Unser inneres Reich (Pierre
Krebs)
(Ebd., 1988, S. ).
(Ebd., 1988, S. ). (Ebd., 1988, S. ).
(Ebd., 1988, S. ). (Ebd., 1988, S. ).
(Ebd., 1988, S. ). (Ebd., 1988, S. ).
(Ebd., 1988, S. ).
Die Religion der Menschenrechte (Alain de Benoist)
Einleitung
Um die abstrakten
Rechte eines Menschen an sich wissen wir aber nichts - und können auch nichts
wissen. Der »universale« Mensch existiert nicht. (Ebd., 1988,
S. 44).Was allerdings existiert, ist eine zoologische Einheit des
Menschengeschlechts; im strengen Sinne macht die Art Mensch die »Menschheit«aus.
Ein solcher Begriff hat aber eine rein biologische Bedeutung. Nun glauben wir
nicht, daß der Mensch sein Wesen aufgrund seiner biologischen Merkmale bestimmen
kann. Wir sind vielmehr der Ansicht, daß das Spezifische am Menschen, d.
h. was den Menschen-als-Menschen gründet und ausmacht, aus der Kultur und
der Geschichte hervorgeht. (Ebd., 1988, S. 44-45).Auf kultureller
Ebene gibt es aber kein Muster für die gesamte Menschheit. Historisch gesehen
entfalten sich die Kulturen immer in der Mehrzahl. In einem kulturellen rein menschlichen
Sinne von »Menschheit« zu sprechen heißt nichts anderes, als
die Kultur zur Natur zurückzuführen, als die Geschichte auf die Biologie
zu reduzieren. Es ist durchaus bemerkenswert, daß die Anhänger der
Ideologie der Menschenrechte gerade in diesen »biologischen Reduktionismus«
verfallen, indem sie ein moralisches Gebot aus einem Umstand folgern, der nur
mit Zoologie zu tun hat. (Ebd., 1988, S. 45).Es gibt ebensowenig
»ewige Ideen« wie das »Gute« oder das »Wahre«
an sich. (Ebd., 1988, S. 46).Wir ... möchten ... daran
erinnern, daß der Mensch ... keine andere Natur hat als die Kultur, kraft
deren er sich selbst aufbaut. Wird der Mensch allein, in abstracto, außerhalb
jeglicher Gelegenheit, sich in Form zu setzen, aufgefaßt, so ist er weder
gut noch böse. Nur der durch die historischen Institutionen und Verwirklichungen
in Form gesetzte Mensch existiert als Mensch. (Ebd., 1988, S. 47).Wie
Max Weber es nachwies, ist das »Naturrecht« grundsätzlich revolutionär,
denn die gesellschaftliche Ordnung wird immer in seinem Namen in Frage gestellt,
und zwar dadurch, daß eine vermeintliche Legitimität einer feststehenden
Legalität entgegengehalten wird. (Vgl. Max Weber, Rechtssoziologie,
S. 266). (Ebd., 1988, S. 48).Die Ideologie der Menschenrechte
ist nicht nur unfähig, die individuellen Freiheiten bei den anderen zum Erstarken
zu bringen; sie trägt auch dazu bei, daß die zivilen Freiheiten bei
uns verkümmern. Indem sie die Rechte des abstrakten Einzelnen über die
konkreten Zugehörigkeiten stellt, neigt die Ideologie der Menschenrechte
ebenso wie der Liberalismus dazu, im Namen einer fortwährenden Gegenwart
die Vergangenheit wegzuradieren und die Zukunft zurückzusetzen. (Ebd.,
1988, S. 48-49).Als profane Übertragung der mosaischen Gesetze
und der noachidischen Gebote kann die Ideologie der Menschenrechte eigentlich
nur eine Reduzierung oder eine Homogenisierung bewirken (und wahrscheinlich auch
bezwecken). »Jene vereinheitlichende Funktion des Dekalogs gegenüber
dem Volk Moses«, schreibt Ghislaine R. Cassin ferner, »soll die Allgemeine
Erklärung diesmal gegenüber der gesamten Menschheit ausüben.«
(Ghislaine R. Cassin, in: LAction gaulliste, 30.04.1980). Zu diesem Zweck
gilt es, auf die Rechte des Menschen an sich hinzuweisen, und zwar gegen die konkreten
Rechte der konkreten Menschen innerhalb ihrer konkreten Gemeinschaften. Der Mensch,
den die Ideologie der Menschenrechte beschützt, ist ein nicht-bodenständiger.
Er hat kein Erbe und keine Zugehörigkeit - oder er will beide zerstören.
Dieser Mensch möchte gern, daß die anderen ebenfalls ungebunden werden.
Er würde gern zusehen, wie sie ihr eigenes Erbe abtreten und zu Nachtwandlern
werden. Dieses Schreckgespenst berührt uns aber nicht. (Ebd., 1988,
S. 49).
Von der Freiheit zur Schreckensherrschaft
Es
besteht ... ein großer Unterschied »zwischen den tatsächlichen
Freiheiten, die als Privilegien erfochten wurden, und der prinzipiellen, als Recht
geforderten Freiheit.« Auch Edmund Burke hält der Ideologie der Menschenrechte
ihr potentiell antidemokratisches Wesen vor und äußert die Überzeugung,
daß sie die Freiheiten des Volkes gefährdet zugunsten der als »metaphysischer
Entität« aufgefaßten Freiheit, die auf einer falschen Auffassung
von »Natur« und »Vernunft« beruht und den Arm des erstbesten
Tyrannen stärken kann. »Hat man ein Recht auf alles«, schreibt
er, »so vergißt man alles.« Er fügt hinzu: »Der Zwang
gehört ebensowie die Freiheit zum Recht der Menschen .... Alle vermeintlichen
Rechte jener Theoretiker sind extrem; und so wahr sie metaphysisch auch sein mögen,
so falsch sind sie moralisch und politisch.« (Ebd., 1988, S. 50).Damit
stellen wir erneut fest, wie die widersprüchlichsten Absolutheiten zueinander
stoßen können. Indem die Ideologie der Menschenrechte Recht und Freiheit
auf Universalien, auf eine »abstrakte Vollkommenheit« gründet,
untergräbt sie die Freiheiten und die konkreten Rechte der Individuen und
Gemeinschaften. Indem sie verschiedene Quellen des Rechts homogenisiert, d.h.
vermischt, schafft sie die (für moderne Gewaltherrschaften günstigen)
Voraussetzungen zu einer ständigen Aufhebung der besonderen, differenzierten
Rechte im Namen eines »Universal- und Naturrechts«. (Ebd., 1988,
S. 50).Was bedeutet Freiheit für die Anhänger der Menschenrechte?
Blandine Barret-Kriegel antwortet: Es ist »die Zerstörung aller Disziplin.«
Deutlicher geht es nicht. In diesem Sinne wird die Freiheit als ein Naturzustand
des Menschen wahrgenommen, der u.a. der Gesellschaft, der Regierungsherrschaft,
der sozialen Ordnung entfremdet ist. Es ist eine »unbegrenzte Freiheit«,
die dem eigentlichen Wesen des Menschen bei Rousseau entspricht; eine Freiheit,
die den Menschen aufgrund ihres individuellen, als souverän aufgefaßten
Willens rechtmäßig innewohnt (souverän, sofern er mit einer absoluten
Souveränität verwandt ist, die vor der Gesellschaft bestanden hat.)
Diese Freiheit muß von der Regierungsmacht als eine axiomatische (unanzweifelbare)
Freiheit, als eine Berechtigung anerkannt werden. Da sie einer »Befreiung«
gleichkommt, führt sie zur Verwerfung der Zugehörigkeit und der Disziplin.
Sie arbeitet der Notwendigkeit entgegen; sie bedeutet Erlösung von der Notwendigkeit.
»Frei« ist das Individuum, dem das Recht zuerkannt wurde, sich von
jedem Zwang zu befreien - das Individuum, dessen individuelles, angeborenes Recht
über das aus einer geschichtlichen Tat hervorgehende kollektive Recht gestellt
wurde. Die Auffassung der Freiheit, der wir uns anschließen, ist eine ganz
andere. In dieser Auffassung »gibt es keine allgemeine abstrakte Freiheit,
sondern Freiheiten, die dem eigentlichen Wesen des Menschen gemäß zum
Ausdruck kommen.« (Julius Evola). Ein freier Wille existiert nämlich
nicht im Abstrakten; es gibt nur Willen, die von Kräften getrieben und mit
Projekten verknüpft werden. Der Freiheitsbegriff ist kein philosophischer
oder moralischer, sondern ein praktischer und politischer. Die Freiheit ist dem
Menschen nicht präexistent, wie ein metaphysisches Recht, das er sozusagen
im Wasserzeichen seiner »Person« besäße. Sie muß
vielmehr erobert werden. Sie hat keine »spontanen Nutznießer«,
sondern nur Stifter und Bürgen. Frei wird niemand geboren, aber manche werden
es. Die Freiheit geht nämlich aus der Unternehmung hervor, sie einzuführen
oder zu erobern. Eine solche Unternehmung können sowohl Individuen als auch
Gemeinschaften geplant haben. Innerhalb der Gesellschaft muß eine eroberte
Freiheit vom Staat gewährleistet werden - gegen eine staatsbürgerliche
Verpflichtung seitens der Gesellschaftsmitglieder. Die Freiheit an sich«
ist nicht in der gesellschaftspolitischen Ordnung zu beobachten. Zu beobachten
ist lediglich ein Netz von bestimmten Rechten und Pflichten, die einer Tradition
entstammen und deren Gewähr weniger in Prinzipien als in dem Vorhandensein
einer wirklichen politischen Kraft enthalten ist. Die politische Freiheit, schreibt
Julien Freund, »eben weil sie politisch ist, kann sich den Voraussetzungen
des Politischen nicht entziehen .... Mit anderen Worten: die politische Freiheit
ist nicht nur im Staat, aber man braucht einen Staat, damit sie sich äußern
kann.« (Ebd., 1988, S. 50-51).»Freiheit«,
schreibt der Dichter Rudolf G. Binding, »ist die freiwillige Einfügung
oder Einordnung in eine höchste unter Menschen geltende Ordnung. Anders wäre
Freiheit Unordnung und Anarchie. Fühle, daß sie das nicht sein kann.
Wir leben unter dem Gewölbe der Freiheit wie unter einem weit gespannten
Himmel, der über uns steht; aber wir ständen im Leeren und entfielen
allen menschlichen hohen Gesetzen und Rechten, wenn wir den Himmel durchstießen.«
(Rudolf G. Binding, Von Freiheit und Vaterland). (Ebd., 1988, S.
51-52).In Sachen Freiheit haben die Erben der europäischen
Kultur übrigens von niemandem etwas zu lernen. Der Begriff der politischen
Freiheit entstand im 4. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung in Athen. Bei den
Kelten und den Germanen nahm das gesamte Volk an den politischen Entscheidungen
teil. (Dort wurde auch die Frau immer als Person angesehen.) Die konkreten Freiheiten
entstanden in Rom aus dem System der gegenseitigen Leistungen, innerhalb dessen
Verpflichtungen und erhaltene Dienste sich die Waage hielten. Und nicht zu Unrecht
rühmte Montesquieu - bei seinem Vergleich zwischen den alten europäischen
Demokratien und den orientalischen Despotismen - gerade jene aus dem Norden stammenden
»tapferen Völker, die aus ihrem Land ausziehen, um Tyrannen und Sklaven
zu vernichten.« (Charles-Louis de Montesquieu, Vom Geist der Gesetze,
1748, 17, 5). Wir könnten sogar der Frage nachgehen, ob die öffentlichen
Freiheiten wegen dieses Erbes, dieser Tradition der gemeinschaftlichen Freiheiten,
heutzutage noch (relativ) besser in Nordeuropa geschützt sind als in den
südlichen Ländern. (Ebd., 1988, S. 52).Denn die
Freiheit besteht ja eigentlich in der Unabhängigkeit« und »Autonomie«.
Die »Befreiung« und die »Emanzipierung«, werden sie einmal
von der Unabhängigkeit und der Autonomie getrennt aufgefaßt, haben
nichts mehr mit dem Kampf um Freiheiten, sondern nur noch mit Kulturpathologie
zu tun. Sich von seinen Zugehörigkeiten »emanzipieren« zu wollen
heißt, sich selbst vernichten und verleugnen. Keine Gesellschaft darf zulassen,
daß in ihr im Namen der »Freiheit« sich Mitglieder absondern
und sie zerstören. (Ebd., 1988, S. 53).Abgesehen davon,
daß die Behauptung eines solchen Rechts auf »Emanzipation« den
Individuen keineswegs mehr an realer Freiheit einbringt, ist sie auch dazu geeignet,
die schlimmsten Gewaltherrschaften zu nähren. Wenn die Freiheit nur eine
zurückzuerobernde »Natur« ist, kann diese Zurückeroberung
als ein entferntes Ziel hingestellt werden, dessen Zielsetzung die sofortige Negierung
der konkreten Freiheiten rechtfertigt. Die Revolution von 1789 mündete somit
durchaus folgerichtig in die Schreckensherrschaft von 1793. ... Die Erhöhung
einer abstrakten Freiheit führt immer zur Negierung der konkreten Freiheiten,
so wie die Erhöhung des »Menschen an sich« immer auf Kosten der
Einzelnen geschieht. Das »Universalrecht« ist der allerschlimmste
Feind der Privatrechte. (Ebd., 1988, S. 53).
Die Kulturen sind in Gefahr
Der
mit dem Monotheismus zusammenhängende Monohumanismus führt logischerweise
zu jener besonderen Erscheinungsform des Rassismus, die auf dem Ethnozentrismus
gründet. Zu behaupten, daß es grundsätzlich nur »einen«
Menschen gebe, heißt letzten Endes nämlich alle Menschen nach denselben
Kriterien beurteilen, sie durch das gleiche Sieb schütten. Völlig objektive
Kriterien kann es allerdings nicht geben - umso weniger, als es auf kultureller
und geschichtlicher Ebene kein Muster für die gesamte Menschheit gibt. Die
Menschen als gleich, die Kulturen als zusammengehörig zu betrachten, ihnen
die gleichen Bestrebungen und Rechte zuzuschreiben heißt, sie immer von
einem einzelnen Standpunkt aus betrachten, dem gegenüber sie nicht gleich
sein können. »Für den Durchschnittsmenschen«, schreibt Edmund
Leach, »bezeichnet der Begriff Mensch »unseresgleichen, Leute unseres
Schlages«, und oft ist der Anwendungsbereich einer solchen Kategorie äußerst
begrenzt. Daraus folgern wir, daß es eine effektive Menschengesellschaft,
innerhalb deren alle Individuen, selbst nur annähernd und in irgendeinem
Sinne, untereinander gleich sind, nie gab und nie geben wird - außer daß
sie winzigen Ausmaßes wäre.« (Edmund Leach, a.a.O., 1960, S.
365). Mit anderen Worten, der Egalitarismus besteht darin, alle Menschen als gleich
zu betrachten, »unter der Bedingung allerdings, daß sie meine moralischen
Werte akzeptieren.« (Ebd., 1960, S. 382). (Ebd., 1988, S. 53-54).Und
Leach schließt mit den Worten: »Möglicherweise wird eine künftige
Generation aufdecken, was der verheerende Trugschluß unserer Zeit war: nachdem
wir mit Hilfe der naturwissenschaftlichen Methoden entdeckt hatten, daß
der Mensch als zoologische Art tatsächlich einzig ist, waren wir - mit Zwang
und politischer Propaganda - bestrebt, dem Menschen als Kulturwesen und moralischer
Person eine ähnliche Einheitsbedeutung aufzuerlegen, die dem eigentlichen
Wesen unserer menschlichen Natur widerspricht.« (Ebd., 1960, S. 388).
(Ebd., 1988, S. 54).Die Ideologie der Menschenrechte liefert das
beste Beispiel für diesen »okzidental-biblischen« Ethnozentrismus.
An der »Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte« fällt
nämlich am meisten auf, daß sich das »Allgemeine« auf ihre
Anmaßung, es zu werden, beschränkt. In den Werten einer besonderen
Religion, dem jüdisch-christlichen Monotheismus, gründend, ist sie nach
den Worten Marcel Boisards »ein Synthese-Kompromiß zwischen dem westlichen
Liberalismus, der gegenüber der Gesellschaft abstrakte Persönlichkeitsrechte
definiert, und dem Marxismus, der das Individuum durch die Bindung an die Sozialgruppe
zu schützen trachtet.« (Marcel Boisard, a.a.O., 1980). Ebenso bemerkenswert
ist übrigens, daß kein einziger Vertreter der Dritten Welt in der achtköpfigen
Kommission zu finden war, die mit der Ausarbeitung dieser Allgemeinen Erklärung
beauftragt worden war. (Ebd., 1988, S. 54).Gibt es etwa auf
der ganzen Erde nur eine Einheitskultur, deren Modell überall durch ein nach
westlichen Kriterien zivilisiertes« Schulsystem gelehrt werden müßte?
Besteht nicht in manchen Kulturen auch eine traditionelle Schulung, die außerhalb
der Schule geschieht? Der Westen versucht, der ganzen Menschheit eine einheitliche
Form des Unterrichts und der Wissensübertragung, folglich auch eine einheitliche
Kultur und Weltanschauung aufzuzwingen. Was ist andererseits unter »Sklaverei«
zu verstehen? Nach Auffassung der Ideologie der Menschenrechte hört die Sklaverei
auf, sobald die Arbeit mit Geld entlohnt wird. Würde aber nicht die Einfuhr
einer billigen fremdländischen Arbeitskraft nach Europa - aus der Sicht eines
Irokesen zum Beispiel - als neue Form der Sklaverei erscheinen? Und überhaupt:
Hat die westliche Welt nicht etwa neue Formen der »Sklaverei« und
der kollektiven Unterdrückung geschaffen, und zwar durch den wirtschaftlichen
Imperialismus, die kulturelle Beherrschung und die »Diktatur der Medien«?
(Ebd., 1988, S. 55).Auf diese Weise erkennen wir die Gefahr, welche
die »universalen« Prinzipien in sich bergen. Sie schließen nämlich
in juristischen Bezeichnungen sowie in typisch okzidentalischen Vorstellungen
Begriffe ein, die von jeder Kultur unterschiedlich wahrgenommen werden. Mit der
gesamten christlichen, dann rationalistischen Philosophie ... münden sie
in dieselbe Illusion ein: sie geben vor, eine juristische und philosophische Sprache
für den ganzen Planeten freizulegen. Sie wollen einen einzigen Signifikanten
(Ausdrucksseite des sprachlichen Zeichens) für alle Signifikate (Inhaltsseite
des sprachlichen Zeichens) finden. (Ebd., 1988, S. 55).Diese
Verfahrensweise stößt auf allerlei Hindernisse. Die islamischen Länder
zum Beispiel weigern sich, die 1962 verabschiedete Konvention über die freie
Partnerwahl, das Heiratsmindestalter und die Registrierung der Eheschließung
zu unterzeichnen. In dem bereits erwähnten Artikel geht Marcel Boisard übrigens
der Frage nach, ob es eine typische islamische Auffassung der Menschenrechte gebe.
Er stellt insbesondere fest, daß in den Ländern islamischer Kultur
»die Pflicht des Individuums vor seinem Recht geht. Die soziale Qualität
in höchstem Grad ist eher kollektiv als interindividuell. Jener traditionelle
Gegensatz, den die abendländische Philosophie zwischen persönlichem
Vorteil und Gemeingut aufstellte, ist im islamischen sozialen Denken somit theoretisch
nicht anzutreffen.« »Da Welt, Gesellschaft und Individuum alle, auf
verschiedenen Ebenen, moralische Gebote darstellen, besteht das höchste Wohl
folglich in der harmonischen Anpassung an diese Gebote.« Die »Rechte
Gottes« durch die Menschenrechte ersetzen zu wollen kann dem Islam nur widersinnig
vorkommen. Der Artikel 29 der »Allgemeinen Erklärung« von 1948,
der einzige übrigens, in dem es um die Pflichten des Individuums gegenüber
der Gemeinschaft geht, erscheint in juristischer Hinsicht besonders widersprüchlich
und verworren (**).
Der Rechtsphilosoph John Finnis beurteilt ihn als »unklar« und »vieldeutig«.
Um welche Gemeinschaft« handelt es sich eigentlich? Um die Familie, die
Nation, die Firma, den Stamm? Die Erklärung hält anscheinend für
eine Tatsache (oder für wünschenswert), daß alle Menschen in einer
gleichartigen Sozialgruppe leben, die nach westlichem Vorbild rationell und juristisch
organisiert ist. Zu den im besagten Artikel erwähnten »Pflichten«
gehört die Berücksichtigung »der Moral, öffentlichen Ordnung
und allgemeinen Wohlfahrt in einer demokratischen Gesellschaft«. Die Rechte
und Pflichten, die mit der wirtschaftlichen, politischen oder kulturellen Unabhängigkeit
der Nationalgruppen zusammenhängen, werden dagegen in keiner Weise erwähnt.
(Ebd., 1988, S. 55-56).Es gilt lediglich das »demokratisch«-liberal-kapitalistische
Modell, das auf dem westlichen Universalismus und dem bürgerlichen Individualismus
gründet, in Achtung zu bringen. Was können aber außerhalb jeder
kulturellen Norm die Begriffe »Moral« und »öffentliche
Ordnung« überhaupt bedeuten? Letzterer Ausdruck hat nicht einmal die
gleiche Bedeutung im Englischen wie im Französischen! Der Versuch, für
die gesamte Menschheit die psychischen Normen der allgemeinen Wohlfahrt«
(general welfare) nach dem Hedonismus Benthams zu bestimmen, kann auf juristischer
Ebene ebensowenig ernstgenommen werden. (Ebd., 1988, S. 56).Indem
sie das Schwinden der ethisch-kulturellen Eigentümlichkeiten legitimiert,
bekräftigt die Ideologie der Menschenrechte die Erhöhung des Lebensniveaus
- die jedem »gebührt« - als allgemeingültiges Ideal und
wesentliches »Erfolgs«-Kriterium für die einzelnen Staatsformen.
In diesem Sinne ist beispielsweise der 1966 geschlossene »Pakt über
wirtschaftliche und soziale Rechte« zu verstehen. Ein solches durchaus antihistorisches
Ideal ist nichts anderes, wie Jürgen Habermas es treuherzig formulierte,
als eine Perspektive auf Ruhe und Befriedigung im Leben. Es steht aber keineswegs
fest, ob diese Aussicht dem Wunsch aller Menschengruppen entspricht oder entsprechen
muß. Das Glück hat nämlich nicht nur mit Materiellem zu tun. Es
besteht auch in dem zwangsläufig besonderen Schicksal, das sich die Völker
verleihen wollen. (Ebd., 1988, S. 56-57).Die
Ideologie der Menschenrechte kann sich als eine aus dem Westen importierte Lehre
nur verheerend auf die Rechts- und Verfassungssysteme der Dritte-Welt-Länder
auswirken. In manchen Gesellschaften bedeutet das Auseinandernehmen der Hierarchien
nichts anderes, als mühevoll errungene Gleichgewichte zu zerstören.
Der Verfall der Gewohnheitsrechte, die Abschaffung jener zum Schutz der Gemeinschaften
gedachten Vorrichtungen erweisen sich als ebenso verhängnisvoll. Die Verfasser
der »Allgemeinen Erklärung« von 1948 konnten sich offenbar nicht
vorstellen, daß ein persönliches Recht für einen afrikanischen
Bauern nicht unbedingt die gleiche Bedeutung hat wie für einen wohlhabenden
Bürger aus New-York. »Das Individuum zu schützen« bedeutet
nicht, daß man ihm überall die Vorrechte zuweist, die im christlichen
kanonischen Recht oder im angelsächsischen Jusnaturalismus verankert sind.
In den ländlichen Demokratien Südamerikas führt das in ein parlamentarisches
Repräsentativsystem mündende Wahlrecht dazu, das Wahlgangstertum zu
fördern und das Volk der Tyrannei feudaler Politiker zu unterwerfen. In manchen
afrikanischen Gesellschaften kann die »Bewegungsfreiheit« den Zusammenbruch
der traditionellen Strukturen sowie die »wilde« Proletarisierung eines
nicht unwesentlichen Teils der Bevölkerung hervorrufen usw.. »Im Namen
der Menschenrechte«, bemerkt Gilles Anquetil, »kann man ohne weiteres
und ungeprüft die islamisch geprägte Rechtspflege, das Kastensystem
in Indien oder unzählige afrikanische Gesellschaftsriten in den Bereich der
Barbarei zurückwerfen, ohne dabei die von solchen gesellschaftlichen Vorschriften
übertragenen Werte zu berücksichtigen, die eine authentische Weltordnung
organisieren.« (Gilles Anquetil, a.a.O., 06.03.1980).Wir sind aufgrund der
bisherigen Ausführungen nun berechtigt, die Verbreitung der Philosophie der
Menschenrechte in den Dritte-Welt-Ländern als ein (wenigstens zum Teil) Phänomen
der politisch-juristischen Akkulturation auszulegen sowie als Verzicht auf Normen
authentischen Rechts zugunsten abstrakter »universaler« Normen, die
im kulturellen Erfahrungsgut der betroffenen Länder auf nichts verweisen.
Diese Akkulturation stellt ohne Zweifel eine Form des Neokolonialismus dar, die
im unmittelbaren Widerspruch zum Selbstbestimmungsrecht der Völker steht,
im Namen dessen sich die Entkolonisierung gerechterweise vollzog. (Ebd.,
1988, S. 57-58).»Die Ideologie der Menschenrechte«,
schreibt Gilles Anquetil ferner, »postuliert in ihrem Universalismus und
durchaus Kantischen Rigorismus, daß alle Menschen den gleichen Bezug zum
Leben und zum Tod haben und daß man ohne Bedenken von den kulturellen und
religiösen Traditionen absehen kann, die diesen Bezug bestimmen.« (Gilles
Anquetil, a.a.O., 06.03.1980). Und dennoch, »so schockierend es uns erscheinen
mag, müssen wir uns damit abfinden, daß ein afghanischer Untergrundkämpfer
nicht nur ausschließlich für den Triumph dessen kämpft, was wir
als Menschenrechte bezeichnen. Er kämpft, um eine kulturelle Ordnung zu verteidigen,
in der das Verhältnis zum gegebenen oder erhaltenen Tod, die moralischen
Werte, die Zeit und das Gesellschaftsprojekt in keiner Weise dem entsprechen,
worum die Abendländer kämpfen.« (Ebd., 1988, S. 58).
Im Dienst des Liberalkapitalismus **
In
Technik und Wissenschaft als »Ideologie« (1968) weist Jürgen
Habermas darauf hin, daß die liberalistische Gesellschaft ... durch die
Erweiterung von »Sub-Systemen zweckrationalen Handelns« gekennzeichnet
ist. (Ebd., 1988, S. 59).Max Weber weist seinerseits nach,
daß in einer solchen Gesellschaft die Kohäsion nicht mehr durch politische
Führung erfolgt, sondern durch eine dezentralisierte Selbstregulierung technokratischen
Wesens. Der Konsens beruht dann auf der praktischen Einwilligung der Individuen
in eine Lebensweise, auf die sie nicht mehr verzichten können; diese Einwilligung
geschieht auf der Ebene der Sub-Systeme, und nicht mehr auf allgemeiner Ebene.
(Diese integrierenden Sub-Systeme können u. a. der Betrieb, die Berufssphäre,
die Vereinstätigkeit, die Welt des Autos, die häusliche Sphäre
sein.) Um seine Herrschaft zu behaupten, braucht das System folglich keinen politischen
Diskurs und keine nationalen mobilisierenden Mythen mehr. Aus dieser Tatsache
ergibt sich eine Entpolitisierung und Entnationalisierung der bürgerlichen
Gesellschaft - was Max Weber als deren Säkularisierung« bezeichnete.
Die Legitimation der gesamten Gesellschaftsstruktur durch politische Argumentation
oder »fraglose Traditionen« weicht einer Legitimation durch wirtschaftliche
Ideologien oder durch private Ethiken, die eine materielle Lebensauffassung rechtfertigen
(und sich selbst an dem mechanistischen und ökonomistischen Aspekt des internationalen
zu legitimierenden Systems orientieren). (Ebd., 1988, S. 59).So
unterschiedlichen Autoren wie Max Weber, Arnold Gehlen, Helmut Schelsky oder Martin
Heidegger zufolge beruht das allgemeine System der liberalkapitalistischen Gesellschaft
letzten Endes auf einer Deutung der Wissenschaft und der Technik als Tätigkeiten,
die dem Einzelnen zweckrational zu seinem ökonomischen Glück verhelfen
sollen. Es kommt also darauf an, über eine Theorie zu verfügen, die
eine Synthese der beiden Schlüsselbegriffe Glück und Rationalität
in höchstem Maße bestätigt. Die Theorie ist die Ideologie der
Menschenrechte. (Ebd., 1988, S. 59-60).Aus der Sicht ihrer
Urheber weist die Ideologie der Menschenrechte mehrere Vorteile auf. In erster
Linie besitzt sie ein moralisches Wesen, kraft dessen sie zumeist auch dort annehmbar
ist, wo ein rein technokratischer« Diskurs unter Umständen schlecht
angenommen werden würde. »Die Lösung technischer Aufgaben«,
schreibt Habermas, »ist auf öffentliche Diskussion nicht angewiesen,
öffentliche Diskussionen könnten vielmehr die Randbedingungen des Systems,
innerhalb dessen die Aufgaben der Staatstätigkeit als technische sich darstellen,
problematisieren.« Außerdem verdeckt diese Ideologie die Macht- und
Bedeutungslosigkeit des politischen Diskurses einer führenden Klasse, die
- da sie eine immer mehr durchökonomisierte Gesellschaft »auf Sicht«
steuert - jeglichen legitimierenden ideologischen Diskurs vom herkömmlichen
Typ entbehrt. Mit anderen Worten: In dem Augenblick, da die moderne Zivilisation,
die ja auf allen Ebenen ihrer Sub-Systeme - mit Ausnahme der Erfahrungsebene -
umstritten ist, keine politische Ideologie zu deren Legitimation findet, vermag
nur noch die Lehre der Menschenrechte einen Konsens zu schaffen, und zwar in der
(etwas lockeren) Form des kleinsten gemeinsamen ideologischen Nenners.
(Ebd., 1988, S. 60).Daß die Ideologie der Menschenrechte
größtenteils als eine us-amerikanische Ideologie hervortritt, ist unter
diesen Bedingungen folgerichtig. Es ist nämlich kein Zufall, wenn die Vereinigten
Staaten gleichzeitig die größten Anhänger des liberalkapitalistischen
Gesellschaftsmodells sind; und wenn die zentralen Begriffe der liberalistischen
Rechtsphilosophie zur Theorie der us-amerikanischen kapitalistischen Praxis wurde
- oder genauer zum legitimierenden Kodex eines Signifikats, das nichts anderes
als der Handelsaufschwung der USA ist. (Ebd., 1988, S. 60). Das
hauptsächlich biblische Wesen der us-amerikanischen Ideologie der Anfänge
erwies sich in dieser Hinsicht als prädisponierendes Element. »Die
dialektische Verwandtschaft des amerikanischen Grundgesetzes mit dem mosaischen
Gesetz drängt sich einem beinahe auf«, schreibt Pol Castel. Dem fügt
er hinzu: »Es ist kein Zufall, wenn die amerikanische Demokratie so viele
Ähnlichkeiten mit der ersten hebräischen Regierung aufweist, denn die
Founding Fathers waren mit der biblischen Welt hinlänglich bekannt«
(Le Monde, v. 4. Juni 1979). (Ebd., 1988, S. 60).Die 1776
in Philadelphia unterzeichnete Unabhängigkeitserklärung von Amerika
postuliert: »Folgende Wahrheiten erachten wir als selbstverständlich:
daß alle Menschen gleich geschaffen sind; daß sie von ihrem Schöpfer
mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind; daß
dazu Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören« daß
zur Sicherung dieser Rechte Regierungen unter den Menschen eingesetzt werden.«
Es ist wahrlich schwierig, in so wenig Sätzen soviel Unsinn auszusprechen.
Daß »alle Menschen gleich geschaffen sind«, stimmt nicht - und
die Überlegung, ob es gut ist, daß sie es werden, kann nur subjektiv
sein: Nur der Mensch ist wirklich Schöpfer, und er kann nicht von »Natur
aus« mit irgendeinem Recht oder irgendeiner Pflicht ausgestattet worden
sein. Die Regierungen wurden nicht nur eingesetzt, um die persönlichen Rechte
zu sichern; sie setzten sich vielmehr selbst ein, um verschiedenen Verpflichtungen
nachzukommen, allen voran der Pflicht, den Völkern ein Schicksal zu verleihen.
Was die »selbstverständlichen Wahrheiten« betrifft, sind sie
ebenso wenig wirklich und »selbstverständlich« wie die goldenen
Berge oder die sechsfüßigen Einhörner. Aber die ganze Ideologie
der Menschenrechte » keimt« bereits in diesen Behauptungen.
(Ebd., 1988, S. 61).Es sei in diesem Zusammenhang festgestellt,
daß die im Schoße der französischen Revolution von 1789 entstandene
Philosophie der Menschenrechte eine rousseauistische, wenig ökonomistische
und mehr politische Philosophie - von der us-amerikanischen stark abweicht. Sie
ist weniger individualistisch, weniger universalistisch und drückt nicht
gleich ein und denselben Wunsch nach einem Abschluß der Geschichte aus.
Neben ihrer Theorie über den »Menschen an sich« weist sie dem
positiven Begriff des Staatsbürgers eine große Bedeutung zu.
Vielleicht deshalb berufen sich die bedeutendsten Theoretiker der Menschenrechte
heute eher auf die us-amerikanische als auf die französische Revolution.
Hannah Arendt zum Beispiel, deren Lebensweg sie in die Nähe des Marxismus
brachte und die schließlich die us-amerikanische Auffassung der Menschenrechte
verteidigte (**),
lehnt die Praxis der französischen Revolution entschieden ab. Freiheit mit
revolutionärer Gewalt zu sichern, ist für sie unannehmbar. Die Freiheit
muß auf einem ununterbrochenen Gesellschaftsprozeß gegründet
sein. Dadurch daß sie sich von vornherein Lockes Bourgeoisismus und Benthams
Utilitarismus (u.a. Ablehnung der historisch gründenden Revolutionen; Wille,
die Menschenrechte auf »eine spontane gesellschaftliche Organisation«
und nicht auf einen politischen Bruch zu gründen) anschließt, verwirft
H. Arendt den polemischen Begriff der Gesellschaftsklasse; und das führt
sie dazu, das Problem der wirtschaftlichen Beherrschung und der sozialen Entfremdung
nahezu völlig zu vertuschen. »In den Vereinigten Staaten von 1776«,
schreibt sie, »behielt der Begriff »Volk« (people) die Bedeutung
der Vielzahl, deutete die unendliche Mannigfaltigkeit einer Vielheit an, deren
Größe in ihrer Pluralität bestand.« Diese Andeutung ist
ebenfalls aufschlußreich. Die »Vielheit« ist nichts anderes
als die heterogene und »individualisierte« Menge, wo jedem frei steht,
»glücklich zu sein« und wo der ideale gesellschaftliche Raum
der konsumierenden Kundschaft entsteht, auf die der Liberalkapitalismus angewiesen
ist. Hannah Arendt wird somit dazu gebracht, aus der Ideologie der Menschenrechte
das Instrument einer Klassenkollaboration zu machen, und bekräftigt gleichzeitig
das Interesse, das die us-amerikanischen Wirtschaftskreise dieser Philosophie
entgegenbringen. (Ebd., 1988, S. 61-62).Die Verwirklichung
der weltbürgerlichen Ideologie der Menschenrechte führt ... zu einer
Einschränkung der politischen Souveränität der nationalen Staaten.
