklung. Deutlich genug sind die ferneren Schicksale der Philosophie durch den bisherigen Gang dieser Wissenschaft angedeutet. .... Von der Metaphysik des konkreten Begriffs wird eine kritische Untersuchung zu dem Quellpunkt derselben, zu ihren innermenschlichen Fundamenten zurückzusteigen haben. Der Mench in der Totalität seines Wesens ist das Objekt dieser Kritik. Es zu ergreifen wird auf keinem anderen Wege möglich sein, als auf dem von Kant und Fichte vorgezeichneten. .... An den lebendigen Akten, in denen der Mensch in der Totalität seines Wesens energirt und sich mit sich und der realen Welt zusammenschließt, wird die neue Kritik die konkreten Gesetze des menschlichen Geistes zu entdecken haben.«  –  Noch immer liegt die Lösung dieser Aufgabe erst in der Zukunft. EWALD hat seit etwa 1910 in seinen periodischen Uebersichten in den Kantstudien auf den sich vorbereitenden Prozeß der Wiederholung hingewiesen. Ein wichtiger Markstein weiter auf denWeg ist die bedeutsame Rektoratsrede JOELS {»Die philosophische Krisis der Gegenwart«, Leipzig 1914} mit ihrer lehrreichen Kennzeichnung der drei großen transzendentalphilosophischen Schulen der Gegenwart und ihres Verhältnisses; mit ihrer Hervorhebung des »Organismus« als der Einheit von Kants Kategorien; mit ihrer Forderung nach dem Durchbruch vom Kritizismus zur Realität und zur synthetischen Metaphysik des Objektiven, gemäß dem Hinausgehen von Kants Nachfolgern über Kant selbst. Die gleiche Einsicht in die innerlich forttreibende Notwendigkeit dieses Prozesses, aber nun zur systematischen Geschlossenheit gesteigert, zeigt ein Lustrum später LIEBERTs merkwürdige Schrift »Wie ist kritische Philosophie überhaupt moglich?« {Leipzig 1919}, deren Mängel wir schon erwähnt haben, deren positiver, prinzipieller Kern aber von äußerster Fruchtbarkeit ist. Das jüngste Heft endlich der Kantstudien {das eben beim Abschluß unserer Drucklegung erscheint} erweist noch einmal unsere obigen Ausführungen durch den bedeutenden Eingangsaufsatz Georg LASSONS »Kritischer und spekulativer Idealismus« {Kantstudien XXVII, S. 1}: »Für den gegenwärtigen Stand der philosophischen Arbeit in Deutschland ist nichts so bezeichnend wie das immer stärker hervortretende Verlangen nach irgendeiner Art von metaphysischer Systematik. .... In gewissem Sinne wiederholt sich damit die Bewegung, die vor nunmehr fünf Vierteljahrhunderten stattgefunden hat, der Fortschritt vom kritischen zum spekulativen Idealismus, der Weg von Kant zu Hegel. .... Damals machte der denkende Geist in wenigen Jahren eine Entwicklung durch, die ein Programm für Jahrhunderte in sich birgt. Wenn jetzt der Weg wieder sollte zurückgelegt werden, so wäre das eine Wiederholung gleichsam in zweiter Potenz, mit dem Bewußtsein, daß, und mit der Einsicht, warum und wieweit es eine Wiederholung ist und sein muß.« Ungemein charakteristisch ist dabei der unseren oben ausgesprochenen Gedanken bestätigende Hinweis auf die zunächst ausschließlich hervortretende Polarität von KANT- HEGEL. Denn in dieser fruchtbaren Spannung der beiden Pole {nicht an ihren Mittelgliedern FICHTE-SCHELLING} entzündet sich die geschichtlich-systematische Arbeit dieses philosophischen Erkenntnisfortgangs unserer Zeit. {Von den Studien von MARCK, NOHL, SCHOLZ, HAMMACHER, BRUNSTÄD, J. EBBINGHAUS, H. GLOCKNER, BAEUMLER, LEESE, LASSON, ROSENZWEIG und EHRENBERG bis zu den großen Geschichtswerken E. CASSIRERs {»Erkenntnisproblem«, lII. Bd.} und R. KRONERs {»Von Kant bis Hegel«, 1. Bd..