Gender
MainstreamingPolitische Geschlechtsumwandlung(von
Volker Zastrow, in: F.A.Z, Nr. 139, 19. Juni 2006, S. 8 )Die
Bundesregierung verfolgt derzeit mehrere Projekte von »Gleichstellung«
und »Gleichbehandlung«. Deshalb gibt es in der Union und den ihr nahestehenden
Wählerschichten erhebliche Bewegung. Unionspolitiker in Bund und Ländern,
auch zahlreiche Abgeordnete in der gemeinsamen Fraktion von CDU und CSU deuten
die hinter beiden Projekten spürbare Bewegungsrichtung als unerklärliche
und letztlich anonyme Strömung des Zeitgeistes. Viele wissen auch aus eigener
Erfahrung, was Umfragen immer neu belegen: daß die überwältigende
Mehrheit der Mütter in Deutschland gern halbtags, aber nur ungern ganztags
arbeiten würde. Und doch verabschieden die beiden stark geschrumpften Volksparteien
ein gerade auf das Gegenteil zielendes Gesetz. Abgeordnete mit einem herkömmlichen
Familienbild (Vater, Mutter und Kinder bilden die Familie) fragen sich fast verzweifelt,
woher das alles kommt und warum es, obwohl kaum jemand dafür zu sein scheint,
gleichsam unwiderstehlich über die Politik hereinbricht.Die vor
allem von der Familienministerin von der Leyen (CDU) durchgesetzte Gleichstellungspolitik
verfolgt mehrere Ziele. In den Vordergrund wird das von vielen jungen Eltern,
zumal Müttern, drängend empfundene Problem der »Vereinbarkeit
von Beruf und Familie« gestellt. Die geplanten Veränderungen gehören
aber haushalts- und gesetzestechnisch teilweise auch zum Ministerium für
Arbeit und Soziales, das vom vormaligen SPD-Vorsitzenden Müntefering geführt
wird. Denn der eigentliche, aber selten offen dargelegte Zweck dieser Politik
ist die Erhöhung der Frauenerwerbsquote. Die Gleichstellung von Mann und
Frau soll durch die Vollbeschäftigung beider verwirklicht werden.Auch
von der sogenannten Gleichbehandlungspolitik sollte man meinen, daß sie
ganz allgemein der Bürgerrechtspolitik zugehört. Doch die Antidiskriminierungs-Richtlinie
der Europäischen Kommission, welche das Gleichbehandlungsgesetz, um mehrere
Merkmale, vor allem das der »sexuellen Orientierung«, wesentlich erweitert,
nun in deutsches Recht überführen soll, stammt aus dem Brüsseler
Kommissariat für Beschäftigung und Soziales, dessen Zuständigkeiten
ungefähr mit denen des Müntefering-Ministeriums übereinstimmen.
Das Brüsseler Kommissariat verantwortet die Definition der Gleichstellung
als Vollbeschäftigung, die ideologischen Grundlagen dieser Definition und
das Verfahren zur Einspeisung und Durchsetzung dieser Politik in ganz Europa.
Der Erfolg wird durch die »neue gestraffte offene Koordinierungsmethode«
der EU-Politik gemessen und überwacht, die, dem betriebswirtschaftlichen
Controlling nachgebildet, tief in die Politik der Mitgliedstaaten hineinreicht.Den
Namen des erwähnten Verfahrens kennt kaum eine Frau in Deutschland, obwohl
es angeblich ihren ureigensten Interessen dient: »Gender Mainstreaming«.
