Das
Römische Reich wurde nicht von außen her zerstört, etwa infolge
zahlenmäßiger Überlegenheit seiner Gegner oder der Unfähigkeit
seiner politischen Leiter. Im letzten Jahrhundert seines Bestehens hatte Rom seine
eisernen Kanzler: Heldengestalten wie Stilicho, germanische Kühnheit mit
raffinierter diplomatischer Kunst vereinigend, standen an seiner Spitze. ....
Das Reich war längst nicht mehr es selbst; als es zerfiel, brach es nicht
plötzlich unter einem gewaltigen Stoße zusammen. Die Völkerwanderung
zog vielmehr nur das Fazit einer längst im Fluß befindlichen Entwicklung.Max
Weber, Die sozialen Gründe des Untergangs der antiken Kultur, 1896 |
Nur
ein historisches Interesse besitzt das Schauspiel, das wir betrachten, allerdings
eines der eigenartigsten, das die Geschichte kennt: die innere Selbstauflösung
einer alten Kultur.Max
Weber, Die sozialen Gründe des Untergangs der antiken Kultur, 1896 |
Die
Entwicklung der feudalen Gesellschaft lag in der Luft schon des spätrömischen
Reiches. Denn es ist offenbar, daß wir in dieser spätkaiserlichen Grundherrschaft
mit dem Nebeneinanderstehen der beiden Kategorien fronpflichtiger Bauern: unfreier
(servi) mit »ungemessener« Dienstpflicht und persönlich
freier (coloni, tributarii) mit fest bestimmten Leistungen in Geld, Naturalabgaben,
später mehr und mehr auch Naturalquoten, und daneben nicht immer,
aber regelmäßig festen Fronpflichten, bereits den Typus des
mittelalterlichen Fronhofs vor uns haben. Mit Fronarbeit aber unter den Verkehrsverhältnissen
des Altertums für den Absatz zu produzieren, war eine Unmöglichkeit.Max
Weber, Die sozialen Gründe des Untergangs der antiken Kultur, 1896 |
Das
alte, auf Wehrpflicht und Selbstequipierung der Grundbesitzer ruhende Bürgerheer
war schon zu Ende der Republik in ein vom Staat ausgerüstetes Heer mit proletarischer
Rekrutierung verwandelt, die Stütze der Cäsaren. Die Kaiserzeit
schuf dann das nicht nur faktisch, sondern auch rechtlich, stehende Berufsheer.
Um ein solches zu halten, braucht man zweierlei: Rekruten und Geld.Max
Weber, Die sozialen Gründe des Untergangs der antiken Kultur, 1896 |
Bei dem Arbeitermangel, den das Versiegen des
Sklavenmarktes brachte, war die Rekrutierung aus den Kolonen eine für
die Güter ruinöse Last, der sie sich mit allen Mitteln zu entziehen
suchten. .... Deutlich finden wir die Rückwirkung dieser Rekrutennot
im Heere der Kaiserzeit. Italien ist seit Vespasian aushebungsfrei; seit
Hadrian schwindet die Mischung der Kontingente und sucht man zur Kostenersparung
vielmehr die Heere möglichst aus dem Bezirk ihres Standortes zu rekrutieren,
der früheste Vorbote vom Zerfall des Reichs.
Max
Weber, Die sozialen Gründe des Untergangs der antiken Kultur,
1896 |
Wie
an Stelle des ehelosen Kasernensklaven der Bauer im Schoße eigner Familie
tritt, so wenigstens zum Teil an Stelle des ehelosen Kasernen- oder
richtiger Lagersoldaten der in Soldatenehe stehende, faktisch erbliche Berufssöldner.
Und auch die zunehmende Rekrutierung des Heeres aus Barbaren hat in erster Linie
den Zweck der Schonung der Arbeitskräfte des eigenen Landes, insbesondere
der Arbeitskräfte der großen Güter. Völlig naturalwirtschaftlich
versucht man endlich durch Beleihung von Barbaren mit Land gegen Kriegsdienstpflicht
die Grenzwache zu bestreiten, und diese Form, der entfernte Vorbote des Lehens,
findet zunehmende Verwendung. Das Heer, welches das Reich beherrscht, wird so
ein von jeder Beziehung zur einheimischen Bevölkerung sich immer mehr loslösender
Barbarenhaufe. Der siegreiche Einbruch der Barbaren von außerhalb bedeutete
deshalb für die Provinzialen im Innern des Reiches im ersten Augenblick wesentlich
nur einen Wechsel der Einquartierung: selbst die Form des römischen Einquartierungswesens
wurde ja übernommen. Es scheint, daß in Gallien die Barbaren keineswegs
überall als Eroberer gefürchtet, sondern hie und da als Befreier von
dem Druck der römischen Verwaltung begrüßt wurden. Und
das ist begreiflich.Max
Weber, Die sozialen Gründe des Untergangs der antiken Kultur, 1896 |
Der Zerfall des Reichs war die notwendige politische Folge des
allmählichen Schwindens des Verkehrs und der Zunahme der Naturalwirtschaft.
