Zeusiokratie als Synthese von Demokratie (These) und Plutokratie (Antithese)

In
der Zeusiokratie sind und bleiben Demokratie und Plutokratie enthalten, doch beide
werden - je nach Wunsch der Zeusiokraten - so instrumentalisiert, daß sie
das für sie wichtige Optimum des erwünschten Erfolges bringen können,
um den Kampf gegen ihre globalen Konkurrenten gewinnen zu können.
Machtpolitisch
bedeutet Moderne nämlich, daß erst Demokratie, dann Plutokratie, schließlich
Zeusiokratie dominiert. Anders formuliert: Verkleidet als 3. Stand herrschen Adel
und Priestertum, obwohl das Volk sie besiegt zu haben glaubt, wie Geldritter und
lenken die Massen als medialer Geldadel bzw. geldmediales Priestertum. So gesehen,
bedeutet Demokratie, daß die Geldritter ihre Macht erkämpfen, und Plutokratie,
daß die Geldritter auf dem Höhepunkt ihrer Macht sind, und Zeusiokratie,
daß die Geldritter, die wieder um ihre Macht kämpfen müssen, von
den Cäsaristen oder Befruchtern besiegt werden. ( ).
Wer wissen will, wie weit Abendländer bereits gekommen sind ( ),
achte auf die Politik von Scheinkorrekten, Doppelmoralisten und Heuchlern, durch
die verdeutlicht wird, daß Demokratie nicht einmal mehr eine sekundäre,
sondern nur noch eine tertiäre Rolle spielt, weil Zeusiokratie über
Plutokratie und Demokratie herrscht. In unserer jovialen Zeit
- wo die Pressefreiheit großzügig ist und deshalb bedeuten
muß, daß nur wenige reiche Menschen ihre Meinung medienmächtig
verbreiten - können noch so wenige Reiche noch so vielen Dummen und Ohnmächtigen
einreden, daß die Geschichte zu Ende sei - sie ist nicht zu Ende!Wenn die
Für-Dumm-Verkauften auch in Zukunft auf dieses Angebot mit
einer anderen Nachfrage reagieren, weil sie nicht zum Konsumenten
eines verdummenden Ideals werden wollen, dann wird diese Lüge auch in Zukunft
keine Chance haben. Und selbst wenn sie sich durchsetzen sollte, wird sie nicht
als das Wahre zu verkaufen sein und bleiben, was sie ist: die Ware Lüge.
Post-Demokratie (von
Karlheinz Weißmann)
Einleitung
Hans
Herbert von Arnim trifft die Feststellung: »In Wahrheit fehlt dem Grundgesetz
selbst die erforderliche demokratische Legitimation. Die sogenannte bundesdeutsche
Volkssouveränität ist ein ideologisch verbrämtes Traumgebilde.«
Arnim weist auf die systematische Fernhaltung des Souveräns der Demokratie
- des demos - von der Macht hin. Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit
kämen in dem Punkt zusammen, daß das Volk möglichst wenig Einfluß
haben sollte. Stattdessen übten die »Kartellparteien« als Quasi
Institutionen die Kontrolle über das Parlament, aber in den Spitzen über
alle Gewalten aus. Die öffentliche Meinung werde systematisch manipuliert,
die Presse korrumpiert. Es gebe weder die Möglichkeit, wichtige Ämter
durch Direktwahl zu besetzen, noch die Chance, Schicksalsfragen - wie etwa die
Ratifizierung der EU-Verfassung - durch eine Volksabstimmung zu klären.
(Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie, 2009, S. 8-9).
Dafür
Schon seit dem Ende
des 18. Jahrhunderts verbreitete sich die Vorstellung, daß Demokratie so
etwas wie der notwendige Abschluß der Menschheitsentwicklung sei.
(Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie, 2009, S. 12).Demokratie
... ist ... eine konkrete Ordnung, die das Zusammenleben der vielen in einer politischen
Einheit am besten verwirklicht, weil jeder Einzelne als gleiches und freies Mitglied
des Verbandes mit seinen eigenen auch die Rechte der anderen schützt. Varianten
solcher Demokratie waren nicht nur in der Antike, sondern auch während des
ganzen Mittelalters und in der frühen Neuzeit Europas verbreitet. (Karlheinz
Weißmann, Post-Demokratie, 2009, S. 12).Auf den Punkt
brachte Max Weber die Zielsetzung, wenn er 1917 schrieb, »daß es eine
politische Unmöglichkeit ist, die heimkehrenden Krieger im Wahlrecht zurückzusetzen
gegenüber denjenigen Schichten, welche inzwischen daheim ihre soziale Stellung,
ihren Besitz und ihre Kundschaft behaupten oder gar vermehren konnten, während
jene draußen für deren Erhaltung sich verbluteten.« Selbstverständlich
könne die herrschende Schicht die Durchsetzung des allgemeinen Wahlrechts
gewaltsam verhindern, aber das werde sich für den Fall des Gelingens »furchtbar
rächen. Nie wieder würde die Nation so wie im August 1914 gegen irgendeine
Bedrohung von außen zusammenstehen.« (Max Weber, Parlament und
Regierung im neugeordneten Deutschland, 1917, in: Politische Schriften,
S. 224). (Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie, 2009, S. 22).Weber
hat an der Vorstellung von der Demokratie als Mittel nationaler Integration ...
festgehalten und in einige seiner Empfehlungen für die Gestaltung der Reichsverfassung
von 1919 einfließen lassen. Vollständig befriedigend war das aber nicht,
zumal sich kaum bestreiten ließ, daß die Weimarer Demokratie durch
den Versailler Vertrag (das Diktat! HB) im Lichte
eines fremden Oktroi erschien. Den Vorstellungen vieler Sozialdemokraten (Paul
Lensch, Ernst Niekisch, August Winnig), Liberaler (Walther Rathenau, Ernst Troeltsch)
und Konservativer (Arthur Moeller van den Bruck, Max Hildebert Boehm) von einer
spezifisch »deutschen«, »nationalen« oder eben »organischen
Demokratie« entsprach die neue Ordnung jedenfalls nicht, und ihr Zusammenbruch
hatte auch damit zu tun, daß diese Demokratie von vielen Deutschen nicht
als ihre eigene betrachtet wurde. (Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie,
2009, S. 22).Die Ablehnung erklärt sich jedenfalls nicht aus
einer Sehnsucht nach dem alten Obrigkeitsstaat sondern aus einer Parole, die der
Programmatik der »organischen Demokratie« zu entsprechen schien. Hitler
selbst hat in Mein Kampf ursprünglich einer »germanischen Demokratie«
das Wort geredet (**), den Begriff
allerdings nie klarer inhaltlich bestimmt. Immerhin pflegte er eine deutliche
Aversion gegenüber der Bezeichnung »Diktator« und meinte gelegentlich,
daß er ein besserer Demokrat sei als jene Politiker in den Entente-Staaten,
die nur von einer Minderheit ihres Volkes unterstützt wurden. (Karlheinz
Weißmann, Post-Demokratie, 2009, S. 22-23).
Ursprünglich
hieß es: »Die Bewegung vertritt im kleinsten wie im größten
den Grundsatz einer germanischen Demokratie: Wahl des Führers aber unbedingte
Autoritaät desselbe.« Ab 1930: »Die Bewegung vertritt im kleinsten
wie im größten den Grundsatz der unbeingten Führerautorität,
gepaart mit höchster Verantwortung.« Vgl. Hermann Hammer, Die deutschen
Ausgaben von Hitlers »Mein Kampf«, in: Vierteljahreshefte für
Zeitgeschichte, 4, 1956, S. 161-178, hier: S. 171. (Ebd.). |
Das
NS-Regime hat sich nie »demokratisch« genannt, aber sein demokratischer
Zug stand vielen Beobachtern klar vor Augen. 1938 notierte der britische Schriftsteller
Robert Byron nach dem Besuch des Nürnberger Reichsparteitages: »Gewiß
denkt man sich, das ist zweifellos Demokratie. Aber es ist eine Form der Demokratie,
die nicht den Menschen als vernunftbegabtes Wesen postuliert, der sich selbständig
sein Urteil bildet, sondern die emotionale Kreatur, die ihr Urteil dem Masseninstinkt
unterwirft ..., die Zeremonie ist bemerkenswert. Ihre Abläufe entspringen
einer demokratischen Ordnung, nicht einer tyrannischen - keine Kniefälle
und Verbeugungen, die Umgebung des Führers war durch allgemeine Zwanglosigkeit
gekennzeichnet. Auch sind die zeremoniellen Abläufe insofern völlig
neu, als sie die neusten technischen Errungenschaften unseres Zeitalters nutzen,
ja geradezu auf ihnen aufbauen - Scheinwerfer, LautsprecherÜbertragungen,
motorisierte Fahrzeuge. Und da diese Mittel ihre Funktion erfüllen, wirkt
nichts unecht. Ich habe nicht ein einziges Pferd gesehen. Liegt das daran, daß
der Führer nicht reitet?« (Zitiert nach: John Lukacs, Churchill
und Hitler, 1995, S. 85f.). (Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie,
2009, S. 23-24).Was Byron hervorhob - Modernität und Egalität
- korrespondierte der Integration der Massen durch charismatische Herrschaft,
die Hitler in einzigartiger Weise auszuüben verstand. Es gelang ihm, den
»Volksgenossen« immer wieder erfolgreich zu suggerieren, daß
ihre Identität sich in ihm abbilde, daß im Willen des »Führers«
der Wille der »Geführten« seinen adäquaten Ausdruck finde.