Es ist schwer, diesen Begriff ins Deutsche zu übersetzen. Man findet in den
zahlreichen Publikationen darüber keinen Versuch einer solchen Übersetzung,
auch nicht auf der Homepage des Bundesfamilienministeriums. Es unterhält
seit Oktober 2003 unter dem Dach des Zentrums für transdisziplinäre
Geschlechterstudien an der Berliner Humboldt-Universität ein sogenanntes
»Gender-Kompetenz-Zentrum«. Auch dieses bietet keine Übersetzung
für »Gender Mainstreaming«. Die Unverständlichkeit ist also
gewollt. »Politische Geschlechtsumwandlung« wäre die treffendste
Übersetzung. Aber das ist keine mehrheitsfähige Forderung.Radikalität
und ZärtlichkeitDer Begriff »Gender« stammt
aus der Sexualpsychologie. Er entsprang dem Bemühen, sprachlich mit der Transsexualität
umzugehen: mit der leidvollen Selbstwahrnehmung mancher Menschen, dem anderen
Geschlecht anzugehören, in einem falschen Körper zu stecken. Daraus
entwickelte sich die Vorstellung eines vom biologischen Geschlecht (im Englischen:
sex) abgelösten emotionalen oder metaphysischen Geschlechts (gender). Diese
Grundidee wurde von der Homosexuellenbewegung übernommen. Gender wurde zur
Sammelbezeichnung für das »soziale Geschlecht« weiterentwickelt,
das den Menschen ihre »Zwangsheterosexualität« zuweise. Geschlecht
ist demnach sowohl eine ideologische Hypothese als auch eine gesellschaftspolitische
Konstruktion. Die Theorie wurde hauptsächlich von Feministinnen erarbeitet
und erweitert.Der Zusammenhang von Feminismus und Lesbenbewegung wird
öffentlich verbrämt, dabei ist er nachgerade zwingend. Denn während
homosexuelle Männer auch ohne Frau und Kinder in der sogenannten »patriarchalischen«
Gesellschaft erfolgreich sein konnten, bot sich diese Möglichkeit homosexuellen
Frauen kaum. Ihnen drohte die Abwertung als »alte Jungfer«; berufliche
Bildung, Aufstieg und Anerkennung waren für sie erheblich schwerer zu verwirklichen
als für den alleinstehenden Mann. Der Zusammenhang zwischen Frauen- und Lesbenbewegung,
der in der Politik der großen Koalition als Gleichstellungs- und Gleichbehandlungspolitik
aufscheint, ist also durchweg biographischer Natur.Er kann aber nicht
offenbart werden, da die Interessen von Lesben gerade in der bedeutsamen Frage
von Ehe und Familie mit denen anderer Frauen keineswegs übereinstimmen. Schon
in den siebziger Jahren zeigte sich, daß ein offen lesbischer Feminismus
in der damaligen Frauenbewegung keine Durchschlagskraft gewinnen konnte, etwa
am Beispiel der Zeitschrift »Courage«. Dagegen hat die zurückhaltendere
»Emma« bis heute überlebt. Niemand kann ihrer Herausgeberin Alice
Schwarzer absprechen, eine begnadete Interessenpolitikerin zu sein - wahrscheinlich
die in Deutschland erfolgreichste.Sie und ihre Zeitschrift verschleiern
den hier geschilderten Zusammenhang, und zwar im Laufe der Zeit eher zu- als abnehmend.
In Wendungen wie »Radikalität und Zärtlichkeit« läßt
er sich allenfalls erahnen. Gelegentlich hat aber auch Alice Schwarzer daran erinnert,
daß die Initialzündung zur Gründung der »Emma« der
Itzehoer Strafprozeß (1973/74) gegen das lesbische Paar Judy Anderson und
Marion Ihns gewesen ist, die den Ehemann Ihns' hatten ermorden lassen: Dies sei
ein wahrer Hexenprozeß gewesen, »der in dieser Phase der neuen
Zärtlichkeit abrechnete mit der Frauenliebe«. So hieß es
damals auch schon auf den Flugblättern protestierender Frauengruppen und
in einem von Alice Schwarzer 1974 für »konkret« verfaßten
Aufsatz.»Neue Zärtlichkeit« war Alice Schwarzers damaliger
Schlüsselbegriff für weibliche Homosexualität. Sie kämpfte
erklärtermaßen gegen ein »Männermonopol auf Frauenliebe
und -sexualität« und teilte offenbar die damals in den einschlägigen
Kreisen verbreitete Auffassung, daß »praktisch jede Frau«, wie
etwa Barbara Schleich im »Vorwärts« schrieb, »von Natur
aus bisexuell ist und daß allein der Rollendrill mit der damit verbundenen
Fixierung auf den Mann bei den meisten Frauen homoerotische Neigungen verschüttet«.
