Zitate aus der Rede in Würzburg
(26.02.1924):
Der Weltkrieg bildet im großen geschichtlichen
Werden und Vergehen einen ebenso tiefen Einschnitt wie zuletzt die Zeit
Napoleons. Diese hat die politisch-militärischen Formen des 19. Jahrhunderts
ebenso bestimmt, wie der spanische Erbfolgekrieg die des 18. und der Weltkrieg
die des 20. Man muß das wissen, um sich darüber klar zu sein,
wie unendlich viel von dem, was vor 1914 selbstverständlich war,
heute unmöglich geworden ist. Versuchen Sie sich vorzustellen, wie
die Welt damals aussah, als der Sturm auf die Bastille erfolgte, und dann,
als nach der Schlacht von Waterloo der Wiener Kongreß die Neuordnung
Europas für ein Jahrhundert unternahm. Das Staatensystem des 18.
Jahrhunderts kämpfte mit sehr kleinen besoldeten Berufsheeren. 1020000
Mann bedeuteten bereits eine Macht. Die Kabinette entschlossen sich infolgedessen
leicht, diese Truppenmengen einzusetzen. Die Kämpfe waren nach Raum
und Aufwand der Mittel so geringfügig, daß mit Ausnahme der
unmittelbar verwüsteten Landstriche in den größeren Ländern
sich eigentlich niemand um einen Krieg kümmerte, der an irgendeiner
Grenze geführt wurde. Die Verluste politischer und wirtschaftlicher
Art waren selbst nach Jahren und im Fall einer Niederlage wenig bedeutend
der 7jährige Krieg war für Preußen eine große
Ausnahme und die Friedensschlüsse durch die Konvenienz der
Zeit auch im härtesten Fall so milde, daß jede Regierung es
auch bei weniger wichtigen Streitfragen bald vorzog, die Entscheidung
der Waffen anzurufen. Die Söldnerheere hatten mit der übrigen
Bevölkerung einen geringen persönlichen und seelischen Zusammenhang,
so daß auch die Menschenverluste auf die Stimmung dieser Völker
wenig wirkten. Die »Völker« haben die Kriege dieser Zeit
überhaupt nicht geführt. Selbst die Schlacht bei Roßbach
weckte zwar weithin die deutsche Nationalgesinnung, aber sie wurde nicht
durch ein Volk gewonnen. (Oswald Spengler, Politische Pflichten
der deutschen Jugend, 1924, in: Politische Schriften, S. 131 ).
Dann kommt die Zeit der Revolution und Napoleons:
Aus den Berufsheeren werden Volksheere, welche die gesamte Jugend einer
Nation umfassen; aus den Tausenden werden Hunderttausende, und gegen Ende
der napoleonischen Zeit stehen Massenheere auf dem Boden Europas, deren
Ziffern zwanzig Jahre vorher als Wahnsinn erschienen wären. Und nun
vollzieht sich seit Waterloo etwas sehr Merkwürdiges. Als die Diplomatie
alten Stils die Landkarte Europas neu gezeichnet hatte, wurden diese Heere
nicht nach Hause geschickt; sie blieben als Formationen stehen und der
Begriff des stehenden Heeres ist es, der für ein volles Jahrhundert
die politische Lage und ihre Formen in der gesamten Welt beherrscht hat.
(Oswald Spengler, Politische Pflichten der deutschen Jugend, 1924,
in: Politische Schriften, S. 131-132 ).
Heere, in die in sehr rascher Reihenfolge jeder
waffenfähige Jüngling eintreten mußte, Heere, die also
durch tausendfache Verwandtschaft mit der Bevölkerung verknüpft
blieben, ihr Teuerstes, ihr Stolz und ihre Sorge waren, standen von Spanien
bis Rußland in der Gesamtstärke von Hunderttausenden, zuletzt
von Millionen marschbereit, ohne eigne Meinung, ein furchtbares, blindes,
sich stets verschärfendes Werkzeug in der Hand der Regierungen, so
daß die verantwortliche Diplomatie sich immer seltener und immer
schwerer entschloß, aus dem Stadium der Verhandlungen in das der
Ungewissen blutigen Entscheidung überzugehen. Wenn man vor 1848 in
einem gewissen Falle noch zu einer Kriegserklärung schritt, so überwog
seitdem die Neigung, durch einen Kongreß oder Monarchenbesuch die
Entscheidung eher zu umgehen als zu suchen. Und da es wirkliche Lösungen
auf diesem Wege selten und in schweren Fällen gar nicht gab, so erlebten
wir seit dem Ende des amerikanischen Bürgerkrieges (1865) und der
Schlacht von Sedan das Schauspiel, daß alle großen Konflikte,
welche der unerbittliche Gang der Geschichte heraufbeschwor, vertagt und
beiseitegeschoben wurden. Denn inzwischen hatten sich die Heere durch
technische Erfindungen, die Verwendung der Eisenbahn, der Telegraphie,
durch Ausrüstung und Beweglichkeit in weiten Räumen so verändert,
daß niemand mehr den Gang des »Krieges der Zukunft«
sicher übersah, jede Berechnung fragwürdig, die Verantwortung
damit aber so ungeheuer wurde, daß ein diplomatischer Stil entstand,
den man wohl als Stil der Angst vor letzten Entscheidungen bezeichnen
kann. (Oswald Spengler, Politische Pflichten der deutschen Jugend,
1924, in: Politische Schriften, S. 132-133 ).
