Letzte Ausfahrt weiter hinten: der deutsche Sonderweg (in: Sezession,
Dezember 2008)
Wir Zeitgenossen der Wende zum 21. Jahrhundert haben
das zweifelhafte Privileg, dem Untergang gleich zweier gesellschaftlicher Ordnungssysteme
beiwohnen zu können. 20 Jahre nach der staatssozialistischen Formation implodiert
nach einer heißen Phase heftigster innerer und äußerer Expansion
und mit voraussichtlich weit größeren Knalleffekten nun auch der angelsächsisch
geprägte Wirtschaftsmodus des sogenannten »Freien Westen«.*
* *Was derzeit, kurz vor dem »Showdown«, von den Akteuren
des Schauspiels, «Rettung der Finanzmärkte« dargeboten wird,
folgt noch dem Strickmuster einer klassischen Gaunerkomödie und hat auch
deren Unterhaltungswert: Da gibt der größte Bankrotteur (die schuldtilgungsunfähigen
Staaten) mit nobler Geste Patronatserklärungen für die gleichfalls völlig
bankrotten Banken ab und verteilt dazu Mittel, die er sich von eben diesen Banken
leihen wird. Die dabei zur Sprache kommenden Summen reichen in Zahlenräume,
in denen bis vor kurzem allein die Astronomen heimisch waren. In der monetären
Alchimistenküche haben offenbar neben den bekannten auch besonders »innovative«
Transmutationen stattgefunden: Aus Gold wurde Papiergeld, aus Papiergeld Buchgeld,
das, einen nigromantischen Kunstgriff später, Schaumgeld wurde und sich wundersam
vermehr te zu Derivaten und Derivaten-Derivaten. Die Rollenverteilung
in der Gaunerkomödie - mit dem Staat als tadelnder Retter, die Banken als
reuige Sünder, dem Markt als entsprungene Bestie -, das ist schon eine dreiste
Camouflage: Denn es waren die Staaten, die in Kumpanei mit der Finanzindustrie
diesen Schneeball ins Rollen brachten, die Scheingeldmassen sauber wuschen und
umlauffähig machten. Und der bestialische Markt waltet (anders als Rating-Agenturen,
WP-Gesellschaften und ganze Kompanien nationaler und internationaler Aufsichtsbehörden)
spät zwar, doch unbestechlich und penibel (und gegen alle Widerstände)
seines Amtes, macht seine Nagelproben an den Werten und wischt das Schaumgeld
aus den Büchern - und breche dabei zusammen, wen der Staatskumpan nicht rettet.
* * *Kontrolliert und planvoll kann dieses kreditzerrüttete System
nicht mehr heruntergefahren werden. Es gibt nur die Möglichkeit, es vollständig
zurückzusetzen, sei es durch eine praktisch weltweite Währungsreform
oder auf dem Umweg über eine geldpolitisch von der Leine gelassene (oder
von ihr sich losreißende) Hyperinflation. Ansonsten: Irgendwann ein Über-Nacht-Kollaps,
der die Realwirtschaft auf einen Schlag verwüstet: stockender Zahlungsverkehr,
reißende Versorgungsketten, wirtschaftliche Desintegration - und am Ende
kehrt jeder vor der eigenen Tür, wobei die Frage offen bleibt, wer dabei
den Besenschrank verwaltet: ein Staat, lokale Autoritäten oder mafiöse
Banden. Aber selbst das beschreibt noch nicht den Umfang des bevorstehenden
Desasters, denn absehbar ist auch der nächste Stoß: eine schnelle Verknappung
des Erdöls als Brenn-, Kraft- und Chemierohstoff, mit einem nachfolgend heftigen
Schrecken darüber, wie grundlegend, bis in die einfachsten Lebensvollzüge
hinein wir ölabhängig geworden sind.Peak-Öl
ist hier nicht das Thema. Darum nur kurz: Die internationale Energieagentur (eine
Einrichtung der OECD und als solche eine amtliche Optimismus-Trompete) hat in
ihrem soebven erscheinen Energie-Ausblick 2008 die Rate des jährlichen Fördermengenrückgangs
(»depletion rate«) auf 5,6 bis 8,5 erhöht. Dabei kommt es gar
nicht sehr darauf an, wann diese Sinkflug-Kurve den Nullpunkt schneidet, sondern
darauf, ab welchem Punkt Rationierung und Zuteilung beginnen. Das grüne »weg
vom Öl« münzt eine Zwangsläufigkeit in eine politische Parole
um, und tut so, als stünden für das schwindende Erdöl urlaubsbunte
Substitute (Sonne, Wasser, Geothermie, Wind) bereit, verschweigt aber, daß
dieser Ersatz mit einer dramatischen Energieveramung einhergehen wird. Denn alle
technischen Alternativen sind von einem deutlich positiven Saldo zwischen energetischem
Ertrag und Aufwand (EROEI) weit entfernt. |
Damit geht
- so oder so oder noch katastrophischer - ein Wirtschafts- und Lebensmodus zu
Bruch, der allein auf die Illusion baute, daß Leistungen der Zukunft folgenlos
und auf ewig zum Gegenstand heutigen Konsums gemacht werden könnten. Am Beginn
dieser letzten wirtschaftlichen Hochfieberphase der »Emanzipationsmoderne«
stand die Heilsbotschaft, daß von nun an der Brunnen zum Kruge kommen und,
festgemauert, auch nimmermehr zerbrechen werde. Der ökonomische Hausverstand
nahm das zwar mit Skepsis, ließ sich aber mit schwindendem Widerstreben
einschenken. Er wird in Kürze, unter allerdings eher ungemütlichen Umständen,
die Genugtuung erfahren, daß seine Skepsis hoch berechtigt war.
