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Das Mesmerhaus in Meßkirch, in dem Martin Heidegger aufwuchs.
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Blick auf Martin Heideggers Hütte oberhalb von Rütte, Todtnauberg.
Hier schrieb Martin Heidegger den größten Teil von Sein
und Zeit.
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Der Titel des Vortrags läßt sich in eine Frage umformen.
Sie lautet: Wie stellt Hegel im Gesichtskreis seiner Philosophie die Philosophie
der Griechen dar? Wir können diese Frage beantworten, indem wir von
einem heutigen Standort aus Hegels Philosophie historisch betrachten und
dabei dem Verhältnis nachgehen, in dem Hegel seinerseits die griechische
Philosophie historisch vorstellt. Dieses Vorgehen ergibt eine historische
Untersuchung über historische Zusammenhänge. Solches Vorhaben
hat sein eigenes Recht und seinen Nutzen. (Martin Heidegger, Hegel und die Griechen [Festschrift für Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag],
1960, in: Ders., Wegmarken, S. 427).
Indessen steht Anderes auf dem Spiel. Bei dem Namen »die
Griechen« denken wir an den Anfang der Philosophie, bei dem Namen
»Hegcl« an deren Vollendung. Hegel selber versteht seine Philosophie
unter dieser Bestimmung. (Martin Heidegger, Hegel und die Griechen [Festschrift für Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken, S. 427).
Aus dem Titel »Hegel und die Griechen« spricht uns
das Ganze der Philosophie in seiner Geschichte an und dies jetzt, zu einer
Zeit, da der Zerfall der Philosophie offenkundig wird; denn sie wandert
in die Logistik, Psychologie und Soziologie ab. Diese selbständigen
Forschungsbezirke sichern sich ihre steigende Geltung und den vielschichtigen
Einfluß als Funktionsformen und Erfolgsinstrumente der politisch-wirtschaftlichen,
d. h. der in einem wesenhaften Sinne technischen Welt. (Martin Heidegger,
Hegel und die Griechen [Festschrift für Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken, S. 427).
Allein - der von weither bestimmte und unaufhaltsame Zerfall der
Philosophie ist nicht schon das Ende des Denkens, eher Anderes, jedoch
der öffentlichen Feststellbarkeit Entzogenes. Dem möchte das
im folgenden Gesagte für eine Weile nachsinnen als ein Versuch, den
Blick in die Sache des Denkens wachzurufen. Die Sache des Denkens steht
auf dem Spiel. Sache besagt hier: Das, was von sich her die Erörterung
verlangt: Um solchem Verlangen entsprechen zu können, ist nötig,
daß wir uns von der Sache des Denkens anblicken lassen und in die
Bereitschaft eingehen, das Denken, als von seiner Sache bestimmtes, sich
wandeln zu lassen. (Martin Heidegger, Hegel und die Griechen
[Festschrift für Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken, S. 427-428).
Das Folgende beschränkt sich darauf, eine Möglichkeit
zu zeigen, aus der die Sache des Denkens erblickbar wird. Wozu aber dann,
um in die Sache des Denkens zu gelangen, der Umweg über Hegel und
die Griechen? Weil wir diesen Weg brauchen, der freilich in seinem Wesen
kein Umweg ist; denn die recht erfahrene Überlieferung erbringt uns
die Gegenwart, das, was als die Sache des Denkens uns entgegenwartet und
dergestalt auf dem Spiel steht. Echte Überlieferung ist so wenig
der Schleppzug von Lasten des Vergangenen, daß sie uns vielmehr
in das Gegenwartende befreit und so die tragende Weisung in die Sache
des Denkens wird. (Martin Heidegger, Hegel und die Griechen
[Festschrift für Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken, S. 428).
Hegel und die Griechen - dies klingt so wie: Kant und die Griechen,
Leibniz und die Griechen, die mittelalterliche Scholastik und die Griechen.
Es klingt so und ist doch anders. Denn Hegel denkt zum erstenmal die Philosophie
der Griechen als Ganzes und dieses Ganze philosophisch. Wodurch ist dies
möglich? Dadurch, daß Hegel die Geschichte als solche auf eine
Weise bestimmt, daß sie in ihrem Grundzug philosophisch sein muß.
Die Geschichte der Philosophie ist für Hegel der in sich einheitliche
und darum notwendige Prozeß des Fortschritts des Geistes zu sich
selbst. Die Geschichte der Philosophie ist keine bloße Abfolge verschiedenartiger
Meinungen und Lehren, die ohne Zusammenhang einander ablösen.
(Martin Heidegger, Hegel und die Griechen [Festschrift für
Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken,
S. 428).
Hegel sagt in einer Einleitung zu seinen Berliner Vorlesungen
über die Geschichte der Philosophie: »Die Geschichte, die wir
vor uns haben, ist die Geschichte von dem Sichselbst-Finden des Gedankens.«
(Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, ed. Hoffmeister
1940, Bd. I, S. 81, Anm. **).
»Denn die Geschichte der Philosophie entwickelt nur die Philosophie
selbst.« (Hoffmeister a.a.O. S. 235 f. **).
Demnach sind für Hegel die Philosophie als die Selbstentwicklung
des Geistes zum absoluten Wissen und die Geschichte der Philosophie identisch.
Kein Philosoph vor Hegel hat eine solche Grundstellung der Philosophie
gewonnen, die es ermöglicht und fordert, daß das Philosophieren
sich zugleich in seiner Geschichte bewegt und daß diese Bewegung
die Philosophie selbst ist. Die Philosophie aber hat nach einem Wort Hegels
aus der Einleitung zu seiner ersten Vorlesung hier in Heidelberg zum »Ziel«:
»die Wahrheit« (Hoffmeister a. a. 0., S. 14 **).
(Martin Heidegger, Hegel und die Griechen [Festschrift für
Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken,
S. 428-429).
Die Philosophie ist als ihre Geschichte, wie Hegel in einer Randbemerkung
zum Manuskript dieser Vorlesung sagt, das »Reich der reinen Wahrheit
- nicht die Taten der äußern Wirklichkeit, sondern das innere
Beisichselbstbleiben des Geistes.« (a.a.O. S. 6, Anm.). »Die
Wahrheit« - das besagt hier: das Wahre in seiner reinen Verwirklichung,
die zugleich die Wahrheit des Wahren, ihr Wesen zur Darstellung bringt.