} Befriedigt konnte jüngst R. HAMANN {»Kunst und Kultur d. Gegenwart«, 1922} konstatieren, daß sich das Schlußwort seines »Impressionismus«-Werkes {1907} »Mehr Hegel!« in der Tat zu erfüllen beginne.]  –  Auch KRONERS Werk will »dartun, daß gerade derjenige, der sich bemüht, die kritische Philosophie aus ihr selbst heraus zu verstehen, über sie hinaus- und fortgetrieben wird zu den Spekulationen der Nachfolger«. Es »will den Kantianern die Augen dafür öffnen, daß die großen Nachfolger Kants über ihn hinausgegangen sind, weil sie ihn verstanden  –  weil sie ihn besser verstanden haben, als er sich selbst verstand. Es gibt keinen kürzeren Weg, zu einer gerechten Würdigung der spekulativen Systeme« zu gelangen, als den, die kritische Philosophie ihren eigenen, tiefsten Motiven nach durchzudenken; der Weg, den die Geschichte gegangen ist, muß heute noch einmal in historisch-systematischer Absicht zurückgelegt werden«. [S. 27]. Dies beleuchtet jenen anderen von uns hervorgehobenen Prozeß der selbständigen Eigenproduktion der gegenwärtigen Philosophie, die nicht von KANT zu HEGEL, sondern ihrerseits auf der Linie KANT-FICHTE-SCHELLING folgerichtig schöpferisch fortschreiten wird.  –  Im Grunde ist dies  –  wenigstens den prinzipiellen Einstellungen nach betrachtet  –  der gestaffelte Vormarsch der drei transzendentalphilosophischen Schulen, der Marburger, Badener und Phänomenologen, unbeschadet ihres gegenseitigen und gleichzeitigen systematischen Zusammenhanges. Die Marburger Schule, auch CASSIRER, bleibt auf kantischem Boden. [NATORPS neuere Annäherung an HEGEL widerspricht der obigen Darlegung nicht.] Die Badische Schulrichtung [in der Steigerung WINDELBAND-RICKERT-LASK] ist der Position FICHTES prinzipiell verwandt und zeigt wie diese einen über sich selbst hinausdrängenden Charakterzug, der die Probleme der »Geltungs« - und Wertphilosophie zu stetiger Umbildung zwingen wird. Am meisten würden wohl die Phänomenologen erstaunt sein, entsprechend als ihren Schutzpatron SCHELLING ansehen zu sollen. Tritt doch neuerdings statt dessen [auch bei HUSSERL selbst] vielmehr das Bewußtsein einer Verwandschaft mit LEIBNIZ’ Metaphysik hervor, fiir deren Wiedererwachen nach den Vorarbeiten von KABITZ, HEIMSOETH, PICHLER, MAHNKE jetzt das neue große Werk R. SCHMALENBACHs [»Leibniz«, München 1922 trotz betonter Einseitigkeit doch eine wertvolle Ergänzung der Darstellung CASSIRERS] sehr bedeutsam ist, indes zugleich von gänzlich anderer Seite her, in N. HARTMANNS erkenntnistheoretisch-logischem Fundamentalwerk »Metaphysik der Erkenntnis«, 1921, auch auf systematischem Gebiet sich wichtiges und hilfreiches Verstehen vorbereitet.  –  Daß dieße Hindeutungen auf LEIBNIZ und SCHELLING sich übrigens nicht zu widersprechen brauchen, zeigt das Wort des jugendlichen SCHELLING, »daß die Zeit, Leibnizen zu verstehen, gekommen ist«, ja die Zeit, »da man Leibnizens Philosophie wiederherstellen kann. .... Er gehörte zu den wenigen, die auch die Wissenschaft als freies Werk behandeln. Er hatte in sich den allgemeinen Geist der Welt, der in den mannigfaltigsten Formen sich selbst offenbart und, wo er hinkommt, Leben verbreitet.