Wenn also Alice Schwarzer seinerzeit von »Erpressung und Drill auf den Mann«
schrieb, wußten Lesben, was gemeint war - aber man konnte es, wie ihren
misandrischen Bestseller »Der kleine Unterschied«, natürlich
auch anders deuten, in einem allgemeineren Sinne feministisch. In dieser Zeit
bezeichnete Alice Schwarzer Hausfrauen und Mütter noch als »Sklavinnen«.
In ihrem jüngsten Interview nennt sie Hausfrauen Gefangene eines »feudalistischen
Systems«. Der von der Kenntnis mittelalterlicher Verhältnisse ungetrübte
Gebrauch des Wortes »Feudalismus« verweist auf eine weitere der Wurzeln
des heutigen Feminismus, nämlich in der radikalen Linken. Erst wenn man all
das bedenkt, kann man Alice Schwarzers Begeisterung darüber ganz auskosten,
daß jetzt »die konservative Familienministerin die rot-grüne
Familienpolitik nicht nur fortsetzt, sondern weitertreibt«.Auf
der Internetseite des Familienministeriums wird das zuvor noch zurückhaltend
dargebotene Gender Mainstreaming inzwischen prominenter präsentiert. Bei
flüchtiger Lektüre gewinnt man den Eindruck, es gehe darum, Frauen wie
Männern gleichermaßen zur Durchsetzung ihrer Wünsche zu verhelfen;
bunte Bildchen wie aus Immobilienprospekten zeigen junge Fotomodelle mit glücklichen
Zähnen. Forscht man ein wenig weiter, wird man damit vertraut gemacht, daß
der Begriff »Gender« sowohl »gesellschaftlich als auch sozial
und kulturell geprägte Geschlechtsrollen« bezeichne, die als »veränderbar«
charakterisiert werden.Daß sie verändert werden sollen, schwingt
mit, wird aber zunächst nicht gesagt. Der Sinn bleibt dunkel, denn die Reihung
der Adjektive ist abstrus: »gesellschaftlich« und »sozial«
bedeuten dasselbe, während »kulturell« und »sozial«
nicht gegeneinander abgegrenzt werden können. In einschlägigen Gender-Texten
wird hier das Adjektiv »traditionell« benutzt: gemeint sind also offenbar
herkömmliche oder überkommene Vorstellungen vom Geschlecht.Sodann
erfährt man, daß vom Familienministerium aus das »Gender Mainstreaming«
als sogenannte »geschlechtersensible Sichtweise« ressortübergreifend
in die Arbeit der Bundesregierung »implementiert«, eingespeist, worden
ist. Dabei ist das schon erwähnte »Gender-Komepetenz-Zentrum«
behilflich. Doch auch dessen öffentliche Selbstdarstellung macht es nicht
einfach, einen Begriff davon zu bekommen, was »Gender Mainstreaming«
eigentlich bedeuten soll, wie man es übersetzen könnte, wer diesen Begriff
oder seine Theorie eigentlich erdacht hat. Erst wenn man tiefer hinabtaucht, stößt
man auf Material zur feministischen Theorie und »aktuelle Erkenntnisse der
Geschlechterforschung zum Beispiel zu Männlichkeit, Weiblichkeit und Intersexualität«.Die
bedeutendsten intellektuellen Leitfiguren dieser Forschung sind der 1984 an Aids-Folgen
verstorbene französische Philosoph Michel Foucault (1926-1984) sowie die
in Berkeley lehrende US-Amerikanerin Judith Butler (*1959). Foucaults Aneignung