(Martin Heidegger, Hegel und die Griechen [Festschrift für
Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken,
S. 429).
Dürfen wir nun Hegels Bestimmung des Ziels der Philosophie,
das die Wahrheit ist, als einen Wink mitnehmen für eine Besinnung
auf die Sache des Denkens? Vermutlich ja, sobald wir das Thema »Hegel
und die Griechen«, d. h. jetzt die Philosophie im ganzen ihres Geschickes
aus der Hinsicht auf deren Ziel, die Wahrheit, genügend erläutert
haben. (Martin Heidegger, Hegel und die Griechen [Festschrift für Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken, S.
429).
Darum fragen wir zunächst: Inwiefern muß die Geschichte
der Philosophie als Geschichte in ihrem Grundzug philosophisch sein? Was
heißt hier »philosophisch«? Was heißt hier »Geschichte«?
(Martin Heidegger, Hegel und die Griechen [Festschrift für Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken, S. 429).
Die Antworten müssen kurz ausfallen auf die Gefahr, anscheinend
Bekanntes zu sagen. Indes gibt es für das Denken zu keiner Zeit etwas
Bekanntes. Hegel erklärt: »Mit ihm (nämlich mit Descartes)
treten wir eigentlich in eine selbständige Philosophie ein .... Hier,
können wir sagen, sind wir zu Hause, und können wie der Schiffer
nach langer Umherfahrt auf der ungestümen See »Land«
rufen; ...« (WW. XV, 328). Hegel will mit diesem Bild andeuten:
Das »ego cogito sum«, das »ich denke, ich bin«
ist der feste Boden, auf dem die Philosophie sich wahrhaft und vollständig
ansiedeln kann. In der Philosophie des Descartes wird das Ego zum maßgebenden
subiectum, d. h. zu dem im vorhinein Vorliegenden. Dieses Subjekt wird
jedoch erst dann in der remten Weise, nämlich im Kantschen Sinne,
transzendental und vollständig, d. h. im Sinne des spekulativen Idealismus
in Besitz genommen, wenn die ganze Struktur und Bewegung der Subjektivität
des Subjektes entfaltet und diese in das absolute Sichselbstwissen gehoben
ist. Indem das Subjekt sich als dieses Wissen, das alle Objektivität
bedingt, weiß, ist es als dieses Wissen: das Absolute selbst. Das
wahrhafte Sein ist das sich selbst absolut denkende Denken. Für Hegel
sind Sein und Denken dasselbe, und zwar in dem Sinne, daß alles
in das Denken zurückgenommen und zu dem bestimmt wird, was Hegel
schlechthin den »Gedanken« nennt. (Martin Heidegger,
Hegel und die Griechen [Festschrift für Hans-Georg Gadamer
zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken, S. 429-430).
Die Subjektivität ist als das ego cogito das Bewußtsein,
das etwas vorstellt, dieses Vorgestellte auf sich zurückbezieht und
so bei sich versammelt. Versammeln heißt griechisch legein.
Mannigfaltiges für das Ich in dieses versammeln heißt, medial
ausgedrückt, legestai. Das denkende
Ich versammelt das Vorgestellte, indem es durch dieses hindurchgeht, es
in seiner Vorstellbarkeit durchgeht. »Durch etwas hindurch«
heißt griechisch dia Dialegestai,
Dialektik, bedeutet hier, daß das Subjekt in dem genannten Vorgang
(Prozeß) und als dieser seine Subjektivität hervorführt:
produziert. (Martin Heidegger, Hegel und die Griechen [Festschrift
für Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken,
S. 430).
Die Dialektik ist der Prozeß der Produktion der Subjektivität
des absoluten Subjekts und als solcher dessen »notwendiges Tun«.
Gemäß der Struktur der Subjektivität hat der Produktionsprozeß
drei Stufen. Zunächst bezieht sich das Subjekt als Bewußtsein
unmittelbar auf seine Objekte. Dieses unmittelbar und doch unbestimmt
Vorgestellte nennt Hegel auch »das Sein«, das Allgemeine,
das Abstrakte. Denn es ist dabei noch abgesehen von der Beziehung des
Objekts auf das Subjekt. Erst durch diese Rückbeziehung, die Reflexion,
wird das Objekt als Objekt für das Subjekt und dieses für
sich selbst und d. h. als sich auf das Objekt beziehendes vorgestellt.
Solange wir jedoch nur Objekt und Subjekt, Sein und Reflexion gegeneinander
unterscheiden und bei dieser Unterscheidung verharren, hat die Bewegung
vom Objekt zum Subjekt noch nicht das Ganze der Subjektivität für
diese herausgestellt. Das Objekt, das Sein, ist zwar mit dem Subjekt durch
die Reflexion vermittelt, aber die Vermittelung selber ist noch nicht
als die innerste Bewegung des Subjekts für dieses vorgestellt.
Erst wenn die Thesis des Objekts und die Antithesis des Subjekts in ihrer
notwendigen Synthesis erspäht werden, ist die Bewegung der Subjektivität
der Objekt-Subjekt-Beziehung vollständig in ihrem Gang. Der Gang
ist Ausgang von der Thesis, Fortgang zur Antithesis, Übergang in
die Synthesis und aus dieser als dem Ganzen der Rückgang der gesetzten
Setzung zu sich selbst. Dieser Gang versammelt das Ganze der Subjektivität
in ihre entfaltete Einheit. Sie wächst so zusammen, con-crescit,
wird konkret. Dergestalt ist die Dialektik spekulativ. Denn speculari
heißt erspähen, zu Gesicht bekommen, fassen, be-greifen. Hegel
sagt in der Einleitung zur »Wissenschaft der Logik« (Bd. I,
S. 38): Die Spekulation besteht »in dem Fassen des Entgegengesetzten
in seiner Einheit«. Die Kennzeichnung der Spekulation durch Hegel
wird deutlicher, wenn wir beachten, daß es in der Spekulation nicht
nur auf das Fassen der Einheit, die Phase der Synthesis ankommt, sondern
zuvor und stets auf das Fassen »des Entgegengesetzten« als
eines solchen. Dazu gehört das Fassen des Gegeneinander- und Ineinander-Scheinens
der Entgegengesetzten, als welches die Antithesis herrscht, deren Art
in der »Logik des Wesens« (d. i. die Logik der Reflexion)
dargestellt wird. Von diesem sich re-flektierenden Scheinen, d. h. Spiegeln
her empfängt das speculari (speculum: der Spiegel) seine zureichende
Bestimmung. So bedacht, ist die Spekulation das positive Ganze dessen,
was »Dialektik« hier besagen soll: keine transzendentale,
kritisch einschränkende oder gar polemische Denkweise, sondern die
Spiegelung und Einung des Entgegengesetzten als der Prozeß der Produktion
des Geistes selbst. (Martin Heidegger, Hegel und die Griechen
[Festschrift für Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken, S. 430-431).