Eine Vorstellung, die nicht zufällig an Rousseaus Postulat der volonté
generale - des »Gemeinwillens« erinnert, der zu unterscheiden
bleibt von der volonté de tous - dem »Willen aller«,
die, in sich zerspalten, zu keiner klaren Bestimmung dessen kommen können,
was der demos eigentlich wollen muß. Zwar stellte sich Rousseau eine
Verwirklichung seines demokratischen Ideals nur in Kleinstaaten nach dem Muster
der antiken Poleis oder der schweizerischen Kantone vor, aber seine erfolgreichen
Schüler hielten nichts von solchen Einschränkungen. Die Jakobiner waren
die ersten, die versuchten, im Zuge der französischen Revolution eine
Ordnung durchsetzten, die als demokratisch aufgefaßt wurde, insofern sie
egalitär war und grundsätzlich auf dem Mehrheitsprinzip aufbaute und
gleichzeitig jede Opposition für illegitim erklärte, weil sie dem Gemeinwillen
entgegenstand. (Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie, 2009,
S. 24-25).Der innere Zusammenhang solcher Demokratie mit dem Terror
hat auf die politische Linke ausgesprochen begeisternd gewirkt und in erfolgreichen
Revoiutionen (Rußland 1917) ebenso wie in fehlgeschlagenen (die Commune
von 1870/71, die Herrschaft der Anarchisten, Radikalsozialisten und Kommunisten
in Spanien 1936-1939, die Epuration von 1944/45, die Studentenrevolte von
1968) regelmäßig »Wohlfahrtsausschüsse« hervorgebracht,
die vorübergehend tatsächlich das Volk oder doch die Volksmeinung hinter
sich wußten. (Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie, 2009,
S. 25).Von geordneten Abstimmungen, öffentlicher Diskussion
und regelmäßigem Machtwechsel war dabei selbstverständlich keine
Rede, trotzdem fällt es schwer, in den Systemen, die aus den Umwälzungen
hervorgingen, klassische Formen der Tyrannis, Militärdespotien oder gar Rückfälle
in den Absolutismus zu erkennen. Der Historiker Jakob Talmon hat deshalb vorgeschlagen,
von einer »totalitären Demokratie« zu sprechen. Ein Terminus,
der dem nicht einleuchten wird, der glaubt, daß Totalitarismus und Demokratie
natürliche Gegensätze seien. Talmon weist aber darauf hin, daß
nicht Totalitarismus und Demokratie, sondern Totalitarismus und Freiheit prinzipiell
unvereinbar sind: »Die moderne totalitäre Demokratie«, so seine
Argumentation, »ist eine Diktatur, die sich auf die Begeisterung der Volksmassen
stützt und somit völlig verschieden ist von der absoluten Gewalt, die
von einem König von Gottes Gnaden ausgeübt wird, oder von einem Tyrannen,
der die Macht an sich gerissen hat. Insoweit sie Diktatur ist, die auf Ideologie
und Massenbegeisterung basiert, ist sie ... das Ergebnis einer Synthese der Idee
des achtzehnten Jahrhunderts von der Natürlichen Ordnung und der rousseauschen
Idee von der Selbstentfaltung und Selbstbestimmung des Volkes.« (Jakob Leib
Talmon, Die Ursprünge der totalitären Demokratie, 1961, S. 6)
(Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie, 2009, S. 25-26).Als
Totalitäre Demokratien kann man vor allem das sowjetische und das
nationalsozialistische System beschreiben, aber auch viele Entwicklungsdiktaturen
in den Staaten Lateinamerikas, Asiens und Afrikas trugen oder tragen entsprechende
Züge. Der Grund für die Attraktivität des Konzepts liegt nicht
nur in der ideologischen Verführbarkeit, sondern auch in einem Problem, das
mit dem Beginn des Massenzeitalters zunehmend stärker wurde: Tatsächlich
ist in einem Staat mit einer nach Millionen zählenden Bevölkerung immer
weniger erkennbar, wer eigentlich das Volk - der demos - ist und wie dessen
Herrschaft - die kratie - aussehen sollte. Die Liberale Demokratie
neigt dazu, das Problem durch Oligarchisierung auf der einen, Entpolitisierung
auf der anderen Seite zu lösen, die Organische Demokratie sieht sich
hilflos mit dem Schwund ihrer Voraussetzungen konfrontiert, während die Totalitäre
Demokratie über erhebliche Möglichkeiten verfügt, den Massen
durch Indoktrination ein Gefühl von Zusammengehörigkeit zu vermitteln.
Die Formen, in denen sich das russische Regime einer »geführten Demokratie«
seit den Zeiten Putins entwickelt, ist eine Art moderater Variante dieses Konzepts,
was man auch als Indiz für dessen Zukunftsfähigkeit betrachten kann.
(Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie, 2009, S. 26-27).
Dagegen
Noch bevor die Ereignisse (der
französischen Revolution; HB) eintraten, hatte Edmund
Burke die französische Nation gemahnt, daß die »vollkommene Demokratie«
- »das schamloseste aller politischen Ungeheuer« (Edmund Burke, Betrachtungen
über die französische Revolution, 1790, S. 189f.) - zwangsläufig
dazu führen werde, die bestehenden Freiheiten zu vernichten, den König
zu töten, das Land zuerst der Anarchie, dann dem Terror und schließlich
der Diktatur eines Militärs preiszugeben. (Karlheinz Weißmann,
Post-Demokratie, 2009, S. 36).Eine prinzipielle Kritik der
Demokratie, verbunden mit Überlegungen, wie sie zu bändigen oder rückgängig
zu machen sei, fand angesichts dessen erst am Ende des 19. Jahrhunderts wieder
Gehör. Die Ursache lag in einer »Erwartungsenttäuschung«
(Hermann Lübbe, Religion nach der Aufklärung, 1986, S. 19), die
nicht nur die Demokratie, sondern allgemeiner die Verheißungen der Aufklärung
betraf. Es zeigte sich, daß der »Fortschritt« nicht die vollständige
Humanisierung des Menschen brachte. Mehr noch, viele pessimistische Erwartungen
im Hinblick auf das Individuum wie das Kollektiv wurden durch den Gang der Dinge
bestätigt. (Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie, 2009,
S. 39).Das war in letzter Konsequenz darauf zurückzuführen,
daß sich die Behauptungen der Aufklärung über die Natur und die
Natur des Menschen als grundsätzlich falsch erwiesen hatten. Das idyllische
Bild jedenfalls, das Rousseau von den Menschen ausmalte, die im Ursprung frei,
gleich, gut, gesund und glücklich waren, entsprach ganz offensichtlich nicht
den Tatsachen. Dabei mußte man für die Einrede gar nicht auf die biblische
Lehre von der Sündhaftigkeit verweisen oder den wölfischen Allgemeincharakter
des Homo sapiens behaupten, sondern konnte der Aufklärung und ihrer
Bezugnahme auf die Wissenschaft des 18. Jahrhunderts mit einer Gegen-Aufklärung
und Bezugnahme auf die Wissenschaft des 19. Jahrhunderts antworten. (Karlheinz
Weißmann, Post-Demokratie, 2009, S. 39-40).Dafür
war vor allem die Übertragung der Erkenntnisse Darwins von entscheidender
Bedeutung. Der »Sozialdarwinismus« behauptete jedenfalls mit großem
Effekt, daß die Prinzipien der »natürlichen Zuchtwahl«
und der biologischen »Höherentwicklung« auch geeignet seien,
die Menschheitsgeschichte und die Politik zu interpretieren. Nur vorübergehend
ließ das die politische Linke frohlocken, die glaubte, hier einen weiteren
Beweis für den notwendigen gesellschaftlichen Fortschritt und den Aufstieg
der Arbeiterklasse gefunden zu haben. Sehr schnell wurde nämlich klar, daß
die Übertragung darwinistischer Prinzipien in erster Linie die Position derjenigen
stärkte, die von einer prinzipiellen Verschiedenartigkeit der Menschen beziehungsweise
Menschengruppen ausgingen. (Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie,
2009, S. 40).Otto Ammon, einer der einflußreichsten Befürworter
der »Social-Anthropologie« in Deutschland, erklärte denn auch,
daß das demokratische Prinzip absurd sei: das »Wesen der Gesellschaftsordnung«
bestehe eben darin, »daß die Massen der mittelmäßig und
schwach Begabten durch die hervorragenderen Köpfe geleitet werden. So war
es, so ist es und so wird es bleiben, so lange es eine Gesellschaft
giebt. .... Auf der Ungleichheit beruht die Gesellschaftsordnung, und die Ungleichheit
ist nicht etwas, das abgeschafft werden könnte, sondern sie ist vom Menschengeschlecht
unzertrennlich wie Geburt und Tod. Sie ist unabänderlich wie die mathematischen
Wahrheiten, und ewig wie die Gesetze, die den Gang unseres Planetensystems regeln.«
(Otto Ammon, Die Gesellschaftsordnung und ihre natürlichen Grundlagen,
1884, S. 255f.). (Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie, 2009,
S. 40-41).Der Darwinismus war an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert
sicher das einflußreichste wissenschaftliche Paradigma, mit Ausstrahlung
auf alle möglichen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, bis hin zu Religion,
Literatur und Bildender Kunst. Eine gewisse darwinistische Gestimmtheit beeinflußte
Nietzsches Ekel an der Demokratie ebenso wie die Schriften seiner zahlreichen
Adepten, die Vorschläge der Massenpsychologie zur Bändigung der Gesellschaft
genauso wie die Ideen der bekennenden Militaristen, sie wirkte aber auch da noch
nach, wo man eine naive Übernahme des Darwinismus in die Gesellschaftswissenschaften
ablehnte, jedoch zu einem rücksichtslosen Realismus bei der Betrachtung der
sozialen Wirklichkeit neigte. (Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie,
2009, S. 41).Ein typisches Beispiel für diese Haltung war
Robert Michels, der ausgerechnet bei einer Untersuchung der SPD - der demokratischen
Organisation des Kaiserreichs - zu der Erkenntnis kam, daß die Masse als
solche durch »inhärente Ohnmacht« (Robert Michels, Zur Soziologie
des Parteiwesens in der modernen Demokratie, 1911, S. 52) und die direkte
Demokratie durch »Impotenz« (ebd., S. 29) gekennzeichnet sei; die
vielen bedürften in jedem Fall der Führung durch eine Elite, und alle
Beschwörungen des Gleichheitsprinzips könnten nicht darüber hinwegtäuschen,
daß eine linke Partei wie jede Form menschlicher Vergemeinschaftung dem
»ehernen Gesetz der Oligarchie« (ebd., S. 342 )
unterliege, das heißt notwendig zur Ausbildung einer Hierarchie tendiere
und demokratisch jedenfalls nicht im Wortsinn sein könne. (Karlheinz
Weißmann, Post-Demokratie, 2009, S. 41-42).Michels
gab seine eigenen sozialistischen Vorstellungen erst mit Verzögerung auf,
wandte sich aber später dem Faschismus zu und folgte damit einem ähnlichen
Weg wie der Sozialist Benito Mussolini. Für Hitler wird man nicht dasselbe
sagen können, aber auch in seinem Fall ist unübersehbar, daß Enttäuschung
eine Rolle spielte und die liberal-deutschnationalen Vorstellungen seines Elternhauses
spätestens an Überzeugungskraft verloren, als er in Wien die Funktionsuntüchtigkeit
des österreichischen Reichsrats mit eigenen Augen sah. (Karlheinz Weißmann,
Post-Demokratie, 2009, S. 42).War der Seitenwechsel von
links nach rechts für den, der vom Demokraten zum Antidemokraten wurde, naheliegend,
so bleibt doch darauf hinzuweisen, daß es auch einen Teil der Linken gab,
der den Glauben an die Demokratie aufgab, ohne deshalb politisch zu konvertieren.