Es war die Fiktion eines ewigen Plus Ultra, der eigentlich seltsame, weil
völlig erfahrungsfremde Gedanke, daß es Expansion ohne Kompression,
ein Auf ohne ein Ab geben könnte. Die wirkliche Welt verläuft oszillativ,
und diese Erfahrung ist tief geerdet, weil sie von den physiologischen Rhythmen
und allem Naturerleben täglich beglaubigt wird. Daß der gegenteilige,
nämlich kumulative Prozeßtyp der ständigen Steigerung materiell
wirksam werden könne, ist eine Idee, die (nach Kenneth Boulding) nur Verrückten
oder Ökonomen kommen kann - und den wenigen geschichtlichen »people
of plenty«, Völkern, die plötzlich einen ganzen, fruchtbaren,
rohstoffreichen, fast menschenleeren Kontinent (ersatzweise ein koloniales Weltreich)
zu ihrer Lebensfristung zur Verfügung haben und deshalb meinen, die lex
parsimoniae sei für sie auf Dauer außer Kraft gesetzt. Aber auch
denen hilft eines Tages die Wirklichkeit über diesen Irrtum hinweg.
* * *Ein kleiner Schritt aus dem Alltag zur Seite auf einen imaginär-externen
»point of view«, ein kleiner Moment der Besinnung, in dem man die
Fähigkeit gewinnt, sich von der »Normalität« befremden zu
lassen - und man blickt auf eine Szene gigantischen Mißlingens.
Eine Ökonomie mit allerschwersten Stoffwechselstörungen, die nach letzter
Luft und allem schnappt, was sich noch irgendwie verwerten läßt. Alle
Quellen sind erschöpft, und die Senken laufen über von Müll und
Schutt und Schlacken; überall Abfall, materieller Unrat, der auf der äußeren,
und geistiger Unrat, der auf der inneren Epidermis Allergien provoziert. Man sehe
sich in einem beliebigen 1950er-Jahre-Bildband Straßenszenen an und vergleiche
die Gesichter der Passanten mit heutigen, um zu ermessen, wieviel seelische Verheerung
da stattgefunden hat. Keine gesellschaftliche Institution, die den Status
eines fortgeschrittenen, zumindest beginnenden Kollapses nicht erreicht hätte.
Nichts funktioniert mehr in diesem System, und an jedem Tag, den es noch wackelnd
steht, ruiniert es funktionszwangsläufig weiter seine Fundamente. Nichts
mehr im Rückgriff (auf Reserven), alles im Vorgriff auf die Zukunft.Oder
grundlegender: Alle Energie, die uns ab Sonnenaufgang zuströmt, baut Strukturen
auf, schafft Gebilde und formt Gestalten in die Höhe. Die in unserer Verbrennungskultur
technisch mobilisierte Energie wirkt nur darauf hin, Strukturen zu schleifen,
Gebildeaufzulösen und alle restlichen Kohäsionskräfte zu schwächen
und auf Null zu bringen. Der Verlust an Form, sagt Sloterdijk
besänftigend gegenüber dieser konservativen Dauerklage, werde immer
durch einen Gewinn an »Freiheit« ausgeglichen. Wohl wahr - das ist
das Wesen aller Erosions- und Korrosionsprozesse: Auf dem Weg vom Bauwerk zur
Ruine befreien sich die Ziegel aus ihrem Verbund in einen Haufen, und im weiteren
Zerfall der Ziegel gewinnen die Sandkörner ihre Freiheit im Wind, der sie
verweht.
Angesichts der Konsequenz,mit der diese »Auflösung
aller Dinge« seit 200 Jahren abläuft, fällt es tatsächlich
schwer, nicht zum Verschwörungstheoretiker zu werden. Aber: Wahrscheinlich
haben alle Entwicklungen, eben auch geschichtliche, einen Vektorpunkt
in der Zukunft, einen Attraktor, der die Prozesse durch mehrere, auch
alternative (und an verschiedenen Punkten durchaus wählbare) Rinnen,
Bahnen (oder »Chreoden«: C. H. Waddington) auf sich lenkt.
Einmal in einem solchen verzweigungsfreien Bahnstück läuft dann
alles »wie am Schnürchen« - auch die destruktiven Prozeßschritte.
Damit wären die »Drahtzieher« aber evolutionäre
Kräfte und eben keine Dunkelmänner aus den Hinterzimmern der
Wallstreet. Und: Der ziehende »Attraktor« ist immer gleichzeitig
ein Umlenkpunkt, der dann, endlich, auch die Richtung ändert.
Also:
Alles mißlungen und alles vertan. Gab es Weggabelungen?
* * *
Die Welt klaffte, Robert Musil zufolge, 1914 (nein,
sondern erst seit 1918; HB) »in deutsch und widerdeutsch«.
Woran das »Widerdeutsche« Anstoß nahm, ist uns im Nachgang
zu dem dreißigjährigen Krieg zwischen Deutschland und der Welt
(1914-1945) ausführlichst erläutert worden: Es war der »Reaktionäre
Modernismus« des Kaiserreichs, der Empörung weckte, der skeptische
Antimodernismus mit den Unterabteilungen Antikapitalismus, Demokratiekritik
und Irrationalismus. Das ist zwar nicht ganz rund, denn die Engländer
waren auf die Deutschen ja nicht etwa wegen eines modernitätswidrigen
Müßiggangs schlecht zu sprechen, sondern eher im Gegenteil,
und man tut den Angelsachsen gewiß nicht Unrecht mit der Unterstellung,
daß ein unter kaiserlichem Regiment weiterhin nur »reaktionär«
dichtendes und denkendes Volk ihren Abscheu weit weniger erweckt hätte
als eines, das gleichzeitig das Stahlkochen vervollkommnet, Elektromotoren
baut und überhaupt die englische Industrie in nur wenigen Jahrzehnten
peinlich deklassiert.
Der Konflikt,
der sich da aufgebaut hatte, war also tatsächlich ein wirtschaftlicher, aber
er reichte auf deutscher Seite wesentlich tiefer: Seit Beginn des 19. Jahrhunderts
begegnet das deutsche Denken der englischen Nationalökonomie mit großer
Neugier, aber steigender Skepsis und wachsender Sorge, hält sie für
»ordinär«, geistvergessen (Adam Müller) und für eine
banale »Naturlehre der menschlichen Selbstsucht« (Bruno Hildebrandt,
1848).Dies
waren über fast 150 Jahre die Konstanten der Kritik: | 1. |
Die deutsche Nationalökonomie dachte von ihren Ressourcen
her, von dem, was da war, an Landschaft, an Gewerben, an Institutionen und politischen
Formen, an Gewohnheiten und Mentalitäten. | 2. | Und
sie dachte auf ihre Ressourcen hin, denn wirtschaftlicher Zuwachs füllte
in diesem Denken nicht Speicher oder Konten, sondern vergrößerte das
»produktive Vermögen« (Hegel): »... überhaupt gar
nicht mit Summen hat es die Nationalökonomie zu thun, sondern mit Quellen«.