Hegel nennt die »spekulative Dialektik« auch einfach
»die Methode«. Er meint mit diesem Titel weder ein Instrument
des Vorstellens noch nur eine besondere Weise des Vorgehens der Philosophie.
»Die Methode« ist die innerste Bewegung der Subjektivität,
»die Seele des Seins«, der Produktionsprozeß, durch
den das Gewebe des Ganzen der Wirklichkeit des Absoluten gewirkt wird.
»Die Methode«: »die Seele des Seins« das klingt
phantastisch. Man meint, unser Zeitalter habe solche Verirrungen der Spekulation
hinter sich gelassen. Aber wir leben mitten drin in dieser vermeintlichen
Phantastik. (Martin Heidegger, Hegel und die Griechen [Festschrift für Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken,
S. 431-432).
Wenn die moderne Physik auf die Weltformel zusteuert, dann bekundet
sich darin dies: Das Sein des Seienden hat sich in die Methode der totalen
Berechenbarkeit aufgelöst. Die erste Schrift von Descartes, durch
den nach Hegel die Philosophie und damit die neuzeitliche Wissenschaft
festes Land betraten, trägt den Titel: Discours de la methode (1637).
Die Methode, d. h. die spekulative Dialektik ist für Hegel der Grundzug
aller wirklichkeit. Die Methode bestimmt daher als solche Bewegung alles
Geschehen, d. h. die Geschichte. (Martin Heidegger, Hegel und die Griechen [Festschrift für Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag],
1960, in: Ders., Wegmarken, S. 432).
Jetzt wird klar, inwiefern die Geschichte der Philosophie die
innerste Bewegung im Gange des Geistes, d. h. der absoluten Subjektivität
zu sich selbst ist. Ausgang, Fortgang, übergang, Rückgang dieses
Ganges sind spekulativ-dialektisch bestimmt. (Martin Heidegger,
Hegel und die Griechen [Festschrift für Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken, S. 432).
Hegel sagt: »In der Philosophie als solcher, in der jetzigen,
letzten ist enthalten alles das, was die Arbeit von Jahrtausenden hervorgebracht
hat; sie ist das Resultat alles Vorhergehenden.« (Hoffmeister a. a. 0., S. 118 **).
Im System des spekulativen Idealismus ist die Philosophie vollendet, d.
h. in ihr Höchstes gelangt und von da her geschlossen. Man stößt
sich an Hegels Satz von der Vollendung der Philosophie. Man hält
ihn für anmaßend und kennzeichnet ihn als einen Irrtum, der
längst durch die Geschichte widerlegt sei. Denn nach der Zeit Hegels
gab es weiterhin und gibt es noch Philosophie. Allein der Satz von der
Vollendung besagt nicht, die Philosophie sei zu Ende im Sinne eines Aufhörens
und des Abbruches. Vielmehr gibt die Vollendung gerade erst die Möglichkeit
mannigfacher Ausformungen bis zu deren einfachsten Gestalten: die brutale
Umkehrung und die massive Entgegensetzung. Marx und Kierkegaard sind die
Größten der Hegelianer. Sie sind es wider Willen. Die Vollendung
der Philosophie ist weder deren Ende, noch besteht sie in dem abgesonderten
System des spekulativen Idealismus. Die Vollendung ist nur als der ganze
Gang der Geschichte der Philosophie, in welchem Gang der Beginn so wesentlich
bleibt wie die Vollendung: Hegel und die Griechen. (Martin Heidegger,
Hegel und die Griechen [Festschrift für Hans-Georg Gadamer
zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken, S. 432-433).
Wie bestimmt sich nun aus dem spekulativ-dialektischen Grundzug
der Geschichte die Philosophie der Griechen? Im Gang dieser Geschichte
ist Hegels metaphysisches System die höchste Stufe, diejenige der
Synthesis. Ihr vorauf geht die Stufe der Antithesis, die mit Descartes
beginnt, weil dessen Philosophie zum erstenmal das Subjekt als
Subjekt setzt. Dadurch werden auch die Objekte erst als Objekte
vorstellbar. Die Subjekt-Objekt-Beziehung tritt jetzt als Gegen-setzung,
als Antithesis ans Licht. Alle Philosophie vor Descartes erschöpft
sich dagegen im bloßen Vorstellen des Objektiven. Auch Seele und
Geist werden wie Objekte, obzwar nicht als Objekte vorgestellt.
Demgemäß ist nach Hegel auch hier schon überall das denkende
Subjekt am Werk, aber es ist noch nicht als das Subjekt begriffen,
nicht als jenes, worin alle Objektivität gründet. Hegel sagt
in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie: »Der
Mensch (der griechischen Welt) war noch nicht so in sich zurückgekehrt
wie in unseren Zeiten. Er war zwar Subjekt, aber er hatte sich nicht als
solches gesetzt;« (Hoffmeister a. a. O., S. 144 **).