durch den Feminismus ist verschiedentlich bemerkt worden, in erster Linie handelt
es sich dabei aber um die Übernahme der Körper- und Identitätstheorien
eines homosexuellen Mannes durch homosexuelle Frauen. Judith Butler ist auch dabei
maßgeblich, spätestens seit Beginn der neunziger Jahre hat sie sich
als eine Meisterdenkerin des Gender-Begriffs und seiner Fortentwicklung in der
»Queer-Theorie« etabliert. Diese wird treffend als »inclusive
umbrella label for all gendernauts and sexual outlaws, a cover-all term for lesbians,
bisexuals, gays and transgendered people« beschrieben: als ein gemeinsamer
Schirm für alle »Gendernauten« und sexuell Gesetzlosen, ein Dach
für Lesben, Bisexuelle, Schwule und »Hinübergeschlechtliche«,
wie »transgendered people« in der Szene scherzhaft übersetzt
wird - die Ausdrücke »Transvestit« und »Transsexueller«
sind dort verpönt.Und damit endlich ist man beim theoretischen Kern
des »Gender«-Begriffs. Er meint nämlich keineswegs die Existenz
sozialer Geschlechterrollen und deren Merkmale: also eine Banalität, an die
feministische Klassikerinnen wie Betty Friedan noch anknüpften. Vielmehr
behauptet »Gender« in letzter Konsequenz, daß es biologisches
Geschlecht nicht gebe. Die Einteilung der Neugeborenen in Jungen und Mädchen
sei Willkür, ebensowohl könnte man sie auch nach ganz anderen Gesichtspunkten
unterscheiden, etwa in Große und Kleine. Daher liege bereits in der Annahme
der Existenz von Geschlecht eine letztlich gewalthafte Zuweisung von Identität:
die »heterosexuelle Matrix«.Diese eher philosophische Hypothese
widerstreitet der ursprünglichsten Wahrnehmung und Empfindung der meisten
Menschen, den Religionen und naturwissenschaftlicher Forschung. Schon ihre sprachliche
Anwendung führt zu bizarren, in sich widersprüchlichen Ergebnissen.
Wenn bei Luther »ein Weib empfängt und gebiert ein Knäblein«,
so macht daraus Dorothea Erbele-Küster, die nach Gender-Maßgaben die
Bibel in »gerechte Sprache« übersetzt, eine Frau, die »Samen
hervorbringt und einen männlichen Nachkommen gebiert«.Zielstrebigkeit
und IgnoranzDerlei Elaborate und Ideen können dazu verleiten,
die dahinterstehenden Personen mit ihren Bedürfnissen und Absichten nicht
ernst zu nehmen. So wirken Verachtung und Verbrämung zusammen. Deshalb verschwinden
die Ziele und Methoden des Gender Mainstreaming im ebenfalls mißachteten
»Gedöns« (Gerhard Schröder) der Frauen- und Familienpolitik
hinter einer doppelten Nebelwand. Zielstrebigkeit auf der einen, Ignoranz auf
der anderen Seite konstituieren eine »hidden agenda«. Aber was sind
Ziele und Methoden? Das Ziel greift hoch hinaus: Es will nicht weniger als den
neuen Menschen schaffen, und zwar durch die Zerstörung der »traditionellen
Geschlechtsrollen«. Schon aus diesem Grunde muß das als Zwangsbegriff
verneinte »Geschlecht« durch »Gender« ersetzt werden.