(Friedrich B. W. von Hermann: Staatswirtschaftliche Untersuchungen, 1832).
Und es ist von Belang, daß das deutsche Wort »Vermögen«
ans Können und Leisten angeknüpft bleibt und nicht ans Eigentum. | 3. | Und
sie dachte in Zeiten und Räumen, denn wirtschaftliche Kräfte betätigen
sich nicht im Irgendwo nach universalen Gesetzen, sondern irn Hier und Jetzt,
aus einem geschichtlichen Umfeld und aus geprägten kulturellen Mentalitäten
heraus. | Der Grundtenor der deutschen Opposition war
also immer, daß es um die »produktiven Kräfte« gehe, die
in erster Linie von Menschen betätigt werden. Nicht die Befriedigung der
Bedürfnisse, sei das erste Ziel, sondern die Erhaltung und die Kräftigung
der fortdauernden Möglichkeiten dazu. Das ist das preußische
Prinzip: Alle zu heben, und niemanden sacken zu lassen, eine »Ertüchtigung«
aller Stände, Schichten und Menschen, Wirtschaft als ein Ineinander von materieller
und ideeller Allokation, eine Gleichzeitigkeit von wirtschaftlichem und kulturellem
Wachstum, und eben immer wieder Hegels Hebung des »allgemeinen Vermögens«,
die Birger P. Priddat als eine »sublunare Theoriefigur in der deutsche Ökonomie«
bezeichnet. Auch die später so geschichtsmächtig gewordene linke Schwester
dieser Kritik, der Marxismus also, stammt aus demselben Humus, was man seiner
frühen, kritischen Seite noch anmerkt, während Marx sich später
revolutionsgewißheitshalber, aber mit sichtbar melancholisch eingetrübtem
Temperament, hinter den »wegbereitenden« Lauf der Dinge klemmen mußte.
Das Absinken ganzer Schichten, denen jede ökonomische Reserve und schließlich
auch die Fähigkeit zur »Selbstanspannung« abhanden kommt, die
»Proletarisierung« also, die mögliche Ansteckung mit dem »hochgradig
pathologischen Charakter der englischen Gesellschaftsstruktur« (Röpke),
war ein Schreckensbild, das die deutsche Ökonomie seit dem späten 19.
Jahrhundert stets begleitete und sie bis in die 1960er Jahre nicht mehr verließ.
Was auch immer über diesen »Gemeinschaftsgedanken« der
Deutschen ausgeschüttet wurde, welche Dämonen in ihm gesucht und gefunden
wurden, seit mindestens zehn Jahren nimmt die Faszination dieser anderen wirtschaftlichen
Orientierung unübersehbar zu. (Sie ist, auch von ihren ausländischen
Bewunderern, schwer ansprechbar, am unverdächtigsten noch als »stakeholder-socitey«).
Und selbst der mentalitätslinke, us-amerikanische Soziologe Richard Sennet
weiß in seinem Ekel vor dem neoliberalen Furor heute nicht mehr, wohin er
gedanklich anders flüchten sollte als in das preußische Modell, auf
das er wehmütig zurückblickt: »Es funktionierte ja. Immerhin sorgte
es für soziale Integration ..., das Modell bildete einen bemerkenswerten
Gegensatz zum Kapitalismus von heute, der Menschen nicht einbezieht, sondern ausschließt
.... Es diente den gewöhnlichen Leuten, indem es ihnen eine Lebensgeschichte
gab; sie wußten, wo sie hingehörten. Doch im ausgehenden 20. Jahrhundert
zerfiel es.« (Weltwoche Nr. 31, 2005). Es zerfiel erstens nicht
ganz von selbst und zweitens auch nicht vollständig. Aber es war (siehe oben)
in seinem »reaktionären« Festhalten an einem »eigenen Weg«
ein Stein des Anstoßes und damit Ursache für den großen Krieg
im 20. Jahrhundert, dessen erste Runde 1914 begann: Bei Max Scheler ist zu lesen,
daß dieser im Kern deutsch-englische Krieg von deutscher Seite »...
auf Befreiung abzielt von jenen neukapitalistischen Lebensformen überhaupt,
in denen mit England zu konkurrieren und sie dabei selbst anzunehmen, die welthistorische
Situation uns zwang. Nicht also siegreiche Konkurrenz mit England, sondern steigende
Erlösung vom Zwang einer Konkurrenz mit England ... ist das Hauptziel (...
dieses Krieges). Der Kapitalistische Geist Deutschlands - so mächtig er schließlich
wurde - ist nicht aus deutschem Wesen autochthon entsprungen, sondern nur in gleichem
Maße entstanden, als der Eintritt in die uns umgebende Weltwirtschaft und
der damit erst gegebene Konkurrenzzwang ihn uns im Gegensatze zu unserer älteren,
nach dem Gegenseitigkeitsprinzip organisierten Wirtschaft aufnötigten.«
(Max Scheler, Genius des Krieges, 1914)-Es ist diese Ausgangslage,
die im Deutschland der Vorkriegszeit so etwas wie einen antikolonialistischen
Affekt hervorruft mit Motivlagen und Argumentationsmustern, die Rolf Peter Sieferle
(in seinem Epochenwechsel, 1994) in den antiimperialistischen und antikolonialistischen
Bewegungen der 1950er bis 1970er Jahre wiederfindet. Deutschland also als »antikolonialistische
Vormacht« (Johann Plenge, 1919)? Und das führt zu einer Antwort
auf die völlig tabuisierte, aber nicht dauernd stillzustellende Frage, aus
welchen Quellen den damaligen Deutschen die Kraft zuwuchs, zweimal innerhalb eines
halben Jahrhunderts gegen alle Großmächte zu kämpfen und jeweils
nur knapp zu unterliegen.Der Widerstand jedenfalls zog sich durch in
einer nie vollständig unterbrochenen Linie von Hegel, Novalis, Friedrich
List, Roscher, Schmoller, Sombart, und dann, nach dem zweiten Teil dieses 30jährigen
Krieges, noch einmal durch die Freiburger Schule von Rüstow und Röpke
wiederbelebt, deren Ton in ihren letzten Jahrzehnten immer schärfer wurde.