Die Antithesis des Subjekts zum Objekt ist in der Philosophie vor Descartes
noch nicht der feste Boden. Diejenige Stufe, die der Antithesis vorhergeht,
ist die Stufe der Thesis. Mit ihr beginnt die »eigentliche«
Philosophie. Die vollständige Entfaltung dieses Beginns ist die Philosophie
der Griechen. Dasjenige, was die Griechen angeht und die Philosophie beginnen
läßt, ist nach Hegel das reine Objektive. Es ist die erste
»Manifestation«t der erste »Hervorgang« des Geistest
dasjenige, worin alle Objekte übereinkommen. Hegel nennt es »das
Allgemeine überhaupt«. Weil es noch nicht auf das Subjekt als
ein solches bezogen, noch nicht als durch dieses ermittelt und vermittelt
begriffen und d. h. zusammengewachsen, konkret ist, bleibt das Allgemeine
»das Abstrakte«. »Der erste Hervorgang ist notwendig
das Abstrakteste; es ist das Einfachste, Ärmste, welchem das Konkrete
entgegengesetzt ist.« Hegel bemerkt dazu: »und so sind die
ältesten Philosophen die allerärmsten.« Die Stufe des
griechischen »Bewußtseins«, die Stufe der Thesis ist
»die Stufe der Abstraktion«. Zugleich aber kennzeichnet Hegel
»die Stufe des griechischen Bewußtseins« als »Stufe
der Schönheit« (WW. XIII, S. 175). (Martin Heidegger,
Hegel und die Griechen [Festschrift für Hans-Georg Gadamer
zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken, S. 433-434).
Wie geht beides zusammen? Das Schöne und das Abstrakte sind
doch nicht identisch. Sie sind es, wenn wir das Eine und das Andere im
Sinne Hegels verstehen. Das Abstrakte ist die rein bei sich verbleibende
erste Manifestation, das Allgemeinste alles Seienden, das Sein als das
unvermittelte, einfache Scheinen. Solches Scheinen aber macht den Giundzug
des Schönen aus. Dieses rein in ihm selber Scheinende ist zwar auch
dem Geist, d. h. dem Subjekt entsprungen als dem Ideal, allein der Geist
»hat noch nicht sich selbst als Medium, (um darin) sich selbst vorzustellen
und darauf seine Welt zu gründen« (a. a.O.). (Martin
Heidegger, Hegel und die Griechen [Festschrift für Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken, S. 434).
Wie Hegel im Gesichtskreis der Stufe der Schönheit als der
Stufe der Abstraktion die Geschichte der griechischen Philosophie gliedert
und darstellt, läßt sich hier nicht nachzeichnen. Statt dessen
folge ein knapper Hinweis auf Hegels Deutung von vier Grundworten der
griechischen Philosophie. Sie sprechen die Sprache des Leitwortes »Sein«,
einai (eon,
ousia). Sie sprechen in der nachkommenden
Philosophie des Abendlandes immer wieder bis auf den heutigen Tag.
(Martin Heidegger, Hegel und die Griechen [Festschrift für
Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken,
S. 434).
In der Aufzählung lauten die vier Grundworte nach der übersetzung
Hegels: 1. En, das All; 2. LogoV,
die Vernunft; 3. Idea, der Begriff ;
4. Energeia, die Wirklichkeit.
En ist das Wort des Parmenides.
LogoV ist das Wort des Heraklit.
Idea ist das Wort Platons.
Energeia ist das Wort des Aristoteles.
(Martin Heidegger, Hegel und die Griechen [Festschrift für
Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken,
S. 434).
Um zu verstehen, wie Hegel diese Grundworte deutet, müssen
wir zweierlei beachten: Einmal dasjenige, was für Hegel bei der Auslegung
der genannten Philosophen das Entscheidende ist gegenüber dem, was
er nur beiläufig erwähnt. Zum anderen die Weise, nach der Hegel
seine Deutung der vier Grundworte im Horizont des Leitwortes »Sein«
bestimmt. (Martin Heidegger, Hegel und die Griechen [Festschrift für Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken,
S. 435).
In der Einleitung zu seinen Vorlesungen über die Geschichte
der Philosophie (Hoffmeister a. a. 0., S. 240 **)
erklärt Hegel: »Das erste Allgemeine ist das unmittelbare Allgemeine,
d. i. das Sein. Der Inhalt, Gegenstand ist also der objektive Gedanke,
der Gedanke, der ist.« Hegel will sagen: Das Sein ist die reine
Gedachtheit des unmittelbar Gedachten, noch ohne die Rücksicht auf
das Denken, das dieses Gedachte abgesehen von der Ermittelung denkt. Die
Bestimmung des rein Gedachten ist »die Unbestimmtheit«, seine
Ermittelung die Unmittelbarkeit. Das so verstandene Sein ist das unmittelbar
unbestimmte Vorgestellte überhaupt, so zwar, daß dieses erste
Gedachte sogar noch das Wegbleiben des Bestimmens und Vermittelns von
sich fern hält, gleichsam dagegen eifert. Hieraus wird klar: Das
Sein als die erste einfache Objektivität der Objekte ist aus der
Beziehung auf das zu denkende Subjekt durch die reine Abstraktion von
diesem gedacht. Dies gilt es zu beachten, einmal um die Richtung zu verstehen,
nach der Hegel die Philosophie der vier genannten Philosophen auslegt,
sodann aber auch um das Gewicht zu ermessen, das Hegel den Grundworten
jeweils zumißt. (Martin Heidegger, Hegel und die Griechen
[Festschrift für Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken, S. 435).
Das Grundwort des Parmenides lautet: En,
das Eine, alles Einigende und somit Allgemeine. Parmenides erörtert
die shmata, die Zeignisse, durch die
sich das En zeigt, in dem großen
Fragment VIII, das Hegel bekannt war. Dennoch findet Hegel den »Hauptgedanken«
des Parmenides nidzt im En, dem Sein
als dem Allgemeinen. Der »Hauptgedanke« ist vielmehr nach
Hegel in dem Satz ausgesprochen, der sagt: »Sein und Denken sind
dasselbe.« Diesen Satz deutet Hegel nämlich in dem Sinne, daß
das Sein als »der Gedanke, der ist« eine Produktion des Denkens
ist. Hegel sieht im Satz des Parmenides eine Vorstufe zu Descartes, mit
dessen Philosophie erst die Bestimmung des Seins aus dem wissentlich gesetzten
Subjekt beginnt. Deshalb kann Hegel erklären: »Mit Parmenides
hat das eigentliche Philosophieren angefangen. ..... Dieser Anfang ist
freilich noch trübe und unbestimmt« (WW XIII, S. 296f.).