Angelegt war diese Möglichkeit schon in dem argumentativen Taschenspielertrick,
den Marx und Engels anwandten, um die Diktatur des Proletariats als »Demokratie«
erscheinen zu lassen, einen Führungsanspruch gegenüber der Gesamtlinken
zu erheben, die sich im 19. Jahrhundert als unbedingt »demokratisch«
betrachtete, und intern über das »ganze demokratische hiesige Geschmeiß«,
»demokratische Gesindel« und »demokratische Lumpenpack«
herzuziehen, das in seiner »demokratischen Pißjauche« liege,
ohne einen Funken politischer Einsicht. (Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie,
2009, S. 42-43).Zu nennen sind in diesem Zusammenhang aber vor
allem die russischen Schüler von Marx. Unter dem Einfluß Lenins trennten
sich die radikalen Bolschewiki von den gemäßigten Sozialdemokraten
des Zarenreiches und erklärten, daß - entgegen der Lehre von Marx -
das Proletariat als solches unfähig sei, eine Revolution herbeizuführen.
Die Erfahrungen in den entwickelten Industrieländern hatten gezeigt, daß
es der Masse der Arbeiter im wesentlichen um konkrete Verbesserungen ihrer Lebensverhältnisse
und parlamentarische Mitsprache ging, aber nicht um eine vollständige Umwälzung
der bestehenden Verhältnisse. Das brachte Lenin zu der Ansicht, daß
es einer »Kaderpartei« von Berufsrevolutionären bedürfe,
die das Proletariat führen und dann in dessen Namen eine »Diktatur«
errichten sollten. In der leninistischen Doktrin war diese Diktatur aber nichts
anderes als vollendete Demokratie, da die Partei per se das Gesetz der
Geschichte beziehungsweise den Gemeinwillen der Arbeiterklasse vollstreckt.
(Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie, 2009, S. 43-44).Diese
Behauptung hat auf Außenstehende so wenig überzeugend gewirkt wie die,
daß es sich bei den Unterdrückungsmaßnahmen des kommunistischen
Systems um eine geschichtliche Übergangsphase handele, an deren Ende nicht
nur das Paradies auf Erden, sondern auch die Abschaffung des Staates und damit
die vollendete Demokratie stehen würden. Solche und ähnliche Ideen einer
»Erziehungsdiktatur« haben samt Verschiebung der »wahren«
Demokratie auf ein Zukunftsreich aber erheblichen Einfluß auf die Linke
behalten. Eine konsequente antidemokratische Haltung war dagegen nur schwer begründbar;
dem standen die egalitären Grundannahmen der eigenen Ideologie im Wege. Eine
Ausnahme bildete nur der deutsche Philosoph Leonard Nelson, der einen ethischen,
an Kant orientierten Sozialismus vertrat und die Demokratie für grundsätzlich
ungeeignet hielt, um eine gerechte Gesellschaft aufzubauen und die notwendige
Elitenauswahl zu bewerkstelligen. (Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie,
2009, S. 44-45).1920 veröffentlichte er die später in
mehreren Auflagen erschienene Schrift Demokratie und Führerschaft,
in der es unter anderem hieß: »... wir müssen uns fragen, ob
der Führer, der in der Demokratie die Masse lenkt, der berufene Führer
ist, oder ob wenigstens eine Wahrscheinlichkeit besteht dafür, daß
der berufene Führer in der Demokratie wirklich zur Führung gelangen
wird. In der Tat haben wir nicht nur keinen Grund, sein Emporkommen für wahrscheinlich
zu halten, sondern wir haben allen Grund, das Gegenteil für wahrscheinlich
zu halten.« (Leonard Nelson, Demokratie und Führerschaft, 1920,
S. 16). Gerade die moderne Gesellschaft erleichtere den Aufstieg von Demagogen
mit Hilfe von Presse und Propaganda, und ihre Demokratie unterscheide sich sogar
negativ von der Autokratie, da sie die Macht der wahrhaft Mächtigen verschleiere,
so »daß die Unterdrücker nicht die verantwortung vor der Masse
übernehmen und daher auch nicht die Folgen zu tragen haben«. (Ebd.,
S. 160). (Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie, 2009, S.45).Nelson
starb zwar schon 1927, aber Mitglieder des von ihm gegründeten »Internationalen
Sozialistischen Kampfbundes« (ISK) - der strikt von oben nach unten organisiert
war - konnten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erheblichen Einfluß auf
die SPD und deren Programmatik gewinnen. Dabei trat die Demokratiekritik Nelsons
zwar ganz in den Hintergrund, aber die Vorstellung von der notwendigen Überwindung
des Marxismus spielte für die Formulierung des »Godesberger Programms«
eine wichtige Rolle. (Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie,
2009, S. 45-46).Der Hinweis auf Nelson muß genügen,
um die landläufige Vorstellung zu widerlegen, daß man antidemokratische
Anschauungen grundsätzlich der politischen Rechten zuzuweisen habe. Es ist
aber auch sonst breit belegbar, daß die Linke der Zwischenkriegszeit - und
keineswegs nur die kommunistische - zumindest den bürgerlichen Republiken
mit ihren liberal-demokratischen Verfassungen ein erhebliches Maß an Feindseligkeit
entgegenbrachte. Davon ist nach 1945 mehr geblieben als auf der Gegenseite, was
sich auch aus der Diskreditierung der Rechten und dem Sieg einer »antifaschistischen«
Koalition erklärt, die den Begriff »Demokratie« über lange
Zeit polemisch verwendete, zur Kennzeichnung der eigenen Seite und zur Abgrenzung
gegenüber dem Feind. (Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie,
2009, S. 46).Und als im Gefolge von '68 die Demokratieverachtung
wieder sacht in Mode kam, sich neokommunistische Gruppen aller möglichen
Observanzen bildeten und die Forderung nach »Demokratisierung« nichts
anderes war, als der Versuch, wohlorganisierten Minderheiten unverhältnismäßigen
Einfluß zu verschaffen, da notierte Max Horkheimer, einst Schulhaupt der
»Neuen Linken«, wie schon die Philosophen der Antike: »Je demokratischer
eine Demokratie, desto gewisser negiert sie sich selbst, ... Demokratie heißt
die Staatsform nach dem Willen des Volkes, jedoch, soweit es so etwas gibt, hat
er mit Vernunft wenig zu tun, er neigt weit mehr zur Gefolgschaft als zur Autonomie,
von den politischen Mechanismen, Wahltaktik und Manipulation ganz abgesehen. Wer
immer die Demokratie bejaht, mißtraue ihr. Wie die Freiheit der Menschen,
zu der sie gehört, war sie seit je ihr eigener Feind.« (Max Horkheimer,
Notizen 1950 bis 1969, a.a.O., S. 211). (Karlheinz Weißmann,
Post-Demokratie, 2009, S. 47).