Mit Bezug auf Montesquieu befürwortete Jean-Marie Benoist noch vor kurzem
eine Art »Richterregierung« für Europa. Nationale oberste Gerichtshöfe,
die einem europäischen obersten Gerichtshof unterstünden, müßten
auf alle Hemmnisse aufmerksam machen, mit denen die Regierungen den vollen Genuß
der Menschenrechte erschweren könnten. Solche auf dem zweideutigen Prinzip
der »Gewaltenteilung« gründenden Auffassungen könnten nur
zur Einsetzung eines Obersten Weltgerichtshofes führen - eines ungeheuren,
gegen die nationalen Mächte und Regierungen ... gerichteteten Gleichschaltungsapparat
.... (Ebd., 1988, S. 62).Der Vorrang der individuellen Rechte
vor den nationalen Souveränitätsrechten ruft gegenwärtig eine gefährliche
Erscheinung hervor: die Ablösung der politisch-exekutiven Kategorie durch
die juristische. Indem sie im Namen einer moralischen »Weltinstanz«
die Macht der nationalen Staaten einschränkt, zielt die Ideologie der Menschenrechte
darauf ab, das Politische um seine Vorrechte zu bringen und es einer höheren
juristischen Entscheidungsinstanz zu unterwerfen. Daß das Politische und
sein Wesen den zersetzenden Praktiken eines metaphysischen, abstrakten Rechtswesens
untergeordnet wird, führt zur Diktatur der Juristen über die Regierenden.
Diese Unterordnung schließt die Absetzung der Staatsräson in sich;
sie bekräftigt den Untergang des Politischen. Der eigentliche Begriff der
»menschlichen Person«, auf den die Ideologie der Menschenrechte so
großen Wert legt, ist ein juristischer: das Recht ist die »natürliche«
Quelle einer Theorie der Person, die das Individuum in erster Linie als Besitzer
von Rechten kennzeichnet. (Ebd., 1988, S. 63).Schon in frühgeschichtlicher
Zeit versuchte man in dem einen oder anderen Fall durch Einsetzung einer Nomokratie
zu verhindern, daß die politische Macht sich für »allmächtig«
erklärt und mit »Gott wetteifert«. Moses war der erste, der die
Trennung zwischen dem Politischen und dem Richterlichen sowie die Unterordnung
des ersten unter das zweite befürwortete. In Kanaan ist der Richter oberster
Führer in Frieden und Chef der Exekutive in Kriegszeiten. Die Regierungsmacht
müßte demnach dem Gesetz untergeordnet sein und das Gesetz müßte
das Abbild von Jahwes Gesetz sein. Dieses Thema wird heutzutage nach allen Seiten
ausgebeutet. Das Recht drückt dann, wie Nietzsche es treffend darlegte, nichts
anderes als einen »Willen zur Macht« aus: es dient dazu, die politisch-exekutive
Souveränität zugunsten derjenigen Macht zu vernichten, die sich ihrer
zu bemächtigen versucht. Zur Zeit des Augustinus und Gregors VII. hatte schon
die Kirche die christliche Theorie der Menschenrechte dazu benutzt, sich von der
politisch-exekutiven Macht zu emanzipieren. Die im 18. Jahrhundert auf ideologischer
Ebene erneut aufgetretene Unterordnung des Politischexekutiven - gegenüber
dem Juristischen - nahm im vorigen Jahrhundert mit dem Konstitutionalismus zu.
Die politische Tätigkeit wurde immer auf die gesetzgebende reduziert; jeder
politische Konflikt unterstand dem gerichtlichen Beschluß usw.. Diese Entwicklung
führte zum heutigen sogenannten Rechtsstaat. »Nicht nur, daß
das gesamte Recht mit dem Gesetz völlig übereinstimmt; das Gesetz gilt
außerdem als politische Tätigkeit bzw. als politisches Tätigkeitsfeld.«
(Julien Feund, a.a.O., 1965, S. 242). Die Verrechtlichung des internationalen
Menschenrechtsschutzes wurde mit der Gründung des unheilvollen Völkerbundes
(1919) konkretisiert, der 1945 von der Organisation der Vereinten Nationen abgelöst
wurde. Die Rechtstheorie, an die sich die Ideologie der Menschenrechte anschließt,
ist selbstverständlich die »Naturrechtstheorie«. Wir legten bereits
dar, weshalb wir diese Theorie als irrig betrachten. (**).
Wir sind nämlich der Überzeugung, daß es keinen extrinsischen
(außen liegenden) Rechtsdeterminismus gibt, keine rechtliche Verbindlichkeit,
die sich aus einer dem Menschen fremden Ordnung ergibt. Die vom Recht gegründete
Ordnung ist ursprünglich immer eine gewollte und konventionelle; sie wird
durch stillschweigende oder ausdrückliche Übereinkunft eingesetzt. Sie
ist also beliebig veränderbar und modifizierbar, je nach dem Willen und den
Wahlentscheidungen der Menschen. Das Recht ist im eigentlichen Sinne etwas Künstliches;
und hierin ist es rein menschlich. Demnach kann von Rechtsgültigkeit nur
innerhalb einer bestimmten Gemeinschaft die Rede sein. »Das Gesetz im juristischen
Sinne ist nicht universal«, unterstreicht Julien Freund. »Es gilt
räumlich und zeitlich nur innerhalb der territorialen Grenzen der politischen
Autorität, die den unmittelbaren Zwang ausüben kann. Seine Gültigkeit
ist auf eine politische Einheit beschränkt.« (Julien Feund, a.a.O.,
1972, S. 7). Außerdem bezweckt das Recht nicht etwa die »Gerechtigkeit
an sich«, sondern die konkrete Rechtlichkeit in einer Reihe von bestimmten
Fällen. »So wie das Recht Vermittlung ist und die Verhältnisse
zu den anderen bestimmt, so stellt die Rechtlichkeit keine Gerechtigkeit an sich
dar, sondern eine Haltung, die die Freiheit und die Interessen eines jeden achtet.«
(Ebd., S. 92). Wir geraten deshalb nicht in den juristischen Positivismus, dem
zufolge das Recht einzig das Ergebnis des Willens ist, der es gründet. Das
hieße letztlich die Ansicht vertreten, daß alles, was eine konstituierte
Behörde entscheidet, gerecht ist; das Recht würde nicht mehr die (zur
Ordnung beitragende) Rechtlichkeit bezwecken, sondern lediglich die Ordnung. Das
hieße ebenfalls, auf andere Art in die Vormachtstellung des Gesetzes zurückfallen,
über das bereits Platons Hippias aussagte, es könne zum »Tyrannen
des Menschen« werden (Protagoras). Das Recht enthält auch eine Wertkomponente:
ein Gesetz muß, um gerecht zu sein, den spezifischen Werten der Kultur oder
des Volkes entsprechen, in dem und für das es geschaffen wurde. (Ebd.,
1988, S. 63-64).Von daher ist es offensichtlich, daß die
Destrukturierung der politischen Macht den Zusammensturz des Rechts insofern hervorruft,
als dieses nicht mehr anwendbar ist. Das Recht hat nämlich kein ureigenes
Wesen. Tritt es einmal zutage, so gibt es Anlaß zu einer autonomen Tätigkeit,
deren spezifisches Mittel das Prozeßverfahren ist, aber es vermag nicht,
sich selbständig zu konstituieren. »Das Recht hat nur dann einen Sinn,
wenn ein politischer Wille die Gesellschaft in Kenntnis setzt, daß sie sich
konstituiert, sich eine Regierungsform verleiht, das heißt ihre Ordnung
bestimmt.« (Julien Feund, a.a.O., 1972, S. 88). Deshalb kann das Gesetz
als Instrument der Ordnung diese nicht aus sich heraus stiften oder sie allein
aufrechterhalten. »Gesetze bestehen nur dort, wo es eine gegründete
Republik gibt«, schrieb Hobbes. Das liegt daran, daß der zur Verwirklichung
der Gesetze notwendige Zwang dem Recht nicht innewohnen kann; er wird ihm von
außen beigefügt. Das an sich normende und vorschreibende Recht besitzt
weder die Mittel noch die Macht, das, was es verordnet, aufzuzwingen oder einhalten
zu lassen. Das bedeutet aber nicht, daß das Politische das Vollstreckungsmittel
des Rechts ist. Das heißt vielmehr, daß sich das Politische das Recht
gefügig macht, sofern nur jenes dieses verbürgern kann. So wird jener
alte Gegensatz von Macht und Gesetz gelöst. Die politische Macht darf nicht
an die Stelle des Rechts treten: es wäre die Willkür. Oder auch das
Recht darf nicht die politische Macht ersetzen: es wäre die Ohnmacht. »In
einem Rechtsstaat, wo ausschließlich das Gesetz regieren würde«,
schreibt ferner Julien Freund, »wäre das Recht machtlos und die Politik
gelähmt.« (Ebd., S. 10). (Ebd., 1988, S. 64-65).Auch
die von den Verfechtern der Menschenrechtsideologie häufig vertretene Auffassung,
wonach das Recht die Macht ausschließe, wonach der Rechtsstaat den Frieden
sichere (da der Rückgriff auf das Gesetz genüge, den Konflikt auszuschließen)
ist reine Absurdität: die Konflikte rühren nämlich aus der Unterschiedlichkeit
von Kräften, die das Recht nur dann zügeln kann, wenn es sich selbst
auf eine Macht stützt. Deshalb ist »Friede eine in erster Linie politische
Sache, keine juristische. Erst wenn das Politische es vermag, die Gewalt sowohl
innen als auch außen zunichte zu machen, kann es Lösungen auf dem rechtlichen
Weg erzwingen«. (Julien Feund, a.a.O., 1972, S. 10). Der tatsächliche
Schutz der Freiheiten kann nur dann erfolgreich sein, wenn er auf politischer
Ebene vorgenommen wird. Die Sicherung der Freiheiten setzt ein Kräfteverhältnis
voraus, das für denjenigen, der sie schützen will, vorteilhaft ist.
Ganz anders verhält es sich natürlich mit der Ideologie der Menschenrechte,
die sich von vornherein auf der moralisch-juristischen Ebene definiert, die das
Recht dazu führt, seine eigene Sphäre auf Kosten des Politischen zu
verlassen. Je mehr sich das Recht aber ausdehnt, umso mehr verdünnt es sich.
Je mehr vom Recht »die Rede« ist, umso mehr sieht es seine Macht dahinschwinden.
Für die Menschen wie für die Nationen sind begrenzte, genau beschriebene
und gekennzeichnete Rechte besser als ein anspruchsvolles, egalitäres, »universales
Recht«, Im dessen Anwendung keine Einschränkung, keine historische
Tradition bürgen. Das Recht, das einem Menschen nur deshalb zugesprochen
wird, »weil er ein Mensch ist«, ist nichtig; wird dieses Recht nicht
anerkannt, und schon kann keiner den Vorteil davon genießen. Nur diejenigen
Rechte, die von einer politischen Macht geschützt werden oder die zu schützen
sich eine politische Macht entschließt, können effektiv anerkannt und
verwirklicht werden. (Ebd., 1988, S. 65-66).Schon ein kurzer
Blick auf die jüngste Vergangenheit zeigt, daß sich die Ideologie der
Menschenrechte beim Schützen der konkreten Freiheiten als völlig wirkungslos
erwies. Sie ist freilich bestens darauf eingestellt, die westlichen Länder,
in denen sie ins Leben trat, zu destrukturieren; es gelang ihr aber andererseits
nicht, z.B. mehr reale Freiheit in den Ländern einzuführen, die unter
sowjetischer Herrschaft stehen. Kurz nach dem russischen Einfall in Afghanistan
sabotierte sie 1980 die Olympischen Spiele von Moskau im Namen des »Weltgewissens«
und zur »Sanktion«: sie trug letzten Endes nur dazu bei, den olympischen
Geist zu vernichten. In einzelnen Fällen konnten die Verfechter der Menschenrechte
die Medien auf das Schicksal des einen oder anderen »Dissidenten«
aufmerksam machen. Diese Proteste halfen dennoch nichts (außer wenn die
UdSSR es für politisch einträglich hielt, »eine Geste zu machen«).
(Ebd., 1988, S. 66).Das gute Gewissen des Humanitarismus beklagt
arglos, daß »die Menschenrechte seit ihrer juristischen Verankerung
in höherem Maße verunglimpft werden.« Wir möchten aber darauf
hinweisen, daß die konkreten Freiheiten eines jeden Volkes zwangsläufig
von dem Augenblick an zurücktreten mußten, da man sie durch ein »universales
Recht« und eine abstrakte »Freiheit« zu ersetzen versuchte,
die viel leichter zu verletzen waren. Indem die Ideologie der Menschenrechte so
unklare Begriffe wie das »Gemeinwohl«, die »Demokratie«,
das »Sanitätswesen« oder die »Moralität« als
Prinzipien aufstellt, verhilft sie den tyrannischen Regierungen dazu, alle Hemmnisse
zu überwinden, die die Gewohnheits- und Lokalrechte für sie darstell(t)en.
Die neue chinesische Verfassung, die das »Recht der freien Meinungsäußerung«
und des »freien Schriftverkehrs« garantiert, konnte beispielsweise
das (konkrete) Recht zum Anschlagen der dazibaos dadurch aufheben, daß
sie sich auf die Theorie der Menschenrechte stützte. (Ebd., 1988, S.
67).Einige schwarzafrikanische Staaten der nachkolonialen Zeit,
die die »Allgemeine Erklärung« von 1948 unterzeichnet hatten,
verzichteten gleichzeitig auf ihr herkömmliches Gewohnheitsrecht - da sie
es viel lieber hatten, nur noch an drei Seiten eines philosophischen und moralisierenden
Diskurses gebunden zu sein. Und wir sprechen hier lediglich von den politischen
Freiheiten des klassischen Typs: den sprachlichen, kulturellen u.a. Freiheiten
ist die Ideologie der Menschenrechte bekanntlich völlig gleichgültig,
wenn nicht feindlich gesinnt. (Ebd., 1988, S. 67).Daß
die juristischen Begriffe des angelsächsischen biblischen Demokratismus weltweit
übernommen werden, erweist sich nicht nur als völlig fruchtlos für
die Besserung der Verhältnisse; diese Entwicklung kennzeichnet unseres Erachtens
auch einen eindeutigen Verfall des Rechts, der übrigens auch mit dem Rückgang
des Politischen zusammenhängt. Da das Recht allmählich aufhört,
praxisbezogen zu sein, an Bräuche oder an überlieferte und vererbte
Rechtsprechungen gebunden zu sein, wird es moralisch und ideologisch. Zum Thema
wissenschaftlicher Abhandlungen umgewandelt, der Unaufgeklärtheit von Journalisten
und Meinungsmachern zur Speisung gegeben, erweist es sich als völlig unfähig,
seiner Aufgabe in aller Form gerecht zu werden. Damit die Völker und die
Sozialgruppen sich von der wirtschaftlichen Herrschaft und der auf die
liberalkapitalistische Gesellschaftsform zurückgehende - soziokulturellen
Entfremdung freimachen, müssen sie eine antiindividualistische Ideologie
und Strategie übernehmen, wo die Widerstandsräume möglichst von
einem Befreiungswillen beherrscht sowie strukturiert werden, der nur souverän
und politisch sein kann. Zu einer entgegengesetzten Haltung drängt leider
die Ideologie der Menschenrechte, deren pseudo-befreiender Diskurs sich letzten
Endes für das gesamte System verbürgt, indem er dieses anscheinend nur
punktuell, auf der oberflächlichen unwesentlichen Ebene der formalen Semiologie
anficht. (Ebd., 1988, S. 67-68).
Rückkehr zum bürgerlichen Humanitarismus
Die
Ideologie der Menschenrechte bildet heute den Sammelpunkt aller egalitären,
sowohl religiösen wie auch weltlichen Strömungen nicht nur, weil die
jetzige »egalitäre Zivilisation« eine theoretische Legitimation
im höchsten Grad braucht, sondern auch, weil das Thema der Menschenrechte
sozusagen eine gemeinsame Entwicklungsschicht innerhalb ihres Diskurses ausmacht.
Liberale und Rationalisten westlicher Tradition, gemäßigte Sozialisten,
Kantianer, Marxisten, Anhänger der christlich-sozialen Bewegung, ja sogar
traditionalistische Christen, alle erlebten irgendwann im Verlauf ihrer »ideologischen
Geschichte« den rationalen Idealismus der Menschenrechte. Und aus
diesem Grunde eignet sich dieses Thema besonders dazu, sie ökumenisch zusammenzubringen,
zu einem Zeitpunkt, wo sie es am meisten nötig haben. (Ebd., 1988,
S. 68).Nur die Ideologie der Menschenrechte war nämlich in
der Lage, auf einer breiten Rückzugstellung eine westliche Intelligenzia
neu zu gruppieren, die seit etwa zehn Jahren durch das Abbröckeln ihres theoretischen
Diskurses sowie den wiederholten Zusammenbruch ihrer politischen und gesellschaftlichen
Modelle völlig ratlos geworden war. Daß heute Marxisten und revolutionäre
Sozialisten, deren Lehrgebäude einst den »kleinbürgerlichen Idealismus«
(Lenin) und den »Formalismus« zu überwinden begehrte, erneut
zum Schutz der Menschenrechte ansetzen, zeugt von einem unbestreitbaren theoretischen
Rückzug des egalitären Denkens. Dieser Rückzug, dieser ideologische
Widerruf fällt mit der Entwicklung des Egalitarismus, von einer dialektischen
Phase zu einer soziologischen, zusammen. Die im 18. Jahrhundert eingeleitete dialektische
Phase zeichnete sich durch intellektuelle Findigkeit aus: die Formulierung der
Ideen ging ihrer politischen und gesellschaftlichen Umsetzung voraus. In der soziologischen
Phase läuft die massive Verbreitung der egalitären Lebensformen sowie
der Triumph des bürgerlichen Typus parallel zum Rückgang der revolutionären
ideologischen Formulierungen und zum erneuten Aufkommen einer pseudo-humanitären
Sensibilität: dann steuert das soziale Geschehen die Ideen, und nicht umgekehrt.
Die egalitäre Ideologie hört damit auf, erfinderisch zu sein. Sie beschränkt
sich auf »bescheidene« Formeln. Sie zielt auf Homogenisierung und
Vermassung hin. Die Ideologie der Menschenrechte, als Diskurs eines Weltbürgertums
und Sinn dieses Projekts, bildet die Axialform dieser »Vermassung«
der Ideen. (Ebd., 1988, S. 68-69).Auf Seiten der Christen
ist die Entwicklung besonders bemerkbar. Vor allem das katholische Christentum
bekämpfte lange Zeit die Philosophie der Menschenrechte - zu deren Gründung
es dennoch in hohem Maße beigetragen hatte -, als diese Philosophie dazu
überging, das »Naturrecht« nicht mehr auf einer geoffenbarten
Moral, sondern auf westlichen Prinzipien zu gründen. Heute aber muß
das - einen Teil der Vergangenheit übersehende - Christentum sich nicht verweltlichen,
um im Evangelium eine zivile Moral zu finden, die auf dem »Naturrecht«
und auf dem Vorrang des Individuums gründet. Pater Michel Lelong durfte vor
wenigen Jahren sogar schreiben, daß die Einwilligung in die Philosophie
der Menschenrechte ein wichtigeres Kriterium zur Beurteilung der einzelnen Lehrgebäude
darstelle als die Haltung zum Apostolischen Glaubensbekenntnis. Die ... Vereinigung
»Rechte des Menschen und Solidarität« äußerte
unlängst den Wunsch, unter diesem Motto Katholiken und Freimaurer zusammenzubringen.
Was Papst Johannes Paul II., den würdigen Fortsetzer des Verhaltens
von Papst Paul VI., betrifft, tritt er auf seinen Reisen ebenfalls immer
wieder für die Menschenrechte« ein. (**).
(Ebd., 1988, S. 69-70).In der streng-marxistischen Tradition, die
zwischen »formalen« (bürgerlichen) Freiheiten und »realen«
(sozialistischen) Freiheiten unterschied, wurde die Ideologie der Menschenrechte
noch vor einiger Zeit verworfen, weil sie einer historisch überholten Phase
entspreche. Im Manifest der Kommunistischen Partei (1848) sprach Marx seinen
berühmten Fluch aus: »Aber streitet nicht mit uns, indem ihr an euren
bürgerlichen Vorstellungen von Freiheit, Bildung, Recht usw. die Abschaffung
des bürgerlichen Eigentums meßt. Eure Ideen selbst sind Erzeugnisse
der bürgerlichen Produktions- und Eigentumsverhältnisse, wie euer Recht
nur der zum Gesetz erhobene Wille eurer Klasse ist.« Unter den heutigen,
mehr auf humanistischen Anstand bedachten Marxisten sind es immer weniger, die
auch das bürgerliche Recht als Diskurs wirtschaftlicher Legitimation verwerfen
- obwohl diese Verwerfung einen der interessantesten Aspekte der marxistischen
Analyse darstellt. Man könnte diese Analyse übrigens wiederaufnehmen
und dabei nachweisen, daß sich die Legitimation weniger auf eine Klasse
bezieht als auf eine Funktion: auf die ökonomische und kaufmännische
Funktion. Die Kritik am bürgerlichen humanitären Recht« ziemt
sich heute nicht mehr, seitdem die Revolution in Verdacht gekommen ist, sich dem
»Glück« zu widersetzen. (Ebd., 1988, S. 70).Der
Verzicht auf den Antihumanismus geht nicht auf die Stimmungen eines Roger Garaudy
zurück. In Wirklichkeit läutete die Frankfurter Schule schon
vor dem 2. Weltkrieg die enttäuschte und schmerzvolle Rückkehr
zur Ideologie der Menschenrechte ein, der sich ein großer Teil der heutigen
Linksintellektuellen mittlerweile angeschlossen hat. Ernst Bloch war einer der
ersten, die die Rückkehr zur Bibel und den Verzicht auf jegliche revolutionäre
Perspektive priesen. (Ebd., 1988, S. 70).Die Ideologie der
Menschenrechte bildet nunmehr den Treffpunkt all derjenigen, die der Egalitarismus
enttäuschte; den Ort, wo sie zugleich ihre Irrfahrten gestehen, ihre Pleiten
zugeben, ihre Grundbestrebungen beibehalten und nach wie vor ein gutes Gewissen
haben können. Sie ist der ideologische Raum, in den alle gegenwärtigen
Universalismen, alle der monotheistischen Mentalität entsprungenen Systeme
hineinfließen werden. Sie ist die Religion des ausgehenden 20. Jahrhunderts
(und des gesamten 21. Jahrhunderts; HB).
(Ebd., 1988, S. 71).
Kampf um Europas religiöse Identität
(Sigrid Hunke)
(Ebd., 1988, S. ).
(Ebd., 1988, S. ). (Ebd., 1988, S. ).
(Ebd., 1988, S. ). (Ebd., 1988, S. ).
(Ebd., 1988, S. ). (Ebd., 1988, S. ).
(Ebd., 1988, S. ).
Die indoeuropäische Tradition als Wurzel unserer Identität
(Jean Haudry)
(Ebd., 1988, S. ).
(Ebd., 1988, S. ). (Ebd., 1988, S. ).
(Ebd., 1988, S. ). (Ebd., 1988, S. ).
(Ebd., 1988, S. ). (Ebd., 1988, S. ).
(Ebd., 1988, S. ).
Wie sicher ist Europa?
(Jordis Heinrich von Lohausen)
(Ebd., 1988,
S. ). (Ebd., 1988, S. ). (Ebd., 1988,
S. ). (Ebd., 1988, S. ). (Ebd., 1988,
S. ). (Ebd., 1988, S. ). (Ebd., 1988,
S. ).
Die neuen ideologischen Herausforderungen
(Guillaume Faye)
Die Rückkehr der Herausforderungen
Man
wäre versucht zu sagen, daß der Beschleunigung unserer Dekadenz eine
immer mehr ausgeprägte Oberflächlichkeit der ideologischen Auseinandersetzung
entspricht. (Ebd., 1988, S. 187).Die Rückkehr zu den
Traditionen, die Suche nach der familiären und der regionalen Identität
siedeln sich in den kollektiven Mentalitäten allmählich an, und zwar
neben dem krankhaften Psychismus der Wohlstandsjahre, der ausschließlich
auf die narzißtische Suche nach dem ökonomischen Ansehen ausgerichtet
war, und neben der Verleugnung jeglicher Zugehörigkeit. Die in Europa herrschenden
Meinungen ... offenbaren ebenfalls dies- und jenseits des Eisernen Vorhangs eine
immer größere Abneigung gegen die Paktgebundenheit, zugleich aber den
Wunsch nach einer Neutralität Europas, also eine mehr oder minder zugestandene
Sezession gegenüber den westlichen Verbindlichkeiten. (Ebd., 1988,
S. 190).Nun aber pflichten die politischen Kreise dem us-amerikanischen
Liberalismus, der atlantischen Abhängigkeit gegenüber der NATO, einem
Modell kosmopolitischer und »plurikultureller« Zivilisation (statt
nationaler und europäischer Modelle) bei, und zwar merkwürdigerweise
gerade in den Jahren, wo aus der Tiefe der europäischen Völker die Ablehnung
des Okzidentalismus, des Amerikanismus und des Atlantismus sowie das Bedürfnis
nach Identität und Selbstbehauptung hervorzuquellen beginnen. (Ebd.,
1988, S. 190-191).Von den einzelnen Herausforderungen,
die der europäischen Identität gestellt werden, möchte wir hier
drei bedeutende festhalten: (I) die mehr-rassische
Gesellschaft als Herausforderung an unsere anthropologische Persönlichkeit,
(II) die Entkulturierung und den Verlust der
Traditionen als Herausforderungen an unser kulturelles Gedächtnis, (III)
die technomorphe Gesellschaft als allgemeine Herausforderung an unsere
Kultur und unsere Psyche. Die strategischen und wirtschaftlichen Bedrohungen,
die ebenfalls zu den neuen Herausforderungen gehören, werden an diesem Ort
bewußt nicht berücksichtigt, weil das, worauf es am ehesten ankommt
und was das übrige bedingt, nach unserer Überzeugung dem infrastrukturellen
Bereich der kulturellen und ethnischen Identität, d.h. dem Bereich des Inneren,
innewohnt. (Ebd., 1988, S. 191).
Die Herausforderung der mehr-rassischen Gesellschaft
Die
meisten europäischen Länder erwachten im Laufe der letzten Jahre plötzlich
mitten in einer völlig neuen Gesellschaftsform die sie zwanzig Jahre
zuvor (= 1968; HB) hätten voraussehen können,
die sie aber nicht voraussahen eine Form, die bislang den USA vorbehalten
zu sein schien: die mehrrassische Gesellschaftsform als Folge der Entkolonisierung,
der Einwanderung von Arbeitskräften und des unterschiedlichen Bevölkerungswachstums
zwischen Nord und Süd. Erstmals in seiner Geschichte zumindest im
letzten Jahrtausend wurde Westeuropa zum Gastgeber afro-asiatischer Minderheiten,
deren Anteil ständig steigt. Die Erschütterung ist erheblich, und sie
tritt in Frankreich am heftigsten zutage. Die Identitätsfrage wird mit einer
noch nie dagewesenen Brutalität und Dringlichkeit aufgeworfen. Aber diese
Herausforderung ermöglicht den Europäern endlich , sich
der Natur ihrer eigenen Spezifität bewußt zu werden oder wenigstens
darüber nachzudenken. Die Identität, die Stärke des Zugehörigkeitsgefühls
und die Bedeutung des Begriffs »Staatsbürgerschaft« beruhen selbstverständlich
auf einer relativen ethnokulturellen Homogenität der Europäer;
und daher müssen wir nach dem »Wünschbarkeitsgrad« der mehrrassischen
oder plurikulturellen Gesellschaft fragen. Ein neues Zeichen immerhin: die öffentliche
Debatte erörtert offen die (bislang tabuisierte) Frage nach einer eventuellen
und wünschenswerten Rückkehr der Minderheiten in ihre Heimat. Meinungsbewegungen
stellen sogar die Möglichkeit, die Bürgerschaft eines europäischen
Staates zu erlangen, in Frage, wenn man keine europäische ethnokulturelle
Herkunft hat. Die mehrrassische Gesellschaft weist nämlich zwei bedeutende
Nachteile auf: zum einen ist sie eine »mehrrassistische« Gesellschaft,
in der die Gettos, der Rassenhaß, alle möglichen sozialen Kämpfe
»blühen«, wie u.a. die USA, Brasilien, Südafrika es zur
Genüge dokumentieren. Zum anderen kommt dieses Gesellschaftsmodell einer
New-Yorkisierung Europas gleich, und zwar gemäß der Logik des planetarischen
Okzidents,wo die Entwurzelung, der narzistische Individualismus, die Durchmechanisierung
und -merkantilisierung des Gesellschaftskörpers, der Verlust der kulturellen
Identität die Regel ausmachen und den Begriff der Staatsbürgerschaft
für die Fremdstämmigen und die Einheimischen abschaffen.
(Ebd., 1988, S. 192).Die mehrrassische Gesellschaft zu beargwöhnen,
ist heute ein Gebot: Weil wir jegliche Form des Rassismus verurteilen; weil wir
der heute durchwegs pathogenen Vermassungsgesellschaft ein gemeinschaftliches
Modell vorziehen und die europäische Kultur respektieren; weil jeder Mensch
ein Recht darauf hat, eine Identität und eine Staatsbürgerschaft zu
erhalten. Die Problematik der mehrrassischen Gesellschaft rückt übrigens
in den Mittelpunkt und wird zur wichtigsten politischen Frage des ausgehenden
Jahrhunderts: die echten Herausforderungen, die neuen Trennungslinien werden nämlich
immer weniger eine »Rechte« und eine »Linke« gegenüberstellen
(diese sozialökonomische Querele ist heute zweitrangig und überholt),
sondern vielmehr die Anhänger des Kosmopolitismus und die der Identität,
die nunmehr sowohl links als auch rechts zu finden sind. (Ebd., 1988, S.
192-193).Was in Europa als »Immigration« bezeichnet
wird, ist nach der Einschätzung Albert Sauvys nichts anderes als eine bevölkernde
Kolonisierung durch die fruchtbaren Länder Asiens und Afrikas. Wir
lassen die Rückbewegung jener Kolonisierung über uns ergehen, die wir
den anderen zugefügt haben. Wenn wir uns nicht vorsehen und unseren demographischen
Rückgang nicht aufhalten, so wird Pierre Chaunu weiterhin behaupten können:
»Europa ist zum Aussterben verurteilt, Europa weiß es aber noch nicht«,
mehr noch, ein größerer Teil der Einwohner Europas, vornehmlich unter
den Jugendlichen, wird zu Beginn des kommenden Jahrhunderts nicht mehr europäischen
Ursprungs, wahrscheinlich auch nicht mehr europäischer »Kultur«
sein. Letztere hat nämlich ihre »enkulturierende« Fähigkeit
eingebüßt, und die eingewanderten Bevölkerungen werden die Wahl
zwischen dem »Maxi-Getto« und der Amerikanisierung haben. Demnach
läuft Europa große Gefahr, seine ethnokulturelle Identität zu
verlieren; und dieser Verlust ist schlimmer als die Akkulturation, als der Kulturwandel
durch Fremdeinfluß, denn er ist nicht wieder gut zu machen. In seiner ganzen
Geschichte war Europa noch nie so in Gefahr, von der Bildfläche zu verschwinden,
wie heute und noch nie waren sich seine Führungskräfte dessen
so wenig bewußt. (Ebd., 1988, S. 193).Zu
einem Zeitpunkt, wo wir uns zweifelsohne zu Recht von den Genoziden
verwirrt und betroffen fühlen, die andere Völker zum Teil oder ganz
treffen bzw. getroffen haben, bleiben wir gleichgültig und blind gegen den
ethnischen, demographischen Genozid, der heute ganz Europa bedroht. (Ebd.,
1988, S. 193).Die
Anhänger der Assimilierung der nach Europa Immigrierten (sowie die ihrer
Integration durch das Getto-System einer plurikulturellen Gesellschaft) wollen
genauso verfahren wie die messianischen Bekehrer der Indianer, die nivellierenden
Jakobiner und vor allem die Kolonisatoren des 19. bzw. des beginnenden 20. Jahrhunderts.
Mit dem Unterschied allerdings, daß sie jetzt uns durchkolonisieren
wollen. Es ist ein bitterer und tragischer Widerspruch der Geschichte, daß
das ex-kolonisierende Europa heute an erster Stelle der endgültig zu kolonisierenden
Völker steht. Und höchste Ironie: die afro-asiatischen Immigranten,
die Söhne also derjenigen, die der Kolonialismus damals zu ethnozidieren
begann und deren Identität er zerstörte, werden heute dazu benutzt,
Europa um den Rest seiner Identität zu bringen, sind heute die Werkzeuge
unserer eigenen »Hyperverwestlichung«! Die mehrrassische Gesellschaft
ist zugleich die Umkehrung und die Fortsetzung der kolonialen Gesellschaft; und
die Vielrassigkeit ist eine Hypostase, eine Erscheinungsform des Kolonialismus.
In beiden Fällen führt der Progressismus, das Fortschrittlertum,
den Reigen, und wir können jetzt begreifen, daß der Kolonialismus lediglich
das Kindesalter der Mehrrassen-Ideologie war. Im Unterbewußtsein der Progressisten
und der Sozialdemokraten muß es doch irgendwo diese Wahnvorstellung
eine Mischung von Masochismus und Alterophobie (Abneigung gegen den Anderen)
geben: Die Südvölker zu kolonisieren, zu verwestlichen und zu entkulturieren
reichte nicht aus, wir müssen sie jetzt zu uns kommen lassen, damit wir zusammen
in einer riesigen kulturellen Orgie uns gegenseitig ent-identifizieren. Wir, die
die Träger eurer Entkulturierung waren, rufen euch jetzt herbei, damit ihr
uns und euch entpersönlicht! (Ebd., 1988, S. 193-194).Die
Ideologie, die die Vielrassenheit heute befürwortet und steuert, ist keineswegs
neu trotz ihres Anspruchs, es zu sein. Das Lehrgebäude der französischen
Republik orientiert sich ausdrücklich an dem »nationalen« Modell
der zentralisierenden Monarchen, das auf der Zwangsangleichung der Volksgruppen
und der Abschaffung ihrer Identitäten gründete. Die Kolonisierung der
Volksgruppen durch den Zentralstaat, der überseeische Kolonialismus und die
heutige Vielrassenheit bzw. Assimilation gehen in Frankreich wie von selbst ineinander
über. Die gegenwärtige »multikulturalistische« Regierungsmacht
setzt lediglich die Lehren ihrer Vorgänger fort. Paradoxerweise ist die französische
Identität Opfer der französischen Ideologie .... (Ebd., 1988,
S. 194).Daß die mehrrassische Gesellschaft
die Gettos schafft und den Rassismus institutionalisiert, wird durch den Umstand
bekräftigt, daß ab einem gewissen Prozentsatz von »Farbigen«
diese ihre Rassenautonomie fordern. Innerhalb der britischen Arbeiterpartei haben
die Neger die Bildung einer »schwarzen Sektion« der Labour Party (einer
echten Partei in der Partei) gefordert und erzielt (Daily Mail, 15. April 1985).
Nach dem belgischen Beispiel, das angesichts des Flamen-Wallonen-Konflikts sämtliche
Institutionen zu doppeln gezwungen ist, machen wir uns allmählich eine Gesellschaft
zurecht, in der alle Bereiche auf die verschiedenen Rassen und Ethnien zugeschnitten
sind. Es erübrigt sich zu sagen, daß das Gemeinschaftsgefühl sowie
die Begriffe des öffentlichen Wohls und Dienstes darunter leiden werden,
daß als soziales Bindemittel nur noch die kaufmännisch-vertraglichen
Beziehungen ökonomischer Interessen bestehen werden. (Ebd., 1988, S.
194-195).Die mehrrassische Gesellschaft
schafft es, den gewöhnlichen Rassismus und die gesellschaftliche Zersetzung
mit der absoluten Herrschaft des täglichen Kosmopolitismus zu überlagern,
und läuft darauf hinaus, alle menschlichen Beziehungen, die nicht auf dem
materiellen Interesse beruhen, abzuschaffen. Die mehrrassische Gesellschaft, deren
Wachstum mit der Verstärkung der liberalkapitalistischen Gesellschaftsform,
dem Aufschwung der neoliberalen Theorien und der allmählichen Verdrängung
der politischen Mächte durch die techno-ökonomischen im Westen zusammenhängt,
ist ebenfalls eine Folgeerscheinung der »Neuen Konsumgesellschaft«,
die durch die Tribalisierung des Gesellschaftskörpers gekennzeichnet ist.