Aber damit, daß diese Massenheere nun wirklich
im Weltkrieg bis an die äußerste Grenze ihrer Leistungsfähigkeit
erprobt und teilweise verbraucht worden sind, hat sich in den Formen des
politischen Geschehens eine tiefe Wandlung vollzogen, und wir stehen heute
vor der Tatsache, daß die Lage des vorigen Jahrhunderts mit der
Zukunft in keiner Weise vergleichbar erscheint. Wir müssen uns mit
dem Gedanken vertraut machen, daß die Erscheinung der stehenden
Heere uns widerruflich der Vergangenheit angehört. Es ist ganz gleichgültig,
ob auf dem Papier der eine oder andre oder auch alle Staaten Europas stehende
Heere besitzen, ob die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft ist oder nicht.
Tatsache ist, daß heute schon überall hinter der äußeren
Form stehender Heere alter Art, in- oder außerhalb der Formationen,
sich etwas Neues herausbildet. Es sind das Verbände von Männern,
die aus Begeisterung für eine Sache bereit sind, ihr Leben einzusetzen,
Gemeinschaften aus Überzeugung, zusammengeschmiedet nicht durch die
Dienstpflicht, sondern durch eine Idee. Das war auch im 19. Jahrhundert
möglich und wir haben es 1870 und vor allem 1914 erlebt, aber es
gehört nicht zum Begriff des damaligen Heeres. Jetzt nähern
wir uns der Zeit, wo überall in Europa nicht mehr mit einer allgemeinen
Mobilmachung der wehrfähigen Bevölkerung gerechnet werden darf,
auch in Frankreich nicht, sondern mit einem Appell an diejenigen, die
freiwillig für eine Sache einzutreten bereit sind. Überall bilden
sich in und hinter den stehenden Truppen Ausschüsse, Kreise, Bünde
wie die Action française und die Fascisten, welche dies als ihre
eigentliche Aufgabe betrachten, und damit werden auf dem Boden Europas
wieder kleine Heere erscheinen, Heere, bei denen nun aber die eigene
Überzeugung oder die Verehrung für einen Führer ausschlaggebend
ist. Zum Wesen der stehenden Heere gehörte, daß politische
Meinungen innerhalb des Dienstes keine Rolle spielten; zum Wesen dieser
künftigen Kampfeinheiten gehört, daß diese Meinung über
den Verband selbst hinausgreift und auf die Politik des ganzen Landes
Einfluß gewinnt. Ein Blick auf Italien, Frankreich, Rußland
und andre Länder beweist, wie weit diese Entwicklung schon vorgeschritten
ist. Aber deshalb werden wir künftig mit einer ganz andern Form der
Beziehungen zwischen Staaten zu rechnen haben, mit einer ganz andern und
viel leichteren, unter Umständen die Diplomatie ausschaltenden Art,
sich zu einem Waffengang zu entschließen. Das muß man wissen,
wenn man über die Zukunft Deutschlands nachdenkt. (Oswald Spengler,
Politische Pflichten der deutschen Jugend, 1924, in: Politische
Schriften, S. 133-134 ).
Aber die Änderungen gehen weiter. Als der
Umfang der stehenden Heere eine Entscheidung auf europäischem Boden
selbst immer gefährlicher und undurchsichtiger machte, entwickelte
sich ein Ausweg, der unter dem Namen Kolonialpolitik bis heute so gut
wie verborgen geblieben ist. Die immer hastigere Besitzergreifung weiter
Strecken in fremden Erdteilen erfolgte scheinbar aus wirtschaftlichen
Gründen und zunächst hatten diese sicherlich das Übergewicht.
Seit der Mitte des Jahrhunderts aber war der Hunger nach Kolonialbesitz
nicht mehr allein durch das Bedürfnis an Rohstoffen und Absatzmöglichkeiten
bedingt, sondern auch durch die Tatsache, daß neben den stehenden
Heeren stehende Flotten in Erscheinung traten. Die Kriegsflotten wurden
noch zur Zeit Napoleons aus Holzschiffen mit Segeln gebildet. Sie waren
wesentlich an die Küste gebunden und von Wind und Wetter abhängig.
Aber seit dem amerikanischen Bürgerkriege (186165) wurden sie
mit Dampfmaschinen ausgerüstet, gepanzert und mit den schwersten
Kalibern versehen: eine ganz neue furchtbare Waffe, die in großen
Verhältnissen gar nicht erprobt war und die in der Diplomatie eine
weiterhin wachsende Angst erzeugte, das Schicksal eines Landes von ihr
abhängig zu machen. Und damit wurde nun die Kolonialpolitik ein vielleicht
ganz unbewußtes Mittel, die Entscheidung zur See zu umgehen oder
vorwegzunehmen. Ebenso wie ganze Jahrzehnte hindurch der Landkrieg durch
das Tempo der Heeresvermehrung und der Erfindung von Kampfmitteln gewissermaßen
ersetzt wurde, so daß eine Überflügelung in den Rüstungen
einem Siege gleichkam und unter Umständen diplomatische Erfolge erzwang,
so wurde der tausendfach im voraus beschriebene »Seekrieg der Zukunft«
immer wieder durch das Wettrennen um den Besitz von Kriegsschauplätzen
und Stützpunkten für nie gewagte Schlachten ersetzt. England
hat das zuerst begriffen. In Wirklichkeit war in Afrika und Asien die
expansive Kolonialpolitik zuletzt auf Küsten gerichtet, welche
strategische Bedeutung besaßen. Bei der Aufteilung Chinas in Interessensphären
(seit 1894) handelte es sich im Grunde nur um Häfen und Flußmündungen,
die als Stützpunkte moderner Flotten dienen konnten. Darin lag die
ungeheure Bedeutung von Malta, Aden und Singapore. Und es ergab sich zuletzt,
daß eine Hochseeflotte einen Krieg im voraus gewonnen hatte, wenn
sie alle in Betracht kommenden Küstenplätze sicher in der Hand
hielt, die gegnerische Flotte also überhaupt nicht erscheinen konnte.