Er bedeutete im wesentlichen nur den Wegfall jenes Verwaltungsapparats
und damit des geldwirtschaftlichen politischen Ueberbaus, der dem naturalwirtschaftlichen
ökonomischen Unterbau nicht mehr angepaßt war.
Max
Weber, Die sozialen Gründe des Untergangs der antiken Kultur, 1896 |
Der
naturalwirtschaftliche Untergrund, den das Anschwellen der unfreien Arbeit der
antiken Kulturentwicklung untergeschoben hatte, war zunächst immer weiter
gewuchert, je mehr der Sklavenbesitz die Vermögen differenzierte, und hatte
nach dem Übergang des politischen Schwergewichts von der Küste auf das
Binnenland und nach dem Versiegen der Menschenzufuhr seine zum Feudalismus drängende
Struktur auch dem ursprünglich verkehrswirtschaftlichen Oberbau aufgezwungen.
So schwand die dünn gewordene Hülle der antiken Kultur ....Max
Weber, Die sozialen Gründe des Untergangs der antiken Kultur, 1896 |
Die
geschichtlichen Träger des asketischen Protestantismus (im hier gebrauchten
Sinn des Ausdrucks) sind in der Hauptsache viererlei: 1. der Calvinismus in der
Gestalt, welche er in den westeuropäischen Hauptgebieten seiner Herrschaft
im Lauf insbesondere des 17. Jahrhunderts annahm; 2. der Pietismus; 3. der Methodismus;
4. die aus der täuferischen Bewegung hervorgewachsenen Sekten. (Zwinglianismus
behandeln wir nicht gesondert, da er nach kurzer großer Machtstellung schnell
an Bedeutung zurückging. Der »Arminianismus«, dessen dogmatische
Eigenart in der Ablehnung des Prädestinationsdogmas in seiner schroffen Formulierung
bestand und der die »innerweltliche Askese« ablehnte, ist als Sekte
nur in Holland (und den Ver. Staaten) konstituiert und in diesem Kapitel für
uns ohne Interesse bzw. nur von dem negativen Interesse: daß er die Konfession
des kaufmännischen Patriziats in Holland war (s. darüber später).
Seine Dogmatik galt in der anglikanischen Kirche und in den meisten methodistischen
Denominationen. Seine »erastianische« (d.h. die Souveränität
des Staates auch in Kirchensachen vertretende) Haltung war aber die aller rein
politisch interessierten Instanzen, des Langen Parlaments in England ganz ebenso
wie der Elisabeth und der niederländischen Generalstaaten, vor allem: Oldenbarneveldts.)Max
Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, 1904,
S. 115 |
Die Demokratie da, wo sie hingehört.
Wissenschaftliche Schulung aber, wie wir sie nach der Tradition der deutschen
Universitäten an diesen betreiben sollen, ist eine geistesaristokratische
Angelegenheit, das sollten wir uns nicht verhehlen.Max
Weber, Wissenschaft als Beruf, 1917 bzw. 1919, S. 10 |
Die zunehmende Intellektualisierung und Rationalisierung bedeutet
... nicht eine zunehmende allgemeine Kenntnis der Lebensbedingungen, unter
denen man steht. Sondern sie bedeutet etwas anderes: das Wissen davon
oder den Glauben daran: daß man, wenn man nur wollte, es jederzeit
erfahren könnte, daß es also prinzipiell keine geheimnisvollen
unberechenbaren Mächte gebe, die da hineinspielen, daß man
vielmehr alle Dinge im Prinzip durch Berechnen beherrschen
könne. Das aber bedeutet: die Entzauberung der Welt. Nicht mehr,
wie der Wilde, für den es solche Mächte gab, muß man zu
magischen Mitteln greifen, um die Geister zu beherrschen oder zu erbitten.
Sondern technische Mittel und Berechnung leisten das. Dies vor allem bedeutet
die Intellektualisierung als solche.
Max
Weber, Wissenschaft als Beruf, 1917 bzw. 1919, S. 19 |
Hat denn aber nun dieser in der okzidentalen
Kultur durch Jahrtausende fortgesetzte Entzauberungsprozeß und überhaupt:
dieser »Fortschritt«, dem die Wissenschaft als Glied und Triebkraft
mit angehört, irgendeinen über dies rein Praktische und Technische
hinausgehenden Sinn?
Max
Weber, Wissenschaft als Beruf, 1917 bzw. 1919, S. 19 |
Es ist das Schicksal unserer Zeit, mit der ihr eigenen Rationalisierung
und Intellektualisierung, vor allem: Entzauberung der Welt, daß
gerade die letzten und sublimsten Werte zurückgetreten sind aus der
Oeffentlichkeit, entweder in das hinterweltliche Reich mystischen Lebens
oder in die Brüderlichkeit unmittelbarer Beziehungen der Einzelnen
zueinander.
Max
Weber, Wissenschaft als Beruf, 1917 bzw. 1919, S. 44 |
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