« Wie die Grundlage der prinzipiellen Stellung SCHELLINGS [nur um diese handelt es sich !] rückwärts bis zu LEIBNIZ führt, so reichen die Endstadien seiner philosophischen Entwicklung  –  der umfassendsten und der recht eigentlich zentralsten der gesamten Klassik  –  auch noch über HEGEL weit hinaus, ja in den letzten religionsphilosophischen Konzeptionen des alternden SCHELLING in eine Zukunft hinein, die in Jahrhunderten späterer Reife erst das dort ahnend Vorweggenommene in der geistigen Wirklichkeit nachholen wird und damit dann zugleich erst das vollständige Verständnis der von LEIBNIZ bis zu HEGEL reichenden Gesamtheit sich errungen haben wird. Unsere Gegenwart vermag zunächst nur erste, zaghafte und tastende Schritte zu tun. Die mächtige Erscheinung SCHELLINGS in ihrem wirklichen Wert [der nicht auf seiner, uns gleichgültigen, historischen Persönlichkeit beruht, sondern auf der Gewalt der durch ihn repritsentierten typischen metaphysischen Einstellung] ist dabei unserer Zeit noch vlillig unsichtbar oder höchstens als seltsame Karikatur bekannt  –  ähnlich wie es bei HEGEL noch vor zwei Jahrzehnten stand. Die volle kritische Bewältigung SCHELLINGS wird auch unserem Jahrhundert noch nicht mliglich sein, wenngleich sich hier noch manche Ueberraschungen ergeben könnten. Auch unabhängig hiervon aber kann seine Einordnung als letzter Hintergrund bestimmter Strömungen der Gegenwart erfolgen, die verschiedenartig und zumeist noch falsch klassifiziert [wie »Neuromantik« und »Lebensphilosophie«] als unklare Vorläufer einer wichtigen, durchaus zentralen geistigen Bewegung unserer Zukunft zu betrachten sind und die sich mit bestimmten Bildungen der wissenschaftlichen Philosophie und der Aesthetik noch zusammenschließen werden. [Beispielsweise erinnern wir noch einmal an TROELTSCHS Schlußanmerkung über SCHELER.]  –  Aus diesem Zusammenhang, ergibt ach auch die endgültige Einordnung der von Spengler versuchten Metaphysik in all ihren Verzweigungen und [unbewußten] Beziehungen, in ihren fortwirkenden Möglichkeiten wie auch in der Feindschaft, die sie von bestimmter Seite her notwendig finden mußte. [Ein Beispiel solcher noch unrichtigen Klassifizierung bietet das Vorwort von HEINEMANNs jüngstem Plotinwerk, Leipzig 1921: »Die Philosophie unserer Tage vollzieht den Uebergang, den die romantische Philosophie gegenüber Kant, den die Neuplatoniker gegenüber Plato durchgeführt haben«. Diese Parallele wird dem oben erwähnten Gesamtprozeß KANT-HEGEL nicht gerecht, so wertvoll und begrüßenswert im übrigen das ausgezeichnete Werk der Zeitforderung entgegenkommt.) Seine »metaphysisch stammelnde Abbreviatur »der innerlich erschauten Fülle deutet auf die Forderung der späteren, kritischen, gereiften Verwirklichung dieser Inhalte erst voraus, wie sie der kulturwissenschaftlich-philosophischen Arbeit der Zukunft (und vielleicht ganzer Jahrhunderte) obliegen wird. In diesem Sinne ist, die heute nahezu überwundene Kantorthodoxie des abgelaufenen Jahrhunderts erst das Eingangsstadium eines weiterreichenden Prozesses, in dem sich zunächst ein sich ähnlich vertiefendes Verständnis HEGELS vorbereitet. Aber erst auf Grund der einst noch erarbeiteten gleichmäßigen Klarheit über die »Eckpfeiler« KANT-HEGEL wird sich dann das spätere reife Verstehen der schwierigeren (weil im schöpferischen Fluß ständig verharrenden) Mittelgestalten FICHTE-SCHELLING endgültig ausbilden können, das sich in Jahrzehnten erst wirklich anbahnen wird, so ungeduldig auch vielleicht die Zeit schon vorher danach drängt. Denn unbewußt spürt sie den inneren Zusammenhang dieser Totalität von LEIBNIZ her als die Bedingtheit ihrer eigenen schöpferischen Forderung und Aufgabe auf diesem Feld. Je mehr die letztere, selbstherrlich und doch ihrer inneren Notwendigkeit nach, sich entfaltet (nach den strukturellen Möglichkeiten und Verknüpfungsfolgen,die gegeben sind), um so deutlicher wird sie das gesetzmäßige Formenganze und die schließliche Identität der menschlichen und kulturellen Grundstruktur erkennen lassen und damit zugleich auch das Verständnis der klassischen Höhe der (deutschen) Philosophie bewußt erfüllen, in deren symbolischem Begriffszusammenhang diese Identität ahnend vorweggenommen und gedeutet ist. “