Was die in den späten 1950er und frühen 1960er Jahren hochkritisch gewordene
Freiburger Schule um Rüstow und Röpke gegen die »Staatskrippen-Tendenzen«
argumentativ aufbietet und als »Vitalpolitik« auf einen faßbaren
und klingenden Begriff bringt, lohnt heute jedes Studium. Bei Manuscriptum erscheint
in Kürze eine Röpke-Auswahl in diesem Sinne. Und 2003 hat Werner AbeIshauser
den Faden noch einmal aufgenommen und den deutschen »Sonderweg« erstaunlich
unumwunden als Gegenstand und Anlaß eines langandauernden »Kulturkampfs«
bezeichnet, der (aus seiner Sicht) im 2. Weltkrieg heiß geworden sei, »...
daß der 2. Weltkrieg auch als Bruderkrieg zwischen unterschiedlichen Zweigen
der kapitalistischen Großfamilie ausgetragen wurde und die Beseitigung korporativistischer
Besonderheiten des deutschen Wirtschaftssystems weit oben auf der Liste amerikanischer
Kriegsziele stand«. Aber auch die totale Niederlage 1945 konnten
die Traditionslinien nicht kappen. Der Rheinische Kapitalismus war so wenig angelsächsisch
wie der Preußische Sozialismus marxistisch war. Und noch die Deutschland-AG
der 1980er Jahre war eine weitere, schon etwas schwundhafte Evolutionsform auf
der langen Linie; sie wurde erst in den späten 1990er Jahren mit der ökonomischen
»Modernisierung« Deutschlands und der Öffnung für die »internationalen
Kapitalmärkte« gesetzgeberisch geschleift - konsequenterweise durch
die »68er« im Amte, die, wie schon 30 Jahre vorher kulturell, diesmal
auf ordnungspolitischem Feld Deutschland zu einer weiteren Ankunft im Westen verhalfen
- also einer weiteren Ankunft in der Mitte des Bergrutsches, diesmal aber ganz
kurz vor dessen längst absehbarem Aufschlag im Tale. *
* *Wir haben es wieder und wieder gehört: Deutschland, die widerlegte
Nation. Worin eigentlich widerlegt? ... Gewiß; in seinem Beharren
auf einem Recht zum »eigenen Weg« (das es im übrigen mit China
und Japan teilte, die deswegen auch den angelsächsischen Knüppel zu
spüren kriegten) sicher nicht oder nur militärisch. In der Gangbarkeit
dieses Weges noch viel weniger. Es illustriert - wahlweise die Ironie oder die
Logik
der Geschichte, daß Deutschland und Japan noch über eine weitgehend
intakte, vielfältige, im Notfall konversionsfähige industrielle Infrastruktur
verfügen, während England und die USA in dieser Hinsicht mittlerweile
reines Brachland sind.* * *Jeffrey Herf wollte
in seinem Reactionary Modernism noch in Horkheimers und Adornos Dialektik
der Aufklärung (1947) einen Übergriff sehen, weil auch darin ein
deutsches Denkproblem zu einem Weltproblem gemacht werde. Nein, Deutschland hat
sich tatsächlich »den Kopf zerbrochen« für die Welt - und
zwar auf der Suche nach Wegen, auf denen sich vorbeikommen ließe an genau
der zivilisatorischen Sackgasse, an deren Ende die Welt jetzt in völliger
Rat- und Orientierungslosigkeit herumrennt. (Ebd., in: Sezession;
Dezember 2008, S. 4-8).
Der Tanz auf der Nadelspitze (in: Sezession,
Februar 2012)
Einleitung
Im Verlauf der letzten 100 Jahre vervierfachte sich die Weltbevölkerungverzwanzigfachte
sich die Weltwirtschaftsleistung und vervierzigfachte sich der Primärenergieverbrauch.
| »Als ich einmal mit Max Weber
über die Zukunftsaussichten sprach und wir die Frage aufwarfen: wann
wohl der Hexensabbat ein Ende nehmen würde, den die Menschheit in den
kapitalistischen Ländern seit dem Beginne des 19. Jahrhunderts
aufführt, antworte er:
Wenn die letzte Tonne Erz mit der letzten Tonne Kohle verhüttet
sein wird.«
(Werner Sombart, Das Wirtschaftsleben im Zeitalter des Hochkapitalismus,
1927, S. 1010).
|
Ein Blick auf die entsprechenden Funktionsgraphen belehrt jedenneutralen
Betrachter darüber, daß da keine »Entwicklung«, sondern
eine Explosion stattgefunden hat - und daher bei nachlassendem Expansionsdruck
mit herunterkommenden Trümmerteilen zu rechnen ist. Der Scheitelpunkt ist
erreicht.
Energiekrise: Bergab geht's schneller
Die These vom knapp hinter
uns liegenden Ölfördermaximum wird nur noch von Politikern bestritten.
Die Fördermenge vervierfachte sich seit 1960 von 20 auf 80 Millionen Barrel/Tag
und stagniert seit etwa fünf Jahren auf diesem Niveau. Im Jahre 2010 hat
der Verbrauch mit 87 Millionen Barrel/Tag die Förderung von 82 Millionen/Tag
überschritten. Die Lager wurden angegriffen.Die Internationale Energie
Agentur (IEA) prognostizierte 2009 nach einer erstmaligen Inspektion aller wichtigen
Ölfelder einen globalen Fördermengenrückgang von 6,7 Prozent jährlich.
Den weiteren Verlauf zeichnet die regierungsamtliche U.S. Energy Information Administration
(EIA) als eine sich öffnende Schere: Noch während dieses Jahrzehnts
erleben wir einen Rückgang des Primärenergieangebots aus fossilen Vorräten
um etwa 20 Prozent - bei weiterhin steigender Nachfrage. Wer entschlossen ist,
amtliche Daten grundsätzlich für gefälscht zu halten, kann den
Ernst der Lage ersatzweise auch an den derzeitigen geostrategischen Ränkespielen
in Nordafrika und im Nahen Osten ablesen.