Danach
Die Behauptung Tocquevilles, daß
seit dem 19. Jahrhundert die Demokratie nicht mehr nur eine denkbare Alternative
unter den verschiedenen Verfassungsformen sei, sondern ein demokratisches Zeitalter
begonnen habe, konnte von den Anhängern der Demokratie als Bestätigung
ihrer eigenen Annahmen gewertet werden, aber sie konnte auch den Skeptikern oder
Gegnern in die Hände spielen, wenn die behaupteten, daß diese Epoche
wie jede frühere ein Ende haben und durch eine andere, eben die nachdemokratische,
abgelöst werde. (Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie,
2009, S. 48).Michels hatte schon 1911 in seiner Soziologie des
Parteiwesens festgestellt, »... daß die Demokratie als Bewegung wie
als Gedankenwelt heute im Zeichen einer Krisis steht, aus der sie nicht heil hervorgehen
kann. Sie ist auf Hemmungen, auf Barrieren, nicht vor sich, sondern in sich gestoßen,
die zu überwinden ihr nur bis zu einem gewissen Grad möglich sein dürfte.«
(Robert Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie,
1911, S. XX). Und zwei Jahre später kam Gustave Le Bon - wenn auch aus anderen
Gründen - zu einem ähnlichen Schluß. In seinem Buch La revolution
française et la psychologie des revolutions stellte er fest, daß
sich im Mutterland der Revolution die ursprüngliche Kraft der »demokratischen
Glaubensformen« erschöpft habe. Unter Demokratie verstehe die Politische
Klasse ein System, das ihr nütze und wie jedes andere auf Absprachen,
Seilschaften und Bürokratie beruhe, die Intelligenz hänge theoretisch
längst widerlegten Vorstellungen über die natürliche Güte
des Menschen an, während sie sich in der Praxis eine Vormundschaft über
die unaufgeklärte Menge anmaße, und diese selbst - der demos
- habe tatsächlich eine demokratische »Mentalität« entwickelt,
insofern, als sie keine Ungleichheit mehr dulde, aber die genüge natürlich
nicht, um eine Demokratie im Wortsinn zu begründen. Nach allen Erfahrung
der Geschichte stehe der Umschlag in die Despotie unmittelbar bevor. (Karlheinz
Weißmann, Post-Demokratie, 2009, S. 48-49).Der Faschismus
hat sich in mancher Hinsicht als Erfüllung solcher und ähnlicher Prophetien
der Post-Demokratie betrachtet. Allerdings war sein theoretisches Interesse nicht
besonders ausgeprägt. Deshalb trat der geschichtsphilosophische Anspruch
auf das Erbe der Demokratie deutlicher hervor im Rahmen jener Bewegungen, die
sich in den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts bildeten,
und die den Umbau der Industriegesellschaften Europas und Nordamerikas im Sinne
einer »Synarchie«, eines »Planismus«, einer »Technokratie«
oder eines »Regimes der Manager« forderten. (Karlheinz Weißmann,
Post-Demokratie, 2009, S. 49-50).In den USA, wo die Technokratie
zeitweise zu einer Massenbewegung wurde, war der Anstoß von den Fehlleistungen
der Kriegswirtschaft ausgegangen, und durch die Entwicklung der Fließbandarbeit
oder die Konzernbildung erhielt sie ebenso Auftrieb wie durch die Folgen der großen
Depression. Die Technokraten forderten die Bildung eines nationalen Lenkungsstabes
für die Wirtschaft, um sie privatkapitalistischen Interessen zu entziehen,
das Preissystem zu kontrollieren, die Produktion effektiver zu gestalten und ganz
in den Dienst der Bevölkerung zu stellen. Sie waren fest davon überzeugt,
mit einer solchen Reorganisation den wirtschaftlichen und sozialen Erfordernissen
des 20. Jahrhunderts zu entsprechen, da die Entwicklung der Technik die Menge
des durch die Politik Entscheidbaren bis auf einen Rest reduziert habe. Die Lehren
vom freien Markt und der rücksichtslosen Entfaltung des Individuums seien
illusionär und schädlich. Längst würden die Menschen durch
den Zwang, die industrielle Produktion aufrechtzuerhalten, einer objektiven Ordnung
eingefügt, in der nicht Weltanschauungen und Parteimeinungen den Ausschlag
geben könnten, sondern nur die sachlich fundierten Urteile der Experten.
(Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie, 2009, S. 50-51).Es
gab Sympathisanten solcher Ideen sowohl auf der Linken wie auf der Rechten, aber
nur in den USA entstand ein ideologisch geschlossenes Konzept von Technocracy,
was schließlich sogar zur Gründung einer »Technokratischen Partei«
führte. Damit war allerdings der Abstieg ins Sektiererische programmiert,
was einen Grund auch darin hatte, daß das Verhältnis der Technokratie
zur Politik im allgemeinen und zur Demokratie im besonderen ein Nicht-Verhältnis
war: Ihre Protagonisten erwarteten im Grunde, daß man ihnen die Macht aus
Einsicht in das Unvermeidliche freiwillig übergeben werde. (Karlheinz
Weißmann, Post-Demokratie, 2009, S. 51).Die Technokratie
bekämpfte die Demokratie deshalb nicht offen, sondern hielt sie mit ihren
Debatten, Richtungsstreitigkeiten, der Wahlpropaganda und den Ritualen des Parlamentarismus
für ein Relikt des bürgerlichen Zeitalters. Mochten sich die Politiker
der Täuschung hingeben, die Schalthebel der Macht zu bedienen, tatsächlich
lag die eigentliche Gewalt längst nicht mehr in ihren Händen. Kennzeichnend
war deshalb der gegen die Bewegung erhobene Vorwurf, sie strebe eine »Diktatur
der Techniker« an, und der Vorschlag des Soziologen Thorstein Veblen, einen
»Sowjet der Ingenieure« zu schaffen, nährte entsprechende Befürchtungen,
während der Verweis, es gehe einzig um »eine wissenschaftliche Methode
zur Schaffung eines Mechanismus größter kontinentaler Ordnung«
zum Zweck der Verteidigung ungeeignet, da nichtssagend war. (Karlheinz Weißmann,
Post-Demokratie, 2009, S. 51-52).Die Technokratische
Bewegung scheiterte, aber ihre Ideen blieben auch nach dem Zweiten Weltkrieg
Diskussionsthema. Bis in die 1960er Jahre hinein gab es einflußreiche Autoren,
die sich offen für eine technokratische Ordnung aussprachen oder deren Aufkommen
doch als unvermeidlich betrachteten. Für die erste Gruppe kann man James
Burnham als repräsentativ ansehen, der schon 1941 sein Buch The Managerial
Revolution herausbrachte und darin eine universale Tendenz zum technischen
Staat behauptete, die alle ideologischen Differenzen überwinden werde; für
die zweite Tendenz mag die Schrift des Juristen Ernst Forsthoff Der Staat in
der Industriegesellschaft stehen. Forsthoff war wie sein Lehrer Carl Schmitt
der Meinung, daß die Epoche der Staatlichkeit beendet sei, was aber nicht
zu Anarchie und Chaos führen müsse. Die technische Entwicklung erzwinge
die Disziplinierung der Massen und leiste kompensatorisch, was die politische
Ordnung nicht mehr zu leisten vermöge: »Der harte Kern des heutigen
sozialen Ganzen ist nicht mehr der Staat, sondern die Industriegesellschaft, und
dieser harte Kern ist durch die Stichworte Vollbeschäftigung und Steigerung
des Sozialprodukts bezeichnet. Vor diesen Stichworten werden Klassengegensätze
und das ganze aus der sozialen Realisation entnommene Vokabular gegenstandslos.«
(Ernst Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, 1971, S. 164).
(Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie, 2009, S. 52-53).Forsthoff
entsprach wie andere, ihm nahestehende Autoren (Arnold Gehlen, Helmut Schelsky,
Karl Steinbuch) ganz dem Feindbild des »technokratischen Konservativen«,
das die Neue Linke entwarf und mit dem Vorwurf verknüpfte, hier würde
im Namen »instrumenteller Vernunft« jede inhaltliche - soziale oder
ethische - Bindung des Staates aufgehoben zu Gunsten eines reinen Funktionierens,
das nur im Interesse der Machthaber liegen könne oder sogar einem neuen »Faschismus«
vorarbeite. (Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie, 2009, S.
53).Es hatte diese Kritik trotz ihrer Durchschlagskraft immer einen
anachronistischen Zug, denn die großen Projekte zur Reorganisation der Wirtschaft
oder zur Schaffung supranationaler Ordnungen (vor allem die Europäische
Gemeinschaft für Kohle und Stahl samt ihren Nachfolgern) beruhten auf
technokratischen Konzepten, deren Erfolge schwer bestreitbar waren. Allerdings
rief die behauptete Zwangsläufigkeit des Prozesses verbreitet Unbehagen hervor,
und das, obwohl die Diagnosen und Entwürfe der Technokraten deutlich abgeschwächt
schienen im Vergleich zu dem, was in der ersten Phase der Technokratischen
Bewegung gedacht und geplant worden war. (Karlheinz Weißmann,
Post-Demokratie, 2009, S. 53-54).Das kann so allgemein formuliert
werden, wenn man eine Ausnahme nennt: das Konzept Alexandre Kojèves. Dieser
Philosoph, der seinen Lebensunterhalt als hoher Verwaltungsbeamter verdiente,
trat zwar mit seinen Vorstellungen nicht offen hervor. hat durch seine Ideen aber
eine erhebliche. subkutane Wirkung ausgeübt. In der Nachfolge
Hegels glaubte Kojève an ein »Ende der Geschichte« ( )
das heißt das Überraschungslos-Werden der Zukunft. die keine großen
Aktionen wie militärische Eroberungen und Revolutionen mehr kennen werde.
In einer Denkschrift, die er unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs
erstellte, legte Kojève dar, daß man die historische Bedeutung der
Niederlage Hitlers darin zu erkennen habe, daß das Zeitalter der Nationalismen
vorbei sei. Die Zukunft gehöre den Imperien, das heißt wirtschaftlich
autarken, durch die Mittel der ökonomischen Planung und Preiskontrolle im
Inneren pazifizierten Reichen. Demokratie war dabei nur ein formales Prinzip,
das kaum besondere Beachtung verdiente.Aufschlußreich ist jedenfalls das
Wohlwollen Kojèves gegenüber der Sowjetunion, die am stärksten
seinem Entwurf eines Imperiums entsprach; für ihn war Stalin das, was für
Hegel Napoleon war, und seine Selbstbezeichnung als »einziger echter Stalinist«
ist erhellend genug; der Annahme, daß er außerdem als KGB-Agent arbeitete,
bedarf es kaum. (Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie, 2009,
S. 54-55).Jacob Taubes hat darauf hingewiesen, daß
Kojève mit seiner Vorstellung vom Ende der Geschichte, dem Beginn
einer »Post-Geschichte« in einer »Post-Moderne«, zuletzt
»tiefer in die Speichen der Gegenwart« faßte, »als man
auf den ersten Blick begreift«. Tatsächlich hat sich seine untergründige
Wirkung weit über seinen Tod im Jahr 1968 fortgesetzt und nicht nur Rancieres
Begriffsbildung »Post-Demokratie« inspiriert, sondern auch die These
Francis Fukuyamas vom »Ende der Geschichte« hervorgebracht ( ).