Erinnern Sie sich des Problems, aufweiche Weise die russische Flotte 1905
überhaupt nach Japan gelangen sollte, da ihr die englischen Häfen
für die Kohlenübernahme verschlossen blieben. Ein englischer
Premierminister hat einmal erklärt, die Grenzen Englands seien überall
dort zu Ende, wo die Küsten der andern Länder anfingen. Das
war fünfzig Jahre hindurch unbedingt richtig. Aber damit hatte die
englische Flotte alle künftigen Seekriege bereits gewonnen, auch
den Weltkrieg. Sie konnte später ruhig in den Häfen bleiben.
Das System der Stützpunkte siegte für sie. Darin lag nun ein
Ausweichen vor der Entscheidung zwischen Massenheeren auf dem Festlande.
Und auch darin hat sich heute ein durchgreifender Wandel vollzogen. Das
ist in seiner ungeheuren Tragweite noch kaum bemerkt worden, aber es wird
die Weltpolitik der nächsten Jahrzehnte vielleicht beherrschen. Die
frühere Lage beruhte auf der Tatsache, daß das Festland Afrikas
und Asiens und eigentlich auch Südamerika und Australien politisch
ganz passiv waren: die Küste wurde von der See, nicht vom Hinterlande
aus strategisch in Rechnung gestellt. (Oswald Spengler, Politische
Pflichten der deutschen Jugend, 1924, in: Politische Schriften,
S. 134-135 ).
Augenblicklich aber vollzieht
sich in Afrika eine Wandlung, die man vor kurzem noch für unmöglich
gehalten hätte. Als Napoleon die Expedition nach Ägypten unternahm,
war er auf den Zufall angewiesen, daß die Flotte ungehindert dorthin
gelangte, und nach ihrer Vernichtung war er auf Ägypten beschränkt.
Heute geht Frankreich planmäßig daran, den Erdteil Afrika zu
militarisieren. Hunderttausende von Negern werden durch Einführung
der Dienstpflicht vom Senegal bis Tunis militärisch ausgebildet;
ein Netz strategischer Bahnen ist zwischen Algier, dem Sudan und dem Tschadsee
im Bau begriffen, so daß heute schon eine Landbrücke besteht,
welche die Verschiebung von Heeren von Marokko zur Guineaküste und
eines Tages nach Ägypten oder dem Kongo möglich macht. Seit
ihrer Verwendung im Weltkrieg sind die Neger sich ihrer Macht und Zusammengehörigkeit
bewußt geworden. Ein wachsendes Selbstgefühl erfüllt sie
alle von den Senegalesen bis zu den Kaffern, und es wird durch eine von
den Negern Amerikas ausgehende Propaganda beständig geschürt.
Damit tritt ein ganzer Erdteil in die aktive Politik ein, um so mehr,
als der Islam mit ungeheurem Erfolge die Negerbevölkerung nördlich
des Äquators bekehrt und nicht nur in ihrer Weltsanschauung, sondern
auch politisch aufgeweckt und einem gewaltigen unsichtbaren System angegliedert
hat, das von Bagdad nach China und von Mekka bis zum Atlantischen Ozean
reicht. Ob diese neuen Mächte in einem kritischen Augenblick auf
englischer, französischer oder andrer Seite stehen werden, ist eine
dunkle Frage, von der unendlich vieles abhängt. Tatsache ist jedenfalls,
daß südlich von Europa, ein weites Gebiet aus seinem Schlaf
geweckt und in die Weltpolitik einbezogen worden ist, so daß europäische
Kämpfe unter Umständen dahinter zurücktreten können.
(Oswald Spengler, Politische Pflichten der deutschen Jugend, 1924,
in: Politische Schriften, S. 136 ).
Ganz dasselbe gilt von Asien. Im Osten war das 19. Jahrhundert
beherrscht durch die Tatsache, daß Rußland von Polen bis zum
Amur nach seiner und unserer Meinung ein europäischer Staat war.
Heute haben wir das Gefühl, daß jenseits der Weichsel eine
ungeheure Menschenmasse sich in einer seelischen Erregung befindet, von
welcher niemand weiß, welche Wirkungen sie plötzlich auslösen
kann. Ich will ein einziges Beispiel anführen. Um 1920 tauchte in
Mittelasien ein Baron von Unger-Sternberg als Freischarenführer auf,
dem es in kurzer Zeit gelang, eine Truppe von angeblich 150000 Mann zusammenzubringen,
die ihm persönlich unbedingt ergeben, die ausgezeichnet geschult
und bewaffnet war und von ihm jedem beliebigen Ziel hätte entgegengeführt
werden können. Dieser Mann ist nach kurzer Zeit von den Bolschewisten
ermordet worden. Wäre das nicht gelungen, so läßt sich
nicht absehen, welche Ereignisse sich heute in Asien abspielen würden
und welche Gestalt die Landkarte der Welt heute schon angenommen haben
könnte. Es besteht kein Zweifel, daß eine sozusagen nationalasiatische
Armee von hunderttausend Mann, die in Turkestan steht, das Schicksal Asiens
unbedingt in der Hand hat. Ob sie sich gegen Indien, China oder Persien
wendet, sie wird bei jedem Schritt vorwärts Tausende von Anhängern
finden, und es gibt in diesem ganzen Erdteil keine Macht, die einem begeisterten
Ansturm solcher Art ernsthaften Widerstand leisten würde. Aber damit
hat sich das Kampffeld, das noch während des Weltkrieges sich auf
den Boden Europas bis zum Westrande Rußlands beschränkte, über
den ganzen Landblock der alten Welt ausgedehnt. Diese Landmasse kann in
überraschend kurzer Zeit in Ereignisse verwickelt werden, für
welche das vorige Jahrhundert kein Beispiel bietet. (Oswald
Spengler, Politische Pflichten der deutschen Jugend, 1924, in:
Politische Schriften, S. 136-137 ).