(Martin Heidegger, Hegel und die Griechen [Festschrift für
Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken,
S. 435-436).
Das Grundwort des Heraklit lautet: LogoV,
die Versammlung, die alles, was ist, im Ganzen als das Seiende vorliegen
und erscheinen läßt. LogoV
ist der Name, den Heraklit dem Sein des Seienden gibt. Aber Hegels Deutung
der Philosophie des Heraklit nimmt ihre Richtung gerade nicht auf
den LogoV,. Das ist seltsam, um so seltsamer
als Hegel das Vorwort zu seiner Auslegung des Heraklit mit den Worten
schließt: »es ist kein Satz des Heraklit, den ich nicht in
meine Logik aufgenommen.« (a.a.O. S.328). Allein für diese
»Logik« Hegels ist der LogoV
die Vernunft im Sinne der absoluten Subjektivität, die »Logik«
selber jedoch ist die spekulative Dialektik, durch deren Bewegung das
unmittelbar Allgemeine und Abstrakte, das Sein, als das Objektive in den
Gegensatz zum Subjekt reflektiert und diese Reflexion als die Vermittlung
bestimmt wird im Sinne des Werdens, worin das Entgegengesetzte zusammengeht,
konkret wird und so zur Einheit kommt. Diese Einheit zu fassen, ist das
Wesen der Spekulation, die sich als Dialektik entfaltet. (Martin
Heidegger, Hegel und die Griechen [Festschrift für Hans-Georg
Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken, S. 436).
Nach dem Urteil Hegels ist Heraklit der erste, der die Dialektik
als Prinzip erkennt und damit über Parmenides hinausund fortschreitet.
Hegel erklärt: »Das Sein (wie es Parmenides denkt) ist das
Eine, das Erste; das Zweite ist das Werden - zu dieser Bestimmung ist
er (Heraklit) fortgegangen. Das ist das erste Konkrete, das Absolute als
in ihm die Einheit Entgegengesetzter. Bei ihm (Heraklit) ist also zuerst
die philosophische Idee in ihrer spekulativen Form anzutreffen«
(a. a. 0., S. 328). So legt denn Hegel das Hauptgewicht seiner Auslegung
Heraklits auf die Sätze, in denen das Dialektische, die Einheit und
Einigung der Widersprüche, zur Sprache kommt. (Martin Heidegger,
Hegel und die Griechen [Festschrift für Hans-Georg Gadamer
zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken, S. 436).
Das Grundwort Platons lautet: Idea.
Für Hegels Deutung der platonischen Philosophie bleibt zu beachten,
daß er die Ideen als »das in sich bestimmte Allgemeine«
faßt; »in sich bestimmt« will sagen: Die Ideen sind
in ihrer Zusammengehörigkeit gedacht; sie sind nicht bloße
an sich seiende Urbilder, sondern sind »das an und für sich
selbst Seiende« im Unterschied zum »sinnlich Existierenden«
(WW XIV, S. 199). »An und für sich« - darin liegt ein
Werden zu sich selbst, nämlich das sich Be-greifen. Demgemäß
kann Hegel erklären: Die Ideen sind »nicht unmittelbar im Bewußtsein
(nämlich als Anschauungen), sondern sie sind (vermittelt im Bewußtsein)
im Erkennen«. »Man hat sie deswegen nicht, sondern
sie werden durch das Erkennen im Geiste hervorgebracht« (a. a. 0.,
S. 201). Dieses Hervorbringen, Produzieren, ist das Begreifen als die
Tätigkeit des absoluten Wissens, d. h. »der Wissenschaft«.
Darum sagt Hegel: »Mit Plato fängt die philosophische Wissenschaft
als Wissenschaft an.« (a. a. 0., S. 169) »Das Eigentümliche
der platonischen Philosophie ist die Richtung auf die intellektuelle,
übersinnliche Welt ....«(a.a.0., S.170). (Martin Heidegger,
Hegel und die Griechen [Festschrift für Hans-Georg Gadamer
zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken, S. 437).
Das Grundwort des Aristoteles lautet: Energeia,
was Hegel durch »Wirklichkeit« (römisch actus) übersetzt.
Die Energeia ist »noch bestimmter«
die »Entelechie (entelecia), welches
in sich Zweck und Realisierung des Zwecks ist.« Die energeia
ist »die reine Wirksamkeit aus sich selbst«. »Erst die
Energie, die Form ist die Tätigkeit, das Verwirklichende, die sich
auf sich beziehende Negativität.« (a. a. 0., S. 321).
(Martin Heidegger, Hegel und die Griechen [Festschrift für
Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken,
S. 437).
Hier wird die Energeia gleichfalls
von der spekulativen Dialektik her als der reinen Tätigkeit des absoluten
Subjekts gedacht. Wenn die Thesis durch die Antithesis negiert, diese
ihrerseits durch die Synthesis negiert wird, so waltet in solchem Verneinen
das, was Hegel »die sich auf sich beziehende Negativität«
nennt. Sie ist nichts Negatives. Die Negation der Negation ist vielmehr
diejenige Position, in der sich der Geist durch seine Tätigkeit selbst
als das Absolute setzt. Hegel sieht in der Energeia
des Aristoteles die Vorstufe der absoluten Selbstbewegung des Geistes,
d. h. der Wirklichkeit an und für sich. Wie Hegel das Ganze der aristotelischen
Philosophie einschätzt, bezeugt er im folgenden Satz: »Würde
es Ernst mit der Philosophie, so wäre nichts würdiger, als über
Aristoteles Vorlesungen zu halten.« (a. a. 0., S. 314). (Martin
Heidegger, Hegel und die Griechen [Festschrift für Hans-Georg
Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken, S. 437-438).
»Ernst« wird es nach Hegel mit der Philosophie, wenn
sie sich nicht mehr an die Objekte und in die subjektive Reflexion darüber
verliert, sondern sich als die Tätigkeit des absoluten Wissens betätigt.