Fukuyamas Entwurf bezog seine Plausibilität aber vor allem aus der Situation
nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems und der Erwartung, es werde
eine Welt entstehen, in der es zu Demokratie und Marktwrtschaft keine glaubwürdige
Alternative mehr gebe. (Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie,
2009, S. 55-56).Diese Erwartung hat indes sehr rasch Widerspruch
herausgefordert und die Frage provoziert, ob sich die »feindlose Demokratie«
aus eigener Kraft - ohne stabilisierte Identität durch die Gegnerschaft eines
antidemokratischen Systems - behaupten könne. Pascal Bruckner sprach schon
1990 von »demokratischen Melancholie«: »Wir sind
in eine
Epoche der demokratischen Melancholie eingetreten, denn in unser Gefühl des
Triumphes mischt sich der Verdacht, etwas verloren zu haben: den Antrieb, uns
und anderen die Demokratie zu wünschen, denn künftig wird sie nur von
wenigen angefochten. Mit anderen Worten, da niemand dagegen ist, fehlt uns fast
gänzlich die Kraft, dafür zu sein. Zwar haben wir das unbestimmte Gefühl,
die ganze Arbeit liege noch vor uns, doch sind wir willenlos, da uns kein Gegner
motiviert. Die großen Schlachten sind geschlagen, doch ist unsere Vollkommenheit
dem Tode nahe.« (Pascal Bruckner, Die demokratische Melancholie,
1990, S. 177). (Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie, 2009,
S. 56).Bruckner gehörte zu jenem Teil der Linken, der früh
erkannte, daß nach dem Ende der Blockkonfrontation Globalisierung und Neoliberalismus
Rahmenbedingungen schufen, die mit den üblichen Methoden politischer Kontrolle
nicht zu bändigen waren, daß der Bedeutungsverlust der Nationalstaaten
und der Bedeutungszuwachs internationaler Konzerne zur Entstehung von Machtballungen
neuer Qualität führte, die jenseits des bekannten Rahmens lagen. Wenn
man es bei Bruckner zum Teil mit dem sattsam bekannten antikapitalistischen Affekt
zu tun hat, so wird man dieser Kritik doch ein gewisses Maß an Hellsichtigkeit
nicht abstreiten können. Das ist in bezug auf die vorgeschlagenen Alternativen
aber nicht zu behaupten. Denn der Gedanke, dem Problem sei durch eine weitergehende
Demokratisierung zu begegnen, verkannte die prinzipiellen Schwierigkeiten.
(Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie, 2009, S. 56-57).Deutlich
nüchterner fiel die Analyse von Jean Marie Guéhenno aus, der ... Anfang
der 1990er Jahre die Auffassung vertrat, daß nicht das »Ende der Geschichte«
und die finale Durchsetzung von Freiheit und Kapitalismus bevorstünden, sondern
das »Ende der Demokratie«. Wir befänden uns so Guéhenno
in einer Phase des Übergangs, weg von der Epoche der Nationalstaaten,
hin zu neuen imperialen Bildungen, weg von der europäischen Tradition, hin
zu »asiatischen« Verhältnissen. Das Zukunftsszenario blieb in
vielem diffus, auf Andeutungen beschränkt, zeichnete sich aber doch durch
die Vorstellung aus, daß für die Bewältigung der Krise kein Rückgriff
auf die Vergangenheit möglich sei. Weder lasse sich der alte Glaube restaurieren,
noch die alte Politik. Die Geschichte biete keine Modelle, nur noch schwache Analogien.
Guéhenno meinte jedenfalls, daß die Alternative zur Demokratie nicht
zwangsläufig Diktatur und Terror bedeute, sondern im besten Fall eine Reichsbildung
wie in der Zeit des humanitären Kaisertums: »Das neue imperiale Zeitalter
sollte am ehesten dem Römischen Reich Hadrians und Mark Aurels gleichen:
Es dürfte keinen Anspruch auf überirdische Größe erheben
und sich auch nicht göttliche Befugnis zur Erfüllung irdischer Bedürfnisse
aneignen wollen. Es müßte sich damit begnügen, lediglich eine
Funktionsweise zu sein, und diese Erkenntnis akzeptieren.« (Jean Marie Guéhenno,
Das Ende der Demokratie, 1993, S. 177). (Karlheinz Weißmann,
Post-Demokratie, 2009, S. 57-58).Reduziert man das Gesagte
auf seinen Kern, also die Legitimation der nachdemokratischen Ordnung durch Funktionstüchtigkeit,
trifft man auf einen Vorstellungszusammenhang, der heute vielen akzeptabel erscheint.
So schrieb Josef Joffe, Mitherausgeber der Zeit, in bezug auf die Europäische
Union: »Die EU ist ein freiheitliches, freundliches und fürsorgliches
Gebilde, aber eine Demokratie im klassischen Sinne? Nennen wir es eine Geschäftsführer-,
oder Ostdemokratie, in der der Bürger das Herrschen den Räten
und Kommissionen überläßt. Und zwar freiwillig.« (Josef
Joffe, Von wegen Alte Welt!, in: Die Zeit, 22.03.2007). Das ist mit
Wohlwollen gemeint, ein Plädoyer für eine sanfte Erziehungsdiktatur
und jedenfalls verknüpft mit dem Drohbild des Volkes als »großem
Lümmel«, der schon der Einführung des Euro seine Zustimmung verweigert
hätte und insofern disqualifiziert ist, weil er dem »Fortschritt«
im Wege steht. (Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie, 2009,
S. 58-59).Faktisch wird hier ein neues Kriterium für die Beurteilung
politischer Ordnungen festgelegt, das sich nicht mehr an irgendwelchen wolkigen
»Werten« ausrichtet, sondern an härteren, wirklichkeits- und
das heißt heute wirtschaftsnäheren Maßstäben. Es geht um
Output-Orientierung oder um Klärung der Frage »Sind Demokratien ineffizient?«
(Reinhard Meyer, Sind Demokratien ineffizient?, in: Neu Zürcher
Zeitung, 21.06.2008 ). Die scheint manchem deshalb drängend, weil »Halbdemokratien«
(Rußland, Indien) oder offen autoritäre Systeme (China) gegenüber
den Demokratien des Westens deutlich aufholen. Deren Wirtschaftswachstum ist ungleich
stärker, deren Möglichkeit, rasch auf neue Entwicklungen zu reagieren,
besser entwickelt, jedenfalls nicht behindert durch langwierige Abstimmungsvorgänge
oder die Suche nach Kompromissen. (Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie,
2009, S. 59-60).Besonders nachdrücklich wird eine solche Position
durch Fareed Zakaria vertreten, den Chefredakteur von Newsweek International,
und einen der einflußreichsten politischen Journalisten der USA. Zakaria
hat ein Buch veröffentlicht, das mit dem deutschen Titel Das Ende
der Freiheit? Wieviel Demokratie verträgt die Welt? erschien und zu den
einflußreichsten politischen Essays der letzten Jahre gehörte, in siebzehn
Sprachen übersetzt wurde und eine Art Generallinie für die Argumentation
gegen die Demokratie enthält: die, so Zakaria, ist zu träge, schwächt
die Institutionen, verabsolutiert das Mehrheitsprinzip und droht qualifizierte
Minderheiten zu unterdrücken. Historisch gesehen, habe sich die ältere
Demokratie nur in Kleinstaaten bewährt und sei nach kurzem in Chaos oder
Diktatur umgeschlagen; auch nach ihrem ersten Siegeszug im Gefolge des Triumphs
der Entente von 1918 erwies sie sich als instabil, in Zukunft könnten
ähnliche Belastungsproben bevorstehen, und es scheine fraglich, ob sie die
Prüfung nun besser bestehe, und schließlich: »Beim gegenwärtigen
Trend steuert die Demokratie geradewegs auf eine Legitimitätskrise zu, die
ihr womöglich den Boden entzieht.« (Fareed Zakaria, Das Ende der
Freiheit?, 2005, S. 246). (Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie,
2009, S.60-61).Die Argumentation Zakarias ist nicht neu, aber längere
Zeit zurückgetreten. Er will keine Anknüpfung an die klassische Demokratiekritik,
eher greift er auf Vorstellungen zurück, wie sie in der Nachkriegszeit Liberale
genauso wie Technokraten und einige »Neokonservative« vorgetragen
hatten, die alle an der Fähigkeit der Demokratie zweifelten, einen modernen
Industriestaat zu steuern oder im Ernstfall zu bestehen. Wenn solche Thesen jetzt
wieder ins Feld geführt werden, ist das kein Zufall und keine Nostalgie.
Zakaria hat seine Thesen zuerst 1997 in einem Artikel für Foreign Affairs
entwickelt, jener Zeitschrift, von der alle großen Weltanschauungsdebatten
der letzten beiden Jahrzehnte um das »Ende der Geschichte«
(Francis Fukuyama) wie den »Kampf der Kulturen« (Samuel Huntington)
angestoßen wurden, und auch die Veröffentlichung seines neuesten
Buches The Post-American World hat er mit dem Abdruck einer Art Zusammenfassung
in Foreign Affairs vorbereitet. Er stärkt darin die Position jener
»Zentristen«, die weder der Linie der Bush-Regierung folgen, noch
einen linken oder rechten Isolationismus vertreten. Obwohl ein relativer Machtverlust
der USA unausweichlich sei und der Aufstieg von Konkurrenten wie China, Indien,
Rußland, Brasilien bevorstehe, glaubt Zakaria, daß die Vereinigten
Staaten auch im 21. Jahrhundert die Weltpolitik beherrschen. Um diese Aufgabe
bewältigen zu können, sei es aber entscheidend, die Illusionen einer
bewaffneten Ausbreitung des demokratischen Systems aufzugeben. Dabei stehen ihm
nicht nur die militärischen Fehlschläge Washingtons vor Augen, sondern
auch die unkalkulierbaren Konsequenzen bei erfolgter Demokratisierung, die etwa
in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion und allgemein in islamischen Ländern
zur Stärkung us-amerikakritischer oder us-amerikafeindlicher Kräfte
geführt hätten. In diesen Fällen sieht Zakaria die Demokratie als
»delegitimiert« an, weil sie als »unfreie Demokratie«
(ebd., S. 85) den prowestlichen Tendenzen entgegenstehe. Damit wird das Problem
der Legitimität verschoben. Demokratie im Sinne von Zakaria ist nur die gezähmte
oder »liberale Demokratie«, in der die Folgen einer Wahl möglichst
minimiert werden und ein durchdachtes System den Bürgerwillen so kanalisiert,
daß er sich nicht schädlich auswirken kann, sondern der Bestätigung
der Politischen Klasse, ihres Führungsanspruchs, ihrer wirtschaftlichen
und sozialen Macht, dient. Das ist nicht zynisch gemeint, denn die Elite nutzt
ihre Macht, wenn nicht direkt, dann doch indirekt, zugunsten des Gemeinwesens.