Energie und Ökonomie
Die Energie ist ein blinder Fleck in
der an blinden Flecken ohnehin nicht armen Optik der Ökonomen: Es gibt sie
eigentlich nicht. Zwischen Öl alsKraftstoff und Öl als Schmierstoff
gibt es ökonomisch keinen Unterschied.
| Neue Wachstumsgleichungen zeigen,
daß die »Restgröße« der neoklassischen Wachstumstheorie
sich vollständig auföst, wenn der Energieeinsatz nicht nur monetär
zu Faktorkosten, sondern mit seinem tatsächlichen Produktionsbeitrag und
damit als das bewertet wird, was er ist: Arbeitsleistung. | Nach der neoklassischen Wachstumstheorie trugen
die Produktionsfaktoren zu der himmelsstürmenden Wirtschaftsentwicklung im
20. Jahrhundert exakt im Verhältnis ihrer jeweiligen Faktorkostenanteile
mit 65 Prozent (Arbeit), 30 Prozent (Kapital) und fünf Prozent (Energie)
bei. Leitet man unter dieser Prämisse das Wirtschaftswachstum der letzten
100 Jahre nur aus der Veränderung des Inputs dieser Produktionsfaktoren ab,
dann bleibt eine Restgröße, das sogenannte »Solow-Residium«,
das etwa für die Entwicklung der US-Wirtschaft in der ersten Hälfte
des 20. Jahrhunderts den (für eine »Restgröße« durchaus
ungewöhnlichen) Wert von 87,5 Prozent annahm.
Eine Billion Barrel Öl - und damit das Äquivalent von 15 Billionen
Menschenarbeitsjahren - hat die Weltwirtschaft in etwas mehr als einem
Jahrhundert in sich aufgesogen, doch das Ergebnis wird von den Ökonomen
als technischer Fortschritt verbucht und damit als Kompliment an die Kreativität
und den Erfindungsgeist des Menschen weitergereicht. Diese Umdeutung einer
gewaltigen Erbprasserei in eine gewaltige Leistung hat Folgen: Zum einen
bewirkt sie, daß heute jeder Friseurlehrling mit so viel Herablassung
auf das Postkutschenzeitalter guckt, als habe er ganz Wesentliches zu
seiner Überwindung beigetragen. Und zum anderen nährt sie die
fortdauernde Illusion, der »Menschheit sei noch immer etwas eingefallen
- und das werde auch so bleiben«. Mit dem Einbruch in die fossilen
Langzeitspeicher der Sonnenenergie ist der Menschheit weniger etwas ein-
als vielmehr etwas zugefallen - alles, was danach kam (Kernenergie, Photovoltaik),
waren abgeleitete Techniken, insofern sie den Rückgriff auf diesen
gutgefüllten Energietank zur Voraussetzung haben.
Alles liquide. Energie und Geld
Für die 60 Jahre des voll strömenden Öls (ab 1950) war
die Kernfrage der Wirtschaft und des Lebens nicht mehr »Woher die
Energie nehmen?«, sondern deren glatte Umkehrung: »Wohin mit
der Energie?« Die Antwort ist bekannt: eine in immer neuen Wellen
anbrandende, schwindelerregende Mobilisierung, Motorisierung und Elektrifizierung
des Lebens und eine Ersetzung aller kurzgeschlossenen, energiearmen Kreisläufe
durch technisch arrangierte und energieintensive Prozesse. Verbunden war
das mit zwei menschheitsgeschichtlich überaus markanten Kehren:
Zum ersten wurde der Mensch von einer (produktiven) Energiequelle zu einer konsumtiven
Energiesenke - ein Vorgang, der anthropologisch und seelenkundlich noch gar nicht
richtig gewürdigt wurde, obwohl sich seine Folgen seit Jahrzehnten in den
psychosomatischen Praxen und Kliniken deutlich bemerkbar machen.
Zum zweiten: Der Kapitalismus war vor seiner Petroleumflutung eine sparsamkeitsgetriebene
Veranstaltung: Investitionen mußten aus Ersparnissen finanziert werden,
die ihrerseits nur durch Konsumverzicht gebildet werden konnten (sei es aus eigenem
Konsumverzicht oder aus dem anderer Leute, die dann als Kreditgeber fungieren
konnten). Das war der »asketische« Kapitalismus Max Webers - eine
in vieler Hinsicht neue Formation, aber immer noch tief verbunden mit den Knappheitserfahrungen
der ... Menschheitsgeschichte.
Die Antwort auf die Frage »Wohin mit der Energie?« verlangte
freilich eine andere Mentalität als Webers »protestantische
Ethik«, andere Allokationsmechanismen als »Investition aus
Ersparnis und Ersparnis aus Verzicht« und vor allem eine volle Mobilisierung
der - unter den vorherigen Knappheitsbedingungen quantitativ noch völlig
unausgeloteten - menschlichen Konsumkraft. Die Mittel zur Finanzierung
der investiven und der konsumtiven Seite der ungeheuren Wirtschaftsexpansion
waren nun nicht mehr dem Vergangenheits- und Gegenwartskonsum abgespart,
sondern wurden der Zukunft entnommen, die gar nicht mehr anders vorgestellt
werden könnte als eine um weitere »Zuwächse« jedweder
Art aufgespeckte Gegenwart.
Die Industriegesellschaften
gingen - in betriebswirtschaftlicher Terminologie - von einer »Innenfinanzierung«
(aus thesaurierten Überschüssen) zu einer »Fremdfinanzierung«
(aus zukünftigem Sozialprodukt) über. Die Mittel dazu waren:
Das Ende der stofflichen Deckung der Währungen mit der Kündigung von
Bretton Woods im August 1971. Die Entgoldung des Geldes und seine Verwandlung
in frei schöpfbares Schaumgeld. **
**
**
**
**
**
Die Loslösung des »Kredits« vom »Geld«,
indem die Kreditvolumina sich in steiler Kurve von den Bankeinlagen »emanzipierten«.