Und möglichst schon in der Krippenerziehung soll mit der geistigen Geschlechtsumwandlung
begonnen werden.Der neue Mensch ist historisch schon mehrfach als Ziel
ausgegeben worden; auch die damit zusammenhängende Methode ist aus der Geschichte
bekannt: das sogenannte Kaderprinzip, das zunächst für die Führung
der Napoleonischen Wehrpflichtigenarmee ersonnen und von den russischen Bolschewiki
nach dem Sturz des Zaren zum sozialrevolutionären Herrschafts- und Steuerungsinstrument
weiterentwickelt wurde. Kaderpolitik will von oben nach unten auf allen staatlichen
und gesellschaftlichen Ebenen alle Entscheidungen ihren Maximen unterwerfen. Die
Institutionen werden von linientreuen Kadern durchdrungen, die überall ein
Prinzip der »Parteilichkeit« zur Anwendung bringen. Im Feminismus
wird das beispielsweise »parteiliche Mädchenarbeit« genannt.
Gender Mainstreaming wird von der Spitze beliebiger Organisationen her als sogenanntes
»Top-down«-Prinzip durchgesetzt. Es soll auf allen Ebenen bei allen
Entscheidungen verwirklicht werden. Agenturen des Gender Mainstreaming schulen
etwa Beamte in der Anwendung der Gender-Perspektive. »Damit gibt es«,
wie Dr. Barbara Stiegler von der Friedrich-Ebert-Stiftung erläutert, »keine
Person in einer Organisation, die sich diesem Prinzip nicht verpflichtet fühlen
muß.«Eine solche Organisation ist zum Beispiel die Bundesregierung.
Sie hat sich unter Bundeskanzler Schröder auf das Gender Mainstreaming verpflichtet.
Im Jahr 2000, mitten in ihrer ersten Wahlperiode, ersetzte die rot-grüne
Regierung die »Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien«
durch eine vollständig neue. In deren erstem Kapitel »Allgemeines«
stehen nur zwei Paragraphen. Der erste bestimmt den Geltungsbereich, der zweite
die »Gleichstellung von Frauen und Männern« als »durchgängiges
Leitprinzip« nach der Methode des »Gender Mainstreaming«.Weder
in der umfangreichen Veröffentlichung des Kabinettsbeschlusses über
die »Leitbilder« der Bundesregierung zur Modernisierung von Staat
und Verwaltung vom 1. Dezember 1999 noch in der Ankündigung der neuen Geschäftsordnung
(federführend: Brigitte Zypries, damals Staatssekretärin im Innenministerium)
war davon die Rede gewesen. Erst mit dem endgültigen Kabinettsbeschluß
am 26. Juli 2000 bekundete die damalige Frauenministerin Christine Bergmann (SPD)
öffentlich: »Ich freue mich, daß in der neuen Geschäftsordnung
das Gender-Mainstreaming-Prinzip verankert wurde.« Vom Familienministerium
war die Initiative ausgegangen. Der Aufsatz, den Brigitte Zypries der neuen Geschäftsordnung
in der »Zeitschrift für Gesetzgebung« widmete, weist dem Gender
Mainstreaming nur nachrangige Bedeutung zu.Im Koalitionsvertrag war es
noch nicht einmal enthalten. Und in die Wahlprogramme von SPD und Grünen
wurde es erst 2002, also nach seiner Einführung, aufgenommen. Eine durchgreifende
politische Maxime, die dem bereits vorhandenen Gleichstellungsartikel 3 des Grundgesetzes
eine andere Bedeutung unterschiebt, wurde ohne jede öffentliche Debatte eingeführt.