Was wiederum erklärt, warum Zakaria ein Bündnis zwischen liberaler Demokratie
und jenem »neuen Nationalismus« für denkbar hält, den er
als die bestimmende Kraft im System globaler Konkurrenz betrachtet. Dieser Nationalismus
ist weniger ausgearbeitete Ideologie als Konsequenz einer Lage, in der es um das
Formieren politischer, militärischer, diplomatischer und ökonomischer
Kräfte geht. (Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie, 2009,
S. 61-63).Zakaria urteilt dabei ganz nüchtern, daß es
verschiedene Möglichkeiten gibt, um deren Effizienz zu steigern: Man kann
sich autoritärer, illiberaler, aber auch liberaler Verfassungen bedienen.
Im us-amerikanischen Fall sei die Verknüpfung mit der liberalen Demokratie
empfehlenswert, weil das die Integration jener Einwanderer ermögliche, die
der größten Volkswirtschaft der Welt ihren Vorsprung erhalten, indem
die USA die besten Köpfe aus allen Regionen anziehen und zügig us-amerikanisieren.
Damit lasse sich eine Synergie bewirken, für die es kein Vorbild gebe. Die
Vereinigten Staaten könnten den Fehler älterer Imperien vermeiden, die
aus der Trennung von Reichsvolk und Unterworfenen entstanden. Das mache sie fähig,
den globalen Wettbewerb zu gewinnen: US-Amerika habe die wirtschaftliche Globalisierung
erfunden, indem es nach zwei Weltkriegen und dem Zusammenbruch der Sowjetunion
die Öffnung aller Märkte erzwang, und nun schließt es diesen Prozeß
ab durch eine Art innerer Globalisierung. (Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie,
2009, S. 63-64).An der Konzeption Zakarias besticht vor allem die
Unvoreingenommenheit. Er ist kein Anhänger der manifset destiny und
kein naiver Befürworter eines Multikulturalismus. Wenn er an einer Stelle
seines Textes auf Singapur als Musterbeispiel einer »meritokratischen«
- also einer auf Verdienst beruhenden - Ordnung zu sprechen kommt, enthüllt
er wohl den Kern seiner Anschauung: die Vorstellung, daß im kommenden Zeitalter
bei verschärfter Konkurrenz nur diejenigen bestehen, die alle Kräfte
nutzen, die ihnen zur Verfügung stehen. Sein Abschied von der Demokratie
als Idee der Volksherrschaft ist ohne Ressentiment und frei von der Vorstellung,
eine perfekte Alternative zu haben, es geht ihm aber auch nicht um die defensiven
Argumente einer Politischen Klasse, die sich Konkurrenz vom Hals halten
will, sondern um ein Modell, das dynamischer ist als das bisherige. (Karlheinz
Weißmann, Post-Demokratie, 2009, S. 64).Das Schattenlos-Positive
der Interpretation Zakarias wird vor allem in Frage gestellt durch jenen Teil
der Linken, der erkannt hat, daß die Komplexität moderner Gesellschaften
weder eine Rückkehr zu rousseauistischen Verhältnissen noch eine Verteidigung
des Parlamentarismus im Stil des 19. Jahrhunderts erlaubt. Der italienische Rechtsphilosoph
Danilo Zolo sprach schon vor Jahren ganz offen davon, daß die »Systeme,
die wir demokratisch nennen, ... im eigentlichen Sinn differenzierte und begrenzte
Autokratiesysteme« sind, das heißt »liberale Oligarchien«,
deren monokratische Tendenz durch die grundsätzliche Anerkennung der Autonomie
bestimmter gesellschaftlicher Bereiche (Wirtschaft, Wissenschaft, Religion) korrigiert
wird und die wegen ihres Erfolgs in bezug auf die staatliche »Kernfunktion
der »Angstminderung« auf eine breite Akzeptanz trifft. (Karlheinz
Weißmann, Post-Demokratie, 2009, S. 65).Allerdings
verkennt Zolo den Verfall der »Kernfunktion«, die die westlichen Staaten
immer weniger sicherzustellen vermögen. Und es kommt ein zweites hinzu, das
bei Zolo überhaupt keine Rolle spielt: der Abbau des Gemeinschaftsbewußtseins,
das in der Demokratie zu den entscheidenden Voraussetzungen für die Gesamtordnung
gelten muß. Dieses entscheidende Problem kommt erst allmählich in den
Blick. Unlängst hat es der us-amerikanische Politikwissenschaftler Colin
Crouch hervorgehoben. In seinem Buch Post-Demokratie sieht er die Demokratie
zwar aus ganz ähnlichen Gründen am Ende wie Bruckner, Guéhenno
oder Zolo, meint aber, daß das zentrale Problem darin bestehe, daß
die Globalisierung einerseits und der Neoliberalismus andererseits zu einem Nebeneinander
von vordemokratischen (unkontrollierter Macht von Privatunternehmen, Korruption),
demokratischen (Fortbestand von Parteien, Wahlen, Parlamenten) und postdemokratischen
Elementen (Demoskopie, spin doctors, Einflußnahme über neue
Medien) im eigentlichen Sinn geführt hätten. Diesen Zustand zu korrigieren
sei deshalb so schwierig, weil es unter den Bedingungen der Moderne gar keine
»stabilen kollektiven Identitäten« (Colin Crouch, Post-Demokratie,
2008, S. 40) mehr gebe, die es dem demos erlaubten, ein politisches Selbstverständnis
zu entwickeln und politische Zielsetzungen zu bestimmen. Man könnte auch
von einem Verfall der Repräsentanz sprechen, ein Virulent-Werden jenes Schlüsselproblems
aller staatlichen Ordnung, die klären muß, warum die vielen meinen
sollen, daß sie eins sind. (Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie,
2009, S. 65-66).
Schluß
Die Schwäche aller
Rede von der Post-Demokratie liegt in der Scheu vor Konsequenzen. Es geht nicht
darum, daß Sachverhalte falsch beschrieben würden und Analysen im Einzelfall
unzutreffend wären, es geht eher um die Unfähigkeit, die heutige Entwicklung
in einen größeren Zusammenhang einzuordnen. (Karlheinz Weißmann,
Post-Demokratie, 2009, S. 67).Schon die Behauptung eines
»wahrhaft demokratischen Interregnum« (Colin Crouch, Post-Demokratie,
2008, S. 156), das wohl zwischen 1945 und 1989 bestanden haben soll und dessen
Verfaßtheit als normativ betrachtet wird, ist unglaubwürdig, bestenfalls
naiv. Denn in dieser Phase wurden die tonangebenden Vertreter der Intelligenz
niemals müde, die Defizite auf dem Sektor der Demokratie zu beklagen ....
(Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie, 2009, S. 67).Was
aber schwerer wiegt, ist das Fehlen aller Bezugnahme darauf, daß sich an
den grundsätzlichen Problemen seit langem kaum etwas geändert hat. Schon
Max Weber mußte darauf hinweisen, daß das »eherne Gehäuse«
(Max Weber, Wahlrecht und Demokratie in Deutschland, 1917, a.a.O., S. 285)
der modernen Zivilisation keinen Platz mehr für politische Romantik läßt,
wozu er auch die Ideen des Naturrechts oder der Volksherrschaft zählte. Seine
Interpretation der Demokratie war funktional, womit die letzte Verteidigungslinie
bezeichnet ist, die die Klügeren zu halten suchten: von Joseph Schumpeter,
der die Demokratie nur mehr als »freie Konkurrenz um freie Stimmen«
(Joseph A. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 1942,
S. 430) betrachtete, bis zu Niklas Luhmann, für den Demokratie lediglich
die »Spaltung« (Niklas Luhmann, Die Zukunft der Demokratie,
1986, a.a.O., S. 209) in der Spitze des Staates zwischen Regierung und Opposition
bedeutete, die einem hochdifferenzierten gesellschaftlichen System affin sei,
mehr aber auch nicht, und diese »passende strukturelle Erfindung hat aus
historisch-zufälligen Gründen den Namen Demokratie bekommen« (ebd.,
S. 211). (Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie, 2009, S. 67-68).Das
war bewußt überzogen formuliert, denn der Begriff Demokratie entstand
nicht einfach »historisch-zufällig«, sondern war das Ergebnis
eines langfristigen Prozesses und wichtiger Entscheidungen, die in der europäischen
Neuzeit gefällt wurden. Die so geschaffenen Bedingungen für die Durchsetzung
der Demokratie sind allerdings im radikalen Abbau begriffen. In Erweiterung des
Böckenförde-Theorems - »Der freiheitliche, säkularisierte
Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann« (Ernst-Wolfgang
Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, 1976, S. 60) - könnte
man sagen, daß die Demokratie von vorpolitischen Bedingungen lebt, die sie
nicht garantieren kann und durch die Anwendung ihrer Prinzipien verschleißt.