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (III. Teil [Form-Inhaltsfrage]; 4. Kapitel [Metaphysische Beurteilung]), 1922, S. 153-161

„Eine derartig aufgefaßte Verlaufsrichtung unserer philosophischen Bewegung scheint mit all der jungen Schöpferkraft der überall neu aufsteigenden Arbeit der Spenglerschen Verfallsthese nur zu widersprechen, und sie scheint sie doch wieder mit der bedingten Wiederholung zu bestätigen, die nach der Erkenntnis des klassischen Höhepunktes nur mehr möglich ist und so doch letzten Endes einen Abstieg darstellt, analog dem von Spengler gebrauchten Schema. Andererseits kreuzt sich die erstere, lebendig auseinanderstrebende und zukunftsfroh vorwärts gerichtete Bewegung auf das schärfste mit jener kulturkritisch und selbstbewußt die Zeit beurteilenden, als deren Endpunkt Spengler verstanden werden konnte  –  und doch kommt der letzteren auch jene erste schon dadurch entgegen, daß sich ihre Arbeit mehr und mehr als kulturphilosophisch orientiert empfindet, seitdem WINDELBAND in seiner letzten Darstellung (»Kult. d. Gegenw.«, I, V) selbst KANTs Gesamtwerk als »das reife Selbstbewußtsein einer hochentwickelten Kultur« kulturkritisch zentriert und auf HEGELs Entwicklung hin bezogen hat.  –  Auch diese sich in Spenglers Stellung kreuzende doppelte Antinomik wird die systematisch-kritische Erkenntnis aufzulösen haben und dabei dabei die Entdeckung machen, daß die Wurzel der metaphysischen Konzeptionen Spenglers eben in jenes zentrale Bildungsreich hinabreicht, das wir als das der »Strukur«-erkenntnisform mehrfach zu kennzeichnen versuchten (und dessen geschichtlichen Zusammenhang in der Vergangenheit und Gegenwart die Anmerkung näher beleuchtet). Eben darum ist die Möglichkeit einer fruchtbaren Korrektur gegeben, dessen, was von Spenglers eigener Veranlagung aus noch keine zureichende Gestaltung fand und dessen unschätzbarer Anregung die wissenschaftlich-philosophische Entwicklung ihrerseits in immer tieferer Ergänzung doch entgegenkommen wird. Dies ist die Aufgabe zukünftiger Kritik und zwar ihrer vereinigten Gesamtarbeit, nicht die Aufgabe eines Einzelnen. Der letztere vermöchte lediglich, eben durch die Verfolgung der zentralen, metaphysischen Hauptlinie, jene Arbeitsordnung vorzuzeichnen  –  ähnlich wie es den bisherigen Kritiken gegenüber möglich war, nicht ihre Resultate umzustoßen, sondern durch die einheitliche Anordnung ihrer Ergebnisse allein schon ein fruchtbar durchleuchtetes Gesamtbild von der Aufgabe der gegenwärtigen Kulturkritik an diesem Einzelpunkte zu enwerfen.“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (III. Teil [Form-Inhaltsfrage]; 4. Kapitel [Metaphysische Beurteilung]), 1922, S. 162

„Ist dieses Bild nur unerfreulich und die Lösung einer großen Aufgabe bisher nur unzulänglich in Angriff genommen? Wir glauben nicht, Zwar hat QUESADA, der seine akademische Lebensarbeit mit der großen Spenglervorlesung an der südamerikanischen Hauptuniversität geschlossen hat, sich erstaunt über das Niveau sehr vieler deutscher Spenglerkritiken geäußert, und gewiß bedeutet z. B. L. NELSONs »Spuk« kein Ehrendenkmal für seinen Verfasser. Aber diesem berechtigten und begreiflichen Unmut gegen hämische deutsche Krittelei ist andererseits die Mächtigkeit und Tiefe des Klärungsbedürfnisses und der Spannweite eben dieses deutschen Geistes entgegenzuhalten, Er hat Raum und Verständnis für die beiden Extreme, die