Daraus ergibt sich, daß die einzigen »warmen« Gesellschaftsbeziehungen
die privaten oder intra-ethnischen (intra-tribalen) Bindungen sein werden; was
die Beziehungen und »Verbindungen«, die auf nationaler und makrosozialer
Ebene erfolgen, anbelangt, sie werden immer kälter, anonym, technisch, merkantilisiert
sein. Die mehrrassische Gesellschaft trägt also dazu bei, jenen pathologischen
Zug der heutigen Bevölkerungen hervorzuheben und zu stärken: Zunahme
der Vermassung und des anonymen Individualismus, Abstumpfung der bürgerlichen
Bindungen und des gemeinschaftlichen Altruismus. (Ebd., 1988, S. 195).Denjenigen,
die sagen: »Ganz recht! Wir werden unsere kulturelle und anthropologische
Identität verlieren; na und? Eine neue universale Mischkultur entsteht. Warum
sollen wir sie nicht annehmen?« müssen wir nicht nur auf rationaler
oder moralischer Ebene antworten. Wir müssen auch eine Gegenabsicht
bekunden, das heißt den gleichen Wunsch, den gleichen Willen, den beispielsweise
Afrikaner oder Araber äußern, wenn sie sich einem eventuellen Eindringen
der Europäer widersetzen und ihrer vererbten Identität treu bleiben.
So wie es normal und legitim ist, daß der Araber, der afrikanische Neger,
der Japaner sie selbst bleiben wollen, daß der Afrikaner zwangsläufig
ein Schwarzer oder der Asiat ein Gelber ist, so ist es nämlich legitim, natürlich
und notwendig, daß dem Europäer das Recht zuerkannt wird, die Vielrassenheit
zu verwerfen und sich als Weißer zu behaupten. Diesen Standpunkt als rassistisch
zu bezeichnen, ist eine empörende Zumutung. Die eigentlichen Rassisten sind
vielmehr diejenigen, die in Europa an der Bildung einer mehrrassischen Gesellschaft
arbeiten. (Ebd., 1988, S. 195).Seien
wir logisch! Wir müssen die Ansiedlung farbiger Völker in Europa ebenso
bekämpfen, wie der Kolonialismus bekämpft werden mußte, dem dieselben
farbigen Völker einst durch die Weißen unterzogen worden waren
und zwar im Namen des Antirassismus. Die Geschichte zeigt nämlich, daß
die Gesellschaften, die sich auf die Mischung oder brutale Nebeneinandersetzung
weit entfernter Bevölkerungen gründen, letzten Endes solche Gesellschaften
werden, die vom Geist der Rassenfrage (wie einst bei der sozialen Frage) geplagt
werden, deren unabwendbaren Hintergrund der Massenrassismus, der Alltagsrassismus
bilden wie die USA oder Brasilien es zur Genüge belegen. Die nord-
und südamerikanischen Gesellschaften erbringen den Nachweis dafür, daß
die Assimilierung der einzelnen Ethnien zu einem gemeinschaftlichen und kulturellen
Ganzen mißlingt und daß nur das hierarchisierte Nebeneinander der
Menschengruppen fortbesteht. Glaubt man im Ernst, daß unser gegenwärtiges
soziokulturelles Modell, das nicht einmal bei Alteingesessenen konsensuell wirkt,
äußerst verschiedene Bevölkerungen wird verbinden können?
(Ebd., 1988, S. 196).Im Namen des Antirassismus
müssen wir also die mehrrassische Gesellschaft und ihre Verfechter verurteilen.
Im Namen des Antirassismus müssen wir all diejenigen anprangern, die die
Existenz der Rassen und Identitäten beseitigen wollen und deren Feinde ebenso
der Stammeuropäer wie der auf seine Ethnie stolze Afrikaner sind. Die Anhänger
des mehrrassischen Kosmopolitismus zielen in Wirklichkeit darauf ab, eine höchst
rassistisch geprägte soziale Organisation der Welt zu gründen: Sie wollen
eine planetarische Zivilisation mit westlich-amerikanischer Kultur errichten,
wo die Weißen die Mischlinge und die Farbigen beherrschen (da letztere es
schwer haben werden, sich in das ja »weiße« westliche kulturelle
Modell einzugliedern), wo jedes Land einen heterogenen melting pot darstellt,
in dem eine verwestlichte Kaste herrschen wird. Es handelt sich genau um die weltweite
Ausbreitung des rassistischen Modells der us-amerikanischen Gesellschaft. Teilen,
um zu herrschen. Die Totalitarismen wollen auseinandergesprengte Gemeinschaften.
(Ebd., 1988, S. 196).Aus Antirassismus,
aus Achtung vor den Rassen und den Völkern ziehen wir diesem Modell das Modell
einer heterogenen Welt homogener Völker (und nicht umgekehrt) vor, das
allein die Achtung vor dem Anderen garantieren kann. Man wird in Europa den afrikanischen
oder den arabischen Menschen achten, wenn sie nicht mehr dazu aufgefordert werden,
sich zu integrieren und damit als spezifizierte Menschen zu »verschwinden«
oder in ihre Gettos zu flüchten, wenn sie als Fremde mit eigenem Vaterland,
und nicht als Parias in Assimilationsnöten betrachtet werden können.
(Ebd., 1988, S. 196).Infolge u.a. der Vielrassenheit
vollzog der Rassismus dieses Übel der egalitären Gesellschaften,
das im Assimilationsbestreben der Menschenrechte mitenthalten ist seit
einigen Jahren eine imponierende Rückkehr in die öffentlichen Debatten.
Auf niedrigst biologischer Ebene erörtern heute erklärte Rassisten (im
Privaten, denn das öffentliche Bekenntnis wird, wie früher im Falle
der Homosexualität, bestraft) oder professionelle Antirassisten die Problematik
um die Identität der Völker. Die Rassenfrage erlangt also heute
den gleichen Status wie die soziale Frage und in mancher Hinsicht wie die
sexuelle Frage vor einigen Jahrzehnten. Und tragisches Verhängnis
je mehr man den Rassismus »tabuisiert« und gegen ihn Gesetze
erläßt, desto mehr wird er zur hintergründigen Norm aller Debatten
und alltäglichen Verhaltensweisen .... Der Rassismus, bösartige Endstufe
der zugrunde gehenden Identitäten, wirft seinen Schatten auf jeden von uns.
(Ebd., 1988, S. 197).Die Rassenfrage ist
zum inneren Dämon der westlichen Welt nicht nur durch die Planetarisierung
der Geschichte, die Abschaffung der Entfernungen oder die politischen Verfechter
des Rassismus im 19. und 20. Jahrhundert geworden (in den angelsächsischen
Ländern, in Deutschland und in Frankreich dem Geburtsland des theoretischen
Rassismus, wie Zeev Sternhell es nachgewiesen hat); die Rassenpsychose ist größtenteils
der Sozialdemokratie anzulasten, die sich als »antirassistisch« bekennt,
die aber historisch seit etwa hundert Jahren für den Kolonialismus, später
für den unter dem Deckmantel der »Entkolonisierung« getarnten
Neokolonialismus, schließlich für die Organisierung der Immigration
und der mehrrassischen Gesellschaft in Europa anscheinend verantwortlich ist.
(Ebd., 1988, S. 197).Das ist aber nicht
alles: Ein weiterer Faktor wirkte bei der Ausbreitung der Rassenpsychose. Paradoxer-
und logischerweise sind es die sogenannten antirassistischen Kreise und die militanten
Humanisten, die mit ihrer obsessiven und pathologischen Anprangerung u.a. des
»Faschismus« und des »Nazismus« dazu beigetragen haben,
diese Lehren in Gesellschaften wieder attraktiv und präsent zu machen, wo
sie nach dem Krieg eigentlich verschwunden waren. Wir stehen hier einer der denkbar
schönsten Erscheinungen sozialer Heterotelie gegenüber. (Ebd.,
1988, S. 197).Hitler bleibt am Leben,
als Mythos, dank des Eifers seiner Widersacher, die seine Rückkehr phantasmagorisch
immer wieder verkünden, obwohl er in den 1960er Jahren tatsächlich verschwunden
war. Es vergeht kein Tag, ohne daß eine fragwürdige »historische«
Veröffentlichung über nazistische Untaten, ein werbender Fernsehfilm
über die Deportation, den »Holocaust«, den Widerstand usw. herauskommt.
Die Faszination gegenüber dem Phänomen Faschismus-Rassismus-Nazismus
wirkt sich auf die Medien aus, unter dem pädagogischen Vorwand, die Bevölkerungen
dagegen immun zu machen, oft aber mit dem Hintergedanken, ein gutes finanzielles
Geschäft zu machen, wie die skandalösen und zweifelhaften Affären
um das »Tagebuch der Anne Frank« (eine Fälschung) oder um den
Film »Holocaust« es zeigen. Eine Psychoanalyse dieser vierzig Jahre
danach immer heftiger auftretenden obsessiven Syndrome würde bei den pädagogischen
Anprangerern der Dreiheit Faschismus-Rassismus-Nazismus ein Phänomen der
Anziehung-Abstoßung aufdecken, den ununterdrückbaren Wunsch, »darüber
zu sprechen«, das Bedürfnis, eine Rassenpsychose und einen ausgeprägten
Rassismus zwecks ihrer Erkennung (bei den anderen) sowie ihrer ständigen
Verurteilung gleichzeitig zum Ausdruck zu bringen und zu verdecken. Intellektuelle
wie Jean-Pierre Faye, Bernard-Henri Lévy, Albert Jacquard, André
Taguieff, Simone Weil verbringen ihr Leben damit, imaginäre Hitleristen oder
die Rückkehr Mussolinis hinter der kleinsten neopoujadistischen Bewegung
(nach dem französischen Politiker Pierre Poujade, der die Unzufriedenheit
der Bauern und Kleinhändler mit der Wirtschaftspolitik in den 1950er Jahren
ausnützte und eine politische Partei gründete) aufzustöbern, und
sind eigentlich für die Verbreitung dieses »arischen Mythos«
verantwortlich, für die ideologische »Verrassung« unserer Gesellschaft
und für die Aufrechterhaltung von Hitlers Schatten in der Vorstellungswelt
der heutigen Europäer. (Ebd., 1988, S. 197-198).Ein
solches Syndrom ist mit dem vergleichbar, was für den Sex in den christlichen
Kreisen vor nicht allzu langer Zeit galt. Die »antimasturbatorischen Pfaffen«
unserer Bildungsanstalten, die Schirmherrinnen, die imaginäre Orgien anprangerten,
oder die Familienväter als Homosexuellenaufstöberer (-fahnder, -riecher)
waren von den imaginären Vorfällen, die sie verurteilten, stark angezogen
und sorgten vor allem dafür, daß sie bei anderen faszinierend und verlockend
wirkten. Der von dem Sex oder der Rasse, dem Antisemitismus oder der Päderastie
Besessene verbreitet, indem er sein Psychodrama von Verdächtigungen und Tabus
schafft, seine Besessenheit und seine Begierden und ermöglicht somit das
Auftauchen einer Erscheinung, die er anscheinend verurteilt. In diesem Zusammenhang
ist die unglaubliche Werbungskampagne zugunsten der mehrrassischen Gesellschaft
zu erwähnen, die 1985 in Frankreich mit der Unterstützung der Regierung,
der Vereinigung »SOS-Racisme« und z.T. der Presse gestartet wurde.
Das subtile Ziel dieser Kampagne war zugleich, die französische Identität
zu entwerten (»Frankreich ist wie ein Mofa, es läuft mit Kraftstoffgemisch«),
ethnische (namentlich antiarabische) Spannungen hervorzurufen und die mehrrassische
Gesellschaft als eine Tatsache hinzustellen. Die Jugend war moralisch verpflichtet,
ein (mehrere hunderttausendmal verkauftes) antirassistisches Abzeichen zu tragen;
wer es ablehnte, wurde ausdrücklich beschuldigt. Das überzeugendste
Ergebnis dieser Kampagne war es, die Bevölkerung bezüglich der Rassenfrage,
die somit offiziell erstmals seit 1945 ans Tageslicht kam, gespalten zu haben
und die Zahl der Befürworter einer brutalen Abschiebung der Farbigen erheblich
zu steigern .... Wir können sogar die Ansicht vertreten, daß seit 1985
Frankreich das erste Land Europas ist, wo die Rassenfrage offen und ausdrücklich
gestellt ist, wo die Identitätsfrage eine ethnische und biologische Formulierung
erfährt und wo der Rassismus zu einer gewöhnlichen Denkungsart wurde,
übrigens sowohl bei den Farbigen wie auch bei den anderen. (Ebd., 1988,
S. 198).Eine faszinierende Atmosphäre
der »Tabuisierung« des Phänomens vornehmlich bei den jungen Generationen
zu schaffen, war nämlich eines der wichtigsten soziologischen Ergebnisse,
die B.-H. Lévy, A. Taguieff und Genossen (übrigens in der Folge von
Hannah Arendt) mit ihrer Ankündigung von der Rückkehr des »Ausschwitz-Geistes«
erzielten. Das »Hitler-kenn-ich-nicht« hätte gegen eine Wiedergeburt
rassistischer oder faschistischer Lehren dadurch immunisieren können, daß
sie in Vergessenheit oder in der Fadheit der Nostalgie untergegangen wären;
statt dessen hat die ständige Warnung vor einer unmittelbar bevorstehenden
»Wiedergeburt der widerlichen Bestie« sachlich betrachtet
wieder neonazistische Sekten ins Leben gerufen. Auch die stupide Litanei über
das Thema »Es gibt keine Rasse« hat selbstverständlich eine rassistische
Gegenoffensive gefördert. Die Warnung vor dem »großen-blonden-arischen-Nazi-Rassisten«
ließ eine pathologische Faszination für diesen Mythos aufkommen, den
man auszutreiben vorgab. Die Schriften eines Bernard-Henri Lévy zeugen
von einer verdächtigen Faszination für die arische Thematik sowie von
einem impliziten Protest gegen die Barbarität all dessen, was aus einer »reinen«
europäischen Kultur hervorgehen würde. (Ebd., 1988, S. 198-199).
Die Rassenpsychose der herrschenden Ideologien
Die
unzähligen ermahnenden Reden über den Rassismus, den Faschismus, den
Nazismus; die ständige Suggerierung der angeblichen Wiedergeburt eines Massenantisemitismus;
die immer wiederkehrende stupide Assoziierung des blonden, gewalttätigen,
rassistischen, rechtsradikalen Ariers mit seinem in der Gestalt eines Juden oder
eines Südländers dargestellten Opfers tragen dazu bei, im öffentlichen
Geist eine Art »negativen arischen Mythos« zu pflegen und zu entfalten,
der sich aber genauso wie der »positive arische Mythos« auswirkt.
(Ebd., 1988, S. 199).Eine Parallele kann
diesbezüglich gezogen werden: So wie die westlichen und die »Volksdemokratien«
bestrebt sind, sich zu legitimieren, ihre großartigen Pleiten in den Schatten
zu stellen und das Blut, das ihnen seit 1945 an den Händen klebt, zu waschen
(indem sie den »faschistischen Totalitarismus« als phantasmagorischen
Feind anzeigen), so findet unsere Gesellschaft kein Ende, ihren Sieg über
Hitler und Mussolini zu feiern, und zwar um die gegenwärtigen Fragen zu verdecken,
die sie konkret nicht lösen kann: »Der Schoß der widerlichen
Bestie ist immer noch fruchtbar«, so lautet gemäß Brechts
berühmter Formel der gründende und legitimierende Mythos einer
Gesellschaft, die sich selbst nur noch damit rechtfertigen kann, daß sie
sich als Bollwerk gegen einen latenten, jederzeit erstehbaren, nie besiegten Faschismus-Rassismus-Nazismus
aufstellt. (Ebd., 1988, S. 199).Der
Mythos des latenten Faschismus schließt die Vorstellung in sich, daß
die europäische insbesondere aber die französische und die deutsche
Kultur vom Wesen her schuldig sei, solche »Teufel« hervorzubringen
(für die Autoren B.-H. Lévy und André Glucksmann ist ein identitäres
und autonomes Europa barbarisch), und daß sie demnach unter Aufsicht bleiben
und durch den Kosmopolitismus ihre kulturelle und ethnische Identität
verlieren müsse. (Diesen Standpunkt vertritt ebenfalls die Kirche, die aus
Moralität die Adoption außereuropäischer Kinder befürwortet
oder die Rassenkreuzung ermutigt.) Dieser Mythos ermöglicht aber auch, die
Schandtaten zu banalisieren und in den Schatten zu stellen, welche die westlichen,
aber auch die kommunistischen Staaten seit Dresden und Hiroshima immer wieder
begangen haben: abgeschobene oder niedergemetzelte Bevölkerungen nach dem
Krieg in Europa, Bürgschaft für die willkürlichen Annexionen der
Sowjetunion, das sowjetische System der Gulags, unzählige Kriegsverbrechen
durch die westlichen und die kommunistischen Staaten bei sämtlichen Konflikten,
die seit 1950 die Welt erschüttert haben usw.. Kurzum, die seit dem Krieg
einbalsamierte, sorgfältig gepflegte Leiche Hitlers kommt dieser riesigen
ideologisch-politischen Bewegung, die als »egalitär, humanitaristisch
und demokratistisch« zu bezeichnen ist, zugute. Sie umfaßt von den
Kommunisten bis hin zu den Liberalen alle Mitwirkenden der sogenannten antifaschistischen
»Front«, alle Erben des Judäo-Christentums, dessen Hände
- wenn auch trocken - ebenfalls mit Blut befleckt sind. Hitlers Leiche dient dazu,
den impliziten Totalitarismus dieser Bewegung zu legitimieren, die Tragweite ihrer
Untaten zu bagatellisieren. Die letzten wären die von Israel im Libanon begangenen
Kriegsverbrechen und Völkermordversuche, die wir aber entschuldigen müssen,
weil sie die Tat der »Auschwitz-Überlebenden« sind. (Ebd.,
1988, S. 199-200).Hitler ist noch nie so oft auf dem französischen
Bildschirm erschienen wie seit der Machtübernahme durch die Sozialisten 1981.
Diese Bombardierung durch die Medien hat natürlich eine ganz andere Wirkung
als die angestrebte. Rassismus, Antisemitismus und Hitlerismus siedeln sich in
der kollektiven Vorstellungswelt als dämonische Anwesenheit, als teuflische
Mythemen an, die, selbst wenn sie nicht sofort verlocken, dennoch im Unterbewußtsein
präsent bleiben. (Ebd., 1988, S. 200).Paradoxerweise
sind es also die »Anprangerer« des Nazismus, die für dessen Fortbestand
sorgten, ihn sogar in Form des Mythos verstärkten und damit dem schaurigen
Martin Bormann a posteriori Recht gaben .... Die pädagomanische Wut,
den Rassismus und den Antisemitismus selbst und vor allem dort, wo sie
glücklicherweise nicht anzutreffen sind, zu verurteilen und zu verfolgen,
kristallisiert endgültig deren Vorstellung im Volksbewußtsein. Manche
Leute, die bislang zwischen einem Juden und einem Nicht-Juden keinen Unterschied
(jedenfalls keinen größeren als zwischen einem Katholiken und einem
Evangelischen, einem Bretonen und einem Antilleneinwohner) machten, erfuhren durch
die Lehrer der Antisemitismusbekämpfung, daß der Jude möglicherweise
kein Bürger wie jeder andere ist, die Judenheit keine Eigenheit wie jede
andere darstellt und der Antisemitismus eine »besondere« (gesteigerte)
Erscheinungsform des Rassismus ist. Otto Straßer und Edouard Drumont hätten
sich nichts Besseres erhoffen können. Die seit Beginn der 1970er Jahre gestarteten
obsessiven Feldzüge gegen den Rassismus und den Antisemitismus führten
dazu, den Juden anzuzeigen und die gesellschaftlichen Verhältnisse zu
»verrassen«. (Ebd., 1988, S. 200).Was
die neonazistischen Sekten nicht schafften, wurde von den »anti-rassistischen«
Kreisen und den Sektierern der Menschenrechte vollbracht. Es war zwar nicht ihre
Absicht das muß man ihnen lassen. Sie waren eher dumm (bzw.
michelig; HB) als pervers. Im Bereich der politischen Propaganda ist
die Dummheit aber unverzeihbar, weil sie zu den schlimmsten und unerwartetsten
Ergebnissen führen kann. Diese Ergebnisse sind heute offensichtlich: der
Antisemitismus greift nicht nur in Frankreich wieder um sich, und
zwar um so schneller, als er die verdächtige Saftigkeit der verbotenen Frucht
bekommt. Was den gewöhnlichen Rassismus anbelangt, erübrigt es sich
sogar, auf seine Ausprägung hinzuweisen .... (Ebd., 1988, S. 201).Über
die Verblendung hinaus ist es dennoch möglich, bei den Professionellen des
Antirassismus manche unklare Appetenzen zu entdecken. Die zahlreichen Schnitzer
eines Albert Jacquard (**) über
die »blonden Arier« und die »Immigranten, die wie Hunde reagieren«,
die hitleromanischen Phantasmen eines Bernard-Henry Lévy, dessen letzter
Roman eine Anthologie nazimorpher Obsession ist, das Toben eines Pierre-André
Taguieff gegen den Hitlerfaschismus, den er hinter jeder Tür vermutet wie
die alten Jungfern den Vergewaltiger hat dies alles nicht mehr oder weniger
mit einem verdrängten Wunsch zu tun? Eine negative Faszination freilich,
die aber auf einen immer bedeutenderen Markt von Faszinierten trifft da
diese blühenden zweifelhaften Schriften angeblich zur besseren Darstellung
der »Nazi-Gefahr« ihre »historischen« Aspekte offenbaren
wollen. (Ebd., 1988, S. 201).
Anläßlich
einer Fernsehsendung des zweiten französischen Programms, die wieder
einmal dem Rassismus gewidmet war. Albert Jacquart, der ein Genetiker sein
will, in Wirklichkeit aber zum Spott der naturwissenschaftlichen Kreise wurde,
versucht seit über zehn Jahren die Franzosen davon zu überzeugen, daß
es keine Rassen gebe, tritt aber immer wieder als Verfechter der mehrrassischen
Gesellschaft auf, um diese Gegen-Evidenz zu beweisen. Entweder gibt es sie, oder
es gibt sie nicht .... (Ebd.). |
Der Antirassismus als Träger des Rassismus
Der
rassistische Gedanke, der die Kraft und Form eines Archetyps erhalten hat, bleibt
nun im Pantheon der Werte als möglicher Rückgriff. So wie die
Christen Anlaß zu schwarzen Messen und dämonischen Kulten geben, so
geben unsere lieben »Demokraten« und unsere vom antirassistischen
Fraternalismus Besessenen Anlaß zur Entstehung einer rassistischen »Kultur«.
In vielen Fällen schafft heute der Antirassismus den Rassismus und
nicht umgekehrt. Genauer gesagt: Indem der Antirassismus zu Unrecht und systematisch
als »rassistisch« entweder durchweg klassische xenophobe Verhaltensweisen
bezeichnet, bei denen der Rassenhaß ursprünglich nicht anzutreffen
ist, oder alltäglich soziale Haltungen, die von jeglichem Rassismus frei
sind, trägt er letzten Endes dazu bei, die besagten Verhaltensweisen wirklich
rassistisch zu machen. Auch die von den besessenen Antirassismus-Jägern geschaffene
Atmosphäre rassistischer Verdächtigung läßt die Farbigen
vermuten, daß sie überall der Diskriminierung ausgesetzt sind, was
sie soziologisch dazu bewegt, sich selbst auf rassistisch diskriminierende Weise
zu verhalten. (Ebd., 1988, S. 201-202).Daraus
ergibt sich der äußerst nachteilige Umstand, daß jede Behauptung
von einer europäischen Identität Gefahr läuft, als »rassistisch«
diskreditiert zu werden. Und das ist überhaupt die Krone des Ganzen, da der
Rassismus die Wertminderung des Anderen bezeichnet, und nicht die Selbstbehauptung.
Es gilt also, als Anstifter zum Rassismus all diejenigen anzuzeigen, die eine
Beziehung zwischen der durchaus legitimen Behauptung von einer europäischen
ethnischen Identität und dem Rassismus herzustellen versuchen. (Ebd.,
1988, S. 202).Alle Europäer leiden
in unterschiedlichem Maße an Selbstbeschuldigung. Diese tritt bei antirassistischen
Psychosen in Erscheinung, die sich der Medien und der Öffentlichkeit bemächtigen,
sobald eine Affäre um einen Außereuropäer zum Gegenstand der gerichtlichen
Chronik wird. Das antirassistische Drama nimmt pathologische Formen an und wirkt
sich als eine Art krankhafte Autotherapie der Gesellschaft aus. Es geht darum,
einen Dämon, den man in sich trägt, auszutreiben: indem man einen imaginären
Rassismus (die Flut von sogenannten rassistischen »Verbrechen« im
Zusammenhang mit den alltäglichen Schlägereien) verurteilt oder indem
man sich behördlicherseits weigert, die von den Außereuropäern
begangenen Delikte zu bestrafen aus Angst, der schweren Sünde verdächtigt
zu werden. Dieses masochistische Syndrom verschärft noch den Massenrassismus.
(Ebd., 1988, S. 202).Die politischen und
ideologischen Kreise, denen es an der Entwurzelung der Europäer, an ihrem
Identitätsverlust viel liegt, spielen eine besonders aktive Rolle bei der
Verschärfung dieses Rassismus, und zwar gemäß einer doppelten
Strategie: zum einen fördern sie die mehrrassische und kosmopolitische Gesellschaftsform,
die die Gettos aufrechterhält sowie die Entwurzelung der In- und Ausländer
pflegt; zum anderen rufen sie einen Volksrassismus hervor, indem sie die Behörden
wie die Bürger dazu anregen, die Gesetze gegen die Fremdländischen nicht
anzuwenden; indem sie mit subtilen Pressekampagnen Europäer und Fremde gegeneinander
hetzen; kurzum indem sie sich ständig über den »bösen Wolf«
auslassen, um eben den Wolf kommen zu lassen. Diese Strategie zielt darauf ab,
die europäische Gesellschaft in eine Dublette der zugleich mehrrassischen
und mehrrassistischen us-amerikanischen Gesellschaft zu verwandeln. Gemäß
dem Beispiel der US-Amerikaner müssen die Europäer identitätslose
Individuen werden, die in ihrem ethnischen Gefängnis eingesperrt sind und
durch die westlich-materialistische Lebensweise oder durch die »Kommunikation«
eines schwachsinnigen audiovisuellen Apparats verbunden werden sollen. (Ebd.,
1988, S. 202).Wird man sich dieser Realität
bewußt, so kann man die Problematik des Rassismus, so wie sie von offizieller
Seite dargelegt wird, auf den Kopf stellen. Der Rassismus ist auf der Seite derer,
die für Europa und eventuell für weitere historische Gebilde eine mehrrassische
Gesellschaftsform anstreben; der Rassismus ist auf der Seite derer, die sich das
Monopol für den Antirassismus anmaßen; der Rassismus ist auf der Seite
derer, die Rassenzugehörigkeit und -bewußtsein, d.h. die Ethnizität
der Weltvölker, entwerten, die die Rassen (ein nach wie vor unschätzbarer
Reichtum der Menschengattung) zu beseitigen gedenken, indem sie sie auf die Stufe
bloßer individueller biologischer Kategorien, auf die Stufe bloßer
ethnographischer, oberflächlicher »Kuriositäten« erniedrigen
wollen. Der Rassismus ist auf der Seite derer, die uns weismachen wollen, daß
die Anerkennung des Rassenkomplexes und der ethnischen Identitäten zum xenophoben
Superioritätskomplex führe während in Wirklichkeit die Verachtung
der anderen Rassen, der Superiorismus wie der Rassenhaß in Gesellschaften
egalitärer Nebeneinanderstellung der Rassen (USA) aufkommen. Kurzum, der
Rassismus ist auf der Seite derer, welche die im biokulturellen Sinne aufgefaßte
ethnische Identität zugunsten von falschen, entkulturierenden und primitiven
Zugehörigkeiten entwerten: rein politische Modelle (»westliche Demokratie«,
»Zivilisation der Menschenrechte« usw.) oder schlimmer
ökonomische (»Sozialismus«, »Freie Welt« usw.).
(Ebd., 1988, S. 203).Der echte
Widerstand gegen den Rassismus bedingt vielmehr, daß die Bekräftigung
des ethnischen Bewußtseins und der ethnischen Tatsache von allen Völkern,
auch von dem eigenen, als legitim anerkannt wird. Das Recht auf Identität
bedeutet für ein Volk auch das Recht auf eine relative ethnische Homogenität
und das Recht auf eine Territorialität, das heißt auf eine Souveränität
über eine politische Einheit, so daß die Ethnizität und das unabhängige
territoriale Gebilde eindeutig zusammenfallen; das Recht eines Volkes auf Identität
ist nämlich nicht gewährleistet, wenn es innerhalb einer umfangreichen
politischen Einheit mit anderen Minderheiten zusammenlebt und wenn es nicht die
Souveränität über ein Gebiet hat, in dem seine Ethnie am meisten
vertreten ist. Eine Nebeneinandersetzung von Ethnien im Rahmen einer »Makrogesellschaft«
führt systematisch zu einem sozialen Mosaik, wo die Gettos, der Rassenhaß,
der kulturelle und religiöse Haß herrschen. Die USA, der Libanon, die
westafrikanischen Länder, Südafrika, die Sowjetunion machen die Schädlichkeit
des ethnischen Zusammenlebens anschaulich und bringen tribalisierte Nationen zur
Schau, wo der Innenkolonialismus herrscht. (Ebd., 1988, S. 203).
Die Ethnizität als Mittel gegen den Rassismus
Eine
der negativsten politischen Nachwirkungen, die die Vielrassigkeit und der ihr
innewohnende Rassismus verursachen, ist die Verschärfung des antiarabischen
Rassismus. Dieser, als unmittelbare Folge einer starken arabisch-moslemischen
Präsenz in Westeuropa, kommt bestimmten politischen und strategischen Interessengruppen
zugute; denjenigen nämlich, denen viel daran liegt, jegliche euroarabische
Zusammenarbeit auf längere Sicht zu verhindern. Eine groß angelegte
euroarabische Freundschaftspolitik gefährdet zum einen die Interessen des
Kondominiums von USA und UdSSR im Mittelmeerraum. (Ebd., 1988, S. 204).Die
Wiedergeburt des Islams das bedeutendste politische Ereignis in der Welt
seit 1945 stört zum anderen erheblich die Strategie des Zionismus,
dessen antiarabische und -moslemische Politik sich anläßlich der libanesischen
Tragödie im rechten Licht gezeigt hat. Es ist kein Zufall, wenn der antiarabische
Rassismus zu einem Zeitpunkt wieder zunimmt, wo dieses »arme«, geteilte,
von den Blöcken unterworfene Europa im Westen um den Atlantismus,
den US-Amerikanismus und den Zionismus neu angeordnet wird. (Ebd., 1988,
S. 204).Die Anhänger eines aggressiven antiarabischen Rassismus,
genauso wie die angeblichen Antirassisten, die ohne Araber zu sein, sich
das Recht anmaßen, sie zu »beschützen«, und die mit viel
Geschick zur Vielrassigkeit »anstiften«, um dafür eine antiarabische
Verwerfung hervorzurufen sind die gleichen, die die Idee eines us-amerikanischen
Europas verfechten, die den israelischen Imperialismus unterstützen, die
die Palästinenser oder moslemischen Aktivisten als Kriminelle hinstellen,
die kurzum alles daran setzen, um die Europäer von den Arabern zu trennen.
Sie wissen nur zu gut, daß eine euroarabische Solidarität, eine weltweit
auf die arabische und die europäische Einheit angelegte Politik mit dem Zusammenleben
mehrerer Kulturen unvereinbar sind und daß man die Regel »Jeder an
seinem Herd« übertreten muß, wenn man die Freundschaft zwischen
zwei Völkergruppen lösen will. Was für die Araber gilt, gilt auch
für sämtliche Völker der Dritten Welt: die Anhänger der mehrrassischen
Gesellschaft treiben die europäischen Bevölkerungen zu einer Logik des
Hasses auf alle, die im 21. Jahrhundert unsere Verbündeten gegen die beiden
Blöcke werden müßten. Sie wollen uns auf den Weg der USA zwingen,
dieser riesigen mehrrassischen Gesellschaft, deren gesamte Politik auf der Logik
des Antagonismus zwischen Dritter Welt und westlichem Imperialismus aufgebaut
ist. (Ebd., 1988, S. 204).
Der Ethnozid der Europäer
Neben
der Gefahr der mehrrassischen Gesellschaft und dem Verlust ihrer anthropologischen
Identität betrifft die zweite Herausforderung, mit der sich die europäische
Zivilisation auseinanderzusetzen hat, die Aufgabe der eigenen Kultur und den Verzicht
darauf, sich eine neue zu geben. (Ebd., 1988, S. 205).
Die Hintansetzung der deutschen und der griechischen Kultur
Deutschland
symbolisiert im heutigen Europa die Verdrängung aus dem Erbe, die systematische
Entkulturierung, die Untreue gegenüber der Herkunft. Das von beiden Jalta-Komplizen
auseinandergenommene Deutschland war das Labor der Amnesie, ein Symbol für
den gemeinsam von UdSSR und USA gestarteten Versuch einer Auslöschung
der europäischen Identität. Das Vaterland Goethes, Mozarts, Hölderlins
wurde zur Figur des europäischen kulturellen Martyriums, wurde der Ort, wo
sich die vorsätzliche und programmierte Zerstörung der kulturellen und
nationalen Identität am wirksamsten herausgestellt hat. Darum wird möglicherweise
aus Deutschland der stärkste Widerstand gegen diese identitäre Entwurzelung
hervorgehen; eine Bewegung, die vielleicht zur Volksbewegung werden und das übrige
Europa nach sich ziehen wird .... Der Verlust der kulturellen Identität,
der den Europäern droht, sowie der Versuch, sie um ihre Herkunft insbesondere
ihre »griechische«, »homerische« zu bringen, bildet
die akuteste Gefahr, uns aus der Geschichte zu verdrängen, an uns einen endgültigen
Ethnozid zu begehen, und zwar mit einer schrecklicheren Wirksamkeit als die politisch-militärische
Neutralisierung oder die wirtschaftliche Kolonisierung, denen wir ebenfalls zum
Opfer gefallen sind. (Ebd., 1988, S. 205).In seiner Einführung
in die Metaphysik erklärt Heidegger, daß ein Volk in die Geschichte
mit der Poesie eintritt, die seinen logos und seine Sprache gründet
und die es gleichzeitig als Volk gründet. Und wir Europäer, erklärt
er ferner, begannen mit den homerischen Dichtern und den vorsokratischen Philosophen
als solche zu existieren. Was spielt sich aber heute ab, welche Bedeutung kommt
dem kulturellen Krieg zu, der Europa gemacht wird, damit es als solches zu existieren
aufhört wenn nicht der Versuch, in unserem Gedächtnis Parmenides,
Heraklit und Homer durch die Bibel und die Propheten zu ersetzen?
(Ebd., 1988, S. 205).Deutschland und die deutsche Kultur sind natürlich
den heftigsten Angriffen ausgesetzt, sofern sie »am griechischsten«
sind, sofern sie zum metaphysischen Volk, dem philosophisch »hütenden«
Volk Europas, dem geopolitischen Volk der Mitte gehören. (Ebd., 1988,
S. 206).Die deutsche Kultur, ihre Philosophen und vor allem ihre
Dichter in den riesigen lauwarmen Ozean der westlichen Zivilisation (d.h. des
Sammelsuriums, das in den USA seit hundert Jahren zustande gekommen ist) zu versenken,
das ist die Garantie dafür, daß sich die Deutschen und die übrigen
Europäer affektiv nicht mehr auf ihr Erbe berufen werden, daß ihr Gedächtnis
nicht mehr in ihrem Erbe wurzeln wird, sondern in der Kaugummi-Kultur der us-amerikanischen
Cowboys, Rocker, Pastoren oder Trucker. Die Deutschen und die übrigen Europäer
werden endgültig zu existieren aufgehört haben, wenn sie die Überzeugung
gewonnen haben, daß sie die Söhne der »Menschheit« seien,
daß ihre Kultur ebenso von Hollywood und Milton Friedman wie von Parmenides
oder Hölderlin herstamme. (Ebd., 1988, S. 206).Nach
Bernard-Henry Lévy dozierte Jacques Attali, der Berater von Präsident
Mitterrand, daß es »keine europäische Identität gibt«.