Und daraus ergibt sich vielleicht eine alles umwälzende Änderung
für die Sicherheit der englischen Weltmacht. Wenn das 19. Jahrhundert
trotz der stehenden Massenheere und gerade wegen ihrer die eigentliche
Glanzzeit der seebeherrschenden Staaten war und die Flotte allein über
den Besitz afrikanischer und asiatischer Länder entschied, so ist
heute die Tatsache strategischer Überlandlinien in Entwicklung begriffen.
Die englische Machtstellung beruhte darauf, daß der Weg von England
nach seinen Besitzungen im indischen Ozean und der Südsee ausschließlich
ein Seeweg war. Im Augenblick, wo die große Landmasse aus ihrem
politischen Schlummer erwacht, gibt es auch noch Landwege. Eine Flotte
aber, die das Land besetzt findet, ist unwirksam geworden. Eine Seemacht,
welche durch Küstenpunkte keine Wirkung mehr auf das Hinterland ausüben
kann, hat aufgehört eine Macht zu sein. Es liegt im Bereich der nächsten
Möglichkeiten, daß das ganze Problem der Seebeherrschung dadurch
grundlegend verändert wird, daß neue Machtlinien, die über
riesenhafte Landflächen hinweglaufen, eine ganz neue Art von Kontinentalsperre3
ermöglichen. Es ist also auch möglich, daß die geographische
Lage Deutschlands, bisher ein Verhängnis für unser Volk, eine
völlig veränderte politische Bedeutung erhält, und daß
die außenpolitischen Kombinationen der Zeit nach Bismarck durch
überraschend neue Gesichtspunkte abgelöst werden.
(Oswald Spengler, Politische Pflichten der deutschen Jugend, 1924,
in: Politische Schriften, S. 137-138 ).
Dieser politischen Wendung entspricht nun eine wirtschaftliche
von gleicher Tragweite, welche auch den wirtschaftlichen Stil des
19. Jahrhunderts ebenso verwandelt hat, wie die napoleonische Zeit den
des 18. Wir sind heute noch vorwiegend der Meinung, daß »der
Marxismus« der eigentliche Gegner der bestehenden sozialen und ökonomischen
Ordnung sei. Das ist seit wenigen Jahren ein veraltetes Bild. Der Gang
der wirtschaftlichen Entwicklung zeigt einen überraschenden Zug,
sobald man sich von den Vorstellungen der durch und durch materialistischen
Nationalökonomie des vorigen Jahrhunderts frei macht und die Tatsachen
der letzten zweihundert Jahre auf ihre tiefere Bedeutung hin unbefangen
prüft.4 Es ist falsch, nach der Behauptung von Marx und andern die
wichtigste Epoche der modernen Wirtschaft in der ersten Hälfte des
vorigen Jahrhunderts zu suchen. Der wirkliche Einschnitt liegt vielmehr
genau wie auf militärisch-politischem Gebiet inmitten der Epoche
Napoleons. Setzen Sie den Fall, daß jemand zur Zeit Friedrichs des
Großen in einem Flugzeug irgendein Land Europas überquert hätte:
er würde unter sich ein Gewimmel von Menschen und eine Menge wirtschaftlich
arbeitender Dinge erblickt haben, Landgüter, Fabriken und gewerbliche
Betriebe. Es wäre sehr einfach festzustellen gewesen, welche Menschen
als Besitzer zu den einzelnen Dingen gehörten. Wer heute dieselbe
Gegend überflöge, würde mit seinem Auge kaum eine wesentliche
Veränderung finden: ebenfalls Menschen und ebenfalls arbeitende Dinge.
Und trotzdem hat sich eine umstürzende Wandlung vollzogen. Man kann
heute von einem ganzen Nationalvermögen vielleicht noch sagen, daß
es ein Besitz der Nation ist; aber welches Besitzverhältnis zwischen
einzelnen Menschen und einzelnen Dingen besteht, sieht niemand mehr. Das
völlig neue, das viel tiefer geht als alles, was Marx jemals beobachtet
hat, ist die geistige Ablösung des Besitzes vom Gegenstand.