Moritz Schularick (FU Berlin) und Alan Taylor zeigen in einer vor kurzem erschienenen
wirtschaftsgeschichtlichen Studie, daß die Periode von 1870 bis zum Ende
der Weltkriege noch eine Periode des »Geldes« war, die in den späten
1950er Jahren von einer Epoche des Kredits abgelöst wurde. Von da an: Ölschleusen
offen, Kreditschleusen offen - also volle Schußfahrt in den hedonistischen
Kapitalismus, der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum Ausbruch
kam.
Das Scharnier für diesen Umschlag waren die 1960er/1970er Jahre,
in denen die Kohle- von der Olförderung abgelöst wurde, wobei
die noch während des Kohlezeitalters brutal präsente Tatsache,
daß die Energiegewinnung Energie erfordert, dank der Ferne der Förderstätten
und automatisierter Transport- und Veredelungsprozesse gnädig verblaßte.
Dies war die materielle Grundlage für das Aufkommen jener merkwürdig
lebensfremden Weltanschauungen, wie sie sich in der hedonistischen Kulturrevolution
der 68er durchsetzten. Die dadurch angestoßenen Veränderungen
der Mentalitäten sind in der Nachfolge von Robert Ingleharts Silent
Revolution (1977) in der Debatte über neue, nämlich »postmaterielle
Wertorientierungen« verhandelt worden.
Die »postmaterielle« Orientierung der neuen, ergrünenden
Milieus kam vor allen Dingen darin zum Ausdruck, daß bei ihnen die
»Sorge um etwas« (z.B. das tägliche Brot) völlig
von der »Lust auf etwas« (z.B. die täglich Bruschetta)
ersetzt worden war. Ansonsten pflegt das »postmaterielle«
Milieu den ressourcenverschwenderischsten Lebensstil und die größte
Umweltsensibilität mit der gleichen Innigkeit. Verständlich
ist auch, daß es den Wechsel von den schmutzigen fossilen zu den
»erneuerbaren Energien« (Anführungstriche
von mir, denn »erneuerbare Energien« gibt es nicht [**]!
[HB]) mit Nachdruck fordert, denn es verbindet mit lezteren in
schöner Einfalt vor allem die Vorstellung von sehr viel Sonne, wenig
Arbeit und schierer Unerschöpflichkeit.
Gewiß: Die ganze Formation hatte sich über mehr als ein Jahrhundert
vorbereitet, in einem Prozeß, der allerdings immer wieder krisen-
und kriegsbedingt zurückgeworfen und durch hartnäckigen kulturellen
Widerstand gebremst worden war. Erst jetzt, bei vollem Zustrom scheinbar
unbegrenzter Energiequellen und unbegrenzten Kredits, brachen die Dämme,
und die karnevalistische Endphase der Moderne konnte sich rein entfalten:
mit ihren verblüffenden Neuarrangements von Individuum und Gesellschaft,
Ich und Es, Mann und Frau, oben und unten, Trieb, Triebverzicht und Triebverzichtverzicht,
in der fieberhaften Atmosphäre eines wirtschaftlich hochgeheizten
Treibhauses, in dem der letzte verbliebene Rest an gesundem Menschenverstand
und an nüchternem, über Jahrtausende aufgebautem Sinn für
die irdischen Realitäten verdampfen konnte.
| »Und
wenn die Revolution in den Metropolen stattfindet, ist alles möglich. Man
kann sich fast ausdenken, was man will, weil die Produktionskräfte es
ja hergeben.« (Bernd Rabehl, in: »Ein Gespräch über die
Zukunft. H. M. Enzensberger mit Rudi Dutschke, Bernd Rabehl und Christian
Semler, in: Kursbuch 14, 1968). |
Klar ist, daß diese Atmosphäre die Ewige Linke in
beträchtliche Euphorie versetzte: denn nun konnte anscheind »der materialistische
Bann, der biblische Fluch der notwendigen Arbeit technologisch gebrochen werden«
(Jürgen Habermas, Erkenntnis und Interesse, 1969, S. 80). Ebenso klar
ist, daß das konservative Motiv - zu leben aus dem, was immer gilt - in
eine völlige, bis heute anhaltende Betäubung geraten mußte.
Der 1. Teil der Wand: Der Nettoenergiefaktor
| Die Begriffe »Nettoenergiefaktor«,
Erntefaktor, EROI oder EROEI, Payback- oder Amortisationszeit
beschreiben mit jeweils leichten Perspektivenverschiebungen mathematisch das
grundlegende Verhältnis der aufgewendeten zur geernteten Energiemenge
oder Arbeitsleistung. Die Methodiken der Ermittlung solcher Kennzahlen sind nicht
normiert, entsprechend unterschiedlich sind die Ergebnisse, je nachdem, welche
Energielobbygruppe gerade rechnen läßt. | Die Energiegewinnung kostet Energie, und mittlerweile
immer mehr. Bei allen Rettungsszenarien - gleich ob in Richtung Atom- oder »erneuerbare
Energien« (**)
oder »Wasserstoffwirtschaft« - wird die folgende Grundfrage regelmäßig
abgedunkelt: Wie ist der Nettoenergiefaktor als das Verhältnis von gewonnener
zu aufzuwendender Energie?