er selbst hervorgebracht hat: das intuitiv vorwegnehmende Ahnen weitester Umfassung und die nüchterne, gewissenhafte Akribie der förmlich haßerfüllt jede vorschnelle Ungenauigkeit verfolgenden peinlichsten Redlichkeit. Gerade die gewaltige Weite und Tiefe der »faustischen«, fessellos schweifenden deutschen Sehnsucht braucht auch den kritisch verneinenden Mephisto, und sie kann die ganze Schärfe seiner bloßen Negativität ertragen, die für andere zerstörend wär. An sich freilich ist die letztere unfruchtbar. Sie bleibt ein dienendes Moment, ein wichtiger Reiz zur verschärften Selbstkontrolle für das Positive, Schöpferische, das aus der zersetzendsten Kritik noch Kraft für sich gewinnen kann. Die positive Macht der gedanklichen Werte Spenglers scheint uns stark genug, um es auch noch mit einer weiteren Welt von Feinden aufzunehmen, denn je tiefer, je bedeutender der Blick ist, der die Spenglerschen Gedankenmassen überschaut, desto bedeutendere Schätze wird er aus und an ihnen aufzeigen können. Die Kritik spiegelt in hohem Maß den Geist des Kritisierenden, wie die Nachahmung den des Nachahmers und nicht den Geist des Originals. Insofern scheint uns auch der öfters wiederholte Einwand nichtig, daß die Problematik Spenglers nur Verwirrung und Schaden unter der Wissenschaft und ihrem jüngeren Nachwuchs verbreiten müsse. Seine Fehler sind gehalten und getragen von der einmaligen, einzigartigen Genialität dieses widerspruchsvollen Individuums und können nicht für sich allein bestehen. Spenglersche Behauptungen aus anderem Munde als dem seinigen, ohne den Hintergrund seiner elementaren Kraft, würden lächerlich und unwirksam bleiben, Der »Spenglerianer« ist in keiner Wissenschaft auch überhaupt nur möglich und ist auch nirgends hervorgetreten. (Wer übrigens durch Bücher derartig beeinfiußbar ist, daß er daraufhin seine Lebensentscheidung trifft und etwa »von der Lyrik zu der Technik übergeht« oder sich pessimistisch schon narkotisiert fühlt, für den steht ja auf dem reichbesetzten Tisch der Antispenglerschriften jede nur gewünschte Dosis Optimismus zur hilfreichen Gegeneinnahme bereit.)“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (III. Teil [Form-Inhaltsfrage]; 4. Kapitel [Metaphysische Beurteilung]), 1922, S. 162-163

„Wir unsererseits haben hier Spenglers Werk noch nicht beurteilt, sondern es im Spiegel seiner Kritiker und als den Kreuzungsort bedeutsamster Tendenzen und Entwicklungsrichtungen der gegenwärtigen Kultur betrachtet. Ihre innere Beziehung zum Gehalt des Werkes, auf deren Steigerungsmöglichkeiten unser Vorwort hinwies, hat sich auch noch ohne Analyse dieses Werkes selbst, schon aus seinen Auswirkungen kennzeichnen lassen. Wir bleiben hier bei der Feststellung dieser tieferen, repräsentativen Zeitbedeutung Spenglers stehen, und begnügen uns hier mit ihrer Zurückführung auf den verschlungenen Werderhythmus dieser reifenden Entscheidung unserer Zeit. Denn wieder steht das deutsche Volk und deutscher Geist an einem Wendepunkt der Zeiten und im Angelpunkt seines Entschlusses  –  das Schicksalsgeflecht der Welt schürzt sich in seinem eigenen Tun und Leiden. Der sinkende Westen und der aufdämmernde Osten kreuzen und durchdringen sich im Land der Mitte und des Ausgleichskampfes von Aufgang und Untergang im Land auch der sinnbildlichen Begegnung Faustens, des ewig Vollendenden, und Ahasvers, des ruhelosen Geistes der Vergänglichkeit. Welche Weissagung vermöchte schon das schöpferische Dunkel dieses schwerverhängten, rätselvollsten Völkerschicksals zu durchleuchten? Noch scheint das alte Tiefenfeuer