Seit der französischen Revolution beginnt zwischen Menschen und Dinge
das Wertpapier in der Gestalt von Aktien, Anteilen, Pfandbriefen und Banknoten
einzudringen. Die Eigentumsbeziehung wird unsichtbar, und im Laufe
des 19. Jahrhunderts hat sich etwas herausgebildet, das früher überhaupt
nicht bekannt war, die Erscheinung der beweglichen, vom Ort und den Dingen
unabhängigen, in Gegenständen nur »angelegten«,
und zwar mit der Möglichkeit jederzeitigen Wechsels angelegten, nur
durch die Höhe, nicht die Art bestimmten Vermögen. Heute wie
ehemals kann eine Fabrik im Lande liegen und arbeiten, und trotzdem weiß
niemand, wem sie gehört, denn die Eigenschaft des Besitzes
ist in der Gestalt von einigen Tausenden Papierstücken abgelöst
und haftet an diesen, die im Laufe weniger Stunden aus einer Hand in die
andre, aus einem Lande in das andre wandern können, und die seit
Einführung des elektrischen Nachrichtendienstes auch noch unter mündlicher
Ablösung der Besitzeigenschaft von der sichtbaren Werturkunde die
erstere in einigen Minuten in fremde Erdteile zu verlegen gestatten, so
daß sie nun unsichtbar und ungreifbar über die ganze Erde hin
wechseln kann, während die Fabrik unabhängig davon und ahnungslos
fortarbeitet. Daraus hat sich eine Tatsache entwickelt, welche heute auf
der Höhe steht und nicht nur die wirtschaftliche, sondern längst
auch die politische Lage völlig beherrscht. Wir haben in Deutschland
wie in allen wirtschaftlich fortgeschrittenen Ländern heute schon
mehr bewegliches als unbewegliches Vermögen. Von dem Nationalbesitz,
soweit er uns geblieben ist, befindet sich zweifellos weit mehr als die
Hälfte in der Hand von Menschen, welche die Gegenstände, zu
denen sie augenblicklich im Besitzverhältnis stehen, weder bearbeiten
noch überhaupt kennen, sondern die sie in Gestalt von Papieren
oder gar Verabredungen nur »haben«, um durch geschäftliche
Veränderung dieses Habens ganz unabhängig von der an den Gegenstand
gebundenen produktiven Arbeit Vorteile zu erzielen. Nationalgut, soweit
es in Dingen innerhalb der Grenzen liegt, und Nationalgut, soweit es die
Summe der Volksangehörigen besitzt, »hat«, sind also
zwei ganz verschiedene Größen geworden. Die erste ist in England
kleiner, in Deutschland größer als die zweite. Wieviel von
der deutschen Industrie Deutschland gehört, weiß niemand.
Das ändert sich von einem Börsentage zum andern. Es ist demnach
nicht mehr so, wie Marx es darstellt, und zwar aus dem Bedürfnis
heraus, eine theoretische Unterlage für den Klassenkampf zu erhalten,
daß zwischen Arbeitgebern und Arbeitern ein natürlicher Gegensatz
bestehe; er besteht heute viel mehr zwischen den Menschen, die sichtbar
produktive Arbeit leisten, ob als Führer oder Geführte, als
Unternehmer, Techniker oder Werkleute, und der viel kleineren wechselnden
Zahl von Unbekannten, die weder dies noch jenes sind, die aber das Werk
haben, für die also gearbeitet wird, obwohl sie von der Art dieser
Arbeit gar nichts wissen. Diese Ablösung des Besitzes vom Werk untergräbt
und vergiftet die eigentlich produktive, am Heimatboden, an Äckern,
Bergwerken, Betriebsstätten haftende Arbeit der heutigen Nationen.
Solange zu jedem Werk jemand gehört, der als Eigentümer dafür
sorgt, läßt sich von nationaler Arbeit sprechen. Aber ein bewegliches
Vermögen, das durch ein Telegramm in einem Augenblick von Berlin
nach New York verlegt werden kann, ist nicht mehr national. Es hat sich
vom Boden gelöst, es schwebt in der Luft, es ist eine unfaßbare
Größe. Und wenn die Entwicklung in dieser Richtung bis ans
Ende schreitet, so daß in den großen Wirtschaftsgebieten auch
die letzten Teile der Nationalvermögen von den Dingen gelöst
werden, dann ist eine Form der Wirtschaft erreicht, welche das Mark auch
des stärksten Volkes rasch aufzehrt. Heute schon arbeitet der überwiegende
Teil der Deutschen, Engländer und Amerikaner, vom Unternehmer bis
zum Gelegenheitsarbeiter, für Menschen, die er nicht kennt und die
einander unbemerkt ablösen. Auch der Erfinder und Unternehmer setzt
seine Lebensarbeit für Unbekannte ein, und so vermag eine kleine
Zahl von Menschen über die Erde hin mit den einzelnen Nationalvermögen
und damit dem Schicksal der Nationen selbst zu spielen. (Oswald
Spengler, Politische Pflichten der deutschen Jugend, 1924, in:
Politische Schriften, S. 138-141 ).
Die beweglichen Vermögen, welche hinter den Banken, Konzernen
und Einzelwerken stehen, haben in einem Umfange, von welchem die Öffentlichkeit
nichts ahnt, die politischen Einrichtungen, Parteien, Regierungen, die
Presse, die öffentliche Meinung unter ihren Einfluß gebracht.
In allen Ländern mit entwickelter Industrie, Plantagenwirtschaft
oder ausgedehntem Handel diktieren sie beinahe die Gesetze, die sich irgendwie
auf Gewinne und Abgaben beziehen. Sie haben unter dem Schlagwort: »Belastung
der starken Schultern« eine Steuerpolitik volkstümlich gemacht,
die infolge ihrer Methoden die unbeweglichen, also sichtbaren und greifbaren
Vermögen zugunsten der beweglichen, nicht erfaßbaren belastet;