Die Verbissenheit, mit der manche Kreise jegliche Bekräftigung einer spezifischen
Kultur und Anthropologie unterbinden, erscheint als eine neuere gesellschaftspolitische
Erscheinung von besonderer Bedeutung. Europa existiert nicht, sagen sie, Europa
ist nur die »B-Zone« des Westens. Europa hat überhaupt niemals
existiert, es ist lediglich das Produkt von Kreuzungen, von melting pots.
Die Hervorhebung des trügerischen Umstands, daß Europa stets kosmopolitisch
gewesen sei und eigentlich zu keiner Zeit eine, seine Spezifität gefunden
habe, zielt natürlich darauf hin, die augenblickliche Zerstörung unserer
Identität durch den Kosmopolitismus als normale und positive Fortsetzung
dessen hinzustellen, was seit jeher gewesen sei. (Dieselben Kreise, die jegliche
europäische Persönlichkeit verleugnen, erkennen dagegen oft eine »[us-]amerikanische
Identität« an, obwohl die USA gerade auf der Idee der Plurikulturalität
gründen!). Der »Identitätskrieg« beherrscht demnach unsere
Jahrhundertwende. Es handelt sich um einen kulturellen, politischen, geopolitischen,
anthropologischen und vor allem ideologischen Krieg. Für oder gegen
die Identität? So lautet die »große« Frage, die heute,
ausdrücklich oder nicht, sämtliche ideologischen Debatten beseelt. Seitdem
die französische »Neue Rechte« als Losungswort das »Recht
auf Verschiedenheit« verlangte, wurde dieses überall aufgegriffene
Thema zu einem der Dreh- und Angelpunkte der neuen Gruppierungen und Debatten.
Da sie diesem »Recht auf Verschiedenheit« nichts entgegenzusetzen
hatten, versuchten allerdings die Gegner der Identität der Völker
die Anhänger des Kosmopolitismus, die ja zugleich die Erben des Individualismus,
des Liberalismus und der sogenannten Menschenrechte sind es auf recht geschickte
Weise von innen zu neutralisieren. Wie? Indem sie es als Recht auf individuelle
Verschiedenheit auffaßten. (Ebd., 1988, S. 206).Aus
der Sicht einer identitären Ideologie der Verwurzelung kann eine derart verzerrende
Auffassung der »Verschiedenheit« überhaupt nichts werden. Die
u.a. auch von Genetikern verfochtene Lehre von der individuellen Verschiedenheit
liegt allen Gesellschaften, die nichts anderes als Mosaiken und tribalisierte
Additionen von Gettos darstellen, zugrunde und befindet sich genau in der Linie
der heute voll im Angriff liegenden okzidentalistisch-us-amerikanischen Ideologie.
Das Recht auf Verschiedenheit ist unter dem Aspekt einer gemeinsamen Verschiedenheit
aufzufassen. Das »Recht auf Verschiedenheit« ist in erster Linie das
Recht auf Zugehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer Volksgemeinschaft.
(Ebd., 1988, S. 207).
Das Dogma von der Einheit des Menschengeschlechts
Zu
den Dogmen des jüdisch-christlichen Universalismus, die die Identität
der Völker besonders gefährden, gehört das von der Einheit des
Menschengeschlechts, wobei letzteres als metaphysische Substanz begriffen
wird. Diese Idee der einzigartigen Menschheit (eine Addition von Individuen und
Kindern desselben Gottvaters), die anormale und nur vorläufige Zugehörigkeiten
verwerfen soll, rührt von der biblischen Menschenauffassung einer
offensichtlich ethnozidären und totalitären Auffassung her. Die
biblische Argumentation drängt eine Weltanschauung auf, wo das Absolute gegenüber
den besonderen Vorstellungen entscheidend ist, wo die Betrachtung vom Allgemeinen
zum Besonderen bei ausbleibender Wechselbeziehung führt: das
Besondere befindet sich stets in einem entwerteten Unterhalb. Diese der Weltanschauung
der europäischen Paganismen völlig entgegengesetzte Argumentation »leitet
das, was wir über das Besondere wissen können, von dem ab, was wir über
das Absolute wissen sollen« (Alain de Benoist, Pour une déclaration
du droit des peuples, 1982, a.a.O.) ihr wird jedoch gegenwärtig
von der gesamten Biologie, Anthropologie und Physik widersprochen. In der Genesis
und in der Lehre der Kirchenväter gründet sowohl dieser ethnozidäre
Mythos von der Einheit des Menschengeschlechts wie auch der Archetypus eines universalen
Menschen (einer monogenetischen Wesenheit aus demselben Stamm); und dieses Modell
führt zur Entwertung der Identitäten. (Ebd., 1988, S. 207).Der
Rassismus, kennzeichnende Haltung der egalitären und entwurzelten Gesellschaften,
gründet u.a. in diesem biblischen und christlichen Begriff von der Einheit
des Menschengeschlechts. In der Tat: Selbst wenn die Besonderheiten der einzelnen
Menschengruppen zugunsten eines »neutralen« und »allgemeingültigen«
Modells (die Menschheit, die göttliche Filiation, der adamische Mythos usw.)
herabgesetzt werden, bleibt dennoch dieses als überlegen geltende Modell,
nach dem sich zu richten alle aufgefordert sind, das Modell einer geoffenbarten
Wahrheit, die ursprünglich nur einer Minderheit eigen war: das Gesetz Jahwes,
die Lehre der Kirche und heute, in der Folge, die Zivilisation des jüdisch-christianisierten
Westens. (Ebd., 1988, S. 207-208).Das
»Recht« aller Menschen auf die christliche Taufe und später
auf die »Zivilisation« (Ideologie der Menschenrechte) zu bekräftigen,
heißt also implizit zugeben, daß ihr eigenes ethnisch-kulturelles
Modell unterlegen ist und daß sie sich an dem Minderheitsmodell der Bibel,
dann des Okzidents zu orientieren haben. Wenn der jüdisch-christliche Universalismus
tatsächlich der Nährboden des Rassismus (sowohl der Assimilation wie
auch der Superiorität) ist, so müssen sich die Europäer heute dessen
bewußt werden, daß ein solcher Rassismus, wenn er einst zu ihren Gunsten
und auf Kosten der kolonisierten Völker arbeitete, heute infolge einer ironischen
Umkehrung eben gegen die europäische Identität wirkt, die ihrerseits
zugunsten der mehrrassischen (d.h. der arassischen) Gesellschaft und des
kulturellen Zusammenbrauens eines planetarisch gewordenen Okzidents verschwinden
soll. Auch wenn Blandine Barret-Kriegel zu Recht behaupten konnte, daß »die
Vorstellung vom Menschen biblisch ist« (a.a.O.), müssen wir sofort
hinzufügen, daß diese Vorstellung rassistisch und für die in ihrem
Namen begangenen Geno- und Ethnozide verantwortlich ist und daß diese Vorstellung
auf keiner Tatsache beruht. Der Gattungsbegriff »Mensch« ist nämlich
nicht menschlich; er ist zoologisch. Das gesamte paganische Denken (hierbei
von der Ethologie und der Anthropologie bestätigt) betont dagegen, daß
die Völker und die Menschen, die hauptsächliche Realität
der menschlichen Erscheinung, eine biokulturelle und nicht mehr zoologische Realität
darstellt, daß die Kulturen und die Personen sich selbst bauen, indem sie
der rein tierischen Realität einer »Menschheit« entgehen. Letztere
fassen die Genetiker übrigens immer mehr als polygenetisch auf; das
heißt, daß sie auf mehrere genetische, vor der Homo-sapiens-Stufe
differenzierte Quellen zurückgeht und daß sie gleich den übrigen
lebenden Gattungen dazu berufen ist, sich zu differenzieren und zu stauden.
(Ebd., 1988, S. 208).Robert Jaulin, Edmund
Leach und viele andere hoben hervor, daß die modernen Totalitarismen, die
Ethnozentrismen, die Alterophobie (Negierung der Identität des Anderen durch
Angleichung an sich selbst) ihren Ursprung in dem biblischen Universalismus und
seiner progressistischen Auffassung der Geschichte (Eschatologie zur Abschaffung
der Unterschiede) hat und daß das heutige Europa paradoxerweise den Ideologien
zum Opfer fällt, die es verehrt und zur Unterwerfung der anderen benutzt
hatte. Der Biblismus, der dem Anderen (dem Heiden oder dem Moslem) seine Religion
verwehrte; der Jakobinismus, der die Legitimität der ethnischen Partikularismen
bestritt; der progressistische Okzidentalismus, der im Namen der Menschenrechte
(weltliche Version der christlichen Nächstenliebe) die Indianer von ihrer
Indianität und die Afrikaner von ihrem Tribalismus »befreien«
wollte, kehren nun ihre ethnozidäre Logik gegen die Europäer selbst;
ihnen spricht heute dieselbe Ideologie das Recht auf Bekräftigung ihrer kulturellen
Identität ab, das Recht auf Bewahrung ihrer Ethnizität und sogar ihrer
politischen Souveränität. (Ebd., 1988, S. 208-209).Der
Okzident ist schon deshalb ethnozidär, weil er bekehrungssüchtig ist
und weil diese Proselytenmacherei die tragische Verbindung des früheren expansiven
Dynamismus der Europäer mit dem jüdisch-christlichen Universalismus
ist. Die westliche Zivilisation, die sich als moralische Lehre, als Pastoraltheologie
versteht, begann mit der Christianisierung Europa zu entkulturieren. Es wundert
also nicht, daß dieses okzidentalisierte Europa als Stätte des
sogenannten Eröffnungsethnozids und seine Verlängerung (UdSSR-USA)
den anderen den gleichen Ethnozid zufügt, den es selbst aussteht. (Ebd.,
1988, S. 209).Da sich nun aber der planetarisch
werdende Okzident gegen seine Geburtsstätte Europa wendet, erfahren die Europäer
sozusagen ihren zweiten Ethnozid. Der erste war das Werk der Christianisierung
(Einführung einer dem lokalen Heidentum fremden Mentalität); der zweite
war das Werk der Okzidentalisierung, der gegenwärtigen Mundialisierung, mit
ihrer doppelten Logik der endgültigen Identitätszerstörung: mehrrassische
Gesellschaft und (US-)Amerikanisierung. (Ebd.,
1988, S. 209).Der erste Ethnozid, welcher
der Einbürgerung des Christentums entsprach, war nicht völlig zerstörend,
weil das religiöse Zeitalter des Christentums, vor allem mit dem Katholizismus,
ein Synkretismus europäischer und heidnischer Werte war. Das »christliche«
Europa blieb Europa, wenn auch eingeschränkt. Der zweite dagegen ist mit
einem radikalen Identitätsverlust gleichzusetzen, da wir das Judäo-Christentum
in seiner Vollendung, d.h. die eigentliche Essenz des Biblismus erdulden: den
Aufbau der Weltkirche in Form der entwurzelten Welt-Gesellschaft. (Ebd.,
1988, S. 209).Im Hinblick auf den zweiten Ethnozid schreibt Pierre
Bérard: »Die Verstoßung des Anderen stellt die offensichtlichste
Äußerung von Alterophobie dar. Der Ethnozentrismus äußert
sich aber auf eine subtilere, da anscheinend weniger polemische Weise; es handelt
sich um die Negierung des Anderen durch Angleichung an sich selbst. Die negierende
Handlung stellt hier den Anderen als nicht-fern, als identisch hin, so daß
die Möglichkeit, das Problem der Verschiedenheit zu erörtern und die
Identität sowie die Originalität der anderen Kultur nicht mehr gegeben
ist. Diese Halluzination, sofern man sich in der Andersheit spiegelt, sich in
dem »Anderen« sieht, hat mit »externer Autoskopie« zu
tun. Ideologisch gesehen wird sie von einer noumenalen, einer bloß gedachten
Auffassung der Menschheit hervorgerufen.« (Ebd., 1988, S. 209-210).Pierre
Bérard ist der Ansicht, daß das christliche Aufpfropfen auf die heidnische
europäische Kultur eine entkulturierende Wirkung hatte und eine »synkretische«,
unbeständige Kultur hervorbrachte, aus der wir heute austreten müßten.
Er schreibt dazu: »Die Trümmer der heidnischen Kultur strömten
in das »Unterbewußte« des Gesellschaftskörpers zurück,
während sich ein christliches »Über-Ich« schichtweise bildete
und seine egalitären, universalistischen Werte in immer stärkeren Dosen
in die Kultur des Abendlands injizierte. Heute wird das kollektive Über-Ich
in dem Maße zwingender, wie es die parusischen Forderungen seiner Anfangszeit
entdeckt.« (Pierre Bérard, a.a.O.). (Parusie = Wiederkunft Christi
zum Endgericht). (Ebd., 1988, S. 210).Demzufolge stellt der
okzidentale Biblismus und die Ideologie der Menschenrechte die Indianität
und die Europäität als Hindernisse für die Würde des indianischen
oder europäischen Individuums hin. Erst wenn es sich seiner ethnischen und
kulturellen Identitäten entäußern würde, würde es die
Menschenwürde erlangen. Genauer gesagt: Erst wenn es das okzidental-jüdisch-christliche
Modell annehmen und dem biblischen Universalismus huldigen würde, würde
es nicht mehr unrein sein, würde es wirklich ein Mensch werden. (Ebd.,
1988, S. 210).Die Menschen werden aufgefordert, ihre Bindungen
an ihre Heimat, ihr Vaterland, ihre Ethnie aufzugeben, damit sie überhaupt
als Menschen anerkannt und gerichtet werden können. »Der jüdische
Universalismus« schreibt Robert Jaulin, »sowie seine kulturelle Nachkommenschaft
(darunter das Christentum) unterscheidet sich von den anderen Kulturen grundsätzlich
darin, daß Gott als Herr seiner Kosmologie sich nicht in die irdische Welt,
in die Organisation der Staaten, der Orte einträgt.« (Robert Jaulin,a.a.O.).
Alain de Benoist vertritt denselben Standpunkt. »Für Jahwe sind die
Unterschiede zwischen den Menschen und den Völkern vorübergehend nebensächlich
und überhaupt oberflächlich.« (Alain de Benoist, a.a.O.; vgl.
ders., Heide-Sein zu einem neuen Anfang, 1982). Wie Gerard Hervé
(vgl. a.a.O.) weist Pierre Bérard nach, daß die biblischen Propheten
(»alle Völker sind vor ihm nichts und gelten ihm als nichtig und eitel«,
Jesaja 40-17; und Paulus: »da gibt es nicht mehr Juden und Griechen«,
Galater 3-28) die ethnischen und kulturellen Unterschiede unter den Menschen
auf eine Strafe Gottes zurückführen und »eine Welt ohne Unebenheiten«
herbeisehnen; und damit rechtfertigen sie den tief gründenden biblischen
und jüdisch-christlichen Haß auf die Reiche (Imperien) und die Legitimität
der Ethnozide, ja sogar der Genozide .... (Ebd., 1988, S. 210).Der
Prozeß des Identitätsverlustes und des Ethnozids gründet aber
nicht ausschließlich auf der Entwurzelung und Dekulturation. Er stützt
sich ebenfalls auf eine Philosophie der Geschichte sowie auf eine besondere Auffassung
des Zeitlichen. (Ebd., 1988, S. 210).In der linearen
Betrachtung der Zeit, die von der im Westen herrschenden Ideologie vertreten wird,
ist der zentrale Begriff der Identität gefährdet. Diese Auffassung der
Zeit trug u.a. dazu bei, die Akkulturation, die Entwurzelung und die Amnesie der
Völker, auf die sie angewandt wurde, zu beschleunigen. Die progressistische
Betrachtung der historischen Zeit (eine jüdisch-christliche Anschauung) stellt
die Vergangenheit als ein endgültig Abgeschlossenes dar, das vergessen werden
muß. Die Tradition wird nun zu einem sinnlosen Begriff, da eine Tradition
ja nichts anderes ist als eine lebendige Vergangenheit, die innerhalb der Gegenwart
wirkt und von dieser kristallisiert wird. Ausschließlich nach theologischen
oder politisch-weltlichen Parusien orientiert, wurden die Europäer stets
dazu bewogen, ihre Vergangenheit, also ihre Identität zu vergessen. Wenn
man heute z.B. von der Unabwendbarkeit einer kosmopolitischen und us-amerikanisierten
Gesellschaft überzeugen will, entkräftet man die europäische Vergangenheit
gegenüber dem, worum es angeblich einzig geht: das messianische Warten auf
eine »tischgenossenschaftliche«, rassengemischte und multinationale
Welt. In dieser linearen Betrachtung wird die Persönlichkeit der Völker
die an ihrer Vergangenheit und an nichts anderem zu messen ist für
überholt und unbedeutend erklärt; es zählt nur noch das zu erreichende
»Ziel« ab dem Nullpunkt, ab der »neutralen Gegenwart«,
die das Heute darstellt. (Ebd., 1988, S. 211).
Die Krise der Weiblichkeit und die Verweiblichung des Mannes
Aber
nicht nur der Ethnozid, der Kulturkrieg und der westliche Progressismus bewirken
die Entidentifizierung der Europäer. Zu den gegen uns eingesetzten ideologischen
und kulturellen Waffen kommt eine physiologische Auflösung unserer
Persönlichkeit. Um ihr historisches Gedächtnis gebracht, sind unsere
Zeitgenossen nicht mehr darauf bedacht, ihre Stammlinie zu sichern. Sind der Anblick
leerer Wiegen und der dramatische Widerspruch einer Gesellschaft, die der Jugend
niedrig schmeichelt und unter der toten Last der Greise zusammenstürzt, nicht
etwa das überzeugendste und tragischste Zeichen des Europessimismus?
(Ebd., 1988, S. 211).Im ausgehenden 20. Jahrhundert taucht die
Frage nach dem demographischen Überleben mit aller Wucht auf. Mitten im technischen
Zeitalter, mitten im dumpfigen Zeitalter des bürgerlichen Überflusses
quält die Rückkehr des rein Biologischen unser Bewußtsein.
Trotz der durchaus antinatalistischen herrschenden Ideologie durchdringt der Notruf
der Demographen die Mediensperre: Europa erzeugt nicht mehr genug Kinder. Eine
alternde, gegenwartsbezogene Gesellschaft, die von der Illusion einer unnatürlichen
Jugendlichkeit besessen ist, gibt sowohl ihre Traditionen als ihre historische
Zukunft auf. (Ebd., 1988, S. 211-212).Dadurch wird die Bedeutung
der Frau umso mehr unterstrichen. Die Frauenproblematik und -mythologie beherrschen
die Jahrhundertwende. Das Bild der Frau ist das neue Rätsel, das neue
Epizentrum des europäischen Bewußtseins. Die Frau steht mit auf dem
Spiel: sie schenkt das Leben und sorgt für den demographischen Fortbestand;
sie ist aber auch diejenige, die die Werte weiter gibt. In einer identitätsgefährdeten
Zivilisation (Zivilisation einer Kultur; HB)
kommt der (kulturellen und biologischen) Frauenfrage eine große Bedeutung
zu. (Ebd., 1988, S. 212).In dem zerrissenen Bewußtsein
des von seinem eigenen Untergang geplagten europäischen Menschen bekommt
der Verlust der Frau und ihre mögliche Zurückeroberung heute eine tragische,
zentrale Bedeutung. In der Volksvorstellung beheimatete Bilder, wie die angebliche
Neigung der europäischen Frau zum Nicht-Europäer, ihre Unfruchtbarkeit
gegenüber der Immigrantin oder der Frau der Dritten Welt, die ebenso sexuelle
wie sozial wachsenden Forderungen der Frauen gegenüber den ihrer Virilität
enthobenen Männern, bestätigen das dramatisch aufkommende Unbehagen
des europäischen Mannes gegenüber der europäischen Frau; ein Unbehagen,
das die Bedeutung der weiblichen Funktion in unserer niedergehenden Kultur erhöht
und Julien Freund zu dem Ausspruch bewegt, daß wir »von der Ära
der Anthropologen zu der der Gynäkologen« übergegangen sind. Der
Mythos von der höheren Virilität des afrikanischen Mannes, der Anspruch
der europäischen Frau auf Nicht-Befruchtung und Selbständigkeit (Überreste
des »Feminismus«), das Aufkommen neuer sexuellen Sitten, die auf den
weiblichen Organismus und seine Forderungen gelegte Bedeutung (und damit implizit
auf die mögliche Impotenz des in seinem Stolz verletzten Mannes, der sich
nun »bewähren« muß), all dies trägt dazu bei, eine
Atmosphäre des Verdachts gegen die europäische Frau zu schaffen: sie
soll ihrer sexuellen Treue, ihrer biologischen und genesischen Pflicht, ihrer
Aufgabe, die traditionellen Werte weiter zu geben, »zuwidergehandelt«
haben. (Ebd., 1988, S. 212).Dieser Verdacht gegen die Frau,
eine subtile Mischung von chronischer Misogynie und Gynäkomanie, wohnt, begründet
oder nicht, nunmehr dem gestörten Bewußtsein des verletzten Europa
von heute inne. Die pornographische Überfülle (»Busen auf der
ersten Seite!«), die für alle unsere Medien kennzeichnend ist, wirkt
zugleich als Kompensation und als Verstärkung der gegenüber der Frau
empfundenen Frustration. Diese kennzeichnet die Psyche des europäischen Mannes,
der von der Scheidung und der Ehelosigkeit, ja sogar von der Sterilisation und
der Homosexualität gequält wird. (Ebd., 1988, S. ).Die
vermännlichte, auf der Suche nach ihrem sozialen Status befindliche europäische
Frau, von der letzten Endes die Fortsetzung der biologischen Stammlinie abhängt,
sieht, wie die traditionellen Merkmale der »Weiblichkeit« gerade zu
dem Zeitpunkt schwinden, wo die unzähligen Vorträge über diese
Weiblichkeit den Nachweis erbringen, daß sie nicht mehr selbstverständlich
ist, und wo sich die beunruhigende Perspektive der Verschmelzung der Geschlechter
abzeichnet. (Ebd., 1988, S. 212-213).Der »androgyne
Look« ... drückt nicht nur ein pathogenes Phantasma des Egalitarismus
aus (der die Unterschiede zwischen Männlichem und Weiblichem nun konkret
leugnet), sondern offenbart auch den subtilen Willen, die Frau um ihre erzeugende
und mütterliche Funktion zu bringen zugunsten des entfremdeten und gefälschten
Bildes der »femme virile«. Diese vorherrschende Androgynie
verweist auf einen der beunruhigendsten Aspekte des Identitätsverlustes,
auf den biologischen Identitätsverlust nämlich: die systematische und
theatralische Erhöhung der Homosexualität (sie hat mit der Eingliederung
und der Anerkennung der homosexuellen Tatsache als normaler gesellschaftlicher
Komponente nichts zu tun, sondern kommt einem umgestülpten Puritanismus gleich)
sowie der Einsatz androgyner Modelle im Mode- und Werbungsapparat drücken
eine mehr oder minder unbewußte Ablehnung der Fruchtbarkeit und der Fortpflanzung
aus und unterstehen einem gewissen Willen zum biologischen Selbstmord, der mit
dem sterilisierenden Narzißmus der westlichen Zivilisation völlig übereinstimmt.
(Ebd., 1988, S. 213).Die androgyne Frau und der theatralische Homosexuelle
stoßen im gleichen unnatürlichen und einheitlichen Stil zueinander
und bilden das Modell eines neutralen, völlig entwurzelten, sterilisierten
(in beiden Sinnen) Individuums. Ein Individuum, das auf jede Nachkommenschaft,
jede Zukunft und jede Tradition verzichtet hat; das uns das traurige Gesicht einer
entmutigten, von dem langweiligen No-futur-Thema besessenen europäischen
Generation zeigt; das aufgegeben hat, sich geschichtlich fortzusetzen, und nur
noch die anfällige Stimmung der »Neuen Konsumgesellschaft« fortsetzen
will. (Ebd., 1988, S. 213).Alles läuft also auf die
umfassende Entvirilisierung des Europäers hinaus, für die er
einzig verantwortlich ist und die einer Selbstkastration, einem Selbstmord gleichkommt,
allerdings einem Selbstmord »mit Lächeln«, wie das eines traurigen
Clowns. Mit einer gewissen krankhaften Freude, einem frohlockenden Masochismus
billigt und fördert ein Großteil der europäischen Eliten den Verlust
unserer kulturellen und anthropologischen Identität und unseren totalen Niedergang.
Dieser »Europessimismus« verbirgt sich hinter einem Optimismus, der
dennoch Glaubwürdigkeit vermissen läßt: man erspäht freudestrahlend
das Aufkommen einer höchst fruchtbaren Gesellschaft kulturellen Zusammenbrauens,
aus der angeblich wie in den USA eine »neue Identität« hervorgehen
würde: die einer »offenen Kultur«, in der sich sämtliche
Einflüsse verwischen würden. Man will also jene alte progressistische
Illusion, die Leopold Senghor bereits in den 1960er Jahren als »Zivilisation
des Universalen« getauft hatte, als neuen Weg hinstellen. Zum Glück
aber verwerfen neue Eliten dieses Projekt, weil sie sich seines Überaltertseins
bewußt sind, weil sie es für unästhetisch und demobilisierend
(da ohne Selbstbehauptungswillen) halten und weil sie dessen senilen Fatalismus
erfassen. Deshalb versuchen sie umhertappend zu ihrer Identität zurückzufinden,
die sich um drei Angelpunkte drehen soll: die Heimat, das nationale Vaterland
und Europa, wobei letzteres die Rolle des großen verbündenden Mythos
spielt, der mit zwar unscharfen, dennoch außerordentlich verlockenden Bildern
gefüllt ist. (Ebd., 1988, S. 213).
Müssen wir wieder ethnozentrisch werden?
In
der Optik der drei Identitäten, der »regionalen«, »nationalen«
und »kontinentalen«, wäre es vergeblich und lächerlich,
die Stufe der nationalen Zugehörigkeit entfernen zu wollen. (Ebd.,
1988, S. 214).Die Regionalisten wollten es eine Zeit lang. Abgesehen
davon, daß dies utopisch ist und die Bedeutung der historischen Traditionen
übergeht, erscheint dieser Gesichtspunkt ungemein rationalistisch und totalitär.
Obwohl sich die Nationen Europas auf völlig unterschiedlichen Prinzipien
(volksmäßige z.B. in Deutschland und Italien; staatliche z.B. in Frankreich
und Spanien) gründeten, bestehen sie nun als historisch-geographische Realitäten
und ernten starke Zugehörigkeitsgefühle. (Ebd., 1988, S. 214).Man
muß die nationalen, europäischen Identitäten vereinigen, sie als
einander ergänzend betrachten und sie nicht gegenüberstellen. Man wird
um so mehr ein Deutscher, Franzose oder Italiener sein, als man ein Europäer
ist, und um so mehr ein Europäer, als man mit seiner deutschen, französischen
oder italienischen Identität verbunden ist; selbst wenn ein »Deutscher«
zu sein nicht genau das gleiche bedeutet wie ein »Franzose« zu sein.
Es gilt demnach, die nationale Identität von oben (Europa) zu ergänzen
und von unten (die Region) zu verankern. Diese »identitäre Gymnastik«
wird übrigens in Frankreich am meisten Probleme aufwerfen, weil die französische
Nation leider allzu oft ihren Nationalismus entweder als Universalismus (wie heute
die USA) oder als Opposition zu ihren Nachbarn auslegte, in beiden Fällen
nach einem antieuropäischen Schema. Alles ist aber immer möglich: War
die »gaullistische« Ideologie die es wiederzubeleben gälte
nicht im Grunde zugleich von dem Regionalismus und dem Bau eines blockfreien
Europa-der-Nationen angezogen, in dem die französische Identität zur
Behauptung der europäischen Macht beitragen sollte? (Ebd., 1988,
S. 214).Wie die traditionellen Gesellschaften müssen wir ethnozentrisch
werden oder wieder werden, und nicht ethnozidär. Wie Claude Lévi-Strauss
es nämlich unterstreicht (vgl. a.a.O.), sind die sogenannten »primitiven«
Völker sowie die Völker der Gegenwart, die nicht sterben wollen, dazu
gezwungen, sich selbst als Mittelpunkt zu nehmen, den anderen mehr oder minder
»fremd« zu werden. Das vielleicht beste Mittel, den Anderen zu achten,
ist, ihn etwas zu vergessen .... (Ebd., 1988, S. 215).Dem
wird man entgegenhalten, daß diese Entwicklung zu einer Welt führen
würde, in der jeder steril verschlossen wäre, und daß das »wienerische«
Europa zur Zeit seines kulturellen Glanzes kosmopolitisch gewesen sei. In Wirklichkeit
wohnte der frühere europäische Kosmopolitismus Europa inne, das damals
allein einen Makrokosmus darstellte; alles ändert sich, wenn der Makrokosmus
weltweites Ausmaß gewinnt. Der Kosmopolitismus wirkt dann sterilisierend
und homogenisierend. Ein echter Austausch wie einst, als die Kulturen als verhältnismäßig
autozentrierte »Blöcke« nebeneinander standen, erfolgt erst dann,
wenn jeder eine starke Persönlichkeit und einen relativen Abstand zu den
anderen wahrt. Alle äußerst fruchtbaren Beziehungen, die Europa mit
der arabischen, indischen und chinesischen Welt pflegte, veranschaulichen das.
Heute hingegen führt das weltweite kulturelle Zusammenbrauen »plurikultureller«
Gesellschaften mit Massen-Narzißmus zu kulturellen Produkten, die denen
der identitären Völker unterlegen sind, weil sie sich auf den kleinsten
gemeinsamen Nenner der Menschen beziehen. Die »Kommunikation« bleibt
entgegen einer weiteren zeitgenössischen Illusion dann weitgehend aus. Jeder
schließt sich ein in seinem Getto, seiner kulturellen Zunft, seinem gesonderten
Geschmack, und die Kultur verliert ihre volkstümliche und organische Bedeutung.
(Ebd., 1988, S. 215).Nun entsteht ein kulturelles Kaleidoskop:
Man findet »alles«, wie in einem Supermarkt; »für jeden
Geschmack« gibt es etwas, von Mozart bis zur Funkymusik, aber die
Kultur büßt ein, was ihre Originalität nährt: ihre Verwurzelung
in einer ethnopopulären Identität. Alle Auswirkungen lassen sich zwar
heute noch nicht feststellen, da die Identitäten noch existieren,
da das Zusammenbrauen erst stattfindet und noch nicht abgeschlossen ist, da es
beispielsweise im »arabischen Rock« noch ein arabisches Element gibt,
was den Anhängern der plurikulturellen Gesellschaft zu dem Glauben verhilft,
daß ein größerer Reichtum aus dem Zusammenbrauen hervorgehen
werde .... In Wirklichkeit, und der Untergang des Jazz zeigt es zur Genüge,
liefert der kulturelle melting pot zwar zunächst durchaus »annehmbare«
Erzeugnisse, mündet dann aber in die neoprimitive rationalisierte
Massenkultur (siehe die heutigen us-amerikanischen Exporte), und zwar sobald die
ethnopopulären Identitäten gestorben oder folklorisiert sind.
(Ebd., 1988, S. 215).Unter diesen Voraussetzungen bleibt jeder
Austausch, jede Kommunikation aus, schwindet jeder »Unterschied«.
Die einzigen zugelassenen Unterschiede sind die, die innerhalb jeder aseptisierten
plurikulturellen Zone wieder auftauchen, das sind die nach »Geschmacksklasse«
oder nach soziologischen bzw. ökonomischen Kategorien programmierten kulturellen
Sektoren. Es handelt sich um das letzte Stadium des kulturellen Todes. Jeder ist
in seiner Konsumierung kultureller Waren, in seinem Getto gefangen und ignoriert
den Anderen. Die USA liefern uns diesbezüglich einen erbaulichen Anblick:
den der totalen Verachtung für alles, was nicht für den beschränkten
Geschmack des Durchschnitts-us-amerikaners vor-verdaut ist. (Ebd., 1988,
S. 216).Eine Kultur kann nur fortbestehen, der Mensch kann der
Primitivität und der Barbarei der Entgeistigung nur entgehen, die Achtung
vor dem Anderen kann nur einsetzen, die Fruchtbarkeit des Gedanken- und Sensibilitätsaustausches
kann nur andauern, die Erfindungskraft kann sich nur behaupten, wo die Kultur
in einem ethnopopulären Bewußtsein wurzelt, wo die Eingebung aus dem
Autozentrismus eines Volkes hervorgeht. Angesichts solcher Gefahren bietet nur
noch der »Kulturkampf eine anständige Perspektive für die Europäer.
Es hat keinen Zweck, sich mit der us-amerikanisch-westlichen Kultur abzufinden;
wir müssen sie einer ständigen »Spannungsstrategie« unterziehen
und sie, zusammen mit der mehrrassischen Gesellschaftsform, zu einer bevorzugten
Zielscheibe machen. Die Entkulturierung und der Identitätsverlust sind zum
Glück nicht immer vollständig. Die Selbstverleugnung ist selten absolut.
Und häufig sind es die der größten Entkulturierung, dem gewaltigsten
Ethnozid ausgelieferten Völker, die aus dem tiefsten Grund des Volksgedächtnisses
den Willen, sich eine neue Identität zu geben, schöpfen. Möglicherweise
keimt dies im heutigen Westeuropa, und vor allem in dem Land, das systematisch
am meisten entkulturiert und entwurzelt wurde: Deutschland. Soziologen und Ethnologen
nennen diese Widerstands- und Wiederbelebungsphase Gegen-Akkulturation
in bezug auf das, was sich in mehreren Regionen der Dritten Welt (Schwarzafrika,
arabische Länder, Südamerika) beobachten läßt. »Zu
dieser Phase rufen wir heute die europäische Kultur auf«, schreibt
Pierre Bérard, »sowie alle, die in der Welt unter dem Joch eines
proselyten Okzidents seufzen. Dieser von seinen Anhängern als »Verus
Israel« hingestellte Okzident verwirklicht das Wort aus dem Deuteronomium:
»Der Herr, dein Gott, rottet die Völker aus, zu denen du kommst ihr
Land einzunehmen« (2. Moses, 12,29).« (Pierre Bérard,
a.a.O:) (Ebd., 1988, S. 216).
Die Tradition im Lichte der faustischen
Seele
Die
historische Regenerierung Europas sowie seine Rückkehr zur Identität
werden vielleicht nicht das Werk dieser Generation sein. Selbst wenn wir, als
aktive Pessimisten, mit Verbissenheit daran arbeiten müssen, dürfen
wir Hölderlins Wort nicht vergessen: der meditierende Gott haßt vorzeitiges
Wachstum. (Ebd., 1988, S. 217).Europa
seine Identität und seine Größe wiederzugeben heißt, es
auf den schmalen Weg seiner Wieder-Vergeistigung außerhalb eines nunmehr
religiös sterilen Judäo-Christentums zu bringen. Es hieße also,
einen Rückgriff auf den Paganismus zu »erfinden«; und das setzt
voraus, daß man das ganze Volksbewußtsein auf den Fundamenten des
»Surhumanismus« neu baut, während es heute noch von der Ernüchterung
des egalitären Nihilismus bewohnt ist. Wir können die historische Bedeutung
dieses Unternehmens ermessen. (Ebd., 1988, S. 217).