Bei der konventionellen Olförderung hat sich aufgrund sinkender
Ergiebigkeit der Felder dieses Verhältnis schon von 100:1 auf 8:1
verschlechtert. Bei der unkonventionellen Öl- und Gasförderung
(Teersande und Schiefergas) sackt es weiter ab und wird bei voller Berücksichtigung
aller Energieaufwendungen zur Beseitigung von Folge- und »Ewigkeitslasten«
bei entsprechend ausgedehntem Betrachtungszeitraum negativ. Die diversen
Lobbygruppen der Wind- bzw. Solar- oder Atomenergie rechnen sich die Verhältnisse
regelmäßig schön, und zwar dadurch, daß sie den
Aufwand nur innerhalb einer sehr engen Grenze um den eigentlichen Kernprozeß
der Energieumwandlung ansetzen. Der energetische Aufwand zur Gewinnung
von Windstrom z.B. startet aber nicht mit der Installation der Anlage,
sondern mit der Erschließung des Erzbergwerkes als Voraussetzung
der Stahlproduktion für die Turbinen, und er endet nicht mit der
Netzübergabe, sondern hat anteilig auch die bei Bau und Unterhalt
der Netze und der Speicherkapazitäten anfallenden Energiedienstleistungen
zu decken. Die Betreiber von Windkraftparks und Photovoltaikanlagen machen
es sich hinsichtlich der in ihre Anlagen eingeflossenen Energievorleistungen
so einfach wie der grüne Weltenbummler, der sich die Peinlichkeit,
auf seinem Flug in die USA ebensoviel Energie verbrannt zu haben wie ein
Sportwagen während eines ganzen Betriebsjahres, durch die Erwägung
mildert: »Den Flieger gab's doch schon, und geflogen wäre der
auch ohne mich.«
Die
Problematik des Nettoenergiefaktors ist der entscheidende Punkt: Der Aufwand für
die Gewinnung von Energiedienstleistungen und für den Unterhalt der entsprechenden
Infrastruktur wird in allen Szenarien zu Lasten des konsumtiv oder investiv verwendbaren
Anteils immer weiter steigen, bis es an einem logischen Endpunkt (der in Charles
Halls »Cheese-Slicer-Modell« spätestens 2050 eintritt) kein disponibles
Energieeinkommen mehr gibt, das für konsumtive oder investive Zwecke verfügbar
wäre.
Der 2. Teil der Wand: Die stets erneuerbaren Hoffnungen
Die konventionellen
fossilen Energiequellen sind im Niedergang, der bein Öl schnell, beim Erdgas
etwas langsamer spürbar werden wird. Und der fossile Energieträger mit
der größten Reichweite (bis 150 Jahre), die Kohle, ist durch das CO2-Dogma
aus dem Spiel gebracht. Die »erneuerbaren Energien« (Anführungstriche
von mir, denn »erneuerbare Energien« gibt es nicht [**]!
[HB]) - also Wasser, Wind, Solarthermie, Photovoltaik - leisten derzeit
einen Beitrag von 6 Prozent zum Primärenergieverbrauch und 16 Prozent zur
Stromerzeugung in Deutschland. Dieser Beitrag ist wirtschaftlich an hohe Subventionen
und Marktstützungen und energetisch und stofflich an massive Vorleistungen
aus »fossilen« Quellen gebunden (vorausgesetzt,
sie sind alle wirklich fossil - das wissen wir nicht
in jedem Fall-, daher die Anführingsstriche von mir [HB]). Sie sind
derzeit nur lebensfähig mit den »fossilen« Energieträgern
als großzügigem Sponsor.
Das gilt in ähnlicher Weise für die Kernkrafttechniken, die
ohne gesetzliche Haftungsfreistellungen schon allein an versicherungsmathematischen
Kalkülen scheitern würden. Im übrigen ist die Energiegewinnung
aus Kernspaltungsprozessen (oder gar Kernfusionsprozessen, bei denen kosmische
Temperaturen zu handhaben sind) ein Unternehmen, auf das sich nur Gesellschaften
einlassen, die ihre Kräfte wachsen, nicht aber solche, die sie schwinden
fühlen. Das wird schon in Kürze offenbar werden, wenn bei einem
großflächigen Netzausfall das immense Problem entsteht, die
Kühlung der Reaktoren im dann erzwungenen Inselbetrieb sicherzustellen.
Es
ist geradezu abenteuerlich, anzunehmen, daß die derzeit diskutierten Techniken
der »erneuerbaren Energien« (**)
den Verfall der »fossilen« Energiequellen ausgleichen, den nötigen
Umbau der in mehr als hundert Jahren gewachsenen Infrastruktur tragen und dabei
noch einen positiven Gesamt-EROI liefern könnten.Um die Größenordnungen
des Bedarfs noch einmal klarzumachen: Um den von der IEA prognostizierten Fördermengenrückgang
aus konventionellen Feldern (von jährlich 6,7 Prozent) auszugleichen, müßte
alle zwei Jahre die gesamte Leistung Saudi-Arabiens - des mit zwölf Millionen
Barrel Förderkapazität zweitgrößten Erdölproduzenten
der Welt - neu an den Markt kommen. Um den gleichzeitig erwarteten Nachfragezuwachs
nach Primärenergie von 2,5 Prozent p.a. (auf einen gegebenen Welttagesverbrauch
von 80 Millionen Barrel/Tag) zu befriedigen, müßte alle fünf Jahre
ein weiteres Saudi-Arabien entdeckt, erschlossen und produktiv gemacht werden.
Das wird selbstverständlich nicht passieren. Nirgendwo sind Projekte von
auch nur annähernder Größenordnung geplant, geschweige denn in
Arbeit.Zudem können die »erneuerbaren Energien« (Anführungstriche
von mir, denn »erneuerbare Energien« gibt es nicht [**]!
[HB]) derzeit nur einen Beitrag zur Stromversorgung leisten, nicht aber
die immensen stofflichen Leistungen des Erdöls in der chemischen Industrie
und für die Landwirtschaft substituieren, und die Frage, auf welchem (Um-)Weg
sie die Wärmekraftmaschinen des »fossilen« Zeitalters befeuern
sollen, ist gleichfalls ungeklärt. Es gibt keine Idee, wie mit Wind- und
Sonnenstrom Erzbergwerke, Stahlhütten und Großschmieden betrieben werden
sollen, die aber allesamt Voraussetzungen für die Produktion von Wind- und
Solarenergieanlagen sind. Um wenigstens die Stromversorgung sichern zu können,
brauchen die stark fluktuierenden Wind- und Photovoltaik-Kraftwerke unvorstellbare
Speicherkapazitäten, zu denen es bisher nur stark techno-delirische Entwürfe
gibt.Und: Wer, wie die Bundesregierung, bis zum Jahre 2050 die Hälfte
unseres Primärenergiebedarfs aus »erneuerbaren Energien« (**)
decken will, sollte sich zunächst mal die Frage stellen, ob die andere, die
»fossile« Hälfte dann überhaupt noch zur Verfügung
steht - falls nicht, kann er die zweite Hälfte nämlich auch vergessen.Die
Vorstellung jedenfalls, daß wir den derzeitigen »Wohlstand«,
die derzeitige Energieintensität des Lebens erhalten könnten, indem
wir die schmutzigen, aber energiedichten Energieträger Öl, Kohle und
Gas durch Sonne, Wind, Wasser und andere urlaubsbunte Garnituren substituieren,
ist nichts anderes als eine gutgelaunte Kritzelei auf einer hübschen Ansichtskarte
aus dem grünen Utopia.