sie drängen die Wirtschaftsgesetzgebung unvermerkt in eine Richtung,
die immer größere Teile des festen Nationalgutes von den sichtbaren
Dingen löst und als internationales Vermögen in Fluß bringt,
sei es auch nur in der Form von Krediten, um sich dann auf Kosten der
am Orte haftenden Arbeit den Lasten und Pflichten zu entziehen. Es könnte
eines Tages so weit kommen, daß das ganze Volk arbeitet, ohne zu
wissen, für wen und wofür. (Oswald Spengler, Politische
Pflichten der deutschen Jugend, 1924, in: Politische Schriften,
S. 141 ).
Dieser Gegensatz von Haben im bürgerlichen und im Börsensinne
greift viel tiefer als der volkstümliche von Kapitalist und Proletarier,
um die Schlagworte der vorigen Generation zu gebrauchen. Deutschland besitzt
wie andere Länder eine hochgezüchtete Schicht, die seit Generationen
durch Erziehung, Stellung, geistige und Lebenskultur sich etwas angeeignet
hat, das sich materiell auf keine Weise umschreiben läßt, einen
inneren Rang, eine Höhe und Feinheit geistiger und praktischer Tätigkeit,
eine Tradition des Leistens, Begreifens und Wollens, auf welcher der ganze
geistige, sittliche, soziale, politische und zuletzt auch wirtschaftliche
Halt der Nation beruht. Diese Schicht existiert nur unter der Voraussetzung,
daß von dem nationalen Gut und seinem erarbeiteten Ertrage genug
in ihren Händen ist, um diese Erziehung und Tradition fortführen
und für die Zukunft sicherstellen zu können. Wird diese Schicht
von alten Familien in ihrem festen Besitz unterwühlt und zum Zusammenbruch
gebracht, dann hat ein modernes Volk das Beste verloren, etwas, das sich
überhaupt nicht ersetzen läßt, den natürlichen Schwerpunkt
seiner geschichtlichen Bahn, die geborenen Führer des Gesamtdaseins
und Bewahrer gewachsener, unerlernbarer, langsam entwickelter Triebe und
Eigenschaften. Diese Gefahr ist in England ebenso groß wie in Deutschland.
Durch die 1908 von dem damals linksradikalen Lloyd George eingeleitete
Steuerpolitik, vor allem die erdrückenden, gegen die unbeweglichen
Vermögen gerichteten Tax- und Erbschaftssteuern ist in England heute
schon erreicht, daß ein großer Teil der alten Familien, für
welche die Beschäftigung mit Politik einer vornehmen Tradition entsprach,
durch den Zusammenbruch ihres Besitzes gezwungen wurde, diese Tradition
aufzugeben. Aber damit wird dieses Kernland eines stets gefährdeten
Weltreiches nicht, wie ein Sozialist sich ausdrücken würde,
von seinen Ausbeutern und Junkern befreit, sondern um die Schicht ärmer,
deren ererbte Fähigkeiten Jahrhunderte hindurch den Erfolg in der
großen Politik verbürgten. Verschwindet sie ganz, so bricht
die goldene Zeit der Dilettanten und Stellenjäger an, mit denen sich
zwar die Finanzvermögen ausgezeichnet verständigen können,
mit denen sich aber kein moderner Großstaat regieren, geschweige
denn größeren Zielen entgegenführen läßt. Nicht
die bloße Verarmung, die Ausschaltung der geschichtlich führenden
Kulturschicht ist die ungeheure Gefahr aller alten Kulturvölker,
die brennende Gefahr auch für das Deutschland von heute.
(Oswald Spengler, Politische Pflichten der deutschen Jugend, 1924,
in: Politische Schriften, S. 141-143 ).
Als Drittes und Wichtigstes bitte ich Sie, endlich einmal ernsthaft
und kühl das ins Auge zu fassen, was man die Kunst des Regierens
nennen sollte. Der Begriff ist uns und nicht nur uns abhanden gekommen.
Wir reden von Volksrecht, Volksvertretung, Volkswillen und haben im Lärm
des modernen Parteigeschwätzes völlig vergessen, daß es
sich hier nicht um einen Anspruch auf Vorteile, sondern auf Ausübung
sehr schwerer und seltener Fähigkeiten handeln darf. Diese
Fähigkeiten müssen da sein, angeboren oder in langer Selbstzucht
erworben, sonst werden Rechte zu Verbrechen. Daß ein Staat sich
in dem beständigen immer härter werdenden Ringen um seine Weltgeltung,
um sein Dasein in guter Verfassung befindet, nicht ob er eine Verfassung
hat, entscheidet über seine Zukunft. Der Staat des 18. Jahrhunderts
wurde wirklich oder scheinbar absolut von Fürsten und ihrer Umgebung
regiert, und zwar nach ungeschriebenen Methoden, die sich im Laufe vieler
Jahrzehnte zu einer hohen, durchgeistigten Kunst ausgebildet hatten, von
der heute noch alles zehrt, was sich Diplomatie nennt. Dem Grundsatz:
»Alles für, nichts durch das Volk« stellt dann die Wende
von 1789 das Wort von der Souveränität des Volkes entgegen,
das sofort und zwar in bezeichnend tragischem Mißverständnis
für die ganze Folgezeit durch die Girondisten dahin verdreht wurde,
daß die leitenden Stellen den wirklichen oder angeblichen Willen
des Volkes nicht etwa auszuführen hätten, sondern daß
sie mit dessen Wortführern besetzt würden, gleichviel,
ob diese von der politischen Geschäftsführung etwas verstanden
oder nicht. An Stelle des von Fürsten berufenen Staatsrates, der
auch in den schlechtesten Fällen ein hohes Niveau besaß, traten
gewählte Körperschaften; die Freiheit der Fürsten wich
der Freiheit der Völker ein großer Gedanke, der seinen
begeisternden Schatten über das ganze folgende Jahrhundert warf.
Dieses Jahrhundert war bestimmt, das Ideal zu verwirklichen, und der heutige
Parlamentarismus offenbart, wie die Idee vor der Wirklichkeit bestand.