(Martin Heidegger, Hegel und die Griechen [Festschrift für
Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken,
S. 438).
Die Erläuterung der vier Grundworte läßt erkennen:
Hegel versteht En, logoV,
Idea, Energeia
im Horizont des Seins, das er als das abstrakte Allgemeine begreift. Das
Sein und somit das in den Grundworten Vorgestellte ist noch nicht bestimmt
und noch nicht vermittelt durch und in die dialektische Bewegung der absoluten
Subjektivität. Die Philosophie der Griechen ist die Stufe dieses
»Noch nicht«. Sie ist noch nicht die Vollendung, aber gleichwohl
und allein von dieser Vollendung her begriffen, die sich als das System
des spekulativen Idealismus bestimmt hat. (Martin Heidegger, Hegel
und die Griechen [Festschrift für Hans-Georg Gadamer zum 60.
Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken, S. 438).
Es ist nach Hegel der innerste »Trieb«, »das
Bedürfnis« des Geistes, sich vom Abstrakten zu lösen,
indem er sich in das Konkrete der absoluten Subjektivität absolviert
und so sich zu sich selbst befreit. Daher kann Hegel sagen: »...
die Philosophie ist dem Abstrakten am entgegengesetztesten; sie ist gerade
der Kampf gegen das Abstrakte, der stete Krieg mit der Verstandesreflexion«
(Hoffmeister a. a. 0., S. 113 **).
In der griechischen Welt kommt der Geist zwar zum erstenmal in das freie
Gegenüber zum Sein. Aber der Geist kommt noch nicht eigens als das
sich selbst wissende Subjekt zur absoluten Gewißheit seiner selbst.
Erst wo dies geschieht, im System der spekulativ-dialektischen Metaphysik,
wird die Philosophie das, was sie ist: »das Heiligste, Innerste
des Geistes selbst« (a. a. 0., S. 125). (Martin Heidegger,
Hegel und die Griechen [Festschrift für Hans-Georg Gadamer
zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken, S. 438).
Hegel bestimmt als das »Ziel« der Philosophie: »die
Wahrheit«. Diese wird erst auf der Stufe der Vollendung erreicht.
Die Stufe der griechischen Philosophie bleibt im »Noch nicht«.
Sie ist als die Stufe der Schönheit noch nicht die Stufe der Wahrheit.
(Martin Heidegger, Hegel und die Griechen [Festschrift für Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken, S. 438-439).
Hier werden wir - wenn wir das Ganze der Geschichte der Philosophie,
»Hegel und die Griechen«, Vollendung uud Beginn dieser Geschichte
durchblicken - nachdenklich und fragen: Steht nicht über dem Beginn
des Weges der Philosophie bei Parmenides die Alhqeia,
die Wahrheit? Warum bringt Hegel sie nicht zur Sprache? Versteht er unter
»Wahrheit« anderes als die Unverborgenheit? Allerdings. Wahrheit
ist für Hegel die absolute Gewißheit des sich wissenden absoluten
Subjektes. Für die Griechen aber kommt nach seiner Auslegung das
Subjekt noch nicht als Subjekt zum Vorschein. Demnach kann die Alhqeia
nicht das Bestimmende sein für die Wahrheit im Sinne der Gewißheit.
(Martin Heidegger, Hegel und die Griechen [Festschrift für
Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken,
S. 439).
So steht die Sache für Hegel. Wenn nun aber die Alhqeia,
wie verhüllt und ungedamt aum immer, über dem Beginn der griechischen
Philosophie waltet, müssen wir doch fragen: Ist nicht gerade die
Gewißheit in ihrem Wesen auf die Alhqeia
angewiesen, gesetzt daß wir diese nicht unbestimmt und willkürlich
als Wahrheit im Sinne der Gewißheit deuten - sondern als Entbergung
bedenken? Wagen wir dies, die Alhqeia
so zu denken, dann bleibt im voraus zweierlei zu beachten: Einmal gründet
sich die Erfahrung der Alhqeia als Unverborgenheit
und Entbergung keineswegs auf die Etymologie eines herausgegriffenen Wortes,
sondern auf die hier zu denkende Sache, der sich sogar Hegels Philosophie
nicht ganz entziehen kann. Wenn Hegel das Sein als den ersten Hervorgang
und die erste Manifestation des Geistes kennzeichnet, dann bleibt zu bedenken,
ob in diesem Hervorgehen und Sichoffenbaren nicht schon die Entbergung
im Spiel sein muß, hier um nichts weniger als im reinen Scheinen
der Schönheit, die nach Hegel die Stufe des griechischen »Bewußtseins«
bestimmt. Wenn Hegel die Grundstellung seines Systems in der absoluten
Idee, in dem vollständigen Sichselbsterscheinen des Geistes gipfeln
läßt, dann drängt dies zur Frage, ob nicht aum noch
in diesem Scheinen und d. h. in der Phänomenologie des Geistes und
somit im absoluten Sichwissen und seiner Gewißheit die Entbergung
im Spiel sein muß. Und sogleich steht die weitere Frage vor uns
auf, ob die Entbergung ihren Ort m Geist hat als dem absoluten Subjekt,
oder ob die Entbergung selber der Ort ist und in den Ort weist, worin
dergleichen wie ein vorstellendes Subjekt erst »sein« kann,
was es ist. (Martin Heidegger, Hegel und die Griechen [Festschrift
für Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken,
S. 439-440).
Damit halten wir schon beim Anderen, was es zu beachten gilt,
sobald die Alhqeia als die Entbergung
zur Sprache kommt. Was dieser Name nennt, ist nicht der grobschlächtige
Schlüssel, der alle Rätsel des Denkens aufschließt, sondem
die Alhqeia ist das Rätsel selbst
- die Sache des Denkens. (Martin Heidegger, Hegel und die Griechen
[Festschrift für Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken, S. 440).
Aber nicht wir setzen diese Sache als die Sache des Denkens fest.
Sie ist uns längst zugesprochen und durch die ganze Geschichte der
Philosophie überliefert. Es gilt nur, in diese Überlieferung
zurückzuhören und dabei die Vor-Urteile zu prüfen, in denen
jedes Denken auf seine Weise sich aufhalten muß. Freilich kann auch
eine solche Prüfung niemals sich selbst als der Gerichtshof gebärden,
der schlechthin über das Wesen der Geschichte und ein mögliches
Verhältnis zu ihr entscheidet; denn diese Prüfung hat ihre Grenze,
die sich so umschreiben läßt: Je denkender, d. h. von seiner
Sprache beanspruchter ein Denken ist, je maßgebender wird für
es das Ungedachte und gar das ihm Undenkbare. (Martin Heidegger,
Hegel und die Griechen [Festschrift für Hans-Georg Gadamer
zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken, S. 440).