Da es sich um die Geschäftsordnung der Regierung handelt, gab es auch keinen
Parlamentsbeschluß. Erst seither taucht die Verpflichtung der Politik auf
das Gender Mainstreaming in Parteiprogrammen - noch nicht in denen der Union -
und Koalitionsverträgen auf: auch in dem der großen Koalition, also
mit Zustimmung der Union, die mit dem Familienministerium seither zugleich die
Schaltzentrale des Gender Mainstreaming übernommen hat.Der Begriff
wird also zunehmend öffentlich gemacht, meist aber als schlichte Gleichstellungspolitik
verkauft - wenn nicht gar als Erweiterung der Gleichstellung zugunsten von Männern,
beispielsweise im Strahlenschutz. In Wahrheit ist das Konzept eine Antwort des
Feminismus der frühen neunziger Jahre auf die dort als weithin gescheitert
wahrgenommene Gleichstellungspolitik durch Frauenbeauftragte, Quoten und sogenannte
frauen- oder mädchenspezifische Maßnahmen wie etwa den von Alice Schwarzer
und der »Emma« propagierten »Girl's-Day«. Gender Mainstreaming
soll aber diese Formen parteilicher Frauenpolitik nicht etwa abschaffen, sondern
in eine »Doppelstrategie« einschmelzen.Eingang in die Politik
fand das Gender Mainstreaming in Deutschland zunächst in den Gewerkschaften,
die auch weiterhin bei seiner Implementation wie auch anderer feministischer Inhalte
eine wichtige Rolle spielen. In der internationalen Politik gelang es als erstes,
das Gender Mainstreaming mit Hilfe der Vereinten Nationen in der Entwicklungszusammenarbeit
durchzusetzen - also wiederum in einem als randständig wahrgenommenen Bereich
-, sodann, seit 1993, als Auflage bei der Vergabe von Mitteln des EU-Strukturfonds.
Den wenn auch öffentlich nahezu unbeachteten Durchbruch erreichte das Gender
Mainstreaming bei der von den Vereinten Nationen ausgerichteten Weltfrauenkonferenz
in Peking 1995. Sie wurde von sogenannten NGOs, Nichtregierungsorganisationen,
gestaltet. Der Begriff ist unsinnig, weil einerseits eigentlich nichtstaatliche
Organisationen gemeint sind und weil solche Interessengruppen andererseits in
vielen westlichen Ländern von der öffentlichen Hand finanziert werden.
Auch die deutschen Frauenlobbys konnten für die Vorbereitung und Durchführung
der Pekinger Konferenz auf beträchtliche Unterstützung des Familienministeriums
zurückgreifen, das damals von der 29 Jahre alten thüringischen CDU-Politikerin
Claudia Nolte geführt wurde. Sie hatte 1994 Angela Merkel als Ministerin
abgelöst.Die Pekinger Weltfrauenkonferenz verabschiedete neben ihrem
umfangreichen Bericht auch eine sogenannte »Aktionsplattform«, in
der das Gender Mainstreaming enthalten war («an active and visible policy
of mainstreaming a gender perspective in all policies and programmes«).
Fast wäre das Projekt gescheitert, weil noch der Entwurf auch den Schutz
der »sexuellen Orientierung« verlangte, also der (weiblichen) Homosexualität
- hierfür war die Zustimmung des Vatikans und der meisten muslimischen sowie
der südamerikanischen Länder nicht zu erlangen. Daß schließlich
die Annahme des Berichts in der Vollversammlung der Vereinten Nationen am 8. Dezember
1995 (Resolution 50/42) zustande kam, wurde auch mit dem Argument begründet,
daß die sogenannte Aktionsplattform nur Empfehlungscharakter und keine völkerrechtlich
bindende Wirkung entfalte - also mit ihrer Unverbindlichkeit.Doch mit
dem entgegengesetzten Argument, der Verbindlichkeit der Zustimmung zu dieser Resolution,
wurde das Gender Mainstreaming umgehend in die Politik der Europäischen Union
eingeführt. Bereits am 22. Dezember 1995 beschloß der EU-Ministerrat
das »Mainstreaming« in einem Aktionsprogamm, eine »Kommissarsgruppe
zur Chancengleichheit« wurde eingerichtet. Im darauffolgenden Februar erging
eine Mitteilung der EU-Kommission über das »Mainstreaming« unter
der »gender perspective«. Im Amsterdamer Vertrag, praktisch einer
Neugründung der Union, wurde das Prinzip in Artikel 3 Absatz 2 niedergelegt
(«bei allen ihren Tätigkeiten«), zugleich wurde die EU in Artikel
12 ermächtigt, Diskriminierungen aufgrund der »sexuellen Orientierung«
zu bekämpfen. Auch hier gingen also Gleichstellungs- und Gleichbehandlungspolitik
wieder Hand in Hand.Vorangetrieben wurde diese Politik nicht zuletzt
von der heute 52 Jahre alten sozialdemokratischen Europa-Abgeordneten »Lissy«
Gröner aus Langenfeld in Bayern. Frau Gröner ist seit 1989 im Europaparlament.