Aus Gruppen ehrlicher Schwärmer in amerikanischen Blockhütten,
in französischen Salons, an deutschen Biertischen, die für ein
Ideal lebten und unter Umständen starben, entwickelten sich Gruppen
von Berufspolitikern und Stellenjägern, selbsternannte Volksführer,
die nicht dafür, sondern davon leben wollten. Parteien waren zuerst
begeisterte Einheiten des Denkens und Wollens. Heute sind sie rings auf
der Erde Gewerkschaften von einigen tausend Menschen mit einem Schwarm
bezahlter Parteibeamten, welche die Meinung der Völker nicht vertreten,
sondern in der Richtung ihrer persönlichen Interessen hervorrufen,
lenken und ausnützen. Die Freiheit der Völker, für welche
die Väter ihr Blut vergossen, hat sich in eine drückende Abhängigkeit
von dem Klüngel, amerikanisch gesprochen dem Kaukus ( ),
verwandelt. Die fürstliche Willkür, Genußsucht und Torheit,
mochte sie gelegentlich noch so schlimm sein, ist durch Schlimmeres ersetzt
worden, und ein neuer Bastillesturm wäre längst gegen diese
Gemeinschaften losgebrochen, hätten sie nicht alle Voraussetzungen,
welche den ersten hervorriefen, die Bearbeitung der öffentlichen
Meinung, die volkstümlichen Schlagworte, die Wahlmache rechtzeitig
in ihren Besitz gebracht, um die große Masse in einer Stimmung zu
erhalten, die ihnen die Fortdauer ihrer Lebensführung und Gewinne
sicherte, von den Schlössern und Bestechungsgeldern französischer
Abgeordneten bis zu den Autos und Aktienpaketen deutscher Proletarier
und den Aufsichtsratsstellen deutscher Spießer in den bürgerlichen
Parteien, die immer alles zuerst erfuhren. (Oswald Spengler,
Politische Pflichten der deutschen Jugend, 1924, in: Politische
Schriften, S. 143-145 ).
Eine wachsende Ernüchterung und tiefe Sehnsucht geht heute
durch die Völker der Welt, von diesem Druck selbstsüchtiger
und schmutziger Interessen befreit zu sein, von diesen geschlossenen Organisationen,
welche die erdrückende Mehrheit trotz des Gaukelspiels allgemeiner
Wahlen und einer freien Presse die davon schweigt, wem sie wirklich
dient rücksichtsloser entmündigt haben, als es je ein
Fürst im Zeitalter des aufgeklärten Despotismus gewagt hätte,
eine Sehnsucht danach, an Stelle dieser Gewerkschaften eine Persönlichkeit
zu sehen, die nicht reich werden, sondern regieren will, aus dem Gefühl
überlegener Fähigkeiten heraus, die nach dem Worte Friedrichs
des Großen endlich wieder begehrt, ein Diener des Staates zu sein,
nicht dessen Nutznießer, und nicht der Geschäftsführer
einer Partei. (Oswald Spengler, Politische Pflichten der
deutschen Jugend, 1924, in: Politische Schriften, S. 145 ).
Das ist das Ende der Demokratie, nicht ihr Sturz, sondern ihr
unwiderruflicher innerer Zerfall, der es künftig gestattet, ihre
Formen um so sorgloser bestehen zu lassen, je weniger sie bedeuten. Vor
dem Kriege wäre das nicht verstanden worden; heute dringt es in die
Köpfe, wohin man blickt, in Europa wie in Amerika, wo die Farmerbewegung
im Grunde dasselbe will wie der italienische Fascismus. Die besten Deutschen
und nicht die Deutschen allein, warten darauf, einen Mann erscheinen zu
sehen, dem man das Schicksal des Landes in die Hände legen darf,
mit der Vollmacht, jeden abzuweisen, der im Interesse einzelner Gruppen
diese Macht zu beschneiden sucht. Das 18. Jahrhundert war das der Fürstenfreiheit;
das 19. Jahrhundert brachte die Freiheit der Völker am Anfang
als Morgenröte eines Ideals, am Ende, was unerbittlich gesagt werden
muß, als Hohn auf dieses Ideal. Das 20. wird an die Stelle dessen,
was aus dieser Freiheit geworden ist, die Freiheit der großen Persönlichkeit
setzen, die Freiheit, welche Bismarck dem Parlament vergeblich abzuringen
suchte, die Rhodes nur in Südafrika fand; an Stelle der Parteien
die Gefolgschaft von Einzelnen, an Stelle des Regierens als Recht, das
in Schmutz und Torheit versunken ist, das Regieren als Kunst, als Aufgabe,
als Sendung. (Oswald Spengler, Politische Pflichten der
deutschen Jugend, 1924, in: Politische Schriften, S. 145-146 ).
Wofür
haben sich die Schillschen Offiziere ( )
geopfert? Für England! Wofür hat unsere Jugend in den Befreiungskriegen
gelitten? Für England! Und wofür arbeitet die völkische Bewegung
von heute, blind wie sie ist und handelt und denkt ? Für Frankreich!
Nur das unbestechliche Auge Goethes sah damals das Ziellose der Freiheitsschwärmerei
und ich rate Ihnen, immer und immer wieder sein erschütterndes Gespräch
mit Luden vom November 1813 zu lesen. Die prachtvolle und ebenso törichte
Jugend, die sich hernach an altteutschen Kostümen, altteutschen Redensarten
und Tabakspfeifen, romantischen Festen auf der Wartburg und in Hambach berauschte
- während England durch die Vernichtung des Mahrattenreiches Indien endgültig
unterwarf und seinen Blick auf das von Spanien abgefallene Südamerika richtete,
und die englische Hochschuljugend über taktische Fragen der Weltpolitik und
Weltwirtschaft zu debattieren begann - diese Jugend war nichts als ein Stein im
Spiel der großen, vor allem der englischen Diplomatie. Sie wurde losgelassen,
als man sie brauchte, und preisgegeben, als sie ihren Zweck für fremde Mächte
erfüllt hatte. (Oswald Spengler, Politische Pflichten der
deutschen Jugend, 1924, in: Politische Schriften, S. 149-150 ).Wenn
Sie nicht wollen, daß auch die nationale Begeisterung dieser Jahre nur ein
Werkzeug ist in den Händen der ausländischen Diplomatie und ihrer innerdeutschen
Gefolgschaft, dann müssen Sie sich zu etwas anderem erziehen als zu einer
Politik hemmungsloser, romantischer, weltblinder Leidenschaften. Nicht daß
man gegen diese oder jene Macht Lärm schlägt, hat Bedeutung. Wenn ich
heute durch die Straßen deutscher Städte gehe und sehe, was für
Versammlungen und Umzüge stattfinden, was für Zettel an den Häusern
kleben, was für Abzeichen getragen werden, was gesungen oder getrieben wird,
was für kindliche Theorien an die Stelle wirtschaftlicher Tatsachen gesetzt
werden sollen, was alles man vor der breitesten Öffentlichkeit treibt und
sagt, was in jedem anderen Lande mit großer Zurückhaltung erst weltpolitisch
durchdacht und dann verschwiegen werden würde, so möchte ich verzweifeln.