Zu diesen Bedingungen gehört vor allem der Bestand des demos selbst,
versteht man darunter eine hinreichend klar erkennbare, also homogene soziale
Einheit, für gewöhnlich die Nation im modernen Sinn. (Karlheinz
Weißmann, Post-Demokratie, 2009, S. 68-69).Die Bedeutung
der Homogenität für den demos wurde in der jüngeren Vergangenheit
regelmäßig bestritten, mehr noch, man hat die Forderung nach Homogenität
als antidemokratisch bezeichnet. Dabei wurde übersehen. daß die Demokratie
wie jede andere Herrschaftsform auf »Willensvereinheitlichung« (Hermann
Heller, Politische Demokratie und soziale Homogenität, 1928, a.a.O.,
S. 10) ausgeht, weshalb im vorpolitischen - ethnischen, religiösen, zivilen
- Bereich ein erhebliches Maß an Einheitlichkeit bestehen sollte, um diesen
Prozeß zu erleichtern. Die Homogenität kann den faktischen Antagonismus
etwa konfessioneller oder wirtschaftlicher Art nicht vollständig aufheben,
aber wenn sie hinreichend »sozialpsychisch« (ebd., S. 14) begründet
ist, verbürgt sie Stabilität. (Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie,
2009, S. 69).Steht die Demokratie heute grundsätzlich in Frage,
so deshalb, weil die »Willensvereinheitlichung« immer weniger möglich
ist. Faktisch wurden die europäischen Nationen durch Zuwanderung, einen Umschichtungsprozeß,
der vor allem die staatstragende Mittelklasse schwächte, und eine Kulturrevolution
in Konglomerate verwandelt, die zwar pro forma demokratisch sind, aber
faktisch von liberalen Oligarchien beherrscht werden. Deren Regime muß sich
je länger je mehr von einem Aufbegehren des demos gegen die Transformation
bedroht fühlen, stärker als von einer weitergehenden Fragmentierung,
die man mit Sozialtechnologie oder Gewalt unter Kontrolle halten könnte.
(Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie, 2009, S. 69-70).Die
Gefaßtheit jedenfalls, mit der die Politische Klasse die Nachricht
vom Ende der Demokratie hört, spricht dafür, daß sie sich schon
vorbereitet, und so wie mit wiedergewonnener Unschuld über Imperien oder
die Reproduktion von Eliten nachgedacht wird, wendet man sich auch den Perspektiven
eines neuen aufgeklärten Absolutismus zu. Offen angesprochen wird das von
den Praktikern nicht, aber unter den Theoretikern gibt es einige, die keinen Hehl
aus ihrer Verachtung für die Demokratie machen und über Alternativen
nachdenken. (Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie, 2009, S.
70).Zu ihnen ist Ian Angell zu rechnen, Professor für Informationssysteme,
Berater zahlreicher UN- und EU-Einrichtungen. Schon in einem 2000 erschienenen
Buch hat er Überlebensstrategien für das Informationszeitalter entwickelt,
die nichts mit den üblichen Empfehlungen zu tun haben. Der Grund dafür
ist, daß Angell das demokratische System für unbrauchbar hält:
die »große politische Frage der kommenden Jahrzehnte ist« seiner
Meinung nach, »wie man sozial verträgliche Mittel zur Demontage der
Demokratie« finden könne (vgl. Ian Angell, a.a.O., S. 157). Der Erfolg
der Demokratie in den vergangenen Jahrhunderten habe nicht auf der Überzeugungskraft
der Demokratie oder ihrer Funktionstüchtigkeit beruht, sondern darauf, daß
ihre Durchsetzung mit der Durchsetzung des Kapitalismus »synchronisiert«
war (vgl. ebd., S. 123). Der ideologische Überbau, das seien Sentimentalitäten,
die nur in Geltung standen, weil sie der Beruhigung der Masse dienten, nützliche
Illusionen. Die Masse war notwendig im Industriezeitalter, sie ist es nicht mehr
im Informationszeitalter, ihr Versuch, Einfluß zu nehmen, wirkt sich deshalb
nur schädlich aus, faktisch handelt es sich um eine »Verschwörung
des Mobs gegen die Schöpfer des Wohlstands« ( ebd., S. 231), also die
produktiven Eliten. (Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie, 2009,
S. 70-71).Man könnte dem nur begegnen durch Aufhebung des
Egalitarismus, etwa die steuerliche Entlastung der Reichen oder die Einführung
eines Zensuswahlrechts, aber Angell glaubt nicht, daß solche Schritte unternommen
werden. Es müßten erst nach und nach alle Bedingungen der Massengesellschaft
in Frage gestellt sein - Nation, Gemeinwohl, kollektive Werte und Demokratie -,
bevor eine prinzipielle Änderung stattfinden könne. Die werde zu einer
ungeheuren Fragmentierung der politischen Landschaft führen, möglicherweise
zur Entstehung von kleinen Einheiten, die miteinander um die Informationseliten
konkurrierten und ihre Ordnung auf alle möglichen Prinzipien gründeten,
aber ganz sicher nicht auf one man - one vote. (Karlheinz Weißmann,
Post-Demokratie, 2009, S. 71-72).Das Buch von Angell trägt
den Titel The New Barbarian Manifesto - »Das neue barbarische Manifest«,
eine Anspielung auf das Kommunistische Manifest einerseits, auf Nietzsches
Rede von den kommenden »Barbaren« andererseits. Angell glaubt, daß
ihnen die Zukunft gehört, jenen hochqualifizierten Männern und Frauen,
die an jedem Platz des Erdballs arbeiten können, gesuchte Spezialisten, die
man mit dem Angebot eines höheren Einkommens stets zum Ortswechsel zu bringen
vermag. Barbaren sind sie deshalb, weil sie keine »Kultur« im alten
Sinn haben - keine Bindung an Staat, Überlieferung, Religion -, sie sind
Wurzellose, die sich in immer neuen Konstellationen bewegen, bereit, ihre Fähigkeiten
dem zur Verfügung zu stellen, der sie bezahlt. Sie sind auch die einzigen,
die frei sind, für den Rest bleibt eine mehr oder weniger harte Sklaverei.
(Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie, 2009, S. 72-73).Die
gegenwärtige Wirtschaftskrise betrachtet Angell als Bestätigung seiner
Thesen, als Anfang jenes Umwälzungsprozesses, der das nachdemokratische Zeitalter
einleiten wird. Die Demokratie, so Angell unlängst in einem Interview, ist
endgültig erledigt. Sie habe in der Vergangenheit überhaupt nur insoweit
bestehen können, als man ihre Prinzipien ignorierte. Die Situation sei aber
heute eine andere, weil die modernen Technologien kaum noch die Bewahrung von
Herrschaftswissen erlaubten. Jetzt könne die Masse der user tatsächlich
direkten Einfluß nehmen, und damit sei enthüllt, worum es sich bei
der Demokratie eigentlich handele: das Ordnungsmodell einer »Verlierergesellschaft«.
(Vgl. Ian Angell im Interview: »Eine demokratische Gesellschaft ist eine
Verlierergesellschaft.«) Denn sie baue auf dem Mehrheitsprinzip auf, und
die Mehrheit bestehe nun einmal aus Verlierern, das heißt Menschen, die
sich unter den Bedingungen freier Konkurrenz niemals behaupten könnten. Nur
in einer Übergangsphase der Geschichte habe man glauben können, daß
sogenannte Nationen unter Berufung auf sogenannte Freiheit und sogenannte Gleichheit
sogenannte Demokratien entwickelten. (Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie,
2009, S. 73-74).Was wir nun erlebten, sei das Ende der Täuschungen,
eine große Transformation, in der Produktionssysteme zum Kern neuer politischer
Einheiten würden, die sich weder um Herkunft noch um Kultur scherten, sondern
für Schutz unerbittlich Loyalität forderten, weit entfernt von allen
»zivilgesellschaftlichen« Vorstellungen. Diese Einheiten würden
um die knapper werdenden Ressourcen erbitterte Auseinandersetzungen führen,
bei denen man sich so etwas wie Demokratie schlicht nicht leisten könne.
Im Kampf ist Demokratie ein Handikap. (Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie,
2009, S. 74).Angell gehört zu den Libertären und viel
an seiner Argumentation - auch der sozialdarwinistische Grundzug - erklärt
sich aus einem Modell, das als »Anarchokapitalismus« bezeichnet werden
kann. Der Begriff ist aber auch ein Verweis auf die Schwäche dieser Denkweise.
Wenn, wie Angell meint, nur ökonomische Vorgänge von Belang sind, die
Welt materialistisch zu erklären ist, solange man die Phantome der Marxisten
meidet, dann wird jede Bezugnahme auf Wertentscheidungen unnachvollziehbar. Wahrscheinlich
würde Angell einen solchen Einwand mit Hinweisen auf Nützlichkeit und
Lust als Zielgrößen begegnen, aber die Geschichte lehrt, daß
weder Nützlichkeit noch Lust ausreichen, um die Handlungsweisen von Menschen
zu bestimmen, vor allem dann, wenn es um das Politische geht. (Karlheinz
Weißmann, Post-Demokratie, 2009, S. 74-75).Diese Blindheit
gegenüber der Eigengesetzlichkeit des Politischen ist das eigentliche Defizit
in der Argumentation Angells. Deshalb ist er anderen Propheten des Epochenwechsels
unterlegen. Man könnte etwa den us-amerikanischen Publizisten Robert Kaplan
nennen, der schon 1997 einen aufsehenerregenden Essay unter dem Titel Was Democracy
just a Moment? veröffentlichte. Kaplan vertrat darin die Auffassung,
daß die westlichen Demokratien einem Verfallsprozeß ähnlich dem
der antiken unterlägen: von der Monarchie über die Demokratie zur Oligarchie,
zur Zwangsherrschaft des Militärs, die gerade in Konsequenz der Erfolge von
Marktwirtschaft und Mitbestimmung nötig werden könnte, denn deren »produktive
Anarchie« verkenne die Notwendigkeit von Autorität und kollektiver
Identität. (Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie, 2009,
S. 75).An anderer Stelle hat Kaplan darauf hingewiesen, daß
die Zerstörung der Demokratie mitbedingt sei durch die Schwäche der
Staatlichkeit außerhalb des europäisch-nordamerikanischen Wohlstandsgürtels,
unter Einschluß von Japan und einigen asiatischen Staaten. Eine Einschätzung,
die durch die zahllosen Programme zum nation building nicht widerlegt,
sondern bestätigt wird, und die failed states - die gescheiterten
Staaten, also jene ehemaligen Kolonien, denen es in den vergangenen Jahrzehnten
nie gelungen ist, eine brauchbare Ordnung aufzubauen - sind mittlerweile zum Gegenstand
intensiver, wenngleich vergeblicher Bemühungen der internationalen Gemeinschaft
geworden. Das alles spricht dafür, daß uns nicht nur ein nachdemokratisches
Zeitalter, sondern auch ein nachstaatliches Zeitalter bevorstehen könnte.
(Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie, 2009, S. 75-76).Wer
da nicht den Optimismus Angells teilt, daß in dem Chaos auch eine zweite
Renaissance mit Stadtrepubliken nach dem Muster von Florenz und Venedig möglich
wäre, und wer nicht von einem vollständigen Zerfall ausgeht, der müßte
sich auf das gefaßt machen, was Kaplan oder der israelische Militärtheoretiker
Martin van Creveld für die wahrscheinlichste Perspektive der zukünftigen
Entwicklung halten. Nach Meinung van Crevelds hat sich das europäische Konzept
von Staatlichkeit seit dem 17. Jahrhundert allmählich durchgesetzt und seit
der französischen Revolution den Charakter eines politischen »ldeals«
angenommen: eine dauerhafte Ordnung auf begrenztem Territorium, wehrhaft nach
außen, im Inneren den Frieden garantierend. Allerdings gelang es dem »Westen«
nie, dieses »Ideal« weltweit durchzusetzen, sowieso nicht in Afrika,
kaum in Lateinamerika, in Asien bloß in Verbindung mit vorhandenen Strukturen,
schon in Osteuropa sind Zweifel angebracht. Der Niedergang des Staates war - wie
so oft im Fall erfolgreicher Konzepte - ein Preis des Erfolges. Das Ende der großen
Kriege und die Internationalisierung von Wirtschaft und Technologie und die Überforderung
seiner inneren Kohärenz haben den Staat nach 1945 immer weiter geschwächt.
(Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie, 2009, S. 76-77).Was
van Creveld für das Danach prognostiziert, ist ein Nebeneinander von Staaten
oder staatsähnlichen Größen, die in abgestuftem Maß Souveränität
besitzen, Gebiete, die wechselnden war lords unterworfen sind und aterritorialen
Machtgebilden, die sich um große Konzerne ebenso wie um religiöse Sondergruppen
oder mafiose Organisationen bilden können. Nur ausnahmsweise werde es einer
zentralen Autorität möglich sein, das Gewaltmonopol zu verteidigen,
und in manchen Regionen der Welt werde das Chaos herrschen, ohne Aussicht auf
Abhilfe. Was man heute in Europa und Nordamerika als üblichen Standard bürgerlicher
Existenz betrachte, dürfte keine Bedeutung mehr haben. Angesichts einer dramatisch
gewachsenen Unterschicht und dauernder Bedrohung müßten sich die meisten
an den Verlust persönlicher Freiheit gewöhnen und daran, daß sie
und ihre Kinder nur als »Vasallen der starken und reichen Gesellschaftsmitglieder«
überleben könnten. (Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie,
2009, S. 77-78).Es ist in der Bundesrepublik üblich, Analysen
wie sie von Angell, Kaplan oder van Creveld geliefert werden, zu verschweigen
oder sie als Panikmache beiseitezuschieben. lm schlimmsten Fall spricht man von
self-fulfilling prophecy in dem Sinn, daß der Bote verantwortlich
ist für das von ihm angekündigte Geschehen. Das ist fatal. Mißtrauen
sollte man vielmehr denen entgegenbringen, die behaupten, daß es so weitergehen
kann wie bisher. Die Frage, in welcher politischen Ordnung wir morgen leben werden,
ist längst keine akademische, sondern eine von existentieller Bedeutung.
Das macht ihre Beantwortung so dringlich. (Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie,
2009, S. 78).Mustert man die diskutierten Alternativen durch, ergeben
sich im wesentlichen drei Möglichkeiten:1. | Die
utopische, die im Grunde mit der alten, aus der Aufklärung abgeleiteten Geschichtsphilosophie
begründet wird, daß die Demokratie den einzig denkbaren Abschluß
der Menschheitsgeschichte bildet und die Post-Demokratie keine oder jedenfalls
eine kalkulierbare Gefahr darstellt; oder wie es der Verfassungsrichter Udo di
Fabio ausdrückt: »Letztlich werden wir zu einer Welt kommen, in der
gut regierte Staaten und Staatenverbindungen, die in ihren Grundlagen freiheitlich
und demokratisch verfaßt sind, ihre Infrastruktur der Wirtschafts- und Gewerbeförderung,
ihr Rohstoff- und Energiemanagement, die Ordnung der Finanzmärkte, die Bedingungen
für Bildung und soziale Sicherung so pflegen, daß die Chancen für
alle steigen.« Worauf eine derart optimistische Einschätzung beruht,
ist kaum zu erklären (doch, nämlich mit US-Hörigkeit;
HB), immerhin wird sie von allen geteilt, die an die Eigengesetzlichkeit
der globalen Demokratisierung glauben, was auf einen erheblichen Teil der Bürgerlichen
und der Linken zutrifft. | 2. | Die
nostalgische, verfochten von denen, für die Demokratie und Nationalstaat
direkt zusammengehören und die mit der Souveränität des Nationalstaats
auch die Demokratie gerettet sehen. Ihre Erwartungen sind nicht so groß
wie die der Utopisten, wobei ihr Begriff von »Nation« im allgemeinen
ebenso unreflektiert ist wie ihr Begriff von »Volk«, das heißt:
Auch wenn man die EU oder andere supranationale Gebilde als undemokratisch ablehnt
und die Gesetzgebungsgewalt bei den Nationalparlamenten belassen sehen will, bleibt
der Tatbestand der Oligarchisierung des Systems und ebenso die beschriebene Zersetzung
der Bedingungen für einen demokratischen Legitimitätsglauben. Zudem
wird man sich fragen müssen, ob Nationalstaaten stark genug sind, um die
kommenden militärischen und ökonomischen Auseinandersetzungen zu überstehen. | 3. | Die
unverantwortliche, wie sie Angell, aber auch andere Libertäre, etwa Hans
Hermann Hoppe, vertreten, die im Grunde eine zynische Sieger-Ideologie entwerfen.
Hier könnte Post-Demokratie tatsächlich zur Chiffre für ein »neo-autoritäres
Ideologem« (Karsten Fischer, 2006, a.a.O., S. 47) werden, aber damit hat
es sich auch. Die Unverantwortlichen betrachten die Frage nach dem Gemeinwohl
als erledigt und die europäische Überlieferung nur als Vehikel, um eine
Welt vorzubereiten, in der ebenso intelligente wie skrupellose Individuen ihren
Vorteil auf möglichst effektive Weise durchsetzen und die Gesellschaft tatsächlich
auf »Verträgen« beruht, die man nach Gutdünken schließt
oder aufhebt. | Was
von den Vertretern dieser Ansätze in jedem Fall übersehen wird, ist
die Notwendigkeit, das Politische für die Zukunft neu zu gestalten. Die einen
glauben an dessen fortschreitende Zivilisierung, die zweiten an Kontrolle mit
den altbekannten Mitteln, die dritten an die Überwindung in einem Zeitalter,
das dann nicht nur postdemokratisch, sondern auch postpolitisch sein müßte.
(Karlheinz Weißmann, Post-Demokratie, 2009, S. 78-81).Nichts
spricht dafür, daß es dazu kommt. Das Politische mag von der Bindung
an den Staat abgelöst sein, aber es wird sich nicht auflösen. Das sollte
jede verantwortliche Haltung in ihre Überlegungen einbeziehen und sich wieder
um die Klärung der Bedingungen mühen, die eine »gute Ordnung«
ausmachen. Die ist nicht als Restauration des klassischen Staates denkbar, aber
sie wird mit seiner Gestalt doch viel mehr Ähnlichkeit haben müssen
als mit Stammesgesellschaften oder Stadtrepubliken. (Karlheinz Weißmann,
Post-Demokratie, 2009, S. 81).Damit zu einem letzten Punkt:
Der Begriff Post-Demokratie ist inhaltlich unbestimmt. Wer das Wort nicht nur
als Schreckvokabel benutzt, erwartet irgendein Danach, das sich von der Gegenwart
oder der jüngsten Vergangenheit - negativ - unterscheidet. Ohne Zweifel besteht
Grund zur Sorge. Aber das Kernproblem ist nicht das Verschwinden der Demokratie,
sondern das Verschwinden des Staates, der auch die Voraussetzung der Demokratie
bildet. Der Staat erodiert an der Basis durch die Auflösung der tragenden
Institutionen und verliert sich nach oben durch die Einfügung in immer andere,
immer neue, unkontrollierbare Strukturen, die theoretisch oder praktisch seine
Souveränität aufzuheben suchen. Verglichen mit diesem Problem (**)
ist die Frage nach der Zukunft der Demokratie sekundär. (Karlheinz
Weißmann, Post-Demokratie, 2009, S. 81-82).

© Hubert Brune, 2001 ff. (zuletzt aktualisiert: 2014).
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