Der Geschichts- und Rechtsphilosoph Vico war ab
1697 Professor der Rhetorik in Neapel und ab 1734 Historiograph des Königs
Karl von Neapel. Das von ihm entworfene Drei-Stadien-Gesetz,
die Aufeinanderfolge der drei Zeitalter - der Götter, der Heroen,
der Menschen -, hat Ähnlichkeit mit vielen später entwickelten
Modellen oder Theorien, z.B. mit den später von Auguste Comte (1798-1857)
behaupteten drei Stadien: der Theologie, der Metaphysik, des Positiven
(Positivistischen, Erfahrungswissenschaftlichen). Die von Vico behauptete
Parallele zwischen Völkern spiegelt sich auch in der
später von Comte angenommenen Parallele zwischen den
Gesellschaften und den Erkenntnissen wider, noch
mehr jedoch in der von Oswald Spengler
(1880-1936) behaupteten Parallele zwischen den Kulturen.
(**).
Man könnte auch ein Drei-Stadien-Gesetz annehmen (wie
ich es vorschlage), das die Entwicklung zum Leben meint und etwa aus den
folgenden drei Zeitaltern besteht: Universum ohne Leben (meinetwegen
auch Zeitalter der Götter genannt), Leben ohne Menschen
(meinetwegen auch Zeitalter der Heroen genannt) und Leben mit
Menschen (das einem Vier-Stadien-Gesetz folgt: Prähominisierung
bzw. Vor-/Urmenschen; Hominisierung bzw. Frühmenschen; Sapientisierung
bzw. Altmenschen; Historisierung bzw. Jetztmenschen). Was die Zukunft
bringen wird, ist nicht gewiß, aber es wird in Zusammenhang stehen
mit der Frage, ob die Menschwerdung, die ja noch nicht beendet ist, auch
zukünftig in verschiedenen Kulturen (ich nenne sie Historienkulturen)
gespalten sein wird oder nicht. (**).
Was Vico wohl dazu gesagt hätte? Vier Vorbilder bestimmten
sein Denken: Mit Plato erkennt er in der Idee den Maßstab.
|
|
|
Es mag sein, daß
überall in der Welt so etwas wie ein Kreislauf herrscht, und
wie Jahreszeiten wechseln, so auch die Sitten sich ändern.
(P. C. Tacitus, Annalen, 115-117; III, 55). |
|
|
Mit Tacitus schildert er in den beschränkten Zwecken des menschlichen
Eigennutzes die Wirklichkeit. Mit Francis Bacon (1561-1626) besinnt er
sich auf die Einheit der wissenschaftlichen Welt. Mit Grotius faßt
er die gesamte Philosophie und Theologie in das System eines allgemeinen
Rechtes, in eine Überphilosophie, in die »Neue Wissenschaft«:
d.h. Bestand der reinen Idee und geschichtlicher Wandel verbunden im Ziel
der Wahrheit und begriffen in einem System. (Richard Wisser). Vico
beeinflußte auch Johann Gottfried Herder (1744-1803), seinen Entdecker,
Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) und überhaupt die weitere
Geschichtsphilosophie. Schon um 1600, also lange vor Vico, hatte schon
Bacon festgestellt, daß Kulturen altern wie Menschen und Phasen
bzw. Auf-und-Ab-Stufen durchleben: In der Jugend der Völker
und Staaten blühen die Waffen und die Künste des Krieges; im
reifen männlichen Alter der Völker und Staaten Künste und
Wissenschaften; dann eine Zeit lang beide zusammen, Waffenkunst und Musenkünste;
endlich im Greisenalter der Völker und Staaten Handel und Industrie,
Luxus und Mode. (Francis Bacon, De dignitate et augmentis scientiarum,
1605; IV, 2, 114).
Vico soll die ganze Universalgeschichte des Rechtes
und die Ethnologie vorausgeahnt haben. Er führte die vergleichende Methode
in die abendländische Geschichtswissenschaft bzw. Geschichtsphilosophie ein
und nahm an, daß alle Völker sich parallel entwickeln,
daß der corso (Lauf, Kurs als Aufstieg) der Völker drei
Zeitalter durchläuft: das der Götter, das der Heroen, das der Menschen;
die Aufeinanderfolge eines göttlichen, eines heroischen und eines menschlichen
Zeitalters kann man also als ein Drei-Stadien-Gesetz auffassen. Vico war seiner
Zeit sehr weit voraus und lehnte den Cartesianismus ab, genauer: er setzte gegen
Descartes' an Mathematik und Physik orientierten naturalistischen Rationalismus
in De antiquissima Italorum sapienta ... (1710) den erkenntnistheoretischen
Grundsatz: Nur das kann erkannt werden, was einer selbst hervorgebracht
hat. Deshalb ist eine universale Erkenntnis nur Gott möglich, der in
seiner Schöpfung alles geschaffen hat; weil die Geschichte aber andererseits
das ist, was der Mensch in der Welt geschaffen hat, ist die Geschichte sein vornehmliches
Erkenntnisobjekt. Ausgehend von diesem Grundsatz entdeckte Vico in seinem Werk
Von dem einen Ursprung und Ziel allen Rechtes (1720) die Geschichtlichkeit
des Rechts und entwickelte das für die gesamte Menschheitsgeschichte als
gültig erachtete geschichtsphilosophische Modell der gesetzmäßigen
Wiederkehr je eines theokratischen, heroischen und menschlichen Zeitalters in
einem Zyklus von Aufstieg, Verfall und ständiger Wiederkehr. Wie gesagt:
Vico erklärte die Geschichte zum eigentlichen Feld der menschlichen Erkenntnis,
weil der menschliche Geist am besten das verstehen könne, was er selbst gemacht
habe: Tat-Sachen. Daß Vico seiner Zeit weit voraus war, läßt
sich schon allein daran erkennen, daß er als Wegbereiter des Historismus
und als Systematiker der Geschichtswissenschaften gilt. Und das sind gerade nicht
die positiv erkennbaren physikalischen Phänomene, denn sie können
nur von außen erklärt werden und nicht, wie in der Geschichtswissenschaft,
von innen verstanden werden. Das ist im wesentlichen schon die These der Hermeneutik,
denn die Gegenüberstellung von Erklären und Verstehen ist typisch für
diese Denkrichtung, und zu Vicos Zeiten gab es die Hermeneutik als wissenschaftliche
Disziplin noch gar nicht: Vico war eben seiner Zeit weit voraus.
|