nicht erloschen. Während sich von außen und von innen die Vernichtungsmächte immer drohender erheben, arbeitet zugleich doch mit dem wirtschaftlichen auch der systematische Geist folgerichtig an dem tausendfältig sich erweiternden Gewebe, und die Einpressung und Abschnürung ringsum treibt ihn zugleich zu umso weltumspannenderem Vogelflug, der über alle Erdbezirke und Jahrtausende dahinstreicht, ihren Sinn und ihre Bürgschaft für ihn selbst sehnsuchtsvoll witternd und enträtselnd. Auch in Spenglers Schau über die Zeiten spüren wir diesen mächtigen, spähenden, durchdringenden und umfassenden Adlerblick als Ausdruck deutscher Geisteskraft und deutscher Geistesweite, würdig der Vergangenheit wie der Größe und Wucht des Augenblicks und seiner sich zusammenballenden Entscheidung; deutsch in seinen Fehlern wie in seiner Stärke und insofern typisch für den von ihm selbst gekennzeichneten »faustischen« Charakter, den er einma, wundervoll vergleichend, dem griechischen gegenüberstellt  –  wie das leise Erzittern der homerischen Verszeile (»eines Blattes in der Mittagssonne«) gegenüber dem unendlichen Rhythmus der nordisch einsamen, weltweiten Sehnsucht: »verhaltene Spannung im Leeren, Grenzenlosen, ferne Gewitter in Nächten über den höchsten Gipfeln«.“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (III. Teil [Form-Inhaltsfrage]; 4. Kapitel [Metaphysische Beurteilung]), 1922, S. 164

„Ist dies zuviel gesagt? Wirft seine Prophezeiung nicht gleichsam Gewitterschein auf das zerrissene, mitternächtlich umwölkte Land der Zeit? Wir glauben weder an die Macht noch an die Richtigkeit derartig weitgespannter Prophezeiungen. Wohl aber sehen wir in seinem Werk, bezw. in den in ihm angesammelten Gedankenmassen eine ferne Gipfelreihe feierlich aufragen und wir weisen die Meinung der Kritiker zurück, die diese nur als Wolkenbilder oder gar nur als Theaterhintergründe auffassen zu können glaubt. Wir möchten zeigen, daß diese gedanklichen Berggipfel wirklich sind, betretbarer Granitgrund, in natfirlichem Zusammenhang mit dem Gebirgszug deutschen Geistes, ja menschlicher »Urgedanken«. Goethe weist, anläßlich eines geologischen Aufsatzes den Vorwurf zurück, »daß es ein Geist des Widerspruches sein müsse«, der ihn »von der Betrachtung und Schilderung des menschlichen Herzens, des jüngsten, mannigfaltigsten, beweglichsten, veränderlichsten, erschütterlichsten, Teiles der Schöpfung zu der Beobachtung des ältesten, festesten, tiefsten, unerschütterlichsten Sohnes der Natur geführt hat«. Ähnlich dünkt es uns nur ein scheinbarer Widerspruch, wenn wir an den Gedanken dieses Geistes, der so leidenschaftlich wie kein anderer von dem unendlich vielfältigen Wogengang der menschlichen Kulturen, dieses rätselvollsten, letzten, höchsten, geistigsten Gebildes der flutenden Schöpfung, bewegt und ergriffen worden ist, zuinnerst doch das ruhende und unerschütterliche Felsgestein aufzeigen wollen, um das die verwirrende Gestaltenfolge schäumt und brandet. Diese metaphysische Kritik ist bewußt einseitig und sie verfolgt nur eine unter vielen Möglichkeiten. Doch sie scheint uns, um mit unserem alten Gleichnis abzuschließen, eben der zentrale Aufstieg zu jener fraglichen Gipfelkette, deren Höhe wir noch zu erweisen haben werden, selbst wenn uns dort oben auf der Wanderung noch manches kräftige kritische Schlossenwetter überraschen sollte.“
Manfred Schröter, Der Streit um Spengler - Kritik seiner Kritiker (III. Teil [Form-Inhaltsfrage]; 4. Kapitel [Metaphysische Beurteilung]), 1922, S. 165

 

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