Wenn Hegel das Sein von der absoluten Subjektivität her spekulativ-dialektisch
als das unbestimmte Unmittelbare, das abstrakt Allgemeine auslegt und
in diesem Gesichtskreis der neuzeitlichen Philosophie die griechischen
Grundworte für das Sein En, LogoV,
Idea, Energeia
deutet, dann sind wir versucht zu urteilen, die Deutung sei historisch
unrichtig. (Martin Heidegger, Hegel und die Griechen [Festschrift
für Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken,
S. 440).
Nun bewegen sich aber schon jede historische Aussage und deren
Begründung in einem Verhältnis zur Geschichte. Vor dem Entscheid
über die historische Richtigkeit des Vorstellens bedarf es daher
der Besinnung darauf, ob und wie die Geschichte erfahren wird, von woher
sie in ihren Grundzügen bestimmt ist. (Martin Heidegger, Hegel und die Griechen [Festschrift für Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag],
1960, in: Ders., Wegmarken, S. 440).
Im Hinblick auf Hegel und die Griechen heißt dies: Allen
richtigen oder unrichtigen historischen Aussagen voraus geht, daß
Hegel das Wesen der Geschichte aus dem Wesen des Seins im Sinne der absoluten
Subjektivität erfahren hat. Es gibt bis zur Stunde keine Erfahrung
der Geschichte, die, philosophisch gesehen, dieser Geschichtserfahrung
entsprechen könnte. Allein die spekulativ-dialektische Bestimmung
der Geschichte bringt es nun gerade mit sich, daß es Hegel verwehrt
blieb, die Alhqeia und deren Walten eigens
als die Sache des Denkens zu erblicken, und dies genau in der Philosophie,
die »das Reich der reinen Wahrheit« als »das Ziel«
der Philosophie bestimmte. Denn Hegel erfährt das Sein, wenn er es
als das unbestimmte Unmittelbare begreift, als das vom bestimmenden und
begreifenden Subjekt Gesetzte. Er kann demgemäß das Sein im
griechischen Sinne, das einai nicht
aus dem Bezug zum Subjekt loslassen und es in sein eigenes Wesen freigeben.
Dies aber ist das Anwesen, d. h. das aus der Verborgenheit her in die
Unverborgenheit vor-Währen. Im An-wesen spielt die Entbergung. Sie
spielt im En und im LogoV,
d. h. im einigenden versammelnden Vorliegen - d. h. An-währen-lassen.
Die Alhqeia spielt in der Idea
und in der koinomvia
der Ideen, insofern diese einander mit zum Scheinen bringen und so das
Seiendsein, das ontwV on, ausmachen.
Die Alhqeia spielt in der Energeia,
die nichts mit actus und nichts mit Tätigkeit zu tun hat, sondern
nur mit dem griechisch erfahrenen ergon
und seiner Her-vor-gebrachtheit in das An-wesen, durch welches dieses
sich vollendet. (Martin Heidegger, Hegel und die Griechen
[Festschrift für Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken, S. 440-441).
Aber die Alhqeia, die Entbergung,
spielt nicht nur in den Grundworten des griechischen Denkens, sie spielt
im Ganzen der griechischen Sprache, die anders spricht, sobald wir bei
ihrer Auslegung die römischen und mittelalterlichen und neuzeitlichen
Vorstellungsweisen aus dem Spiellassen und in der griechischen Welt weder
nach Persönlichkeiten noch nach dem Bewußtsein suchen.
(Martin Heidegger, Hegel und die Griechen [Festschrift für
Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken,
S. 441).
Aber wie steht es dann mit dieser rätselhaften Alhqeia
selbst, die für die Ausleger der griechischen Welt zu einem Ärgernis
geworden ist, weil man sich nur an dieses vereinzelte Wort und seine Etymologie
hält, statt aus der Sache zu denken, in die dergleichen wie Unverborgenheit
und Entbergung verweisen? Ist die Alhqeia
als Unverborgenheit dasselbe wie das Sein, d. h. das An-wesen? Dafür
spricht, daß noch Aristoteles mit ta onta.
das Seiende, das Anwesende, dasselbe meint wie mit ta
alhqea, das Unverborgene. Doch wie gehören Unverborgenheit
und Anwesenheit, Alhqeia und ousia,
zueinander? Sind beide von gleichem Wesensrang? Oder ist nur die Anwesenheit
auf die Unverborgenheit angewiesen, nicht aber umgekehrt diese auf jene?
Dann hätte zwar das Sein mit der Entbergung zu tun, nicht aber die
Entbergung mit dem Sein. Mehr noch: Wenn das alsbald zur Geltung kommende
Wesen der Wahrheit als Richtigkeit und Gewißheit nur im Bereich
der Unverborgenheit bestehen kann, dann hat zwar die Wahrheit mit der
Alhqeia zu tun, nicht aber diese mit
der Wahrheit. (Martin Heidegger, Hegel und die Griechen [Festschrift
für Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken,
S. 441-442).
Wohin gehört die Alhqeia selbst,
wenn sie aus der Hinsicht auf Wahrheit und Sein gelöst und in ihr
Eigenes befreit werden muß? Hat das Denken schon den Blickbereich,
um auch nur zu vermuten, was sich im Entbergen begibt und gar in der Verbergung,
die alles Entbergen braucht? (Martin Heidegger, Hegel und die
Griechen [Festschrift für Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag],
1960, in: Ders., Wegmarken, S. 442).
Das Rätselhafte der Alhqeia
kommt uns näher, zugleich jedoch die Gefahr, daß wir sie zu
einem phantastischen Weltwesen hypostasieren. (Martin Heidegger,
Hegel und die Griechen [Festschrift für Hans-Georg Gadamer
zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken, S. 442).