Die Wahl des surhumanistischen Mythos
Diese Unternehmung
muß von Eliten geführt werden, die Scharfsinn, unerschütterliche
Ausdauer und vor allem unendliche Geduld aufweiten. Der eigentlichen Bekehrung
des »Volkes« muß die Bildung einer Minderheit vorausgehen, die
ihre Tradition zurückzugewinnen weiß, die innerlich wagt, die Fesseln
des Egalitarismus und der tausendjährigen Ideologie des okzidentalen Humanitarismus
zu brechen. (Ebd., 1988, S. 217).Der Urheber solcher Ideen,
der Vorkämpfer dieser Verwandlung des europäischen Bewußtseins,
dieser regenerierenden Umkehrung der Geschichte war Nietzsche, der die Ansicht
vertrat, daß ein geschichtlicher Wieder-Anfang nur von ihm ausgehen könnte.
Nietzsche hatte vorausgesehen, daß seine Nachfolger
den Aufschwung der egalitär-nihilistischen Bewegung nicht aufhalten könnten,
und forderte uns auf, als aktive Nihilisten die Fortsetzung dieses Prozesses bis
zur Fäulnis zu wünschen. Nietzsche hatte vorausgesehen, daß sich
die Europäer in das verwandeln würden, was sie heute geworden sind:
in »köstliche Sklaven«. (Ebd., 1988, S. 217).Nietzsches
Aufruf an die Europäer, den tausendjährigen Nihilismus des Judäo-Christentums
zu überwinden, den egalitären Zyklus wenn historisch möglich
aufzugeben und in dem Surhumanismus die Regenerierung ihrer Geschichte
sowie die Rückkehr zu ihrer Identität zu erfahren dieser Aufruf
nimmt die Form eines Mythos (des »surhumanistischen Mythos«, den Wagner
und Heidegger formulierten) an, das heißt die denkbar realitätsschwerste
und stärkste Form. (Ebd., 1988, S. 217).Warum ein Mythos?
Weil zu einer Zeit, wo alles Gedachte von jüdisch-christlichen und egalitären
Werten geprägt ist, die surhumanistische Botschaft der neuen europäischen
Identität will sie die Geister nicht erschrecken in einer irrationalen
und verschlüsselten Form dargelegt werden muß, die mehr die Sensibilität
als den Intellekt anspricht. Eine Regenierung des europäischen Paganismus,
eine historische Verwirklichung des Surhumanismus, eine Überwindung des westlichen
Egalitarismus setzen nämlich, wie Nietzsche es ausdrücklich betonte,
eine Umwertung aller bislang angenommenen Werte voraus. (Ebd., 1988, S.
218).Die Anhänger einer europäischen Regenierung durch
Überwindung und Lossagung vom Judäo-Christentum und Egalitarismus werden
also bei ihren metapolitischen und kulturellen Unternehmungen darauf achten müssen,
diesen »Anteil des Mythos«, der im Dunkeln den Rückgriff schützt,
zu bewahren. (Ebd., 1988, S. 218).Wir müssen uns sehr
davor hüten, für die europäische Identität und Regenerierung
gemäß dem Surhumanismus eintreten zu wollen, indem wir die Sprache
und die »politischen« Verpflichtungen einer gewissen Rechten und einer
gewissen Linken übernehmen, da alle politischen Diskurse im heutigen Europa,
selbst die positivsten, sich innerhalb der egalitären Weltanschauung befinden.
Der Diskurs der »Regeneratoren« Europas darf ferner nicht darauf abzielen,
diejenigen zu überzeugen, die von jeher die Träger und Propheten
der egalitären Weltanschauung, also die Totengräber Europas und jedes
Reichs sind, auch nicht diejenigen, die das surhumanistische Projekt niemals begreifen
und sogar wollen werden, weil sie geistig vom Egalitarismus besetzt sind.
(Ebd., 1988, S. 218).Das surhumanistische
Projekt wendet sich an all diejenigen, die die heidnische Weltanschauung
häufig ohne es zu wissen in sich tragen und die zahlreicher als angenommen
sind, da der Schatten der Götter immer noch vorhanden ist, die alten Pantheons
immer noch fruchtbar und imstande sind, junge Götter ins Leben zu rufen.
Wie Meister Eckhart es formulierte, ist ein solcher Diskurs für diejenigen
gemacht, die ihn bereits in ihrem Herzen als ihre eigene Wahrheit tragen.
(Ebd., 1988, S. 218).Zwischen dem Egalitarismus und dem Surhumanismus,
zwischen Dostojewski und Nietzsche, einer jüdisch-christlichen Geschichte
und einem neopaganischen Schicksal zu wählen heißt für den heutigen
Europäer nicht zwischen Falschem und Wahrem, Bösem und Gutem wählen.
Es handelt sich um eine freie Wahl, da wir von keiner absoluten Tradition »prädeterminiert«
sind. Es ist eine Wahl, die auf dem Willen beruht; eine Wahl zwischen Möglichkeiten,
die alle gleich authentisch sind; eine Wahl, die letzten Endes eher aufgrund ästhetischer
als rationaler Kriterien getroffen wird. Entweder entscheidet man sich
aus durchaus zulässigen Gründen für ein jüdisch-christliches,
humanitaristisches Europa als kosmopolitische Zweigstelle eines weltweiten Okzidents;
oder man entscheidet sich aus gefühlsmäßigen und ästhetischen
Gründen gegen die jetzige Entwicklung (die von diesem Standpunkt aus »Dekadenz«
ist) für ein identitäres, auf den imperialen und heidnischen Teil seiner
Tradition ausgerichtetes Europa; ein Europa nämlich, das B.-H. Lévy
überall (legitim und subjektiv) als »barbarisch« hinstellt, das
man auch wird man von einer anderen Weltanschauung beseelt als einzig
»kulturales« betrachten kann. Mit der gleichen Wahlentscheidung sind
übrigens mehrere außereuropäische Völker, vor allem die Araber,
konfrontiert, die ebenfalls an der Wegscheide sich entweder für eine Okzidentalisierung
ihrer Gesellschaft aussprechen müssen oder für die Reaktivierung des
Großprojekts einer imperialen Einheit des arabisch-islamischen Vaterlands.
(Ebd., 1988, S. 218-219).Diese Wahl findet also zwischen zwei »Traditionen«
statt, und das Zukommende wird dann nicht von einer in abstracto projizierten
»Zukunft« bedingt, sondern zuvorderst von einer Aneignung der Vergangenheit,
einer »möglichen« Vergangenheit. Der Rückgriff auf Zarathustra
ist die Bedingung zum Zutagetreten des Übermenschlichen. (Ebd., 1988,
S. 219).
Die Dredimensionalität der geschichtlichen Zeit
Was
die surhumanistische Weltauffassung, so wie Wagner, Nietzsche und Heidegger sie
in ihrer ganzen historischen Potentialität formulierten und ans Licht zogen,
eigentlich kennzeichnet, ist die Ablösung der christlichen linearen Zeit
durch die dreidimensionale Zeit sowie die Rückgabe dieser Dreidimensionalität
an den Menschen, die ihn als solchen begründet. Die dreidimensionale Zeitlichkeit
gibt dem Menschen die Möglichkeit, als historisches Wesen aufzutreten.
(Ebd., 1988, S. 219).Wie ist diese dreidimensionale Anschauung
der Zeit und der Geschichte zu definieren und worin widerstreitet sie der progressistischen,
vom Christentum stammenden Auffassung? Als Antwort möchten wir Giogio Locchis
These zusammenfassen. (Vgl. ders., Über Heidegger, a.a.O.).
(Ebd., 1988, S. 219).Indem er die Vergangenheit
»abtötet«, indem er ihr jede Legitimität, die Gegenwart
zu besetzen, abspricht, indem er die Zeit nach dem segmentären Schema (vollendete,
vergessene oder versteinerte Vergangenheit Gegenwart als »leerer«
Nullpunkt Zukunft als Heil und Ende der Geschichte (**|**|**|**|**|**|**|**),
Abschaffung der Geschichte und somit dessen, was die Vergangenheit ausmachte)
strukturiert, radiert der christliche Progressismus implizit das Vorhandensein
der Tradition, der Identität, des Willens, historisch fortzuleben. Der reaktionäre
Traditionalismus gehört übrigens zu dieser Strategie. Von dem Augenblick
an, wo die Werke und Ereignisse der Vergangenheit für verjährt und tot
erklärt werden, kann man sich leisten, sie einzubalsamieren, zu ehren und
wie Fossilien zu erforschen. Die Vergangenheit wird von einem technologischen
Schutz um so mehr versteinert, als sie neutralisiert und nichtwirkend ist. In
der Kunst werden die Werke aus der Vergangenheit der Völker als »Erbe
der Menschheit« hingestellt, um wohl zu zeigen, daß sie keine Zugehörigkeit
und keinen Widerhall mehr in der Gegenwart haben. Sobald eine historische Forschung
aufgrund der starken Erinnerungen, die sie hervorruft, zurückzuwirken droht,
wird sie umgehend für streng wissenschaftlich erklärt: So war Georges
Dumézils indoeuropäische (indogermanische)
Forschung der Gegenstand einer eifrigen Neutralisierungskampagne, die dem Forscher
sogar Erklärungen entlockte, wonach seine Arbeiten über die Indoeuropäer
(Indogermanen) überhaupt keine Auswirkungen
für die Gegenwart gehabt hätten daß die dreiteilige Ideologie
der Indoeuropäer lediglich eine akademische Bedeutung habe, kurzum daß
die indoeuropäische Vergangenheit Europas, die ihm gerade ein einheitliches
historisches Gedächtnis geben könnte, entweder abgeschlossen oder phantasmagorisch
sei. Die Indoeuropäer in einen Gegenstand bloßer Gelehrsamkeit zu verwandeln
erscheint übrigens viel wirksamer, als ihre Existenz als Volk polemisch zu
leugnen wie das ebenfalls geschieht , da letztere Strategie darauf
hinausläuft, ihre Präsenz zu reaktivieren. (Ebd., 1988, S. 219-
220).Dem Vergangenen der linearen Zeitauffassung
(Vergangenheit in der Terminologie Heideggers) müssen wir das Vergangene
der dreidimensionalen Zeit entgegenstellen, das Heidegger als Gewesenheit
bezeichnet. Die Zukunft baut man nicht auf der »Vergangenheit« sondern
auf der »Gewesenheit«, das heißt auf dem, was den archè,
den gründenden Anfang, enthält. (Vgl. Martin Heidegger, Einführung
in die Metaphysik, 1935). Die Zukunft baut man nicht auf einem Determinismus
(entweder dem der Progressisten, die von der angeblichen Richtung der Geschichte
behandelt werden, oder dem der reaktionären Traditionalisten, die in der
Bindung an eine geschlossene und zwingende Tradition gefangen sind), sondern auf
der Treue gegenüber einem Schicksalsprojekt, für das man sich freiwillig
entschieden hat. Und was wählt man? Man wählt, um historisch gründend
zu sein, was sich nicht nur in der Gegenwart, sondern zugleich in der Vergangenheit
und in der Zukunft beheimaten läßt, nämlich seine Heroen.
Die Geschichte ist in ihrem authentischen Sinn die Wahl der Heroen.
(Ebd., 1988, S. 220).Zwischen Abraham und Achilles ist die Alternative
heute offenkundig. An der Wahl der Heroen (mehr noch als an den biologischen und
kulturellen Bedingtheiten) wird erkannt, was man ein »Volk« nennen
muß. Wagner gab übrigens vom Begriff Volk eine Definition, die mit
unserer Auffassung völlig übereinstimmt. Für ihn waren die Mitglieder
ein und desselben Volkes diejenigen, die, in der gleichen gegenwärtigen Not
lebend, sich der von ihnen gewählten »Väter« gemeinsam erinnern
und auch ein ebenso gemeinsames Zukunftsprojekt formulieren. (Ebd., 1988,
S. 220).Die Vergangenheit ist dann nicht mehr, was abgeschafft
und auf immer verloren ist, sondern das, was »geworden ist« und seine
Präsenz hier und jetzt durchsetzt, ja sogar was wird, was andauert und zu
werden nicht aufhört, da die historische Zukunft das Werden der Vergangenheit
aufnehmen soll. In dieser Sicht ist die gesamte Zeit (Vergangenheit, Gegenwart
und Zukunft) in einer dreifachen Osmose ein und dasselbe Werden, ein und dasselbe
Ereignis. Die Gegenwart des Volkes ist nicht
mehr jener Nullpunkt, jener leere Augenblick des asymptotischen Segments, das
zum Ende der Geschichte (**|**|**|**|**|**|**|**)
führt, sondern Präsenz, andauernde Präsenz (Anwesenheit
bei Heidegger). Diese Anwesenheit bei der eigenen Geschichte und innerhalb der
historischen Dreidimensionalität der Zeit ist in dem griechischen Verb »sein«
(einai) wiederzufinden, das »in der Dauer anwesend sein« bedeutet.
Die Dauer schließt aber auch den Raum, d.h. die Heimat ein. Die Gegenwart
der dreidimensionalen Zeitauffassung bedeutet nicht nur, daß das Volk seine
eigene Geschichte besitzt, sondern auch, daß es in seinem Raum verwurzelt
ist: ein zusätzlicher Grund für die herrschende kosmopolitische Mentalität
(**|**|**|**),
diese Anschauung der Zeit abzulehnen und ihr die lineare Auffassung vorzuziehen.
Der Begriff »Anwesenheit«, in dem die Vorsilbe »an« den
Raum bezeichnet, weist daraufhin, daß die Gegenwart der dreidimensionalen
Zeit nicht nur das stets wirkende historische Gedächtnis einschließt,
sondern in seiner Fortdauer auch das Territorium der Vorfahren, den Boden
enthält, wo das Volk seine Geschichte begangen hat und begeht. (Ebd.,
1988, S. 220-221).Diese dreidimensionale Auffassung der Geschichte
ist weder »revolutionär« noch »zyklisch«, noch »reaktionär«,
noch »progressistisch«. Sie schließt diese Kategorien ein und
übersteigt sie zugleich. Da, wo Tradition und Modernismus als gegensätzlich
betrachtet wurden, werden sie als harmonierend in Betracht gezogen. Ein solcher
Gesichtspunkt ist verwandt mit dem der deutschen Konservativen Revolution,
deren Auffassung der Geschichte sowohl dem Progressismus wie auch dem reaktionären
Traditionalismus entgegengesetzt war. (Ebd., 1988, S. 221).Einen
revolutionär-konservativen Standpunkt einzunehmen heißt zugleich, eine
Rückkehr zum Ursprung und eine Selbstprojizierung in die Zukunft vollziehen,
heißt den Willen bekunden, den Anfang wiederzufinden (Heideggers »griechischen
Anfang«) und ihn verwandelt in der Zukunft zu rehabilitieren, und zwar gemäß
einem Vorgang, den Nietzsche »die ewige Wiederkehr des Gleichen« nannte.
Selbstverständlich ist eine solche Perspektive überhaupt nicht erfaßbar
für all diejenigen, die der linearen, eschatologischen und messianischen
Auffassung der Zeit ausgeliefert sind, für die Anhänger des christlichen
Progressismus. (Ebd., 1988, S. 221).Diese Perspektive können
wir ebenfalls als faustisch bezeichnen in bezug auf die Bedeutung von Goethes
dramatischer Gestalt: der faustische Mensch ist »riskiert« (und Heidegger
definiert den Menschenstand als das höchste Wagnis für sich und die
Welt); er ist gewissermaßen von seinen Göttern »verdammt«,
die er wagemutig und trotzend herausfordert. Der faustische Mensch ist in diesem
Sinne des-installiert. (Ebd., 1988, S. 221-222).Man kann
übrigens erst dann als des-installiert gelten, wenn man tief verwurzelt ist.
Beide Begriffe ergänzen sich völlig. Als Europa ab dem 16. Jahrhundert
zur Eroberung der Meere und der anderen Kontinente (Desinstallation) ansetzte,
tat es dies als Europa und aus einer verwurzelten Position heraus. Die europäische
Verwurzelung trug zur Macht und zur Intensität der Eroberungs- und Entdeckungsbewegung
bei, so wie letztere die Persönlichkeit Europas zum Erstarken brachte.
(Ebd., 1988, S. 222).Die universalistische Ideologie des Christentums
war es, die die Entpersönlichung Europas beschleunigte und nicht seine
faustische und erobernde Desinstallation. Der faustische und des-installierte
Wesenszug der europäischen kollektiven Persönlichkeit verleiht der europäischen
Identität übrigens die Form einer ständigen Zurückeroberung.
Jede Desinstallationsbewegung bedingt dafür eine neue Verwurzelung, was der
(kulturellen, politischen u.s.w.) Identität Europas die Form einer ständigen
Spannung, einer immer riskierten und fruchtbaren Verwandlung gibt.
(Ebd., 1988, S. 222).Um das faustische Wesen der historischen Persönlichkeit
Europas noch besser zu definieren, müssen wir über den eigentlichen
Rahmen des europäischen Menschen hinausgehen und genau festhalten, worin
der Mensch selbst ein »historisches Wesen« ist. (Ebd., 1988,
S. 222).Die biologisch programmierten Tiere wissen, kennen aber
nicht. Sie können nicht aus ihrem Programm. Die Welt bietet sich ihnen
als fertig, als anwendungsbereit dar. Der Mensch dagegen, dessen angeborene Impulse
de-programmiert sind, der durch »Weltoffenheit« und Formbarkeit gekennzeichnet
ist, besitzt im Grunde wenig Wissen, ist aber für die Erkenntnis geschaffen,
die der Technik zugrunde liegt. (Ebd., 1988, S. 222).Heidegger
erkannte, daß der Mensch immer in einer »Befindlichkeit« gegenüber
sich selbst und der Welt ist, eine für ihn ständig problematische Befindlichkeit,
die ihn aber unaufhaltsam zum Handeln gegen sich selbst und das Milieu bewegt.
Während das Tier in die Welt (Umwelt), in einen
Zustand der Sicherheit und der »Normalität« gesetzt wird (der
ihm ein Einssein mit der Welt [Umwelt], deren Empfänger
es ist, gewährleistet), wird der Mensch in die Welt geworfen (Geworfenheit
in der Terminologie Heideggers). (Ebd., 1988, S. 222).Während
das Tier auf die Gattung ausgerichtet ist, von dem unbewußten Fleiß
seiner Gene bewohnt und beherrscht wird, kein Bewußtsein-seiner-selbst hat,
ist der Mensch, wenn er zum historischen Bewußtsein gelangt, auf sich selbst
(als Volk nicht als Individuum) ausgerichtet, wird »zu sich
selbst« von dem »gerufen«, was Heidegger das Ereignis nennt,
das heißt die Versuchung, sich selbst in ein »Ereignis« für
die Welt zu verwandeln, ein riskiertes und störendes Ereignis. (Ebd.,
1988, S. 222-223).Als »Wesen-in-der-Welt« definiert,
muß der Mensch folglich unter dem Aspekt eines Lebenden verstanden werden,
der im Gegensatz zum Tier um seiner selbst willen lebt. Er ist da, um er
selbst zu werden, sich selbst zu gestalten, für sich selbst zu sorgen. »Sich-selbst«
kann natürlich die Gemeinschaft, der Stamm, das Volk bedeuten, und nicht
nur die »Menschheit« oder das »Individuum«. Der Heideggersche
Begriff des Daseins bedeutet, daß die »Welt« nur für
den Menschen da ist. Ohne den Menschen keine Welt. Was bedeutet aber dieser Begriff
»Welt«? Die Tierwelt existiert nicht »für« das Tier;
sie ist lediglich ein Komplex physikochemischer Signale, auf die das Tier in seiner
ewigen Kopräsenz mit seiner Umwelt, in seiner ständigen Unmittelbarkeit
antwortet. Die Menschenwelt ist mehr als das: sie untersteht der historischen
Existenz (**).
Was den historischen Menschen als historisches Tier begründet, ist gewissermaßen
und trivial formuliert sein Egoismus, die Tatsache, daß er sich die Welt
aneignet und sie als »für ihn geschaffen« deutet, als einen außerhalb
seiner befindlichen Raum, den er, um für sich selbst zu sorgen, benutzen
kann. Für den Menschen stellt die Welt demnach keineswegs die objektive Totalität
der Seienden, die Gesamtheit der physikochemischen Welt dar. (Ebd., 1988,
S. 223).Indem er den Völkern dieses »Für-sich-selbst-Sorgen«
verwehrt, indem er die Behauptung ihres kollektiven Ego lähmt, fällt
der christliche Humanitarismus auf die tierische Stufe des Gattungsbewußtseins
zurück. Die Gattung wird hier mit der primitiven und verwirrenden Kategorie
der »Menschheit« aufgefaßt, einem rein zoologischen Begriff,
der jeglichen historischen Wert entbehrt und dadurch paradoxerweise un-menschlich
ist. Der Egalitarismus lehnt im allgemeinen ab, den Menschen als Person
oder als Volk aufzufassen, und betrachtet ihn stattdessen nur unter den
zoologischen Kriterien der »Menschenmasse« sowie ihres Korrelats:
des Individuums. Der Surhumanismus, so wie ihn die heidnische
Tradition implizit formulierte und Nietzsches Denken darlegte, behauptet dagegen,
daß der Mensch aus sich heraus handelt, und nicht durch die Gattung,
d.h. jene »Menschheit«. Er handelt »aus sich heraus«,
nicht als atomisiertes Individuum, sondern als Volk oder als schöpferische
Person, die die Seele und das Schicksal ihres Volkes zum Ausdruck bringt.
(Ebd., 1988, S. 223).Der Individualismus des egalitär-humanitaristischen
Bewußtseins darf nicht mit dem von uns angesprochenen »Personalismus«
(**) verwechselt werden; er
verweist vielmehr auf das Magma der Gattung, das heißt auf eine Menschheit,
die nur die Addition einer Unzahl von »gleichen« Individuen darstellt.
Diese rückschrittliche Anschauung des Menschlichen kommt in der jüdisch-christlichen
Philosophie der Menschenrechte zum Ausdruck. Hier wird der Mensch nur als human
being (nach der schrecklichen angelsächsischen Formulierung) aufgefaßt,
das heißt im Grunde als »menschliches zoologisches Wesen«, als
Säugetier des Typs Homo. (Ebd., 1988, S. 223-224).
Personalismus:
Den Menschen nicht primär als denkendes, sondern als handelndes, wertendes,
praktisches Wesen betrachrende philosophische Richtung. (Ebd.). |
Und
so wie es natürlich erscheint, daß alle Tiere derselben Gattung gleich
sind und die gleichen »Rechte« haben, so hält der jüdisch-christliche
Zoologismus es für ebenfalls natürlich, daß alle menschlichen
Tiere gleich seien. Die Anschauung des Massenmenschen (Christentum und Okzidentalismus)
und die Auffassung des Menschen als autonomes Individuum sind somit miteinander
verwandt: sie verwerfen das historische Bewußtsein, sie unterwerfen das
Menschliche dem Ungedachten der Gattung und dem Determinismus einer theologischen
oder ökologischen Entwicklung je nach der Lehre. So wie man aber zwischen
zwei historischen Optionen, zwischen unzähligen Formen der Vergangenheit
oder der Zukunft wählen kann, so kann man zwischen der Annahme dieser Historizität
(Geschichtlichkeit), die der Mensch in sich trägt, und ihrer Ablehnung wählen.
(Ebd., 1988, S. 224).
Was das historische Bewußtsein,
die Zeitlichkeit des Menschen, kennzeichnet und dem Tier sowie den untergehenden
Zivilisationen völlig entgeht, ist sein Wille zum Fortbestehen, den
Heidegger als »Jemeinlichkeit« bezeichnete (er
nannte es: Jemeinigkeit; HB). Mit diesem Willen sorgt der
Mensch als historisches Wesen für sich selbst (siehe die Heideggersche
Sorge, die mit der lateinischen Cura verwandt ist), ohne
sich dem Programm der Gattung zu überlassen. (Ebd., 1988, S.
224).
Dieses
dem historischen Bewußtsein eigentümliche »Für-sich-selbst-Sorgen«
bewegt den Menschen, sich in die Zukunft zu projizieren, indem er sich zeitlich
vorausgeht und indem er die von ihm gelebte Gegenwart als »Schon-Vergangenes«
auffaßt. In dem historischen Bewußtsein, das nicht linear, sondern
nur dreidimensional sein kann (da Vergangenheit und Zukunft, die beiden einzigen
Realitäten, in den einfachen Inhalt hineinschmelzen, den der gegenwärtige
Augenblick darstellt), erlangt der Mensch eine einmalige »Selbstpräsenz«,
da sie das bloße unmittelbare Bewußtsein, hier und jetzt zu existieren,
übersteigt, das dem Tier und den antihistorischen Zivilisationen des gegenwärtigen
Okzidents eigen ist. (Ebd., 1988, S. 224).Die Selbstpräsenz
des historischen Menschen, des historischen Ego enthält eine Tiefe und eine
mehrdimensionale Intensität, die zu der Behauptung bewegen, daß die
westliche Zivilisation (die von dem Ehrgeiz beherrscht wird, den Massenmenschen
im Glück einer ewigen Gegenwart zu bauen) vergleichsweise den Typus eines
niederen, zum Zoologischen zurückschreitenden Menschen baut, weil er nicht
über diese zeitliche Intensität der Selbstpräsenz verfügt,
die das historische Bewußtsein kennzeichnet. (Ebd., 1988, S. 224-225).Die
Welt des Menschen umfaßt nämlich sämtliche Relationen, die um
den Menschen in seinem Interesse, im Interesse seines Willens-zur-Macht entstehen.
Und diese Beziehungen entstehen potentiell: der Mensch definiert sich nämlich
immer wieder als ein Sein-Können. Der Mensch, der sich seiner als
Ego annehmen muß (da er »aufgegeben« und in die Welt »geworfen«
wird), der für sich selbst sorgen und die Welt dementsprechend verändern
(und »pflegen«) muß, wird nämlich zu jedem Zeitpunkt vor
eine Wahl gestellt, wird immer wieder aufgefordert, angesichts einer Alternative
zu entscheiden und zu handeln, da die Welt für ihn als ein
Komplex von Wechselbeziehungen, als eine ständige Inter-Kommunikation (das
Heiderggersche Mitsein) erscheint. (Ebd., 1988, S. 225).
Der Abbau der europäischen Geschichte
Das
Judäo-Christentum und der Egalitarismus scheinen den Menschen ebenfalls als
historisches Wesen zu definieren. Doch dem ist in Wirklichkeit nicht so, da das
Judäo-Christentum in seiner eschatologischen, messianischen und segmentären
Auffassung der Geschichte diese als vorübergehend hinstellt. Sowohl
im hegelisch-marxistischen Messianismus wie auch in der progressistischen Lehre
der liberalen Demokratien ist die Geschichte dazu bestimmt, sich zu vollenden
und (weil sie »schlecht« ist) durch die Errichtung einer weltweiten
Justiz, einer weltweit befriedeten Gesellschaft zum Abschluß zu kommen,
so wie die Parusie im Christentum die Geschichte der Menschheit zugunsten des
Regnum Christi beenden wird (**|**|**|**|**|**|**|**).
In dieser Weltanschauung ist der Mensch demnach im Grunde kein historisches Wesen;
er wird nicht ewig zur Geschichte bestimmt. Zur Geschichte wird er nur vorübergehend
verurteilt. Und das Heil wird ihn, sofern er dem »Sein-Sollen« entflieht,
davon erlösen. Die jüdisch-christliche und egalitäre Anschauung
des Menschen ist, wie bereits erwähnt, mit einer schlicht zoologischen Auffassung
gleichzusetzen, weil sie die Dreidimensionalität des menschlichen Bewußtseins
ausschließt und den Menschen nicht als ein stets historisches Wesen definiert.
(Ebd., 1988, S. 225).Die surhumanistische Auffassung des Menschen
und der Welt, die man »neopaganisch« bezeichnen könnte und die
in Europa mit Nietzsche wiederkam, behauptet dagegen, daß die Geschichte
des Menschen mit dem zoologischen Leben und den »Dingen« nichts zu
tun hat (siehe Wilhelm Dilthey). Die Geschichte ist eine supravitale, rein menschliche
Angelegenheit, und nur der Mensch besitzt (virtuell) die Geschichtlichkeit. Und
er besitzt sie als einziger, weil er die Zeit auf dreidimensionale Weise erfährt.
(Ebd., 1988, S. 225-226).Nach diesem ersten Untersuchungsabschnitt
können wir bereits die brennende und umstrittene Frage nach dem quantitativen
und/oder qualitativen Unterschied beantworten, der bei den einzelnen Zivilisationen
und ihrer jeweiligen Entwicklungsstufe zu beobachten ist. (Ebd., 1988, S.
226).Ist der europäische Mensch den anderen
»überlegen«, weil er als erster die moderne Technik einführte?
Nein, denn die Technik gehört der Lebensordnung an, und nicht der Geschichtsordnung.
Die Technik geht aus dem Biologischen hervor, denn es liegt in der genetischen
Natur des Menschen, ein Techniker zu sein, um in seiner Umweltzu überleben.
Aber hinsichtlich der Geschichtlichkeit des Menschen (der wohl wichtigste Gesichtspunkt)
ist keine Kultur einer anderen überlegen. Alle Menschen, vom präneolithischen
Primitiven bis zum Menschen der modernen Technik, werden von der Geschichtlichkeit
bewegt, jener Geschichtlichkeit, die sich als »etwas anderes« denn
das Leben enthüllt. (Ebd., 1988, S. 226).Und selbst
wenn eine Zivilisation diese Geschichtlichkeit nicht aktualisierte, indem sie
beispielsweise diesseits der Geschichte blieb, kann sie es jederzeit tun und in
die Geschichte eingehen; was zum Beispiel die Völker Afrikas im 20. Jahrhundert,
im Anschluß an die europäische Kolonisierung taten. (Ebd., 1988,
S. 226).Die Geschichtlichkeit des Menschen wirft eine zweite folgenschwere
Frage auf. Würde die Tradition dieser Geschichtlichkeit nicht entgegenwirken,
indem sie das Gedächtnis daran hindert, sich in einem Entwurf zu aktualisieren,
indem sie dem Menschen verbietet, »Wahlentscheidungen zu treffen«
(die wesentliche Tat des historischen Bewußtseins) und indem die ihm ein
Programm festsetzt? Käme die Tradition nicht etwa einer Art zoologischer
Sperre gleich, wie der Nachklang einer tierischen Vergangenheit, wo das Verhalten
der Gattung vom genetischen Code diktiert würde? Auch hier ist die Antwort
negativ: die Tradition ist kein Programm in Form eines starren Codes; sie ist
vielmehr auch der Gegenstand einer Wahl, einer riskierten Entscheidung; sie ist
Bestandteil des historischen Bewußtseins. Jedes historische Projekt (auch
jede freie Wahlentscheidung), das eine Selbstprojektion des Menschen in die Zukunft
ist, bedingt die homothetische Wahlentscheidung, sich in die Vergangenheit zu
projizieren, die Tradition wiederaufzubauen. (Ebd., 1988, S. 226).Walter
Otto (vgl. Die Götter Griechenlands) erinnert uns daran, daß
die aus den achäischen Invasionen hervorgegangene »neue Kultur«
ihr Pantheon, folglich ihre religiösen Traditionen (Mythos des von Zeus besiegten
Chronos) wiederherstellte. Eine Re-Interpretation der Vergangenheit und der gründenden
Mythen erfolgt, sobald ein neues historisches Projekt ans Licht tritt. Im allgemeinen
kann keine Projektion in die Zukunft, keine Wahlentscheidung ohne die Unterstützung
der Tradition durchgeführt werden. Wir können sogar behaupten, daß
das Zukunftsprojekt die Projizierung (die Fortsetzung) einer bestimmten
Tradition betrifft. Die »Zukunft« des Menschen ist demnach keineswegs,
wie die progressistischen Philosophen der jüdisch-christlichen segmentären
Zeitauffassung es wähnen, ein Bruch oder eine Fortsetzung« der Vergangenheit
und der Tradition, sondern die Vergangenheit selbst (genauer gesagt »eine«
Vergangenheit), die in das Zu-Kommende projiziert wird. Der Stoff der Geschichte
ist nichts anderes als die Vergangenheit, so wie die Essenz eines historischen
Projekts die Tradition ist. (Ebd., 1988, S. 226-227).Diese
These soll veranschaulicht werden. Wenn wir davon ausgehen, daß unsere Epoche
in Europa den Kampf zwischen zwei großen historischen und politischen Projekten
(dem des egalitären Humanitarismus: aus Europa eine von der mehrrassischen
Konsumgesellschaft regierte Zone des weltweiten Okzidents machen; und dem des
»ghibellinischen« Surhumanismus: Europa als imperiales Modell gegen
die ökonomistische Zivilisation gestalten) erlebt, werden beide Bewegungen,
die hinsichtlich der Zukunft Europas unterschiedliche Wahlentscheidungen treffen
wollen, die traditionelle Vergangenheit Europas selbstverständlich in aller
Freiheit deuten, um ihre Projekte zu stützen. Die einen werden bestrebt sein,
Europa in seine jüdisch-christliche Tradition einzubetten, die anderen in
seine paganisch-ghibellinische. Und die gesamte Vergangenheit, ebenso die mythologische
wie die künstlerische, literarische, politische und religiöse, wird
dann mit Hilfe dieser beiden Subjektivitäten wieder gelesen, ohne daß
man jemals von »objektiver« Tradition sprechen kann. (Ebd.,
1988, S. 227).Wenn wir von der Geschichtlichkeit
des Menschen sprechen, von seinem freien Vermögen, »nur für sich
selbst zu sorgen«, risikoreiche Wahlentscheidungen zu treffen und sich in
die Zukunft zu projizieren handelt es sich in der surhumanistischen Sicht
nicht um irgendeinen Menschen oder um alle Menschen. Wenn jeder
Mensch virtuell zum aktiven historischen Bewußtsein gelangen kann, so tun
es in Wirklichkeil recht wenige. Zu ihm gelangen lediglich die Persönlichkeiten
(die den Gegensatz zu den »Standardmenschen« abgeben), die ihre Zeitgenossen
und ihre Nachfolger ohne ihr Zutun in die Geschichte werfen. Der Mensch verharrt
meistens im dem Bereich dessen, was Heidegger das »Man«
bezeichnete, und betritt selten die behauptende, supravitale und gewagte Stufe
des menschlichen Ego. Die Behauptung des menschlichen Ego, die der historischen
Tat und der Geschichte zugrunde liegt, stellt hinsichtlich der Biosphäre,
des Lebens etwas Unerhörtes dar: Bruch mit den natürlichen Gesetzen
der natürlichen Evolution, Substitution des genetischen Programms durch ein
kulturelles. Die Technik, mag sie zwar wie oben ersichtlich aus der Lebensordnung,
und nicht aus der Geschichtsordnung hervorgehen (**),
»beseelt« in diesem Sinne dennoch von innen her das historische Bewußtsein
und sein supravitales Wesen. (Ebd., 1988, S. 227-228).Das
Einwirken der Technik auf die Masse-Energie, die lebende Zelle oder das Genom
z.B. verleiht dem historischen Bewußtsein des Menschen die Fähigkeit,
Lebensprogramme (die natürliche Evolution oder die Laufbahn der Planeten)
durch die Entwürfe des menschlichen Willens konkret zu ersetzen. Letzten
Endes entscheidet aber das historische Bewußtsein, der Wille des Ego über
die Anwendung dieser Technik und über die Nutzung der damit verbundenen Möglichkeiten,
die Lebensordnung zu übersteigen. Wie Heidegger es zeigte, sind natürlich
die meisten Menschen (die von dem »Man«
beherrschten »Standardmenschen«) die Diener der Technik, sind
ihren Forderungen unterworfen: Die Technik selbst wird aber von den Persönlichkeiten
sozusagen begangen, die mit dem Willen veranlagt sind, das menschliche Ego und
das ihm innewohnende ungeheuere Entscheidungsrisiko (die »Wahl«) einzusetzen.
Die Technik ist nicht übermenschlich, sondern dem Übermenschlichen unterworfen.
(Ebd., 1988, S. 228).