Der 3. Teil der Wand: Landwirtschaft und Nahrung
Ein politisch
völlig ausgeblendetes Poblem ist das der Nahrungsmittelversorgung im Falle
einer Energieverknappung. Die Steigerung der Arbeits- und Flächenproduktivität
der europäischen Landwirtschaft seit 1950 ging nicht nur einher mit einem
völligen Verfall ihrer Energieproduktivität, sondern war geradezu bedingt
durch diesen. Jede Kalorie auf jedem Teller beinhaltet zehn bis 20 Kalorien an
»fossilen« Energien.Das heißt: Der Urproduzent Landwirtschaft
ist kein Energieproduzent mehr, sondern ein Energiekonsument. Die genauesten Daten
zur Energieintensität der heutigen Landwirtschaft stammen aus den USA von
den Forschergruppen um Charles Hall und David John Pimentel. Danach überschüttet
die US-Landwirtschaft auf dem Umweg über ihre Nahrungsmittelproduktion jeden
Bürger der USA mit 1500 Litern Öl jährlich (Düngemittel, Kraft-
und Treibstoffe). Das führte bei den US-Amerikanern zu der Erkenntnis: »We
are eating fuels«, was sie aber bei etwas feinerem Geschmacksempfinden auch
ohne aufwendige Input-Output-Analysen hätten feststellen können. Ein
Liter Öl hat einen Energiegehalt von 8800 kcal, 1500 Liter repräsentieren
demnach 13 200 000 kcal. Das heißt: Mit der täglichen Einverleibung
von 2000 bis 3000 kcal werden energetisch etwa 36000 kcal beansprucht, wobei der
Energieaufwand für die »Veredelungsleistungen« der Lebensmittelindustrie
und jene 30 bis 40 Prozent des Stromkonsums, die im Privathaushalt mittlerweile
fürs Tiefkühlen, Auftauen und Garen von Lebensmitteln verausgabt werden,
noch gar nicht eingerechnet sind.In Deutschland mögen die Daten
etwas weniger extrem sein; aber auch wir essen Öl. Und jede Ölknappheit
wird das System dieser völlig ölabhängigen Nahrungsmittelproduktion
sofort kollabieren lassen. Dies ist eine völlig neue Situation: Unter den
katastrophischsten Umständen - nach Kriegen und extremen Klimaereignissen
- hat die landwirtschaftliche Produktion, wenn auch mit Einschränkungen und
Notbehelfen, wieder anspringen können. Das kann sie diesmal, nach unserem
kurzzeitigen Ausflug ins Schlaraffenland, nicht mehr. Sie steht ebenso still wie
alles andere.
Die Klemme: Kein Ausweg
Das »Wachstum, das wir brauchen«,
brauchen wir, damit die Zinslasten aus der öffentlichen, gewerblichen und
privaten Verschuldung bedient werden können. Dieses Wachstum werden wir aber
durch den kommenden Energieengpaß in der physischen Wirtschaft nicht hindurchtreiben
können. Mit sich verengenden Wachstumsperspektiven verliert aber das »Zukünftige
Sozialprodukt« als der letzte Großbürge für all die Schuldenmassen
seine Bonität. Banken oder auch Staaten in den »verdienten« Bankrott
zu schicken, ist keine Lösung, denn deren Schulden sind auf irgendeinem anderen
Konto als Vermögen gebucht. Jede durch Insolvenz auf Null gestellte Verbindlichkeit
nimmt einen gleich großen Vermögenstitel mit in den Orkus - und keineswegs
nur die Bankguthaben der Geldeliten, sondern ebenso Spareinlagen, Lebensversicherungen
und Rentenansprüche. Selbst die wölfischen Hedgefonds sind ja auch im
Auftrag ganzer Dackelpopulationen unterwegs, die sich von deren Beutelust ein
Zubrot im Rentenalter versprechen. Aus dem Bankrott (von Banken oder Staaten)
wird also ab einem bestimmten kritischen Punkt ein mit Kettenreaktion und Dominoeffekt
um den Globus rasender Gesamtbankrott. Um das zu vermeiden, nimmt gerade der deutsche
Staat - ohnehin völlig ausgelaugt, seit er vom »Vater Staat«
zur Mutterkuh gegendert wurde - die Schulden der halben Welt auf seine gebeugten
Schultern. | .Quelle: Frederic Vester, Leitmotiv vernetztes Denken,
1988, S. 41.
|
Der Weg in eine »Steady-State«-Ökonomie, eine Nachwachstums-
oder eine Nachkohlenstoffgesellschaft ist zwar durch die kommende Energieverknappung
definitiv vorgezeichnet, aber es gibt keine Idee, wie er ohne ein Stück »Freien
Falls« aus der Schuldenfalle hinaus zu erreichen wäre. Das System ist
also, um das Mindeste zu sagen, hoch gestreßt und balanciert äußerst
mühsam und mit unsicheren Schritten auf dem Grat eines nach allen Seiten
steil abfallenden Gipfels. Es wird nach unten gehen - sei es im Stürzen,
im Rutschen oder doch, im besten Falle, mit einer heiklen, größte Umsicht
erfordernden Kletterpartie. ---Der Weltenlauf ist offenbar auch eine
regulative Veranstaltung zur Behebung von Störungen. Wo ein Zuviel sich aufbaut,
da kommt die Hemmung, und wo eine Ermüdung eingetreten ist, da wird befeuert.
Die Amplituden schießen manchmal ein sehr weites Stück nach außen.
(Und es ist hart, wenn der eigene Lebenskreis ausgerechnet auf diesem Kurvenstück
verläuft.) Doch irgendwann, weit früher, als man's merkt und hört,
öffnen sich die Ventile, damit die Rückstellkräfte wirksam werden.
Und dann - nach welchen Wirren auch immer - kann man wieder aus dem leben, was
immer gilt. Und dazu zählt, ganz einfach, daß Bäume niemals in
den Himmel wachsen.
(Ebd., in: Sezession;
Februar 2012, S. 6-11).
|