Man hat denn auch schon mehrfach vermerkt, eine Unverborgenheit
an sich könne es nicht geben, Unverborgenheit sei doch stets Unverborgenheit
»für jemand«. Dadurch werde sie unausweichlich »subjektiviert«.
(Martin Heidegger, Hegel und die Griechen [Festschrift für Hans-Georg
Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken, S. 442).
Muß jedoch der Mensch, an den hier gedacht wird, notwendig
als Subjekt bestimmt sein? Heißt »für den Menschen«
unbedingt schon: durch den Menschen gesetzt? Beides dürfen wir verneinen
und müssen daran erinnern, daß die alhqeia,
griechisch gedacht, allerdings für den Menschen waltet, der Mensch
aber durch den logoV bestimmt bleibt.
Der Mensch ist der Sagende. Sagen, althochdeutsch sagan, bedeutet: zeigen,
erscheinen- und sehen-lassen. Der Mensch ist das Wesen, das sagend das
Anwesende in seiner Anwesenheit vorliegen läßt und das Vorliegende
vernimmt. Der Mensch kann nur sprechen, insofern er der Sagende ist.
(Martin Heidegger, Hegel und die Griechen [Festschrift für
Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken,
S. 442-443).
Die ältesten Belege für alhqein
und alhqhV, Unverborgenheit und unverborgen,
fmden wir bei Homer, und zwar im Zusammenhang mit Verben des Sagens. Man
hat voreilig genug daraus geschlossen: Also ist die Unverborgenheit von
den verba dicendi »abhängig«. Was heißt hier »abhängig«,
wenn das Sagen das Erscheinenlassen ist und solches demzufolge auch das
Verstellen und Verdecken? Nicht die Unverborgenheit ist vom Sagen »abhängig«,
sondern jedes Sagen braucht schon den Bereich der Unverborgenheit. Nur
wo diese schon waltet, kann etwas sagbar, sichtbar, zeigbar, vernehmbar
werden. Behalten wir das rätselhafte Walten der Alhqeia,
der Entbergung, im Blick, dann gelangen wir zur Vermutung, daß sogar
das ganze Wesen der Sprache in der Ent-bergung, im Walten der Alhqeia
beruht. Indes bleibt auch die Rede vom Walten noch ein Notbehelf, wenn
anders die Weise ihres Spielens aus der Entbergung selbst, d. h. aus der
Lichtung des Sichverbergens ihre Bestimmung empfängt. (Martin
Heidegger, Hegel und die Griechen [Festschrift für Hans-Georg
Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken, S. 443).
»Hegel und die Griechen« - wir scheinen inzwischen,
weit ab vom Thema, Befremdliches zu erörtern. Gleichwohl sind wir
dem Thema näher als zuvor. In der Einleitung des Vortrags wurde gesagt:
Die Sache des Denkens steht auf dem Spiel. Es soll versucht werden, dur
das Thema hindurch diese Sache in den Blick zu bringen. (Martin
Heidegger, Hegel und die Griechen [Festschrift für Hans-Georg
Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken, S. 443).
Hegel bestimmt die Philosophie der Griechen als den Beginn der
»eigentlichen Philosophie«. Diese bleibt jedoch als die Stufe
der Thesis und der Abstraktion im »Noch nicht«. Die Vollendung
in die Antithesis und Synthesis steht noch aus. (Martin Heidegger,
Hegel und die Griechen [Festschrift für Hans-Georg Gadamer zum 60.
Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken, S. 443).
Die Besinnung auf Hegels Auslegung der griechischen Lehre vom
Sein versuchte zu zeigen, daß das »Sein«, womit die
Philosophie beginnt, als Anwesenheit nur west, insofern die Alhqeia
selbst jedoch hinsichtlich ihrer Wesensherkunft ungedacht bleibt.
(Martin Heidegger, Hegel und die Griechen [Festschrift für
Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken,
S. 443-444).
So erfahren wir denn im Bick auf die Alhqeia,
daß mit ihr unser Denken von etwas angesprochen wird, was vor
dem Beginn der »Philosophie«, aber zugleich durch ihre ganze
Geschichte hindurch das Denken schon zu sich eingeholt hat. Die Alhqeia
ist der Geschichte der Philosophie zuvorgekommen, aber in einer Weise,
daß sie sich der philosophischen Bestimmbarkeit vorenthält
als das, was seine Erörterung durch ein oihr entspringendes Denken
verlangt. Die Alhqeia ist das ungedachte
Denkwürdige, die Sache des Denkens. So bleibt denn die Alhqeia
für uns das allererst zu Denkende - zu denken als gelöst aus
der Rücksicht auf die von der Metaphysik erbrachte Vorstellung von
der Wahrheit« im Sinne der Richtigkeit, gelöst auch von der
Bestimmung des »Seins« als Wirklichkeit. (Martin Heidegger,
Hegel und die Griechen [Festschrift für Hans-Georg Gadamer zum 60.
Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken, S. 444).
Hegel sagt von dr Philosophie der Griechen: »Es ist nur
bis zu einem Grade Befriedigung darin zu finden«, nämlich die
Befriedigung des Triebes des Geistes zur absoluten Gewißheit. Dieses
Urteil Hegels über das Unbefriedigende der griechischen Philosophie
ist von der Vollendung der Philosophie her gesprochen. Im Gesichtskreis
des spekulativen Idealismus bleibt die Philosophie der Griechen im »Noch
nicht« der Vollendung. (Martin Heidegger, Hegel und die
Griechen [Festschrift für Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag],
1960, in: Ders., Wegmarken, S. 4447).
Achten wir nun aber auf das Rätsel der Alhqeia,
die über dem Beginn der griechischen Philosophie und über dem
Gang der ganzen Philosophie waltet, dann zeigt sich auch für unser
Denken die Philosophie der Griechen in einem »Noch nicht«.
Allein dies ist das »Noch nicht« des Ungedachten, kein »Noch
nicht«, das uns nicht befriedigt, sondern ein »Noch nicht«,
dem wir nicht genügen und kein Genüge tun. (Martin
Heidegger, Hegel und die Griechen [Festschrift für Hans-Georg Gadamer
zum 60. Geburtstag], 1960, in: Ders., Wegmarken, S. 444).


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