Die Tradition: einzige Schicksalsförderin
Erkennt
man dieses faustische Vermögen zur Behauptung des menschlichen Ego als treibende
Kraft der Geschichte an, so begreift man auch, daß der Surhumanismus gegenüber
der Zeitlichkeit und ihrem offenbaren Determinismus zu einem Zustand der Freiheit,
ja sogar der Befreiung gelangen kann. Dem faustischen und surhumanistischen Bewußtsein
erscheint die Vergangenheit nämlich niemals als abgeschafft. Dieser Geschichtsauffassung
zufolge ist die Macht der Tradition unzerstörbar. Sie kann jederzeit wiederauftauchen,
selbst Jahrhunderte nach ihrem scheinbaren Tod. Gleich dem Gedächtnis, dem
Alptraum oder dem bezaubernden Traum, der einen erneut verfolgt, obwohl er sie
in Vergessenheit geraten zu sein glaubte, bleibt die Tradition, diese unerschöpfliche
Zuflucht, ewig gegenwärtig, ewig gründend, bleibt eine latente Macht
mitten im Realen, mitten in der Schwäche der Gegenwart, die vorüber-
und vergeht. (Ebd., 1988, S. 228).Darum müssen wir,
wie die Wechselfälle des heutigen kranken Europa auch sein mögen, unsere
uralten Traditionen, vor allem die stärksten unter ihnen bewahren; diejenigen
nämlich, die uns eigentümlich sind und die uns niemand wird entreißen
können, z. B. den imperialen Mythos, die griechischen Dichter und Philosophen,
die Denkmäler der Literatur und der Architektur, die unsere Vorfahren errichteten,
damit sie eines heute eingetroffenen Tages als Inspiration, als
Zuflucht in einer Zeit der Not fungieren können. Exegi monumentum aere
perennius (Übersetzung: Ich habe ein Denkmal
vollendet, dauerhafter als Erz; oder auch: Also schuf ich ein Mal, dauerhafter
als Erz; HB), schrieb Vergil (ich kennen es nur
von: Horaz, Carminum - Liber tertius, Ode 30, in: Horaz, Werke,
S. 176 [**];
HB). (Ebd., 1988, S. 228-229).Werden wir uns
dessen bewußt, daß in diesem 20. Jahrhundert die »Progressisten«
und die »Revolutionäre«, die Anbeter der Gegenwart und zugleich
Bestatter der Vergangenheit, die senilste, die kälteste, die am wenigsten
abenteuerliche Zivilisation der Geschichte hervorbrachten, die Zivilisation der
weltweiten Verspießbürgerlichung und des Rückwärts-Eintritts
in die Zukunft! (Ebd., 1988, S. 229).Trotz ihrer pathologischen
technologischen Vibration, trotz ihres fieberhaften Strebens nach Mikroneuerungen
schafft diese Zivilisation nichts Historisches. Um zu schaffen, muß man
konservativ sein: Wer tatsächlich am Hergebrachten hängt, verfügt
nämlich über eine dreidimensionale Anschauung der Zeit, stützt
sich auf eine Vergangenheit, auf eine Tradition, die für ihn stets gegenwärtig
und lebendig ist und die er nunmehr in die Zukunft projizieren kann. Der Progressist
kann nichts gründen und nichts schaffen, da er die Vergangenheit und die
Tradition als tot und abgeschafft betrachtet: er stützt sich auf Sand, auf
das Trugbild; und dieses Trugbild besteht darin, auf der reinen Gegenwart, d.h.
auf dem Vergänglichen selbst, zu bauen. (Ebd., 1988, S. 229).Der
progressistische Revolutionär ob Marxist, Sozialdemokrat, Utopist
der Menschenrechte, Monomane der informatischen Planetisierung (Mac Luhans Mythos
des »globalen Dorfes«) geht von einem Nullpunkt der Geschichte
(»Jetzt«) aus, ab dem alles möglich ist, wenn man die Erfahrung
der Vergangenheit sowie die dort gespeicherten Kräfte außer acht läßt.
Von einem solchen Nullpunkt auszugehen heißt, aber sich dazu verurteilen,
in die Null auszulaufen, heißt, sich zur Erstarrung der Geschichte verurteilen,
wie das Schicksal dieser Welt seit 1945 es zur Genüge zeigt, wo der Status
quo, die allgemeine Ernüchterung über den Fortschritt und die Pleite
der großen universalistischen Ideale den Hintergrund für die Gleichgültigkeit
und die Willenlosigkeit unserer Zeitgenossen abgibt trotz der Fortschritte
einer sinnlos werdenden Technik. (Ebd., 1988, S. 229).Der
Revolutionär-Konservative bleibt in der Geschichte, und seine Tätigkeit
bleibt dadurch zukunftsgründend, zukunftsoffen. Der Progressist, der das
Ende der Geschichte (**|**|**|**|**|**|**|**)
will und daran glaubt, stimmt dagegen mit dem reaktionären Traditionalisten
in der Wahl der Erstarrung überein, da die Vergangenheit für ihn lediglich
auch eine Leiche ist, nur eben eine, die man mumifiziert. (Ebd., 1988, S.
229-230).Sofern die Modernität des Okzidents sich als Sackgasse
herausstellte, werden nur der Vergangenheitsschock, der Rückgriff auf die
Vergangenheit, Europa eine abenteuerliche Zukunft schenken vorausgesetzt,
daß diese »Vergangenheit« nicht die des Judäo-Christentums
und seines Humanitarismus ist, sondern die Reaktivierung jener »anderen
Vergangenheit« Europas, die Nietzsche als erster voll ins Bewußtsein
zu heben versuchte. Im Lichte dieser anderen Vergangenheit (der paganisch-ghibellinischen
Vergangenheit, die unsere gesamte Geschichte durchzieht und sogar mitten in den
sogenannten »katholischen« Institutionen wirkte) muß die moderne
Technik überdacht werden. Diese Technik, deren Nonsens heute allen offenkundig
ist (weil sie nur von der Ideologie des individualistischen Wohlstands, von dem
»humanitaristischen« Projekt einer Domestizierung der Gattung angetrieben
wird), wird ihren Sinn wiederfinden, wenn sie jener von Nietzsche erkannten Forderung
unterworfen wird: jener nach Herrschaft des aufgeklärten Willens-zur-Macht
der schöpferischen Persönlichkeiten, die Nietzsche »Aristokratie«
nennt. (Ebd., 1988, S. 230).
Der europäische Neofuturisms
Unter dieser Bedingung
wird die europäische Zukunft bestehen und Sinn bekommen: Nur die Konservativen
können die Geschichte bewahren und ein Schicksal vorbereiten nur
sie sind demnach »Futuristen«. Heraklit meinte nichts anderes in seiner
berühmten Fluß-Metapher: um jedesmal in einem anderen Wasser baden
zu können (d.h. um dem Schicksalslauf zu folgen und in der Geschichte zu
bleiben), ist es notwendig, daß der Fluß (d.h. die Geschichte als
Gedächtnis) existiert. Die Utopie, als »Sehnsucht« nach
einem Schicksal und einer Zukunft, die nur von unserem Willen und unserer Vorstellungskraft
abhängen, ist deshalb steril und todbringend, wenn sie nicht mit einem Mythos
verbunden ist. Die liberale und marxistische Utopie, die Erde nach dem Modell
des Egalitarismus und des Materialismus zu vereinheitlichen, beruht nicht auf
einem historischen Mythos, sondern auf einer Illusion, auf der Wahnvorstellung
von dem »Naturzustand« des Gesellschaftsvertrags. Eine solche Illusion
hat mit der historischen Vergangenheit nichts zu tun, da der Naturzustand eine
moderne Erfindung ist, die auf eine prähistorische Vergangenheit unstatthafterweise
projiziert wird, und der Bezug dieser progressistischen Utopien gerade die Nicht-Geschichte
ist. (Ebd., 1988, S. 230).Die Utopie kann sich dagegen als
grundlegend erweisen, sobald sie sich auf einen Mythos stützt, d.h. auf etwas
Reales, da der Mythos ein Bericht ist, der in die Geschichte einwächst und
für den Fortbestand der Geschichte sorgen soll. In diesem Sinne kann sich
die Utopie einer zeitgenössischen konservativen Revolution z.B. auf den europäischen
imperialen Mythos (Römisches Kaiserreich, Heiliges Römisches Reich Deutscher
Nation usw.) stützen, der eine viel reellere Kraft darstellt als sämtliche
futurologischen Projektionen der progressistischen Utopien. Die Ideologien des
heutigen Okzidents fallen nämlich durch ihr Unvermögen, die Zukunft
zu gründen und das Schicksal zu gestalten, auf: ohne gründende und mobilisierende
Mythen (unter dem Vorwand des »Realismus«...), auf dem Sand einfältiger
»Entwürfe« der universalistisch-egalitären Lehre, und nicht
auf dem festen Boden der Geschichte und der Tradition aufgebaut, haben sie kaum
Aussicht auf Verwirklichung und überlassen daher die Ereignisse dem blinden
Willen des technomorphen Weltsystems. Diese Ideologien erscheinen irrealistisch
in ihrem vorlauten Rationalismus. Sie übersehen das Wiederauftauchen des
Religiösen und des Politischen, d.h. des Mythos, wie wir es anläßlich
der Ereignisse, die die arabisch-moslemische Welt erschüttern, feststellen
konnten. Wir sollten alle diese von falscher Weisheit geprägten Diskurse,
die ebenso eine kommunistische Gesellschaft wie einen us-amerikanisierten, standardisierten
Weltmarkt wollen und prophezeien, nicht mehr ernst nehmen: alle diese kalten Prophezeiungen
über das baldige Aufkommen eines weltweiten Modells »globaler Kommunikation«,
»post-industrieller Gesellschaft«, das den jetzigen Zustand Kaliforniens
auf den gesamten Planeten ausweiten soll. (Ebd., 1988, S. 231).Ziehen
wir vielmehr die politischen Entwürfe und Utopien in Betracht, die sich auf
die Reaktivierung eines historischen Mythos (z.B. das »Große Arabische
Vaterland«) gründen: Dieses Vorgehen erscheint viel umfassender, organischer,
realistischer, weil es alle Aspekte des menschlichen, vor allem das Religiöse
und das Irrationale, berücksichtigt, und sich nicht damit begnügt, die
Zukunft auf der Illusion des mathematischen und wirtschaftlichen Rationalismus
aufzubauen. Es ist einfach bedauerlich, daß die Völker der Dritten
Welt (Mexiko, arabische Welt, Indien, Afrika) in viel größerem Maße
auf solche Mythen zurückgreifen und dadurch Konservativer, futuristischer
und realistischer sind als wir! (Ebd., 1988, S. 231).Erst
wenn Europa den Sinn für das Heilige und die Schicksalsgemeinschaft wiederentdeckt,
wird es sich regenerieren. Wir sind diesbezüglich paradoxerweise besser dran
als die Amerikaner und die Sowjetrussen, deren Gesellschaft nur auf einer rationalistischen
und materialistischen Hoffnung gründet und jede mythische Spiritualität
(d.h. was Geschichte in sich trägt) endgültig aufgegeben hat zugunsten
des rein technologischen und mathematischen Aufbaus ihrer Zukunft. Henry James
sagte: »Ich muß nach Europa kommen, um den Sinn für das Tragische
wiederzuentdecken.« (Ebd., 1988, S. 231-232).Und gerade
dieses Tragische fehlt dem okzidentalen und optimistischen Modell der USA und
der Sowjetunion. Nur das Tragische ist aber geschichtsgründend. Der Optimismus
des westlichen Progressismus führt zum Tod, wie die demographische Implosion
es offenbart; letztere, bemerkte Pierre Chaunu, tritt in Ländern zutage,
wo man die Präsenz des Todes nicht mehr wahrnimmt, wo die Beerdigungsriten
verschwunden sind, wo der Optimismus der Konsumunmittelbarkeit, die bürgerliche
Ver-Sicherung des Alltagslebens und der oberflächliche Kult der lachenden
Jugendlichkeit in dem kollektiven Bewußtsein den Ahnenkult und die vertraute
Präsenz des Todes ablösen. Ohne lebendiges Gedächtnis, ohne
Kult um die Toten und die Ahnen, gibt es keine Kinder, keine Geschichte, keine
Zukunft, ohne Tragik, kein Wille zum Überleben, ohne vergangene Stammlinie,
keine zukünftige Stammlinie. (Ebd., 1988, S. 232).Der
alte, von dem Tragischen, den Toten und dem Gedächtnis bewohnte Erdteil Europa
hat paradoxerweise mehr Überlebenschancen als jene amerikanisch-okzidentale
Gesellschaft, die der Atheismus (hinter der prosaischen Maske der falschen Religion
der Menschenrechte) und die optimistische und absolut vergängliche Scheinjugendlichkeit
der »technologischen Zivilisation« bewohnen. (Ebd., 1988, S.
232).Trotz des Zusammenbruchs des (zur ideologischen
Vulgata gewordenen) Christentums als Religion bleibt Europa immer noch vom Sakralen
angezogen. Es wird zu seiner kulturellen und demographischen Fruchtbarkeit zurückfinden,
wenn es sich wieder Mythen und Beerdigungsriten gibt. Wir wüßten nicht,
wo es die dazu nötige Energie noch schöpfen könnte außer
in seinem heidnischen Gedächtnis .... (Ebd., 1988, S. 232).Da
die USA jegliches Gedächtnis aufgaben, da sie »ohne Vergangenheit«
sein wollten, wüßten wir nicht, wo sie die Mythen, das Gedächtnis
und den Sinn für das sakrale, die langfristig zu deren Überleben nötig
sind, finden könnten. An anderer Stelle legten wir dar, daß Europa
nur »in Dekadenz« begriffen ist (und demnach daraus herauskommen kann),
die amerikanisch-okzidentale Zivilisation dagegen der Untergang ist. (Ebd.,
1988, S. 232).Die faustische Seele, die Europa innewohnt, ist tragisch,
und in dieser Hinsicht ist der jetzige »Europessimismus« möglicherweise
fruchtbarer als der niedrige selbstzufriedene Optimismus des Amerikaners, der
aber beim ersten Sturm vergehen und sich in Niedergeschlagenheit wie anläßlich
des Vietnam-Kriegs verwandeln wird. Die Tragik, die durch die Bewußtwerdung
der Sackgasse (in der sich augenblicklich die europäische Identität
befindet) entstand, kann zu einem unerwarteten Erwachen führen. In diesem
Zusammenhang müssen wir über die historische Erfahrung des mittelalterlichen
Menschen nachdenken, der uns mindestens im gleichen Maße wie der griechische
Mensch den Weg dessen aufzeigt, was wir vielleicht wieder-anfangen sollen. Der
Mensch des Mittelalters leitet in seinen politischen, religiösen, baulichen
Formen eine außergewöhnliche Metamorphose ein. Er befreit sich von
dem, was in der Tradition belastend ist, und richtet auf letztere einen ganz neuen
Blick. Als Erbauer oder Politiker schafft er radikal erneuernde Formen und macht
sie sich als Traditionen zu eigen: zum Beispiel die spitzbogige Kathedrale oder
das Lehnswesen. Der präfaustische mittelalterliche Mensch ist sich selbst
immanent, schöpferisch. Er entdeckt einen neuen Polytheismus, eine neue Ästhetik,
eine neue Politik, ohne auf die Kategorie der »Modernität« oder
des »Fortschritts« zurückgreifen oder sich gegen die Vergangenheit
auflehnen zu müssen. Eine solche dionysische Macht ist die Haltung, die wir
angesichts unserer jetzigen Lage einnehmen müßten. (Ebd., 1988,
S. 232-233).Die Renaissance und damit die
künstliche Erinnerung an eine antike Welt sind kaum da, und schon sterilisiert
das »Modell«, diese ewige Schrulle, alles. Ein literarischer und toter
Paganismus löst einen Katholizismus ab, der im Begriff war, neo-heidnisch
zu werden. Und schon werfen Calvin, Luther, die Gegenreformation und die Re-Christianisierung
ihre Schatten voraus. Es ist normal: Das Plagiat der künstlich zurückgerufenen
Antike sterilisiert die schöpferische Magie des mittelalterlichen Menschen.
Man wollte den römischen Staat, die Säulenordnung der antiken Tempel
nachahmen. Man zerstörte schließlich das Feudalwesen und gab die bejahende
Architektur des Ogivalstils auf, ohne natürlich die Harmonie der Griechen
und der Römer jemals wiederzufinden. Man fand lediglich den modernen Staat,
das Christentum und den Individualismus. Der Paganismus verließ das erlebte
Unbewußte, die soziale Immanenz, den politischen, sakralen oder ästhetischen
Alltag, um sich, nun unter Kontrolle stehend, in die sogenannte ,profane Kunst«
zu flüchten. Der Mensch des Mittelalters befand sich auf dem richtigen Weg:
der zur Rückkehr der verklärten Götter führt. (Ebd.,
1988, S. 233).Der neoeuropäische Geist muß sich die
schöpferische Seele des Mittelalters zum Vorbild nehmen. Diese nahm die ungeheure
Herausforderung auf, auf den Zusammensturz der gigantischen römischen Welt
zu folgen, der bei dem Ausmaß der Katastrophe das Ende aller europäischen
Kultur/Zivilisation hätte nach sich ziehen können. Trotz der Umwälzung,
die den Übergang von der römischen zur mediävalen Welt hervorrief,
blieb die europäische Identität nämlich verwandelt und sich identisch
zugleich. Den gleichen Übergang, den gleichen Bruch müssen wir nunmehr
vollziehen: uns verwandeln, um unsere Identität zu bewahren; mit der progressistischen
»Tradition« brechen, um unser eigenes Wesen zu bewahren. (Ebd.,
1988, S. 233-234).Des-installiert und faustisch sein; den Traditionalismus
und das, was als »Futurismus« bezeichnet werden könnte, miteinander
verbinden können; gleichzeitig die europäische Verwurzelung und die
Fortsetzung unserer Stammlinie in der zu-künftigen Geschichte vor Augen haben,
d.h. jeden versteinernden reaktionären Traditionalismus und jeden sterilisierenden
Gegenwartskult verwerfen; das bedingt vor allem die Ablehnung des Progressismus
und seiner abscheulichen Version, der Idolatrie des »Zukünftigen«.
Der europäische Futurismus, der europäische Neofuturismus könnte
man sagen, setzt nunmehr paradoxerweise voraus, daß man dem Begriff der
Zukunft mißtrauisch gegenübersteht. (Ebd., 1988, S. 234).Von
der Zukunft können wir nämlich keine Erfahrung haben. Wir können
keine andere Erfahrung als die der Vergangenheit haben. Die zeitgenössische
Futurologie, indem sie unsere Zukunft in deterministischen Attributen einschließt,
läßt uns einen Sinn der Geschichte abgöttisch verehren, neutralisiert
unseren Willen, historische Projekte auszuwählen und uns eine Zukunft zu
geben, bestimmt uns dagegen eine Zukunft, die einer bloßen quantitativen
Steigerung der mundialistischen Konsumzivilisation entspricht. Wenn wir nicht
an die Futurologen glauben, wird unsere Zukunft frei bleiben, und wir werden dort
diesen »Vergangenheitsschock« erzeugen, vor dem sich das humanitaristische
Bewußtsein so sehr fürchtet. (Ebd., 1988, S. 234).In
der Tradition, die wir uns aussuchen, werden wir möglicherweise das Gesicht
und die Inspiration unserer Zukunft finden: eine für die zeitgenössische
Mentalität unvorstellbare Zukunft, eine für die »schöne Seele«
des Humanitarismus, die Gérald Hervé geißelt (vgl. a.a.O.),
unannehmbare Zukunft (es ist dieselbe Seele, die sich auf der aufsteigenden Linie
des Fortschritts wähnt, aber aller Wahrscheinlichkeit nach nur die vorübergehend
triumphierende Figur des westlichen Interregnums ist.) (Ebd., 1988, S. 234).Dieses
»Interregnum«, in dem wir leben, können wir als die von Nietzsche
eingeweihte Periode bezeichnen, wo der Egalitarismus seine kritische Phase erreicht
und sein Tempo beschleunigt, wo Europa ablegt, was ihm an Identität übrig
blieb, wo die »Humanität« sich gemäß dem ausgetragenen
jüdisch-christlichen Projekt konkret verwirklicht, wo aber gleichzeitig der
Wille, die Geschichte zu regenerieren, bei neuen Eliten wieder auftaucht.
(Ebd., 1988, S. 234).Das gesamte 20. Jahrhundert bildet in Wirklichkeit
dieses Interregnum. Es kann durchaus sein, daß es in nichts, in nichts anderes
mündet als in den bereits eingeleiteten Prozeß des totalen Triumphs
des Egalitarismus, der Vermassung und des endgültigen Untergangs der europäischen
Kultur/Zivilisation. Es kann aber auch sein, daß es nach der Ernüchterung
das Ende des Egalitarismus herbeiführt. Dieses Ende ist für die meisten
Zeitgenossen schwer vorstellbar, weil es nicht die »Verneinung« der
Gleichheit oder die Ära des »Inegalitarismus« bedeutet, sondern
vielmehr die Ära, von der an der Unterschied zwischen Egalitarismus und Inegalitarismus
gegenstandslos sein wird, von der an die Wahl zwischen »Rassismus«
und »Antirassismus«, zwischen Kosmopolitismus und Verwurzelung keinen
Sinn mehr haben wird, von der an der Streit zwischen reaktionären Traditionalisten
und Progressisten, zwischen Links- und Rechtssensibilität nicht mehr wird
stattfinden können, weil diese Grundfragen dann endgültig gelöst
sind, weil etwas anderes dann auf dem Spiel steht, weil die Geschichtsordnung
nach dem Wort Homers »durch den Blitz oder durch die Überzeugung«
wiederhergestellt sein wird. (Ebd., 1988, S. 234-235).»Es
gilt«, schreibt Pierre Vial, »das längste historische Gedächtnis
zu haben, um eine größere Zukunft zu gründen ... Ein Volk ist
ein Lebewesen. Es kann sterben; es kann eines physischen, aber auch eines geistigen
Todes sterben: Ein Volk, das seine Seele verloren hat, ist ein zum Tode verurteiltes
Volk ... Ein Volk ist eine Gemeinschaft, die ihrer selbst bewußt ist und
in der Geschichte eben durch ihren Willen, Geschichte zu machen, eingetragen
ist... Was gründet ein Volk? Ein gemeinsames Erbe und der Wille, gemeinsam
zu leben. Dieser Wille bleibt aber aus, wenn kein Konsens über seine historischen,
kulturellen und überhaupt mythischen Bezugspunkte vorliegt. Die gründenden
Mythen sind für das Leben eines Volkes, für sein Schicksalsbewußtsein,
für seinen Willen-zu-werden unerläßlich« (Pierre Vial, a.a.O.).
(Ebd., 1988, S. 235).Die faustische Seele findet zugleich ihre
Kraft und ihre Spezifität in dieser Ambivalenz: Aufruf zu den Mythen, Einsicht
in die Dekadenz, die Verlassenheit. Als verdammte Seele trotzt sie dieser Verdammnis
durch den Rückgriff auf die Mythen, die als einzige die Geschichte gegen
die Schicksalsbestimmung regenerieren. Die heute verurteilte Zivilisation muß
von der »faustischen Seele« beherrscht werden wollen (wobei
aber zu berücksichigen ist, daß in Zeiten des Nihilismus die »faustische
Seele« nihilistisch wirkt; HB). Julien Freund hat zu Recht nachgewiesen,
daß die Dekadenz eine gründende Idee ist, daß die Bewußtwerdung
einer reellen oder vermuteten Dekadenz eine historische Regenerierung nach sich
ziehen könnte. Gründete sich das Heilige Römische Reich Deutscher
Nation nicht auf die Idee der Dekadenz des Römischen Reichs, die alle Geister
wie eine düstere Nostalgie quälte? (Ebd., 1988, S. 235).
Die europäische Identität im Schatten
der modernen Technik
Am
Kreuzweg der faustischen Seele und der europäischen Identität ist die
beunruhigende Realität der modernen Techno-Wissenschaft zu finden; diese
»unbestimmbare«47 Realität, deren doppelte Gefahr darin besteht,
daß sie zum einen unkontrollierbar wurde und den menschlichen Willen übersteigt,
zum anderen die Identitäten in die Weltordnung des homogenen Artifizialismus
eintaucht. »Die Forderung nach absoluter Gleichheit ist nichts anderes als
das ideologische Produkt der unbegrenzten Anwendung der Technik«, schreibt
Jacques Ellul (vgl. a.a.O.). Die aufgeworfene Frage ist wohl klar: Trüge
die moderne Techno-Wissenschaft gleich dem Okzident, mit dem sie zusammenliefe,
weitgehend zur Zerstörung der europäischen Identität bei, obwohl
sie gerade in Europa aufkommt? Oder kann man im Gegensatz zu Elluls Einschätzung
die Ansicht vertreten, daß sie mit dem Egalitarismus nicht zusammenläuft
bzw. ihn nicht erzeugte, sondern daß der Egalitarismus, d.h. der Ausdruck
der westlichen Ideologie es vielmehr war, der der Technik ihr vermassendes Wesen,
dieses Vermögen, die Welt zu entmenschlichen, verlieh? »Die Technik«,
schreibt ferner J. Ellul, »war traditionell in einer Kultur eingeschlossen,
von der sie einen Teil ausmachte; jetzt hängt alles von der Technik ab; sie
beherrscht alle anderen Faktoren; sie ist jetzt ein einverleibendes Element, innerhalb
dessen sich alles befindet.« (Ebd., 1988, S. 236).Alain
de Benoist unterstrich, daß der weltweite »Technokosmus« allmählich
den menschlichen Willen bei der Bestimmung durch die Gattung des
eigenen Schicksals ablöste. Heute mehr als anläßlich der ersten
industriellen Revolution lenken die »technologischen Neuerungen«,
insbesondere im Bereich der Spitzenindustrien, die Entwicklung des Wirtschafts-
und Finanzsystems, das wiederum die politischen Bestrebungen bestimmt. Wir können
demnach behaupten, daß der menschliche, vor allem politische Wille von einem
technologischen und finanziellen System entfremdet wird, das sich in Wirklichkeit
jeder Willensäußerung entzieht. Wir befinden uns tatsächlich mitten
im Nihilismus, in einer Sinnimplosion. (Ebd., 1988, S. 236).Diese
Feststellung beantwortet allerdings nicht die Zentralfrage nach dem Wesen der
Technik und ob diese Technik im Grunde dazu bestimmt sei, nur diese todbringende
Logik, diese Abschaffung des menschlichen Willens zu verursachen. Mit anderen
Worten: Ist es die Technik selbst oder die jetzige, d.h. okzidentale Technik,
die diese Form annimmt? Kann man was noch nicht geschah die Technik
beherrschen? Und muß man es überhaupt? Eine Vorfrage, die wir an späterer
Stelle erörtern werden. (Ebd., 1988, S. 236-237).
Westlicher Technokratismus und europäische Techno-Wissenschaft
Der
»Technomorphismus« unserer Kultur/Zivilisation, die Rückführung
der Ideologien und der politischen Wahlentscheidungen auf die Zwangsläufigkeit
einer technokratischen Verwaltung der Menschen und der Dinge (einer angeblich
neutralen Verwaltung!) widersprechen sie nicht einer Auffassung der
Technik, die dem Menschen dazu verhelfen würde, frei zu entscheiden? Alain
de Benoist erklärt, daß die moderne Technik jegliche menschliche Wahl
zu unterbinden neigt, indem sie den Willen und das Projekt (den Entwurf) durch
einen mechanischen Fatalismus ersetzt. Wir müssen die Richtigkeit dieser
Beobachtung, wenigstens innerhalb des jetzigen techno-ökonomischen Systems,
bestätigen. Woran liegt es aber, daß die prä-moderne Technik nicht
dazu führte, den menschlichen Willen zu sterilisieren, und daß die
moderne Technik, die doch die Frucht dessen, was die Intelligenz, die Urteilskraft
und der menschliche Wille elaborierten, es paradoxerweise schafft, den Menschen
selbst zu roboterisieren, sich ihm zu entziehen, jeden symbolischen Gedanken zu
unterbinden, die Menschenwelt zu entzaubern, indem sie sie um Entwürfe und
Träume bringt? (Ebd., 1988, S. 237).Das liegt
daran, daß die moderne Technik unter dem Einfluß der vom jüdisch-christlichen
Dualismus und Individualismus durchtränkten westlich-egalitären Ideologie
steht. »Nunmehr vom dualistischen, rationalistischen und universalistischen
Denken beeinflußt, macht der Mensch zwischen der Welt und sich selbst eine
fundamentale Trennung. Er macht aus der Welt ein Objekt, dessen Subjekt er selbst
wäre ... Die Verwandtschaft von Mensch und Welt verschwindet. Der Mensch
glaubt eine nunmehr entzauberte Welt zu beherrschen; in Wirklichkeit wird er selbst
zum Sklaven der durchtechnisierten Welt.« (Alain de Benoist, a.a.O.). Erst
wenn die egalitäre, christianomorphe, dualistische, universalistische und
rationalistische Ideologie überwunden werden kann, wird der Mensch die brutale
und blinde Kraft einer sich selbst überlasse neu Technik durch seinen eigenen
Willen zur Macht, seine eigenen Geschichtsprojekte ersetzen können, die ihrerseits
die Technik benutzen werden. (Ebd., 1988, S. 237).Der jüdisch-christliche
und egalitäre Humanitarismus, der den hierarchischen Herrschaftsgedanken
sowie den Machtbegriff ablehnt, führt paradoxerweise zu der schlimmsten Form,
die diese beiden Realitäten annehmen können: Unterwerfung und Zerstörung
des Menschen und seiner Umwelt (Konsumgesellschaft und sowjetische Gesellschaft)
durch die unkontrollierte Macht der Technik, die man für »neutral«
hält. Erst eine Weltanschauung, die die Legitimität des Willens-zur-Macht
des Menschen (als Wesen-in-der-Welt) und der Völker anerkennt, wird die Technik
beherrschen, sie als Instrument, und nicht als Selbstzweck historisieren können.
(Ebd., 1988, S. 237-238).Untersuchen wir das Paradoxon weiter!
Da die Technik nun entzaubert ist, da sie nun keine Poetisierung, keine Verwunderung
verursacht, verwandelt sie sich in eine prosaische und dadurch blinde, zerstörende
Softtechnik. Der Mensch »sieht« nicht mehr, nimmt die Technik, die
nun Bestandteil seiner Welt ist (man denke an die technologischen Krücken
und Prothesen wie den Fernseher, das Auto), nicht mehr distanziert wahr. Dadurch
wird die Technik zu einer unkontrollierten Kraft der Unterjochung und der Zerstörung.
Das geschieht, wenn der vom jüdisch-christlichen Geist geprägte Mensch
die Technik nicht mehr »in ihrem Wesen« betrachtet, wenn er vergißt,
daß er selbst ein historisches, mit Projekten ausgestattetes Subjekt ist.
Das geschieht, wenn er »die Technik walten läßt« und durch
diese naive Vertrauensseligkeit (typisch für den der jüdisch-christlichen
Anschauung innewohnenden Liberalismus) sich selbst verurteilt, deren Sklave
zu werden, und die Erde dazu verurteilt, verwüstet zu werden. (Ebd.,
1988, S. 238).Der pessimistische Mensch des Paganismus
den es wieder einzusetzen gälte weiß dagegen, daß die
moderne Techno-Wissenschaft als Ausdruck der faustischen Seele äußerst
riskiert ist; unter dem Blickwinkel der Gefahr und der Herausforderung, die der
Mensch sich selbst stellte (die Technik und die Götter sind unser eigenes
Bild, von uns und gegen uns projiziert) betrachtet, fordert die Technik dafür
die Haltung des Willens zur Macht heraus. Der jüdisch-christliche Psychismus
gibt sich seinerseits entweder einer optimistischen Gleichgültigkeit hinsichtlich
der Natur der Technik, die er für neutral und ungefährlich hält,
oder, wie der Protestant Jacques Ellul, einer Verurteilung dessen hin, was als
»Übel« im biblischen Sinne wahrgenommen wird. (Ebd., 1988,
S. 238).Die allzu kritischen Haltungen gegenüber der
modernen Technik erscheinen allmählich dekadenzfördernd und demobilisierend.
Unter dem Vorwand, uns von den Übeln der modernen Technik zu überzeugen,
führen sie in Wirklichkeit dazu, die Europäer um die Macht einer Technik
zu bringen, die wir dürfen es nicht vergessen ihnen kulturell
eher gehört als jedem anderen Volk. Der antitechnische Diskurs zielt u. a.
darauf ab, uns in rückschrittliche, folklorisierte Gesellschaften ohne Machtmittel
zu verwandeln. Den US-Amerikanern und den Japanern soll die Technik gehören;
den Europäern die Museen und die Folkloregruppen. (Ebd., 1988, S. 238).Vor
der Technik dürfen wir nicht zurückweichen. Wir sind gezwungen, den
Tiger zu reiten nach Evolas bekanntem Ausspruch. »Wir müssen
einfach ran gehen«, wie Julien Freund es formuliert. Die Inkubatoren, die
Atomwaffe, die Eroberung des Weltraums, das Widernatürliche der Datenverarbeitung
fordern uns heraus und bringen uns aus der Ruhe, in die eine zu literarische Kultur
unsere Eliten versetzt hatte. Letztere sind im ausgehenden 20. Jahrhundert nicht
mehr grundsätzlich dazu berufen, über politische Abstraktionen zu dissertieren,
sondern sich um Dinge zu kümmern, um riskierte und beklemmende Dinge,
die problematisch sind: in absehbarer Zeit wird man Kinder, von der Empfängnis
bis zur Entbindung, in Inkubatoren erzeugen können (**);
man wird den genetischen Code unterbrechen und somit die Vererbung manipulieren
können. (Dieser Text ist von 1988; heute ist das längst
möglich!HB). Das alles erfordert Antworten, (Wahl-) Entscheidungen.
Die Technik kompromittiert uns, fordert uns auf, auf die Herausforderungen zu
antworten, die wir uns durch sie gestellt haben. Wegen mangelnden
Willens sind die Eliten im Augenblick außerstande zu antworten und lassen
die Lage verfaulen. Wenn wir vor allem was die biogenetische Manipulation
und die künstliche Befruchtung anbelangt ohne Entwürfe und ohne
Mut zum Wagnis ausharren, werden wir dem Zufall einer technologischen Revolution
ausgeliefert sein, die, wie sie es übrigens immer tat, die Tabus einer jüdisch-christlichen
Moral (die sich auf eine hypothetische Erhaltung der »natürlichen Ordnung«
beruft) ohnehin brechen wird. (Ebd., 1988, S. 239).
Inkubator:
In-Vitro-Befruchtung von menschlichen Geschlechtszellen, mit Heranwachsen von
der Konzeption bis zur »Geburt«. Dieses Stadium, das wir nach den
jetzigen Erkenntnissen sehr bald auf Höhe der technischen Möglichkeit
erreichen werden, wird die Menschengesellschaft vor ein gewaltiges Problem stellen,
über das wir jetzt schon nachdenken müssen (»Desozialisierung«
der geschlechtlichen Fortpflanzung der Gattung). (Ebd., Anmerkung 52). |
Wir
müssen ins Spiel kommen, um unser Spiel überhaupt aufzuzwingen, d.h.
diese Kraft und dieses Risiko, die der Technik innewohnen, annehmen und wollen,
damit wir Herr über sie bleiben. Um aber in Erfahrungen zu bringen, ob die
gegenwärtige Techno-Wissenschaft vom Wesen her mit jeglicher Form der kulturellen
Identität, mit der Wiedergeburt einer Welt personalisierter Völker unvereinbar
ist und ob sie mit der homogenisierenden Logik des planetarischen Okzidents eng
zusammenhängt, müssen wir uns zunächst fragen, woher die Technik
kommt. (Ebd., 1988, S. 239).Die
Technik gehört zu dem, was im Menschen am menschlichsten ist, sofern der
Mensch sich die Welt nur durch die Manipulationen vorstellt, denen er sie unterzieht
(**|**|**|**|**).