Ich frage mich immer wieder, welche feindliche Macht diese blinde, planlose, alle
Tatsachen der Weltlage verachtende Schwärmerei eines Tages ausnützen
und dann preisgeben wird. (Oswald Spengler, Politische Pflichten der
deutschen Jugend, 1924, in: Politische Schriften, S. 150 ).Wir
müssen uns, so hart es uns ankommen mag, dazu entschließen, Politik
als Politik zu treiben, so wie man sie von jeher verstanden hat, als eine lange,
schwere, einsame und wenig volkstümliche Kunst, und nicht als Rausch oder
militärisches Schauspiel. Die meisten von Ihnen haben Waffen getragen. Ich
erinnere Sie daran, daß Politik nichts ist als eine Kunst des Fechtens mit
geistigen Waffen. Sie wissen, was Übung, Geschick und Kaltblütigkeit
hierin bedeuten. Sie wissen, daß das Geheimnis des Sieges in der Überraschung
des Gegners liegt. Wenn Sie im Zweikampf oder auf dem Schlachtfelde die Methoden
Ihrer politischen Tätigkeit anwenden wollten, vor dem Auge des Gegners die
Waffe mit Geschrei in der Luft schwingen, den Angriff in aller Öffentlichkeit
verkünden und vorbereiten, so wäre der erste Schlag auch schon der letzte.
Über den Erfolg entscheidet die Leidenschaft jedenfalls nicht. Leidenschaften
machen abhängig. Und allzu oft bietet unsere nationale Bewegung, so wie sie
heute innerhalb des deutschen Parteikampfes verläuft, das Bild eines Stiers
in der Arena, blind, wütend, jedem Verständnis der Situation unzugänglich.
Wir müssen endlich lernen, daß große Politik sich ebensowenig
im Organisieren und Agitieren, in Programmen und Gefühlsausbrüchen erschöpft
wie andrerseits in der bloßen Lösung von Wirtschaftsproblemen. Ein
kluger Geschäftsmann ist noch kein Politiker - obwohl Politik die Geschäftsführung
eines Staates ist -, aber Trommler und Pfeifer sind erst recht keine Feldherrn.
(Oswald Spengler, Politische Pflichten der deutschen Jugend, 1924, in:
Politische Schriften, S. 150-151 ).Aber
darüber hinaus wacht unsere trostlose Vergangenheit mit ihrer stumpfsinnigen
Kleinstaaterei, ihrem Philisterhorizont, ihrem erbärmlichen Gezänk von
einem Ländchen zum andern wieder auf und droht den Gesichtskreis auch der
nationalen Bewegung bis zur Hoffnungslosigkeit zu verengen. Nicht der Partikularismus
allein ist ein Ausdruck ererbter Provinzgesinnung, sondern auch die heute wieder
übliche Behandlung deutscher Fragen, als ob Deutschland allein in der Welt
wäre. (Oswald Spengler, Politische Pflichten der deutschen Jugend,
1924, in: Politische Schriften, S. 152 ).
Ich rate der Jugend, alle begeisterten Programme und Parteischriften
aus der Hand zu legen und einzeln oder zusammen planmäßig die
diplomatischen Akten der letzten Jahrzehnte zu studieren, wie sie etwa
in den Veröffentlichungen aus deutschen Archiven oder in englischen
Blaubüchern vorliegen, die Schriftstücke zu vergleichen, sich
über Zwecke, Mittel und Erfolge ein Urteil zu bilden und so in die
moderne staatsmännische Praxis einzudringen; die Reden und Briefe
großer deutscher Politiker, die Denkschriften der besten Kenner
der heutigen Weltwirtschaft wie Keynes oder Helfferich sorgfältig
durchzugehen, um sich zunächst ein Urteil über die Lage, die
Methoden, die Bedeutung der handelnden Persönlichkeiten zu bilden,
woraus sich dann wohl für den einzelnen ergeben wird, wie es um seine
eigene Begabung auf politischem Gebiete steht. (Oswald Spengler,
Politische Pflichten der deutschen Jugend, 1924, in: Politische
Schriften, S. 155 ).
Das, diese Selbsterziehung für künftige Aufgaben ist
es, worin ich die politische Pflicht der heranwachsenden Jugend sehe.
Damit allein können Sie geistig über die Grenze hinauswachsen,
die infolge des Versailler Vertrages Deutschland heute von der Welt abschneidet.
Unsere Zukunft beruht nicht auf dem, was an neuen Formen innerhalb unserer
Grenzen entsteht, sondern auf dem, was infolge dieser Formen außerhalb
der Grenzen erzielt wird. (Oswald Spengler, Politische Pflichten
der deutschen Jugend, 1924, in: Politische Schriften, S. 156 ).
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