Sie nahm als seine Berichterstatterin an der Weltfrauenkonferenz in Peking teil.
Sie ist Mitglied des Gleichstellungsausschusses und - in diesem Zusammenhang kaum
weniger bedeutsam - stellvertretendes Mitglied des Haushaltsausschusses, sodann
der interfraktionellen Gruppen für »Gay and Lesbian Rights« und
»Reproduktive Gesundheit« sowie der Deutsch-Griechischen Gesellschaft.
Frau Gröner koordiniert die Frauenpolitik der sozialdemokratischen Fraktion
im Europaparlament, sie ist Ko-Berichterstatterin für das im Aufbau befindliche
europäische »Genderinstitut«. Sie hat zwei erwachsene Kinder
und ist geschieden. Sie lebt, wie es auf ihrer Homepage heißt, »in
Lebensgemeinschaft«, ihr Wikipedia-Eintrag gibt an, daß sie seit 2005
mit einer Frau verheiratet sei.In der Europäischen Kommission sind
Gleichberechtigung und Gleichstellung seit 1999 beim Kommissar für Beschäftigung
und Soziales angesiedelt. Das geht mit der sogenannten Lissabon-Strategie einher,
die einen Kompromiß zwischen wirtschafts- und sozialpolitischen Interessen
darstellt. Sie definiert Beschäftigungspolitik zugleich als Sozialpolitik,
die Gewerkschaften sicherten sich Mitwirkungsrechte. Unter diesen Hut kam dann
auch die Gleichstellungs- und mit ihr die Gleichbehandlungspolitik. Schon der
am 19. Juli 1995 neu gefaßte Ausschuß für Chancengleichheit sicherte
die Mitwirkung von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden, außerdem
gehörten ihm »zwei Vertreter(innen)« der Europäischen Frauenlobby
als »Beobachter« an. Deren Geschäftsführende Generalsekretärin,
praktisch Vorsitzende, war seit 1992 die Deutsche Dr. Barbara Helfferich, und
sie war es auch, die diese »Beobachter«-Tätigkeit über die
Jahre hin mit wechselnder Begleitung wahrnahm.Quellen der MenschlichkeitAls
die Griechin Anna Diamantopoulou 1999 Kommissarin für Beschäftigung
und Soziales wurde, erhielt Frau Helfferich in ihrem Kabinett die Zuständigkeit
für Gleichstellung und »Anti-Diskriminierung«. Das öffentliche
Bild von Frau Diamantopoulou ist vor allem durch ihren entschiedenen Einsatz für
feministische Belange und für die Antidiskriminierungs-Richtlinien der EU
sowie deren Durchsetzung in den Mitgliedstaaten geprägt worden. Sonst werden
EU-Kommissare selten bekannt. Barbara Helfferich nennt ihre frühere Kommissarin
anerkennend ein »politisches Tier«; obwohl von Haus aus Wirtschaftspolitikerin,
trat Anna Diamantopoulou in Beschäftigungsfragen, dem Kernbereich ihres Kommissariats,
jedoch nicht hervor. Der Einfluß Frau Helfferichs auf die Politik dieser
inzwischen ausgeschiedenen Kommissarin ist beträchtlich gewesen. Das gute
Einvernehmen läßt sich auch daran ablesen, daß Barbara Helfferich
danach als Sprecherin beim Umweltkommissar Stavros Dimos in einer sonst fast nur
mit Griechen besetzten Behördenleitung untergekommen ist.Bis dahin,
in den letzten anderthalb Jahrzehnten, war Barbara Helfferich eine der wichtigsten
»Netzwerkerinnen« des deutschen Feminismus. Sie hat Politik im Blut:
Karl Helfferich und Walther Schücking gehören zu ihren Vorfahren. 1956
wurde sie in der münsterländischen Hansestadt Warendorf geboren, wo
ihre Mutter später das erste Frauenhaus gründete. Sie hat sich schon
früh dem Feminismus zugewandt; in ihrer Generation, so sagt sie, gehe das
gar nicht anders: »Ich bin und bleibe Feministin.« Dabei beruft sie
sich auf Betty Friedan; die lesbischen Feministinnen sieht sie seit den Auseinandersetzungen
der Siebziger marginalisiert. Die sexuelle Orientierung Alice Schwarzers hält
sie einerseits für allgemein bekannt und andererseits für unmaßgeblich.