Wir erfassen die Welt als menschliche Well, nicht durch unsere Sinne, sondern
grundsätzlich durch die Techniken, die wir entwickeln, um im Milieu zu leben
und es zu beherrschen. Jede menschliche Weltanschauung ist in erster Linie eine
technische Weltanschauung. Unser Verhältnis zur Materie ist nicht
wie beim Tier streng biologisch; es wird vielmehr durch unsere Technik mediatisiert
und ausgebaut, da sie, wie A. Gehlen es erkannte, der Ersatz für einen organischen
Mangel ist, aufgrund dessen der Mensch das Milieu nicht unmittelbar erfassen
kann. (Ebd., 1988, S. 239).Es ist demnach falsch zu behaupten,
daß die Technik dem Symbolischen entgegenstehe und daß die »technische
Welt« eine Welt reiner Stimuli und quantitativer Zeichen sei. Es ist vielmehr
die Tierwelt selbst, die als Welt von Zeichen, als wirklichkeitsquantifizierende
Welt bezeichnet werden kann, da die Verhaltensschemen der Tiere mechanisch sind
und aufgrund der umweltlichen Stimuli streng programmiert sind. Indem die Technik
beim Menschen ein Gitter zwischen Welt und Wahrnehmung schiebt, verwandelt sie
das Reale (das für das Tier ein »Imperativ« ist) in einen Komplex
von Möglichkeiten und macht aus einer Wirklichkeit an sich eine Wirklichkeit-für-den-Menschen.
Eine von Symbolen beseelte Welt ist von daher möglich, da dank der Technik
die Umwelt und die gesamte Realität für den Menschen zu Bereichen werden,
wo Wahlentscheidungen und eigene Auffassungen am Werk sind. (Ebd., 1988,
S. 240).Die Technik besitzt also eine Fähigkeit an sich, das
Wirkliche zu poetisieren. Das bedeutet, daß die Kultur ihr Wesen in der
Technik verwirklicht. Der stets riskierende europäische Mensch fand in seiner
Technik die kulturellste aller Kulturen. Es ist kein Wunder, daß alle Völker
an dieser Quelle trinken und sich berauschen wollten und daß aus der weltweiten
Verbreitung dieser Hyper-Kultur ein Umkehrprozeß der Entkulturierung, des
Sturzes in die weltweite Sub-Kultur hervorging. Was in der kulturellen Ordnung
am höchsten entwickelt ist, wird nach der Beobachtung von Konrad Lorenz auch
am ehesten von Rückentwicklung, von Destabilisierung im Chaos betroffen.
(Ebd., 1988, S. 240).
Die Versuchung der Technophobie
Letzterer Aspekt der
Technik prägte die Sensibilitäten am meisten, vor allem seit der großen
Welle der Antitechnik-Bewegung in den sechziger und siebziger Jahren, die von
den USA ausging und von den christlichen Machtgruppen unterstützt wurde:
die Technik hängt nicht nur mit der Sünde des »Hochmuts«
(Motiv des Babylonischen Turms) zusammen, sie wurde auch im 20. Jahrhundert,
sachlich betrachtet, gefährlich«. Trotz der Atombombe, die die Menschheit
in Wirklichkeit kaum vernichten wird, hat die moderne Technik den Menschen keineswegs
in einen Allzerstörer verwandelt. Der Mensch hat sich seit jeher als animal
destructor aufgefaßt, wie die Tragödien des Äschylus (Aischylos)
es dokumentieren. (Ebd., 1988, S. 240).Die Angst vor
dem technischen Risiko ist eine Alterserscheinung des europäischen Menschen,
der es entgegenzuwirken gilt. Es ist durchaus normal, daß man das technische
Risiko erkennt, bestimmt und auffängt; es erscheint dagegen pathologisch,
die moderne Technik und die ihr innewohnenden Risiken uneingeschränkt zu
verurteilen, wie die antinuklearen Bewegungen es beispielsweise tun. Das Risiko
ist übrigens nicht der Technik eigen; sofern diese als Abbild der menschlichen
Tätigkeit im Grunde zum Leben (zur Biosphäre) gehört, reflektiert
sie dessen Grundmerkmal, das auch alles, was im Kosmos existiert, kennzeichnet:
das Aleatorische. Die Sonne kann explodieren oder ausgehen noch vor dem
errechneten Zeitpunkt, die Erdrinde kann sich unter unseren Städten in wenig
seismischen Gebieten öffnen, oder die Meteoriten können unsere Regionen
bombardieren, ohne zuvor, wie allgemein üblich, in der höheren Atmosphäre
verdampft worden zu sein, zu behaupten, daß die moderne Technik mörderisch
sei, ist ebenfalls eine grobe Unwahrheit. Ganz im Gegenteil ermöglichte sie
eine heute problematisch gewordene Vermehrung des Menschengeschlechts. Die industriellen
Katastrophen sind äußerst selten und fordern gegenüber der klassischen
Hungersnot in den landwirtschaftlichen Gesellschaften wenig Menschenleben. Die
größte industrielle Katastrophe der Gegenwart, die in Zentralindien
zwei- bis dreitausend Opfer forderte, wurde vergessen wir es nicht
durch eine Düngerfabrik verursacht, die immerhin dazu beigetragen hatte,
Hunderttausende von Menschenleben vor der Unterernährung zu bewahren. Was
die militärische Technik anbelangt, sie ist verhältnismäßig
weniger verheerend als die traditionellen Kriege (Rom verlor anläßlich
der Schlacht bei Cannä80000 der 200000 männlichen Erwachsenen, die es
damals zählte) und tötet rein rechnerisch viel weniger, als allgemein
angenommen wird. (Ebd., 1988, S. 240-241).Hinter der Mythologie
der »Technik-als-Terror« (der »Elektrofaschismus« der
Atomkraftwerke), hinter der Ideologie der Antitechnik verbirgt sich nicht nur
eine ländliche, bukologische Nostalgie, sondern muh einer der Drehpunkte
des biblischen Denkens: durch die hoch entwickelte Technik beleidigt der europäische
Mensch Gott; indem er »Natur vergewaltigt«, eignet er sich etwas an,
was ihm nicht gehört. Gleich Adam beißt er in den Apfel vom Baum der
Erkenntnis und der Macht. Adam war zwar zur Arbeit verurteilt worden; es wurde
aber nicht vorgesehen, daß diese Arbeit, die eine Strafe sein sollte, in
eine Aneignung der Welt münden würde, in das Gegenteil also einer Strafe.
Diese Ablehnung der Technik (Herausforderung der Rationalität griechischen
Ursprungs an die göttliche Vernunft) hat Max Horkheimer, einer der Haupttheoretiker
der Frankfurter Schule und schärfsten Gegner der auf dem Willen zur Macht
gründenden Weltanschauung, eingehend formuliert. (Ebd., 1988, S. 241).Die
europäische Techno-Wissenschaft darf durch die biblische Anprangerung der
»Dämonie gegen das Werk des Schöpfers« nicht gelähmt
werden; wir dürfen aber auch nicht in das andere Extrem fallen, das einem
umgestülpten Biblismus entspräche: die Technik als absolute Weltbeherrschung
und -Unterwerfung auffassen und wollen, und zwar gemäß dem klassischen
luziferischen Phantasma. Da wir eine heidnische Weltsicht
vertreten, erscheint uns die Natur als »unser« Domän; der fortgeschrittenste
Vorgang wird natürlich, und der Begriff des »Kunstgriffs«
verblaßt. (Ebd., 1988, S. 241-242).Zu glauben, daß
die Technik die Natur »beherrsche« und daß dies ihre eigentliche
Bestimmung sei, heißt nach wie vor eine naive und rationalistische Auffassung
der Technik vertreten, nämlich die eines Bacon oder eines Descartes. Mit
der Technik beherrscht der Mensch die Natur nicht. Der Mensch erfindet die Technik
vielmehr, weil die Natur ihn nach wie vor in ihrer Gewalt hat, weil
er die Wirkungen dieser Herrschaft schwächen will. Das Tier dagegen wird
von der Natur nicht beherrscht: im Gegenteil, es beherrscht die Natur, genauer
gesagt, sein besonderes Ökosystem, den »Abschnitt der Natur«,
wo es vollkommen eingeführt ist. Der nicht-spezialisierte Mensch, der in
die Natur geworfen wird und ihrer Beherrschung ausgeliefert ist, setzt sich durch
die Technik mit der Natur auseinander. In diesem Vorgang dürfen wir kein
dämonisches, gegen das Leben gerichtetes Unternehmen sehen. Der technische
Weg ist ein vitaler Weg in höchstem Grade vom gleichen Wert und mit
der gleichen Funktion wie die Magie, die wir als den ersten Versuch unserer Gattung,
die Welt zu rationalisieren und auf sie einzuwirken, deuten können.
(Ebd., 1988, S. 242).Die Vorstellung, wonach die moderne
Technik von der Natur abgeschnitten und abgerückt wäre, bzw. sie als
bloßes Veränderungs- und Zerstörungsobjekt betrachten würde,
während die traditionellen Techniken mit der Natur »zusammengestimmt«
hätten, scheint, so einnehmend sie auch sein mag, historisch falsch. Wahrscheinlich
ist das Gegenteil zutreffend. Die Bauern z. B. waren wenig ehrfurchtsvoll vor
dieser »Natur«, von der der prä-moderne Mensch übrigens
wahrscheinlich keine eindeutige Vorstellung hatte. Die blinden und radikalen Veränderungen,
denen die traditionelle Landwirtschaft die Umwelt unterzog, bezeugen es. Daß
diese Veränderungen sich weniger auswirken als die der modernen Technik,
die sich die Natur ja weltweit aneignet, ist lediglich eine Sache der Quantität,
des technologischen Umfangs. Der traditionelle, präindustrielle Mensch faßte
sich viel eher als Subjekt und Herr gegenüber einer Objekt-Natur auf.
(Ebd., 1988, S. 242).Der moderne Mensch, der in einer städtisch-industriellen
Welt lebt, glaubt paradoxerweise einer »Natur« näherzustehen,
deren Begriff er gänzlich verloren hat und über die er in Entzückung
gerät; er empfindet eine gewisse Schuld, die Natur zu objektivieren, zu beherrschen,
sich von ihr zu trennen. Obwohl seine technischen Mittel stärker sind (und
aus diesem Grund), bedauert der moderne Mensch diese Macht und glaubt, daß
sie sich gegen ihn wenden wird (Spenglers Standpunkt); er sehnt sich nach jenen
Zeiten, da die bescheidenen traditionellen Techniken seiner Ansicht nach
die Menschen mit der Mutter Natur im »Einklang« ließen.
(Ebd., 1988, S. 242-243).Wenn wir zu dieser Harmonie und zu diesem
(zwischen Mensch und Kosmos durch die griechische techné eingesetzten)
Gleichgewicht zurückfinden wollen, müssen wir, wie Heidegger es fordert,
die instrumentalistische Auffassung der »Technik-als-Werkzeug« aufgeben
(die die biblische und okzidentale Weltsicht prägt) und der Technik einen
ontologischen Status zurückgeben: Wir müssen uns des metamorphischen
Wesens der gegenwärtigen Techno-Wissenschaft, der wesentlichen Herausforderung,
die sie uns stellt, bewußt werden. (Ebd., 1988, S. 243).
Wollen wir mit der Natur in »Einklang« bleiben, so dürfen wir
sie nicht mehr auf fixistische Weise betrachten. Das Wesen selbst der Harmonie,
ihre Bestimmung muß sich ändern, so wie sich die Technik und ihre Implikation
geändert haben. Einst setzte die Harmonie mit der Natur einen Einklang mit
dem voraus, was zu jener Zeit als »Natur« aufgefaßt wurde. Und
gerade die Technik zwingt uns heute, unsere Vorstellung von der Natur, die nun
auf die Masse-Energie, den kosmischen Raum und die allgemeine Relativität
ausgedehnt ist, abzuändern. (Ebd., 1988, S. 243).In
den europäischen Mentalitäten muß die dialektische Überwindung
des Progressismus, des Ökonomismus und der westlichen Auffassung der Technik
demnach ein Begriff werden. Diese Überwindung soll dazu verhelfen, auf einer
anderen Ebene die Harmonie, deren sich die antiken und traditionellen Gesellschaften
gegenüber »ihrer« Technik f (freuten, wiederzufinden. In diesem
Sinne handelt es sich bei diesem qualitativen »Sprung« historischen
Wesens, den die europäischen Völker mehrmals zu vollziehen hatten, um
eine Verwandlung. (Ebd., 1988, S. 243).Wir
werden somit nicht zu einem Rückschritt diesseits der Technik bewogen sein,
nicht zu einer linearen Rückkehr in ein prätechnologisches Zeitalter,
nicht zu einer Ausstoßung der industriellen Welt, die, ob wir es wollen
oder nicht, zu unseren Werten gehört, sondern zu einer Oberwindung von oben
der heutigen technomorphen Welt. Wir sind berufen, zu »Postprogressisten«,
ja zu »Postmodernen« zu werden (bei allen Entwertungen, die letzterer
Begriff durch falschen Gebrauch erfuhr). (Ebd., 1988, S. 243).Das
am schwersten zu widerlegende Argument bei dem Zusammenstoß der modernen
Technik mit der Identität der Völker betrifft die Planetarisierung
der Lebens- und Produktionsweisen, zu der erstere verleitet. (Ebd., 1988,
S. 243).Ein entscheidender Punkt, der sowohl die liberalen
wie auch die marxistischen Analysen über das technoökonomische Wesen
vom Unterbau der Zivilisationen (wobei letztere ideologischer Natur sind) entkräftet:
der planetarische Charakter der modernen Technik ebenso wie der planetarische
Charakter dieser Zivilisation leiten sich keineswegs von der Technik ab, die nach
Ansicht mancher, insbesondere der Liberalen, in ihrem Wesen universalistisch sei;
sie rühren vielmehr von einer Bewegung, von einem Impuls, die Erde zu beherrschen,
her, der Europa im ausgehenden Mittelalter ergriff. Portugal wurde übrigens
als erstes Land von diesem »planetarischen« Impuls erfaßt. Es
sei nebenbei darauf hingewiesen, daß der christliche Universalismus und
sein Bekehrungsgeist, auch wenn sie sich mit diesem Planetarismus hervorragend
paarten, dennoch mit diesem nicht ineinanderfließen, denn er geht auf einen
europäischen psychischen Grund zurück, der sich vom Christentum unterscheidet.
(Ebd., 1988, S. 244).Diese Bewegung wendet sich also heute gegen
uns. Ein zusätzlicher Grund dafür, daß wir uns die Technik wieder
aneignen, damit der Widerspruch aufhört: von einer Erscheinung entkulturiert
zu werden, die aus unserer eigenen Kultur hervorging und über deren Anwendung
wir nicht mehr Herr sind. Wir sind nicht dazu berufen, eine andere Technik
zu verwirklichen, sondern endlich die Technik in ihrem enthüllten
Wesen. (Ebd., 1988, S. 244).Gerade
weil sie in ihrem Wesen so genau und intensiv das ausdrückt, was der europäische
Mensch ist (**|**|**|**|**),
wurde er, als wenn ihn ein starkes Bild seiner selbst verblendet hätte, von
dieser Technik zerstört und verrückt; und wiederum konnten andere Völker,
etwa die Japaner, die sich von ihr mehr distanzierten, sie fernhalten und damit
ihre Kultur bewahren. Warum wirkte sich die Technik überhaupt bei uns als
kulturzerstörend aus? Weil wir zwischen der Technik und ihrer Welt und unserer
übrigen Kultur keinen Unterschied zu machen, keine Trennung zu markieren
wußten noch konnten. Und warum? Weil die moderne Technik eben aus unserer
Kultur hervorging, weil sie der eigentliche Ausdruck unserer Psyche war.
(Ebd., 1988, S. 244).Sie
war es übrigens derart, daß sie gegen das Christentum und den
Willen der Kirche auftrat, wie die Historik der antiwissenschaftlichen Zensur
es dokumentiert. In dieser Hinsicht ist die moderne Technik vielleicht der Ausdruck
unseres heidnischen Unbewußten (**|**|**|**|**):
So wie ein zu heftiger Atemzug reinen Sauerstoffs den niederstrecken kann, der
von der verdorbenen Luft vergiftet war, so waren die Europäer (die sich seit
langer Zeit mit einer fremden Geistesart, dem Judäo-Christentum, mit kulturellen
Verschmelzungen abfinden mußten) angesichts des jähen Aufbruchs der
modernen Technik, d.h. des geläuterten Ausdrucks des Paganismus im 20. Jahrhundert
möglicherweise nicht auf der Höhe. (Ebd., 1988, S. 244-245).
Die moderne Technik als zweite Magie
Die moderne Technik
birgt mindestens im gleichen Maße wie die frühere Technik Mythologie
und ästhetische Mobilisierungskraft in sich. Michel Maffesoli spricht zu
Recht vom »Zauber der Mikroprozessoren«.54 Die Luftfahrt, das Auto,
die Weltraumforschung, die Informatik usw. haben ihre »Fans«; und
dieser Fanatismus, moderne Version magischer Verzückungen, treibt das gesamte
Volksunbewußte der tiefst verwurzelten europäischen Mythen. In der
Darstellung der Science-fiction, des phantastischen, ganz mit hypertechnischen
»Wunderwerken« durchströmten Realismus kommen heute nicht
zufällig die Mythemen des alten Europa, vor allem das des Reichs,
zum Ausdruck. (Ebd., 1988, S. 245).Der technische Gegenstand
fungiert seit Jules Vernes als Kristallisierung des Imaginären und führt
eine magische Mentalität wieder ein: die Welt der Roboter, der erforschenden
Raumschiffe oder der Jagdbomber im Weltraum ebenso wie heute das Staunen der Jugendlichen
angesichts einer Mirage 2000, das sich von der Piste sozusagen losreißt,
tragen dazu bei, einen psychologischen Hintergrund wiederzuerwecken, den zu unterdrücken
die vorherrschende Ideologie und das Christentum bemüht waren: faustischer
Glaube an die abenteuerliche Macht des Menschen (Mythos des Erforschers), der
sich bei aller Souveränität das Recht anmaßt, Wunder zu tun,
d.h. den »Gesetzen« der Natur entgegenzuhandeln (fliegen, sich von
der Schwerkraft der Erde loslösen, in die Weltmeere tauchen, den Tod aufschieben,
die Synthese des Lebendigen realisieren u.s.w.). (Ebd., 1988, S. 245).Dem
alten Ausspruch gemäß unterwirft man die Natur nur, wenn man ihr gehorcht,
und in Wirklichkeit sind die »Wunder der Technik« nur die Anwendung
natürlicher Kräfte; auf psychischer und ideologischer Miene sieht es
aber anders aus: Der faustisch gewordene europäische Mensch überschreitet
durch die Wissenschaft und die Technik, was alle Kulturen das Judäo-Christentum
(die »magische Kultur«; HB) inbegriffen
nicht zu verletzen wagten, nämlich die offenbare Ordnung der Natur.
Und wir brauchen in diesem Zusammenhang die Verfahrensweise der griechischen techné
nicht unbedingt zu betrauern (**)oder
sie als authentisch zu erklären, wie Heidegger es manchmal tut), die sich
als »Produktion«, als »Wachsen-Lassen« verstand und Harmonie
bzw. »Gehorsam« gegenüber der Natur pflegte. Das hieße
sonst jene große Revolution des ausgehenden Mittelalters niedrig zu schätzen,
die im deutsch-französisch-italienischen Bereich den faustischen Geist, den
echten europäischen Geist aufkommen sah und die den europäischen Menschen
dazu trieb, sich an der Natur zu »vergehen«, sie dem kategorischen
Imperativ zu unterwerfen, für den Menschen zu produzieren. Alain de
Benoist weist zu Recht darauf hin (**),
daß eine solche Revolution natürlich ungeheuere Risiken nach sich zieht,
insbesondere die Gefahr, den Menschen von der natürlichen Realität abzuscheiden
und ihn in einen Roboter, ein künstliches, selbsterzeugtes Wesen zu verwandeln.
Diese Risiken müssen aber getragen werden, und darin gründet die Größe
der europäischen technischen Hochkultur. Die Risiken werden übrigens
um so besser getragen, je mehr die Technik den sie kennzeichnenden Trieb zur
Neuerung beibehält. Durch die ständige Des-Installation, die sie
bewirkt, durch das Ausbleiben eines Endes, eines Schlußpunkts, das ihren
Erfindungsprozeß kennzeichnet, durch die »Weltveränderungen«,
die sie verursacht, vollzieht die technische Neuerung nämlich zwei Hauptbewegungen.
Die erste ist die Aufrechterhaltung (oder Bereitstellung) einer Geschichtsauffassung,
die der messianischen, eschatologischen des Judäo-Christentums und des Progressismus
völlig entgegengesetzt ist. Letztere betrachten die Geschichte als Segment,
das in ein seliges Ende mündet, zu einem glücklichen Schlußpunkt
führt. Die chronologische Welt der technischen Neuerung (die »Zeit
der Technik«) erscheint dagegen abenteuerlich und endlos, gleich dem kosmischen
Raum oder dem Raum der Mikropartikel: unendlich. Demnach besteht ein Widerspruch
zwischen der Zeitlichkeit der progressistischen und »technologischen«
Ideologie (die übrigens das Nullwachstum sowie das Stillstehen der Wissenschaften
in Betracht zieht, sobald die Erde industriell eine optimale Stufe einheitlichen
Wohlstands erreicht haben wird) und der surhumanistischen Anschauung der Zeit
und der Geschichte, die der europäischen Technik eigen ist. Der technologische
Progressismus strebt das Ende der Geschichte an, wohingegen die techno-wissenschaftliche
Neuerung implizit ihre endlose Fortsetzung meint. (Ebd., 1988, S. 245-246).
Oder
sie als authentischer zu erklären, wie Heidegger es manchmal tut. (Ebd.,
Anmerkung 55). |
Vgl.
Alain de Benoist, Spengler, Marx, Heidegger, penser la technique, in: Nouvelle
Ecole, Nr 42, Sommer 1985. (Ebd., Anmerkung 56). |
Die
zweite Hauptbewegung ist weit davon entfernt, dem Vorgehen der griechischen techné
zu widersprechen (was die »erste« moderne Technik, die der industriellen
Revolution, in Wirklichkeit tat). Die zweite moderne Technik (Mikrophysik, Genetik,
Astrophysik usw.) geht zu einer erneuten Koexistenz mit der Natur über,
was Heidegger voraussieht (und Peter Sloterdijk »Homöotechnik«
nennt; HB), auch wenn er es nicht deutlich ausspricht. Die heutige
Techno-Wissenschaft entdeckt zunächst wieder, daß ihr Artifizialismus
keine Trennung mit der Natur, kein »Ungehorsam« bedeutet, sondern
eine Nachahmung, und zwar dank der »Vorwärtsbewegung« der Mikro-
und Astrophysik: das Zyklotron gibt in der Sonne beobachtete Erscheinungen wieder,
das Raumschiff wie einst das Großschiff setzt uns wieder in
unmittelbare Beziehung zur »rohen Natur« des Kosmos, die Genetik deckt
das bislang vom Glauben entstellte Reale des Lebens auf, die Radioelektronik konfrontiert
uns mit einer neuen Dimension der Natur usw.. (Ebd., 1988, S. 246).Die
von Heidegger und weiteren Autoren, u.a. Spengler, Jünger, Ellul, vorgenommene
Unterscheidung zwischen der »klassischen« Technik der nicht-industriellen
Gesellschaften und der »modernen Technik« (wobei sie letzterer eine
ungeheuere bzw. diabolische Macht zuerkennen, sie als »außergewöhnliche
Tatsache« hinstellen) ist aber in Wirklichkeit nicht operativ. Der Unterschied
zwischen klassischer und moderner Technik ist quantitativ, und nicht qualitativ.
Wie Anthropologen und Ethologen (Adolf Portmann, Jacob von Uexküll und Konrad
Lorenz) es vielfach hervorhoben, hat die Technik an sich nichts Antimenschliches,
bei ihrem Unternehmen, die »Naturalität« zu domestizieren. Der
Mensch war schon immer von dieser biologischen Anlage angeregt, sein Milieu zu
beherrschen und es durch ein menschliches zu ersetzen. Es ist genau der gleiche
geistige Prozeß, der einst den neolithischen Bauern dazu trieb, um die Lichtung
herum zu roden, und der uns heute dazu bewegt, die gesamte Erde zu beherrschen.
Aufgrund der begrenzten technologischen Mittel konnte man früher nicht »sehen«
und wahrnehmen, daß sich die menschliche Technik mit ihrer ungeheuren Kraft
auf das gesamte irdische Ökosystem bezog, während wir es heute erkennen
müssen. Paradoxerweise und entgegen weitverbreiteter Vorurteile sind aber
die jetzigen Inhaber der so mächtigen modernen Technik, geistig und gefühlsmäßig,
viel mehr um die »Natur« bewegt und angesichts der (jeder Technik
inhärenten) Zerstörungswerke viel zurückhaltender, als es die Zeitgenossen
der präindustriellen Gesellschaft waren. (Ebd., 1988, S. 246-247).Die
echte Verwandlung betrifft also nicht das technische Vorgehen an sich, sondern
das Objekt, auf das sich nun die Herrschaft der Technik bezieht. In der
ersten Phase betraf die technische Beherrschung nämlich den Menschen selbst
und die Welt als wahrnehmbare Umwelt (Medizin, Landwirtschaft, Industrie, Newtonsche
Naturwissenschaften). Seit der Quantenrevolution und der Formulierung der allgemeinen
Relativität wagt sich die techno-wissenschaftliche Beherrschung der (astro-
und mikrophysischen) Welt an die Masse-Energie heran. Der Gegenstand der Technik
ist mit anderen Worten nicht mehr das wahrnehm- und begreifbare Milieu (vom menschlichen
Körper bis zum Planeten), der Makrokosmos also, sondernder Mikrokosmos, d.
h. die eigentliche Essenz der Materie und des unmittelbar nicht zu erfassenden
Wirklichen. Es handelt sich um einen außerordentlichen Sprung, «leinen
Folgen wir erst wahrzunehmen beginnen. (Ebd., 1988, S. 247).Unsere
Schizophrenie wird aufhören, wir werden uns mit der Technik versöhnen,
wenn wir endlich begreifen, daß sie nicht wie die Maschinen außerhalb
unser steht, daß nur die Technologie, bloßes Anwendungsgeschick, außerhalb
unser steht. (Ebd., 1988, S. 247-248).Zu behaupten, daß
die Technik nicht außerhalb unser, nicht außerhalb unserer kulturellen
Psyche steht, heißt einen riesigen Schritt bei der Erfassung dessen tun,
was Heidegger als »Geheimnis ihres Wesens« bezeichnet. Das Wesen der
Technik ist schon deshalb geheimnisvoll, weil dieses Wesen uns zu nah steht, als
daß wir es richtig aufdecken könnten, weil dieses Wesen in uns ist,
weil es aus uns hervorgeht, weil es gewissermaßen ,wir« ist, und das
sicherlich seit Anbeginn des indoeuropäischen Abenteuers. Dazu ein Beispiel:
Was die Technik u.v.a. kennzeichnet, ist wie bereits erörtert
eine abenteuerliche Anschauung der Zeit als Aufbau des Willens, und nicht mehr
als Wiederholungszyklus ewig hingenommener Traditionen. Aber diese Anschauung
der Zeit (verirrt in der zusammengebrauten linear-eschatologischen christlichen
Auffassung, die aber zunächst in Europa Gestalt nahm, wo die zyklische und
traditionelle Auffassung am wenigsten befestigt war) war in den früheren
europäischen Kulturen virtuell vorhanden, wie Dodds (**),
Vernant und viele andere es nachgewiesen haben. Mit anderen Worten: die Technik
wurde von einer latenten Weltanschauung geboren. Genauer gesagt, es ist nicht
die Technik, die als plötzlich auftauchender Gegenstand »von außen
her« unsere Weltanschauung verändert hätte, sondern es ist unsere
(bereits prätechnische) Weltanschauung, die schließlich die »Technik«
verursachte und sich in ihr verwirklichte. Wir Europäer
haben schon immer die »moderne« Technik in uns getragen; möglicherweise,
dies wäre aber der Gegenstand einer anderen Untersuchung, ist sie die Essenz
unserer Kultur? (**|**|**|**|**|**).
Unter diesen Bedingungen gebührt es uns, daß wir uns die Technik als
Tradition wiederaneignen. Die Technik wäre dann die Aktualisierung einer
Potentialität, die wir in uns tragen. Sie würde nicht mehr implizit
als fremd und somit als kulturzerstörend wahrgenommen. (Ebd., 1988,
S. 248).
Der
Verfasser weist nach, daß die sogenannte »moderne«, d.h. prospektive
Technik sowie der »artifiziellistische Pragmatismus«, die wir unbedacht
der industriellen Revolution zuschreiben, bei zahlreichen griechischen »Technikern«
anzutreffen waren: Erbauer von militärischen Geräten, Architekten, Ingenieure
u.s.w.. Gleichermaßen wurde um gewisse Großprojekte (voir allem um
das öffentliche Bauwesen: Aquädukte, Festungen, Straßenbau, ballistische
Rüctungen u.s.w.) die Synthese verwirklicht, die wir der modernen Technik
anrechnen, und zwar zwischen dem theoretischen Projekt und der von ihm vorausgesetzten
mathematischen Untersuchungen und der technologischen Verwirklichung, die
im Hinblick auf ein konkretes Ziel und im Rahmen eines Etats programmiert wird.
(Ebd., Anmerkung 57). |
Wir
stellten z.B. eine auffallende Ähnlichkeit zwischen den »Dekorationswechseln«
in der Kultur fest, zu denen die europäischen Künste führten (in
allen Bereichen wechselten ständig neue Stile und Weltanschauungen ab, was
in anderen Kulturen nicht [so sehr; HB] vorkam)und
em gleichen Merkmal des »Schweifens« der ständigen Neuerung des
strukturellen Mutationismus, das die Welt der modernen Technik hervorbringt.
(Ebd., Anmerkung 58). |
Außer
ihrer entkulturierenden Wirkung wird der Technik, insbesondere der modernen, häufig
vorgehalten, daß sie die Völker in eine einebnende und vereinheitlichende
Vermassung führen würde. In Wirklichkeit ist die Technik im wesentlichen
eher inegalitär, da sie diejenigen selektiert, die ihren Herausforderungen
entgegenzuwirken vermögen, von den anderen, die dazu nicht in der Lage sind.
Hat sich übrigens nicht der Abstand zwischen den Nationen seit der »Technologisierung«
der Zivilisation vergrößert? Die von der vorherrschenden Ideologie
(die die Technik zu diesem Zweck benutzt) erzeugte Vermassung und Einebnung betrifft
ausschließlich die soziologischen Lebensweisen innerhalb jeder Nation und
wäre sogar ohne die Hilfe der modernen Technik, langsamer aber auch sicherer,
eingetreten. (Ebd., 1988, S. 248).Die Technik ist
sogar besonders inegalitär, sofern sie als die Frucht der menschlichen List
gegen die Welt auftritt. Julien Freund zeigte auf, daß die List Ungleichheit
erzeugt. Bei ihrer Indifferenz kann die Natur einebnen oder nicht; auf jeden Fall
kann ihr Vorgehen nicht als inegalitär verstanden werden. In mancher Hinsicht
kann man sogar behaupten, daß die Natur das Menschentum gleichmacht, da
sie alle Menschen dazu führt, vor dem Tod gleich zu werden, da sie bemüht
ist, alle durch die Technik geschaffenen Ungleichheiten abzuschaffen und als unbedeutend
hinzustellen. (Ebd., 1988, S. 249).Die Technik, die sich
als Pakt versteht, d.h. als menschliche Auflehnung gegen den Zufall, das
Aleatorische und die Verblendung des Lehens, setzt an die Stelle der dem Menschentum
innewohnenden Undifferenziertheit ein inegalitäres Projekt. Zunächst
ließ es nicht zu, daß jene Gleichheit, die angesichts der Naturlaunen
zwischen Tieren und Menschen vorherrschte, fortbestand. Eine zweite grundlegende
Ungleichheit setzte ein, als die Menschengruppen, die über eine entwickelte
Technik verfügten, denen überlegen wurden, die keine besaßen.
Wenn man die Gefahren der Technik sowie ihre zerstörenden Folgen verurteilt,
verwechselt man sehr häufig (gerade aufgrund dieser Deutung der Technik als
der europäischen Kultur fremd und als Äußerlichkeil) die Wirkungen
einer Ideologie mit der Technik. Der Technokosmus ist ein »System«
(Maschinen, Wirtschaftsnetz und Verhaltensweisen), das aus der Technik, unseres
Erachtens aber auf mißratene Weise, hervorging, während die
Technik eigentlich eine Weltanschauung ist: eine Anschauung der Zeit und
des Raums, der Struktur des Imaginären und des Sakralen (**|**|**|**|**).
Dieser Annahme zufolge ist die Technik ein äußerst reichhaltiger Komplex,
dessen Möglichkeiten wir noch nicht einmal mutmaßen. Die mißratene
Anwendung der Technik durch die uns dem Christentum stammenden Ideologien (Rationalismus,
Progressionismus) und den liberalkapitalistischen Westen hat die Technik nicht
nur, wie oben dargelegt, neutralisiert und entzaubert, sondern »las geschah
(unbewußt) auch so, weil die Technik virtuell und über alles »Poetisierung«,
»Vergöttlichung« der Welt war: ein typischer Zug des Paganismus.
(Ebd., 1988, S. 249).Inwiefern? Als Weltanschauung schließt
die Technik in sich anscheinend nicht nur jenes forschende und abenteuerliche
Verhalten, das nach der Auffassung von Lorenz die eigentliche «Spitze«
vom Wesen der Natur darstellt, nicht nur jenen latenten Faustismus, der die Seele
des europäischen Menschen ausdrückt, sondern auch eine irrationale
und ästhetische Auffassung des Kosmos: zwei Aspekte, die das Judäo-Christentum
ununterbrochen bekämpfte. (Ebd., 1988, S. 249).Die
Technik ist nicht nur hierarchisierend, sie ist auch bezaubernd«
auch hier entgegen eines weitverbreiteten Vorurteils, wonach die Technik das verursacht
hätte, was Max Weber die Entzauberung der Welt in der Neuzeit nannte. Die
Technik ist entzaubert, und nicht Entzauberung in ihrem Wesen. Die Entzauberung
der Welt, welche die Einförmigkeit, der Atheismus, die Vermassung und der
Materialismus dieser Zivilisation zu erkennen geben, ist die Frucht einer Ideologie
(des aus dem Christentum hervorgegangenen Egalitarismus), und nicht der Technik
selbst. (Ebd., 1988, S. 249-250).Wenn es nach Heideggers
Worten stimmt, daß der befahrene und vom Wasserkraftwerk verbaute Rhein
nur noch der Rhein »für« die Technik ist und sein Geheimnis,
seine Tiefe, seinen natürlichen« Zauber verliert (**),
ist es nicht weniger einleuchtend, daß mit der modernen Technik die Natur
und jener verlorene Zauber auf der Ebene des Kosmos und des unendlich Kleinen
wieder anzutreffen sind. Die Natur erlangt dadurch eine neue Tiefe, und die Technik
findet zu jenem »Enthüllungseffekt« zurück, der der griechischen
techné eigen war. Die Natur verweist nicht mehr nur auf die Pflanzen
und Hügel, die für unsere Vorfahren geheimnisvoll waren, und für
uns weniger rätselhaft sind. Ihre Flucht nach vorn fortsetzend und ihr Geheimnis
dabei noch mehr verdichtend, verweist sie nun auf die Welt der Elementarteilchen,
die Masse-Energie und den Kosmos: eine neue Realität, die mindestens ebenso
geheimnisvoll und unendlich wie die »unmittelbare« Natur erscheint,
die sich unseren Vorfahren darbot. (Ebd., 1988, S. 250).