Parteipolitisch steht sie den Grünen nahe. Sie ist geschieden und bedauert,
kinderlos zu sein. Zu Beginn ihres Berufslebens wollte sie Kriegsberichterstatterin
werden.Ihre Bedeutung für den Feminismus läßt sich indirekt
auch daran ablesen, daß die Europäische Frauenlobby seit 2004 kräftig
von der EU alimentiert wird. Als Frau Helfferich 1992 als Lobbyistin in Brüssel
begann, gab es außer ihrer Stelle noch eine halbe weitere. Im April 2004
hat das Europäische Parlament der Europäischen Frauenlobby durch einen
Basisrechtsakt einen »Betriebskostenzuschuß« gewährt, für
den diese Organisation, da sie allein in dem Programm namentlich erwähnt
wird, keinerlei weitere Anstrengungen mehr zu unternehmen braucht. Zuvor mußte
sie Jahr für Jahr um ihr anfangs etwa 300000 Mark umfassendes Budget kämpfen.
Von den insgesamt 3,3 Millionen Euro des aktuellen Aktionsprogramms für Gleichstellungsorganisationen
kassiert die Lobby die Hälfte. Sie hat mithin wie eine Behörde quasi
einen Haushaltstitel erworben. Der Hinweis auf Lissy Gröner erübrigt
sich wohl.Am »Gender Budgeting« liest die Bewegung inzwischen
ihren Erfolg ab. Aber maßgebliches gesellschaftliches Ziel bleibt nach wie
vor die von Alice Schwarzer angestrebte Abschaffung der Hausfrau, genauer: der
Hausfrau und Mutter, deren Doppelaufgabe mit einer zusätzlichen Vollzeitberufstätigkeit
kaum zu vereinbaren ist. Dieses mit der traditionellen Familie untrennbar verknüpfte
Rollenbild ist ein urgewaltiger Topos in Kunst, Literatur und Religion, der im
Innersten der meisten Menschen beim Gedanken an die eigene Mutter widerhallt.
Daß auch eine andere Sicht möglich ist, zeigt etwa die Persiflage der
Hausfrau und Mutter durch den 1991 infolge seiner Aids-Infektion verstorbenen
Sänger der Rockgruppe »Queen«, Freddie Mercury, in dem Lied »I
Want To Break Free« in Dralonkittelschürze und Lockenwicklern am Staubsauger.
Die Europäische Union bringt dieselbe Idee in der Lissabon-Strategie auf
eine andere Formel: danach bleiben die »human resources« (im Deutschen
gern mit »Humankapital« übersetzt, wörtlich »die menschlichen
Quellen«) von Frauen, die nicht lohnabhängig vollbeschäftigt sind,
schlicht und einfach ungenutzt.« (Volker Zastrow, in: F.A.Z, Nr. 139,
19. Juni 2006, S. 8 ).Verweise:
        
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