Martin
Heidegger, Die Frage nach der Technik, 1953. Wor können hinzufügen,
daß die behauptung, wonach der vom Wasserkraftwerk »domestizierte«
Fluß oder die durch den Bau eines Atomkraftwerks modifizierte »natürliche«
Landschaft ihren ursprünglichen Zauber und ihr »Geheimnis« einbüßen
würden, ein rein subjektiver Standpunkt bleibt, der mit einer keineswegs
zu verallgemeinernden Sensibilität verbunden ist. Wir können ebensowohl
die Ansicht vertreten, daß gleich dem einen Ort zur Geltung bringenden Denkma
das Wasserkraftwerk oder die Zentrale ihre Umwelt poetisiert. Was die »Funktionalität«
der technischen und industriellen Bauten betrifft, aufgrund deren sie »kalt«,
seelenlos seien und im Gegensatz zur »Uneigennützigkeit« der
präindustriellen Bauten stünden, muß man daran erinnern, daß
diese Funktionalität ebenfalls und unter anderem in den militärischen
Einrichtungen der Antike bis zum 20. Jahrhundert anzutreffen war. (Ebd.,
Anmerkung 59). |
Somit
haben europäische Technik und Wissenschaft die Welt keineswegs entzaubert:
sie haben diesen Zauber »weiter getrieben«; die unmittelbare irdische
Natur wurde zur Umwelt, als sie von der Technik beherrscht und entpoetisiert (obwohl
... **) wurde, und eine neue
Natur tauchte auf, durch die Bewegung der Wissenschaft und der Technik gewissermaßen
entdeckt. Es ist die Natur der Astro- und Mikrophysik, die der Eroberung des Weltraums
und der Masse-Energie, die jener »denkenden Partikeln«, von denen
Jean Charon spricht. Es ist daher wichtig, zumal sich unsere Götter nun im
Kosmos befinden, diese europäische techno-wissenschaftliche Kultur mit der
Eroberung des Weltraums fortzusetzen, die für die Europäer ferner den
Schlüssel zu ihrer strategischen und militärischen Unabhängigkeit
bildet. (Ebd., 1988, S. 250).
Weil
die moderne Weltanschauung uns des symbolischen Denkens entwöhnt hat, entdecken
wir in der technischen Welt keinen Zauber, keinen Symbolismus mehr. An und für
sich ist diese Welt aber nicht die Ursache der »Entsymbolisierung«
der Welt; im Gegenteil, die Welt der Technik regt vielleicht mehr als jede andere
zum Symbol an. (Ebd., Anmerkung 60). |
Wir
sollten nicht auf naive Weise versuchen, die »Nachteile der Technik«
zu löschen, um nur deren »Vorteile« zu behalten nach der
dürftigen, arglosen Weise derjenigen, die die Technik »domestizieren«
wollen, indem sie nur ihre »guten Seiten« behalten. Diese Sicht der
Dinge geht auf einen biblischen und eudämonistischen Standpunkt zurück,
der sich einbildet, daß man das »Gute« vom »Bösen«
trennen könne, und der nicht begreift, daß die Technik eine organische
Symbiose von positivem« und »Negativem« ist, die es dialektisch
von oben zu überwinden gilt. (Ebd., 1988, S. 250).Durch
die Herausforderungen, die sie enthält, ist die Technik übrigens historisierend:
sie zwingt die Menschen, sie anzunehmen; sie spornt zur Flucht nach vorn an. Wir
können sogar die Ansicht vertreten, daß ohne die Herausforderungen
der modernen Technik die Geschichte und die Bewegung aus unserer Zivilisation
völlig verschwunden wären. Was dem weltweiten Status quo, jenem von
mehreren Autoren verurteilten »Ende der Geschichte« zugrunde liegt,
ist die okzidentale Ideologie »selbst und ihre planetarisch materialistisch-vereinheitlichende
Zielsetzung. Und die Technik fungiert zugleich als Beschleuniger dieser Uniformierung
(durch Mittel, die sie liefert, z. B. auf dem Gebiet der Medien und der Kommunikation)
und als Bremse dieses Prozesses, indem nie vor allem unerwartete (nukleare, biologische
usw.) Fragen aufwirft, I ragen, die man mit einer Reinjektion von Politischem
und Militärischem, von historischen Entscheidungen überwinden muß,
und das in einer der faden Führung der Ökonomie geweihten Welt.
(Ebd., 1988, S. 251).
Wohin mit der Technik?
Es geht eigentlich weniger
darum zu wissen, wie die Technik zu beherrschen sei, als zu erfragen, was aus
der Technik gemacht werden soll. Eine angemessene Antwort auf diese Frage werden
diejenigen, die das der Technik inhärente Risiko abschaffen wollen, nicht
geben können. Da sie, wie bereits dargelegt, zur Ordnung des Lebens und der
lebenswichtigen Herausforderungen gehört, kann die Technik nur dann fruchtbar
sein, wenn sie uns in Gefahr eine von allen akzeptierte Gefahr bringt,
sofern das Leben zu dessen Fortbestehen die Präsenz einer zu überwindenden
Gefahr voraussetzt. (Ebd., 1988, S. 251).Darum sind
die Gefahren der Genmanipulationen, der nuklearen Programme oder der Technologien
massiver Produktion (in den Meeren oder auf dem Festland) unerläßliche
Herausforderungen für unsere Existenz und selbst für unser geistiges
Niveau. Man kann sogar die Anweht vertreten, daß wir oft rückwirkend
von technischen Herausforderungen großen Ausmaßes stimuliert
werden, die uns dazu verheilen, in der Geschichte zu bleiben. Die Herausforderung
der Massekommunikationen beispielsweise ruft dafür identitäre Forderungen
massenweise hervor. Wenn die mondialistischen und kosmopolitischen I ehren des
Egalitarismus zu ihrer jetzigen Wirksamkeit gelangt wären, ohne daß
es eine technologische Zivilisation gegeben hätte, wären sie paradoxerweise
vielleicht noch wirksamer gewesen. Auch die heutige Amerikanisierung Europas ist
dadurch, daß sie mit den gewaltigen Mitteln der Medientechnik und des Audiovisuellen
erfolgt, sichtbarer, erkennbarer und empörender, ist damit leichter zu bekämpfen,
als wenn es sich um eine Entkulturierung »ohne Technik« gehandelt
hätte, wie es Völker in der Vergangenheit durch die langsamen, aber
tiefgreifenden Mittel der Entzündung der kulturellen Kapillarität (
der kulturellen Gefäße) erleben konnten. Dementsprechend wird es eine
Bewegung zur Entamerikanisierung Europas und zur Eroberung der Identität
durch die technischen Mittel leichter haben, während sich die »Rekulturierung«
in einer traditionellen Gesellschaft äußerst schwierig gestalten würde.
(Ebd., 1988, S. 251-252).Um die Frage »Was tun mit der Technik?«
angemessen zu beantworten, müßte man zunächst den impliziten Gegensatz
überwinden, der zwischen ihr und der Wissenschaft besteht, da nach Julien
Freunds Untersuchung die Technik als »polytheistisch« sei, die Wissenschaft
hingegen als »monotheistisch« wahrgenommen sei. (Ebd., 1988,
S. 252).Die Wissenschaft gründet immer auf der Idee
eines »universalen Naturgesetzes«, der Einmaligkeit der Endzwecke
und einer Weltwahrheit, die prophetisch zu offenbaren ihr von der Ethik der Erkenntnis
gestellter Auftrag sein soll. Die Auffassung der Wissenschaft wohnt dem Zeitgeist
immer noch inne, auch wenn die Mikrophysik und die Relativitätstheorie sie
theoretisch zermalmten, indem sie das Reale als mannigfaltig, aleatorisch und
unfaßbar umdachte. (Ebd., 1988, S. 252).Die moderne
Technik ihrerseits, die eigentlich bereits im ausgehenden Mittelalter mit den
Fortschritten in der Schiffahrt zu entstehen beginnt, wird von der vielseitigen
Symbolik des Meeres beherrscht. Das Schiff als erster Gegenstand der »modernen
Technik«, das ab dem 14. Jahrhundert mit Ruder, Kompaß, Sextanten,
der Technologie des hohen Segelwerks versehen wird, konkretisiert, was der Wikingische
Schiffsbau bereits andeutete: der Mensch erhebt sich zum »Wesen des Meeres«.
Er sticht allein in die feindselige See, sein Leben dem Schiff, d.h. dem technischen
Artefakt, anvertrauend. Die Technik verwirklicht durch das Schiff als Verkehrsmittel,
Kampfinstrument, beweglicher Wohnort und Kunstwerk ihr Wesen voll und ganz:
Des-installation des der festländischen Geborgenheit entrissenen Menschen,
um in das Risiko und in die poetisierte Welt des Abenteuers geworfen zu werden.
Dieser die Technik kennzeichnenden Abschaffung der Sicherheit stellt die »Wissenschaft«
die metaphysische Geborgenheit des Festlandes, Symbol des Schutzes und der Unbeweglichkeit,
gegenüber. In der europäischen Seele führten diese beiden einander
widersprechenden und ergänzenden Prinzipien der Wissenschaft und der Technik
zu einer Dynamik zwischen zwei Polen: Verwurzelung / Desinstallation, Wissen /
Artefakt, Versenkung / Abenteuer, Natürlichkeit / Künstlichkeit.
(Ebd., 1988, S. 252). Durch die hegemonische Präsenz
der narzißtisch-egalitären Werte des Okzidents werden Wissenschaft
und Technik heute leider von ihren Aufgaben und ihrem Wesen abgebracht. Es kommt
vor, daß die häufig in ihrem Endzweck entstellte Technik die Wissenschaft
beherrscht und die notwendige »Versenkung« abschafft (u. a. in Form
der Merkantilisierung der Forschung). (Ebd., 1988, S. 252-253).Die
Herausforderung, die einer neuen europäischen Kultur (einer »neoeuropäischen«
Kultur) gestellt und zu einer Wieder-Bezauberung vom Bild des Ingenieurs führen
würde, besteht darin, den Gegensatz zwischen Wissenschaft und Technik zu
überwinden und sie miteinander zu multiplizieren, anstatt sie einfach
zu addieren, was ihre gegenseitige Entstellung bekräftigt. Wenn die Addition
zur mechanischen Ordnung der meist zerstörenden Macht gehört, gehört
die Multiplikation zur organischen Ordnung der zumeist konstruktiven Macht. Die
Wissenschaft stellt das Eine dar, die Technik das Vielfache; und umgekehrt entdeckt
die (moderne) Wissenschaft die Mannigfaltigkeit der Welt, und die Technik wendet
ihre Entdeckungen auf die Einmaligkeit der Handlung an. (Ebd., 1988, S.
253).Nur Europa als Land der Mitte kann die Wissenschaft
und die Technik miteinander multiplizieren und aus dem Technomorphismus und dem
Merkantilismus des technologischen Westens herauskommen, indem es dieser Wissenschaft
und dieser Technik zu ihrem Wesen verhilft, d.h. indem es sie in das verwandelt,
wozu sie zu werden bestimmt sind: «he Instrumente des historischen Willens-zur-Macht,
der polemischen Beherrschung des Milieus und der Wieder-Bezauberung unserer Welt.
Wir Europäer sind nicht der Technik »verfallen« gleich Robotern,
die von einem ziellosen Wirtschaftssystem gelenkt werden (wie das in den USA zutrifft);
wir sind vielmehr dafür geschaffen, die Herren der Technik zu werden.
(Ebd., 1988, S. 253).Die Frage »Was tun mit der Technik?«
enthält einen zweiten Aspekt: den der Beziehungen zwischen Technik und Ökonomie.
Es handelt sich um einen von den Philosophen der Technik meistens übersehenen,
dennoch durchaus grundlegenden Bereich, da die Technik sich innerhalb eines Wirtschafts-Regimes:
entfaltet und da besagtes Regime deren Äußerung verwandeln kann.
(Ebd., 1988, S. 253).Sofern die Anwendung und die Organisation
der Technik (die »technische Organisation der Technik« sozusagen)
die Technik verdirbt und sie an ihrer Entfaltung als Äußerung der europäischen
Identität hindert, müssen wir uns mit dem ökonomischen System befassen.
Die Ökonomie ist es ja, die im Rahmen der gesellschaftlichen und historischen
Ereignisse die Entwicklung der Technik seit über einem Jahrhundert bedingt.
Das System des weltwirtschaftlichen Tausches (internationale Arbeitsteilung) trug
nämlich dazu bei, die Produktion und den Verbrauch zu vereinheitlichen, eine
einzige Form der Technik weltweit zu verbreiten, und zog zwei nachteilige Folgen
nach sich: Verarmung der Technik selbst, die nunmehr auf ein einziges Industriemodell
ausgerichtet und auf die Stufe der Konsumideologie herabgesetzt wird; Umwandlung
dieser Technik in einen Faktor kultureller Homogenisierung und sozialen Materialismus.
(Ebd., 1988, S. 253-254).Mit der Modellentwicklung autozentrierter,
halbautarker Räume, die mit der Weltwirtschaft brechen würde, wären
die Bedingungen erfüllt, um aus der Technik einen Faktor der Identitätsverstärkung,
und nicht mehr der Entwurzelung zu machen (diese Lehre erfreut sich übrigens
einer immer größeren Beliebtheit, vor allem in der Dritten Welt).
(Ebd., 1988, S. 254).Wir haben an anderer Stelle dargelegt61,
daß die autozentrierte Wirtschaft sogar bei einer Steigerung des jetzigen
wissenschaftlichen Niveaus durchaus möglich ist, wenn sie auf Großräume
wie Europa oder die arabische Welt angewendet würde. An die Stelle der gegenwärtigen
Weltwirtschaft kämen techno-wirtschaftliche Makrokosmen. Die Technik würde
aufhören, ein Faktor der Vereinheitlichung und der Entropie zu sein, da jedes
Areal, jeder autozentrierte Raum imstande wäre, seine technische Welt zu
entwickeln, die wiederum seine Identität, seine Spezifität, seine Souveränität
verstärken würde. Nach der Einschätzung Francois Partants wäre
ein solches Modell gegenüber der krebsartigen techno-ökonomischen Entwicklung
nach okzidentaler Art von ungeheurem Vorteil: es könnte die Frage der Unterernährung
und der ökonomischen Abhängigkeit der Dritten Welt lösen; es würde
der Menschheit einen negentropischen (Vielzahl von staudenden kulturellen Systemen)
und heterogenen Charakter zurückgeben; es würde die Kulturen in die
Lage setzen, mit ihrer Technik, und nicht mehr wie heute gegen und trotz einer
entwurzelten und universalen Technik zu leben. Jedes Volk könnte von der
Medizin bis zur industriellen oder landwirtschaftlichen Produktion eine seiner
eigenen Kultur entsprechende Technik wiederfinden. Die Gegner dieses Modells
Liberale und Marxisten weisen es mit dem Argument zurück, daß
die Nicht-Okzidentalen dazu unfähig seien was Francois Partant widerlegt.
(Ebd., 1988, S. 254).Was Europa betrifft, wäre es ebenfalls
möglich, der Technik ihren vermassenden und entkulturierenden Charakter zu
nehmen, kurzum sie zu ent-okzidentalisieren, indem sie »wieder-europäisiert«
wird; das setzte eine Veränderung der Ideologie sowie eine Umorganisierung
der wirtschaftlichen Produktion voraus. Es ginge darum, aus der Ökonomie
der Konsumgesellschaft herauszukommen und das zu bewerkstelligen, was man als
»organische Wirtschaft« bezeichnen könnte. Letztere würde
die Technik nicht mehr vornehmlich auf den individuellen Verbrauch ausrichten,
sondern auf die Produktion kollektiver Güter, die den historisch mobilisierenden
Projekten der Souveränität untergeordnet würden. In dieser Perspektive
müßte die Eroberung des Weltraums eine zentrale Rolle spielen.
(Ebd., 1988, S. 254-255).Die »großen Entwürfe«,
die »großen Projekte« zur Mobilisierung durch die Technik (Projekte,
die Abenteuer, Aggressivität, Heroismus in sich tragen) wären nicht
die einzigen Anwendungen der Technik in der antibürgerlichen Perspektive,
die wir heraufbeschwören. Die Entwicklung regionaler und lokaler Ökonomien
mit zweckentsprechenden Produktionen, die soziale und ethnische Wiedereinbettung
der erzeugten Güter, die Lenkung der Forschung auf nicht-kommerzielle oder
sozial mobilisierende oder noch wissenschaftlich abenteuerliche Tätigkeiten
würden bestimmt dazu beitragen, sowohl die Technik zu re-poetisieren wie
auch der europäischen Kultur zu deren Wiederaneignung tu verhelfen. Weniger
Videogeräte, Waschpulver, Gadget-Autos, und mehr Magnetzüge, Inkubatoren,
Forschungsprojekte. Es ginge darum, die Technik wieder zu veredeln, indem man
die von ihr erforderte menschliche Energie von den Sektoren der Überkonsumierung
individuellen Wohlstands auf den Endzweck der gemeinschaftlichen Mobilisation
lenkt. (Ebd., 1988, S. 255).Die Frage »Was tun mit
der Technik?« erfordert noch eine Antwort. Von unserem Standpunkt aus müssen
wir im Namen der Identität des Volkes, dem man angehört
das Abenteuer der Techno-Wissenschaft Im t setzen und erweitern, ins Unbekannte
fortschreiten mit der Einstellung derjenigen, die sich Ende des 15. Jahrhunderts
auf die Meere stürzten. (Ebd., 1988, S. 255).Als
»ontologische Manipulation« (nach der Formulierung Jean Bruns, der
es zu Unrecht bedauert63) ist die Technik demnach »das dunkle Bestreben,
das menschliche Wesen aus den Fugen zu bringen, aus seinen Begrenzungen hervorzuholen,
um es in ein Anderswo zu projizieren, »das weder zum Menschen noch zur Natur
gehören würde« (Gilbert Hottois), das weder zum Menschen noch
zur Natur gehören würde. Es gilt die Differenzierung zu überwinden,
die im räumlich-zeitlichen Rahmen der Existenz herrscht, innerhalb derer
der Mensch wegen seiner Einengung leidet. Hierin gründet die Größe
der Techno-Wissenschaft: sie projiziert den Menschen nicht »außerhalb
seiner selbst«, nicht »außerhalb der Natur«, sondern in
das Mehr-Menschliche, in das von Nietzsche genannte Übermenschliche. Weit
davon entfernt, ein Instrument zur Denaturierung des Menschen zu sein, bietet
die Techno-Wissenschaft die Möglichkeit zu einer erneuten Besitzergreifung,
zu einer Aufnaturierung des Menschen, da der Mensch unter einer »Beschränkung«
leidet, wenn er an die Grenzen seines »natürlichen« Körpers
und der primitiven räumlich-zeitlichen Wahrnehmungen stößt. Die
Techno-Wissenschaft, über alle ihre unausbleiblichen Gefahren
hinaus, ermöglicht dem menschlichen Verstand, seine Bestrebungen zu konkretisieren,
diese Lücke auszufüllen, diese Schizophrenie zu überwinden, die
zwischen unserer zeitlich-räumlichen Wahrnehmung und unserem Wunsch, unserem
Traum, unserem Bedürfnis »weiterzugehen« entstanden ist.
(Ebd., 1988, S. 255-256).Das Wesen der Technik steht somit dem
Materialismus genau entgegen, da es einen in den Stand versetzt, der unmittelbaren
räumlich-zeitlichen Umwelt zu entfliehen, die Energien zur sinnlichen Überschreitung,
die in unserem Neocortex ungebraucht ruhen, freizusetzen. Arthur Koestler hat
dieses Bedürfnis nach Selbstüberwindung genau erkannt. (Ebd.,
1988, S. 256).Die Gefahr der Technik ist nicht die Gefahr,
der sie den Menschen als solchen aussetzt, oder die evolutive Herausforderung,
die sie ihm stellt, sondern die Gefahr, der sie die Identität der einzelnen
Völker dann aussetzt, wenn sie der universalistischen Ideologie untersteht.
Die Vermassung und die kulturelle Homogenisierung des Technokosmus müssen
wir verurteilen, und nicht den von ihr beschrittenen Weg, die »menschliche
Natur zu verändern« oder genauer gesagt die Gattung bzw. einen Teil
von ihr einen (zugestandenermaßen gewagten) Sprung vollziehen zu lassen.
Eine solche Überlegung muß dann in einen grundlegenden Wunsch münden,
den Wunsch nämlich, den Heidegger halb äußerte und den Nietzsche
vorfühlte. (Ebd., 1988, S. 256).Wenn sie ihrem metamorphischen
Geist treu bleibt und die Logik der faustischen Seele erfaßt, kann die europäische
Identität ihre Rettung in der Wahlentscheidung (für die europäische
Kultur) finden, bis ans Ende der Technik zu gehen. Da virtuell nicht die
»Geschichte«, sondern die Techno-Wissenschaft die Verlängerung
der natürlichen Evolution ist, wäre es dann denkbar, daß die Europäer,
sich hierbei von den anderen Völkern unterscheidend, die göttliche Kühnheit
zeigen, die Technik ihre Technik zu benutzen, um eine steigende
Selbstmodifizierung zu vollziehen, was Nietzsche metaphorisch als den Marsch zum
Übermenschlichen bezeichnete? Von einer vereinheitlichenden, mondialisierenden
Technik wäre dann nicht mehr die Rede, da sie dazu benutzt würde, die
Abstände zu vergrößern, und nicht zu vermindern, zu dem Zwecke,
eine neue Identität zu behaupten. (Ebd., 1988, S. 256).Sich
auf die dem Menschen eigentümliche Plastizität stützend, legte
Vance Packard dar, daß die Technik (indem sie dem Menschen zur Selbstmetamorphose
verhelfe) die natürliche Evolution ablöse und dadurch zur tiefsten Naturalität
des Menschen gehöre. Die gegenwärtige (und zukünftige) Techno-Wissenschaft
ist keineswegs künstlich; sie ist möglicherweise das Natürlichste,
genauer gesagt das Menschlichste, was der Mensch hervorgebracht haben wird. In
der modernen Technik findet der Mensch seine Identität, oder hätte wenigstens
die Möglichkeit, sie zu finden. Könnten wir
sogar behaupten, daß die Technik das Wesen des Menschen ist (**|**|**|**|**)
? (Ebd., 1988, S. 256-257).Von der Ontogenese bis zum Tod,
von Lebenserfahrungen (Freude, Angst) bis zu kollektiven Sozialerfahrungen können
nämlich alle äußeren und inneren Dimensionen des Menschen von
der modernen Technik manipuliert, verändert werden. Durch sie hat der Mensch
keine »Eigentümlichkeit« mehr. Seine Plastizität wird vollständig:
er kann sehr hoch aufsteigen oder sehr tief im Chaos untergehen. Daher vermehrt
die Technik diese Plastizität, diese Formbarkeit, die dem Menschen eigen
ist, macht ihn dabei noch gewagter, trägt zu seinem Unglück oder zu
seinem Ruhm bei, ihn immer etwas mehr zu humanisieren. »Nach diesem Fazit,
das den Jasperschen Begriff der Grenz-Situation verflüchtigt«, bemerkt
G. Hottois, »was bleibt noch an Unantastbarem im Menschen übrig, was
als Bezugspunkt und Maßstab für die Technik fungieren kann?«
(Gilbert Hattois, a.a.O.). (Ebd., 1988, S. 257).Und
an diesem Punkt treffen wir wieder auf den Begriff der Identität durch eine
Problematik, die keiner unserer Zeitgenossen zu erörtern wagt, so stark wirkt
sich das jüdisch-christliche Verdrängte auf die »Unveränderlichkeit«
des Menschen aus, das ein Geschöpf Gottes sein soll, die sich selbst nicht
mehr gehört und das aufgrund des fixistischen Dogmas zur Selbstentwicklung
nicht berechtigt ist. (Ebd., 1988, S. 257).Worum um handelt
es sich? Um die Tatsache, daß die Völker, die die künftige Techno-Wissenschaft
fest in die Hand nehmen, sich vor allem durch die Beherrschung der Genetik und
der zugehörigen Wissenschaften die Möglichkeit zu einer Selbstmutation
geben werden mit allen Gefahren, aber auch mit allen Möglichkeiten, die diese
Wette bzw. Wildnis beinhaltet. Anstatt vereinheitlichend und einebnend zu sein,
wird die Techno-Wissenschaft den Völkern, die sich ihr hinzugeben wagen,
als das wichtigste Mittel erscheinen, ihre Verschiedenheit gegenüber den
anderen zu behaupten und zu gestalten wird gewissermaßen die differenzierende
Logik der natürlichen Evolution ablösen (**).
(Ebd., 1988, S. 257).
Die
Warnungen treffen zu spät ein: Die Selbstmutationen, die mit Hilfe der führenden
Techno-Wissenschaft am Menschen selbst durchgeführt wurden, sind bereits
- entweder partiell oder im Labor an Tieren - so gut wie abgeschlossen. Dazu drei
Beispiele unter vielen anderen: Im Bereich der Aeronautik und der Astronautik
ist die Integration des Piloten in seine Maschine so vollständig, daß
man über das Übereinandergreifen der Bordelektronik (die die Sinne ersetzt)
mit dem Gehirn des Piloten (das bald mit Dioden -auf dem Cortex -versehen sein
wird) von interface Mensch-Maschine spricht. Das künftige Kampfflugzeug wird
so gut wie kein Instrumentenbrett haben. Das Gehirn des Piloten, wo sich die Daten
des Steuerns und des Schießens direkt eintragen werden, wird seine Aufgabe
übernehmen. Es erübrigt sich beinahe hinzuzufügen, daß diese
Art Neuerungen wahrscheinlich in den Bereich der zivilen und täglichen Anwendungen
übergehen wird. Die EDV-Schirme und die unserer guten alten Fernseher werden
wahrscheinlich eines Tages »Informationen« und »Sensationen«
Platz machen, die wir unmittelbar auf unserem Cortex wahrnehmen werden. Diese
Form der technologischen Anwendung stellt uns die Möglichkleit in Aussicht,
die berühmten Cyborgs, aktive Mensch-Maschine-Synthesen zu bekommen, von
denen man nicht recht weiß, ob es sich um biologische Computer oder um informatisierte
lebende Materie handelt. Die Möglichkeit interspezifischer Verflechtung,
die in der Tiergenetik bereits durchgeführt werden, werden sehr bald die
Frage nach der Zulässigkeit ihrer Anwendungen auf das menschliche Genom aufwerfen.
Die Forschungen sind in vollem Gang und schreiten rasch fort. Der Doktor Faust
arbeitet, während die Politiker und die Ideologen über das Geschlecht
der Engel debattieren .... (Ebd., Anmerkung 68). |
Schlußwort
Die drei großen
Herausforderungen, die der europäischen Identität heute gestellt sind
und ihren historischen Fortbestand in Frage stellen, heißen Vielrassenheit,
Zerstörung der eigenen Kulturen und der Traditionen, Schock der technoökonomischen
Zivilisation, des »Technokosmus«. Keine dieser Herausforderungen,
die zugleich eine Drohung interner Auflösung und externer Homogenisierung
darstellen, ist un-überwindbar. (Ebd., 1988, S. 258).Im
Gegenteil: erst bei ihrer Überwindung werden die Europäer eine neue
Ära ihrer Geschichte eröffnen. Die »metamorphischen« Völker,
zu denen wir gehören, müssen nämlich immer den einen Widerspruch
leben und ihm entsprechen: sich selbst treu zu bleiben, indem sie eine Mutation
ihrer selbst, eine Selbstüberwindung vollziehen. Diese wird erst durch den
Verzicht auf den jüdisch-christlichen, humanitaristischen und universalistischen
Anteil unseres Erbes erfolgen. Es ist unseres Erachtens die unerläßliche
Bedingung, daß wir mit jenem Nihilismus Schluß machen, mit jener Krankheit,
die, wie Nietzsche es erkannte, ausschließlich den modernen Europäern
eigen ist und aus der christlichen Geistesart hervorging. (Ebd., 1988, S.
258).Eine solche Selbst-Überwindung umfaßt genau,
was derselbe Nietzsche »die Umwertung aller Werte« nannte. Paradoxerweise
sind die Europäer versucht, sich durch den Austritt aus der Geschichte und
den anthropologischen bzw. kulturellen Selbstmord abzuschaffen gerade zu dem Zeitpunkt,
wo die heutige Techno-Wissenschaft, Produkt ihrer eigenen Kultur, ihnen die Mittel
geben würde, einst unvorstellbare Bestrebungen zu verwirklichen. (Ebd.,
1988, S. 258).Der europäische Nihilismus läßt sich
mit äußeren und mechanischen Faktoren, mit dem Verallgemeinerungsprozeß,
der zum Beispiel der technomodernen Zivilisation eigen wäre, nicht erklären,
sondern mit geistigen und ideologischen Faktoren, besonders mit dem Umstand, daß
der ... Egalitarismus des Judäo-Christentums heute sein Höchstmaß
an Wirksamkeit erreicht und endlich gefruchtet hat, was nicht der Fall war, solange
sich das Christentum nicht verweltlicht hatte: die Europäer dazu zu treiben,
sich als Völker zu verleugnen und in einer einheitlichen »Menschheit«
unterzugehen. (Ebd., 1988, S. 258).Wir werden uns
eine kulturelle Persönlichkeit wiedergeben und die brandende Welle der amerikanisch-westlichen
Infrastruktur stoppen, nicht etwa indem wir uns wehmütig in eine versteinerte
Vergangenheit flüchten, sondern wenn wir aus allen Stücken eine neoeuropäische
Kultur aufbauen. Wir haben dargelegt, daß der echte Traditionalismus dem
reaktionären Vergangenheitskult entgegensteht. Es sind die Progressisten
und die Bestatter der europäischen Spezifität, die uns in harmlose Einfältige
verwandeln wollen und sich daher zugleich für die Mumifizierung, den Amerikanismus
und die »Plurikulturalität« einsetzen. (Ebd., 1988, S.
258-259).Bei dem bejahenden Entwurf einer neoeuropäischen
Kultur, die in einer ersten Phase lediglich als Überwindung der jetzigen
Ordnung, als Loslösung von der gegenwärtigen Kultur, d.h. als Gegen-Kultur
erscheinen kann, muß vor allem der Geist der europäischen Tradition
beibehalten werden. Dieser in seinem Daseinsgrund heidnische Geist im »Sturmlauf«,
wie es zum Beispiel das feudale Zeitalter, das italienische Quattrocento, der
französische und deutsche Klassizismus, die deutsche Romantik oder die Unternehmung
des Futurismus waren. Dieser Geist wird sich übrigens als Energie
(En-ergie, d.h. »innere Arbeit«, »geistige Kraft, en-ergeion)
behaupten können, wenn er an den Futurismus des beginnenden Jahrhunderts
wiederanknüpft. Der verborgene Geist der europäischen Kultur, den man
im Laufe der Jahrhunderte immer wieder zu zähmen, zu zensieren, zu neutralisieren
versuchte, ist mit dem vollen Bewußtsein der göttlichen Ordnung
zu trotzen und dem vollen Vertrauen in die eigenen Kräfte verwandt:
das Menschliche vergöttlichen, das »Wunder« vom Bereich des Übernatürlichen
in den des menschlichen Willens übertragen. Der faustische Geist der alten
europäischen Kultur, die den jugendlichen Stempel des Phönix trägt,
appelliert an die von Homer besungene Tugend: den Hochmut, den hohen Mut.
(Ebd., 1988, S. 259).Und wenn heute als Ersatz für
die todkranken Religionen ein »weiter Paganismus« zu definieren
wäre, müßte man ihn sowohl in der Überwindung des »Glaubens
an das Göttliche« wie auch in der Zurückweisung des Atheismus
suchen, d.h. in der Behauptung einer Transzendenz innerhalb der Immanenz, in der
Ersetzung des Göttlichen durch das Übermenschliche. Die Götter
können in uns herunterkommen und wir, ihre neuen Herren, werden es sein,
die sie rufen werden. Es kann auch sein, daß die hohe Figur des Ingenieurs
eigentlich das ist, was den Appell formulieren wird. (Ebd., 1988, S. 259).Ein
zweiter Paganismus, sollte er einmal zutage treten, wird wahrscheinlich über
den Göttern das Pantheon der Demiurgen setzen. Der Mensch aus dem Mittelalter
hatte es vielleicht geahnt. Seine Kathedralen sind nicht zur größten
Ehre »Gottes« gebaut, wie die aus Vatikan II hervorgegangenen
»modernistischen« Christen (die einzigen authentischen) es völlig
begriffen haben, sondern wurden zur größten Ehre des Erbauers selbst
errichtet, d.h. zur größten Ehre des erbauenden Volkes. Die Kathedrale
rühmt nicht den Christen, der lediglich ein am Ende des Chors befindliches
Symbol ist, sondern das Schiff, das souverän auf den leeren Himmel
zustürmt, daß die Geste des Baumeisters symbolisiert. Die Reformen,
beherrscht von den traurigen Figuren Luthers, Calvins sowie der »normalisierenden«
Päpste, verfinsterten die große Lauterkeit des Mittelalters, so wie
im 20. Jahrhundert die westliche Konsumgesellschaft und der technomorphe Ökologismus
die große apollinische Sonne des Futurismus verfinstert haben. (Ebd.,
1988, S. 259-260).Für den Augenblick aber, da wir noch
nicht sehen, wie wir aus dieser tiefsten Tiefe der Nacht herauskommen können,
da wir noch nicht wissen, ob wir das erreicht haben, was Nietzsche den Grund des
Nihilismus nannte, da die Ära des Fisches immer noch mit dem Tod ringt, da
wir zwischen Verzweiflung und Traum geschaukelt werden, da wir auf der tastenden
Suche nach unserer eigenen Persönlichkeit, unseres Doubles sind, bleibt uns
dennoch der neue Anblick von Völkern, die ihren Willen zur Macht zu behaupten
und dadurch vielleicht unseren in der Zukunft anzuspornen wagen. (Ebd.,
1988, S. 260).Die Europäer, die gegenüber der mehrrassischen
Gesellschaft oder der westlichen Zivilisation ihre Identität wieder aufbauen
wollen, sind nämlich mit denen solidarisch, die um ihre Indianität,
ihre Negritüde oder ihren Arabismus kämpfen (wollen). Die Zeit ist vorbei,
da man als »Imperialismus« und sogar auf eine noch mehr skandalöse
und diffamierende Weise als »Rassismus« das Gebaren der Europäer
bezeichnen konnte, die für ihren Boden, ihre Kultur und ihre Unabhängigkeit
predigten. Heute, da neue Trennungslinien aufkommen, da der Unterschied zwischen
der »Rechten« und der »Linken« verschwimmt, ist der echte
Krieg der Werte und der Kulturentwürfe eröffnet worden zwischen
den Förderern des Menschheitsuntergangs (Apostel des humanitaristischen,
egalitären, sowjetisch-amerikanischen Weltstaats, der vom bürgerlichen
Materialismus des Wirtschaftskults und der Zugehörigkeitsauflösung beherrscht
wird) und den Verfechtern der Identität, der Verwurzelung, kurzum der polemischen
und staudenden Gattungsverschiedenheit, die im Grunde als einzige für die
geistige Qualität der Gattung Homo bürgt. Indem wir Zeuge dieser
europäischen Identität sind, indem wir in dem und für das Volk,
dem wir angehören, Widerstand leisten, werden wir zum Schutz des Homo
sapiens sapiens und der einigen hohen Werte beitragen, die er behaupten und
dem gleichgültigen, blinden Fluß des Lebens aufzwingen konnte.
(Ebd., 1988, S. 260).
Plädoyer gegen die Weltwirtschaft (Arthur
Korsenz)
(Ebd., 1988, S. ).
(Ebd., 1988, S. ). (Ebd., 1988, S. ).
(Ebd., 1988, S. ). (Ebd., 1988, S. ).
(Ebd., 1988, S. ). (Ebd., 1988, S. ).
(Ebd., 1988, S. ).
Zur Psycho-Biologie der Identität (Detlev Promp)
(Ebd., 1988, S. ). (Ebd., 1988, S. ).
(Ebd., 1988, S. ). (Ebd., 1988, S. ).
(Ebd., 1988, S. ). (Ebd., 1988, S. ).
(Ebd., 1988, S. ).
Bilanz eines siebenjährigen metapolitischen
Kampfes (Pierre Krebs)
(Ebd., 1988, S. ). (Ebd., 1988, S. ).
(Ebd., 1988, S. ). (Ebd., 1988, S. ).
(Ebd., 1988, S. ). (Ebd., 1988, S. ).
(Ebd., 1988, S. ). (Ebd., 1988, S. ). |